Diese Arbeit setzt sich unter anderem mit der Frage der Risikoeinschätzung auseinander. Dieser Thematik wird innerhalb der Katastrophenforschung deshalb so viel Aufmerksamkeit zu Teil, da die subjektive Einschätzung von Katastrophen und ihr tatsächliches, objektives Ausmaß teils stark divergieren.
Katastrophenmanagement
1. Gefahren- und Risikoeinschätzung
Dieses Kapitel setzt sich mit der Frage der Risikoeinschätzung auseinander. Dieser Thematik wird innerhalb der Katastrophenforschung deshalb so viel Aufmerksamkeit zu Teil, da die subjektive Einschätzung von Katastrophen und ihr tatsächliches, objektives Ausmaß teils stark divergieren. Als prominentes Beispiel dient hier etwa die Bedrohung des H1N1-Virus. Die so genannte Schweinegrippe avancierte im Jahr 2009 zum Medienstar und die Angst der Weltbevölkerung vor der Bedrohung nahm ein horrendes Ausmaß an. Millionen wurden in Impfstoffe investiert. Letzten Endes starben weltweit 18.000 Menschen durch das Virus - weitaus weniger als in einer durchschnittlichen Grippe-Saison. Aktuell begründen Katastrophenforscher wie etwa Ortwin Renn die allgemein gestiegene Sensibilität hinsichtlich Naturkatastrophen und anderen Krisenszenarien in der sozial-konstruktivistischen Macht der Medien.1
Eine möglichst exakte, subjektive Einschätzung der Gefahr respektive des Risikos muss allein schon deshalb angestrebt werden, da nur so eine adäquate Reaktion bzw. Prävention erreicht werden kann. Im Folgenden wollen wir uns am Beispiel Weinzödl u. a. der Beantwortung auf die Frage nähern, wie Personen, welche in einem überdurchschnittlich oft von Naturkatastrophen betroffenen Wohnort leben, die Gefahr einschätzen bzw. welche Rolle sie in ihrem Leben spielt. Weiters interessiert, die eigene Selbsteinschätzung bei eintretenden Katastrophen sowie die Einschätzung des Wissens und der Reaktion von verschiedenen Behörden in diesem Kontext. Aber zunächst soll die essenzielle Terminologie in diesem Kontext näher erläutert werden.
1.1 Definition von Risiko und Gefahr
Wie in der Einleitung schon erwähnt, beschäftigen wir uns in diesem Kapitel mit Risiko und Gefahren im Bereich von Katastrophen. Um mit dem rechten Selbstverständnis an die Sache herangehen zu können, werden wir zuerst die Begriffe Risiko und Gefahr näher definieren. Die Ingenieur- und Umweltwissenschaften verstehen unter dem Begriff Risiko das Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. Eintrittshäufigkeit und Schadensausmaß.2 Unter Eintrittshäufigkeit versteht man die Häufigkeit, indem ein Ereignis innerhalb eines gewissen Zeitraums eintritt. Daraus ergeben sich zum Beispiel die Bezeichnungen für 30-jährige oder 100-jährige Hochwässer. Das Schadensausmaß hängt vom jeweiligen Sachgebiet ab. Es wird jedoch in materiellen bzw. ökonomischen und immateriellen Schäden unterschieden. Nach Thomas Egli bedeutet Risiko die „qualitative oder quantitative Charakterisierung eines Schadens hinsichtlich der Möglichkeit des Eintreffens und der Tragweite der Schadenswirkung.“ (Egli 1996: 15) Eine sozialwissenschaftliche Definition von Risiko nach Hillmann:
„Begriff, der auf Entscheidungssituationen mit fehlender oder unvollkommener Information angewandt wird. […] Diese normativ-rationale Definition differiert oft von tatsächlichen Risikowahrnehmungen und -urteilen. In diese gehen subjektive Kriterien und Wertvorstellungen ein, […] die den ‚objektiven’ Risikoniveaus nicht entsprechen.“ (Hillmann 2007: 754)
Diese sozialwissenschaftliche Definition von Risiko lässt sich auf das Risikobewusstsein von Betroffenen bei Katastrophen gut anwenden. Im Vorfeld von Katastrophen, sowie während des Ereignisses, gibt es oft nur wenig bis gar keine Informationen über die anbahnende Katastrophe bzw. über dessen Ausmaß. Das davon ausgehende Risiko wird somit falsch eingeschätzt und kann zu verheerenden Folgen führen. Man denke nur an vergangene Ereignisse, bei denen Frühwarnsysteme ignoriert wurden, mangelhafte Katastropheneinsatzpläne eingesetzt wurden oder sich einzelne Betroffene überlebensnotwendige Evakuierungsmaßnahmen widersetzt haben. Gerade die Beispiele über falsche Risikoeinschätzung machen sehr deutlich, dass subjektive Kriterien - wie zum Beispiel die persönliche Erfahrung, die praktische Vorstellbarkeit bestimmter Risiken oder die persönliche Beeinflussbarkeit des Ausgangs - das Bewusstsein über das Risiko, dem man objektiv ausgesetzt ist, sehr stark beeinflussen können. Wir erweitern also die Definition des Begriffes, um zwischen subjektiven und dem objektiven Risiko zu unterscheiden.
