Als ich mich bei der Vorbereitung auf meine wissenschaftliche Hausarbeit intensiver mit der Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung und deren Auswirkungen auseinander setzte, war dies durchaus nicht immer einfach. Nicht selten wünschte ich mir, ein anderes Thema gewählt zu haben. Es war nicht immer einfach, mit dem Frust umzugehen, der sich bei der Einsicht einstellte, dass auch meine Arbeit nichts an der Tatsache der Beschneidung ändern wird.
Ich finde es ungemein wichtig, dass sich so viele Menschen wie nur irgend möglich mit dem Thema der weiblichen Genitalverstümmelung auseinandersetzen und darüber informiert werden. Denn nicht allein durch die Verurteilung, sondern durch Wissen, Aufklärung und die (finanzielle) Hilfe von verschiedenen Seiten ist es möglich, dieses grausame Ritual irgendwann zu überwinden.
Der erste Teil meiner Arbeit befasst sich mit der Beschneidung von Frauen im Allgemeinen. Ich habe diesen Teil bewusst ausführlich gestaltet, da Informationen zur weiblichen Genitalverstümmelung eine Vorbereitung zum Umgang mit dem Roman "Wüstenblume" sind, die für die Lehrperson von Bedeutung sind. Ich versuche einen Überblick über möglichst viele Teilaspekte zu geben.
Im zweiten Teil beschäftige ich mich neben einer Textanalyse und einer Definition von Problemliteratur hauptsächlich mit der Planung einer Unterrichtseinheit zum Roman "Wüstenblume".
Bei der Konzeption dieser Unterrichtseinheit ist mir wichtig, dass sich die Schüler weitgehend selbstständig mit dem Roman und der weiblichen Genitalverstümmelung auseinandersetzen. Dies kann durch die Arbeit im Partnerpuzzle, an einer Lerntheke, in einer Strukturierten Kontroversen und im Projektlernen verwirklicht werden.
Inhalt
Einleitung
Teil I: Beschneidung von Frauen – Theorie
1. Beschneidung
1.1 Was versteht man unter Beschneidung?
1.1.1 Beschneidung allgemein
1.1.2 Weibliche Beschneidung
1.2 Unterschiedliche Formen der
Genitalverstümmelung bei Frauen
1.2.1 Sunna
1.2.2 Klitoridektomie
1.2.3 Pharaonische Beschneidung / Infibulation
1.2.4 Erneute Beschneidung / Refibulation
1.3 Wie läuft eine Beschneidung ab?
1.3.1 Die Ausführenden
1.3.2 Wer wird beschnitten
1.3.3 Wie läuft die Beschneidung ab?
1.4 Begründungen die für FGM angeführt werden
2. Verbreitung von FGM
2.1 Ursprünge
2.2 Geschichte der Klitorisbeschneidung und der
Infibulationspraktiken in der westlichen Welt
2.3 Geographische Verbreitung
3. Religion und Beschneidung: ein Zusammenhang?
4. Initiationsritus Beschneidung?!
5. Gesundheitliche Folgen
5.1 Gesundheitliche Folgeerscheinungen
5.2 Vergleich: Medizinische Lage und Versorgung –
Erste und Dritte Welt
5.3 Aids
6. Gesetzeslage
7. Männliche Beschneidung
8. Ausblick – Hoffnung auf Veränderung
Teil II: Didaktische Umsetzung in der Schule
9. „Wüstenblume“ – Das Buch
9.1 Die Autorin: Waris Dirie
9.2 Textanalyse
9.3 Die im Buch angesprochenen Probleme
10. Was ist Problemliteratur?
10.1 In welcher Klasse und in welchem Fach? Warum?
10.2 Mit welchen Problemen muss gerechnet werden?
11. Planung einer Unterrichtseinheit
11.1 Voraussetzungen
11.1.1 Vorwissen
11.1.2 Räumliche und zeitliche Bedingungen
11.2 Möglicher Unterrichtsverlauf
11.2.1 Hinführung: Phantasiereise
11.2.2 Erarbeitung
11.2.2.1 Partnerpuzzle
11.2.2.2 Lerntheke
11.2.2.3 Strukturierte Kontroverse
11.2.3 Zwischenbilanz, Übergang zur Projektarbeit
12. Projektlernen
12.1 Kurzdefinition
12.2 Einzelne Phasen und ihre Durchführung
12.2.1 Initiativphase
12.2.2 Informationsphase
12.2.3 Planungsphase
12.2.4 Ausführungsphase
12.2.5 Verifikationsphase
12.2.6 Präsentationsphase: Informationsabend
13. Abschließende Gedanken
14. Literaturverzeichnis
15. Dank
16. Anhang
Einleitung
Zum ersten Mal hörte ich etwas über die Beschneidung von Frauen, als ich das Buch „Wüstenblume“ vor einigen Jahren las. Ich war furchtbar schockiert, und die Vorstellung von dem, was so viele Mädchen und Frauen erleiden mussten, hing mir Wochen lang nach. Meine Mutter, die das Buch zeitgleich mit mir ‚verschlungen’ hatte, wurde Mitglied bei (I)NTACT. Dadurch blieb ich über die Jahre hinweg einigermaßen informiert.
