Die Tatsache, dass die Versorgung Sterbender in enormem Maße an den Anstrengungen des institutionellen Personals ausgerichtet ist, führt häufig zu Problemen. Nicht nur die unzureichenden Rahmenbedingungen wie Personalknappheit und damit einherschreitender Zeitmangel, sondern auch Unsicherheiten seitens der Angehörigen und der professionellen Helfer erschweren die Situation im Altenheim (vgl. ZWETTLER 2001).
So hat sich der Personalschlüssel in den Altenheimen in den letzten Jahren zwar erhöht, ein Optimum wurde dadurch jedoch noch nicht erreicht. In Zeiten leerer Kassen scheint dieses Problem beinahe unlösbar. Vergessen werden sollte aber nicht, dass es nicht nur um die ältere Generation in der Gesellschaft geht, sondern auch um unsere Zukunft.
Häufig, so auch die Meinung von Kostrzewa und Kutzner (2002), stehen die professionellen Pfleger, die sich beruflich mit Sterben und Tod auseinandersetzen müssen, nicht nur unter Zeitdruck, sondern sind auch unzureichend vorbereitet. Die Folge sind, wie erwähnt, Unsicherheit und ebenso Angst in Bezug auf die Richtigkeit des eigenen Handelns und Verhaltens, auch im Gespräch mit Sterbenden.
Das pädagogische Anliegen dieser Arbeit ist es, diese Ängste und Unsicherheiten des Personals zu beleuchten und Vorschläge zu deren Behebung vorzubringen, damit die Belastungen für Pflegende und Sterbende vermindert werden können. In diesem Zusammenhang soll auch erforscht werden, welche Wünsche die Bewohner eines Altenheims haben und welche Ängste sie vor dem Sterben hegen.
Die Arbeit hat keinesfalls das Anliegen, eine ideale Art des Sterbens zu propagieren, allenfalls will sie unterstreichen, dass der Mensch im Sterben ein Recht auf Autonomie und Respekt besitzt. Auch wenn es das eigene Sterben im Sinne einer freien, individuellen Selbstbestimmung freilich nicht geben kann, so kann aber dem Recht des einzelnen nachgekommen werden, sein Sterben so weit wie nur irgend möglich selbst zu gestalten. Dies bietet im Altenheim die Chance, einerseits den Bewohnern eine positive Perspektive und den Sterbenden einen würdevollen Tod zu geben, andrerseits ermöglicht es den Pflegenden eine zufriedenstellende Sterbebetreuung.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Aufbau der Arbeit
3. Tod und Sterben
3.1 Begriffliche Definitionen
3.1.1 Der Tod
3.1.2 Das Sterben
3.1.3 Würde
3.2 Der Wandel im Umgang mit Sterbenden
3.2.1 Der Tod im Mittelalter
3.2.2 Der Tod in der Moderne
3.2.3 Verdrängung und Pazifizierung des Todes
4. Die Institution Altenheim als Sterbeort
4.1 Gründe für die Ausgliederung des Sterbens aus dem familiären Bereich in den Altenhilfebereich
4.1.1 Das Pflegeheim als Abschiebeort
4.1.2 Gesellschaftsstrukturelle Gründe
4.1.3 Medizinisch-technische Gründe
4.2 Die Altenhilfeeinrichtungen in Deutschland
4.2.1 Strukturmerkmale der stationären Einrichtungen der Altenhilfe
4.2.2 Bewohnerstruktur
4.2.3 Personalstruktur
4.2.4 Pflegequalität und Pflegestandards
4.3 Die Institutionalisierung alter Menschen in Heimen
4.3.1 Die totale Institution nach Goffman
4.3.2 Das Altenheim als totale Institution
5. Sterbeverlauf und Bedürfnisstruktur Sterbender
5.1 Problemverständnis und Prozessverlauf beim Sterben
5.1.1 Prozessbeschreibung von Glaser und Strauss
5.1.2 Phasenmodell von Kübler-Ross
5.1.3 Sterbeverlaufskonzept von Kruse
5.1.4 Fazit zu den Konzeptionen
5.2 Bedürfnisse und Modelle der Bedürfnisbefriedigung von Sterbenden
5.2.1 Die Bedürfnisse Sterbender
5.2.2 Hospizwesen und Palliativmedizin als Modelle der Bedürfnisorientierung
6. Das Konfliktfeld Sterben und Institution
6.1 Institutionelle Vorgaben
6.2 Perspektive der Bewohner
6.3 Perspektive des Personals
7. Zusammenfassung des Theorieteils
8. Fragestellungen
9. Methodenteil
9.1 Das Untersuchungsfeld Alten- und Pflegeheim
9.1.1 Bauliche Gegebenheiten im Argula-von-Grumbach-Haus
9.1.2 Das Personal des Argula-von-Grumbach-Hauses
9.1.3 Die Bewohner des Argula-von-Grumbach-Hauses
9.2 Methodisches Vorgehen der Untersuchung
9.2.1 Gestaltung der Interviewsituation
9.2.2 Die Stichprobe
9.3 Die Untersuchungsinstrumente und Auswertungsmethodik
9.3.1 Interview-Leitfaden für die Mitarbeiterbefragung
9.3.2 Interview-Leitfaden für die Bewohnerbefragung
9.3.3 Auswertungsmethodik
9.4 Die Gütekriterien der qualitativen Untersuchung
9.4.1 Die Untersuchung im Hinblick auf die Gütekriterien
9.4.2 Kritik an den klassischen Gütekriterien
9.4.3 Sechs allgemeine Gütekriterien qualitativer Forschung nach Mayring (2002)
10. Ergebnisse der Inhaltsanalyse der Mitarbeiterinterviews
10.1 Thematisierung von Sterben und Tod im Altenheim
10.1.1 Allgemeiner Umgang mit Sterben und Tod
10.1.2 Einschätzung der Bewohnersicht auf deren Sterben und Tod
10.1.3 Eingeschätzte Belastung der Bewohner durch Sterben und Tod von Mitbewohnern
10.2 Eruierung der Bewohnerwünsche zur Sterbebetreuung
10.2.1 Konkrete verbale Wunschäußerung seitens der Bewohner und Angehörigen
10.2.2 Wunschermittlung durch Beobachtung und Erfahrung
10.3 Praktische Umsetzung der Sterbebetreuung
10.3.1 Vorgehen beim Sterbenden
10.3.2 Vorgehen bei der Versorgung der Toten
10.4 Die Rolle der Angehörigen
10.4.1 Die Angehörigen als Hilfestellung in der Sterbebetreuung
10.4.2 Die Angehörigen als entscheidende Instanz
10.4.3 Die Angehörigen als Trauernde und Störfaktoren in der Pflege
10.5 Belastungen und Probleme durch Sterben und Tod für das Pflegepersonal
10.5.1 Belastung durch persönliche Disposition und Eingebundenheit
10.5.2 Belastung in Abhängigkeit von der Art des Todes
10.5.3 Belastung durch pflegerische Aufgaben und Tätigkeiten in der Sterbebetreuung
10.6 Hilfen und Stützen für Pflegepersonal
10.6.1 Externe psychohygienische Hilfestellungen
10.6.2 Interne psychohygienische Hilfestellungen
10.6.3 Sonstige Stützen
10.7 Ideen, Zielvorstellungen und Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter zur Sterbebetreuung
10.7.1 Mitarbeiterziele in der Sterbebetreuung
10.7.2 Verbesserungsvorschläge zur Sterbebetreuung im Altenheim
10.8 Zusammenfassung der Mitarbeiterbefragung
11. Ergebnisse der Inhaltsanalyse der Bewohnerinterviews
11.1 Thematisierung von Sterben und Tod
11.1.1 Kenntnis über Sterben und Tod im Altenheim
11.1.2 Wissen um Vorsorgemöglichkeiten
11.2 Belastungen durch Krankheit, Sterben und Tod
11.2.1 Belastungen durch Krankheit, Sterben und Tod anderer Bewohner
11.2.2 Antizipation des eigenen Todes
11.2.3 Bewertung des Sterbeortes „Altenheim“
11.3 Wünsche zur Sterbebetreuung, Sterben und Tod
11.3.1 Wünsche und Ängste beim Sterben
11.3.2 Wünsche zur psychosozialen Sterbebetreuung
11.3.3 Wünsche und Ängste über den Tod hinaus
11.4 Bewertung der Sterbebetreuung und Verbesserungsvorschläge
11.4.1 Bewohnersicht auf Pflege und medizinische Versorgung Sterbender
11.4.2 Wissen um Sterbebetreuung und ihre Grenzen
11.4.3 Vorstellungen zur idealen Sterbebetreuung
11.5 Die Rolle der Angehörigen
11.5.1 Die Angehörigen als Ansprechpartner und Entscheidungsträger
11.5.2 Die Rolle der Angehörigen in der Sterbephase
11.6 Zusammenfassung der Bewohnerinterviews
12. Diskussion der Ergebnisse
12.1 Problemfelder
12.1.1 Sterben und Tod als Tabus im Altenheim
12.1.2 Belastungen im Altenheim
12.1.3 Situation der Angehörigen
12.2 Verbesserungsvorschläge
12.2.1 Umgang mit den Tabus Sterben und Tod
12.2.2 Belastungsbewältigung und Trauerarbeit
12.2.3 Arbeit mit Demenzkranken
12.2.4 Vorschläge zur Sterbebetreuung
12.2.5 Die Verbesserungsvorschläge im Überblick
13. Schlussbetrachtung
14. Literaturverzeichnis
15. Anhang
15.1 Beschreibung einer Sterbesituation im Altenheim
15.2 Interviewleitfaden – Bewohner
15.3 Interviewleitfaden – Mitarbeiter
15.4 Kategorienübersicht der Mitarbeiterdaten
15.4.1 Übersicht: Thematisierung von Sterben und Tod im Altenheim
15.4.2 Übersicht: Eruierung der Bewohnerwünsche
15.4.3 Übersicht: Praktische Umsetzung der Sterbebetreuung
15.4.4 Übersicht: Die Rolle der Angehörigen
15.4.5 Übersicht: Belastungen und Probleme durch Sterben und Tod für das Pflegepersonal
15.4.6 Übersicht: Hilfen und Stützen für das Pflegepersonal