Die Bedeutung des subjektiven Risikos entsteht durch die Wahrnehmung des Individuums. Die Einschätzung des Risikos basiert eben nicht auf einer vorgegebenen Rechenformel oder statistischen Auswertungen, sondern aufgrund von individuellen Wertvorstellungen und dem Verhalten einzelner Personen. Zur Bewertung von Risiken in der Population, wurde in der Risikoforschung eine Reihe von Schemata identifiziert: Risiko als unmittelbare Bedrohung, Risiko als Schicksalsschlag, Risiko als Herausforderung der eigenen Kräfte, Risiko als Glücksspiel und Risiko als Frühindikator für Gefahren. (Vgl. Burgstaller 2005) Beruht das Risiko auf gewissen Faktoren und hängt somit nicht von individuellen Vorstellungen ab, oder ist vom Verhalten einzelner Person beeinflussbar, so spricht man vom objektiven Risiko. Dies lässt sich statistisch erheben und zum Beispiel für Prognosen mathematisch berechnen.
Die Systemtheorie von Niklas Luhmann unterscheidet zwischen dem Begriff Risiko und Gefahr. Berühmt ist Luhmanns Beispiel des Regenschirmrisikos:
„Wenn es Regenschirme gibt, kann man nicht mehr risikofrei leben: Die Gefahr, dass man durch Regen nass wird, wird zum Risiko, das man eingeht, wenn man den Regenschirm nicht mitnimmt. Aber wenn man ihn mitnimmt, läuft man das Risiko, ihn irgendwo liegenzulassen.“ (Luhmann 2008)
In diesem Zitat wird der Zusammenhang zwischen Gefahr und Risiko recht deutlich. Man sieht sich einer Gefahr ausgesetzt und macht seine Entscheidung wie man damit umgeht davon abhängig, welches Risiko man eingehen möchte. Handelt es sich um ein objektives Risiko, so kann man die Gefahr recht gut einschätzen bzw. berechnen. Geht man von der subjektiven Seite an die Gefahr heran, so ist die Wahrscheinlichkeit einer falschen Gefahreneinschätzung sehr groß.
