Der Wertsack – Parodie oder Plagiat? Zu „Bundespost“ von Wolf Wondraschek


Intermediate Examination Paper, 2012

17 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bundespost oder nicht? - Eine Texteinordnung

3. Textaufbau: Die Definition der Definition
3.1. Textaufbau: Inhaltliche Betrachtungen
3.2. Sprachliche Merkmale der Behörden- und Juristensprache am Text Bundespost

4. Stilmittel der Satire: die Parodie
4.1. Die Parodie als satirisches Stilmittel
4.2. Bundespost als Parodie

5. Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Jedes wissenschaftliche Werk, jeder juristische Kommentar und jede bundesamtliche Verlautbarung sind darauf angewiesen, dass der Leser versteht, wovon genau gesprochen wird. Dazu stellen die meisten Veröffentlichungen Definitionen der benutzen Termini an den Anfang des Textes, um klar abzugrenzen, was gemeint ist und - was noch viel wichtiger ist - was nicht gemeint ist. Definitionen bestimmen demachen, was wir uns unter einem Begriff vorstellen, welche Eigenschaften in ihm enthalten sind oder welche Funktionen er erfüllt. Dabei sind sie auf eine klare Sprache angewiesen, die Doppeldeutigkeiten vermeidet und sich klar von anderen Wortlauten abgrenzt. Gerade im Berufsfeld der Juristerei können unterschiedliche Auslegungen eines Terminus zu unterschiedlichen Urteilen „im Namen des Volkes“ verhängt werden. Stimmen Begriffsdefinitionen der Anklage und der Verteidigung nicht überein, können beide Seiten eine Tat unterschiedlich auslegen. Ein Gelddiebstahl in etwa ist erst dann gegeben, wenn der Eigentümer auch der Gewahrsamsträger ist, während das selbe Delikt, also die unrechtmäßige Entwendung von Geld, ein Betrug ist, wenn der Bestohlene der Vermögensinhaber ist.1 Es sind also Unterschiede der Merkmale, die einen Begriff erst definieren.

Besonders in Bundesagenturen und Ämtern finden sich juristische Texte, die sprachlich zwar sehr präzise, aber dennoch scheinen, außerhalb der vernünftigen Welt zu stehen. So bestimmt die Bundesagentur für Arbeit: „Welches Kind bei einem Elternteil erstes, zweites, drittes oder weiteres Kind ist, richtet sich nach der Reihenfolge der Geburten. Das älteste Kind ist stets das erste Kind.“2 Der Leser fragt sich an dieser Stelle, warum die BAA es für nötig erachtet, diese offensichtliche Tatsache genau zu definieren. Eine Antwort konnte bislang noch nicht gefunden werden.

In der vorliegenden Arbeit werde ich mich mit einer Parodie auf die juristische Fachsprache auseinandersetzen. Es handelt sich dabei um den Text „Bundespost“ von Wolf Wondraschek. Zunächst ordne ich diesen in seine Rezeption ein und erörtere anschließend den Begriff der Definition. Dann analysiere ich den Text als ganzes in seiner Sprache und werde ihn in den Kontext einer Parodie bringen. Danach untersuche ich die Merkmale, die dazu führen, ihn als Parodie auszuzeichnen und zeige, warum der Text dem Leser erst auf den zweiten Blick als Parodie erscheint.

2. Bundespost oder nicht? - Eine Texteinordnung

Der Text „Bundespost“ ist im Internet unter wechselnden Titeln sehr häufig zu finden. Er soll als Beispiel für Verwaltungssprache dienen und wird sehr oft auf Humorseiten wie autsch.de3 oder isnichwahr.de4 aufgeführt. Auch seriöse journalistische Onlineauftritte wie rp-online.de5 nutzen den Text, wenn sie Beispiele aufführen, wie kurios das Beamtendeutsch ausarten kann. Oft wird dabei auf ein Merkblatt der Deutschen Bundespost verwiesen. Der Text ist allerdings fiktiv. Er wurde erstmals 1969 in Wolf Wondratscheks Textsammlung „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“ [sic] im dtv-Verlag veröffentlicht. Er stellt eine Parodie auf eine ähnliche amtliche Verlautbarung der Deutschen Bundespost in § 49 der Dienstanweisung für den Postbetrieb dar.