Als ich mich bei der Vorbereitung auf meine wissenschaftliche Hausarbeit intensiver mit der Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung und deren Auswirkungen auseinander setzte, war dies durchaus nicht immer einfach. Nicht selten wünschte ich mir, ein anderes Thema gewählt zu haben. Es war nicht immer einfach, mit dem Frust umzugehen, der sich bei der Einsicht einstellte, dass auch meine Arbeit nichts an der Tatsache der Beschneidung ändern wird.
Ich finde es ungemein wichtig, dass sich so viele Menschen wie nur irgend möglich mit dem Thema der weiblichen Genitalverstümmelung auseinandersetzen und darüber informiert werden. Denn nicht allein durch die Verurteilung, sondern durch Wissen, Aufklärung und die (finanzielle) Hilfe von verschiedenen Seiten ist es möglich, dieses grausame Ritual irgendwann zu überwinden.
Der erste Teil meiner Arbeit befasst sich mit der Beschneidung von Frauen im Allgemeinen. Ich habe diesen Teil bewusst ausführlich gestaltet, da Informationen zur weiblichen Genitalverstümmelung eine Vorbereitung zum Umgang mit dem Roman „Wüstenblume“ sind, die für die Lehrperson von Bedeutung sind. Ich versuche einen Überblick über möglichst viele Teilaspekte zu geben.
Im zweiten Teil beschäftige ich mich neben einer Textanalyse und einer Definition von Problemliteratur hauptsächlich mit der Planung einer Unterrichtseinheit zum Roman „Wüstenblume“.
Bei der Konzeption dieser Unterrichtseinheit ist mir wichtig, dass sich die Schüler weitgehend selbstständig mit dem Roman und der weiblichen Genitalverstümmelung auseinandersetzen. Dies kann durch die Arbeit im Partnerpuzzle, an einer Lerntheke, in einer Strukturierten Kontroversen und im Projektlernen verwirklicht werden.
Vor allem im ersten Teil war es für mich durch meine emotionale Betroffenheit nicht immer leicht, sachlich zu bleiben. Ich hoffe jedoch, dass es mir gelungen ist.
Teil I: Beschneidung von Frauen – Theorie
1. Beschneidung
1.1 Was versteht man unter Beschneidung?
1.1.1 Beschneidung allgemein
Beschneidung meint die operativen Veränderungen der Geschlechtsteile von Männern und Frauen, die bei vielen Völkern in der Regel zwischen Kindheit und Geschlechtsreife (Pubertät) durchgeführt werden. Beschneidungen sind fast immer in komplexe Riten, die meist im Rahmen der Initiation stattfinden, eingebunden und im Leben beider Geschlechter oft von großer Bedeutung. Die Beschneidung des männlichen Gliedes, d.h. die Entfernung der männlichen Vorhaut, ist eine bis in die Gegenwart weit verbreitete Operation, v.a. im Bereich des Islams und des Judentums, sowie in den USA.
Alle Arten der Beschneidung sind irreversibel, unabhängig vom Alter der betroffenen Person und von der Art der Beschneidung.
1.1.2 Weibliche Beschneidung
Die Beschneidung bei Mädchen kann derjenigen bei Jungen in keinster Weise gleichgesetzt werden, da sie im allgemeinen den Sexualorganen einen weit größeren Schaden zufügt und viel öfter weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Daher wird sie von Außenstehenden nicht als Beschneidung, sondern als weibliche Genitalverstümmelung (engl. female genital mutilation = FGM) bezeichnet.
FGM umfasst „alle Eingriffe, die eine partielle oder totale Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien einschließen oder zu anderen Verletzungen der weiblichen Geschlechtsorgane führen, sei es aus kulturbedingten oder anderen nicht-therapeutischen Gründen.“[1]
Alle Arten der weiblichen Beschneidung bringen lebenslange Folgeerscheinungen, psychische und physische Probleme mit sich, deren Zusammenhang mit der ‚Beschneidung’ den Betroffenen oft nicht einmal bewusst ist.
