Während Silvio Berlusconi Ende 2011 auf zunehmenden öffentlichen Druck seinen Rücktritt verkündete, stimmten Hunderte von Menschen vor dem Gebäude des Staatspräsidenten Napolitano ein Halleluja an. Sie bejubelten das Ende einer Ära, die durch einen politischen Führungsstil geprägt wurde, welche im Ausland bisweilen auf Kritik gestoßen war. Ob persönliche Fehltritte, peinliche Fettnäpfchen, politische Fehlentscheidungen oder undiplomatisches Verhalten - der Cavaliere sorgte immer für Schlagzeilen. Während Menschen im Ausland darüber nur noch ungläubig den Kopf schüttelten, hatte man fast den Eindruck, dass all dies Berlusconis Rückhalt im eigenen Land bis zuletzt nicht schmälern konnte.
Vielleicht liegt der Schlüssel zu seinem Erfolg in Berlusconis Sprachstil. Vermochte er Italien durch seine eloquente, mitreißende Reden täuschen und hinters Licht führen? Gerade im politischen Bereich kann Sprache eine besonders große Wirkung entfalten, geht es doch in der Politik darum, sein Gegenüber, bspw. den Wähler, von der Fähigkeit der eigenen Politik zu überzeugen.
Politische Sprache wurde bisher mehrheitlich in synchroner Perspektive untersucht, allerdings mangelt es bisher an diachronen Arbeiten. Meines Erachtens kann eine Analyse vor allem dann besonders signifikante Ergebnisse liefern, wenn sie innerhalb einer kontrastiven Arbeit geschieht. Ich entschied mich daher, Berlusconi einer anderen politischen Persönlichkeit der Vergangenheit gegenüberzustellen, wobei meine Wahl unschwer auf Mussolini fiel. Die Eloquenz und die charakteristischen Reden des faschistischen Duce sind in die Geschichte eingegangen. Berlusconis und Mussolinis Sprache auf pragmalinguistischer Ebene miteinander zu vergleichen, erscheint mir vor allem deshalb so interessant, weil sie beide zugleich eine unglaublich charismatische Wirkung auf ihre Zuhörerschaft erzielen konnten und als Redner sowie auch Politiker für lange Zeit Erfolg hatten.
Für den Zweck der vergleichenden Analyse habe ich aus diversen Reden beider Redner einen eigenen Korpus zusammengestellt, aus dem relevante Schlüsselwörter ermittelte.
An verschiedenen Stellen habe ich die Analyse durch politische oder geschichtliche Fakten ergänzt.
Ob und inwiefern ähneln sich Berlusconi und Mussolini in ihren Sprachmustern, welche sprachlichen Unterschiede lassen sich feststellen? Existiert vom Faschismus bis hinein in die heutige Zeit ein gewisses Kontinuum inbder politischen Sprache oder hat sie sich zwischenzeitlich verändert?
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Zur politischen Sprache
2.1 Begriffsbestimmung politischer Sprache
2.2 Vom „politichese“ zum „gentese“
2.3 Folgen der Mediatisierung
2.4 Kommunikationsmodelle
2.5 Kommunikationsnormen und Interessenskonflikte
3 Einbettung in den historischen Kontext
3.1 Der Faschismus – das totalitäre Regime unter Mussolini
3.2 Die „Zweite Republik“ – das Zeitalter Berlusconis
3.3 Zwei Meister der Selbstinszenierung
4 Korpus
5 Sprachanalyse
5.1 Lexikalisch-semantische Analyse
5.1.1 Programmatisches Ideale-Vokabular
5.1.2 Gegnerisches Vokabular
5.1.3 Militärisch-kriegerisches Vokabular
5.1.4 Emotives spirituelles Vokabular
5.1.5 Strategisches Vokabular
5.2 Vergleich der Analyse-Ergebnisse
6 Fazit
7 Anhang
8 Bibliografie
1 Einleitung
„C’è una sola scienza al mondo, suprema: la scienza delle parole. Chi conosce questa conosce tutto; perché tutto esiste solamente per mezzo del Verbo. Nulla è più utile delle parole. Con esse l’uomo compone tutto, abbassa tutto, distrugge tutto.”[1]
Er läutete die ‚Zweite Republik‘ ein und mit ihm endet sie nun voraussichtlich auch: Während Silvio Berlusconi, bis dato amtierender Regierungschef, am 12.11.2011 innerhalb der nunmehr vierten Legislaturperiode auf zunehmenden öffentlichen Druck hin seinen Rücktritt[2] verkündet hatte, stimmten Hunderte von Menschen vor dem Gebäude des Staatspräsidenten Napolitano ein Halleluja an. Sie bejubelten das Ende einer Ära, welche die zeitgenössische italienische Geschichte durch einen politischen Führungsstil prägte, der im Ausland bisweilen auf Kritik gestoßen war: Ob persönliche Fehltritte oder peinliche Fettnäpfchen, politische Fehlentscheidungen oder einfach nur undiplomatisches Verhalten, der Cavaliere sorgte immer für Schlagzeilen und Gesprächsstoff. Während Menschen im Ausland darüber nur noch den Kopf schüttelten konnten, hatte man fast den Eindruck, dass all dies Berlusconis Rückhalt im eigenen Land bis zuletzt nicht schmälern konnte. Doch wie kann es sein, dass ein Mann wie Berlusconi, der in solch hohem Maß im In- und Ausland, sowohl bei Fremden als auch bei den eigenen Landsleuten, auf Kritik und Missgunst stößt, trotzdem immer wieder gewählt wurde? Wie kann es sein, dass er mehrere Dutzend Vertrauensfragen überstand? Wie kann es sein, dass ein Politiker, der stets in Skandale, Affären und ominöse Strafverfahren verwickelt war, beinahe zwei Jahrzehnte lang der mächtigste und einflussreichste Mann in ganz Italien war?
Vielleicht liegt der Schlüssel zu seinem Erfolg in Berlusconis Sprachstil. Es mag sein, dass er Italien durch eloquente, mitreißende Reden hinters Licht führen und täuschen konnte. Der berühmte Poet Gabriele D’Annunzio, ein Freund Mussolinis, bringt es im obigen Eingangszitat treffend auf den Punkt: Wer die ‚Wissenschaft der Wörter‘ kennt, der kennt alles. Der Mensch kann mit ihr alles aufbauen, erniedrigen und auch zerstören.
Schenkt man diesem Ausspruch Glauben, so hat Sprache enormen Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Beherrscht man ihre Anwendung, kann man sie zu einem mächtigen Instrument ausbauen. Gerade im politischen Bereich kann Sprache eine besonders große Wirkung entfalten, geht es doch in der Politik schließlich darum, sein Gegenüber, beispielsweise den Wähler, von der Fähigkeit der eigenen Politik der Partei zu überzeugen. Ich gehe davon aus, dass Berlusconi sich zu Beginn seiner politischen Karriere der sprachlichen Wirkung bewusst war und gezielt davon Gebrauch machte.
Im Rahmen meines Romanistikstudiums mit besonderem Schwerpunkt auf der italienischen Sprach- und Literaturwissenschaft kam ich immer wieder mit dem ‚Phänomen Berlusconi‘ und dessen Politik in Berührung. Dass der ehemalige Regierungschef ein sehr interessantes ‚Objekt‘ für vielfältigste Studien bietet, zeigt sich am Umfang der Literatur. Durch diverse Aussagen und Verhaltensweisen sorgte er wohl so oft wie kaum ein anderer für Schlagzeilen, sowohl auf nationaler Ebene als auch internationaler Ebene. Mit der andauernden Medienberichterstattung stieg allmählich mein Interesse an der Politik Italiens, die unweigerlich mit ihm verbunden ist. Nachdem der öffentliche Druck auf Berlusconis Regierung immer weiter zunahm, insbesondere seit es um die wirtschaftliche Lage zunehmend schlechter stand, und bereits Gerüchte kursierten, dass er bald zurücktreten müsste – was er wenige Wochen später am 12. November 2011 auch tat – fasste ich den Entschluss, Berlusconis Sprache zu analysieren. Ich fragte mich, ob es an seinen sprachlichen Fertigkeiten lag, dass er solange erfolgreich sein konnte. Während seiner politischen Karriere beherrschte er, mit kurzen Unterbrechungen, fast 17 Jahre lang das öffentliche Geschehen Italiens[3]. Die Vielzahl an Fachliteratur und Medienberichten zeugen davon, diese bieten ausreichend Material für Analysen jeder Art.
