Abenteuer oder Alltag? Pascal Frank und Judith Taschenmacher standen nach fertiger Ausbildung und abgeschlossenem Studium vor der Entscheidung, direkt in den Arbeitsalltag zu starten oder vorher auf einer abenteuerlichen Reise Natur und Menschen frei und unbeschwert zu erleben und dabei sich selbst zu begegnen. Als erfahrene Backpacker und Bergwanderer entschieden sie sich für eine harte Tour und überquerten zu Fuß die Alpen - 750 Kilometer durch die Schweiz, Italien und Frankreich in 55 Tagen. In diesem Buch erzählen sie von fantastischen Berglandschaften, Schneestürmen und Unwettern, spannenden Begegnungen mit Couchsurfern und Hunden, hässlichen Ski-Hochburgen und malerischen Bergdörfern und dem ständigen Kampf mit Körper und Geist. Dabei geben sie wertvolle Tipps für Berghütten und andere Übernachtungsmöglichkeiten, die schönsten Gipfel und Täler und andere Sehenswürdigkeiten in den verschiedenen Orten ihrer Reise. Gleichzeitig warnen sie vor besonders gefährlichen Klettersteigen und schlecht beschilderten Streckenabschnitten auf der Route von Lausanne über Monthey, Chamonix Mont Blanc, Bourg St. Maurice, Tignes, Modane, Briançon, Embrun, Puget Théniers nach Nizza.
Inhalt
Vorwort
Vorgeplänkel
Das große Ziel
Der Abschied
Der Start
Regen und Geschichten: Von Marmagen nach Ruthweiler
Weinseeligkeit: Über Neustadt a. d. Weinstraße nach Freiburg
Auf in die Schweiz: Von Sissach nach Lausanne
Traversée des Alpes: Der Überblick
Die ersten Marschtage von Lausanne nach Monthey
Die ersten Schritte in den Alpen von Monthey bis Chamonix-Mont-Blanc
Ein gefährlicher Aufstieg
Ein erholsamer Abstieg nach Sixt Fer à Cheval
Gewitter und grandiose Ausblicke auf dem Weg nach Chamonix Mont Blanc
Von Chamonix-Mont-Blanc nach Bourg St. Maurice: Pausen-, Wander- und Geburtstage
Der Weg um das Mont Blanc-Massiv
21.09.2010: L´anniversaire, l´anniversaire – Judith hat Geburtstag
Von Bourg St. Maurice nach Tignes: Couchsurfen, Unwetter und Freeclimbing
Skifahrer-Ghetto Les Arcs
Mieses Wetter in den Bergen
Gipfelsturm auf den Auguille Grive
Exkurs: Refuges – Die Berghütten der französischen Alpen
Hässliches Tignes
Von Tignes nach Modane .Wandern bei jedem Wetter
Der Col d’Aussois
Getrennte Wege
Gruselige Nächte und Bella Italia: von Modane nach Briançon
Stürmische Nacht
Marie-Do in Briançon
Hundebekanntschaften und Martini auf dem Gipfel: von Briançon nach Embrun
Der Nationalpark Des Écrins
Kleiner Hunde-Exkurs
Ein Schlaraffenland auf Rädern
Hoch auf dem Col des Tourettes
Unsere abwechslungsreichste Etappe von Embrun nach Puget-Théniers
Pausenspaß mit Astro
Der Col de Fours
Der Pas du Lausson
Châteauneuf-d’Entraunes: Schönes Dorf, üble Wirtin
Erste Eindrücke der Seealpen
Der Endspurt von Puget-Théniers nach Nizza
Übernachtungsstress in Puget-Théniers
Idyllische Alpendörfer in den Seealpen
Durch die Seealpen gen Süden
Exkurs: Langsam nervt das Wandern
Ein verrückter Abend mit Richard und Isabelle
Der Cime de Cheiron und der erste Blick aufs Meer
Der letzte Tag
Ausflüge von Nizza nach Monaco und zurück
Nizza
Das Fürstentum Monaco
Bildnachweis
Vorwort
Wenn man auf Reisen geht, macht man sich natürlich darüber Gedanken, nach was man sucht, was man zu finden hofft und welche Erwartungen man an die bevorstehende Reise hat. Einmal losgezogen, wird man mit den vielfältigsten Eindrücken konfrontiert. Für mich heißt das also: Das Reisen ruft eine ganze Reihe neuer Gefühle hervor, die mich zum Nachdenken bringen und das eigene Weltbild verändern.