15.4.7 Übersicht: Ideen, Zielvorstellungen und Verbesserungsvorschläge der Mitarbeiter zur Sterbebetreuung
15.5 Kategorienübersicht der Bewohnerdaten
15.5.1 Übersicht: Thematisierung von Sterben und Tod
15.5.2 Übersicht: Belastungen durch Krankheit, Sterben und Tod
15.5.3 Übersicht: Wünsche zur Sterbebetreuung, Sterben und Tod
15.5.4 Übersicht: Bewertung der Sterbebetreuung und Verbesserungsvorschläge
15.5.5 Übersicht: Die Rolle der Angehörigen
15.6 Übernommener QM-Standard des Argula-von-Grumbach-Hauses zur Pflege Sterbender
15.7 Übernommener QM-Standard des Argula-von-Grumbach-Hauses im Todesfall
15.8 Übernommener QM-Standard des Argula-von-Grumbach-Hauses im Todesfall - Anlage
TABELLEN- UND DARSTELLUNGSVERZEICHNIS:
Darstellung 1: Pflegebedarf von Bewohnern in Alteneinrichtungen
Tab. 1: Beschäftigte in stationären Pflegeeinrichtungen nach Beschäftigungsumfang
Tab. 2: Vollarbeitskräfte nach Berufsgruppen je 100 Bewohner
Tab. 3: Handlungsspielräume der Bewohner von Alteneinrichtungen, 1994
Tab. 4: Personalberechnung nach den gesetzlichen Vorgaben
Tab. 5: Personal: Soll-Ist-Vergleich im AvGH
Tab. 6: Personalstand im AvGH
Darstellung 2: Pflegestufenverteilung
Tab. 7: Durchschnittliche Verweildauer im AvGH bis zum Tod
Darstellung 3: Sterbeorte der Bewohner des AvGH
Tab. 8: Stichprobenzusammensetzung „Mitarbeiter“
Tab. 9: Stichprobenzusammensetzung „Bewohner“
Vorwort
Vor fünf Jahren leistete ich im Altenheim „Argula-von-Grumbach-Haus“ meinen dreizehnmonatigen Zivildienst ab. Die pflegerische Tätigkeit in diesem Haus nahm ich als mir zugeteilte Arbeit an, ohne mir im Vorfeld klare Gedanken darüber gemacht zu haben. Erst im Verlauf dieses Dienstes, setzte ich mich mit den Tätigkeiten und dem Nutzen für den Menschen, für die Bewohner auseinander. Notgedrungen auch mit dem für mich vollkommen neuen Lebensbereich des Sterbens und des Todes. Bis dato hatte ich mir zwar Gedanken zum Tod gemacht, die Perspektive die alte Menschen darauf haben, wurde mir aber erst jetzt vor Augen geführt. Ich wusste nicht, wie man mit diesem Bereich des Lebens umgehen sollte, ob und wie man mit den Bewohnern darüber sprechen sollte. Also reagierte ich mit Verdrängung und Wegschauen.
Das Argula-von-Grumbach-Haus bot mir nach meiner Zeit als Zivildienstleistender eine Stelle als geringfügig Beschäftigter. Während meines vierjährigen Studiums arbeitete ich nun vornehmlich am Wochenende im Altenheim und erwarb mir dadurch sehr viel Wissen über die Abläufe, Aufgaben und Probleme im Heimalltag. Das Sterben von Bewohnern war für mich in dieser Zeit häufig mit einem unguten Gefühl verbunden und damit auch ein häufiges Thema im Gespräch.
Eine berufliche Weiterbildung im Mai 2002 ließ mich schließlich meine wissenschaftliche Arbeit auf das institutionelle Sterben fokussieren. Einerseits sollte diese Fortbildung Altenpflegekräfte im Umgang mit Sterbenden schulen und ihnen Möglichkeiten bieten mit der eigenen Unsicherheit, Angst und Hilflosigkeit umgehen zu lernen. Andrerseits sollte sie unter anderem, Möglichkeiten aufzeigen, den Sterbenden individuell zu begleiten. Und somit helfen, dem Sterben und der Sterbebegleitung mehr Platz in der Organisation einzuräumen. Dies gab den Ausschlag für mich zu untersuchen, wie sich die Sterbebetreuung im Altenheim darstellt.
Bei der Erstellung der Arbeit bekam ich von vielen Seiten Hilfe und Unterstützung, für die ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken will. Besonders zu erwähnen ist hier Sandra Weber, die die Arbeit ständig begleitet hat. Aber auch Herr Richard Ranker, der Leiter des Altenheims Argula-von-Grumbach-Haus, der immer bereit war seine Zeit für mich zu opfern. Ein Danke geht darüber hinaus an Frau Ingrid Wurst, die die Arbeit mehrfach durchgeprüft hat und selbstverständlich an all die, die an der Befragung teilgenommen haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Die Tatsache, dass die Versorgung Sterbender in enormem Maße an den Anstrengungen des institutionellen Personals ausgerichtet ist, führt häufig zu Problemen. Nicht nur die unzureichenden Rahmenbedingungen wie Personalknappheit und damit einherschreitender Zeitmangel, sondern auch Unsicherheiten seitens der Angehörigen und der professionellen Helfer erschweren die Situation im Altenheim (vgl. ZWETTLER 2001).
So hat sich der Personalschlüssel in den Altenheimen in den letzten Jahren zwar erhöht, ein Optimum wurde dadurch jedoch noch nicht erreicht. In Zeiten leerer Kassen scheint dieses Problem beinahe unlösbar. Vergessen werden sollte aber nicht, dass es nicht nur um die ältere Generation in der Gesellschaft geht, sondern auch um unsere Zukunft.
Häufig, so auch die Meinung von Kostrzewa und Kutzner (2002), stehen die professionellen Pfleger, die sich beruflich mit Sterben und Tod auseinandersetzen müssen, nicht nur unter Zeitdruck, sondern sind auch unzureichend vorbereitet. Die Folge sind, wie erwähnt, Unsicherheit und ebenso Angst in Bezug auf die Richtigkeit des eigenen Handelns und Verhaltens, auch im Gespräch mit Sterbenden.
Das pädagogische Anliegen dieser Arbeit ist es, diese Ängste und Unsicherheiten des Personals zu beleuchten und Vorschläge zu deren Behebung vorzubringen, damit die Belastungen für Pflegende und Sterbende vermindert werden können. In diesem Zusammenhang soll auch erforscht werden, welche Wünsche die Bewohner eines Altenheims haben und welche Ängste sie vor dem Sterben hegen.
Die Arbeit hat keinesfalls das Anliegen, eine ideale Art des Sterbens zu propagieren, allenfalls will sie unterstreichen, dass der Mensch im Sterben ein Recht auf Autonomie und Respekt besitzt. Auch wenn es das eigene Sterben im Sinne einer freien, individuellen Selbstbestimmung freilich nicht geben kann, so kann aber dem Recht des einzelnen nachgekommen werden, sein Sterben so weit wie nur irgend möglich selbst zu gestalten. Dies bietet im Altenheim die Chance, einerseits den Bewohnern eine positive Perspektive und den Sterbenden einen würdevollen Tod zu geben, andrerseits ermöglicht es den Pflegenden eine zufriedenstellende Sterbebetreuung.
Darüber hinaus hat diese Arbeit das Anliegen, weitere pädagogische Forschung in diesem Bereich anzuregen. Die pädagogische Auseinandersetzung scheint hier Nachholbedarf zu haben, überblickt man die wenigen Veröffentlichungen oder die nicht vorhandene Thematisierung in entsprechenden Lexika.
Vor diesem Hintergrund wird in dieser Arbeit das Thema Sterben im Altenheim am Beispiel „Argula-von-Grumbach-Haus“ in Nittendorf bei Regensburg untersucht. Zentral wird hier der Frage nachgegangen, inwieweit das Haus auf seine Aufgabe der Sterbebetreuung vorbereitet ist. Folgende weitere Fragen sollen dabei besondere Beachtung finden: Welche Gefühle und Vorstellungen verbinden die Bewohner mit dem eigenen Tod? Inwieweit haben sich die Bewohner damit auseinandergesetzt? Wie erleben sie das Sterben von Mitbewohnern?
Auf der anderen Seite soll aber auch das Erleben des Sterbens im „Argula-von-Grumbach-Haus“ seitens der Mitarbeiter untersucht werden. Wie erleben sie psychische Not der Sterbenden und welche Gefühle leiten sie bei der Betreuung von Sterbenden?
Die Lebensbedingungen in diesem Altenheim können dabei nicht vernachlässigt werden. Deshalb werden allgemeine Begebenheiten, Arbeitsabläufe oder auch Bewohnerzufriedenheit mit einfließen, da davon auszugehen ist, dass das Arbeitsfeld und die Lebensumwelt einen wesentlichen Anteil an einem würdevollen und weitgehend selbstbestimmten Sterben haben.
Schließlich geht es in der vorliegenden Arbeit darum, mögliche Defizite im Bereich der Sterbebetreuung im "Argula-von-Grumbach-Haus" ausfindig zu machen und eventuell Maßnahmen zu deren Behebung zu bieten, die einer Verbesserung zuträglich sein können.
2. Aufbau der Arbeit
Der Inhalt dieser Arbeit teilt sich in einen Theorieteil, der die Kapitel 3 bis 7 umfasst, und einen Empirieteil, der in den Kapiteln 8 bis 13 dargestellt wird.
Der theoretische Teil soll das thematische Grundgerüst für das Forschungsvorhaben bilden.
