Nach dem zweiten Weltkrieg verarbeiteten viele Menschen ihre persönlichen Kriegserfahrungen auf literarische Art und Weise. Dabei ging es nicht nur um die Erlebnisse an der Front, sondern auch um die Erfahrungen seine Heimat zu verlieren und flüchten zu müssen.
In dieser Arbeit wird untersucht, wie "Flucht und Vertreibung" in der Literatur verarbeitet wurden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Autoren der DDR, die unter den besondern Voraussetzungen der Zensur und Kontrolle des Regimes geschrieben haben. Während sich die Vertreibungsliteratur im Westen schon in den 50ern in ihrer Hochblüte befand und Romane wie Günter Grass’ Blechtrommel (1959) und Ernst Wiecherts Missa sine nomine (1950) entstanden, waren es im Osten nur eine Handvoll Werke, die Flucht oder Vertreibung überhaupt thematisierten. (Vgl. Helbig, Louis F., Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Darstellung von Flucht, Vertreibung und Eingliederung in der westlichen und östlichen Literatur Deutschlands. In: Manfred Wille (Hrsg.), 50 Jahre Flucht und Vertreibung. Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Aufnahme und Integration der Vertrie-benen in die Gesellschaften der Westzonen/Bundesrepublik und der SBZ/DDR, Magdeburg 1997, S. 75.) Immerhin ca. 4,4 Millionen heimatvertriebe Ostdeutsche kamen bis 1949 in das Gebiet der DDR, von denen 1961 beim Mauerbau noch 1,7 Millionen dort lebten.( Vgl. Bilke, Jörg Bernhard, Gelöschte Spuren ostdeutscher Geschichte. In: Klaus Weigelt (Hrsg.), Flucht und Vertreibung in der Nachkriegsliteratur. Formen ostdeutscher Kulturförderung, Forschungsbericht 51, Melle 1986, S. 69.)Doch erst in den 80ern fand die Materie einen stärkeren Ausdruck in der DDR-Literatur. (Vgl. Helbig, 1997, S. 78.) Wodurch ist diese Verzögerung entstanden? Der Schwerpunkt soll dabei auf der zeitlichen Entwicklung, sowie auf den Einflüssen der Integrationspolitik, der Ostpolitik (Freundschaftspolitik) und der sozialistischen „Erziehung“ liegen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Veröffentlichung von Literatur in der DDR
3. Die zeitliche Entwicklung von „Flucht und Vertreibung“ als Literaturthema in der SBZ/DDR
4. Politische Einflüsse auf die Darstellung von Flucht und Vertreibung in der DDR-Literatur
4.1 „Freundschaftspolitische“ Einflüsse
4.2 Integrationspolitische Einflüsse
4.3 Sozialistische „Erziehung“
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Ab Herbst 1944 begannen die ersten Menschen aus dem Osten Deutschlands zu fliehen. Der zweite Weltkrieg zwang sie, ihre Heimat auf der Flucht vor der „Roten Armee“ zu verlassen. Doch da die Flucht meistens erst zu spät einsetzte, wurden viele Trecks auf ihrem Weg in den Westen von der Front eingeholt. Viele Flüchtlinge erfuhren durch die Soldaten der Roten Armee Misshandlungen, Vergewaltigungen oder Mord.
Direkt nach dem Ende des Krieges begannen Heimatvertriebene in Deutschland über ihre Erlebnisse zu schreiben. Doch gab es große Unterschiede zwischen Ost und West: Während sich die Vertreibungsliteratur im Westen schon in den 50ern in ihrer Hochblüte befand und Romane wie Günter Grass’ Blechtrommel (1959) und Ernst Wiecherts Missa sine nomine (1950) entstanden, waren es im Osten nur eine Handvoll Werke, die Flucht oder Vertreibung überhaupt thematisierten.[1] Erst in den 80ern fand die Materie einen stärkeren Ausdruck in der DDR-Literatur.[2] Wodurch ist diese Verzögerung entstanden? Hatten die SBZ/DDR-Autoren nicht das Bedürfnis, dieses Thema aufzugreifen? In beiden Gebieten gab es Betroffene: Immerhin ca. 4,4 Millionen heimatvertriebe Ostdeutsche kamen bis 1949 in das Gebiet der DDR, von denen 1961 beim Mauerbau noch 1,7 Millionen dort lebten.[3] Auch gab es „mindestens 25 DDR-Autoren, deren Geburtsorte in den historischen deutschen Ostgebieten liegen- aber auch sie schweigen sich jahrzehntelang über diesen autobiographischen Fakt aus“[4]. Man muss davon ausgehen, dass zumindest ein Teil von ihnen fähig gewesen wären, den „gewaltsamen Heimatverlust in breiterem Umfang darzustellen“.[5] Doch „konnten die einen [(BRD-Autoren)] schreiben, was sie wollten, wenn auch ohne Garantie einer Veröffentlichung, so standen die anderen [(DDR-Autoren)] im Dienst ihrer Staatsmacht und hatten zu schreiben, was ihnen aufgegeben war, oft mit garantierter Veröffentlichung.“[6] Die DDR-Autoren waren durch die Politik eingeschränkt.
