Jean Baudrillard gehört sicherlich zu den einflussreichsten, aber auch zu den umstrittensten Theoretikern der Informationsgesellschaft. Nicht nur die Radikalität seiner Thesen, sondern auch seine unwissenschaftliche Herangehensweise werden oft kritisiert.1 Manche sehen in ihm sogar nur einen Scharlatan, der mit seinem mystifizierenden Sprachstil und seiner bestechenden Rhetorik seine Leserschaft in die Irre führt.2 Die Argumente sind berechtigt und
haften seinem Werk immer noch den Beigeschmack der Unseriösität an.
Ein Thema wurde Baudrillard allerdings wieder nach dem 11. September 2001. Allerdings nicht nur, weil er sich beeilte seine Interpretation der Ereignisse zu publizieren, sondern vielmehr, weil andersherum die Ereignisse Baudrillard’s Theorie eingeholt zu haben scheinen. Auch wenn Diedrich Diedrichsen meint, man müsse nach dem 11. September mit dem „Baudrillardismus“ aufhören3, sehen manche Kommentatoren bereits wenige Tage nach den Anschlägen eben jene Analogien zu Baudrillards Theorien. „Simulation und Inszenierung von Realität sind zentrale Bausteine eines medienreflexiven Diskurses. Ihn brauchen wir wieder, gerade jetzt, wo der Grad des Grauens in so offenbarem Zusammenhang steht zur Berichterstattung. Virilio und Baudrillard zu
bedenken bedeutet nicht Fahnenflucht, sondern Bildern nicht vorbehaltlos zu trauen.“4 Der Zusammenhang von Baudrillards Theorien und dem 11. September sind aber noch vielfältiger und noch tiefer als nur der medienkritische Diskurs, den er mit seiner Simulationstheorie losgetreten hatte. Schon seit den 70er Jahren beschäftigte er sich beinah prophetisch mit dem Terrorismus, der Transparenz des
Bösen, dem Ereignis, Amerika, der Rolle der Medien und sogar explizit mit den Türmen des World Trade Centers. [...]
1 Vgl.: Bohm, Ralf; Fuder, Dieter: Baudrillard lesen, S. 11
2 Vgl.: Venus, Jochen: Referenzlose Simulation?, S. 8 f
3 Vgl.: Diedrichsen, Diedrich: Das WTC hat es nie gegeben, in TAZ, (06.10.2001)
4 Förster, Jochen: Bilderterror, Krieg ohne Bilder, in: die Welt (12.10.2001)
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die Thesen in „Der Geist des Terrorismus“ im Werkkontext
- 2. 1. Die Rückkehr des Ereignisses
- 2.1.1. Die Simulation
- 2.1.2. Der Streik der Ereignisse
- 2.2. Die Terroristen benutzten den Tod als Waffe
- 2.2.1. Die Ausgrenzung des Todes
- 2.2.2. Der symbolische Tausch
- 2.3. Der Terrorismus ist der Kampf gegen die definitive Ordnung des Guten
- 2.3.1. Das Radikal Andere und das Objekt
- 2.3.2. Das Objekt, die Verführung
- 2.3.3. Das Globale und das Universelle
- 2.3.4. Das Prinzip des Bösen
- 2.4. Der Terrorismus als Virus
- 2.4.1. Die Virtuelle Virulenz
- 2.4.2. Das eigene Mitschwingen
- 2.5. Das WTC als symbolisches Zeichen der Simulation
- 2.6. Reversibilität des Wertesystems
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert Jean Baudrillards Text „Der Geist des Terrorismus“ im Kontext seines Gesamtwerks. Die Arbeit zielt darauf ab, die in dem Text enthaltenen Thesen zu extrahieren und im Zusammenhang mit seinen früheren Theorien herzuleiten.
- Die Simulationstheorie als zentrale Grundlage des Werkes Baudrillards
- Der Streik der Ereignisse und die Rückkehr des Ereignisses nach 9/11
- Der symbolische Tausch und die Rolle des Todes im Kontext des Terrorismus
- Die Kritik an der definitiven Ordnung des Guten und die Verführung durch das Objekt
- Der Terrorismus als Virus und die Bedeutung der Medien
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Arbeit und die Person Jean Baudrillards ein. Sie beleuchtet die Relevanz seiner Theorien im Kontext des 11. September 2001 und beschreibt die Zielsetzung der Arbeit.
Kapitel 2.1, „Die Rückkehr des Ereignisses“, analysiert die These Baudrillards, dass nach einer Phase der Stagnation der Ereignisse, die Ereignisse zurückkehren. Der Abschnitt erläutert die Simulationstheorie Baudrillards und die Idee des Streik der Ereignisse.
Kapitel 2.2, „Die Terroristen benutzten den Tod als Waffe“, befasst sich mit der Rolle des Todes im Terrorismus. Der Abschnitt untersucht Baudrillards Gedanken zur Ausgrenzung des Todes und den symbolischen Tausch.
Kapitel 2.3, „Der Terrorismus ist der Kampf gegen die definitive Ordnung des Guten“, analysiert die Kritik Baudrillards an der Ordnung des Guten und die Verführung durch das Objekt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit zentralen Begriffen und Konzepten der Theorie Jean Baudrillards. Zu den Schlüsselbegriffen zählen Simulation, Simulationstheorie, Streik der Ereignisse, Rückkehr des Ereignisses, symbolischer Tausch, Tod, Verführung, Objekt, Terrorismus, Medien, und die definitive Ordnung des Guten.
- Quote paper
- Michael Seemann (Author), 2003, Baudrillard und der 11. September, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21586