Hinführend zur Situation im Altenheim werden zunächst konkrete gesellschaftliche Bezüge erläutert, die maßgeblich die Sterbebetreuung beeinflussen. Diese Bezüge sind als historisch gewachsen zu verstehen. Daher setzt sich Kapitel 3 zunächst mit einer begrifflichen Definition von Tod und Sterben auseinander. In diesem Zusammenhang findet auch der häufig konnotierte Begriff der „Würde“ besondere Beachtung.
Diese scheinbar eindeutigen Begriffe unterliegen einem gesellschaftlichen Wandel, der sich seit dem Mittelalter vollzogen hat (Kapitel 3.2). Es wird beschrieben, wie sich das Phänomen „Tod“ im europäischen Mittelalter gestaltete und wie die Menschen mit Sterben und Tod umgingen. Dem gegenübergestellt wird der Tod in der Moderne: wie geht die Gesellschaft heute mit dem Tod und mit Sterbenden um. Die veränderten Bedingungen werden beschrieben und moderne Phänomene der Antizipation des Todes betrachtet.
In Kapitel 4 wird die Frage nach möglichen Gründen für die Ausgliederung des Sterbens aus dem familiären Bereich gestellt. Genannt werden gesellschaftsstrukturelle und medizinisch-technische Gründe, während der These, die Alten unserer Gesellschaft würden in Heime abgeschoben, widersprochen wird (4.1). Da die Qualität der Sterbebetreuung in entscheidendem Maß auch von äußerlichen Gegebenheiten abhängt, geht Kapitel 4.2 ausführlich auf Strukturmerkmale in deutschen Altenhilfeeinrichtungen ein. Entscheidend beeinflussen hier bauliche Gegebenheiten, Bewohnerstruktur und personelle Ausstattung das Umfeld, in dem Sterbebetreuung stattfindet. Die vorgestellten Eckdaten sollen die Rahmenbedingungen des Sterbens in Altenheimen veranschaulichen. In diesem Zusammenhang wird auch aufgezeigt (4.2.4), inwieweit gesetzliche Vorgaben die Pflegequalität und Pflegestandards im Altenheim beeinflussen.
Im Anschluss an die strukturelle Darstellung der Institution Altenheim wird versucht zu analysieren, welche Handlungsspielräume Heimbewohnern zur Verfügung stehen bzw. zugebilligt werden (Kapitel 4.3). Die Frage, ob das moderne Altenheim immer noch totalen Charakter im Goffman’schen Sinn besitzt, ist deshalb zentral, weil sie entscheidenden Einfluss auf ein selbstbestimmtes Sterben hat. Nur ein Altenheim, das ein eigenverantwortliches Leben der Bewohner zulässt und fördert, kann in der Konsequenz selbstbestimmtes Sterben zulassen.
Kapitel 5 befasst sich mit Konzepten zum Sterbeverlauf und zur Bedürfnisstruktur von Sterbenden. Vorgestellt werden hier die Arbeiten zum Sterbeverlauf von Glaser und Strauss (1974 in GROSS 2000), von Kübler-Ross (2001) und Kruse (2001). Anschließend werden grundlegende Bedürfnisse von Sterbenden herausgearbeitet, die im Modell des Hospizes und der Palliativmedizin berücksichtigt werden.
Im Kapitel 6 werden Sterbeverlauf und Bedürfnisstruktur von Sterbenden in den Kontext der Institution Altenheim gestellt: das Konfliktfeld Sterben und Institution und die sich daraus ergebende Problemstellung.
Die im theoretischen Teil erarbeiteten Ergebnisse werden in Kapitel 7 zusammengefasst.
Zum empirischen Teil:
Nach der detaillierten Formulierung der Forschungsfragen dieser Arbeit (Kapitel 8) beschreibt Kapitel 9 die Grundvoraussetzungen der Untersuchung: das Untersuchungsfeld; das Untersuchungsdesign und die Instrumente sowie die Bedeutung der Gütekriterien. Es folgt die Darstellung der Ergebnisse auf Mitarbeiterseite. Das gewonnene Datenmaterial wird hier aufgeteilt in sieben Kategorien vorgestellt (Kapitel 10). Anschließend (Kapitel 11) werden die Ergebnisse auf Bewohnerseite vorgestellt, dieses Datenmaterial wird gegliedert in fünf Kategorien. Die wichtigsten Befunde im Mitarbeiter- und Bewohnerbereich werden jeweils nochmals zusammengefasst, bevor die gefundenen Problemfelder diskutiert werden. Es geht dabei auch um den Versuch, mögliche Interventionen vorzuschlagen, die gegebenenfalls evaluativ überprüft werden müssen.
Eine Zusammenfassung der Befunde und eine Schlussbetrachtung dieser Forschungsarbeit findet sich in Kapitel 13.
Kapitel 14 und 15 enthalten den Anhang und die Literaturliste.
In dieser Arbeit wird von Bewohnern, Pflegern, Pflegehelfern, Befragten und Untersuchungsteilnehmern die Rede sein. Hier sind die weiblichen und männlichen Vertreter dieser Gruppe gemeint. Auf den Zusatz „Innen“ wird der Einfachheit halber verzichtet.
3. Tod und Sterben
3.1 Begriffliche Definitionen
Auf den ersten Blick mag es unnötig erscheinen, die Begriffe „Sterben“ und „Tod“ zu definieren. Dennoch wird bei genauerer Betrachtung klar, dass sich der Übergang vom Sterben zum Tod noch keinesfalls abschließend definieren lässt. Eine genauere Definition der Begriffe ist somit unumgänglich. Ähnlich trifft dies auch beim Begriff „Würde“ zu. Das Verständnis dieser Begriffe im Lauf dieser Arbeit wird deshalb im folgenden definiert.
3.1.1 Der Tod
In heutiger Zeit betrachtet man den Tod als gegeben, wenn die lebenswichtigen Funktionen von Atmung und Herzschlag aussetzen.
Der Absolutheitscharakter dieser Anzeichen wurde aber mit den Fortschritten in der Medizin in Frage gestellt, da es durch neuere Techniken immer besser gelang, den Kreislauf und die Atmung mit künstlichen Mitteln aufrechtzuerhalten.
In neuerer Zeit hat sich deshalb allgemein die Definition des Hirntodes durchgesetzt. Er wird diagnostiziert, wenn bei zweimaliger Messung der Hirnströme eine „Nulllinie“ auftritt, also keine Ströme messbar sind.
Im Gegensatz dazu besitzt der biologische Tod den objektiv absolutesten Charakter. Hier lassen sich deutliche körperliche Anzeichen ausmachen. Die sicheren Todeszeichen eines biologischen Todes sind Totenflecken und Leichen- oder Totenstarre.
Im eigentlichen Sinne lenken diese Definitionen aber vom Thema ab, da sich diese Arbeit mit subjektiven Realitäten befasst. Es kann also auf die weitere Beschreibung der verschiedenen medizinischen Todesdefinitionen verzichtet werden. Der Tod wird in der Arbeit als das Ende des irdischen Lebens gesehen.
3.1.2 Das Sterben
Das Sterben als Vorstufe zum Tod wird als Prozess angesehen. Meist wird der Beginn des Sterbens frühzeitig von Ärzten und anderen professionellen Kräften erkannt. Für die Medizin ausschlaggebende Zeichen, die den herannahenden Tod ankündigen, sind nach Köther und Gnamm (2000, S. 808):
Rascher, schwacher, unregelmäßiger Puls
Erhöhte Temperatur, evtl. hohes Fieber
Kalter, klebriger Schweiß
Kalte Extremitäten
Weißes Nasen-Mund-Dreieck
Blasse oder bläulich marmorierte Haut
Oberflächliche, unregelmäßige, erschwerte Atmung (Cheyne-Stokes-Atmung, Schnappatmung)
Blutdruckabfall
Zunehmende Apathie, Somnolenz oder Bewusstlosigkeit oder
Motorische Unruhe, Angst, Verwirrtheit
Diese Anzeichen treten wenige Stunden bis Tage vor dem Tod auf. Der Beginn des Sterbens kann allerdings auch an anderen Punkten festgemacht werden. So bietet der Soziologe Schmied (1985, in KOSTRZEWA/KUTZNER 2002, S. 14) fünf Definitionen an, wann von Sterben gesprochen werden kann:
Das Sterben beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arzt Symptome erkennt, die den Tod in Aussicht stellen. Der Arzt definiert auf Grund seiner Erkenntnis den Betroffenen als Sterbenden, obwohl sich dieser der Tatsache nicht bewusst sein muss.
Eine Person wird dann zum Sterbenden, sobald sie sich über die Erkrankung mit den Angehörigen oder Nahestehenden austauscht und sich die „Eingeweihten“ gegenüber dem Betroffenen in einer bestimmten Form verhalten. Bei dieser Definition kommt die soziale Komponente stark zum Tragen.
Das Sterben beginnt, sobald sich der Patient der Fakten bewusst wird oder sie akzeptiert.
Das Sterben beginnt zu dem Zeitpunkt, zu dem die Medizin den Patienten aufgibt und nichts mehr getan wird, um das Leben zu erhalten.
Das Sterben beginnt, wenn der Betroffene beginnt, sich zu verabschieden.
Schmieds (1985) Definitionen zeigen die Vielschichtigkeit des Sterbens und zugleich die starke Prägung des Begriffs „Sterben“. Der Beginn des Sterbens ist somit kulturell geprägt und damit einem Wandel unterzogen. Dieser Wandel wird im Punkt 3.2 dieser Arbeit verdeutlicht werden.
3.1.3 Würde
Häufig wird in dieser Arbeit davon gesprochen, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder die Würde des Menschen zu wahren. Ebenso findet die Wahrung der Würde auch ihren Ausdruck im Heimgesetz: „Ein Heim darf nur betrieben werden, wenn der Träger und die Leitung die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigung schützen“ (05.11.2001, §11,1). Eine tiefergehende Differenzierung des Begriffs „Würde“ findet nicht statt.
