Berliner Abgeordnetenhauswahlen im September 2011: die letzte „heiße“ Phase des Wahlkampfes hat begonnen, unzählige politische Wahlwerbeplakate in Kleinformaten an Laternen und Großaufstellern an allen Straßenecken zieren die Straßen. Diese erinnern nur zu oft an Werbeplakate für Produkte aus dem Wirtschaftssektor. Doch während ein Produkt des Wirtschaftsmarktes über einen längeren Zeitraum hinweg beworben werden kann, kann das Produkt Partei nur alle paar Jahre „gekauft“ werden und muss innerhalb weniger Wochen überzeugen. Zum eigentlichen „Verkauf“ steht dieses schließlich nur an einem einzigen Tag – dem Wahltag.
Bis zu diesem Stichtag müssen politische Parteien durch diverse Kampagnen und gute Werbung starke Überzeugungsarbeit leisten. Doch wie genau kann diese erbracht und in den Wahlplakaten sprachlich realisiert werden? Können wir davon ausgehen, dass Über-zeugungsarbeit mit Persuasion gleichzusetzen ist?
Diesen und ähnlichen Fragen folgend, habe ich fünf Parteien auf ihr Emotionspotential untersucht und dabei meinen Schwerpunkt - nicht zuletzt auf Grund ihres überraschend positiven Wahlergebnisses - auf die Piratenpartei gelegt. Aus diesem Kontext heraus ergab sich folgende These:
Die Parteien intendieren beim Rezipienten eine bestimmte Einstellungshaltung zu erzeugen und erreichen dies vor allem durch die Anwendung der persuasiven Strategie der Emotionalisierung. Die sprachlichen Realisierungen der Piratenpartei unterscheiden sich hierbei jedoch von denen der etablierten Parteien und weisen ein deutlich geringeres Persuasionspotential auf, als die der anderen Parteien.
Inhalt
0. Einleitung
1. Die Wahrnehmung und Bewertung von Wahlplakaten
1.1 Untersuchungsgegenstand Typoplakat
1.2 Funktionen politischer Werbeplakate
1.2.1 Einstellungsmodifizierung
1.2.2 Einstellungsaffirmation
1.2.3 Einstellungspolarisierung
2. Emotionalisierung als persuasive Strategie
2.1 Persuasion – eine Begriffsklärung
2.2 Emotionalisierung durch Empathie
3. Strategien der Wahlwerbung und deren Emotionspotential 8
3.1 Positive Selbstdarstellung
3.2 Diffamierung des politischen Gegners
4. Verbale Realisierungen – die sprachlichen Mittel 11
4.1 Darstellung und Ausdruck von Emotionen
4.1.1 Emotionsbezeichnende Wörter
4.1.2 Emotionsausdrückende Wörter
4.2 Politik spezifisches Vokabular
4.2.1 Miranda/Leitvokabeln
4.2.2 Schlagwörter
4.3 Morphologische Besonderheiten – Komposita
4.4 Modalverben
4.5 Relevante rhetorische Mittel 16
4.5.1 Personifikation
4.5.2 Rhetorische Frage
4.5.3 Antithese
4.5.4 Metaphern
5. Sprachliche Realisierungen der Piraten im Diskurs
5.1 Attraktivitätsfunktion
5.2 Aufmerksamkeit und Interesse
5.3 Referenz auf außersprachliche, aktuelle Sachverhalte
6. Fazit
7. Bibliografie
7.1 Literaturverzeichnis
7.2 Quellenverzeichnis
7.3 Korpus
0. Einleitung
Berliner Abgeordnetenhauswahlen im September 2011: die letzte „heiße“ Phase des Wahlkampfes hat begonnen, unzählige politische Wahlwerbeplakate in Kleinformaten an Laternen und Großaufstellern an allen Straßenecken zieren die Straßen. Diese erinnern nur zu oft an Werbeplakate für Produkte aus dem Wirtschaftssektor. Doch während ein Produkt des Wirtschaftsmarktes über einen längeren Zeitraum hinweg beworben werden kann, kann das Produkt Partei nur alle paar Jahre „gekauft“ werden und muss innerhalb weniger Wochen überzeugen. Zum eigentlichen „Verkauf“ steht dieses schließlich nur an einem einzigen Tag – dem Wahltag. Bis zu diesem Stichtag müssen die Parteien durch diverse Kampagnen und gute Werbung starke Überzeugungsarbeit leisten. Doch wie genau kann diese erbracht und in den Wahlplakaten sprachlich realisiert werden? Können wir davon ausgehen, dass Überzeugungsarbeit mit Persuasion gleichzusetzen ist?