Politische Sprache wurde bisher mehrheitlich in synchroner Perspektive untersucht, allerdings mangelte es an Arbeiten, die über diachronische Entwicklungen Aufschluss gaben.[4] Meines Erachtens kann eine Analyse vor allem dann besonders signifikante Ergebnisse liefern, wenn sie innerhalb einer kontrastiven Arbeit geschieht. Im direkten Vergleich zueinander können so typologische Charakteristika einer Periode oder eines Politikers evident werden. Ich entschied mich daher, Berlusconi einer anderen politischen Persönlichkeit der Vergangenheit gegenüberzustellen, wobei meine Wahl unschwer auf Mussolini fiel. Die Eloquenz und die charakteristischen Reden des faschistischen Duce sind in die Geschichte eingegangen und werden noch heute mit ihm in Verbindung gebracht. Berlusconis und Mussolinis Sprache auf pragmalinguistischer Ebene miteinander zu vergleichen, erscheint mir vor allem deshalb so interessant, weil sie beide zugleich eine unglaublich charismatische Wirkung auf ihre Zuhörerschaft erzielen konnten und als Redner sowie auch Politiker für lange Zeit Erfolg hatten.
Für den Zweck der vergleichenden Analyse habe ich aus diversen Reden beider Redner einen eigenen Korpus zusammengestellt, aus dem ich mittels des Text-Retrieval-Programms „dt-Search“[5] die Anzahl relevanter Schlüsselwörter (quantitative Analyse) ermittelte. Anhand ihrer Kookkurrenzen ließen sich ihre Konnotationen (semantische Analyse) und gleichzeitig strategische Absichten hinter bestimmten Formulierungen ausmachen. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei auch den rhetorischen Mitteln und sonstigen sprachlichen Auffälligkeiten.
An verschiedenen Stellen habe ich die Analyse durch politische oder geschichtliche Fakten ergänzt, denn „im Zuge der Entwicklung der Pragmalinguistik wird bei der Interpretation eines Textes nicht nur der sprachliche […], sondern auch der außersprachliche [Kontext berücksichtigt].“[6] Gerade für eine politolinguistische Analyse ist es, wie der Name schon sagt, unabdingbar, die Inhalte von Reden in ihren jeweiligen politischen Kontext einzubetten, um mehr Aufschluss über Bedeutungen sowie Intentionen von Aussagen zu erhalten.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, sprachliche Charakteristika[7] der beiden zu vergleichenden Politiker auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu untersuchen. Die Fragestellung, die meiner Untersuchung zugrunde liegt, ist, ob und inwiefern sich Berlusconi und Mussolini in ihren Sprachmustern ähneln, beziehungsweise welche sprachlichen Unterschiede sich feststellen lassen. Existiert vom Faschismus bis hinein in die heutige Zeit ein gewisses Kontinuum der politischen Sprache oder hat sie sich zwischenzeitlich verändert? Ferner möchte ich auch untersuchen, in welchem Ausmaß beide Politiker ihre Intentionen durch mehr oder weniger ähnliche rhetorische Mittel und kommunikative Strategien durchzusetzen versuchten.
2 Zur politischen Sprache
„Il lessico politico è cangiante ma effimero, appiattito sul presente […]. “[8]
„Schillernd“ und „kurzlebig“, ein Gebilde, das sich an der Gegenwartssprache orientiert: So beschrieb GUALDO den politischen Wortschatz. Das folgende Kapitel soll einen Einblick in die politische Sprache ermöglichen, indem es zu Beginn den Begriff „politische Sprache“ und dessen Bedeutung klärt und im Anschluss periodische Phänomene und Tendenzen politischer Sprache in Italien beschreibt. Dabei soll auch ein Unterkapitel dem nicht zu vernachlässigenden medialen Wandel Rechnung tragen. Danach folgten schließlich jeweils eine Vorstellung der relevanten Kommunikationsmodelle sowie ein Punkt, der die Normen von Kommunikation sowie den damit verbundenen Interessenkonflikt beleuchten soll.
2.1 Begriffsbestimmung politischer Sprache
Erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre rückte die Beziehung von Sprache und Politik zunehmend in den Fokus der linguistischen Untersuchungen. Im politischen Diskurs vermischen sich verschiedene linguistische Bereiche mit semiotischen Prozeduren. Die heterogene Kommunikationspraxis legt ein besonderes Augenmerk auf phonetische und intonationale Charakteristika, morpho-syntaktische sowie semantische Formeln, rhetorisch-argumentative Register und pragmatische Kräfte. Das Zusammenspiel all dieser Faktoren macht die Besonderheit des politischen Diskurses aus, in dem der Redner seinen Platz als semiotisches Subjekt ein nimmt.[9] Die Wissenschaft, die sich mit der Untersuchung politischer Sprache beschäftigt, entwickelte sich allmählich zu einer Teildisziplin „im Grenzgebiet zwischen Linguistik und Politologie“[10]. Armin BURKHARDT ordnete sie weniger dem 'theoretischen' als dem 'angewandten' und innerhalb des 'angewandten' dem 'kritischen' Teilbereich“ zu.[11] Als Bezeichnung für den Forschungsgegenstand der Politolinguistik wurden viele verschiedene Vorschläge genannt, darunter ‚Sprache und Politik‘, ‚Sprache der Politik‘, ‚Sprache in der Politik‘ und ‚politische Sprache‘. Die Mehrheit der Politolinguisten hat sich schließlich für Letzteres entschieden – seitdem ist von „politischer Sprache“ die Rede, wenn man politolinguistische Untersuchungen durchführt.[12] Politische Sprache lässt sich in verschiedene Bereiche unterteilen, wie durch den folgenden Baumgraphen[13] verdeutlicht werden soll:
Abb.1: Politische Sprache
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die politische Sprache sowie ihr Wortschatz tangieren zwei verschiedene Bereiche. Einerseits betreffen sie all jene Gesamtgrößen wie Wirtschaft, Verwaltung und Kultur, die sich mit der Politik beschäftigen. Andererseits werden besonders im Journalismus häufig politische Ausdrucksweisen verwendet, die auch auf andere Themen übertragen werden können. Demnach ist eine Differenzierung zwischen Sprache der Politiker und Sprache über Politik (Presse/Rundfunk)[14] von großer Bedeutung.[15] Maurizio DARDANO nahm folgende Unterscheidung vor:
„Quando si parla di linguaggio politico, ci si riferisce comunemente a due entità diverse: da una parte s’intende il vocabolario che riguarda la politica, dall’altra il vocabolario effettivamente usato dai politici nel corso della loro attività.”[16]
Das Gros der Untersuchungen aus dem 20. Jahrhundert hat sich auf das Vokabular und die Sprechweisen von Amtsträgern in Parteien oder staatlichen Institutionen konzentriert, die meist innerhalb dieser Einrichtungen (beispielsweise in Kommissionen, Ausschüssen, Parlamenten und Stadträten) oder aber auch öffentlich über Politik sprachen. Daher wurde meist die ‚Sprache von Politikern‘ gemeint. Ferner rechnete man auch das politische Schreiben und Sprechen in den Medien zum Gegenstand der Untersuchungen hinzu, die Mediensprache über Politik sozusagen.[17] Doch stellt BURKHARDT fest, dass „das alltägliche Sprechen der ‚einfachen‘ Bürger über Politik […] dagegen noch immer der genaueren Untersuchung [ausharrt].“[18]
Walter DIECKMANN schlug für die ‚Sprache über Politik‘ folgende Einteilung vor:
„Die Ideologiesprache besteht aus den Bezeichnungen für die politische Doktrin und die Miranda; die Institutionssprache aus den Bezeichnungen für die einzelnen Institutionen und Organisationen eines Gemeinwesens, ihre interne Gliederung, die Aufgaben, die sie erfüllen und die Prozesse, in denen sie funktionieren; die Fachsprache des verwalteten Sachgebietes aus den politikeigenen Sprachformen, die sich mit der staatlichen Verwaltung der verschiedenen Sachgebiete ergeben.“[19]
So ergeben sich folglich die drei Kategorien:
- die Ideologiesprache: Lexeme der politischen Lehre bzw. Doktrin,
- die Institutionssprache: alle Lexeme, die Organisationen und Institutionen eines Staates betreffend und
- die Fachsprache des verwalteten Sachgebietes: bezieht sich auf die staatliche Verwaltung der zur Politik gehörigen Gebiete wie Kultur- und Wirtschaftspolitik.[20]
Diesen Ansatz entwickelte Josef KLEIN weiter, der zum politischen Wortschatz das „ allgemeine Interaktionsvokabular“ als Bestandteil hinzufügte.[21]
Als allgemeines Interaktionsvokabular werden allgemeinsprachliche Bezeichnungen für menschliche Interaktion sowie ihre verschiedenen Aspekte bezeichnet. Sie enthalten weder fachsprachliche noch ideologiesprachliche Merkmale, sondern stellen Ausdrücke zur Bezeichnung politischer Handlungen und Handlungsaspekte dar. Hierzu gehört ein umfassender Wortschatz, der sprachliche Handlungen beschreibt, z.B.: fordern, verdächtigen, versprechen, erklären, appellieren, begrüßen, vorschlagen, informieren, ankündigen, kritisieren, fragen, drohen, etc. Bezeichnungen sprachlicher Interaktionen sind dagegen erörtern, debattieren, streiten, sich einigen, verhandeln, diskutieren, etc.[22]
Zum Ideologievokabular gehören dagegen Wörter, die politische Gruppen sowie deren Prinzipien, Grundsätze, Werteordnungen und Weltanschauungen umfassen:
- Lexeme der sozialen Beziehungen und Formationen: Gemeinschaft, Nation, Familie, Staat, etc.