In dieser Arbeit soll die Objektformel von Dürig (1956) zur Erklärung der Würde dienen. So wird die Würde des Menschen herabgesetzt, sobald er vom Subjekt zum reinen Objekt, zum Mittel wird.
Das bedeutet, der Mensch verliert seine Würde, wenn er seiner Autonomie beraubt und fremdbestimmt wird. Die freie menschliche Persönlichkeit soll auf der höchsten Stufe der Wertordnung stehen. Auch wenn es in guter Absicht geschieht, darf nicht in die Selbstbestimmtheit eingegriffen werden, solange der Mensch in seinem Vernunftgebrauch nicht eingeschränkt ist. Hier handelt es sich beispielsweise bei Demenzkranken sicherlich um eine Gratwanderung. Dennoch muss die Integrität des Menschen, auch wenn ihm in diesem Fall Schranken auferlegt werden müssen, unbedingt gewahrt bleiben und geachtet werden.
„Die Menschenwürde zu achten bedeutet, in jedem Menschen einen Wert in sich selbst anzunehmen, der von äußeren Merkmalen unabhängig ist und unter allen Umständen respektiert sein will. Würde zu haben bedeutet, um seiner selbst, nicht um fremder Zwecke willen in der Welt zu sein, einzigartig, d.h. nicht durch irgendein `Äquivalent` ersetzbar zu sein" (PRAETORIUS/SALADIN 1996, S. 29).
3.2 Der Wandel im Umgang mit Sterbenden
Der Umgang mit Sterbenden und Toten hat im geschichtlichen Verlauf eine Veränderung erfahren. Das Verhalten in Pflege und Betreuung der moribunden Personen ist somit als „historisch gewachsen“ zu verstehen. Der gesellschaftliche Rahmen, in dem diese Veränderungen stattfanden, werden deshalb im folgenden Abschnitt 3.2 näher beleuchtet.
3.2.1 Der Tod im Mittelalter
Aries (2002) stellt sehr anschaulich den Umgang mit dem Tod im Mittelalter dar. Er nennt den Tod zu dieser Zeit den „gezähmten Tod“, da er zum Dasein eines jeden Menschen dazugehörte und dem Menschen als Teil seines Lebens bewusst gewesen sei. Das Individuum, so Aries, war sich seiner Sterblichkeit bewusst. Es hatte ein Gespür für den herannahenden Tod. Lediglich der überraschende Tod war angstbesetzt, wohl unter anderem auf Grund der Androhung der Kirche auf das Fegefeuer für jeden, der das Sterbesakrament nicht erhalten hat.
Aries skizziert ein Bild, das den Tod im Mittelalter idealisiert: Der Mensch konnte den nahenden Tod fühlen. Er setzte sich damit intensiv auseinander. Ein Sterbender legte sich dann in seiner letzten Stunde nieder. Der Priester wurde gerufen und der Sterbende traf seine letzten Entscheidungen, Verfügungen und tat Abbitte, bat um Vergebung seiner Sünden und empfing die Absolution des Priesters. Nachdem alles für ihn wichtige geschehen war, entschlief er friedlich, in der festen Überzeugung, ein anderes, ewiges Leben erwarte ihn. Bis dahin war er umgeben von Angehörigen, Freunden, aber auch Fremden, die dem Priester auf seinem Weg zum Sterbebett folgten. Der „letzte Akt“ verstand sich somit als öffentliche Zeremonie, an der jeder teilhaben konnte. Der Tod im Mittelalter stellt damit ein Ideal des selbstbestimmten, würdevollen und bewussten Abschieds dar.
Ohne Zweifel schwingt bei Aries´ Beschreibung einer für das Mittelalter typischen Sterbesituation nostalgische Verklärung mit. Dennoch hatten die Menschen im Mittelalter eine andere Ausgangssituation als heute. Sie beschäftigten sich notgedrungen mit dem Tod, denn der Tod war nicht nur auf das Alter beschränkt. Hohe Kindersterblichkeit und Kriege hielten den Menschen den Tod und die Endlichkeit des Seins vor Augen. Besonders im 15. und 16. Jahrhundert hielten die Menschen das Sterben für eine Kunst, die es zu erlernen galt. Ausdruck dieses Verständnisses war ein Lehrbüchlein, die „ars moriendi“ – „Die Kunst des Sterbens“.
In der Sterbestunde, so der Glaube, wolle der Teufel noch mit aller Macht der Seele habhaft werden. Die „Ars moriendi“ leistete hier Beistand und gleichzeitig Hilfestellung, um den bösen Mächten zu widerstehen. Das gottwohlgefällige Sterben sollte möglichst allen erreichbar gemacht werden. Die Erfindung der Drucktechnik ermöglichte dann die weite Verbreitung der „Ars moriendi“.
Da die Mehrheit der Bevölkerung aus Analphabeten bestand, waren die „Ars Moriendi“ bildlich dargestellt. Jeder konnte sie verstehen. Dies war deshalb so wichtig, weil es neben dem oben dargestellten idealisierten Tod umringt von der Familie und von Freunden, auch und hauptsächlich einen anderen Tod gab: einen einsamen Tod auf Grund von Infektionskrankheiten wie Pest, Pocken, Fleck- oder Bauchtyphus.
Historische Materialien (vgl. IMHOF 1991) legen nahe, dass die Menschen aus Erfahrung um ansteckende Krankheiten wussten und den Tod und das Totenbett des anderen mieden. Niemand drängte sich um das Sterbebett eines Pest- oder Beulenkranken. Dennoch war im religiösen Sinn kein Todgeweihter alleine. Denn der Großteil der Bevölkerung war gläubig und somit auch überzeugt von einem beschützenden und beistehenden Gott. Der Glaube an einen Gott nahm einen höheren Stellenwert als der Glaube an die Medizin ein.
3.2.2 Der Tod in der Moderne
Anders als vor 500 Jahren stellt der Tod heute beinahe etwas Planbares dar. Er ist nicht mehr allgegenwärtig. Lag damals die durchschnittliche Lebenserwartung bei etwa 25 bis 30 Jahren und starb rund ein Viertel aller Geborenen bereits im ersten Lebensjahr, ein weiteres Viertel im Kindheitsalter (IMHOF 1991, S. 25), so bleiben wir heute bis ins hohe Alter relativ „sicher“ von ihm verschont.
Auch die Sterbephase hat sich verlängert. Krebs, eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland, oder andere Krankheiten führen dank der Fortschritte in der Medizin in der Regel nicht mehr zum plötzlichen Tod, sondern sind schon im Vorfeld erkennbar. Eigentlich könnte dies dem Lernprozess, so wie ihn unsere Vorfahren anstrebten, förderlich sein. Heute besitzt man beinahe ein Recht auf eine bestimmte Lebenszeit und damit eigentlich auch die potenzielle Möglichkeit, sich mit seiner Endlichkeit auseinander zu setzen.
Andrerseits geht die Vorhersagbarkeit des Todes aber mit einer tiefgreifenden Veränderung gesellschaftlicher Gegebenheiten einher. Der Idylle des Todes im Kreise seiner Angehörigen steht nun eine neue Form des Sterbens gegenüber: Der Tod im Krankenhaus oder in einem Alten- und Pflegeheim.
Bedenkt man, dass 55% der terminal Kranken im Krankenhaus und 30% im Altenheim versterben (Statistisches Bundesamt, 2002), scheint ein Tod in einer Organisation ein für Deutschland sogar typischer Tod zu sein. Ausgegliedert aus der Gesellschaft erleiden die multimorbiden, altersschwachen Patienten einen mehrfachen Mangel:
Mangel an unterstützenden Angehörigen
Mangel an institutionellen Ressourcen (Zeitmangel; unzureichende Räumlichkeiten; fehlende Organisationsformen u.v.m.)
Mangel an allgemein verbindlichen ethischen Richtlinien; allgemein akzeptierte ethische Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen für die Versorgung des Sterbenden; religiöse Überzeugung ist zur Privatsache geworden; medizinische Berufsethik orientiert sich noch oft am Ziel der Erhaltung des Lebens unter allen Umständen u.v.m.
(LANGENKAMP 1994, in KOSTRZEWA/KUTZNER 2002, S. 27)
Unter diesen Voraussetzungen ist die Qualität der Versorgung von Patienten mit infauster Diagnose häufig von den Mitarbeitern der Organisationen abhängig.
Der Glaube an die Macht der Medizin und an die Besiegbarkeit aller Krankheiten hat zusätzlich auch einem neuen Sterbeszenario Vorschub geleistet:
„So stirbt der Mensch ganz im Stil unserer Zeit inmitten der hektischen Geschäftigkeit einer supertechnisierten und übermedikamentösen Medizin, in sterilen Räumen, abgeschirmt von der nicht keimfreien Außenwelt nach tagelangem Kampf der Ärzte mit dem Tod. Von jeder Kommunikation mit seinen Angehörigen, Freunden, Bekannten und den Geistlichen etc. abgeschnitten, wird nun erst das Sterben für ihn zur seelischen Qual. Die Intensivstation wird hier zur Hölle der Einsamkeit, zum Absturz der Seele ins Nichts, zur wissenschaftlichen Versuchsstation und Folterkammer, die verhindert, dass der Patient den Sinn seines Sterbens, die Vollendung bzw. den Abschluss seines Lebens erkennen und vielleicht bewältigen kann“ (GEIßLER zitiert nach STARK 1992, S. 8).
