A. S. Makarenko gilt als einer der bedeutendsten Pädagogen der UdSSR. In den
Wirren des Ersten Weltkriegs und des Bürgerkriegs beteiligte sich Makarenko an
der Neuorganisation des Schulsystems im Gouvernement Poltawa. Als
Heimpädagoge entwickelte Makarenko in der nach dem russischen Schriftsteller
benannten Gorki-Kolonie eine Form der Kollektiverziehung mit dem Ziel einer
Erziehung einer allseitig entwickelten Persönlichkeit. Ausgehend von den
Theorien Rousseaus, Pestalozzis und anderer humanistischer Denker sollte
Makarenkos Erziehung gewalt- und hierarchienfrei stattfinden. Respekt vor dem
Zögling, verinnerlichte Disziplin, nützliche Arbeit und Selbstverwaltung waren die
Schlagworte Makarenkos Theorie. Die Resozialisierung jugendlicher Straftäter
sollte weniger nach theoretischen Mustern denn nach situativen Begebenheiten
und unter Gebrauch eines gesunden Menschenverstands im Kant’schen Sinne
ablaufen. Andererseits wollte Makarenko auch nicht auf eine bestimmte
militärische Symbolik verzichten. Aus heutiger Sicht sicherlich befremdlich in der
Kindererziehung gehörten Kolonieflagge, militärische Ordnung und Signale, Rat
der Kommandeure und absoluter Gehorsam dem Kolonieleiter gegenüber zum
Alltag der Kolonisten.
Da die Lehren Makarenkos aus der ideologischen Sicht nicht unumstritten sind,
ist es nicht das Ziel dieser Arbeit, die Gorki-Kolonie ideologisch abzuurteilen. Viel
mehr soll es darum gehen, die Gorki-Kolonie als eine pädagogische
Gemeinschaft darzustellen, in der es ein bestimmtes Erziehungsideal gab, das
wiederum mit Hilfe bestimmter Methoden angestrebt wurde. Im nächsten Kapitel
wird die Entstehungsgeschichte der 1920 gegründeten Kolonie vorgestellt. Diese
ehemalige militärisch geführte Jugendstrafkolonie war die erste koedukative
pädagogische Einrichtung ihrer Art in der Sowjetunion überhaupt. Kapitel drei soll
sich mit dem bereits angedeuteten Menschenbild Makarenkos beschäftigen. Mit
welchen Methoden Makarenkos Erziehungsziele erreicht werden sollten, soll im
Kapitel 4 dargelegt werden. Hierarchien innerhalb des Kollektivs und
Selbstverwaltung seien an dieser Stelle genannt. Schließlich soll im letzten
Kapitel ein Fazit gezogen werden. Inwiefern unterscheidet sich Makarenkos
Konzept von denen im Seminar behandelten Gemeinschaftskonzepten?
Inhaltsangabe
1. Einleitung
2. Entstehung der Gorki-Kolonie
3. Zum Menschenbild bei Makarenko
4. Erziehungsziele und Methoden der Einrichtung
5. Fazit: Kollektiverziehung als Gemeinschaftskonzept?
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
A. S. Makarenko gilt als einer der bedeutendsten Pädagogen der UdSSR. In den Wirren des Ersten Weltkriegs und des Bürgerkriegs beteiligte sich Makarenko an der Neuorganisation des Schulsystems im Gouvernement Poltawa. Als Heimpädagoge entwickelte Makarenko in der nach dem russischen Schriftsteller benannten Gorki-Kolonie eine Form der Kollektiverziehung mit dem Ziel einer Erziehung einer allseitig entwickelten Persönlichkeit. Ausgehend von den Theorien Rousseaus, Pestalozzis und anderer humanistischer Denker sollte Makarenkos Erziehung gewalt- und hierarchienfrei stattfinden. Respekt vor dem Zögling, verinnerlichte Disziplin, nützliche Arbeit und Selbstverwaltung waren die Schlagworte Makarenkos Theorie. Die Resozialisierung jugendlicher Straftäter sollte weniger nach theoretischen Mustern denn nach situativen Begebenheiten und unter Gebrauch eines gesunden Menschenverstands im Kant’schen Sinne ablaufen. Andererseits wollte Makarenko auch nicht auf eine bestimmte militärische Symbolik verzichten. Aus heutiger Sicht sicherlich befremdlich in der Kindererziehung gehörten Kolonieflagge, militärische Ordnung und Signale, Rat der Kommandeure und absoluter Gehorsam dem Kolonieleiter gegenüber zum Alltag der Kolonisten.