In dieser Arbeit soll deshalb untersucht werden, wie die SBZ/DDR-Politik auf die Darstellung von Flucht und Vertreibung in der Literatur einwirkte. Der Schwerpunkt soll dabei auf der zeitlichen Entwicklung, sowie auf den Einflüssen der Integrationspolitik, der Ostpolitik (Freundschaftspolitik) und der sozialistischen „Erziehung“ liegen.
2. Veröffentlichung von Literatur in der DDR
Mit der Kriegsniederlage Deutschlands im Frühling 1945 übernahmen die Alliierten die oberste Kontrolle über die deutschen Gebiete. Deutschland wurde in vier Besatzungszonen unterteilt, die dem französischen, britischen, amerikanischen und sowjetischen Militärrat unterstellt waren.
Diese Kontrolle galt auch für alle literarischen Veröffentlichungen innerhalb der Zonen. „Am 12. Mai 1945 trat als eins der allerersten das Gesetz Nr. 191 über ‚Nachrichtenkontrolle’ in Kraft: Es war ein allgemeines Verbot von ‚gedruckten oder mechanisch vervielfältigten Veröffentlichungen’, das den Verstoß auch mit der Todesstrafe bedrohte[...].“[7] Nur wer eine Lizenz, eine Zulassung hatte, durfte noch Schriften veröffentlichen. Diese Einschränkungen waren Teil der Alliierten Politik und sollten die „Entnazifizierung“ unterstützen.[8] Die Werke durchliefen eine strenge Vorzensur und waren somit alle genehmigungspflichtig.[9]
Während die drei Besatzungszonen der westlichen Alliierten noch in den 40er zur Nachzensur übergingen und somit die Verantwortung an den jeweiligen Verlag übergaben, blieb die SBZ bei der Vorzensur. Ab März 1946 gab es in der SBZ einen „kulturellen Beirat zur Manuskriptüberprüfung und Beratung von belletristischen und wissenschaftlichen Werken“[10] mit deutscher Beteiligung, der der Sowjetischen Militär-Administration unterstellt war.[11]
Im Gegensatz zum Lizenzsystem der Westzone, das noch vor der Gründung der BRD vollständig aufgehoben wurde, setzte sich die Tätigkeit des kulturellen Beirats auch in der DDR fort.[12] Zwar wurde bei der Gründung der DDR 1949 das Recht auf freie Meinungsäußerung und Veröffentlichung in der Verfassung garantiert, doch wurde die Zensur „verschleiert“ weiter betrieben.[13] Der Begriff „Zensur“ wurde tabuisiert, doch Veröffentlichungen wurden immer noch auf zwei Ebene kontrolliert: Zunächst musste eine Lizenz erworben werden und dann musste dem Verlag Druckpapier zugeteilt werden. „Die Knappheit von Papier infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Situation machte die Zuteilung von Papier zu einem zweiten, entscheidenden Zensurakt: Ein Buch konnte rechtlich genehmigt und dann durch die Nichtzuteilung von Papier an den Verlag de facto <verboten> werden.“[14]
Die Kriterien für die Genehmigungen waren nicht mehr nur der Entnazifizierung zuzuordnen, sondern viel mehr der „sozialistischen Umerziehung“. Denn Grundlage der Zensurbeurteilungen war die kulturpolitische Linie der SED.[15] Die Literatur war in die Kulturpolitik integriert.