Ähnlich wie Aries´ Darstellung des Todes im Mittelalter dürfte aber auch Geißlers Darstellung nicht absolut repräsentativen Charakter besitzen. Den schrecklichen von Maschinen und Ärzten gelenkten Tod erleiden viele Menschen. Dennoch kann nicht von der Regel gesprochen werden. Leider fehlen in diesem Zusammenhang Zahlen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass nur ein gewisser Prozentsatz der etwa 330 000 Personen (HÖFER 1996, S. 6), die jährlich in deutschen Krankenhäusern sterben, diesen Tod erleiden. Geißler erhebt hier sicherlich auch keinen Anspruch darauf, „den“ Tod oder „das“ Sterben in der heutigen Zeit zu beschreiben. Vielmehr beschreibt er Ängste, die durch unser modernes Krankensystem und die vielen technischen Möglichkeiten entstanden sind: unter Schmerzen einen einsamen Tod zu sterben. Denn das Sterben findet immer seltener in der Familie statt.
Die Familien haben sich meist schon vorher räumlich getrennt.
„Durch die Zunahme der vertikalen und horizontalen Mobilität wurde die Familie ‚individualisiert’. Somit besteht sie zuletzt auch häufig nur mehr aus einer Person, der alten Frau, deren Kinder das Heim (und die Familie!) verlassen haben und deren Mann gestorben ist. Die Familie stirbt dann als alte Frau“ (FELDMANN 1990, S. 49).
Die Sterbenden sind auf Grund ihres hohen Alters nicht nur allein, sie haben auch schon lange vorher ihre gesellschaftlichen Rollen Stück für Stück abgegeben. Am Ende steht heute vor dem biologischen Tod der „soziale Tod“ (vgl. SUDNOW 1973, S. 96). Der Mensch verliert seine soziale Signifikanz. Das Umfeld behandelt ihn im wesentlichen als Toten – er wird vom Subjekt zum Objekt und damit zur Unperson.
Vorangetrieben werden diese Entwicklungen dadurch, dass der Tod und das Sterben sukzessive mehr Regelmäßigkeiten gehorcht. Zum Tod führen Krankheiten, die gewöhnlich erst im hohen Alter auftreten. Dies führt zu einem zeitlichen „Rückzug des Todes“ (SPREE zitiert nach GROSS 2001, S. 54) aus dem Leben der Menschen. Gerade dieser späte Tod scheint als der natürliche Tod angesehen zu werden. Verbunden mit „der Absenz von Medizintechnik, [...] Fehlen einer Agonie, [...] Ergebenheit des oder der Sterbenden, die im Schlaf oder im Beisein von Verwandten oder anderen vertrauten Personen in Frieden Abschied nehmen“ (GROSS 2001, S. 55), scheint es der ideale Tod zu sein, der auch durchaus Ähnlichkeit zu Aries Sterbeidylle zeigt. Gleichzeitig findet der seltene Tod in einer Lebensphase statt, die im Vergleich zur aktiven Erwachsenenphase negativ besetzt ist (STRECKEISEN 2001). Der Mensch hat sein Leben gelebt und der Tod eines alten Menschen ist auf Grund seines Alters vorhersehbar. Das Lebensende wird zu einem Übel, gegen das der Mensch ohnehin nichts machen kann. Eine Auseinandersetzung mit dem sterbenden Menschen scheint also nutzlos und daher sinnlos zu sein.
3.2.3 Verdrängung und Pazifizierung des Todes
Der Rückzug des Todes aus der Gesellschaft geht mit einer Verdrängung des Todes einher. Elias (1982) spricht hier zwei Entwicklungen in unserer modernen Gesellschaft an. Zum einen die Entwicklung des Todes hin zu einer Pazifizierung des Todes. So beschützt der moderne Staat den Bürger vor nicht gerechtfertigter Gewalt. Folter, Glaubenskriege, Kerker oder gar Scheiterhaufen existieren in Deutschland seit der frühen Neuzeit nicht mehr. Vieles ist somit kontrollierbar geworden, was zu früherer Zeit höheren Mächten zugeschrieben wurde. Die zweite Entwicklung, die Elias anspricht, ist Folge der ersten: Die soziale und individuelle Verdrängung des Todes. Die soziale Verdrängung beinhaltet die Tendenz, den Tod und die damit zusammenhängenden Aspekte mit einem Scham- und Peinlichkeitsempfinden zu belegen, ähnlich wie dies bei bio-sozialen Gefahren und animalischen Aspekten des Menschenlebens der Fall ist. Die Gesellschaft zieht es vor, über bestimmte Dinge die den Tod betreffen nicht zu sprechen. Elias vergleicht diese Haltung gegenüber dem Tod mit dem Umgang mit Sexualität während des viktorianischen Zeitalters, wohl auch in Anlehnung an Gorers (1977) „Pornographie des Todes“.
Die individuelle Verdrängung, von der Elias spricht, bezieht sich laut Streckeisen (2001) direkt auf den in der Psychoanalyse Freuds konzeptualisierten Abwehrmechanismus der Verdrängung.
„Das Ich verwehrt den Vorstellungen (Phantasien, Bilder, Erinnerungen), die mit einem bestimmten Triebimpuls zusammenhängen, den Zugang zum Bewusstsein und verbannt sie ins Unbewusste. Zwar würde die Befriedigung des Triebes selber Lust bereiten, doch diese Befriedigung würde im Hinblick auf andere Forderungen Gefahr laufen, Unlust hervorzurufen. Die Vorstellungen, die im Zusammenhang mit dem Tod zurückgewiesen werden, sind ursprünglich aggressiver Art, zum Beispiel Todeswünsche gegen den Vater, die Mutter oder Geschwister. Sie lösen Schuldgefühle und Angst vor Strafe aus und führen daher zur Verdrängung. Genau wie Freud stellt Elias zwischen Todesangst und Schuldgefühl eine unmittelbare Verbindung her: die schwere Angst vor dem Tode ist eine Angst vor Strafe“ (STRECKEISEN 2001, S. 36).
Mit Heidegger kann dieser Prozess des Unbewussthaltens der eigenen Sterblichkeit jedoch auch anders erklärt werden:
„Das alltägliche Sein zum Tode ist als verfallendes eine ständige Flucht vor ihm. Das Sein zum Ende hat den Modus des umdeutenden, uneigentlich verstehenden und verhüllenden Ausweichens vor ihm. Dass das je eigene Dasein faktisch immer schon stirbt, das heißt in einem Sein zu seinem Ende ist, dieses Faktum verbirgt es sich dadurch, dass es den Tod zum alltäglich vorkommenden Todesfall bei anderen umprägt, der allenfalls uns noch deutlicher versichert, dass ´man selbst´ ja noch ‚lebt’“ (HEIDEGGER 1993, zitiert nach GROSS 2001, S. 29).
Konstatiert werden kann, dass der eigene Tod aus unserem gesellschaftlichen Raum verschwunden ist. „Die Gesellschaft legt keine Pause mehr ein. Das Verschwinden eines einzelnen unterbricht nicht mehr ihren kontinuierlichen Gang. Das Leben der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe.“ (ARIES 2002, S. 716)
Der Tod wird zum Fremden, wenn überhaupt zum medialen Erlebnis. „Und es gibt die Geschichte von dem kleinen Jungen, der bei der Nachricht vom Tod seines Großvaters die Mutter fragt: Wer hat ihn denn totgeschossen?“ (SPORKEN 1976, S. 12). Der Tod wird zum Bildschirmerlebnis, massenhaft und unpersönlich.
Der wirkliche Tod macht dagegen sprachlos und bekommt keinen Platz im Leben. Er stellt im medizinischen Bereich einen Misserfolg dar und im familiären Bereich ein ausgegliedertes Problem, über das man nicht spricht.
„Während man den Kindern früher weismachte, dass sie in einem Kehlkopf zur Welt kämen, sie aber bei der großen Abschiedsszene am Lager des Sterbenden zugegen sein ließ, weiht man sie heute schon im zartesten Alter in die Physiologie der Liebe ein. Wenn sie aber ihren Großvater nicht mehr zu Gesicht bekommen und sich darüber wundern, erklärt man ihnen, er ruhe in einem schönen Garten mit lauter Blumen“ (GORER zitiert nach STARK 1992, S. 10).
So war das Sterben früher für alle Altersgruppen sichtbar, allgegenwärtig und gleichzeitig artikulierbar. Wohl auch aus Gründen mangelnder Intimsphäre in Lebensgemeinschaften war der Tod ein Teil des Alltags. Er war ja auch emotional leichter in den Alltag zu integrieren, handelte es sich doch bei dem Tod nicht um das absolute Ende. Der Tod, so glaubte man, ist der Übergang in ein neues Leben. Diese Überzeugung scheint heute verschwunden zu sein. Statt dessen findet sich der Mensch in der Moderne, mit ihren Errungenschaften wie Pluralität, Freizügigkeit und Wohlstand abgekoppelt von den gesamtgesellschaftlichen Prozessen. Den damit verbundenen Orientierungsverlust benennt Peter L. Berger treffend mit „metaphysischem Heimatverlust“ (NASSEHI 1992, S. 17).
Fern von einer Überzeugung von einem Leben nach dem Tod „passiert“ das Sterben in dafür ausgelegten Institutionen, den Alten- und Pflegeheimen, den Krankenhäusern und bisweilen in den noch sehr spärlich verbreiteten Hospizen. Der große Unterschied ist, dass unsere Vorfahren rechtzeitig lernten, sich auf ein Sterben auch ohne Begleitung vorzubereiten. Was natürlich nicht heißen soll, dass auf Sterbebegleitung verzichtet werden kann, sobald der Mensch zu dem Ziel hin erzogen wurde, sein Sterben zu meistern.
Die Darstellung, in früheren Zeiten habe der Tod eine andere Qualität besessen, mag also zutreffen. Den Beschreibungen haftet allerdings allzu oft eine nostalgische Verklärung an, die das Bild des Sterbens verzerrt. Historische Materialien zeigen eine nüchternere Szenerie auf, die wohl treffender ist als die, die Aries beschreibt. Einige Aspekte verdienen es aber, in die Gegenwart gerettet zu werden: Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit und die aktive Auseinandersetzung mit ihr – das „Memento mori!“.