Diesen und ähnlichen Fragen folgend, habe ich fünf Parteien auf ihr Emotionspotential hingehend untersucht und dabei meinen Schwerpunkt - nicht zuletzt auf Grund ihres überraschend positiven Wahlergebnisses - auf die Piratenpartei gelegt. Aus diesem Kontext heraus ergab sich folgende These:
Die Parteien intendieren beim Rezipienten eine bestimmte Einstellungshaltung zu erzeugen und erreichen dies vor allem durch die Anwendung der persuasiven Strategie der Emotionalisierung. Die sprachlichen Realisierungen der Piratenpartei unterscheiden sich hierbei jedoch von denen der etablierten Parteien und weisen ein deutlich geringeres Persuasionspotential auf, als die der anderen Parteien.
Anhand ausgewählter Wahlplakatbeispiele werde ich auf verschiedene Formen der emotionalen Wahlkampfstrategie näher eingehen und auf deren sprachliche Realisierungen hin untersuchen. Bei meinen Untersuchungen berufe ich mich sowohl auf Fachliteratur aus den Bereichen der Sprach- und Kognitionsforschung, als auch aus dem Bereich der Politik- und Wahlforschung. Das untersuchte Textkorpus setzt sich aus digitalisierten Wahlplakaten der Berliner Abgeordnetenhauswahlen im September 2011 zusammen.
1. Die Wahrnehmung und Bewertung von Wahlplakaten
1.1 Untersuchungsgegenstand Typoplakat
Bei der Wahrnehmung und Bewertung von Wahlplakaten sind sowohl Bild- als auch Textelemente entscheidend. Während ein Bild mittlerer Komplexität bei einer Betrachtungsdauer von ein bis zwei Sekunden langfristig in Erinnerung bleiben kann, können während der gleichen Zeitspanne nur etwa fünf bis sieben einfache Wörter dekodiert (s. Kröber-Riel 1993: 53, In: Geise, Brettschneider 2010: 72) werden. Da die visuelle Informationsaufnahme und –verarbeitung ganzheitlich-analog erfolgt[1] und die „[…] Grammatik der Sprache [hingegen] eine temporale Ordnung der Kommunikationselemente voraussetzt […]“ (vgl. Pavio 1979: 33, zit.n. Geise, Brettschneider 2010: 73), haben Bilder Texten gegenüber einen klaren Vorteil – die schnellere Wahrnehmung der Informationen. Es gilt als erwiesen, dass visuelle Informationen nicht nur weniger selektiv wahrgenommen werden als Textinformationen, sondern deren kognitive Verarbeitung auch deutlich seltener abgebrochen wird (s. Schierl 2001; Lachmann 2002, In: Geise, Brettschneider 2010: 73). Obwohl Bilder Texten gegenüber einige Vorteile zu haben scheinen, kann die selektive Wahrnehmung politischer Informationen durch eine prominente Platzierung der Wahlplakate sowie durch eine auffällige Aufmachung (Typografie) umgangen werden (s. Geise, Brettschneider 2010: 73). Diese strategischen Vorgehensweisen können dazu führen, dass textliche Inhalte wahrgenommen werden, obwohl sich ihnen „[…] der Rezipient erst bewusst sequentiell-analytisch zuwenden muss […]“ (vgl. Pavio 1979: 34, zit.n. Geise, Brettschneider 2010: 73). Von diesen Annahmen ausgehend, möchte ich in den folgenden Kapiteln das Typoplakat zum Hauptuntersuchungsgegenstand erklären und anhand von Beispielen belegen, dass sprachliche Realisierungen durchaus auch ein erhebliches Emotionspotential aufweisen können.
1.2 Funktionen politischer Werbeplakate
Da politische Wahlplakate oftmals noch viel mehr als nur eine neutrale Vermittlung von. Informationen und politischen Themen sind, können sie auch als Nominationsakte[2] bzw. wertende Stellungnahmen bezeichnet werden, die „[…] eine Reaktion auf Seiten des [Rezipienten/Adressaten] heraus[fordern]“ (vgl. Girnth 2002: 57) sollen. Hierbei setzt der Textproduzent, in diesem Falle die Partei, die Fähigkeit der Empathie und Solidarisierung des Rezipienten voraus. Die Emotionalisierung des Rezipienten steht dadurch zumeist im Mittelpunkt der Plakatwerbung und ist neben der visuellen Repräsentation von Sympathieträgern und der wiederholten Verwendung bestimmten Lexemmaterials (z.B. Wahlslogans) ein wichtiges Mittel der persuasiven Strategie (s. Schwarz-Friesel 2007: 224).