Da die Lehren Makarenkos aus der ideologischen Sicht nicht unumstritten sind, ist es nicht das Ziel dieser Arbeit, die Gorki-Kolonie ideologisch abzuurteilen. Viel mehr soll es darum gehen, die Gorki-Kolonie als eine pädagogische Gemeinschaft darzustellen, in der es ein bestimmtes Erziehungsideal gab, das wiederum mit Hilfe bestimmter Methoden angestrebt wurde. Im nächsten Kapitel wird die Entstehungsgeschichte der 1920 gegründeten Kolonie vorgestellt. Diese ehemalige militärisch geführte Jugendstrafkolonie war die erste koedukative pädagogische Einrichtung ihrer Art in der Sowjetunion überhaupt. Kapitel drei soll sich mit dem bereits angedeuteten Menschenbild Makarenkos beschäftigen. Mit welchen Methoden Makarenkos Erziehungsziele erreicht werden sollten, soll im Kapitel 4 dargelegt werden. Hierarchien innerhalb des Kollektivs und Selbstverwaltung seien an dieser Stelle genannt. Schließlich soll im letzten Kapitel ein Fazit gezogen werden. Inwiefern unterscheidet sich Makarenkos Konzept von denen im Seminar behandelten Gemeinschaftskonzepten.
2. Entstehung der Gorki-Kolonie
Im September 1920 bekam Makarenko von den örtlichen Volksbildungsorganen der Stadt Poltawa den Auftrag über die Leitung einer Arbeitskolonie für jugendliche Rechtsverletzer. Vor der Revolution existierte an diesem Ort bereits eine Kolonie für Minderjährige, jedoch „im Jahre 1917 war sie auseinandergelaufen und hatte nur ganz wenige pädagogische Spuren hinterlassen. Nach diesen in den zerfledderten Dienstjournalen enthaltenen Spuren zu urteilen, waren wahrscheinlich „Onkels“, ausgediente Unteroffiziere, die Haupterzieher in der Kolonie. Ihre Pflicht war es, die Zöglinge auf Schritt und Tritt sowohl bei der Arbeit als auch in ihrer Freizeit zu überwachen und nachts in einem Raum gleich nebenan zu schlafen. Aus den Berichten der benachbraten Bauern konnte man schließen, daß sich die Pädagogik der „Onkels“ durch keine besondere Kompliziertheit auszeichnete. Ihr äußeres Merkmal war ein so einfaches Instrument wie der Stock.“1
Neben dieser Schilderung der Ausgangslage der Kolonie aus Makarenkos „Ein pädagogisches Poem“ soll eine genauere Betrachtung der Verhältnisse der damaligen Zeit die Zusammensetzung der künftigen Koloniemitglieder verdeutlichen. Der Erste Weltkrieg lag kaum zwei Jahre zurück, der Russische Bürgerkrieg dauerte noch an. Die Kinderverwahrlosung und die damit verbundene Kinderkriminalität stellten vor allem in den Städten ein kaum zu übersehbares Problem dar. Die sowjetische Regierung war nicht in der Lage, diesem Problem Herr zu werden.2 In der UdSSR galten jene Kinder als „verwahrlost“, die entweder vollwaise waren, keine Verbindung zu ihren Eltern oder Verwandten hatten, per Gerichtsbeschluss von ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten getrennt waren oder von den Eltern ausgesetzt wurden. Ferner zählten dazu auch solche Kinder, die aufgrund der Krankheit oder Invalidität der Eltern einer teilweisen oder zeitlich begrenzten Betreuung bedurften und schließlich solche, die von alleinstehenden und über keinerlei Einkommen verfügenden Müttern erzogen wurden. Die Anzahl solcher Kinder im Jahre 1920 wurde auf mindestens 400000 geschätzt.3 Wie der Alltag dieser Kinder und Jugendlichen aussah, kann man sich unschwer vorstellen: Hunger, Armut und Obdachlosigkeit, Bandenkriminalität, Prostitution und nicht selten auch schwerste Verbrechen wie Mord bestimmten das Leben der Verwahrlosten.
Dass die Leitung einer Kolonie für verwahrloste Kinder und Jugendliche keineswegs einfach sein würde, dessen war sich Makarenko bewusst. Nicht zuletzt auch deswegen, weil er dadurch eine neue Art der Erziehung schaffen wollte: „Das Kinderheim war der geeignetste Kampfplatz. Hier hatte man in der Tat einen neuen Typus von Kindererziehungsanstalt vor sich, bei dem man weniger als sonst irgendwo fürchten musste, auf Reste der alten Praxis zu stoßen. […] Die Arbeit im Kinderheim wurde daher zu einem Kampf an der Front.“4
Makarenkos Anfang als Kolonieleiter erwies sich als außerordentlich schwer. Erstens fehlte Makarenko eine sozialpädagogische Ausbildung. „Die ersten Monate in der Kolonie waren für mich und meine Kollegen nicht nur Monate der Verzweiflung und hilfloser Anstrengungen, es waren auch Monate des Suchens nach der Wahrheit. In meinem ganzen Leben habe ich nicht so viel pädagogische Literatur gelesen wie im Winter 1920.“5 Zweitens unterschied sich das Verhalten der ersten sechs Zöglinge anfangs kaum von ihrem Verhalten vor dem Einzug in die Kolonie. Herumlungern, nächtliche Ausbrüche aus der Kolonie, offene Verhöhnung der Erzieher waren ebenso an der Tagesordnung wie Raubüberfälle und Diebstähle. Auch wurde von Messerstechereien berichtet.6 „Die Kolonie glich immer mehr einem Ganovenasyl, einer richtigen Diebeshöhle“, so dass Makarenko sich eines Tages „nicht mehr auf dem pädagogischen Seil halten“ konnte und einen der Zöglinge schlug. Ein nicht ausgeführter Auftrag, für die Küche Brennholz zu schlagen, ließ Makarenkos über Monate strapazierte Geduld platzen: „Ich schlug fest zu, er konnte sich nicht auf den Beinen halten und flog gegen den Ofen. Ich schlug ein zweites Mal zu, packte ihn am Kragen, zog ihn hoch und schlug ein drittes Mal zu.“7 Das Verhalten der Zöglinge änderte sich zur Verwunderung Makarenkos - der Geschlagene, im Übrigen wesentlich größer und stärker als Makarenko8, und mit ihm auch die anderen Zöglinge begannen zu arbeiten und akzeptierten somit Makarenkos erste Forderung an jeden der Zöglinge Arbeiten zu lernen.