Was ist jedoch unter dem Begriff Gefahr bzw. Gefährdung zu verstehen? Erich Plate definiert Gefahr als „ein extremes Ereignis, das zu einer Bedrohung von Menschen, Umwelt oder Sachkapital führen kann.“ (Plate et al. 2001: 129 Somit ist Gefahr „ein Zustand, Umstand oder Vorgang, aus dem ein Schaden entstehen kann.“ (Egli 1996: 15) Obwohl es für den Schadensbegriff keine Universalbedeutung gibt, wird Schaden generell als negative Konsequenz von Handlungen oder Ereignissen gesehen. In der Literatur wird oft keine klare Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen Gefahr und Gefährdung vorgenommen. Im Kontext von Katastrophen kann man jedoch ‚Gefahr’ als Möglichkeit eines Schadens bezeichnen, während ‚Gefährdung’ etwas über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Schadensereignissen aussagt. (Vgl. Strametz 2008)
Risiko und Gefahr bzw. Gefährdung kann folgendermaßen zusammengefasst werden: „Risiko wird als Kombination aus Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung, des Schweregrades ihrer Folgen, der Dauer einer Gefährdung (Gefahrdauer) und der Wahrscheinlichkeit, dass die Gefährdung zu einem Unfall führt, beschrieben.“ (Burgstaller 2005: 54)
1.2 Risikoanalyse
Um das Risiko in Bezug auf Katastrophen angemessen einschätzen zu können, bedarf es einer soliden Risikoanalyse. „Im weitesten Sinne versteht man unter Risikoanalyse eine Sammlung von Methoden, um die Wahrscheinlichkeit von nachteiligen Effekten eines industriellen, technologischen oder natürlichen Prozess möglichst realitätsgetreu auf der Basis von Beobachtungen und Erfahrungen, aber auch Modellierungen, Prognosen und Szenariobildungen abzuschätzen.“ (Merz 2006: 26) Diese Bergriffserklärung möchte ich mit der Definition von Egli (1996) sinngemäß ergänzen. Neben dem Gefahrenpotenzial wird in der Risikoanalyse auch das Schadenspotenzial näher untersucht. Um das individuelle und kollektive Risiko abschätzen zu können, werden gefährdete Nutzungen im Hinblick auf Art, Ort, Präsenz und Empfänglichkeit identifiziert. Merz gibt eine sehr detaillierte und hilfreiche Auflistung, wozu die Risikoanalyse im speziellen dient, nämlich (1) dem Erkennen vorhandener Konfliktgebiete, (2) als Grundlage zur Bestimmung des Bedarfs, der Dringlichkeit und der Art von Schutzmaßnahmen, (3) dem Erkennen der Beeinträchtigung von Einrichtungen, die im Katastrophenfall von wichtiger Bedeutung sind (z.B. Rettungsdienst), (4) als Hilfsmittel zur Festlegung von Versicherungsprämien und Objektschutzmaßnahmen, sowie (5) dem Aufdecken verschiedener Versagensmechanismen und Prozesse, die zu Schäden führen können, (6) dem Quantifizieren der Sicherheit des untersuchten Systems, (7) dem Erfassen der Auswirkungen der untersuchten Gefahr, (8) dazu, einen möglichst objektiven Referenzrahmen für Sicherheitsentscheidungen zu liefern und (9) ein optimales Gleichgewicht zwischen dem Aufwand für Schutzmaßnahmen und der dadurch erreichten Risikoreduktion anzustreben. (Merz 2006: 289-290)
In der praktischen Anwendung wird die Risikoanalyse in drei Schritten durchgeführt. Erstens die Gefahrenanalyse, zweitens die Anfälligkeitsanalyse und drittens die Risikobestimmung. Im Folgenden sollen diese drei Schritte kurz erläutert werden.
1.2.1 Gefahrenanalyse
Im ersten Schritt werden die Ereignisse von denen Gefahren ausgehen identifiziert und lokalisiert. Das betrifft in Bezug auf Naturkatastrophen, das Einzugsgebiet, Luftbilder, morphologische Geländemerkmale, Schutzbauten, potentielle Schwachstellen bei Schutzmaßnahmen, Ereignisdaten wie zum Beispiel Niederschlags- und Abflussmengen bei Hochwässer, Topographien, Bodentyp, Geologie, etc. Des Weiteren wird eine Wirkungsanalyse durchgeführt wobei Eintrittswahrscheinlichkeiten, Ausdehnung und Intensität von Szenarien, sowie die Abschätzung kritischer Stellen untersucht werden. (Vgl. Egli 1996) Es geht also darum schon im Vorfeld Szenarien zu bilden, um mögliche Schadensereignisse zu identifizieren, durchzudenken und zu bewerten. Grundlage für eine Gefahrenanalyse sind hauptsächlich aufgezeichnete Daten von vergangenen Ereignissen, die nicht nur die Datengrundlage für die Analyse verbessern, sondern auch als Basis für Langzeitbewertungen dienen.
Aufgrund moderner Geoinformationssysteme, können in Österreich Daten und Ergebnisse von Gefahrenanalysen derart visualisiert werden, dass für diverse Behörden und für die Zivilbevölkerung brauchbare Gefahrenkarten zur Verfügung stehen.
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1 http://kurier.at/wirtschaft/1996722.php
2 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen 1999
- Quote paper
- MA Markus Scholze (Author), 2010, Katastrophenmanagement, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215858
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