Nun kenne ich diesen Prozess ja bereits von meinen früheren Reisen. Jede Tour brachte Unbekanntes mit sich und ich wusste nie, was mich erwartet. Und dabei sind es weniger die Orte und die Landschaften, die mich überraschten, sondern stets die Menschen und ihre Mentalität. Das macht das Reisen für mich so wertvoll!
Reisen ist eine Suche nach Neuem, bei der es gerade darum geht, Fremdartiges kennenzulernen, sich damit auseinanderzusetzen und sich so für andere Lebensweisen und Weltanschauungen zu öffnen. Und in diesem Buch berichten meine Lebensgefährtin Judith Taschenmacher und ich von unseren Erlebnissen auf eben dieser Suche bei einer Wanderung über die Alpen.
Pascal Frank
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Autoren Pascal Frank und Judith Taschenmacher
Vorgeplänkel
von Pascal
Das große Ziel
Am Montag, den 30. August 2010 brachen wir, Judith und Pascal, im Eifeler Dorf Marmagen auf. Vor uns lag eine Reise, deren Dauer und deren Route wir selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannten. Fest stand lediglich, dass wir zunächst per Anhalter nach Lausanne und von dort aus eine Alpenüberquerung Richtung Nizza starten würden, alles andere stand in den Sternen. Geplant war eine Reisedauer zwischen drei Monaten und drei Jahren. Es hätte also in Nizza bereits vorbei sein können, aber genauso gut auch ein- oder auch zweimal um die Welt.
Das Ziel der Tour war ohne Zweifel der Weg selbst, dem wir mit größtmöglicher Offenheit begegnen wollten. Es war uns wichtig, uns solange wie möglich von den Wogen des Lebens treiben zu lassen, wir wollten noch einmal alles was wir waren und taten in Frage stellen. Wir wollten die Welt und uns selbst ‒ vielleicht ein letztes Mal ‒ so frei und unbedarft wie möglich betrachten.
Die letzten eineinhalb Jahre hatten wir auf den Moment gewartet, an dem dieses Abenteuer beginnen sollte. Nun ‒ nachdem wir knapp einen Monat zuvor Studium (Pascal, Kulturwissenschaften) und Ausbildung (Judith, Einzelhandelskauffrau bei Globetrotter) abgeschlossen hatten ‒ war es tatsächlich so weit: wir verließen das Haus der Familie Frank. Ein merkwürdiger Abschied war es gewesen, der sich gar nicht so recht nach einem Abschied anfühlte.
Es war nicht die erste große Reise für uns. Judith hatte bereits in den Jahren 2005/2006 nach dem Abitur Zentralamerika bereist, 2007 folgten mehrmonatige Reisen nach Nepal und Australien sowie kleinere Wandertouren in Europa. Ich selbst hatte seit dem Abitur 2004 mehrere zehntausend Kilometer per Anhalter in Europa zurückgelegt, reiste von September 2006 bis Oktober 2007 von Bolivien nach Mexiko und hatte im August 2008 einen Fußmarsch von meinem Heimatdorf Marmagen Richtung Afrika begonnen. Dieser Fußmarsch endete im November desselben Jahres in Lausanne und es war unser Anliegen, diese Wanderung nun fortzusetzen.
Diese Reisen hatten unseren Reisestil natürlich ein wenig geprägt, und es waren von vornherein nicht irgendwelche touristischen Attraktionen, rauschenden Partys oder sonnige Strände, die uns in die Ferne trieben. Wenn man die Idee überhaupt benennen kann, die unsere Grundhaltung, sozusagen unseren ‚Reisehabitus’ bestimmt hatte, dann war es die Idee des sozialen und nachhaltigen Reisens. Es war die Vorstellung, sich an fremden Orten, in fremden Umgebungen zu bewegen und bewegen zu lassen, ohne selbst Spuren zu hinterlassen ‒ seien sie nun im ökologischen Sinne oder in Form eines schlechten Eindrucks durch unangebrachtes Verhalten. Nicht dass wir der Meinung waren, diesen Reisestil vollständig zu verkörpern, es war vielmehr das Ideal, das uns auf unserem Weg leitete. Aus diesem Ideal ergab sich unter anderem, dass wir im Laufe unserer Tour so viel wie möglich zu Fuß und per Anhalter zurücklegen und auf keinen Fall in ein Flugzeug steigen wollten.