- Lexeme der Organisation des politischen Lebens: Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus, Parteien, Opposition, Pressefreiheit, Koalitionsfreiheit, freie Wahlen, parlamentarische Demokratie, Gewaltenteilung, etc.[23]
- Lexeme der Werte und Handlungsorientierung: Menschenrechte, Freiheit, Gerechtigkeit, Würde des Menschen, Solidarität, Frieden, Reform, Ordnung, Recht, etc.[24]
Die unterschiedliche Auswahl aus diesem Vokabular ist auf die verschiedenen Ideologien zurückzuführen. Je nach Orientierung kann ein bestimmtes Lexem als ‚hochrangiger Wertbegriff‘ (auch ‚Hochwertwort‘) gehandelt werden, so zum Beispiel Klassenbewusstsein im Marxismus. Viele angeführte Wertbegriffe können aber in verschiedenen Ideologien auftauchen, denn gleichlautende Lexeme können in ihrer Bedeutung unterschiedlich ausgelegt werden. Dies nennt man ideologische Polysemie. Ein Begriff kann innerhalb eines ideologischen Wertesystems unterschiedliche Ränge einnehmen, bzw. an verschiedenen Positionen in der Werthierarchie stehen. Solche polysemen Lexeme haben keinen universalen Geltungsanspruch, sondern konkretisieren vielmehr einen bestimmten Referenzbereich.[25] Dieser kann ganz unterschiedlich sein:
„Bei wirtschaftsliberaler Orientierung wird z.B. Freiheit außer auf den staatsbürgerlichen Bereich primär auf ökonomisches Handeln bezogen und vor allem in der Gewerbefreiheit, in der Freiheit von staatlicher Produktions- und Markt-Reglementierung sowie in der unternehmensinternen Entscheidungsfreiheit des Unternehmers (unternehmerische Freiheit) konkretisiert. Bei sozialdemokratischer Orientierung referiert Freiheit neben dem Bezug auf den staatsbürgerlichen Bereich dagegen primär auf die Entfaltungsmöglichkeit breiter Bevölkerungsschichten in einer Vielzahl von Lebensbezügen. Freiheit wird dann – entsprechend der oben genannten Abhängigkeit vom Begriff der sozialen Gerechtigkeit – konkretisiert.“[26]
Ideologiesprache ist aber keineswegs mit Meinungssprache gleichzusetzen, denn sie stellt nur eine Teilmenge der politischen Meinungssprache dar.
2.2 Vom „politichese“ zum „gentese“
“Politica – Scienza del governo, che in sostanza è semplice come la religione del cuore e che i politici della bottega hanno fatto misteriosa come la teologia.”[27]
In Italien trat zwischen den 50er und 90er Jahren, welche durch die Vormachtstellung der Democrazia Cristiana geprägt waren, eine besonders ausgeprägte Form der politischen Sprache in Erscheinung, die man als „politichese“ bezeichnet. Dieser Sprachstil, im Deutschen ‚Politjargon‘ genannt, zeichnete sich durch die Verwendung des Nominalstils und einer äußerst komplexen syntaktischen Struktur mit vielen Hypotaxen aus, sodass der eigentliche Inhalt verhüllt wurde.[28] Dadurch erschien die politische Sprache für die allgemeine Bevölkerung äußerst undurchschaubar und unverständlich: „l’impressione di oscurità e di voluta incomprensibilità del lessico politico per la gente comune.“[29] Sie deckte sich zum Großteil mit der Amtssprache, der Sprache der Bürokratie und Macht, welche schon seit eh und je der Abstrusität bezichtigt wurde – ob bewusst oder unbewusst.[30] Riccardo GUALDO geht sogar soweit, das politichese als eine Art von Krankheit („malattia del linguaggio politico“) der politischen Sprache zu bezeichnen und von einer linguistischen Unterernährung („denutrizione linguistica“) zu sprechen.[31] Eine ganze Reihe von Untersuchungen setzte sich mit diesem Phänomen auseinander. Ornella CASTELLANI POLIDORI veröffentlichte beispielsweise eine Monographie mit dem Titel „Lingua di plastica“, in der sie sich ausgiebig den „plastismi“[32] widmete, eine von ihre gewählte Bezeichnung für vage, ‚plastische‘ Ausdrücke. Politische Sprache stellt für sie den Inbegriff solch einer plastischen Sprache dar:
„Uno dei linguaggi speciali che conservano più pervicacemente le locuzioni della lingua di plastica è quello della politica (di cui lo strumento televisivo è un formidabile propagatore). Non c'è resoconto parlamentare, non c'è intervista a personalità di governo o di partito che non ci elargisca un'iperdose di stereotipi: dai nodi da sciogliere ai salti di qualità, dalle uscite dal tunnel ai momenti di aggregazione, dalla presa di coscienza al dibattito ampio e articolato.“[33]
Nicht umsonst haben sich die Jahre der extremen Politisierung im Nachhinein als eine ‚wahre Fundgrube von Plastismen‘ erwiesen. Die plastischen Ausdrücke verschonten keine grammatikalische Kategorie, sondern kamen in Substantiven, Adjektiven, Adverbien, Verben, Interjektionen, Suffixen, Metaphern und Redewendungen vor.[34] Weitere Beispiele solcher Ausdrücke sind „convergenze parallele“ (Aldo Moro), „compromessi storici“, „accordi programmati“ oder „parlare franco”.[35]
Auch Umberto ECO nannte unter diesem Aspekt “obbiettivi non integrabili”, “equilibri avanzati”, “nuova maggioranza” oder “manodopera disponibile”.[36] Die ‚degenerierte Rhetorik‘ tarnt und verdeckt unter dem Einsatz von genau solch leeren, pathetischen Plastismen sowie rhetorischen Mitteln eine substantiell inhaltslose Argumentation.[37] Rhetorische Figuren (wie Metapher, Metonymie, Oxymoron, Tautologien, Euphemismen, etc.) können, effektvoll und an der richtigen Stelle eingesetzt, viele Konnotationen transportieren und damit die Aufmerksamkeit erhöhen. Doch gerade der übertriebene Einsatz von rhetorischen Stilmitteln, das Sich-Verstricken in Versprechungen sowie der Gebrauch von abschweifenden Argumenten führt zu einer ‚verbalen Überwältigung’ des Zuhörers im negativen Sinne.[38] Als ein weiteres Kennzeichen einer degenerierten Rhetorik zählt ECO auf, dass Politiker weitverbreitete Meinungen („luoghi della quantità“) benutzen, ohne dem Gegenüber die Möglichkeit und Zeit zu lassen, das Gesagte zu reflektieren.[39] Die Politiker machten es sich zunutze, dass der Durchschnittsbürger die wahre Bedeutung ihrer Botschaften nicht begreifen konnte. So schrieb ECO zusammenfassend, dass es für den Gebrauch solch obskurer und vager Sprache zwei Möglichkeiten gibt:
1) Entweder weiß derjenige, der spricht, was er sagen will, möchte es aber nur Wenige wissen lassen. Oder:
2) Derjenige, der spricht, weiß nicht, was er sagen will und tarnt die eigene Verwirrung unter einer Häufung rhetorischer Mittel.[40]
Mit dem jähen Ende der Ersten Republik aufgrund der Untersuchungen mani pulite der italienischen Staatsanwaltschaft gegen korrupte Regierungsmitglieder sowohl der Christdemokraten als auch der Sozialisten, insbesondere Bettino Craxi, vollzog sich in der politischen Landschaft ein Wandel. Dieser hatte aber auch in sprachlicher Hinsicht Veränderungen zur Folge.
