Ziel der Arbeit ist, ein Textbeispiel des Mittelalters, in diesem Falle handelt es sich um die siebte Novelle des achten Tages aus Boccaccios Decamerone, auf seine Argumentationsstruktur hin zu untersuchen, unter besonderer Berücksichtigung des Themas der „eristischen Dialektik“, welche Arthur Schopenhauer in Die Kunst, recht zu behalten begründet.
Letzterem ist das folgende, einführende Kapitel gewidmet, in dem vorerst der Begriff der „eristischen Dialektik“ erläutert werden soll. Da sich Schopenhauer in diesem Kontext besonders auf Aristoteles und seine Definition der Dialektik beruft, erfährt diese im Rahmen des angesprochenen Kapitels eine tiefergehende Ausführung. Nicht zuletzt soll das argumentative Vorgehen Schopenhauers selber genauer dargelegt werden.
Anschließend soll sich mit Die Kunst, recht zu behalten als Regelwerk der angewandten Dialektik auseinandergesetzt werden. Diesbezüglich wird das Kapitel „Basis aller Dialektik“ im Vordergrund stehen, in dem das Fundament der dialektischen Argumentation erläutert wird. Auf die einzelnen Kunstgriffe wird im Zuge der Analyse näher eingegangen.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit dem spezifischen Argumentationsbeispiel, das sich aus insgesamt drei Argumentationsteilen zusammensetzt. Die Analyse vollzieht sich in zwei Schritten: Jede der einzelnen Teile wird auf seine Makro- und seine Mikrostruktur hin untersucht. Im Zusammenhang mit der Makrostruktur, welche die einzelnen argumentativen Schritte nachvollziehen soll, fließt die Identifizierung der Kunstgriffe mit ein, während die Mikrostruktur den Topoi, die in den einzelnen Diskursen verwendet werden, verschrieben ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Eristische Dialektik
2.1. Definition
2.2. Schopenhauers „Die Kunst, recht zu behalten“
3. Textbeispiel: Die Argumentationsstruktur der Madonna Elena in Boccaccios Decamerone
3.1. Die erste Argumentation
3.1.1. Makrostruktur
3.1.2. Mikrostruktur
3.2. Die zweite Argumentation
3.2.1. Makrostruktur
3.2.2. Mikrostruktur
3.3. Die dritte Argumentation
3.3.1. Makrostruktur
3.3.2. Mikrostruktur
4. Fazit
1. Einleitung
Ziel der Arbeit ist, ein Textbeispiel des Mittelalters, in diesem Falle handelt es sich um die siebte Novelle des achten Tages aus Boccaccios Decamerone, auf seine Argumentationsstruktur hin zu untersuchen, unter besonderer Berücksichtigung des Themas der „eristischen Dialektik“, welche Arthur Schopenhauer in Die Kunst, recht zu behalten begründet.
Letzterem ist das folgende, einführende Kapitel gewidmet, in dem vorerst der Begriff der „eristischen Dialektik“ erläutert werden soll. Da sich Schopenhauer in diesem Kontext besonders auf Aristoteles und seine Definition der Dialektik beruft, erfährt diese im Rahmen des angesprochenen Kapitels eine tiefergehende Ausführung. Nicht zuletzt soll das argumentative Vorgehen Schopenhauers selber genauer dargelegt werden.
Anschließend soll sich mit Die Kunst, recht zu behalten als Regelwerk der angewandten Dialektik auseinandergesetzt werden. Diesbezüglich wird das Kapitel „Basis aller Dialektik“ im Vordergrund stehen, in dem das Fundament der dialektischen Argumentation erläutert wird. Auf die einzelnen Kunstgriffe wird im Zuge der Analyse näher eingegangen.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit dem spezifischen Argumentationsbeispiel, das sich aus insgesamt drei Argumentationsteilen zusammensetzt. Die Analyse vollzieht sich in zwei Schritten: Jede der einzelnen Teile wird auf seine Makro- und seine Mikrostruktur hin untersucht. Im Zusammenhang mit der Makrostruktur, welche die einzelnen argumentativen Schritte nachvollziehen soll, fließt die Identifizierung der Kunstgriffe mit ein, während die Mikrostruktur den Topoi, die in den einzelnen Diskursen verwendet werden, verschrieben ist.