Der Abschied
In den Tagen zuvor hatte es kleine Abschiedsrunden im engsten Kreis von Familie und Freunden und weiteren Besuch bis spät in die Nacht unseres Abreisetages gegeben. Nachdem wir morgens bei Familie Frank noch gemütlich gefrühstückt und dann die letzten Sachen in die vollgepackten Rucksäcke gestopft hatten, ging es los. Vermutlich, weil wir wussten, dass wir uns zunächst nur langsam und direkt von der Haustüre aus auf den Weg machen würden, hatten wir den Eindruck, wir sagen nur für ein paar Tage „Tschüss“. Ein Kulturschock blieb in jedem Fall aus. Wir verfolgten sogar noch einen kurzen Moment den Plan, uns angesichts des Wetters von Pascals Eltern ein Stück weit die B51 mitnehmen zu lassen, denn draußen regnete es, was fürs Trampen eher ungünstig ist. Freilich waren wir uns dennoch bewusst, dass dieser Abschied ein Abschied auf unbestimmte Zeit sein würde und dass man über das, was zwischen diesem Abschied und dem nächsten Wiedersehen liegen würde, noch nichts wusste. Vor uns lag ein großes Abenteuer, das am ersten Tag mit einer harmlosen Aufgabe begann: von Marmagen nach Ruthweiler zu trampen, einem kleinen Dorf inmitten der Pfalz, wo seit vielen Jahren mein Onkel, meine Tante und mein Cousin lebten.
Der Start
von Pascal
Gegen 13 Uhr ging es letztendlich doch per Anhalter los, als der Regen gerade ausgesetzt hatte. Unser Gepäck wog etwa 20 Kilo, die sich aus wetterfester, alpentauglicher Kleidung, einem Zelt, Laptop, Yogamatte und Gurt, diversen Dokumenten (Reisepass, Versichertenkarte, Kreditkarten, Impfpass, Tauchbrevet) und Büchern, dicken Schlafsäcken und unserem Reiseproviant zusammensetzten. Der Proviant wiederum bestand zu Beginn aus vielen Tofuwürsten, einem Paket Hafermilch sowie einer Flasche Eifeltraum ‒ eine inzwischen nicht mehr erhältliche Biolimonade aus der Eifel.
Regen und Geschichten: Von Marmagen nach Ruthweiler
In Marmagen angelangt, fand sich auch schnell ein alter Bekannter aus Grundschulzeiten, der unsere erste Mitfahrgelegenheit der Reise wurde. Von dort ging es in zwei Etappen recht zügig weiter bis zur Abfahrt Kronenburg/Stadtkyll, wo sich allerdings auch schon die ersten Probleme zeigten. Nachdem wir etwa eineinhalb Stunden an der Straße gewartet hatten und nur wenige Autos vorbeigefahren waren, entschieden wir uns in der Nähe von Blankenheim erneut unser Glück zu versuchen. Dort gibt es eine ausgezeichnete Stelle zum Trampen. Allerdings hing just über diesem Platz eine dicke Regenwolke, sodass wir gerade einmal zwei Stunden nach Reisebeginn richtig nass wurden.
Zum Glück fand sich einige Zeit später ein sehr netter alter Mann, der zwar eigentlich nur ins zehn Kilometer entfernte Kall wollte, uns aber spontan hundert Kilometer weiter bis hinter Bitburg an einen Rastplatz brachte. Er berichtete uns leidenschaftlich von seinen eigenen Reisen in fremde Länder und seinen Erlebnissen mit anderen Kulturen. Er hatte meist auch ein gutes Wort für sie übrig und verlieh seiner Begeisterung auch noch explizit Nachdruck, zum Beispiel etwa so: „Die Rumänen, das sind sehr fleißige Leute. Jaaaa! Jawohl! Sehr fleißig! Mhm! Und auch ehrlich. Eeehrliche Leute. Ooohja!“ Sehr informativ, äußerst unterhaltsam und ganz sicher ein unvergesslicher Augenblick einer noch sehr jungen Reise.