1.2 Unterschiedliche Formen der Genitalverstümmelung bei Frauen
Es gibt unterschiedlich schwere Formen von FGM. Die Weltgesundheitsorganisation WHO unterscheidet sie wie folgt:
1.2.1 Sunna (sunna = arab. "Tradition")
Bei der ‚milden Sunna’ wird die Vorhaut der Klitoris eingestochen, geritzt oder entfernt. Dabei wird wenig oder kein Schaden am weiblichen Körper und dessen Sexualfunktion angerichtet.
Die ‚modifizierte Sunna’ bedeutet die teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris, dem weiblichen erektilen Sexualorgan, das dem Schwellkörper des männlichen Glieds entspricht.[2]
Diese beiden Formen sind jedoch selten.
1.2.2 Klitoridektomie
Mit 80 Prozent aller Eingriffe am weitesten verbreitet ist die Klitoridektomie (Ektomie = Herausschneiden, totale operative Entfernung eines Organs[3] ), bei der ein Teil oder die gesamte Klitoris und die kleinen Schamlippen teilweise oder vollständig amputiert werden.
Diese Operation ergibt häufig ein Narbengewebe, das so groß ist, dass es die vaginale Öffnung verdeckt.[4]
Die Schamlippen werden operativ entfernt und die Wände der Vulva, der äußeren weiblichen Geschlechtsteile[5], derart vernäht, dass der Durchmesser der Vaginaöffnung auf etwa die Hälfte verringert wird. Der Zweck dieser Operation ist die Unterbindung sexueller Beziehungen.
1.2.3 Pharaonische Beschneidung / Infibulation
Die schwerwiegendste und extremste Form der Beschneidung ist die pharaonische Beschneidung mit Infibulation, die etwa 15% aller Eingriffe ausmacht. Die Klitoris, die kleinen Schamlippen und die inneren Schichten der äußeren Schamlippen werden entfernt. Die verbleibenden Hautreste der äußeren Schamlippen werden dann so mit Katzendarm bis auf eine reiskorngroße Öffnung zusammengenäht oder mit Dornen aneinander befestigt, dass die verbleibende Haut der äußeren Schamlippen zusammenwächst. Sie bildet eine Brücke aus Narbengewebe über der vaginalen Öffnung. Ein kleines Stück Rohr, Holz oder Stroh wird in die Wunde gesteckt um einen vollständigen Verschluss zu verhindern und so eine Öffnung für Urin und Menstruationsblut zu lassen.[6]
1.2.4 Erneute Beschneidung / Refibulation
Frauen, die eine Geburt hinter sich haben, verwittwet oder geschieden sind, lassen sich erneut beschneiden, um eine jungfräuliche Vagina vorzutäuschen. Meist sind es Frauen, die vorher eine pharaonische oder modifizierte Beschneidung hatten, bei denen diese Praktik angewandt wird.
Die Ränder der Narbe werden abgeschält, bzw. abgeschnitten und zusammengenäht, oder das lose hängende Gewebe um die Öffnung wird zugenäht. Das Endresultat ist ein enger Introitus, der Männern mehr sexuelles Vergnügen bereiten soll.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Abb. 3
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4
1.3 Wie läuft eine Beschneidung ab?
1.3.1 Die Ausführenden
Traditionell sind die Ausführenden von FGM bei den verschiedenen ethnischen Gruppen und Stämmen in Afrika ziemlich unterschiedlich. Die meisten Beschneidungen werden von traditionellen Hebammen durchgeführt.[7] Die Beschneiderinnen, die in Tansania in der Same-Region dank eines (i)ntact-Projektes ihren Beruf aufgegeben haben „waren zwischen 28 und 70 Jahren alt und überwiegend Analphabetinnen.“[8] Außerdem führen auch umherreisende Zigeunerinnen und Wahrsagerinnen Beschneidungen durch, wie es bei Waris Dirie der Fall war.
Aber auch Barbiere z.B. bei den Hausa im Norden Nigerias, und männliche „Priester“, wie im nördlichen Zaire traditionell üblich, können Beschneider kleiner Mädchen sein.