3. Textaufbau: Die Definition der Definition

Bei „Bundespost“ handelt es sich um eine Definition. Es soll der Begriff Wertsack klar von Wertbeutel, Versackbeutel und Wertpaketsack abgegrenzt werden, aufgrund der angeblichen Tatsache, dass Dienstanfänger diese Begriffe häufig verwechseln. Um zu erkennen, wie der Autor die Merkmale er Definition satirisch verkehrt, muss zunächst festgestellt werden, was eine Definition ist. Metschl bezeichnet Definitionen als die „Bestimmung eines Begriffs bzw. Festsetzung der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks.“6 Ziel einer Definition ist dabei, „sprachliche Ausdrücke für Forschungszwecke hinreichend genau zu charakterisieren.“7 Allerdings vernachlässigt Metschl hier die juristische Bedeutung einer Definition, deren Ziel nicht Forschungszwecke beinhalten, sondern eine genaue Klärung, wovon genau gesprochen wird, um daran ein mögliches Strafmaß anzulegen. Ziel ist demnach eine Verständigung über die zu definierenden Gegenstände, um eine möglichst gleichartige Anwendung der Begriffe zu erreichen. Dabei wird zwischen deskriptiven und stipulativen Definitionen unterschieden. Eine deskriptive Definition ist: „Luft ist ein Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch im Verhältnis von ca 3:1.“ Solche Definitionen stellen eine bereits akzeptierte, faktische Begriffsübereinstimmung fest. Stipulative Definitionen setzten dagegen einen Begriff fest, über sie wird oft gestritten, da sie nicht zu 100% als wahr oder falsch gelten können: „Ein Euro sind 100 Cents.“ Der Wert eines Euros könnte jederzeit auf 99 oder 101 Cents festgelegt werden, was die Definition ungültig machen würde. In der Geisteswissenschaft werden häufig stipulative Definitionen eingesetzt, über die in der Forschung gestritten werden kann und wird. Die Naturwissenschaften dagegen greifen zumeist auf deskriptive Definitionen zurück, da darin Naturkonstanten wie die Lichtgeschwindigkeit am effektivsten ausgedrückt und zur Berechnung verwendet werden kann: c = 299792,458 km/s. Es ist also festzuhalten, dass stipulative Definitionen auf einer Übereinkunft zwischen den Menschen beruhen, während deskriptive Definitionen Aussagen über fundmentale Begriffe der physischen Welt darstellen. Deskriptive Definitionen werden sich demnach nur ändern, wenn sich das menschliche Verständnis der Welt ändert, während deskriptive Definitionen dazu eingesetzt werden können, die Welt selbst zu verändern.

3.1. Textaufbau: Inhaltliche Betrachtungen

Den Inhalt des Textes aufzuschlüsseln stellt für viele Leser eine Herausforderung dar. Dies liegt daran, dass der zu klärende Begriff Wertsack mit anderen, ähnlichen Begriffen in Beziehung gesetzt wird, so dass es schnell zu einer Verwechslung der Termini kommt. Außerdem wirkt der Text in sich widersprüchlich, obwohl er es gar nicht ist. „Bundespost“ beginnt mit einem Satz, der viel zur scheinbaren Legitimation des Textes beigetragen hat. Angeblich soll die folgende Definition an eine real existierende Verordnung angehängt werden. Mit der Vermengung der realen Welt mit der Satire hebt Wondratschek die Allgemeine Dienstanweisung der Deutschen Bundespost in den Stand eines Prätextes, wie in der Intertextualitätsforschung gebraucht wird. Dazu werde ich in Kapitel 4 näher eingehen, wenn ich mich mit der Textsorte Parodie auseinandersetze. Es folgt eine formelhafte Wendung, die in sich redundant ist. Der Wertsack wird Wertsack genannt, weil er aufgrund seiner Verwendung nicht Wertbeutel genannt wird. Dies wird nachgehend vertieft indem darauf hingewiesen wird, dass der Inhalt nicht verbeutelt, sondern versackt wird. Was sich der Postbeamte darunter vorstellen soll - und damit auch der Leser - wird nicht gesagt. Es wird auf einen Unterschied zwischen versacken und verbeuteln aufmerksam gemacht. Dabei wird das Verb versacken nicht in seiner bekannten Bedeutung gebraucht, nämlich als Beschreibung der Annahme eines unsoliden Lebensstils8, sondern im Sinne des Verpackens von Postbeförderungsgut in einen Sack. Das Verb beuteln gibt es in dieser Bedeutung gar nicht. Das Grimmsche Wörterbuch verweist zwar auf einen Vorgang, der Mehl durch einen Beutel rieseln lässt9, ähnlich eines Siebes, aber dieser Vorgang beschreibt nicht die Tätigkeit im Sinne Wondratscheks. Einzig das rheinische Wörterbuch kennt verbeuteln, weißt aber darauf hin, dass es in der Wendung verloren haben gebräuchlich ist.10 Es ist also dementsprechend anzumerken, das im Text „Bundespost“versacken und verbeuteln synonymen Charakter haben sollen und somit als satirisches Stilmittel angesehen werden müssen.

