„Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“. Mit diesen Worten entfachte Bundeskanzler Schröder bereits Anfang April 2001 eine heftige Debatte über „Faulenzer“, „Drückeberger“, „Scheinarbeitslose“ und „Sozialschmarotzer“.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute entgegneten, dass nicht die Arbeitslosen, sondern „das System faul sei“. Ich habe in meinem Berufsfeld auf verschiedenen Ebenen Stigmatisierungen beobachtet/festgestellt. Sehr erstaunt und beschäftigt hat mich die Feststellung, dass es nicht nur persönliche Stigmatisierungen gibt, sondern auch politische (siehe obiges Zitat), strukturelle und ortsgebundene Stigmatisierungen. Teilnehmerinnen der MAE‐ Maßnahmen werden in abgelegenen, verwahrlosten Gebäuden beschäftigt und paradoxerweise mit dem Ziel der Integration exkludiert. Es scheint fast so, als müsse man die arbeitslosen Menschen von der Gesellschaft fern halten und umgekehrt. Werden Menschen räumlich derart ausgesondert, werden bereits vorhandene Stigmata bestätigt und stabilisiert. Arbeitslose befürchten heute Dauerarbeitslosigkeit; das bedeutet, dass sie sich mit der Idee, lebenslang stigmatisiert zu sein, auseinandersetzen müssen.
„Soziale und persönliche Identität sind zuallererst Teil der Interessen und Definitionen anderer Personen hinsichtlich des Individuums, dessen Identität in Frage steht“
(Goffman 1999:132)
1. „Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“. Mit diesen Worten
entfachte Bundeskanzler Schröder bereits Anfang April 2001 eine heftige Debatte über
„Faulenzer“, „Drückeberger“, „Scheinarbeitslose“ und „Sozialschmarotzer“.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute entgegneten, dass nicht die Arbeitslosen,
sondern „das System faul sei“ (Oschmiansky 2001: 6).
Ich habe in meinem Berufsfeld auf verschiedenen Ebenen Stigmatisierungen beobachtet/ festgestellt. Sehr erstaunt und beschäftigt hat mich die Feststellung, dass es nicht nur persönliche Stigmatisierungen gibt, sondern auch politische (siehe obiges Zitat), strukturelle und ortsgebundene Stigmatisierungen. Teilnehmerinnen der MAE- Maßnahmen werden in abgelegenen, verwahrlosten Gebäuden beschäftigt und paradoxerweise mit dem Ziel der Integration exkludiert. Es scheint fast so, als müsse man die arbeitslosen Menschen von der Gesellschaft fern halten und umgekehrt. Werden Menschen räumlich derart ausgesondert, werden bereits vorhandene Stigmata bestätigt und stabilisiert.
Arbeitslose befürchten heute Dauerarbeitslosigkeit; das bedeutet, dass sie sich mit der Idee, lebenslang stigmatisiert zu sein, auseinandersetzen müssen.
Der Träger beschäftigt einen Bildungsreferenten (Diplom-Politologe), Herrn K., welcher die Aufgabe hat, den Teilnehmerinnen individuelle und bedarfsgerechte Förderungsmöglichkeiten aufzuzeigen und für sie zu organisieren. Herr K. äußert sich ständig abwertend und stigmatisierend über die Teilnehmerinnen, obwohl er weder sie persönlich, noch ihre Biographie kennt. Er erhält lediglich die Anwesenheitslisten und bildet sich je nach Anwesenheit und Fehlzeiten der Teilnehmerinnen ein Urteil. „Schmeißen sie die raus, die will doch eh nicht arbeiten“, „dumm bleibt dumm“, „wir schicken die Migrantinnen mal schön weit weg nach Treptow zum Bewerbungskurs, in den Osten wollen die sowieso nicht hin, mal sehen, welche Alibis sie sich einfallen lassen“ und ähnliche Zitate belegen, wie negativ und entwürdigend er die Teilnehmerinnen beurteilt und verurteilt.
Auch in der Zusammenarbeit mit den Fallmanagern vom Jobcenter sowie den Erzählungen der Teilnehmerinnen über ihre Erfahrungen mit dem Jobcenter konnte ich, personengebunden, Stigmatisierungen beobachten. Ein Beispiel ist, dass eine junge Frau, welcher unberechtigterweise Leistungen vorenthalten wurden, aufgefordert wurde, die Kontoauszüge der vergangenen drei Monate vorzulegen, Zitat: „bevor sie wieder von uns Geld bekommen, wollen wir erst mal sehen, wofür sie ihr Geld ausgeben“.
Berufsgruppen, welche laut Gesetzesgrundlage des SGBII zur Förderung der Menschen verpflichtet sind, begegnen den Adressatinnen mit Vorurteilen und stigmatisieren sie, paradoxerweise genau über das „Makel“, Arbeitslosigkeit, welches die Grundlage der Arbeitsbeziehung ist. Die Beziehungen der Adressatinnen zum Träger der MAE- Maßnahme und dem Jobcenter sind durch eine eindeutige Hierarchie der Institutionen geprägt, da die Teilnehmerinnen entsprechend der Eingliederungsvereinbarung zur Einhaltung von Auflagen verpflichtet sind und bei Verstoß massive Sanktionen durch den zuständigen Fallmanager des Jobcenters erfolgen können. Die Begrifflichkeiten „Fallmanager“ und „Eingliederungsvereinbarung“ drücken sehr deutlich aus, dass Menschen aufgrund ihrer Erwerbslosigkeit zum „Fall“ geworden und ausgegliedert worden sind. Hier zeigt sich, dass Stigmatisierungen auf der Basis individueller beziehungsweise vermeintlich fehlender individueller Leistungen basieren können. Leistung und Leistungsbereitschaft scheinen somit Wertemaßstäbe zu sein. Die genannten Beispiele verdeutlichen, dass Etikettierungsprozesse auch in sozialen und institutionellen Alltagsprozessen stattfinden (vgl. Böhnisch 2004:19).
Eine häufige Folge von Typisierungen und daraus resultierenden Benachteiligungen ist, dass die Erwartungen, die an Stigmatisierte herangetragen werden, schließlich von diesen selbst übernommen werden; sie wachsen in Erwartungskontexte hinein (vgl. Böhnisch 2004: 20). Konsequenzen sind i. a. eine entsprechende Identitätsveränderung mit parallel abweichendem Verhalten. Die veränderte Selbstdefinition als Ergebnis der Fremddefinition erzeugt und stabilisiert ihrerseits Verhaltensweisen, die die vorweg gefällten Erwartungen zu bestätigen scheinen (vgl. Sorger 2004:1).
Arbeitslosigkeit scheint ein prädestinierter Anlass für gesellschaftliche
Ausgrenzung und Stigmatisierungen zu sein. Dem Aspekt Arbeitslosigkeit werden Attribute zugeordnet, die in keinem objektiven Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit stehen, z. B. „Sozialschmarotzer“, „arbeitsfaul“, „soziale Hängematte“ etc. Aus diesen Attributen werden wiederum gesellschaftliche Folgen abgeleitet, die andere Personengruppen betreffen, wie beispielsweise der „Missbrauch von Steuergeldern“(vgl. Sorger 2004:2).
[...]
- Quote paper
- Vera Papadopoulos (Author), 2011, Arbeitslosigkeit und MAE-Maßnahmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209497
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.