Insgesamt verlief unser Trampen allerdings nicht sonderlich erfolgreich, sodass wir das eigentlich nur etwa 200 Kilometer entfernte Ruthweiler an diesem Tag nicht mehr erreichten. Stattdessen mussten wir uns mit einer Autobahnabfahrt irgendwo in Richtung Kaiserslautern begnügen, wo wir auch gleich den Reiseproviant aufbrauchten und in einem kleinen Waldstück die erste Nacht verbrachten. Unsere Laune wurde dadurch aber keineswegs beeinträchtigt, denn wenn wir etwas hatten, dann war es Zeit.
Weinseeligkeit: Über Neustadt a. d. Weinstraße nach Freiburg
Am nächsten Tag konnten wir die verlorene Zeit dann allerdings wieder reinholen, denn morgens ging es doch blitzschnell bis Ruthweiler ‒ sogar mit Taxiservice bis vor die Haustür. Den Tag verbrachten wir mit einem kleinen Ausflug in die Kreisstadt Kusel, wo es einen Bioladen zur Aufstockung des Reiseproviants und Reis-Eis gab. Irgendwie fühlte sich die ganze Sache noch nicht wirklich nach einer großen Reise an, denn getrampt waren wir ja auch schon zuvor reichlich und in Ruthweiler waren wir auch nicht das erste Mal. Ich hatte außerdem festgestellt, dass ich mein Regencape und ein paar Socken vergessen hatte. Ein Telefonat mit meinen Eltern sowie einem Freund in Freiburg, der unser nächster Gastgeber sein sollte, sorgte eher für ein Gefühl der Vertrautheit, statt für Aufregung.
Dieses Gefühl sollte sich am dritten Tag schon ein wenig ändern. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit der Familie Simon, die uns im Anschluss nach Kaiserslautern brachte, fuhren wir per Bahn gemeinsam mit meinem Cousin Andree nach Neustadt an der Weinstraße. Es hätte auch Kaiserslautern oder Mannheim oder sonst ein Ort in der Umgebung sein können, aber irgendwie hatte Neustadt sowieso seit einiger Zeit einen gewissen Reiz auf mich ausgeübt, und das schöne Wetter lud ohnehin zum Weintrinken ein. So kam es, dass wir zu dritt noch ein wenig durch die Neustädter Straßen schlenderten und uns eine Flasche Wein für sage und schreibe 24 Euro gönnten.
Die Stunden vergingen rasend schnell und gegen Nachmittag machte sich Andree auf den Rückweg. Wir begaben uns dagegen in Richtung Autobahn, denn es sollte noch am selben Tag zu Benjamin Norbert Ernst in Freiburg gehen, einem alten Schulfreund, der sich inzwischen zum Studieren in Deutschlands sonnigster Stadt niedergelassen hatte. Über den Weg dorthin gibt es im Prinzip nur zu berichten, dass es recht zügig voranging, wir von einem Mann mitgenommen wurden, der sein Geld mit mobilen Kinos verdiente, und wir irgendwann in der Dunkelheit ganz in der Nähe der Wohnung meines Freundes ankamen. Da ich schon einmal dort gewesen war, konnte ich mich sogar an den Fußweg erinnern, den wir noch bis dorthin zurückzulegen hatten.
Es war ein warmer Empfang im Hause meines Freundes, mit viel Wein und leckerem Essen. Wir hatten einen wunderbaren Aufenthalt, der allerdings nur zwei Nächte andauerte. Die wenige Zeit wurde für viele Gespräche, nette Kneipen und Cafés sowie noch mehr Wein und gutes Essen genutzt. Vor allem am zweiten Abend meinten wir es gut mit alkoholischen Getränken und unser Gastgeber präsentierte sich als bis dahin und bis auf Weiteres betrunkenster Mensch der Reise. Die Details sollen dem Leser an dieser Stelle erspart bleiben, insgesamt war es ohnehin nur ein weiterer Moment für unsere Reiseerinnerungen, den wir als einen sehr positiven mitgenommen haben. Wir haben uns sehr gefreut, dort gewesen zu sein, doch es wurde langsam Zeit, sich aus dem bekannten Umfeld zu lösen.