Nach dem Skandal von tangentopoli hatte die Glaubwürdigkeit der Politiker schwere Verluste erlitten. Das Verhältnis der italienischen Bürger zur Politik war von Misstrauen und Politikverdrossenheit geprägt.[41] Als dann eine neue Generation von Politikern die politische Bühne betrat, allen voran Silvio Berlusconi, Umberto Bossi und später Romano Prodi, betrieben diese Politik in Form von ‚Anti-Politik‘. Um sich dem Anschein nach auch wirklich von ihren korrupten Vorgängern abzuheben, mussten sie jedoch auch die politische Sprache revolutionieren,[42] so hat sie sich vom ‚politichese‘ hin zum ‚gentese‘ entwickelt.[43] Die Bezeichnung ‚gentese‘ ist aufgrund der wiederholten Thematisierung der ‚gente‘ entstanden, denn der neuen politischen ‚Kaste‘ war es wichtig, den Leuten von nun an das Gefühl zu vermitteln, sich in klarer, leicht verständlicher Sprache direkt an sie zu wenden. So war „ggente“ mit der phonosyntaktischen Verdopplung des -g- immer wieder in den Aussagen des Ministerpräsidenten zu finden, wie in dem Beispiel „Mi ha mandato qui la gente, e di quel che pensa la gente io tengo conto“[44], welches dem Sprachstil der ‚einfachen Leute‘ entspricht. Durch dadurch kam es auf der semantisch-grammatikalischen Ebene zur Tendenz einer starken Vereinfachung der Sprache:[45]
„Le frasi brevi e lineari sono improntate all’assenza dei circonlocuzioni involute, complicate che provocherebbero disorientamento interpretativo e produrrebbero il risultato di veicolare messaggi privi di quell’effetto di naturalezza e spontaneità che tanta parte ha avuto nella creazione della novità politica del fenomeno Berlusconi negli anni Novanta. Un deliberato parlar semplice di tutti i giorni, disseminato anche di cliches e locuzioni popolareggianti.”[46]
ANTONELLI bemerkte zudem einen Wechsel vom Paradigma der ‚Überlegenheit‘ („superiorità“) der politischen Sprache hin zum Paradigma der ‚Widerspiegelung‘ („rispecchiamento“). Letzteres bedeutet, dass nun auf Anhieb verständliche, ausdrucksstarke Formen und ein informelles Register benutzt wurden, die es den Zuhörern ermöglichten, das Gesagte zu reflektieren und damit zu einem wachsenden Konsens beitrugen. Er weist aber darauf hin, dass sich die sogenannte ‚Degeneration der Rhetorik‘ nach ECO im ‚gentese‘ verlagerte. Anstatt der rätselhaften, undurchschaubaren Oxymora gab es neue Täuschungsmittel: Der Gebrauch weit verbreiteter Meinungen (‚ endoxa‘) wie der Grundwerte, die Berlusconi bei jeder Gelegenheit propagierte, sowie das polemische Mittel des „argumentum ad personam“.[47] Gerade durch die Fokussierung auf eine einzelne Führungsperson, der sogenannte ‚leaderismo‘, und die Einführung von Medienspektakeln im Fernsehen entwickelte sich nach GUALDO eine Form der Vulgarisierung, die darin bestand den politischen Gegner verbal zu beleidigen.[48] Gerade hierbei spielten die Medien, die seit den 80er Jahren einen technischen Aufschwung erlebten, eine besonders wichtige Rolle. Das redundante Wiederholen des ‚Neuen‘ ist für die neue Ära der Politik ein „Aushängeschild“, dessen sich Berlusconi seit seinen politischen Anfängen bediente:
“Il nuovo diventa un termine chiave per indicare un punto di vista del passato, ma anche una speranza per il futuro, l’augurio che la vecchia classe dirigente venga punita laddove è stata colpevole e che ne nasca una ‘nuova’ in un Paese pulito, ragionevole, moderno.[49]
Im Analyseteil folgt zum Phänomen des ‚Neuen‘ eine eingehende Betrachtung. Unter dem Aspekt des Wandels hatte man in der Forschung gewisse Ähnlichkeiten zur faschistischen Sprache feststellen können:
„The common traits between the language of Fascism and that of FI [Forza Italia] can be seen as linked to the fact that Berlusconi, as was the case for the early Mussolini, uses a language aimed at mobilizing people. […] they [both] want to characterize the political movements they head as representing a complete break with the past.”[50]
Hier wurde es von Croci auf die Mobilisierung der Massen zurückgeführt.
2.3 Folgen der Mediatisierung
„La maggior chiarezza della lingua politica recente è un segno di maturazione della società? O non è piuttosto condizionata dai nuovi canali di trasmissione del messaggio politico, prima tra tutti la televisione? Il politichese è veramente tramontato?“[51]
Der soeben beschriebene Wandel der politischen Sprache lässt sich nicht erklären, ohne dabei die technischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Neben der bereits genannten Einführung einer ‚Antipolitik‘ trugen auch die neuen Bedingungen der Kommunikation stark zur Mediatisierung der Politik bei. Diese Neuerung, aus politischen Auseinandersetzungen ein Medienspektakel zu machen, vereinfachte die politische Sprache laut GUALDO sehr stark.[52]
Mit dem Fernsehen wurden die Kommunikationsformen der Politik vervielfacht: Vom Interview und der Debatte über die bekannte Rubrik tribuna politica der RAI bis hin zur Kundgebung gab es ungeahnte Möglichkeiten, welche die Ansprachen auf öffentlichen Plätzen zunehmend ablösten.[53] Folglich muss sich der Politiker heutzutage auf ein viel größeres Publikum einstellen, denn durch die Entwicklung der Massenmedien hat sich auch die Kommunikation verändert.
Massenkommunikation definierte Gerhard MALETZKE mittels der fünf Paradigmen „öffentlich, einseitig[54], indirekt, durch technische Verbreitungsmedien an ein disperses Publikum gerichtet.“[55] Bei dieser Art von Publikum handelt es sich um eine heterogene Masse von Individuen, die sich – anonym und in räumlicher Trennung voneinander – den Inhalten der Massenmedien zuwenden. Sie stellen somit kein „überdauerndes soziales Gebilde“ dar. Der Politiker von damals wandte sich dagegen mit seiner Rede in einer sogenannten ‚ face-to-face -Kommunikation‘ zumeist an Sympathisanten und Anhänger. Seine ursprüngliche Motivation war es, die Bindung zur Wählerschaft, die solch ein soziales Gebilde darstellte, zu bestärken.[56]
Auch Josef KLEIN schreibt, dass das Medium Fernseher gleich einen zweifachen „Eindruck von Intimität“ vermittle, da der Zuschauer dieses in den ‚eigenen vier Wänden‘ erlebt und nicht in öffentlichen Räumlichkeiten wie im Theater, Kino oder in Sälen. Politsendungen wie Talkshows, Interviews und Diskussionsrunden mit politischen Gästen fänden meist im Rahmen intimer Studio-Atmosphäre statt, während Politikerauftritte (darunter solche auf großen öffentlichen Plätzen und in Plenarsälen) vor allem zur Primetime[57] nur als Sekundenausschnitt gezeigt würden.[58] Das habe natürlich auch Auswirkungen auf die Sprache: „Die Pseudo-Intimität des Fernsehens vor Millionenpublikum fordert andere rhetorische Qualitäten als die große Debattenrede, als der pathetische Auftritt vor mehreren Tausend Teilnehmern einer Wahlkampfkundgebung […].“[59] Wenn Politiker die Effekte der Emotionalität beherrschen und bewusst einsetzen, sind sie dennoch anderen Medienberufen gegenüber benachteiligt, weil:
„ […] Politik letztlich doch die Domäne der unsympathischen „harten Themen“ ist und weil die oben geschilderte Grundkonstellation der politischen Kommunikation es auch bei hoher gesprächsrhetorischer Professionalität außerordentlich schwer macht, durchgängig den sympathieträchtigen Eindruck spontanen Gerade-heraus-Redens ohne ‚Hintertüren‘ zu erwecken.“[60]
Eine Fernseh-Botschaft muss heutzutage besondere kommunikative Ansprüche erfüllen, um das, nach MALETZKE definierte, disperse Publikum zu erreichen. Umberto ECO konstatierte bereits 1973, dass sich die Politiker gezwungen sahen, ihre Inhalte unter den neuen Bedingungen des Fernsehens allgemeiner auszudrücken. Dies hatte zur Folge, dass sich ihre Sprache zusehends einander anglich:
„[Gli argomenti dei politici; Anm. d. Verfasserin], nel momento in cui si sviluppavano per l’udienza televisiva apparivano […] molto più omogenei. Sapendo di parlare a pubblici molto differenziati, ciascun oratore era naturalmente portato a smussare le punte, a individuare argomentazioni accettabili da tutti, a usare possibilmente termini di coscienza comuni. Ne derivava che ciascuno si avvicinava a una sorta di argomentazione media in cui, pur permanendo le differenze, emergevano però sensibilmente le uniformità.”[61]
Diese sprachliche Annäherung brachte wiederum ein uniformes Vokabular mit sich. Solch eine Gleichschaltung der politischen Sprache durch die politische Fernsehbotschaft nannte ECO „argomentazione media“.[62] Auch schon GUALDO stellte fest: „Il linguaggio politico – o meglio il linguaggio dei politici – ha pochi termini propri, e si caratterizza semmai per l’uso particolare […] di parole del lessico comune.“[63] Dies ist eine Anspielung darauf, dass sich der Wortschatz der Politiker hauptsächlich aus dem der Allgemeinsprache, des Alltagwortschatzes schöpfte.