„Zu den Operationsinstrumenten gehören Rasierklingen, Scheren, Küchenmesser und – weniger häufig – Glasscherben. Antiseptische Techniken und Betäubungsmittel werden im allgemeinen nicht angewendet, häufig sind sie sogar unbekannt.“[9]
In Städten werden die Mädchen, vor allem die Töchter der Elite, in Krankenhäusern von ausgebildeten Ärzten, Krankenschwestern und Hebammen steril und unter Narkose beschnitten. Dies scheint zwar auf den ersten Blick humaner und weniger gefährlich zu sein, aber da sich das Kind weniger wehrt, kommt es auch recht oft vor, dass mehr weggeschnitten wird, als es ohne Betäubungsmittel der Fall wäre.
Beschneiderin ist ein angesehener Beruf, mit dem man viel Geld verdienen kann und oft sind es die Frauen, die mit ihrem Beruf die ganze Familie ernähren müssen. Aus diesem Grund sind viele der Beschneiderinnen nicht bereit, ihren Beruf aufzugeben. Es muss ihnen also ein angesehener Beruf, am besten in der Aufklärungsarbeit oder als Krankenschwester o.ä. ermöglicht werden, mit dessen Einkommen sie weiterhin ihre Familie ernähren können.
Vielen Beschneiderinnen ist auch gar nicht klar, was für gesundheitliche Schäden sie durch ihre anatomische Unkenntnis anrichten (Harnröhrenverletzungen, usw.). Sie müssen erst einmal aufgeklärt und medizinisch geschult werden. Dadurch wird ihnen bewusst gemacht, wie sehr sie den Mädchen Schaden können und Zusammenhänge zwischen Beschneidung und vielen Krankheiten, unter denen Frauen leiden, werden ihnen klar. Dies kann sie dazu bringen ihre Meinung zu ändern und ihren Beruf aufzugeben und einen neuen auszuüben. Anders ist es nicht möglich. Nur durch gesetzliche Verbote kann dieses Ziel nicht erreicht werden.
1.3.2 Wer wird beschnitten?
„Die Verstümmelung weiblicher Genitalien wird an jungen Mädchen vorgenommen und soll diese auf die Heirat vorbereiten. Ihre sexuelle Unberührtheit soll gesichert und ihr Körper den herrschenden Vorstellungen von Weiblichkeit angepasst werden.“[10]
Der Akt der Beschneidung ist in diesen Kulturen ein Ausdruck für die soziale Stellung der Frau. Zweck dieser Verstümmelung ist es, den Sexualtrieb des Mädchens zu dämpfen, indem man ihre sexuell empfindsamsten Organe entfernt. Man glaubt, dies werde sie veranlassen, keusch zu bleiben, ihre Jungfräulichkeit bis zur Hochzeit garantieren und außerehelichen Geschlechtsverkehr verhindern, und so die Ehre und Integrität der Familie bewahren. „Die zugenähten Reste ihrer Labia bilden in der Tat einen künstlich geschaffenen Keuschheitsgürtel, dessen Unberührtheit bei der Eheschließung ihrem Bräutigam und seiner Familie garantiert, dass ihre Tugend und die Ehre seiner Familie sicher sind.“[11]
Im allgemeinen wird die Beschneidung an kleinen Mädchen im Alter von fünf bis neun Jahren vorgenommen. Heutzutage aber werden Mädchen immer früher beschnitten, denn je jünger ein Mädchen ist, desto leichter ist sie bei der Beschneidung zu handhaben. Und da ihr nicht klar ist, was mit ihr passieren wird, leistet sie keinen Widerstand. Wahrscheinlich wird dem Mädchen dadurch sogar weniger Schaden in der Genitalregion zugefügt, da es sich dadurch, dass es gut festgehalten werden kann, weniger bewegt.[12] Außerdem ist die Durchführung der Operation bei einem jüngeren Mädchen angeblich weniger traumatisch.
Mädchen haben nur dann die Möglichkeit, sich überhaupt gegen die Beschneidung zu wehren, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben, bevor sie beschnitten werden und wenn sie eine gute Aufklärung und Ausbildung erhalten haben. Erst dann können sie vielleicht erfassen, was ihnen angetan werden soll und können sich zur Wehr setzen.