Auf in die Schweiz: Von Sissach nach Lausanne
Es war am Freitag, dem fünften Reisetag, als uns endgültig bewusst wurde, dass unsere Reise allmählich begonnen hatte. Vielleicht auch deshalb, weil wir uns immer weiter von zu Hause entfernten und uns nun endlich auch auf dem Weg ins Ausland befanden. Ziel war ein kleines Städtchen namens Sissach in der Schweiz, ganz in der Nähe von Basel, dort lebte ein Bekannter namens Marco. Ich kannte ihn aus den guten alten Zeiten in Lateinamerika, denn wir machten gemeinsam unseren Divemaster (ein Tauchschein, der zum Leiten von Tauchgängen und Assistieren von Tauchkursen berechtigt) bei Cross Creek, Utila in Honduras. Erwähnenswert ist vielleicht auch, dass Marco eine nicht unwesentliche Inspirationsquelle für unsere bevorzugte Art des Reisens war ‒ das Zufußgehen. Immerhin machte er sich nach Lateinamerika und einigen Monaten Arbeit im asiatischen Raum zu Fuß von Pakistan in Richtung Schweiz auf. Obgleich sein geniales Vorhaben, Eurasien Schritt für Schritt zu durchqueren, aufgrund diverser Umstände nicht gelang, so sind doch der Plan an sich, dessen versuchte Umsetzung und die so gemachten Erfahrungen bereits wertvoll.
So kam es nach drei Jahren endlich zu einem Wiedersehen. Wir verbrachten nur einen Tag in Sissach, doch es war wirklich großartig, einen Menschen, den man vor einigen Jahren mal irgendwo am anderen Ende der Welt kennengelernt hatte, in seiner Alltagswelt wieder zu treffen. Es war inspirierend und motivierend zugleich, von seinen Erlebnissen und Eindrücken in Asien zu hören. Seine Darstellungen der Erfahrungen und Begegnungen, seine Bilder aus Pakistan und dem Iran entfachten in uns in jedem Fall eine noch größere Lust auf das, was uns bevorstand.
Zugleich war Sissach unser letzter Stopp vor der Alpenüberquerung, sodass es auch die letzte Gelegenheit war, einige vorbereitende Recherchen für unseren anstehenden Fußmarsch anzustellen sowie unseren Reiseproviant aufzustocken. Wir informierten uns zu diversen Fernwanderwegen in den Alpen, entschlossen uns jedoch schließlich dazu, zunächst einfach unserer Wanderkarte von Lausanne am Genfer See entlang bis Chamonix-Mont-Blanc zu folgen und dann vor Ort Informationen zur weiteren Route einzuholen.
Am Sonntagmittag starteten wir in Richtung Lausanne. Auf dem Weg dorthin waren wir gedanklich auch endlich in unserer Reise angekommen, spätestens als wir den Rasthof hinter Bern erreichten und sich von nun an die gesprochene Sprache änderte. Lausanne liegt im französischsprachigen Kanton Vaud, also galt es, Autos mit dem Kennzeichen „VD“ zu finden. Tatsächlich hielt sehr bald eine nicht europäisch aussehende Frau, mit dem entsprechenden Nummernschild an, und wir wechselten mit ihr die ersten nicht deutschen Worte. Die Dame war Brasilianerin und stellte mich gleich vor eine sprachliche Herausforderung: Portugiesisch und Französisch mussten kombiniert werden. Da ich Letzteres gerade erst wieder auffrischte und Ersteres stark darunter litt, war die Konversation eine interessante Mischung, die sich am besten als „Franzogiesisch“ bezeichnen ließe. Naja, dieser Sprachenwechsel machte in jedem Fall deutlich, dass man sich in neuen Regionen aufhielt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Judith vor dem Genfer See
Es dauerte nicht lange, bis sich linker Hand der Genfer See zeigte und wir kurze Zeit später Lausanne erreichten. Lausanne ‒ der Ort, an dem ich vor gut zwei Jahren meinen Fußmarsch beendet hatte und von wo aus nun der erste Teil unseres großen gemeinsamen Abenteuers beginnen sollte: la traversée des alpes ‒ 750 kilomètres (Kilometer), 55 jours (Tage), quatre pieds (vier Füße).