4. Die Institution Altenheim als Sterbeort
Das Kapitel 3 hat verdeutlicht, wie sich der gesellschaftliche Umgang mit Sterben und Tod verändert hat. Darüber hinaus wurde herausgestellt, welche Bedeutung in der Sterbebetreuung die Institutionen Krankenhaus und Altenheim in unserer Zeit erlangt haben. Das folgende Kapitel will zum einen verdeutlichen, warum sich der Sterbeort in den Altenhilfebereich verlagert hat und zum anderen die für die Sterbebetreuung relevanten Merkmale beleuchten.
4.1 Gründe für die Ausgliederung des Sterbens aus dem familiären Bereich in den Altenhilfebereich
Das von Aries (2002) beschriebene Bild des schönen Sterbens zu Hause, umringt von der Familie und den Freunden, entspricht sicherlich auch den Wunschvorstellungen vieler vom eigenen Tod. Nach Müller (2001) wollten dies 1988 laut einer Umfrage sogar über 92% der Bundesdeutschen. Trotzdem stirbt heute nur noch jeder zehnte zu Hause, 85% sterben im Krankenhaus oder im Pflegeheim (Statistisches Bundesamt 2002). Diese fortgeschrittene Institutionalisierung des Sterbens ist Folge vielschichtiger Prozesse und Entwicklungen. Einige Gründe für die Verlagerung des Sterbeortes aus dem familiären Bereich in die Institutionen sollen hier zusammenfassend dargestellt werden.
4.1.1 Das Pflegeheim als Abschiebeort
Zuerst soll der These widersprochen werden, die Alten unserer Gesellschaft würden immer häufiger nur zu gern in Pflegeheime abgeschoben. Dies mag wohl in Einzelfällen zutreffen, in der Masse jedoch hat die vermehrte Institutionalisierung andere Gründe.
Ein Aspekt, der dieser These widerspricht, sind die veränderten emotionalen Beziehungen innerhalb der Familien. So hat der sich mehrende Wohlstand dazu geführt, dass die materiellen Abhängigkeiten innerfamiliär zurückgegangen sind. Führte früher der Tod eines Familienmitglieds die Familie schnell an die existenziellen Grenzen, so werden heute die Gefahren mittels sozialer Sicherungssysteme abgefangen. Das Überleben der Familie ist damit, wenn auch auf niedrigem Niveau, sichergestellt. Die Wertschätzung einer Person hinsichtlich ihres materiellen Einflusses auf das Leben ist somit in den Hintergrund getreten (vgl. FELDMANN 1990, S. 47).
Ein Grund für die Änderung der familiären Beziehungen ist auch darin zu sehen, dass sie sich reduziert haben. So ist in den letzten Jahrzehnten ein demographischer Wandel zu verzeichnen: Die Fertilität sinkt und mit ihr die Größe der Familien. Die Bedeutung der weitläufigen Verwandtschaft wird damit zusehends geringer. Die Bezugspersonen in der Familie werden dadurch weniger, der Kontakt auf wenigere Familienmitglieder eingeschränkt. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die emotionalen Bindungen eine andere Bedeutung erlangten und heute eine intensivere Ausprägung entwickelt haben.
Es kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass beide Entwicklungen, die materielle Unabhängigkeit sowie die neue Familienstruktur, emotional intensivere Familienverbände hervorbrachten.
Dies wiederum untermauert die Vermutung, dass alte Menschen nicht leichtfertig in Altenheime untergebracht werden. Somit ist es nicht erstaunlich, dass der Großteil der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt wird. 1999 wurden laut statistischem Bundesamt 72% (1,44 Millionen) der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, wobei hiervon wiederum 71% allein durch die Angehörigen gepflegt wurden, der Rest durch Pflegedienste (PFLEGESTATISTIK 1999, S. 6). Erst das Sterben findet in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen statt.
4.1.2 Gesellschaftsstrukturelle Gründe
Einerseits haben die sozioökonomischen und strukturellen Veränderungen bewirkt, dass die Emotionalität der familiären Beziehungen zugenommen hat, andrerseits haben sie mit der entstandenen finanziellen Unabhängigkeit des einzelnen die Individualisierung der Familie ermöglicht. Plötzlich war es auch für nachgeborene Kinder möglich eine eigene Familie zu gründen (vgl. PRAHL/SCHROETER 1996, S. 112).
Mit diesen Individualisierungsschüben ist gleichzeitig eine Singularisierung der alten Menschen verbunden. Bei Pflegebedürftigkeit können diese Menschen eventuell vom Partner und Pflegediensten versorgt werden. Bei verstärkter Bedürftigkeit bleibt nur noch der Heimeinzug, denn der Rest der Familie kann die Pflege meist nicht mehr leisten. Die Töchter, früher meist die Pflegenden in der Familie, sind emanzipiert und leben ein eigenes Leben. Die im Vergleich zu früher wenigeren Nachfahren leben somit individualistischer, sind berufstätig und haben eine eigene Familie. Die Familie tritt somit bei schwerer Bedürftigkeit als pflegende Instanz tritt in den Hintergrund.
Wird der alte Mensch trotzdem von der Familie gepflegt, so trifft diese beim Beginn des Sterbens auf eine zweifach schwierige Situation. Zum einen ist die Familie emotional stark durch die Gegebenheiten betroffen, zum anderen findet sie sich oft hilflos gegenüber dem eigentlich natürlichen Vorgang. Denn der Tod stellt in der Gesellschaft etwas Außergewöhnliches dar. Mit ihm konnte oft noch keine Erfahrung gemacht werden.
„Es läßt sich kaum leugnen, dass wir in einer den Tod verneinenden Kulturepoche leben. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass die Menschen mit dem Tod nicht vertraut sind und dass man den Tod so weit wie möglich von der Gesellschaft fernhält. Man denke zum Beispiel an den oft geäußerten Wunsch, Sterbende doch noch in das Krankenhaus aufzunehmen, weil man weder Tod noch den Toten im Haus haben will“ (SPORKEN 1976, S. 12).
Neben der von Sporken beschriebenen Angst vor dem Tod und der Unwissenheit im Umgang mit ihm existiert aber auch die von vielen Seiten genährte Hoffnung auf rettende stationäre Behandlung.
4.1.3 Medizinisch-technische Gründe
Der Fortschritt auf dem Gebiet der Medizin hat neben den veränderten Lebensläufen das Leben verlängert. Das hohe Alter, in wenigen Fällen sogar jenseits von 100 Jahren, das in früheren Gesellschaften nur ganz wenigen vorbehalten blieb, erreichen heute immer mehr Menschen. Mit dem Alter gehen allerdings gleichzeitig verschiedenste Krankheiten einher und mit ihnen hat sich ebenfalls die Sterbedauer verlängert. Die Betroffenen brauchen hierbei oft Pflege rund um die Uhr.
Für Angehörige bietet die stationäre Behandlung im Altenpflegebereich somit häufig die einzig mögliche Entlastung von der nicht mehr zu bewältigenden Pflege. Hinzu kommt die Hoffnung auf eine Linderung der Leiden.
Die Heime werden damit zu Spezialorganisationen in der Betreuung der Schwerkranken. Der Professionelle dort hat, anders als die Menschen in der Gesellschaft, Erfahrung mit dem Sterben und dem Tod anderer Menschen. Wenn auch der Aufenthalt im Altenpflegeheim längerfristig geplant ist, so ist der Einzug in das Heim doch mit der Perspektive auf einen baldigen Tod verbunden. Auch aus diesem Grund wird dem Professionellen eher die Kompetenz zugesprochen, mit dem Sterben umgehen zu können.
4.2 Die Altenhilfeeinrichtungen in Deutschland
Die Qualität der Sterbebetreuung hängt in entscheidendem Maß auch von äußerlichen Merkmalen der jeweiligen Institution ab.
Besondere Bedeutung für die Gestaltung der Sterbebetreuung haben die jeweiligen Gegebenheiten (Räumlichkeiten, Personal- und Bewohnerzusammensetzung). Einige quantitative Rahmendaten sollen deshalb zunächst ein Bild über die Altenhilfeeinrichtungen in Deutschland vermitteln. Vorgestellt werden strukturelle Merkmale der Altenhilfeeinrichtungen, der darin lebenden Bewohner und schließlich ebenso des Personals.
4.2.1 Strukturmerkmale der stationären Einrichtungen der Altenhilfe
Die Altenhilfeeinrichtungen werden im folgenden nach ihrer vorrangigen Orientierung differenziert. Das bedeutet, die Einrichtungen werden hinsichtlich ihres Platzangebots in wohn-, pflege- und misch- (pflege-/wohn-) orientiert unterschieden. Besondere Beachtung bekommt die mischorientierte Einrichtung, da sich die nachfolgende Untersuchung im Alten- und Pflegeheim "Argula-von-Grumbach-Haus" auf diese Form bezieht. Die Bezeichnung umfasst alle Heime, in denen weder die Pflegeplätze noch die Heim- bzw. Wohnplätze ein Übergewicht von mehr als drei Viertel der Plätze haben. Auf Basis dieser Definition finden sich in Deutschland derzeit 2100 pflege- und wohnorientierte Heime. Das sind 26% (neben 43% pflegeorientierten und 31% wohnorientierten Einrichtungen) der stationären Altenhilfeeinrichtungen (SCHNEEKLOTH/ MÜLLER 1998, S. 26).
Die Altenpflegeheime variieren in Größe, Struktur und Leistungsangebot. Die Daten stammen, falls nicht anders angegeben, aus der Erhebung von Schneekloth und Müller (1998).
Bei 40% der stationären Alteneinrichtungen handelt es sich um kleine Heime, in denen weniger als 50 Bewohner leben. Weitere 33% der Einrichtungen bieten zwischen 50 bis 100 Bewohnern Platz. 20% besitzen ein Angebot von 100 bis 200 Betten. Die restlichen 5% der Alteneinrichtungen bieten mehr als 200 Betten an.