Für Kinder ist die Beschneidung ein großes Ereignis, da sie im Mittelpunkt des Interesses stehen, viele Geschenke bekommen und ihnen zu Ehren ein großes Fest abgehalten wird. Dem Mädchen wird gesagt, dass es von einem gefährlichen und unreinen Ding gereinigt wird und dass diese Reinigung sie rein und süßduftend für den Mann macht, der sie einmal heiraten wird. Man sagt ihr, der Tag der Beschneidung sei der wichtigste Tag ihres Lebens, denn er werde sie auf die Heirat vorbereiten und sie dieser würdig machen. Aus diesem Grund sehen kleine Mädchen ihrer Beschneidung stets mit einer Mischung aus Bereitwilligkeit und Angst entgegen. Angst deshalb, weil sie ja wissen, dass ihnen eine sehr schmerzhafte Prozedur bevorsteht, da sie schon die Beschneidungen anderer Mädchen miterlebt und diese schreien gehört haben.
Unbeschnittene Frauen gelten als Prostituierte. Aus diesem Grund kontrollieren schon kleine Mädchen untereinander ihre Beschneidungen. Wenn ein Mädchen ein anderes als Hure beschimpft, nimmt dieses die Herausforderung sofort an und zeigt ihre Beschneidung, egal an welchem Ort sie sich gerade befindet. Ist sie beschnitten, muss das Mädchen, das sie beschimpft hat, sich entschuldigen oder wird verprügelt.[13]
Kleine Mädchen, deren Eltern gegen die Beschneidung sind, haben oftmals große Schwierigkeiten unter Gleichaltrigen. Sie werden in der Schule gehänselt und kommen weinend nach Hause. Sie bitten ihre Eltern um die Beschneidung, da sie nicht anders sein wollen als ihre Freundinnen.
Frauen, die sich entscheiden, ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen, erleben häufig folgendes:
„Ich habe meine Tochter nicht beschneiden lassen. Aber eigenartigerweise, als sie etwa fünf Jahre alt war, kam sie zu mir und sagte: ‚Die Mädchen werden mich necken und hinter mir herrufen. Warum bin ich nicht beschnitten?’ Ich sagte ihr, dass wir eine sehr große Geburtstagsfeier für sie veranstalten würden, denn sie liebte die Feste, die im Zusammenhang mit der Beschneidung stattfinden. Aber damit war sie nicht zufrieden. Und dann bat ich eine Hebamme so zu tun, als ob sie meine Tochter beschneiden würde, so dass Kind annahm, sie sei beschnitten worden. (...) Meine Tochter ist mir heute sehr dankbar.“[14]
1.3.3 Wie läuft eine Beschneidung ab?
Bei Nomaden läuft die Beschneidung oft wie im Fall von Waris Dirie, die mit fünf Jahren beschnitten wurde, ab:
Das Mädchen wird am Abend vor seiner Beschneidung angewiesen, nicht zu viel Wasser zu trinken. Früh am nächsten Morgen, solange alle anderen noch schlafen, wird sie vom Lager weggeführt, damit ihre Schreie die anderen nicht wecken. Das Mädchen sitzt auf einem flachen Stein und bekommt die Augen verbunden. Jemand, der sie festhält setzt sich hinter sie, zieht ihren Kopf an seine Brust und umschlingt ihren Körper mit den Beinen. Eine Wurzel zum Draufbeißen ist alles, was das Mädchen bekommt, um die Schmerzen durchzustehen. Dann beginnt die Beschneidung.
„Dann spürte ich, wie mein Fleisch, meine Geschlechtsteile, fortgeschnitten wurden. Ich hörte den Klang der stumpfen Klinge, die durch meine Haut fuhr. (...) Es ist, als ob dir jemand ein Stück Fleisch aus dem Oberschenkel reißt oder dir den Arm abschneidet, nur dass es sich dabei um den empfindsamsten Teil deines Körpers handelt.“[15]
Mit Akaziendornen werden Löcher in die Haut gestochen, durch die die Beschneiderin einen festen Zwirn schiebt, um das Mädchen zu vernähen.
Damit sich das Mädchen nicht bewegt, und ihre schweren Wunden ausheilen können, werden der Beschnittenen bis zu 40 Tage lang die Beine von den Fersen bis zur Hüfte zusammengebunden. Es gehört zur Tradition, dass unter einem Baum eine kleine Hütte errichtet wird, in der das Mädchen in den Wochen nach ihrer Beschneidung allein ruhen und sich erholen soll, bis es wieder gesund ist.[16]
1.4 Begründungen, die für FGM angeführt werden
Die Begründungen für und das Festhalten an der traditionellen Verstümmelung weiblicher Genitalien scheinen in den meisten afrikanischen Gesellschaften beständig zu sein und basieren zum größten Teil auf der Ignoranz von medizinischen und biologischen Fakten, auf Unwissenheit über gesundheitliche Schäden, auf Unkenntnis der Menschenrechte oder auf dem Glauben an alte Mythen.