2. Eristische Dialektik
2.1. Definition
Die eristische Dialektik scheint zunächst eine Zusammenstellung von „Eristik“ und „Dialektik“ zu sein. Das Nomen „Dialektik“ entstammt dem griechischen Wort dialektikḗ (téchnḗ), welches von Bußmann (2008:132) wie auch vom Metzler Lexikon der Literatur- und Kulturtheorie (2008:126) als ´Kunst des Gesprächs` übersetzt wird. Bußmann fährt fort, dass es sich bei der Dialektik ursprünglich um die Lehre vom korrekten Argumentieren bei strittigen Sachverhalten gehandelt hat und von Aristoteles aus Platons dialogischer Methode der Wahrheitsfindung entwickelt worden ist (s. ebd.). Im Mittelalter ist sie zur logischen Schlussdisziplin und neben der Grammatik und Rhetorik zu einem Teil des Triviums geworden (s. ebd.). Das Trivium bezeichnet eben jene Gesamtheit der drei Fächer Grammatik, Rhetorik und Dialektik im mittelalterlichen Universitätswesen (s. DUDEN online: http://www.duden.de/recht
schreibung/Trivium).
In der Folgezeit wird die Dialektik zur formalen Logik, welche die „Theorie des formalgültigen Schließens“ bezeichnet (Bußmann 2008:196), und zur „dialektischen“ Erkenntnismethode konkretisiert bzw. ausgeweitet, wobei die moderne Rhetorik sie nach antikem Vorbild als „Technik der Kontroverse“ definiert (s. ebd.:132).
Detaillierter erläutert das Metzler Lexikon der Literatur- und Kulturtheorie (ML) die Bedeutungsentwicklung des Begriffs „Dialektik“.
In der Antike und vor allem bei Platon bezeichnet die Dialektik eine Technik, mit der sich bestimmte Auffassungen und Meinungen im Gespräch auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen ließen. Sie sei bei Platon im Anbetracht eines polemischen Bezugs zur sophistischen Eristik zu verstehen, welche eine vollkommen strategische Überredungskunst darstellte (s. ML 2008:126).
Bei Aristoteles werde sie im Zusammenhang mit der Topik zu einem Instrument der Aufdeckung von Argumentationsfehlern (s. ML 2008:126).
Tim Wagner und Christoph Rapp, Übersetzer und Kommentatoren der „Topik“, bemerken diesbezüglich, dass Aristoteles’ direktes Vorbild für die Praxis des dialektischen Gesprächs Sokrates gewesen ist. In vielen sokratischen Dialogen sollen sich die Gesprächspartner, durch das unbedachte Zugeben verschiedener Prämissen, in Widersprüche zu der anfänglich aufgestellten These, also in Argumentationsfehler verwickelt haben (vgl. Topik 2004:12).
Diogenes Laertius definiert die Dialektik als „diejenige Redekunst, mit der wir in Gesprächen durch Fragen und Antworten irgendeine Behauptung aufstellen oder umstoßen“ (Laertius III: 48, in: Schopenhauer 2012:7), doch machen Wagner und Rapp darauf aufmerksam, dass Aristoteles die dialektische Argumentation keinesfalls als solche definiert, obwohl deutlich werde, dass sie sich als solche vollziehe (Topik 2004: 18). Viel mehr Bedeutung misst dieser dem Faktor bei, der dialektische Argumente von den anderen unterscheidet: „Ein Beweis liegt dann vor, wenn die Deduktion [d.h. Schlussfolgerung] aus wahren und ersten (Sätzen) gebildet wird, oder aus solchen, deren Kenntnis ursprünglich auf bestimmte wahre und erste (Sätze) zurückgeht. Dialektisch ist dagegen die Deduktion, die aus anerkannten Meinungen deduziert“ (Topik 100a 27-30). Wahre und erste Sätze meinen wissenschaftliche Argumente, die also das Streben nach Wahrheit auszeichnet, während die Dialektik mit Blick auf die anerkannte Meinung behandelt wird. Anerkannte Meinungen sind wiederum Ansichten, „die entweder von allen oder den meisten oder den Fachleuten und von diesen entweder von allen oder den meisten oder den bekanntesten und anerkanntesten für richtig gehalten werden“ (Topik 100a 21-23), sind in diesem Fall also mit Autoritätsargumenten vergleichbar.
Deutlich wird hier, dass die Dialektik nicht auf wahre Erkenntnisse hinausläuft. Simplifiziert ausgedrückt heißt dies, dass es der Dialektik nicht darum geht, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Tatsächlich scheint sie nebensächlich und irrelevant, wenn sie nicht gar vollkommen ausgeklammert wird.