Ab Herbst 1965 wurden Bücher nur noch auf Grund ihrer politischen Ausrichtung kritisiert oder verboten.[16] Wer sich gegen die Zensur stellte, galt als Gegner des Sozialismus (als Feind[17] ) und musste mit den Konsequenzen rechnen. „In allen gesellschaftlichen Bereichen [...] kam es zu ‚Säuberungen’, d.h. zur Entfernung von ‚unerwünschten Personen’. In minderschweren Fällen wurde den Opfern dieser Säuberungen die weitere Ausübung ihres Berufes unmöglich gemacht, andere wurden ins Exil gezwungen, mit Gefängnis oder gar mit dem Tode bestraft.“[18]
Das führte auch dazu, dass Autoren aus Angst vor einer Nichtveröffentlichung, anderen Sanktionen oder aber auch aus politischer Überzeugung[19] „Selbstzensur“[20] betrieben. Sie griffen also von selbst keine brisanten Themen auf.
[...]
[1] Vgl. Helbig, Louis F., Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Darstellung von Flucht, Vertreibung und Eingliederung in der westlichen und östlichen Literatur Deutschlands. In: Manfred Wille (Hrsg.), 50 Jahre Flucht und Vertreibung. Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Aufnahme und Integration der Vertriebenen in die Gesellschaften der Westzonen/Bundesrepublik und der SBZ/DDR, Magdeburg 1997, S. 75.
[2] Vgl. Helbig, 1997, S. 78.
[3] Vgl. Bilke, Jörg Bernhard, Gelöschte Spuren ostdeutscher Geschichte. In: Klaus Weigelt (Hrsg.), Flucht und Vertreibung in der Nachkriegsliteratur. Formen ostdeutscher Kulturförderung, Forschungsbericht 51, Melle 1986, S. 69;
[4] Vgl. Mehnert, Elke, Vertriebe versus Umsiedler- der ostdeutsche Blich auf die Nachkriegsgeschichte. In: Elke Mehnert (Hrsg.), Landschaften der Erinnerung. Flucht und Vertreibung aus deutscher, polnischer und tschechischer Sicht, Studien zur Reiseliteratur und Imagologieforschung, Bd. 5, Frankfurt am Main 2001, S. 144f.
[5] Vgl. Helbig, 1997, S. 78.
[6] Helbig, 1997, S. 69.
[7] Vgl. Peitsch, Helmut, Nachkriegsliteratur 1945- 1989. Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs, Bd. 24, Göttingen 2009, S. 52.
[8] Vgl. Peitsch, 2009, S. 53.
[9] Vgl. Peitsch, 2009, S. 57.
[10] Im Jahr 1963 löst dann löst dann die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel den kulturellen Beirat zur Manuskriptüberprüfung und Beratung von belletristischen und wissenschaftlichen Werken ab, wie schon einige andere Kontrollinstanzen zuvor. Vgl. Westdickenberg, 2004, S. 23.
[11] Vgl. Peitsch, 2009, S. 59.
[12] Vgl. Peitsch, 2009, S. 65.
[13] Vgl. Westdickenberg, Michael, Die Diktatur des anständigen Buches. Das Zensursystem der DDR für belletristische Prosaliteratur in den sechziger Jahren, Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte, Bd. 16, Wiesbaden 2004, S. 8.
[14] Peitsch, 2009, S. 62.
[15] Vgl. Westdickenberg, 2004, S. 154.
[16] Vgl. Westdickenberg, 2004, S. 186.
[17] Vgl. Westdickenberg, 2004, S. 8.
[18] Vgl. Naupert, Kristin, In Freiheit erzählen. Literarische Wenden in Spanien und Ostdeutschland, Berlin 2007, S. 40.
[19] Vgl. Westdickenberg, 2004, S. 11.
[20] Vgl. Emmerich, Wolfgang, DDR-Literatur zwischen Anpassung und Widerspruch. In: Martin Hermann, Hildigund Neubert und Henning Pietzsch (Hrsg.), DDR-Literatur zwischen Anpassung und Widerspruch. Tagungsband zum Jürgen-Fuchs-Literaturseminar am 26. Und 27. November 2010 in Jena, Jena 2011, S. 55f.
- Arbeit zitieren
- Lisa Peters (Autor:in), 2012, "Flucht und Vertreibung" in der DDR-Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/213008
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