In den folgenden Unterkapiteln sollen die vom Textproduzenten intendierten Adressatenreaktionen vorgestellt und näher beschrieben werden. Hierbei beziehe ich mich auf die Annahmen des Politik- und Sprachwissenschaftlers Heiko Girnth, der davon ausgeht, dass die politische Textsorte Wahlplakat im Allgemeinen auf eine Veränderung, Festigung oder Bekräftigung der (vorhandenen) politischen Einstellung des Rezipienten ausgerichtet ist (s. Girnth 2002: 57 ff.).
1.2.1 Einstellungsmodifizierung
Soll eine Veränderung der politischen Einstellung des Rezipienten erreicht werden, spricht Girnth von einer Einstellungsmodifizierung (s. Girnth 2002: 57). Intendiert ist zumeist eine positive Modifizierung der eigenen Partei durch explizite Nennung positiver Eigenschaften und/oder positiver Referenz auf ein Objekt oder einen Sachverhalt:
(1) „847.870 Wählern gefällt das. Piraten wählen.“ (Piraten)
Auch eine negative Einstellungsmodifizierung einer gegnerischen Partei gegenüber kann beabsichtigt sein. Dies kann bspw. mittels pejorativ konnotierter Lexeme versucht werden zu erreichen:
(2) „Unter Rot-Rot: Minus 4.140 Polizisten – Aber 30.897 Straftaten in Bus und Bahn. Damit sich was ändert.“ (CDU)
Die Einstellungsmodifizierung kann ebenfalls als die Vermittlung der (eigenen) emotionalen Einstellung zu einem Referenzbereich bezeichnet werden (s. Schwarz-Friesel 2007: 80).
1.2.2 Einstellungsaffirmation
Soll die vorhandene Einstellung des Rezipienten gefestigt oder bekräftigt werden, spricht Girnth von einer Einstellungsaffirmation (s. Girnth 2002: 57). Sprachlich kann dies z.B. explizit durch meliorativ konnotierte Lexik realisiert werden (3) oder impliziert sein (4).
(3) „Weil es um das Soziale geht. Ja! Die Linke.“ (die Linke)
(4) „Christopher Lauer – Keine Experimente. Piraten wählen.“ (Piraten)
1.2.3 Einstellungspolarisierung
Eine weitere Intention kann es sein, den politischen Standpunkt der werbenden Partei zu verdeutlichen und gegebenenfalls eine Reaktion seitens des Rezipienten herauszufordern, Girnth bezeichnet diese Funktion als Einstellungspolarisierung des Rezipienten (s. Girnth 2002: 57). In (5) werben die Piraten mit Symbol – und Schlagwörtern (hierzu näher in Kap. 4.2) für die Leitmotive ihrer Partei:
(5) „Demokratie. Transparenz. Bürgerrechte.“ (Piraten)
2. Emotionalisierung als persuasive Strategie
2.1 Persuasion – eine Begriffsklärung
Bevor ich näher auf die Emotionalisierung als persuasive Strategie eingehe, möchte ich zunächst den Begriff Persuasion kurz erläutern und in den Kontext setzen.
Das Lexem persuasiv kann als „überredend, überzeugend“[3] übersetzt werden und sollte möglichst nicht mit dem Lexem manipulieren gleichgesetzt werden, da dieses eher negativ konnotiert und dessen semantischer Gehalt durch „[…] jemanden ohne sein [/ihr] Wissen und oft gegen seinen [/ihren] Willen beeinflussend“ (vgl. Janich 2005: 85) definiert werden kann. Wahlplakate sind öffentlich und frei zugänglich, der Rezipient kann daher frei entscheiden, ob er/sie sich auf den Kommunikationsakt einlässt oder nicht. Die Autorin Beate Mikoƚajczyk setzt für einen Akt der Persuasion eine intendierte Meinungs- bzw. Verhaltenssteuerung voraus (s. Mikoƚajczyk 2004: 37). Sobald dies gegeben ist, wird die „persuasive Absicht […] dann als unabdingbare Anfangsannahme bewertet, auf deren Grundlage eine Äußerung/ein Text produziert wird“ (vgl. Mikoƚajczyk 2004: 37). Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel liefert hierzu folgende passende Erweiterung des Konzeptes der Persuasion hinsichtlich der sprachlichen Realisierung:
„Je nach Textgestaltung und -information entsteht eine kognitive Zwischenebene, die den Weltausschnitt auf eine sehr spezifische Weise repräsentiert“ (vgl. Schwarz-Friesel 2007: 223). Diese Art der Darstellung verstößt zumeist gegen das Kriterium der Objektivität und Neutralität. Die Persuasion ist „[…] intentional auf eine bestimmte Wirkung ausgerichtet“ (vgl. Schwarz-Friesel 2007: 223).
