ein Es ist Thema der jüngeren Zeitgeschichte, daß nur wenige Jahrzehnte zurückliegt und trotzdem relativ wenig gesicherte und sehr bruchstückhafte Informationen zu bieten hat. Das hat wohl einen Grund in der Tatsache des abgeschotteten, repressiven Systems der UdSSR mit dem allumfassenden Informationsmonopol der Partei. Interessant wäre in dieser Beziehung, wenn der Zugang zum Archiv des KGB oder der Dissidenten (Samisdat-Archive) möglich wäre. Den Dissens in der Sowjetunion habe ich zum Gegenstand meiner Untersuchung gewählt, da mich der Mut dieser Menschen fasziniert und bewegt hat, innerhalb eines Staates mit totalitären Zügen (Totalitarismus oder doch nicht – ein Thema, über das sich die Fachwelt wiedermal intensiv streitet) den Ausbruch aus der geschlossenen Gesellschaft zu wagen: Bewußt anders zu sein und dies auch so zu leben, entgegen dem repressiven Konformitätsdruck durch das System und der Mehrheit des Volkes. Am Anfang steht immer eine kleine Minderheit, die anders ist und denkt und dennoch eine neue Entwicklung einleitet! In der Sowjetunion nahmen Teile der Intelligenz die Positionen des Protests und der Veränderung ein. Es war eine Auseinandersetzung zwischen Macht und Geist. War dieses spezifische Milieu das Pendant eines funktionalen Äquivalents zum Bürgertum, daß in dem vormals agrarisch geprägten Land fast gar nicht existierte? Stellen sie das Parallelum zur westlichen Bourgeoisie dar - natürlich inbegriffen des fortgeschrittenen sozialen Wandels -, die in der Geschichte Europas der Ausgangspunkt für bedeutende kulturelle und soziale epochale Entwicklungen war, welche die Politik maßgeblich veränderten. War der Dissens eine Elite, die der passiven „trägen Masse“ geistig-moralische Häppchen zum Anreiz einer Veränderung zuwarf, um sie überhaupt zu „bewegen“? Legte sich das sowjetische System unbewußt selbst die Zündschnur, in dem es der Bildung einen so hohen Rang verlieh? Vergleiche lassen sich ziehen mit der Situation im vorrevolutionären Rußland, in der die Intelligenz eine ähnliche Rolle spielte. Der Begriff Intelligenz verband sich wieder mit den Merkmalen Gesinnungsethik und Zivilcourage, natürlich abgesehen von anderen Zielen und Inhalten als im 19. Jahrhundert. Aber das soll nicht Inhalt der Untersuchung werden! Mein Ausgangspunkt der Betrachtung setzt ein im Jahr 1956, das Jahr des XX. Parteitags der KPdSU und der berühmten Geheimrede Chruschtschows, den Beginn des sogenannten Tauwetters.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Motivationen und Hintergründe der Dissidentenkultur
- Die Anfänge des Protests oder die Herausbildung eines Potentials
- Der Sinjawski/Daniel - Prozess 1965 und seine Folgen
- Der Samisdat
- "Die Chronik der laufenden Ereignisse" und die Menschenrechtsbewegung
- Der Dissens in den 70er und 80er Jahren
- Das Entstehen der Helsinki - Gruppen
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Untersuchung befasst sich mit der Entstehung und Entwicklung des Dissens in der Sowjetunion im Zeitraum von 1956 bis 1985. Im Fokus steht die Frage, wie es zu diesem Protest gegen das System kam, welche Motivationen und Hintergründe die Dissidentenbewegung antrieben und welche Rolle sie im sowjetischen Gesellschaftssystem spielte.
- Die Ursachen und Hintergründe der Dissidentenkultur
- Die Rolle der sowjetischen Intelligenz im Protest
- Die Entwicklung des Dissens von seinen Anfängen bis zum Beginn der Glasnost und Perestrojka
- Die Bedeutung des Samisdat und der Menschenrechtsbewegung
- Die Reaktion der Staatsmacht auf den Dissens
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung führt in das Thema des Dissens in der Sowjetunion ein und skizziert die Herausforderungen, die sich aufgrund der begrenzten Informationsverfügbarkeit stellen. Sie erläutert die Motivation des Autors, diese Thematik zu untersuchen und beleuchtet die besonderen Umstände, die den Dissens in einem totalitären Staat prägten.
Motivationen und Hintergründe der Dissidentenkultur
Dieses Kapitel untersucht die politischen, sozialen und kulturellen Faktoren, die zur Entstehung der Dissidentenkultur in der Sowjetunion beitrugen. Es beleuchtet die wirtschaftliche Krise, die Traumatisierung der Bevölkerung durch den Stalinismus und den Zweiten Weltkrieg, die steigenden Ansprüche der Bevölkerung und die zunehmende Überausbildung der Gesellschaft.
Die Anfänge des Protests oder die Herausbildung eines Potentials
Dieses Kapitel widmet sich den Anfängen des Dissens und untersucht die Entstehung eines Protestpotentials in der Sowjetunion. Im Mittelpunkt steht der Sinjawski/Daniel-Prozess 1965, der als ein Wendepunkt in der Geschichte der Dissidentenbewegung angesehen wird.
Der Samisdat
Dieses Kapitel befasst sich mit dem Samisdat, einem wichtigen Medium des Dissens. Es beleuchtet die Rolle des Samisdat in der Verbreitung oppositioneller Ideen und die Herausforderungen, die mit der Produktion und Verbreitung von Untergrundliteratur verbunden waren.
Schlüsselwörter
Die zentralen Begriffe und Konzepte dieser Untersuchung umfassen den Dissens in der Sowjetunion, die sowjetische Intelligenz, den Samisdat, die Menschenrechtsbewegung, den Sinjawski/Daniel-Prozess, den Stalinismus, das Tauwetter, die Glasnost, die Perestrojka und das totalitäre System.
- Quote paper
- Olaf Kunde (Author), 2000, Das Dissidententum in der Sowjetunion nach der Stalin-Ära (1956-1985), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21570