Traversée des Alpes: Der Überblick
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Schweiz, Italien, Frankreich: Unser Weg durch die Alpen, Quelle: OpenStreetMap und Mitwirkende, CC BY-SA
Hier ein kurzer Karten-Überblick über die geplante Reiseroute von Lausanne am Genfer See über die Alpen nach Nizza an der Mittelmeerküste.
Unsere Route führte uns unter anderem über:
- Lausanne
- Monthey
- Chamonix Mont Blanc
- Bourg St. Maurice
- Tignes
- Modane
- Briançon
- Embrun
- Puget Théniers
- Nizza
- Monaco
Die ersten Marschtage von Lausanne nach Monthey
von Judith
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Schöne Aussichten
In Lausanne (Schweiz) angekommen, wurden wir von der netten brasilianischen Dame, die uns von Bern mitgenommen hatte, mit Sack und Pack direkt an der Promenade abgesetzt. Ein herrlicher Sonntagnachmittag, viele schicke Menschen schlenderten um uns herum und wir genossen den Blick auf den Genfer See und – natürlich – die Alpen. Pascal sagte: „Haha, ja da müssen wir drüber ... wahrscheinlich in einigen Tagen schon.“ Sieht von hier unten irgendwie nicht schlimm aus, dachte ich mir. Wird schon, sagte ich mir.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kurze Erholung für die Füße in der Sonne
Wem es noch nicht bewusst ist: Wir reisten tatsächlich mit Sack und Pack. Vom Zelt über die Isomatte, bis hin zu Schlafsack, Benzinkocher, Campinggeschirr, Taschenmesser und Kopflampe hatten wir alles dabei, was das Fernwandercampingherz begehrt. Unsere Rucksäcke wogen um die 18 bis 20 Kilogramm, mal mehr, mal weniger, je nachdem, was so an Leckereien drin war. Des Weiteren kleideten uns feste Wanderstiefel, gute Socken und natürlich, je nach Wetterlage, Regenklamotten und warme Sachen.
So schulterten wir also unsere Rucksäcke in der Stadt und auf ging’s, das Zufußgehen hatte begonnen. Noch eher schlendernd brachten wir den ersten Wandertag hinter uns. Es ging stets am Ufer des Genfer Sees entlang, vorbei an prächtigen Villen und menschenleeren Buchten. Die Nacht verbrachten wir gemeinsam mit vielen Mücken, weil wir ohne Zelt auf einem Gelände der Universität schliefen. Am nächsten Morgen begrüßte uns ein netter kleiner Hausmeister mit Kaffee.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Frühstücken und ein Päuschen am Genfer See
Die nächsten zwei Tage führte uns der Weg noch am Genfer See entlang, mal hoch oben durch die Weinberge – oh, und wie lecker diese Weintrauben waren – mal direkt am Ufer. Natürlich wagten wir an einem der Abende auch einen erfrischenden Sprung in den See, bevor uns die Müdigkeit ins gemütliche Zelt trieb.
Bis hierher sahen uns die meisten Menschen als Kuriosität auf diesem Weg an, mit unserem ganzen Gepäck auf den Schultern. Denn wie ein Fernwanderweg sehen die Pfade und Sträßchen, die sich am Ufer des Genfer Sees aneinander reihen, eher nicht aus. Hier liefen der attraktive Jogger, der gut gekleidete Sonntagsspaziergänger oder der elegante Hundebesitzer entlang. Für uns war es ein leichter Einstieg und die Eingewöhnungsphase ins weitere Fernwandern.
Am 7. September 2010 wandten wir dem Genfer See dann endgültig den Rücken zu und erklommen die ersten „Hügel“ der Alpen. Wir ließen die reichen Städte am Ufer hinter uns, durchwanderten kleine Bauerndörfer entlang der Rhône und erreichten die Städtchen Aigle und Monthey. In Letzterem hatten wir unseren ersten Aufenthalt bei Couchsurfern – wer nicht weiß, was das ist: Couch Surfing ist ein kostenloses, internetbasiertes Gastfreundschaftsnetzwerk. Als Mitglied nutzt man die Website, um auf Reisen private kostenlose Unterkünfte zu finden, selbst eine Unterkunft anzubieten oder sich auch auf andere Weise auszutauschen und zu helfen, beispielsweise mit einer Stadtführung oder einem Kaffeekränzchen im eigenen Wohnzimmer – www.couchsurfing.org.