Um auf die Darlegungen des Metzler Lexikon zurückzukommen, so wird weiter angeführt, dass neben Aristoteles auch Kant seine „transzendentale“ Dialektik als eine festlegt, welche die Widersprüche aufzudecken fähig sei, in die sich die „natürliche“ Dialektik der menschlichen Vernunft verwickle (s. ML 2008:126). Auch Hegel führt den Gedanken des argumentativen Widerspruchs fort und sieht sie als Ausgangspunkt einer Bewegung, welche eine finale Erkenntnis anstrebt. Dabei werde die eröffnende These von einer Antithese negiert, die wiederum verneint wird. Durch diese erneute Negation wird zur gleichen Zeit aber die anfängliche These von Neuem behauptet und die Diskussion so auf ein höheres Niveau gehoben, woraus eine Synthese entsteht, bei der Antithese und These zugleich verworfen und behauptet werden (s. ebd.:126). Es ist ein Verweis auf den Schlüsselbegriff der Vermittlung, welcher bei Hegel die Relation zweier Thesen oder Gegenstände des Denkens, wie auch die Beziehung zwischen Erkenntnissubjekt und -objekt meint. Dialektik ist Hegel zufolge also nicht nur ein Mittel der Erkenntnis, sondern auch ein Gesetz, welches der Natur des Denkens und des Seins zueignen ist (s. ebd.:126).
Marx hat dem Dialektikbegriff Hegels eine materialistische Bedeutung gegeben und sieht ihn als eine Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen und besonders der ökonomischen Entwicklung an. Ausgangspunkt bei Marx seien die menschlichen Grundbedürfnisse und die Formen ihrer Befriedigung. Besonderes Gewicht fällt hierbei den Produktionsverhältnissen und Produktivkräften zu, da sie als maßgebliche Kräfte den dialektischen Widerspruch schüren. Auch Adorno und Horkheimer definieren die Dialektik in einem gesellschaftlichen Kontext, doch soll Marx hier als Beispiel genügen.
Eine Definition der Eristik findet sich weder bei Bußmann noch im Metzler Lexikon. Lediglich in Hoffmeisters „Wörterbuch der Philosophischen Begriffe“ (1955:212) lässt sich nachlesen, dass Eristik aus dem Griechischen von eristikē (technḗ) abstammt und als ’Kunst des Streitens und des Disputierens’ zu verstehen ist (vgl. Hoffmeister 1955:212). Als Eristiker seien die Schüler des Euklides wegen ihrer Neigung zum „Wortstreit“ (Hoffmeister 1955:212) bezeichnet worden.
Als einziger deutscher Philosoph betrachtet Schopenhauer die Begriffe „Eristik“ und „Dialektik“ nicht unter separaten Gesichtspunkten, sondern synthetisiert sie in dem Begriff „eristische Dialektik“, welche er als „die Kunst zu disputieren, und zwar so zu disputieren, daß man recht behält, also per fas et nefas [mit fairen sowie unfairen Mitteln]“ (Schopenhauer 2012: 7) erklärt. Er begründet seine Entscheidung wie folgt: Aristoteles habe die Logik bzw. die Analytik als Theorie oder Anweisung zu den wahren, bzw. logischen Schlüssen definiert, die Dialektik als wahr geltende Schlüsse – also die, die auf anerkannte Meinungen rekurrieren. Es sei hier nicht klar und auch nicht relevant, ob eine Schlussfolgerung wahr oder falsch ist. Daneben unterscheide Aristoteles aber zusätzlich noch zwischen eristischen und sophistischen Schlüssen. Bei der Eristik sei das Fazit richtig, aber die Argumente nicht wahr, obwohl sie wahr scheinen (vgl. Schopenhauer 2012:7). Aristoteles schreibt: „Eristisch aber ist eine Deduktion, die aus Meinungen deduziert, die nur scheinbar, aber nicht wirklich anerkannt sind, oder diejenige, die aus anerkannten Meinungen oder aus scheinbar anerkannten Meinungen nur scheinbar deduziert“ (Topik 100s 23-26). Bei sophistischen Konklusionen in diesem Zusammenhang ist die Schlussform falsch. Sie hat allerdings den Anschein, als ob sie richtig sei (vgl. Schopenhauer 2012:7).
Da der Dialektik, der Eristik und Sophistik folglich nicht am Wahrheit sondern nur am Schein gelegen sei, also am recht behalten, so müsse man sie alle im Prinzip unter dem Begriff der „eristischen Dialektik“ zusammenfassen (vgl. ebd.). Aristoteles Definition von Eristik hat deutlich gezeigt, dass sich auch diese auf anerkannte Meinungen beläuft und so in unmittelbarer Relation zu den dialektischen Schlüssen steht. Darüber hinaus sei das Buch, welches sophistische Schlüsse behandle, als das letzte Buch der Dialektik veröffentlicht worden (vgl. ebd.), die Sophistik ist der Dialektik also zugehörig.