Nachdem das jeweilige Jahr der letzten Modernisierung der Alteneinrichtungen erfasst wurde, konnte ein Modernisierungsgrad entwickelt werden. Dieser Indikator zeigt bei 80% aller Einrichtungen einen relativ hohen Modernisierungsgrad. Nur jede zehnte Einrichtung hat seit 1970 keine baulichen Veränderungen vorgenommen (SCHNEEKLOTH/ MÜLLER 1998, S. 38).
55% der stationären Einrichtungen sind in der Hand gemeinnütziger Träger, vorwiegend gestellt durch Caritas und Diakonisches Werk. Der Rest organisiert sich privat.
Eine Erhebung der Leistungs- und Therapieangebote weist deutliche Unterschiede zwischen pflegeorientierten und wohnorientierten Einrichtungen auf. Da sich das Angebot stark nach dem Gesundheitszustand und dem Pflegebedarf richtet, werden die absoluten Zahlen hier nicht genannt. Gemessen wurde das Angebot an Krankengymnastik, Beschäftigungstherapie, Logopädie, Psychotherapie, Gedächtnis-/Orientierungstraining, Kontinenz-/Toilettentraining und das Angebot an Massagen, Bädern und Rotlicht- oder Elektrotherapie.
4.2.2 Bewohnerstruktur
Der in allen Alteneinrichtungen untergebrachte Personenkreis lässt sich nach Dieck (1994, S. 196) in folgender Weise differenzieren bzw. setzt sich aus folgenden Gruppen zusammen:
1. gehfähige, psychisch kranke Heimbewohner;
2. gehfähige, überwiegend somatisch kranke Heimbewohner;
3. ständig bettlägerige Heimbewohner mit schweren Gesundheitsschäden, unter anderem infolge von Schlaganfällen;
4. sterbende Heimbewohner;
Diese Einteilung muss jedoch eine Erweiterung erfahren: Zum einen leiden viele Bewohner in Alteneinrichtungen unter psychischen oder somatischen Leiden, sind jedoch in ihrer Mobilität eingeschränkt und damit auf Hilfsmittel wie Gehhilfe oder Rollstuhl angewiesen. Die beiden Gruppen der Gehfähigen müssen dementsprechend erweitert werden und die Personen miterfassen, die nur durch Rollstuhl oder Gehhilfe vor der Immobilität bewahrt werden. Zum anderen ist für Alterskrankheiten eine hohe Koinzidenz von somatischen Erkrankungen und begleitenden psychischen Veränderungen beispielsweise bei beginnender Demenz typisch. Eine Abgrenzung zwischen überwiegend somatisch oder überwiegend psychisch ist in diesen Fällen kaum möglich, sodass eine fünfte Gruppe, die der psychosomatisch Kranken, hinzugenommen werden muss.
Untergebracht sind die Bewohner mischorientierter Heime zu 26,8% in Zwei-Bett-Zimmern, 33,9% wohnen in einem Ein-Bett-Zimmer ohne Dusche und Bad, 38,6% in einem Einbettzimmer mit Dusche und Bad. Die restlichen 0,7% leben in Drei- oder Mehrbett-Zimmern. Eine Notrufanlage auf dem Zimmer ist inzwischen genauso selbstverständlich wie die Möglichkeit, das Zimmer ohne Treppensteigen zu erreichen. Diese Tatsache ist vor allem deshalb von Bedeutung, da beinahe jeder dritte Bewohner einer Alteneinrichtung zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
Die medizinische Versorgung in den Alteneinrichtungen wird fast ausschließlich von niedergelassenen Ärzten übernommen. Die direkte Anstellung von Ärzten scheitert an den geltenden sozialrechtlichen Bestimmungen. So ermöglichen die Krankenkassen nur in Berlin die Kostenabrechnung von angestellten Ärzten.
Nach Angabe von Pflegern oder Betreuern weisen 47% der Bewohner dementielle Erkrankungen und psychische Störungen auf. Im reinen Pflegebereich liegt dieser Prozentsatz sogar bei 60%. Diese Daten korrelieren hoch mit Alter und psychischen Veränderungen (SCHNEEKLOTH/ MÜLLER 1998, S. 46), was wiederum das Ausmaß der pflegerischen Tätigkeit beeinflusst. Darstellung 1 zeigt den Pflegebedarf der Bewohner in Abhängigkeit der Unterbringung.
Darstellung 1: Pflegebedarf von Bewohnern in Alteneinrichtungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Infratest-Heimerhebung 1994, in Schneekloth/Müller 1998, S. 50)
Erheblichen Pflegebedarf weisen 39% der Bewohner des Heimbereichs, also des mischorientierten Heimes auf. Das bedeutet entweder einen ständigen Bedarf an Pflege, beispielsweise bei Einschränkungen in der Nahrungsaufnahme, oder einen mehrfach täglich nötigen Pflegebedarf auf Grund von Einschränkungen im Bereich der Hygiene oder im Bereich der Mobilität. In dieser Gruppe bereits erfasst sind 4% der Personen des Altenheims, die dauerhaft ans Bett gebunden sind oder nur ein bis zwei Stunden pro Tag das Bett verlassen können.
48% der Bewohner der Altenheime brauchen Unterstützung bei der Erledigung der hauswirtschaftlichen Tätigkeiten. Das bedeutet, die Betroffenen sind nicht in der Lage, einen eigenen Hausstand zu betreiben. Nur 13% der Altenheimbewohner sind von Hilfe unabhängig.
Der unterschiedliche Pflegebedarf findet Ausdruck in der Einstufung der Bewohner in Pflegestufen. Maßgeblich dafür sind der Umfang und die Häufigkeit der benötigten Hilfestellungen bei der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Es gibt drei Pflegestufen (http://www.versicherungsnetz.de/Onlinelexikon /Pflegestufen.html, entnommen am 24.03.2003):
Pflegestufe I – Erheblich Pflegebedürftige
Hilfebedarf besteht einmal täglich bei wenigstens zwei Verrichtungen aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung oder Mobilität und zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
Pflegestufe II – Schwerpflegebedürftige
Hilfebedarf besteht dreimal täglich zu verschiedenen Zeiten für Verrichtungen aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung oder Mobilität und zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen.
Pflegestufe III – Schwerstpflegebedürftige
Hilfebedarf besteht rund um die Uhr bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität und zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens fünf Stunden betragen. Auf die Grundpflege müssen mindestens vier Stunden entfallen.
4.2.3 Personalstruktur
Derzeit arbeiten 351.000 Beschäftigte in stationären Alteneinrichtungen. Das Verhältnis von Vollzeitbeschäftigten zu Teilzeitbeschäftigten betrug im Pflegebereich etwa 3:1, im Hauswirtschaftsbereich etwa 2:1.
Tab. 1: Beschäftigte in stationären Pflegeeinrichtungen nach Beschäftigungsumfang
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Dritter Bericht zur Lage der älteren Generation, S. 118)
Die stundenweise Beschäftigten sind zur Hälfte im Bereich der Pflege tätig, zum anderen Teil im Bereich der Hauswirtschaft und der Verwaltung.
Werden die stundenweise Beschäftigten außer Acht gelassen und werden zwei Teilzeitbeschäftigte mit einem Vollzeitbeschäftigten gleichgesetzt, so ergibt sich folgende Differenzierung:
Tab. 2: Vollarbeitskräfte nach Berufsgruppen je 100 Bewohner
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Schneekloth & Müller 2000, S. 164)
Zur Berufsgruppe des Pflegepersonals gehörten im Jahr 1998 zwei Drittel aller im Pflegebereich Beschäftigten. In dieser Gruppe miteinbezogen sind Personen mit Kranken- und Altenpflegeausbildung und alle in der Ausbildung stehenden Beschäftigten. Auffällig ist die wohl auf Grund des knappen Budgets geringe Präsenz von therapeutischem Personal und Sozialarbeitern.
4.2.4 Pflegequalität und Pflegestandards
Das Wohnen und die Pflege in den stationären Alteneinrichtungen wird gesetzlich in erster Linie durch die standardsetzenden Verordnungen „Heimpersonalverordnung“ (HeimPersVo) und „Heimmindestbau-Verordnung“ (HeimMindBauVo), sowie die Rahmenbedingungen des Sozialgesetzbuchs XI geregelt.
Festgeschrieben sind unter anderem bauliche und räumliche Standards, Personalstandards und Pflegestandards. Laut diesen Gesetzen hat der Bewohner in Altenheimen Anspruch auf gewisse Mindestleistungen. Die vorher genannten strukturellen Daten, bezogen auf bauliche und personelle Merkmale, basieren somit im wesentlichen auf diesen gesetzlichen Vorgaben.
Erst auf Grund dieser Regelungen konnte zum Beispiel eine Mindest-Zimmergröße (12qm für Einzelzimmer und 18qm für Doppelzimmer) durchgesetzt werden. Diese 20 Jahre alte Verordnung entspricht allerdings nicht mehr den heutigen Maßstäben.
Zum anderen werden durch die Heimpersonalverordnung zur Zeit 50% Fachpersonal vorgeschrieben. Obwohl selbst dieser Anteil heftig diskutiert wird, stellt er zumindest eine gewisse Qualität der Pflege sicher, solange die Fachkräfte entsprechend dem Stand der Entwicklung qualifiziert sind. Die Ausbildungssituation stellte sich bis vor kurzem in Deutschland allerdings als sehr diffus dar. So gibt es zur Zeit noch 17 Ausbildungsgänge in den Altenpflegeschulen. Eine bundeseinheitliche Regelung tritt aber vom 1. August 2003 in Kraft (SZ, 25.Oktober 2002).
Mit der Einführung der Pflegeversicherung rückte zusätzlich die Diskussion um Pflegestandards immer mehr in die Öffentlichkeit. Der Pflegestandard umschreibt
„eine für einen Leistungserbringer (z.B. Sozialstation, Altenheim) verbindliche Leistung, [er] ist Leistungsnachweis und Instrument der Qualitätssicherung. Der alte Mensch erhält seine Hilfestellungen qualitativ nachgewiesen. Leitbilder, Pflegemodell und Konzept beeinflussen Aufbau und Inhalt der Standards“ (VÖLKEL/EHMANN 2000, S. 247).