Folglich vollzogen sich mit der Mediatisierung gewissermaßen zwei Transformationen gleichzeitig: Sowohl der Kanal der Kommunikation als auch die Zielgruppe änderten sich.
Nach DELL’ANNA und LALA hat die Sprache der politischen Fernsehbotschaften insbesondere mit der Werbung Eines gemein: Beide wollen beim Rezipienten durch Beeinflussung einen Einstellungswechsel herbeiführen. Während die Werbung jedoch unbestreitbar als überzeugender Diskurstyp („discorso persuasivo“) bezeichnet werden kann, tritt die Überredung bei der politischen Botschaft im Fernsehen nicht ganz so offensichtlich in Erscheinung, da sie um eine gewisse Neutralität bemüht ist. ECO bezeichnete sie deshalb als „discorso suasivo“.[64] Hinter der ‘Schein-Neutralität’ verstecken sich jedoch wahre Überzeugungstalente: „I giochi di sguardi, i sorrisi e le strategie vocali adottate dai politici in televisione nascondono infatti la propria finalità persuasiva dietro una neutralità solo apparente.”[65]
Andere Kommunikationskanäle wie das Radio oder die Presse können solch eine versteckte Überzeugungsarbeit aber nur in abgeschwächter Form erzielen. Das Radio als Audio-Medium erfordert vom Zuhörer hohe Konzentration (wenn man nicht gerade ein auditiver-Beobachter-Typ ist), wohingegen das Fernsehen als visuelles Medium für jedermann leicht zugänglich ist.
Die Zeitung stellt insofern einen Sonderfall dar, als dass ihre Leser die Inhalte der Botschaften aus eigenem Interesse auswählen und rezipieren. Diese Art von Rezipienten bzw. ‚Empfänger‘ setzen DELL’ANNA und LALA deshalb mit dem Publikum der (früheren) öffentlich zugänglichen Kundgebungen gleich. Allerdings muss man hier wiederum beachten, dass die von Journalisten schriftlich zitierten Aussagen der Politiker nicht immer hundertprozentig mit der oralen Original-Version übereinstimmen, da dies nur im Radio und Fernsehen gegeben ist. Politische Aussagen können, indem sie bruchteilhaft in Fragmenten wiedergegeben, umformuliert und in neue Zusammenhänge gestellt werden, eine neue Interpretation erfahren.[66] Zudem werden prosodische Elemente des Gesprochenen (Sprechtempo, Intonation, Pausen, Zögern) sowie außersprachliche Charakteristika während der Rede (Mimik und Gestik) in der transkribierten, schriftlichen Form weitgehend vernachlässigt. Deshalb lässt sich schlussfolgern, dass das Fernsehen als audiovisuelles Medium die authentischste Version des Gesprochenen wiedergeben kann. Indem es eine Art „Face-to-Face“ -Situation herstellt, ermöglicht es ein zeitnahes Übertragen und Empfangen der Botschaft – unabhängig von Ort und Zeit.[67]
Um aber auf das Eingangszitat am Kapitelanfang zurückzukommen: GUALDO kam zu dem Schluss, dass das „politichese“ nicht vollkommen verschwunden sei, sondern durch die neuen medialen Bedingungen lediglich an den Rand gedrängt wurde. Vielmehr hat er den Eindruck, dass es eine Tendenz zur „Sinnentleerung“ der wichtigen Wörter der Politik gebe.[68] Daher lässt sich nicht pauschal sagen, dass das “politichese” komplett ausgelöscht wurde, nur weil sich ein medialer Wandel vollzogen hat – vielleicht tritt es lediglich in einer anderen Form auf.
2.4 Kommunikationsmodelle
Politik wäre ohne Kommunikation überhaupt nicht möglich. Die Hauptfunktion von Sprache liegt in der menschlichen Kommunikation, ohne die eine soziale Organisation innerhalb der Gesellschaft undenkbar ist. Sprache ist somit Grundlage der sozialen Organisation, denn so ist zum Beispiel schon allein der Akt der Namensgebung etwas Sprachliches und zeugt von der großen Bedeutung der Sprache für das Individuum als soziales Wesen. Es gibt verschiedene theoretische Modelle, deren Ziel es ist, den Kommunikationsprozess darzustellen, um ihn dank dieser zu veranschaulichen und deuten zu können. Die drei Elemente ‚Kommunikator‘ (Kodierer der Botschaft), ‚Zeichen/Botschaft‘ und ‚Rezipient‘ des Zeichens (Dekodierer der Botschaft) sind Voraussetzung für jegliche Kommunikation und bilden die „triadische Grundkonstellation“[69]. Je nach Modell variiert die Bezeichnung dieser drei genannten Elemente.[70]
Im Folgenden werden drei Kommunikationsansätze vorgestellt, welche auch für die politische Sprache relevant sind. Sie sollen zu einem besseren Verständnis des Kommunikationsprozesses an sich beitragen und somit die Lektüre des Analyseteils erleichtern.
a) Lasswell-Formel:
Der amerikanische Politikwissenschaftler Harold D. LASSWELL entwickelte 1971 einen systemtheoretischen Ansatz, der wesentlich zur Analyse von Massenkommunikation beitrug. Dieser beinhaltet neben den drei Grundkomponenten von Kommunikation die Elemente ‚Medium‘ und ‚Wirkung‘.
Seine Formel “Who says || what || in which channel || to whom || with what effect”[71] gliedert die verschiedenen Forschungsbereiche der Kommunikationswissenschaft:[72]
Wer sagt (Sender): Kommunikatorforschung
was (Inhalt): Inhalts- bzw. Aussagenanalyse
in welchem Kanal (Medium): Medienforschung
zu wem (Empfänger): Publikums- bzw. Rezipientenforschung
mit welchem Effekt (Wirkung:) Wirkungsforschung.
Mit ihr können Kommunikationsprozesse auch noch heute möglichst allgemeingültig beschrieben werden. Die vielfach zitierte Formel beeinflusste viele weitere Überlegungen.[73] Trotz der Kritik an der Linearität bzw. Einseitigkeit des Modells und der "verzerrten Sichtweise" von Abläufen der Massenkommunikation,[74] ist sie übersichtlich und veranschaulicht auch im Fall meiner Arbeit den Kommunikationsprozess.
Die einzelnen Komponenten der Massenkommunikation nach der ‚Lasswell-Formel‘ lassen sich problemlos auch auf die politische Kommunikation zwischen Politiker – Wähler übertragen.
Tab. 1: Politische Kommunikation nach der Lasswell-Formel[75]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Formuliert man diese Gedankenkette aus, so sieht der Kommunikationsprozess folgendermaßen aus: Ein POLITIKER richtet eine POLITISCHE BOTSCHAFT mittels eines MEDIUMS oder einer PLATTFORM an ein PUBLIKUM, mit dem Effekt der PERSUASION oder des APPELLS.
b) Das Organon-Modell nach Karl Bühler:
Der Linguist Karl BÜHLER entwarf zugleich ein Zeichen- und Kommunikationsmodell, in dem er das „konkrete Sprechereignis samt den Lebensumständen“[76] darzustellen suchte. Es ist ein dynamisches Modell, da es den Kommunikationsprozess selbst beinhaltet. Hierfür ging er zuerst von dem Modell PLATONs aus, der Sprache als ein ‚organum' (Werkzeug) definierte, mithilfe dessen „einer – dem andern – über die Dinge“[77]etwas mitteilt. Diese Elemente benennen nach BÜHLER drei Relationsfundamente.