Die Klitoris wird als abstoßend, schmutzig, stinkend und gefährlich für das Leben das Neugeborenen und schädlich für die Gesundheit und Potenz des Mannes betrachtet.
Die eher symbolisch zu sehende ‚Unreinheit’ der weiblichen Genitalien wird im populären Verständnis oft überlagert von einer angenommenen ‚Unsauberkeit’. Man nimmt an, dass die Operation ‚übelriechenden Ausfluss verhindern und die Geschlechtsorgane sauberhalten’ würde. Ein unbeschnittenes Mädchen wird als unrein bezeichnet, und die Beschneidungsprozedur heißt oft ‚Reinigung’ oder ‚Säuberung’ (oder auch ‚Sauberkratzen’). Bei den Kikuyu heißt es, dass die Klitoris Schmutz und Krankheiten anzieht, oder einfach stinkt. In weiten Teilen Westafrikas hingegen wird die Klitoris als gefährlich angesehen, weil sie ein Kind, sollte es sie bei der Geburt berühren, töten würde. Verbreitet ist auch die Überzeugung, dass die Beschneidung eine gesundheitsfördernde und krankheitsverhindernde Wirkung hat, und Melancholie, Nymphomanie, Irrsinn, Hysterie, Epilepsie und sogar die Neigung zum Schuleschwänzen kurieren kann. Besonders infam scheinen die Thesen, die sich auf die weibliche Fruchtbarkeit und deren Förderung durch die Beschneidung beziehen, denn in ganz Afrika ist die Mutterschaft Hauptfunktion, Sinn und Erfüllung einer Frau.[17]
Es wird angenommen, dass Beschneidung die Vagina vergrößert und so Empfängnis und Geburt erleichtert werden (das Gegenteil ist der Fall), dass sie die Muttermilch gewährleistet und dass eine stillende Mutter dadurch Abstand von der Sexualität halten kann. Somit kann kein Sperma in ihre Muttermilch gelangen und dem Kind Schaden zufügen. Außerdem wird geglaubt, dass alle Arten von Geschlechtskrankheiten dadurch verhindert werden und beschnittene Mädchen auch „weniger häufig von Aids befallen“[18] werden.
In einigen Ethnien, z.B. bei den Tagouana an der Elfenbeinküste, ist der Glaube verbreitet, eine unbeschnittene Frau könne überhaupt nicht empfangen; die Klitoris verhindere Menstruation, Empfängnis und Geburt.[19]
Es wird auch behauptet, dass die Klitoris auf Länge eines Gänsehalses anwächst und mit dem Penis des Mannes rivalisiert, wenn sie nicht beschnitten wird. Dies erweckt soviel Abscheu und Angst bei Männern, dass sie unter keinen Umständen eine unbeschnittene, ‚schmutzige’ Frau heiraten wollen.
Eine Nomadin beschreibt die unbeschnittenen Genitalien einer Frau wie folgt, als sie diese zum ersten Mal erblickt. Sie ist für die Geburt ihres zweiten Kindes im Krankenhaus in einem Teil des Landes, in dem Frauen nicht beschnitten werden:
„Und da sah ich zum ersten Mal eine unbeschnittene Frau ... weißt du, der Teil des Körpers, wo das Baby sich herausschiebt ... der ist anders. Es erinnerte mich daran, wie unsere Kühe früher Kinder kriegten, es ist ähnlich. Weil das bei uns klein ist und zugenäht, dachte ich, als ich das sah: Sie haben aber viel Kuhmuschi. So sah es für mich aus.
Dieser Körperteil ist bei einer somalischen Frau bedeckt und verschlossen – das sieht besser aus. Ich habe Brüder, Vettern und Freunde, die mit europäischen Frauen zusammenwaren oder mit Frauen, die eine Klitoris haben, und sie sagen, bei uns sei es am besten – sie sagen, es ist kleiner, fest, es ist sauber, und es ist nicht so nass. Ich selbst weiß, dass wir besser riechen und weniger schmutzig sind als Frauen, die nicht beschnitten wurden.“[20]
Selbst Frauen, die selbst die so schmerzhafte Beschneidung durchlitten haben und viele gesundheitliche Probleme dadurch hatten, halten Beschneidung für eine gute Sache. „(...) man müsse dies mit kleinen Mädchen machen, da „es sie sauberhält und dann die Gebärmutter nicht herausfallen kann“.“[21] Außerdem ist unter ungebildeten und unaufgeklärten Menschen die Angst verbreitet, dass die Mädchen Schmutz und Würmer in die Vagina bekommen, wenn sie nicht beschnitten sind.[22]
Es zeigt sich, dass es auch die Frauen selbst sind, welche die ihnen anerzogenen Normen häufig vollständig verinnerlichen. Obwohl sie die Genitalverstümmelung selbst erlitten haben, stellen Mütter Berechtigung und Sinn dieser Tradition selten in Frage und lassen die unwiderrufliche Operation an ihren Töchtern zu oder drängen sogar selbst darauf. Tief verwurzelte Überzeugungen, das Festhalten an alten Traditionen und Bräuchen und mangelnde Informationen enthalten den Frauen die Möglichkeit vor, selbstbestimmt unter verschiedenen Optionen für die Gestaltung ihres eigenen Lebens und das ihrer Kinder auszuwählen.