Wir haben dieses Netzwerk auf unserer Alpenüberquerung deshalb besonders gerne genutzt, um zum einen die Menschen jenseits der großen Städte kennenzulernen, zum anderen, um Französisch zu sprechen und insbesondere alle fünf bis acht Tage den Rücken und Körper zu entlasten, indem wir in einem richtigen Bett schliefen. Die körperlichen Strapazen sind nicht zu unterschätzen auf einer solchen Tour – das bekamen wir rasch zu spüren. Tägliches, acht- bis zehnstündiges Wandern in Höhen zwischen 1.000 und 3.000 Metern, etliche Auf- und Abstiege und dazu stets ein Gewicht von ca. 18 bis 20 Kilogramm auf den Schultern und dem Rücken. Wir merkten schnell, dass eine weiche Matratze und ein zweitägiges Pausieren eine willkommene Erholung darstellten.
In Monthey „couchsurften“ wir also bei Anne-Luise und Cedric, einem netten französischen Pärchen in unserem Alter, entspannten den Nachmittag im Garten und ließen uns am Abend mit einem einfachen, aber wahrhaft französischen Vier-Gänge-Menü überraschen. Die Franzosen speisen nämlich folgendermaßen: Zunächst eröffnet ein Salat das abendliche Dîner, darauf folgt die Hauptspeise und schließlich rundet eine gemischte Käseplatte (mhm ...) den herzhaften Teil ab, nur um kurz darauf von Gang Nr. 4 abgelöst zu werden – bestehend aus Obst oder einem anderen süßen Dessert. So dauerte es nicht lange und Pascal und ich kamen in den ersten Genuss von herrlichem Käse. Wir ahnten bereits, dass diese Köstlichkeit neben dem süßen Gebäck in der Schweiz und in Frankreich zu unseren Leibspeisen werden würden – meine war es schon vorher.
Die ersten Schritte in den Alpen von Monthey bis Chamonix-Mont-Blanc
von Pascal
Ab Monthey war jegliches Vorgeplänkel vorbei. Nach einigen Tagen der Reisegewöhnung und weiteren Tagen des Einlaufens lagen nun die Alpen vor uns. Erstes Ziel: Chamonix-Mont-Blanc, ein Ort am Fuße des höchsten Berges Europas. Gemessen an der Luftlinienentfernung lag Chamonix nicht einmal sonderlich weit weg, allerdings galt es bis dahin, drei Berge mit jeweils 2.500 Metern zu überqueren ‒ Monthey selbst lag auf gerade einmal 400 Metern.
Der erste Tag meinte es dabei noch halbwegs gut mit uns: Von Monthey aus starteten wir mit einem recht steilen Anstieg in Richtung Troistorrent, auf dem wir uns zwar das erste Mal verliefen, die Hauptstrecke aber dennoch in knapp eineinhalb Stunden zurücklegten. Beim Aufstieg zeigte sich recht schnell die Nützlichkeit von Stöcken, da man sich so besser abstützen konnte. Dies tat auch meinem Rücken beziehungsweise meiner linken Schulter gut, die sich in den ersten Gehtagen von Lausanne aus bereits bemerkbar gemacht hatte ‒ seit meiner Wanderung von Marmagen nach Lausanne 2008 schmerzte die Schultergegend bei längeren Wanderungen mit Gepäck immer mal wieder. Einziges Problem: Ich hatte keine Stöcke dabei und Judith brauchte ihre. Ich musste mir also irgendwo im Wald zwei geeignete Äste suchen, die sich auch schnell fanden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Blick auf Troistorrents
Troistorrents in der französischen Schweiz war also unser erstes Ziel in den Alpen, und tatsächlich zeigte sich hier das erste Mal die typische Alpenarchitektur, das heißt große Holzhäuser mit schönen Gärten. Wirklich in den Alpen angekommen fühlten wir uns dennoch nicht, denn auf dem Weg entdeckten wir doch tatsächlich Pfirsichbäume und andere leckere Früchte, die man doch eher südlicheren Gefilden zuordnen würde. Obgleich wir uns den wirklich hohen umliegenden Bergen bereits stetig näherten, waren wir erst auf knapp 800 Metern Höhe angekommen. Je höher wir stiegen, desto kälter wurde es und der Regen tat schließlich sein Übriges, um unseren fünften Wandertag nicht zu dem angenehmsten zu machen. Da sich die Menge des Niederschlags aber in Grenzen hielt und es bis zu unserem Tagesziel Champéry nur noch weitere 300 Höhenmeter auf 10 Kilometern Strecke waren, gab es auch an diesem Tag keinen Grund zu jammern.