Ausgehend von einem ersten stark vereinfachten ‚Dreifundamentenschema‘ entwickelte der Vertreter der Prager Schule das Organon-Modell, mit den drei Komponenten Sender, Empfänger, Gegenstände & Sachverhalte. Sie bilden eine Art „triadische Grundkonstellation“[78]. In ihrem Zentrum befinden sich das (sprachliche) Zeichen in Form eines Dreiecks und das konkrete Schallphänomen in Form eines Kreises. Am Schallphänomen sind drei „variable Momente“[79] auszumachen, die es auf unterschiedliche Weise zum Zeichen erheben können. Das Zeichen steht in Beziehung zu den drei Kommunikations-Elementen (Sender, Empfänger, Gegenstände & Sachverhalte und erfüllt somit drei Sprachfunktionen:
Ausdruck, Darstellung, Appell. [80]
Abb.2: Organon-Modell[81]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Linienscharen stellen die semantischen Funk-tionen des komplexen Sprachzeichens dar. Wenn sich das sprachliche Zeichen in seiner Aus-drucksform auf den Sender bezieht, erscheint es als Symptom. In seiner Darstellungsfunktion be-zieht es sich auf einen Sachverhalt und tritt als Symbol in Erscheinung. Und in seiner Funktion des Appells erscheint das sprachliche Zeichen, bezogen auf den Empfänger, als Signal. Je nach seiner kommunikativen Sprachfunktion kann es also auf verschiedene Weise in Erscheinung treten.
Doch stellt Bühler in seinem Modell nicht nur das Konkrete dar, sondern berücksichtigt auch redundante, vernachlässigbare Sachverhalte, die als überflüssig befunden wurden. Einerseits umfasst das Dreieck weniger als der Kreis, was dem Prinzip der „abstraktiven Relevanz“[82] entspricht: Das können zum Beispiel störende Hintergrundgeräusche sein, die der Empfänger in der Kommunikation ausblendet. Eine andere Besonderheit ist die „apperzeptiven Ergänzung“, dargestellt durch die über den Kreis hinausragenden Ecken des Dreiecks: Der Empfänger muss sich im Kommunikationsakt Informationen hinzudenken und ergänzen, so zum Beispiel, wenn während eines Telefonats Störungen auftreten und man nicht jedes einzelne Wort versteht und trotzdem den Inhalt erfasst.[83]
Auf die Politik übertragen stelle man sich vor: Ein Politiker drückt sich in einer rätselhaften Sprache aus. Obwohl er nicht die ganze Wahrheit laut ausspricht, kann man sich diese aber mit genug kritischem Verstand dazu denken, sprich erahnen beziehungsweise ergänzen – obwohl diese nicht konkret realisiert wurden (entspricht der „apperzeptiven Ergänzung“). In einem anderen Fall könnte ein Politiker eine lange Rede voller Themenabschweife und ohne roten Faden halten. In diesem Fall muss der relevante Anteil des Inhalts vom Empfänger herausgefiltert werden. Dies ist dann eine mentale und kognitive Leistung, die man der „abstraktiven Relevanz“ zuordnen kann.
c) Modell der kommunikativen Sprachfunktionen nach Roman Jakobson
Roman JAKOBSON, ein bedeutender Linguist des 20. Jahrhunderts, baute mit seinem Modell der kommunikativen Sprachfunktionen auf das Organon-Modell BÜHLERs auf, indem er die Darstellung vereinfachte und weitere drei Sprachfunktionen ausmachte, die innerhalb eines Kommunikationsaktes auftreten können. Im Mittelpunkt seines sechsgliedrigen Kommunikationsmodelles steht eine Botschaft, die das sprachliche Zeichen an sich symbolisiert.[84]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.3: Kommunikationsmodell[85]
Es lassen sich sechs verschiedene Sprachfunktionen der Botschaft erkennen:[86]
Emotive Funktion: Emotionen sowie Haltung des Sprechers werden dadurch in der Botschaft deutlich, die inhaltliche Information steht eher im Hintergrund. Bsp.: Ein Politiker drückt Lob (oder Bedauernd) aus: „Ich bedaure wirklich zutiefst, dass….“
Referentielle Funktion: Hier steht der Inhalt der Botschaft im Vordergrund, meist enthält er eine konkret an den Empfänger adressierte Information. Bsp.: „Ich fahre morgen um 12 Uhr mittags zurück, falls du es noch nicht wissen solltest.“
Appellative Funktion: Die Botschaft hat eine Beeinflussung des Empfängers zum Ziel und soll Folgen auf dessen Handeln haben. Bsp.: Ein Oberbürgermeister-Kandidat vor der Wahl: „Wählt mich, denn …!“; eine andere Situation: „Du musst dir, glaube ich, klar darüber werden, was dir gut tut und was nicht.“ Der Appell kommt vor allem bei Befehlen und Aufforderungen explizit zum Ausdruck, ist aber dennoch immer latent vorhanden.
Poetische Funktion: Der Fokus ist hier auf die Botschaft selbst gerichtet, d.h. auf ihre Darstellung (schriftlich oder oral), die mehr oder weniger sprachlich kreativ gestaltet sein kann. Der Inhalt spielt hier eine Nebenrolle. Bei Gedichten, Wortspielen und Zungenbrecher wird das besonders deutlich. Bsp.: „Fischers Fritze fischt frische Fische, frische Fische fischt Fischers Fritze.“ Allerdings können auch phrasenhafte, mit rhetorischen Stilmitteln gespickte Floskeln von Politikern oder anderen Amtsträgern, kaum Informationen enthalten, sondern eher einen kreativen Sprachgebrauch aufweisen.[87]
Phatische Funktion: Sie dient der Herstellung, Aufrechterhaltung und Beendigung von Kommunikation und strukturiert Dialoge oder längere Reden. Bsp.: „Guten Abend, liebe Damen und Herren, ich möchte mich meinen Vorredner anschließen ...“; „Wenn Sie es mir gestatten, so möchte ich noch einmal zusammenfassen …“; während eines Telefonats: „Hallo … bist du noch dran?“
Metasprachliche Funktion: Sie bezieht sich auf einen anderen Sprechakt innerhalb eines Sprechaktes selbst, es ist also der Diskurs über Gesprochenes oder die Sprache bzw. Sprachwissenschaft gemeint. Bsp.: „Ich möchte keine lange Reden schwingen …“; „Was sagt ihr zu der neuen Rechtschreibreform? Die neuen Regeln zu lernen, wird sicher nicht leicht.“; „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“
All diese Sprachfunktionen sind prinzipiell in jedem Kommunikationsakt möglich, jedoch ist jeweils die Zusammensetzung, d.h. die Gewichtung der einzelnen Funktionen im Verhältnis zueinander, unterschiedlich. So weist der Satz „Lasst uns über das Referat sprechen, das wir soeben gehört haben!“ neben einer metasprachlichen Funktion gleichzeitig deutlich eine appellative Funktion auf. Während in einer bestimmten Aussage eine oder mehr Funktion(en) primär in den Vordergrund tritt bzw. treten, sind die anderen Funktionen mehr oder weniger stark ausgeprägt. Das Verhältnis ist von der jeweiligen Situation und der Aussage des Senders abhängig.[88]
Dieser Sachverhalt erklärt, warum keine Botschaft oder Aussage der anderen gleicht: Weil die Zusammensetzung der einzelnen Funktionen immer variiert.
Anhand der vorgestellten Modelle konnten verschiedene Ansätze gezeigt werden, die das Sprechereignis oder den Kommunikationsakt an sich zu erklären versuchen. Während die LASSWELL-Formel dem Kommunikationsprozess fünf Komponenten zuordnet, die auf die politische Kommunikation übertragbar sind, liefert BÜHLERs dynamisches Organo-Modell eine Vorstellung davon, welche Größen in welchen Ausmaß auf ein sprachliches Zeichen wirken und wie dieses somit in Erscheinung tritt. Letzterer Ansatz eignet sich kaum für die Analyse konkreter Äußerungen, denn es ist für die der Arbeit zugrundeliegende Fragestellung nicht besonders aufschlussreich, ob das sprachliche Zeichen nun als Symbol, Symptom oder Signal auftritt. Besser eignet sich dagegen zum Zweck einer Analyse von politischer Sprache, insbesondere der Sprache von Politikern, das Kommunikationsmodell nach JAKOBSON. Meines Erachtens lässt es sich hervorragend anwenden, denn anhand seiner sechs Sprachfunktionen lassen sich bestimmte Strategien und Bestandteile einer Botschaft gut in ihre Einzelteile zerlegen und diesen zuordnen.