Die Standards ermöglichen damit eine größtmögliche Transparenz der Pflegetätigkeit, da alle Tätigkeiten schriftlich festgehalten werden. Auch entsteht durch sie der Vorteil, wirkliche Qualitätssicherung zu betreiben. Dennoch wird es immer den Unterschied zwischen Theorie und Praxis geben.
So ist es sicherlich nachvollziehbar, dass manche pflegerischen Tätigkeiten auf Grund mangelnder Qualifikation oder außerordentlicher Arbeitsbelastung in besonderen Situationen bisweilen nicht mit der erforderlichen Qualität erfolgen können (vgl. Dritter Bericht zur Lage der älteren Generation 2001, S.138).
Ein Standard des Argula-von-Grumbach-Hauses zur Sterbe- und Totenversorgung befindet sich zur Veranschaulichung im Anhang.
4.3 Die Institutionalisierung alter Menschen in Heimen
Wiederholt werden Heime als totale Institutionen bezeichnet (ZWETTLER 2001, REST 1998, THEUNISSEN 1986, SAUP 1984, KNOBLING 1983, ANTHES 1975, u.v.m.). Es ist aber nicht zu bestreiten, dass Heime einen enormen organisatorischen Wandel durchschritten haben. Da eine totale Institution auf alle Lebensbereiche, damit auch auf den Bereich des Sterbens von Heimbewohnern Einfluss hat, soll dieser Vorwurf hier genauer beleuchtet werden.
4.3.1 Die totale Institution nach Goffman
Das Leben in totalen Institutionen ist verbindlich reglementiert. Alle Aspekte des Lebens sind an einem Ort zusammengefasst. Rest (1998) vergleicht die totale Institution mit dem politischen Begriff des „Totalitarismus“. Der Duden definiert „totalitär“ als:
1. die Gesamtheit umfassend,
2. (abwertend) mit diktatorischen Methoden jegliche Demokratie unterdrückend, das gesamte politische, gesellschaftliche, kulturelle Leben sich total unterwerfend, es mit Gewalt reglementierend.
Da die Menschen in totalen Institutionen, wie auch Rest feststellt, weitgehend gleichgestellt sind, liegt die Annahme nahe, dass der Ausprägungsgrad der Totalität mit der Gestaltung des persönlichen Todes korreliert. Rest stellt in diesem Zusammenhang folgende Grundhypothese auf: „Je totaler die Institution, desto unpersönlicher die eigene Gestaltung eines Todes durch den Sterbenden“ (REST 1998, S. 59). Auf Grund dieses Zusammenhanges wird im folgenden genauer auf die Charakteristika der totalen Institution und ihre Übertragbarkeit auf das Altenheim eingegangen.
Goffman (1972) sieht das zentrale Merkmal von totalen Institutionen darin, dass die Schranken zwischen den einzelnen Lebensbereichen aufgehoben sind. Besteht nach Goffman in der modernen Gesellschaft die grundlegende soziale Ordnung darin, dass der einzelne an verschiedenen Orten mit verschiedenen Partnern spielt, schläft und arbeitet, so ist dies in der totalen Institution aufgehoben. Die Lebensbereiche sind nicht mehr getrennt. Unter diesem Gesichtspunkt postuliert Goffman (1972, S. 17) vier Merkmale, die kennzeichnend für die totale Institution sind:
1. Alle Angelegenheiten des Lebens finden an ein und derselben Stelle, unter ein und derselben Autorität statt.
2. Die Mitglieder der Institution führen alle Phasen ihrer täglichen Arbeit in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen aus, wobei allen die gleiche Behandlung zu teil wird und alle die gleiche Tätigkeit gemeinsam verrichten müssen.
3. Alle Phasen des Arbeitstages sind exakt geplant, eine geht zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt in die nächste über, und die ganze Folge der Tätigkeiten wird von oben durch ein System expliziter formaler Regeln und durch einen Stab von Funktionären vorgeschrieben.
4. Die verschiedenen erzwungenen Tätigkeiten werden in einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der angeblich dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen.
Außerdem setzt sich die totale Institution aus zwei abgeschlossenen Gruppen zusammen: Die nur zeitweilig anwesende Gruppe des „Personals“, die die Belange der Institution vertritt und die Gruppe der „Insassen“, die nur einen beschränkten Kontakt nach außen hat und von den Entscheidungen der Gruppe des „Personals“ wenig oder gar keine Kenntnis erhält. Der Begriff der Institutionalisierung bezeichnet die erzwungene Anpassung an ein derartiges System.
4.3.2 Das Altenheim als totale Institution
Die dargestellten Merkmale einer totalen Institution lassen sich, mehr oder minder ausgeprägt, beim Alten- und Pflegeheim identifizieren. Auffällig ist hier vor allem das Prinzip der Permanenz des Aufenthalts. Der Aufenthalt ist in der Regel für den Rest des Lebens vorgesehen (vgl. ANTHES 1975, S. 18).
Ein weiteres Merkmal ist die Vorgabe vieler Aktivitäten und tagesstrukturierender Maßnahmen. Schneekloth und Müller (1998) stellen so in einer Untersuchung der Handlungsspielräume von Bewohnern fest, dass nur 27% der Heimbewohner ihre Essenszeiten selbst bestimmen dürfen und es nur 26% gestattet ist, Besucher über Nacht im eigenen Zimmer zu beherbergen. Über einen Hausschlüssel verfügen nur 20%. Auch die unterschiedlichen Behinderungsgrade der Bewohner dürfen nach Schneekloth und Müller (1998) nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den Bewohnern, die oben genannte „Freiheiten“ besitzen, um eine Minderheit handelt.
Die Argumentation, der Anthes (1975) und teilweise Knobling (1983) folgen, ist allerdings in einigen Teilen nicht mehr aktuell. So gilt heute, dass im Prinzip jeder Heimbewohner sein Zimmer selbst gestalten kann und eigene Möbel aufstellen darf. Ebenso sind Besuchszeitenregelungen, zumindest tagsüber, nicht mehr vorhanden. „Zweifelsohne handelt es sich hierbei um wirklich elementare Grundanforderungen, deren Realisierung in den Einrichtungen aber offenbar unproblematisch ist.“ (SCHNEEKLOTH/MÜLLER 1998, S. 112)
Recht haben Anthes und Knobling mit ihrer Einschätzung, dass es zu einer Machtkonzentration zum Vorteil der Angestellten kommt und der Gruppe des Personals damit permissive und repressive Gewalt zur Verfügung stehen. Regeln werden aufgestellt, deren Verletzung mit verbalen Sanktionen bzw. mit dem Entzug oder der Vergabe von Privilegien geahndet wird.
Wie Anthes (1975) allerdings ebenso hervorhebt,
„herrscht bei Sozialarbeitern die Neigung vor, von den Heimbewohnern – trotz des oft frustrierenden Heimmilieus – eine möglichst eigenständige Lebensführung zu erwarten. Aktivität, Aufrechterhaltung des Kontaktes mit der Außenwelt und eine hohe Frustrationstoleranz bei Konflikten mit den institutionellen Regeln werden von ihm [dem Sozialarbeiter] positiv sanktioniert.“ (ANTHES 1975, S. 19)
Die heutigen Stellenkonzeptionen in Alteneinrichtungen sehen in annähernd jeder Alteneinrichtung einen Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen vor. Die Präsenz von Sozialarbeitern ist damit zwar immer noch als gering zu bewerten, aber trotzdem als Teilerfolg hin zu einer stärkeren Gewichtung der Eigenständigkeit der Bewohner zu sehen.
Die Verankerung eines von den Bewohnern selbst gewählten Heimbeirates im Heimgesetz (vom 05.11.2001, §10) kann in diesem Zusammenhang ebenso als Tendenz gewertet werden, den Bewohnern ein neues Selbstverständnis nahe zu bringen. Die Struktur der Alteneinrichtungen gestaltet sich demokratischer und wird durch die Einflussnahme der Bewohner auf Entscheidungen zunehmend gemeinsam gestaltet. Entstehende Heimzeitungen zeigen darüber hinaus auch das Engagement der Bewohner und wirken zusätzlich der Autonomiereduktion entgegen.
„Der verglichen mit dem Personal geringen formalen Sanktionsmacht und den aus der abhängigen physischen, psychischen und sozialen Situation heraus fehlenden Durchsetzungsmöglichkeiten des Heimbewohners“ (KNOBLING 1983, S.14) konnte mit diesen Neuerungen entgegengewirkt werden. Konflikte, die früher meist zu Gunsten des Personals verliefen, können heute auf einer anderen Ebene diskutiert werden. Das Machtungleichgewicht hat sich positiv entwickelt.
Wie angemerkt treffen diese Entwicklungen in erster Linie Personen, die geistig agil sind und ein gewisses Engagement aufwenden wollen und können. Der Rest der institutionalisierten Personen muss sich meist der Organisationsstruktur unterwerfen. Diese ist häufig durch Personalknappheit auf Versorgung und Pflege beschränkt. Den psychischen und sozialen Bedürfnissen wird kaum Platz eingeräumt (ZWETTLER 2001, S. 48). Die Altenpflege wird gerade im Umgang mit dementen Personen damit „zur Routinearbeit, die qualifizierte jüngere Kräfte unterfordert und sich in einer, den Umgang mit Heimbewohnern belastenden Berufsunzufriedenheit ausdrücken kann“ (BALLUSEK 1980, nach KNOBLING 1983, S. 18).
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- Martin Wittenzellner (Author), 2003, Sterben und Tod in der Institution Altenheim - Eine qualitative Untersuchung zum Umgang mit Sterben und Tod bei Heimbewohnern und Pflegepersonal, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21197
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