Champéry schien in erster Linie ein Schweizer Skiort zu sein. Der Winter war aber noch nicht eingekehrt, sodass sich schnell ein guter Zeltplatz im Garten eines leerstehenden Ferienhauses fand, wo wir unsere erste Nacht in den Alpen verbrachten. Und in der Tat: Der Höhenunterschied von 400 auf 1.100 Meter machte sich auch in der Temperatur deutlich bemerkbar. Nichtsdestotrotz fielen wir in einen wohltuenden Schlummerschlaf, noch nicht ahnend, dass sich der nächste Tag wohl für immer in unser Gedächtnis einbrennen würde.
Eigentlich begann alles ganz harmlos: Aufgrund der Kälte verweilten wir morgens ein wenig länger im Zelt, bis sich – wegen der hohen Berge etwas später als gewohnt – irgendwann die Sonne zeigte und ihre angenehme Wärme verströmte. Wir machten etwas Yoga, kauften im Ort ein, frühstückten und starteten anschließend zum ersten wirklich anspruchsvollen Aufstieg, zum Gipfel Tête des Ottans, der die Grenze zwischen der Schweiz und Frankreich markiert. Hierfür mussten wir insgesamt 1.400 Höhenmeter zurücklegen, also doppelt so viele wie am Tag zuvor.
Ein gefährlicher Aufstieg
Der Aufstieg begann recht spät, so gegen zwölf Uhr, und hatte es auch gleich in sich. Auf kleinen Trampelpfaden ging es über Fels und Stein steil den Berg hinauf, mit einem gefühlten Steigungswinkel von 45 Grad. Bis dahin hatten wir gedacht, spätestens durch die vorangegangenen fünf Tage hinreichend in Form zu sein. Nun lehrten uns die Berge die erste Lektion: Laufen ist die eine Sache, Hinaufsteigen eine andere. Nach einer Weile des Laufens begannen wir, jeden noch so kleinen Stein trotz dicker Schuhsohle zu spüren, das Tragen des Rucksacks wurde eher zum Gewichtestemmen, sprich zum Krafttraining für die Beine. Die zunehmende Höhe tat ihr Übriges, um die Alpentour zur körperlichen Herausforderung werden zu lassen. Zur Belohnung gab es spektakuläre Aussichten, zum Beispiel ins Tal Richtung Genfer See und auf die ersten hohen Gipfel mit Dauerschnee. Eines war nun Gewissheit: Die Alpen hatten wir inzwischen erreicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es ging steil bergauf ...
Wir liefen etwa für sechs Stunden entlang eines Flusses, durch waldige Abschnitte, später über kleinere Kletterpassagen und an einigen Wasserfällen vorbei. Es ging in schöner Landschaft und bei gutem Wetter etwa 1.000 Meter hinauf, bis wir schließlich ganz in der Nähe einer Schutzhütte ‒ im Folgenden gemäß der französischen Bezeichnung „Refuge“ genannt ‒ eine Plattform erreichten, von wo aus man eine schöne Aussicht auf die auf uns wartende Bergspitze hatte. Einziges Problem: Der Karte zufolge lag der Aufstieg quasi genau in einer Steilwand, die schon aus der Ferne gesehen wohl kaum für einen Aufstieg geeignet war. Es gab schlichtweg keinen sichtbaren Weg, nur Wand.
[...]
- Quote paper
- Pascal Frank (Author), Judith Taschenmacher (Author), 2013, Backpacker unterwegs: Mit dem Rucksack über die Alpen. Eine Wanderung von Lausanne nach Nizza und zu sich selbst, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209669
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