Nun wendet sich der Autor der Konkretisierung zu und erläutert, wie verwandte Begriffe wie die Wertbeutelfahne zur Klärung des Begriffes Wertsack beitragen. Zeilen 8 bis 10 können allerdings als literarisches Füllmaterial betrachtet werden, da sie im Grunde nicht zur Klärung beitragen, sondern lediglich die Aussage beinhalten, welche Termini nicht für eine Wertbeutelfahne in Frage kommen.

Zeilen 11 bis 14 können als das sprachlich-logische Glanzstück des Textes angesehen werden. In diesen wird eine Hierarchie aufgestellt, deren Verletzung in jedem Fall gemeldet werden muss. Soweit es ersichtlich ist befinden sich in einem Wertsack Wertbeutel, welche wiederum mit Versackbeutel gefüllt sind. Ist jedoch ein Versackbeutel nicht im Wertbeutel, sondern im Wertsack, dann „ist die in Frage kommende Dienststelle unverzüglich zu benachrichtigen.“ (Zeile 13f.) Warum? Das wird nicht erläutert und bietet Raum für Spekulationen.

Die darauffolgenden Zeilen 15f. greifen die Definition auf, nachdem der Wertsack ein Beutel ist, sobald er geleert wurde.

Danach erfolgt eine Näherbestimmung, die in sich schlüssig erscheint, aber bei näherer Betrachtung den sprachlichen Irrsinn aufweist, der auch in der realen Behörden- und Juristensprache immer wieder zu finden ist. Es wird darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung des Wertsacks auf einem Ladezettel, eigentlich einen Wertpaketsack meint. Ein Wertsack ist auf dem Ladezettel erst dann ein echter Wertsack, wenn der Vermerk versackt gegeben ist.

[...]


1 Vgl. Hillenkamp 1997, S. 217 ff.

2 Bundesagentur für Arbeit: Kindergeld - Dauer und Höhe

3 Vgl. http://autsch.de/jokes/menschen/44558_kennst_du_den_wertsack/

4 Vgl. http://www.isnichwahr.de/r27953400-die-definition-vom-wertsack.html

5 Vgl http://www.rp-online.de/wirtschaft/beruf/noch-mehr-kurioses-beamtendeutsch-1.567048 Nummer 14

6 Metschl 1999, S. 97

7 Ebd.

8 Vgl. Duden 2012.

9 Vgl. Grimm 1854.

10 Vgl. http://woerterbuchnetz.de/RhWB/

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Details

Title
Der Wertsack – Parodie oder Plagiat? Zu „Bundespost“ von Wolf Wondraschek
College
University of Potsdam  (Institut für Germanistik)
Course
Wie Worte wirken -
Grade
1,0
Author
Year
2012
Pages
17
Catalog Number
V210502
ISBN (eBook)
9783656387787
ISBN (Book)
9783656388555
File size
484 KB
Language
German
Keywords
Wertsack, Wondraschek, Post
Quote paper
Daniel Acker (Author), 2012, Der Wertsack – Parodie oder Plagiat? Zu „Bundespost“ von Wolf Wondraschek, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210502

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