Joe Wrights gleichnamige Verfilmung des Romans Atonement von Ian McEwan aus dem Jahr 2007 lässt sich als ein adäquates Beispiel heran ziehen, wie sich unzuverlässiges Erzählen im Film umsetzen lässt und mit welch komplexen Strukturen der Rezipient konfrontiert wird. Denn in diesem Film, der weitestgehend der Romanvorlage angeglichen ist, lässt sich gleich eine doppelte Unzuverlässigkeit ausmachen. Dabei ist die eine Form der Unzuverlässigkeit aber völlig offensichtlich, um die andere regelrecht zu verschleiern, aber am Ende auch zu legitimieren.
Die hier zu untersuchende These lautet demnach: Die Sichtweise der Figur der Briony wird im ersten Akt von der übergeordneten Erzählinstanz, von der der Rezipient annimmt, es sei die objektive Kamera, als unzuverlässig entlarvt. Dies geschieht zu dem Zweck, der übergeordneten Erzählinstanz absoluten Glauben zu schenken bei der Schilderung der Ereignisse im zweiten Akt, die sich aber letztendlich zum Großteil als fiktional herausstellen, da die Erzählinstanz – wie im dritten Akt deutlich wird – in Wirklichkeit die spätere, 64 Jahre ältere Briony selbst ist, die nun Abbitte leisten will und deshalb wiederum zur unzuverlässigen Erzählerin wird.
Da diese These anfänglich sehr verwirrend klingt, soll in dieser Arbeit zunächst einmal nach einer kurzen Inhaltsangabe des Filmes die Problematik des Begriffes der unreliable narration im Zusammenhang mit diesem Film erklärt werden. Anschließend soll die offensichtliche Unzuverlässigkeit im ersten Akt des Films untersucht werden. Hier sind die Schlüsselszenen zu finden, die die Ursache des tatsächlichen unzuverlässigen Erzählens konstituieren und Aufschluss darüber geben, warum schon zu Beginn Unzuverlässigkeit entlarvt wird, und im dritten Akt in der Auflösungsszene erst die wahre Unzuverlässigkeit ans Licht kommt.
Beleuchtet werden soll, wie der Rezipient durch wechselnde Fokalisierung und die Erzählsituation im ersten Akt auf eine „falsche Fährte“ (Fuxjäger 2007: 17) geführt wird und diese auch im zweiten Akt für real hält und wie die Sichtweise der jungen Briony und das wahre Geschehen dargestellt werden, damit sie gleich als unzuverlässig entlarvt werden kann. In einem weiteren Schritt soll vom dritten Akt ausgehend aufgezeigt werden, warum Briony ihr jüngeres selbst diskreditiert und wie die wahre Unzuverlässigkeit durch Fiktion in der Erzählung auf den Rezipienten wirkt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Formale und inhaltliche Aspekte und Probleme
- Form und Inhalt
- Die problematische Anwendung des Begriffes unreliable narration
- Analyse der unzuverlässigen Erzählung
- Die offensichtliche Unzuverlässigkeit und Etablierung der Glaubwürdigkeit der Erzählinstanz im ersten Akt
- Die „Abbitte“: Aufdeckung der tatsächlichen Unzuverlässigkeit
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Umsetzung unzuverlässigen Erzählens in Joe Wrights Film "Atonement" (2007). Der Fokus liegt auf der Analyse der doppelten Unzuverlässigkeit der Erzählinstanz und wie diese durch narrative Strukturen beim Rezipienten verborgen und letztendlich gerechtfertigt wird. Die Arbeit beleuchtet, wie die offensichtliche Unzuverlässigkeit im ersten Akt die Glaubwürdigkeit der Erzählinstanz im zweiten Akt aufbaut, obwohl dieser sich letztendlich als fiktiv erweist.
- Unzuverlässiges Erzählen im Film
- Doppelte Unzuverlässigkeit der Erzählinstanz
- Manipulation der Rezipientenperspektive
- Die Rolle der Erinnerung und Fiktion
- Die Funktion der "Abbitte"
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik unzuverlässigen Erzählens in Joe Wrights Verfilmung von Ian McEwans "Atonement" ein. Sie stellt die zentrale These auf, dass die offensichtliche Unzuverlässigkeit der jungen Briony im ersten Akt dazu dient, die Glaubwürdigkeit der übergeordneten Erzählinstanz im zweiten Akt zu etablieren, welche sich später als die fiktionalisierende Erzählung der erwachsenen Briony entpuppt. Die Arbeit skizziert den methodischen Ansatz, der die Analyse der Schlüsselszenen im ersten und dritten Akt umfasst, um die Konstruktion und Entlarvung der Unzuverlässigkeit zu untersuchen.