Dialektik, Eristik und Sophistik lassen sich also nicht in der Weise voneinander abgrenzen, wie es Aristoteles tat, da sie alle in dem signifikanten Punkt der Unwahrheit, der anerkannten Meinung zusammenlaufen und so als ein Gesamtes verstanden werden müssen.
2.2. Schopenhauers „Die Kunst, recht zu behalten“
Der „eristischen Dialektik“ wendet sich Schopenhauer in seinem Werk „Die Kunst, recht zu behalten“ (1830) zu. Es gilt vor allem als eine Art Regelwerk der Dialektik, indem er 38 Kunstgriffe schildert, mit dem man dem dialektischen Ziel näher kommt – nämlich dem, in Disputen oder Diskussionen Recht zu behalten, bspw. die gegnerische These, unabhängig davon, ob sie wahr ist oder nicht, als unrechtmäßig zu manifestieren.
In dem Kapitel „Basis der Dialektik“, welches auf die einleitende Definition der „eristischen Dialektik“, wie sie oben bereits erklärt wurde, hin folgt, beschreibt er das Fundament, auf welches er später die einzelnen rhetorischen Argumentations- oder Illusionsmöglichkeiten aufbaut, die ich selber nur im Bezug auf mein Textbeispiel erläutern möchte.
Um die These eines Gegners zu widerlegen, offenbaren sich dem zweiten Diskussionsteilnehmer zunächst einmal zwei Modi und zwei Wege (Schopenhauer 2012:27).
Bezüglich der Modi unterscheidet Schopenhauer wiederum zwischen zwei Unterkategorien. Zum einen kann eine Behauptung ad rem angezweifelt werden, das bedeutet, die These an sich wird zum Ziel der Negation. Es wird gezeigt, dass sie nicht mit der Natur der Dinge, mit der absoluten, objektiven Wahrheit übereinstimmt. Zum anderen kann der Angriff über die Person des Gegners erfolgen, bspw. steht die aufgestellte Behauptung mit einer früheren im Konflikt. Diese Vorgehensweise bezeichnet Schopenhauer als ad hominem, zu dem er ebenfalls diejenige zählt, welche er als ex concessis einführt. Diese meint, die Behauptung eines Gegners könne durch seine Zugeständnisse widerlegt werden, nämlich dann, wenn diese Zugeständnisse die These negieren (vgl. ebd.).
Wie auch die Modi so werden auch die Wege in zwei Untereinheiten gespalten, nämlich in eine direkte und indirekte Widerlegung der gegnerischen These.
Die direkte Widerlegung bezeichnet einen unmittelbaren Angriff einer Behauptung bei ihren Argumenten und somit auch indirekt bei ihren Folgen. Es wird die Tatsache postuliert, dass eine These nicht wahr ist. Dies geschehe zum einen, indem die Argumente als falsch deklariert werden, zum anderen, indem zwar bestätigt werde, dass die Argumente zutreffend seien, allerdings bestritten werde, dass sich die aufgestellte Behauptung aus ihnen ableite (vgl. ebd.).
Der zweite Weg der Widerlegung ist indirekter Natur. Eine These wird bei ihrer Konsequenz angegriffen und es wird suggeriert, dass diese nicht wahr sein kann. Angewandt werden hierbei die Apagoge und die Instanz (vgl. ebd.).
Die Apagoge erkennt die gegnerische These als wahr an und zeigt auf, was konsequenterweise aus ihr folgen würde. Dies geschieht aber unter Einbezug einer anderen allgemein als wahr anerkannten These, die in Verbindung mit der gegnerischen These steht. Für die Schlussfolgerung wird die Behauptung des Gegners als Prämisse verwendet. Das Ergebnis dieser Prozedur steht allerdings im Kontrast zu der Schlussfolgerung des Widersachers. Somit wird dieser vor die Wahl gestellt, entweder die Natur der Dinge in Zweifel zu ziehen, was natürlich absurd wäre, oder seine eigene Behauptung als falsch anzuerkennen (vgl. ebd.:28).
[...]
- Quote paper
- Helena Milas (Author), 2012, Die Tradition des eristischen Diskurses im Mittelalter: Die Kunst, recht zu behalten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209196
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.