Die Forderung war überlebenswichtig, denn die materielle Existenz der landwirtschaftlich angelegten Kolonie hing zum guten Teil von der Bereitschaft aller zu arbeiten.9
Dass die von Makarenko geschilderte Episode nicht unbedingt als einer der ausschlaggebenden Gründe für den plötzlichen Umschwung in der Einstellung der Zöglinge anzusehen ist, dafür spricht die Angst Makarenkos selbst vor Gewaltanwendung als „pädagogischem Allheilmittel“. Diesen Weg des geringsten Widerstands wollte Makarenko nie gehen, wie er sich in seinem „Pädagogischen Poem“ erinnert.10 Die Art der Einrichtung der Kolonie sprach ebenfalls gegen die mögliche Angst der Zöglinge vor erneuten körperlichen Züchtigungen. Die Gorki- Kolonie war von Anfang an als eine offene Einrichtung geplant. Jedem stand es frei, die Einrichtung wann auch immer zu verlassen. In der Regel waren die ersten vier Monate entscheidend für den Verbleib in der Kolonie. Verblieb ein Zögling die ersten vier Monate in der Einrichtung, so blieb er auch dort bis zur seiner Entlassung.11
Makarenkos geschickte Behandlung jedes einzelnen Zöglings und seine stets vorbildhafte Erscheinung waren im Wesentlichen für die Akzeptanz seiner Forderung verantwortlich.12 Nach den ersten Zwei Jahren wohnten 124 Zöglinge in der Kolonie. Den Zöglingen standen neben Makarenko zehn Erzieher und sechs technische Mitarbeiter (Köche, Bäcker, Wächter) gegenüber. Die Zöglinge, die Pädagogen und das technische Personal bildeten ein Kollektiv gleichberechtigter Kolonisten.13 Diese Kolonisten verfügten über 16 Kühe, knapp 50 Ferkel und acht Pferde. Unter der Leitung eines Agronoms wurden ein Gemüsegarten unterhalten und große Getreidefelder bestellt.14 Bis zum Ausscheiden Makarenkos als Leiter der Gorki-Kolonie im Jahre 1928 wurden mehrere Hundert Kolonisten in ein bürgerliches Leben entlassen. Diese konnten sich nicht nur als Dorf- oder Fabrikarbeiter betätigen, etliche schrieben sich an Universitäten ein.15
[...]
1 Makarenko, A.: Gesammelte Werke. Band 3. Stuttgart 1982. S. 5f.
2 Kobelt, K.: Anton Makarenko - Ein stalinistischer Pädagoge. Interpretation auf dem Hintergrund der russisch-sowjetischen Bildungspolitik. Frankfurt a. M. 1996. S. 111.
3 Kobelt: Anton Makarenko, S. 113.
4 Balabanowitsch, J. S.: Anton Semjonowitsch Makarenko. Ein Abriss seines Lebens und Schaffens. Berlin 1953. S. 53.
5 Makarenko: Gesammelte Werke, S. 13.
6 Medynski, E. N.: Anton Semjonowitsch Makarenko. Berlin 1952. S. 18.
7 Makarenko: Gesammelte Werke, S. 14.
8 Makarenko: Gesammelte Werke, S. 15: „Ich habe mich sowieso gewundert, wie ich es wagen konnte, einen solchen Riesen anzurühren.“ Ebenfalls da berichtet Makarenko bestürzt einem seiner Mitarbeiter: „Eine schlimme Sache, mein Lieber… Zum ersten Mal in Meinem Leben habe ich einen Menschen geschlagen.“
9 Gartmann, E.: Das „Pädagogische Poem“ A. S. Makarenkos. Ein künstlerisches Werk. Marburg 1978. S. 15f.
10 Makarenko: Gesammelte Werke, S. 17.
11 Von Maro (Levitina, M. I.): Die Gor’kij-Kolonie (1924). In: Hillig, G., Weitz, S. (Hrsg.): Makarenko. Darmstadt 1979. S. 4.
12 Die Methoden Makarenkos sollen später betrachtet werden.
13 Von Maro: Die Gor’kij-Kolonie, S. 4f.
14 Medynski: Makarenko, S. 21.
15 Von Maro: Die Gor’kij-Kolonie, S. 4.
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.