„Der soziale Druck gehört zu den wichtigsten Gründen, warum die Amerikaner sich bis heute für die Beschneidung ihrer Söhne entscheiden. „Alle tun es.“ „Es sieht besser aus.““[23] Ebenso ist es in Afrika. Nur ist der Druck dort stärker und entsteht vor allem nicht nur auf die Entscheidung der Eltern, sondern setzt auch die kleinen Mädchen unter Druck. Unbeschnittene Frauen gelten als Prostituierte. Sogar schon Mädchen untereinander kontrollieren ihre Beschneidungen. „Wenn du nicht beschnitten warst, redeten und spielten die anderen Mädchen nicht mit dir.“[24]
Das eigentliche Motiv für die Genitalverstümmelung wird dagegen häufig in den patriarchal strukturierten Gesellschaften gesehen. Die Verstümmelung dient der Kontrolle der weiblichen Sexualität und soll als Schutz vor dem Verlust der Jungfräulichkeit und vor Promiskuität in der Ehe fungieren.[25] Mit Hilfe der Beschneidung wird versucht, die sexuelle Lust einer Frau zu zügeln. Sexuelle Lustgefühle sind in den Kulturen, die die Beschneidung praktizieren, ausschließlich Männern vorbehalten. Die Überzeugung, dass die Beschneidung Frauen „weniger sexuell empfänglich vor der Ehe macht, aber reaktiver nach der Heirat“[26] ist weit verbreitet.
Durch die Beschneidung soll die Frau die Lust an der Sexualität verlieren und nicht nur vor den lustvollen Angriffen der Männer verschont, sondern auch vor ihrer eigenen, ihnen angeborenen Promiskuität beschützt werden. Die Beschneidung ist für die Moral der Mädchen und Frauen notwendig, weil sie sonst ganz automatisch auf die schiefe Bahn geraten? Es wird also jeder Frau die Vernunft abgesprochen, selbst für ihre Moral sorgen zu können! Indirekt wird demnach behauptet, dass für ein unbeschnittenes Mädchen der Weg zur Prostituierten vorprogrammiert ist und dass ‚ordentliche’ Eltern, die sich um das seelische Wohl ihrer Tochter wirklich sorgen und sie zu einer treuen und verantwortungsbewussten Ehefrau und guten Mutter erziehen wollen, daher schon von ihrer eigenen Verantwortlichkeit her gezwungen sind, sie brutal verstümmeln zu lassen.
Es liegt nahe, dass Traditionen am stärksten in dem Bereich wirken, der unabhängig von jeder Modernisierung im Kern erhalten geblieben ist – in der Familie. Diese weist der Frau häufig eine feste Rolle im Familienleben zu und verweigert ihr das Recht, frei über ihre Lebensweise, Sexualität und Partnerwahl zu bestimmen. Ängste vor der weiblichen Sexualität, die in vielen traditionellen Wertsystemen als bedrohlich empfunden wird, sind Hintergrund der Kontrolle der Frauen.[27]
„Die wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit der Frauen von Männern und die ausschließlich männliche Definition sexueller Erfüllung stellen sicher, dass beide, Männer und Frauen, ein Interesse am Erhalt der FGM-Praktiken haben.“[28]
Da Heirat und Kinderkriegen die einzige Option ist, die viele afrikanische Frauen (außer Prostitution in den Stadtgebieten) haben, bleibt ihnen kaum eine Wahl in der Entscheidung, ob sie ihre Töchter beschneiden lassen oder nicht.