Formale und inhaltliche Aspekte und Probleme: Dieses Kapitel beschreibt die formale Struktur des Films, aufgeteilt in drei Akte unterschiedlicher Länge und Komplexität. Der Fokus liegt auf der Analyse der Erzählzeit und der Darstellung der Ereignisse. Es wird erläutert, wie der Film die Perspektive der jungen Briony und die "objektive" Kameraperspektive kontrastiert, um die Unzuverlässigkeit der Erinnerung und die spätere Fiktionalisierung im Roman der erwachsenen Briony zu verdeutlichen. Die Schlüsselszenen des ersten Aktes – Cecilias Bad im Brunnen, der missverstandene Brief und die Szene in der Bibliothek – werden als Beispiele für die Manipulation der Zuschauerperspektive durch die wechselnde Fokalisierung analysiert. Diese Szenen zeigen, wie Brionys Fehlinterpretationen zu falschen Anschuldigungen führen.
Schlüsselwörter
Unzuverlässiges Erzählen, Atonement, Joe Wright, Ian McEwan, Film, Roman, Erzählinstanz, Fokalisierung, Erinnerung, Fiktion, Abbitte, Manipulation, Rezipientenperspektive.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse der unzuverlässigen Erzählung in Joe Wrights "Atonement"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Umsetzung unzuverlässigen Erzählens in Joe Wrights Film "Atonement" (2007). Der Fokus liegt auf der Analyse der doppelten Unzuverlässigkeit der Erzählinstanz und wie diese durch narrative Strukturen beim Rezipienten verborgen und letztendlich gerechtfertigt wird.
Welche Aspekte des Films werden untersucht?
Die Arbeit untersucht die offensichtliche Unzuverlässigkeit der Erzählinstanz im ersten Akt und wie diese die Glaubwürdigkeit im zweiten Akt aufbaut, obwohl dieser sich letztendlich als fiktiv erweist. Es werden formale und inhaltliche Aspekte, die Rolle der Erinnerung und Fiktion, die Manipulation der Rezipientenperspektive und die Funktion der "Abbitte" beleuchtet.
Welche zentralen Themen werden behandelt?
Zentrale Themen sind unzuverlässiges Erzählen im Film, die doppelte Unzuverlässigkeit der Erzählinstanz, die Manipulation der Rezipientenperspektive, die Rolle der Erinnerung und Fiktion sowie die Funktion der "Abbitte" im Kontext der Erzählung.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit besteht aus einer Einleitung, einem Kapitel zu formalen und inhaltlichen Aspekten und Problemen (inkl. der problematischen Anwendung des Begriffs "unreliable narration"), einem Kapitel zur Analyse der unzuverlässigen Erzählung (inkl. der offensichtlichen Unzuverlässigkeit im ersten Akt und der "Abbitte"), und einem Fazit. Die Kapitelzusammenfassungen bieten einen detaillierten Überblick über den Inhalt.
Welche Schlüsselszenen werden analysiert?
Schlüsselszenen, die analysiert werden, umfassen Cecilias Bad im Brunnen, den missverstandenen Brief und die Szene in der Bibliothek im ersten Akt. Diese Szenen veranschaulichen Brionys Fehlinterpretationen und die daraus resultierenden falschen Anschuldigungen.
Wie wird die Unzuverlässigkeit der Erzählinstanz dargestellt?
Die Unzuverlässigkeit wird durch den Kontrast zwischen der Perspektive der jungen Briony und der "objektiven" Kameraperspektive dargestellt, um die Unzuverlässigkeit der Erinnerung und die spätere Fiktionalisierung im Roman der erwachsenen Briony zu verdeutlichen. Die wechselnde Fokalisierung manipuliert die Zuschauerperspektive.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Unzuverlässiges Erzählen, Atonement, Joe Wright, Ian McEwan, Film, Roman, Erzählinstanz, Fokalisierung, Erinnerung, Fiktion, Abbitte, Manipulation, Rezipientenperspektive.
Welche These wird in der Arbeit vertreten?
Die zentrale These ist, dass die offensichtliche Unzuverlässigkeit der jungen Briony im ersten Akt dazu dient, die Glaubwürdigkeit der übergeordneten Erzählinstanz im zweiten Akt zu etablieren, welche sich später als die fiktionalisierende Erzählung der erwachsenen Briony entpuppt.
- Quote paper
- Janina Vahrenholt (Author), 2009, Unzuverlässiges Erzählen in Joe Wrights Film "Atonement", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212901