2.5 Kommunikationsnormen und Interessenskonflikte
Nun ist es in der politischen Kommunikation so, dass es Erwartungen, Versprechungen und Handlungen gibt – oder auch nicht. So kann ein wiederholt nicht eingelöstes Wahlversprechen, ein Skandal oder auch der verschwenderische Umgang mit Steuergeldern dazu führen, dass die Menschen der Politik im Allgemeinen und den Parteien im Einzelnen überdrüssig werden. Die Glaubwürdigkeit der Politiker ist ihr höchstes Gut: Haben sie diese einmal verspielt, dann verläuft eine politische Kommunikation nur noch in den seltensten Fällen erfolgreich
Josef KLEIN versuchte in einem aufschlussreichen Ansatz politische Kommunikation und ihre Wirkung zu erklären, indem er sowohl die Kommunikationsethik als auch die Parteistrategie untersuchte. Besonders maßgebend sind die äußeren Rahmenbedingungen „Kommunikationsnormen“ und „Medienbedingungen“ für die Gestaltung der politischen Kommunikation. Für den Ansatz verglich er die Wähler mit dem ‚Markt‘, das ‚Politiker-Wähler-Verhältnis‘ muss man sich folglich als ein Marktmodell vorzustellen. Da es sich bei den Wählern heutzutage, wie er betont, kaum mehr um eine treue Anhängerschaft handelt, sondern vielmehr um kritische Zuhörer bzw. Zuschauer, welche die glaubwürdigste und fähigste Partei unter allen wählen würden, muss man sich als Politiker gut verkaufen können. Einen großen Anteil daran trägt hierbei die politische Kommunikation, die allerdings Normen unterliegt.[89] Die folgenden Kommunikationsnormen[90] haben folglich für Politiker „Gebotscharakter“ und sind teilweise allgemein gültig:
(1) Rede wahrhaftig!
(2) Rede fundiert!
(3) Rede zum Wesentlichen!
(4) Rede informativ!
(5) Rede klar und verständlich!
(6) Rede fair!
Wähler und Politiker haben jedoch verschiedene Vorstellungen, beide Gruppen verfolgen unterschiedliche Partikularinteressen, darum „gibt es einen allgemeinverbindlichen Maßstab für die Erfüllung der Kommunikationsgebote ebenso wenig wie die Quadratur des Kreises“[91]. Denn Politiker unterliegen nicht nur kommunikationsethischen Prinzipien, sondern auch strategischen Geboten der Partei, aus denen Eigen - bzw. Gruppeninteressen hervorgehen, die sie ebenfalls erfüllen müssen. Die strategischen Gebote lauten:[92]
(1) Stelle die eigene Position positiv dar!
(2) Demonstriere Leistungsfähigkeit und Durchsetzungskraft!
(3) Halte dir Operationsspielräume offen – auch wenn du dich festlegen musst!
(4) Mache dir durch deine Rede möglichst wenig Gegner in relevanten Gruppen!
(5) Stelle die gegnerische Position als ablehnungswert dar!
Diese sind vor allem sehr pragmatisch orientiert und somit Reaktion auf verschiedene Anforderungen sowie Ansprüche an das Amt eines Politikers.[93] Beide Gebotskataloge stehen in ständiger Konkurrenz zueinander, weil sie nicht immer gleichzeitig eingehalten werden können. Besteht im Alltag eines Politikers solch ein Konflikt zwischen Ethik und Eigeninteresse, so treten nach KLEIN zwei Entscheidungs-Maximen in Kraft:[94]
(1) Wähle das kleinere Übel, d.h. entscheide dich für den Verstoß gegen das Gebot, bei dem die negativen Folgen für deine Position am wenigsten gravierend sind.
(2) Versuche dabei, den Verstoß so gering wie möglich zu halten oder so geschickt wie möglich zu kaschieren.
In den meisten Fällen hat die Kommunikationsethik das Nachsehen, da Politiker mehrheitlich davon ausgehen, kommunikative Verstöße ließen sich besser vertuschen als Verstöße gegen die Parteiräson. Zudem rechnen sie damit, dass ihre politischen Gegner ähnlich denken und handeln. Lieber nehmen sie in Kauf, dass die Kommunikationsweise der politischen „Kaste“ insgesamt an Vertrauen verliert als persönlichen bzw. gruppeninternen Schaden davonzutragen.[95]
“Der doppelte Druck zweier tendenziell gegensätzlicher Normen-Pakete mit Schieflage zugunsten der strategischen Gebote hat zwangsläufige Folgen für Kommunikationsstil und Sprache der Politiker – und diese wiederum führen beinahe ebenso zwangsläufig zu Publikumsreaktionen, die unter den Bedingungen des Marktmodells freilich andere sind als unter den Bedingungen des Anhängerschaftmodells.“[96]
Eine mögliche Kaschierstrategie für die Gebote (1), (2) und (3)[97] mit Selbstbezug stellt der Gebrauch von „Vexierwörtern“ dar, die bei der Mehrheit der Adressaten andere Konnotationen hervorruft als der Benutzer intendiert:
„Aufgrund lexikalischer und syntaktischer Polysemien kann dieselbe Formulierung unterschiedliche Inhalte implizieren. Andererseits läßt [sic!] sich derselbe Sachverhalt auf verschiedene Weise formulieren. Die Politiker wissen dies und machen davon Gebrauch, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie provozieren mitunter absichtlich Mißverständnisse [sic!]. Wörter, die bewußt [sic!] dazu gebraucht werden, nenne ich Vexierwörter. Solche Wörter verursachen Verständigungskonflikte oder Kommunikationskonflikte. Die beabsichtigte Täuschung ist nur so lange erfolgreich, wie dieser Konflikt nicht erkannt und in öffentlicher Diskussion bearbeitet ist.“[98]
Damit ein Wort zum Vexierwort wird, muss seine Bedeutung von etablierten Gebrauchsregeln abweichend neu normiert werden. Hierbei handelt es sich um Begriffe, die sich durch den allgemeinen gesellschaftlichen Konsens zu Regeln verfestigt haben.[99]
Für die Gebote (4) und (5)[100], die beide im Gegensatz zu den ersten einen Fremdbezug aufweisen, eignet sich ein „glatter politischer Werbestil“ nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners der Adressaten. Dies geht jedoch nicht vonstatten, ohne dass die Sätze an Vagheit und Mehrdeutigkeit zunehmen. Ein vereinnahmender Stil durch die strategische Verwendung des Personalpronomens „wir“ und des Possessivpronomens „unser“ kann davon jedoch ablenken und das eigentliche Verhältnis zwischen Bürger und Politiker auf eine gemeinschaftliche Ebene heben.[101]
Für welche strategischen Kommunikationsmaximen welches Kaschierverfahren angewendet wird und wie die Reaktionen der Rezipienten darauf sind, lässt sich aus der nachfolgenden Tabelle entnehmen.
Tab.2: Politische Kommunikation und ihre Kaschierverfahren (nach: Klein 1996: 18.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
[1] Siehe: Desideri 1984: 87; zit. nach: Gabrielle D’Annunzio.
[2] La Repubblica vom 12.11.2011 http://www.repubblica.it/politica/2011/11/12/news/dimissioni_berlusconi_approvata_legge_stabilit-24911363/ (Zugriff: 02.03.2012)
[3] Vielleicht hat er auch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Gerüchte über einen erneuten Wahlkampf oder sogar die Kandidatur zum Presidente della Repubblica kursieren bereits.
[4] Siehe auch: Burkhardt 1996: 83–85. Burkhardt: "Gerade in diachronischer Perspektive erscheint die Methode typologischen Vergleichens besonders vielversprechend." (Ebd.)
[5] Es gibt eine einmonatige Test-Lizenz zur kostenlosen Nutzung unter: www.dtsearch.com
[6] Kolb 1990: 21.
[7] Die Analyse außersprachlicher Charakteristika wie Mimik und Gestik sowie innersprachliche Eigenschaften, der Prosodie zugehörig, z.B. Intonation, Quantität, Akzent und Pausierung, Rhythmik und Sprechgeschwindigkeit, würden in dieser Arbeit zu weit führen, sie werden hier vernachlässigt. (Vgl. Paola Desideri 1984:14; mehr dazu ebd.)
[8] Gualdo 2004: 250.
[9] Vgl. Desideri 1984: 13f.
[10] Burkhardt 1996: 75.
[11] Ebd.
[12] Vgl. Burkhardt 1996: 76f.
[13] Die Graphik wurde nach Burkhardts Vorlage übernommen, siehe: Burkhardt 1996: 81.
[14] Bei der Betrachtung von Handbüchern zur Mediensprache wird deutlich, in welch starkem Ausmaß sich diese mit politischer Sprache überschneidet. (Siehe: Römer: 2009, insbesondere Kapitel 1)
[15] Vgl. Kolb 1990: 24.