Abschließend kann zur Definition des Terminus Persuasion festgehalten werden, dass Persuasionsversuche ebenfalls von diversen motivationalen Faktoren abhängig sind, wie z. B. dem Interesse, der persönlichen Relevanz und dem entsprechenden Vorwissen des Rezipienten für das jeweilige Thema (s. Reinemann, Maurer 2010: 240). Reinemann und Maurer gehen davon aus, dass der Rezipient die zur Verfügung stehenden Informationen selektiv verarbeitet und mit bereits bestehenden Einstellungen und Vorwissen vergleicht bzw. abgleicht (s. Reinemann, Maurer 2010: 242). Dies würde bedeuten, dass Rezipienten mit weniger politischem Vorwissen bzw. Interesse und einer weniger klar definierten politischen Einstellung, von den Wahlplakaten schneller beeinflusst werden könnten als Rezipienten, die bereits eine politische Orientierung haben. Das Persuasionspotential wäre bei ihnen dementsprechend höher.
In dieser Arbeit soll jedoch nur die Emotionalisierung als persuasive Strategie im Fokus der Untersuchungen stehen und weitere persuasive Strategien weitestgehend außer Acht gelassen werden.
2.2 Emotionalisierung durch Empathie
Die Emotionalisierung des Rezipienten kann besonders durch das Hervorrufen von Empathie erfolgen. Das Empfinden von Empathie setzt voraus, dass eine Person einschätzen und bewerten können muss, wie sich eine andere Person fühlt und welche Emotionen diese auf den gegebenen Sachverhalt bezogen erlebt. Die von Scherer als „Komotionen“[4] bzw. „Mit-Emotionen“ beschriebenen Emotionen, können entweder als erwünscht oder unerwünscht gelten. Gilt der dargestellte Sachverhalt für uns als erwünscht, werden bei uns die Emotionen der „Mitfreude“ bzw. die des „Neides“ ausgelöst, der Rezipient solidarisiert sich. Gilt der Sachverhalt hingegen als unerwünscht, werden Emotionen des „Mitleides“ bzw. der „Schadenfreude“ hervorgerufen, der Rezipient distanziert sich emotional vom Referenzobjekt (s. Zisler 2006: 38). Ob wir uns mit einem Wahlplakat bzw. einer Partei identifizieren können, bedingt sich immer auch mit unseren eigenen Zielen, Vorstellungen und Wünschen.
3. Strategien der Wahlwerbung und deren Emotionspotential
Bei der Konzeption und Ausarbeitung meines Themas hatte ich zunächst überlegt, den sprachlichen Mitteln entsprechende Teilfunktionen der Wahlwerbestrategien zuzuordnen, mich jedoch bewusst dagegen entschieden. Denn wie Janich ebenfalls bemerkte, versperren die vorherigen Zuordnungen der sprachlichen Mittel „[…] den Blick auf den Einzelfall […] und [führen] zu nachlassender Sorgfalt bei der Interpretation“ (vgl. Janich 2005: 86). Daher möchte ich in den Kapiteln 3.1 und 3.2 zunächst die verschiedenen Wahlwerbestrategien und deren Teilfunktionen erläutern und erst in Kap. 4 gezielt auf die sprachlichen Realisierungen eingehen.
Anhand der Untersuchungen meines Korpus konnte ich feststellen, dass die Parteien verschiedene Strategien der Wahlwerbung verfolgten. Während zum Beispiel SPD, Piraten und Grüne den Schwerpunkt auf eine positive Selbstdarstellung legten,
[...]
[1] Pavio, A. 1979: 34, In: Geise, S., Brettschneider, F., 2010: 73.
[2] „Die Nomination weist über die kommunikative Bestimmtheit von Referenzobjekten hinaus, indem sie die Einstellung des Politikers zum bezeichneten Referenzobjekt zum Ausdruck bringt“ (vgl. Girnth 2002: 56).
[3] Hell, I. (Chefradeaktion), 2002. Großes Wörterbuch. Fremdwörter. Artikel: persuasiv (Adj.). München: Compact. 432.
[4] Scherer, K. R., 1998: 280-282. In Holtz-Bacha, C., Lessinger, E.-M., 2010: 143.
- Quote paper
- Maria Fischer (Author), 2012, Emotionen im Wahlkampf, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212034
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