Viele Frauen leben mit der allgegenwärtigen Angst, dass ihre Männer sich von ihnen scheiden lassen, eine zweite, dritte oder vierte Frau nehmen oder sich mit Prostituierten einlassen. Dies stellt eine große Bedrohung für eine Frau dar, in einer Gesellschaft, in der sie absolut kein Einkommen hat und in der eine Frau keinen Besitz hat, als das Gold, das sie als Brautgeschenk bekommen hat und am Körper trägt. Eine geschiedene Frau verliert nicht nur an Status, Eigentum, Schutz und sozialem Leben, sondern muss auch ihre Kinder ihrem Mann überlassen.
Aus diesem Grund nehmen Frauen auch die Prozedur der Refibulation, die nur noch mehr Schmerz bereiten kann, hin. Heutzutage werden Frauen nach einer Geburt wieder beschnitten, solange bis keine Haut mehr da ist. Eine refibulierte Frau fühlt sich wieder an wie eine Jungfrau. Die Meinung herrscht vor, dass dies dem Mann eine besondere Freude bereitet. Manche Frauen gehen so weit, dass sie sich regelmäßig refibulieren lassen, auch wenn sie keine Geburt hinter sich haben.[29] Aus diesem Grund stellt Beschneidung von Frauen auch ein gutes Geschäft für Hebammen, Beschneiderinnen, aber auch Ärzte dar. Keiner will auf diese alten Praktiken verzichten, dem sie Geld einbringen.
Wirtschaftliche Alternativen für Frauen, verbunden mit einer besseren, rationaleren Aufklärung, könnten sehr gut den Weg zur Abschaffung dieses blutigen Rituals ebnen. Voraussetzung für eigenes Nachdenken, eigene Entscheidungsfähigkeit und somit Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben und jegliche Entwicklung, ist immer auch ein möglichst hohes Maß an Bildung. Wenn es gelingt, Frauen einen Grundstock an Bildung zu vermitteln, so wirkt sich dies auf ihr gesamtes Umfeld aus.[30]
[...]
[1] Diaby-Pentzlin, F. / Göttke, E., 1999, 2.4 Die Fakten
[2] vgl. Pschyrembel, W., 1997, S. 826
[3] vgl. Pschyrembel, W., 1997, S. 405
[4] vgl. Panoff, M. / Perrin, M., 1982, S. 101 und Lightfoot-Klein, H., 1992, S. 49
[5] vgl. Pschyrembel, W., 1997, S. 1676
[6] vgl. Panoff, M. / Perrin, M., 1982, S. 101; Diaby-Pentzlin, F. / Göttke, E., 1999, 2.4;
www.dadalos.org/deutsch/Menschenrechte/Grundkurs_MR3/frauenrechte/warum/beschneidung.htm (21.07.2003)
[7] vgl. Seager, J., 1998, S. 115
[8] (I)NTACT Jahresrückblick 2002, S. 5
[9] Lightfoot-Klein, H., 1992, S. 53
[10] Seager, J., 1998, S. 115
[11] Lightfoot-Klein, H., 1995, S. 57
[12] vgl. Lightfoot-Klein, H., 1991
[13] vgl. Barnes, V. L. / Boddy, J., 1995, S. 279
[14] Ismail, E. / Makki, M., 1990, S. 116
[15] Dirie, W., 1998, S. 69 / 70
[16] vgl. Dirie, W., 1998, S. 62-72
[17] Vgl. Lightfoot-Klein, H., 1992, S. 215
[18] Barnes, V. L. / Boddy, J., 1995, S. 306
[19] vgl. www.aktion-menschen.de/menschen/beschneidungmain.html (21.07.2003)
[20] Barnes, V. / Boddy, J., 1995, S. 306
[21] Lightfoot-Klein, H., 1992, S. 22
[22] vgl. Lightfoot-Klein, H., 1992, S. 22
[23] Lightfoot-Klein, H.,1992, S. 225
[24] Barnes, V. L. / Boddy, J., 1995, S. 96
[25] www.dadalos.org/deutsch/Menschenrechte/Grundkurs_MR3/frauenrechte/warum/beschneidung.htm (21.07.2003)
[26] Lightfoot-Klein, H., 1992, S. 91
[27] vgl. Krämer, A., 1995, S. 125
[28] Seager, J., 1998, S. 115
[29] vgl. Lightfoot-Klein, H., 1991
[30] vgl. Krämer, A., 1995, S. 126/127
- Quote paper
- Daniela Weismann (Author), 2003, Beschneidung von Frauen - Theoretische Grundlegung und didaktische Konzeption zum Roman "Wüstenblume" als Problemliteratur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21000
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