[16] Dardano 1986: 150. Dardano stellte nennenswerte Untersuchungen zur Entwicklung der Zeitungssprache ausgehend vom 19. Jahrhundert an. Des Weiteren finden sich auch andere interessante wissenschaftliche Beiträge zur Sprache der Werbung, des Sports, des Journalismus sowie der Wissenschaft und der Technik in folgendem Sammelwerk: Beccaria 1973.
[17] Vgl. Burkhardt 1996: 79.
[18] Burkhardt 1996: 79.
[19] Dieckmann 1969: 50.
[20] Vgl. ebd.: 50f.
[21] Vgl. Klein 1989: In einer Fußnote weist Klein darauf hin, dass Gustav Strauß (S. 258ff.) eine andere Einteilung des politischen Vokabulars vornahm. (Siehe: Gustav Strauß (1985): „Schwere Wörter in der Politik“. In: Ders., 1986, S.149-280.)
[22] Vgl. Klein 1989: 7.
[23] Hier wird schnell klar, dass es gewisse Überschneidungen mit dem Ideologievokabular gibt, denn ein politisches System sowie seine Institutionen entsprechen in gewisser Hinsicht seiner jeweiligen Ideologie. Im Faschismus ist bspw. von keiner parlamentarischen Demokratie die Rede.
[24] Nach: Klein 1985: 8.
[25] Vgl. Klein 1985: 7-9.
[26] Klein 1985: 9f.
[27] Siehe: Antonelli 2000: 246, zit. nach: Pietro Trifone (Hrsg.): Dizionario politico popolare, 1851.
[28] Vgl. Squarcione 2009: 130f.
[29] Gualdo 2004: 246.
[30] Vgl. ebd.
[31] Gualdo/Dell’Anna 2004: 25.
[32] Im Deutschen gibt es keine Übersetzung für „plastismi“, dennoch werde ich den Begriff der Einfachheit halber mit den morphologischen Regeln des Deutschen angleichen und im Folgenden den Ausdruck ‚Plastismen‘ verwenden.
[33] Castellani Polidori 1995: 17.
[34] Vgl. Castellani Pollidori 1995: 17.
[35] Vgl. Desideri 1984: 414. ECO (1973: 102) vertrat zuvor die Ansicht, dass das Oxymoron “convergenze parallele“ eine Ausnahme darstelle, da es kein Zeichen von Unsicherheit sei, sondern der Ausdruck sinnbildlich für ein bestimmtes Gleichgewicht der Regierung stand, als ‚Formel für etwas Konkretes‘.
[36] Vgl. Eco 1973: 104.
[37] Ebd.: 94.
[38] Vgl. Ebd.: 95f.
[39] Vgl. Ebd.: 94.
[40] Vgl. Ebd.: 95f.
[41] Vgl. Antonelli 2000: 214f.
[42] Siehe auch: Squarcione 2009: 140.
[43] Vgl. Gualdo/Dell’Anna 2004: 25. Siehe auch: Antonelli 2000: 214f..
[44] Vgl. Forconi 1997: 34-36. Das wörtliche Zitat ist aus „Governo Berlusconi. Sette mesi di attività“, S.273.
[45] Vgl. Gualdo/Dell’Anna 2004: 25; Desideri 1999: 414.
[46] Desideri 2006: 189.
[47] Antonelli 2000: 215f. „Argumentum ad personam“ beschreibt, dass die Positionen des politischen Gegners mit persönlichen Angriffen auf seine Person und Schmähungen dessen angefochten werden.
[48] Vgl. Gualdo/Dell’Anna 2004: 25; Desideri 1999: 414.
[49] Bolasco 2006: 60f.
[50] Siehe: Squarcione 2009: 151; zit. nach: Osvaldo Croci, “Berlusconi’s triumph. Language and politics in Italy: from Moro to Berlusconi”. In: Journal of Modern Italian Studies, London, Routledge, 6, 3, 2001, S. 355.
[51] Gualdo 2004: 236.
[52] Vgl. Gualdo/Dell’Anna 2004: 25.
[53] Vgl. Dell’Anna/Lala 2004: 25f.
[54] Heutzutage ist der Terminus ‚einseitig‘ mit Vorsicht zu verwenden, da das Internet durch Twitter, Blogs und Kommentarfunktionen zu Artikeln auf Onlineauftritten von Presseerzeugnissen, etc., eine zweiseitige Kommunikation zulassen. Der Rezipient hat vielseitige Möglichkeiten, auf (politische) Botschaften zu antworten und eigene Meinungen dazu zu äußern. (Siehe auch: Burkart 2002: 169.)
[55] Maletzke 1963: 28.
[56] Dell’Anna/Lala 2004: 26.
[57] Der Begriff „Primetime“ beschreibt in der Fachsprache die Hauptsendezeit im Fernsehen.
[58] Klein 1996: 20f..
[59] Ebd.
[60] Klein 1996: 21.
[61] Eco 1973: 97.
[62] Ebd.
[63] Gualdo 2004: 249.
[64] Vgl. Dell’Anna/Lala 2004: 27; der Begriff “discorso suasivo” stammt von Eco. (Siehe: Eco 1986.)
[65] Dell’Anna/Lala 2004, 27.
[66] Alberto Sobrero (1993: 263-264) betonte deshalb die Unterscheidung zwischen „lingua dei politici“ und der „prosa usata dai giornalisti nei loro resoconti“, um zu zeigen, dass Medien durch verschiedene Techniken in den politischen Basistext eingreifen.
[67] Vgl. Dell’Anna/Lala 2004: 26-28.
[68] Vgl. Gualdo 2009: 258.
[69] Wesch 2006: 39.
[70] Vgl. Haase 2003: 15f.
[71] Siehe: Lasswell 1971: 84.
[72] Vgl. Burkart 2002: 492–494.
[73] Vgl. Burkart 2002: 492–494.
[74] Ebd.
[75] Hierbei handelt es sich um einen eigenen Gedankengang, den ich auf der Basis von Lasswells Ansatz weiterentwickelt habe. Die Tabelle ist eine eigene Darstellung und dient der Visualisierung der Ergebnisse.
[76] Bühler 1965: 24f.
[77] Ebd.
[78] Wesch 2006: 39.
[79] Ebd.
[80] Bühler 1965: 28f.
[81] Ebd.: 28.
[82] Bühler 1965: 28. Beide Begriffe sind hieraus zitiert worden.
[83] Vgl. Bühler 1965: 28f; vgl. Wesch 2006: 39.
[84] Vgl. Holenstein 1975: 157f.
[85] Graphik nach: Jakobson, Roman (1962).
[86] Die Aufzählung ist eine Zusammenstellung aus: Haase 2007:16f.; Holenstein 1975: 159f. Sie ist zu einer besseren Veranschaulichung mit eigenen Beispielen versehen.
[87] Offensichtlich dient diese Sprachfunktion besonders der Verhüllung und Verschleierung unangenehmer Fakten. Ich werde darauf bei den rhetorischen Mitteln noch näher eingehen.
[88] Vgl. Haase 2003: 16ff.
[89] Vgl. Klein 1996: 8.
[90] Klein 1996: 8. Seine Kommunikationsnormen 1-5 stellen einen weiterentwickelten Ansatz der Konversationsmaximen nach dem Sprachphilosophen H. Paul GRICE (Grice 1979) dar, der sich wiederum auf die Kategorien des Philosophen Immanuel Kant bezog: Maxime der Quantität, Maxime der Qualität, Maxime der Relation, Maxime der Modalität. Grice formulierte seine Maximen im Hinblick auf die Sprachanalyse, daher implizieren sie ihren kommunikationsethischen Charakter nur, explizit kommen sie nicht zur Geltung. (z.T. zit. aus der Fußnote 4, S.8)
[91] Klein 1996: 10.
[92] Klein 1996: 10.
[93] Mehr zu den einzelnen strategischen Geboten, siehe: Klein 1996: 10-17.
[94] Klein 1996: 12.
[95] Vgl. Klein 1996: 12.
[96] Ebd.
[97] „Stelle die eigene Position positiv dar!“
[98] Teubert 1985: 51f.
[99] Vgl .Teubert 1985: 52.
[100] „Mache dir durch deine Rede möglichst wenig Gegner in relevanten Gruppen!“; „Stelle die gegnerische Position als ablehnungswert dar!“
[101] Vgl. Klein 1996: 17.
- Quote paper
- Bachelor of Arts Laura Berger (Author), 2012, Kontinuität oder Erneuerung? Politische Sprache im diachronen Vergleich: Berlusconi vs. Mussolini., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215446
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