„Der deutsche Drang nach Osten“ – ist dies nur eine rhetorische Phrase, ein Stereotyp oder historische Gewissheit? Schon viele Wissenschaftler haben sich eingehend mit diesem Themenfeld befasst. Die Germanen der Antike hätten bereits diesen Drang gen Osten ‚verspürt‘, welcher dann durch diverse deutsche Könige bzw. Kaiser und Ordensverbände des Mittelalters weiter vorangetrieben wurde. Die preußische Ostpolitik ließ diese Bestrebung wieder aufleben und eine „Inbesitznahme“ von beispielsweise polnischem Gebiet erfolgte.
Hier schieden sich jedoch Mitte des 19. Jahrhunderts bei Politiker und Historiker verschiedenster Nationalitäten die Geister. Die Deutschen waren sich sicher, dass sie sie einen historischen Anspruch für östliche Gebiete besäßen und es sei deutlich, dass z. B. Schlesien gar nicht slawisch sei, sondern, durch die Vielzahl von deutschen Bewohner, eben deutsch. Hierzu fand sich eine gegenteilige Meinung auf der slawischen Seite, welche den „deutschen Hegemonen“ Eroberungssucht und Täuschungen vorwirft, nur um ihr eigenes Gebiet zu vergrößern, Slawen zu verdrängen ggf. für sich arbeiten zu lassen und so ihre Einflusssphäre zu vergrößern. Die Slawen riefen zum allgemeinen Widerstand gegen die Deutschen auf.
Die Veröffentlichungen von Julian Klaczko “Die deutschen Hegemonen. Ein Sendschreiben an Georg Gervinus“ (1849) und Wilhelm Wattenbach “Die Germanisierung der östlichen Grenzmarken des deutschen Reiches” (Historische Zeitung, 1862) werden hier eingehend untersucht. Die aus den Texten herausgefilterten deutschen (germanischen) und polnischen (slawischen) Stereotypen werden mit dem übergeordneten Begriff bzw. Stereotyp „deutscher Drang nach Osten“ in Verbindung gesetzt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen der Stereotypenforschung - Ein Abriss (Exkurs)
3. Definitionen und allgemeine Erläuterungen: “Deutscher Drang nach Osten”
4. Quellen
4.1 Julian Klaczko: “Die deutschen Hegemonen. Ein Sendschreiben an Georg Gervinus“ (1849)
4.2 Wilhelm Wattenbach: “Die Germanisierung der östlichen Grenzmarken des deutschen Reiches” (Historische Zeitung, 1862)
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Der deutsche Drang nach Osten“ – ist dies nur eine rhetorische Phrase, ein Stereotyp oder historische Gewissheit? Schon viele Wissenschaftler haben sich eingehend mit diesem Themenfeld befasst. Die Germanen der Antike hätten bereits diesen Drang gen Osten ‚verspürt‘, welcher dann durch diverse deutsche Könige bzw. Kaiser und Ordensverbände des Mittelalters weiter vorangetrieben wurde. Die preußische Ostpolitik ließ diese Bestrebung wieder aufleben und eine „Inbesitznahme“ von beispielsweise polnischem Gebiet erfolgte.
Hier schieden sich jedoch Mitte des 19. Jahrhunderts bei Politiker und Historiker verschiedenster Nationalitäten die Geister. Die Deutschen waren sich sicher, dass sie sie einen historischen Anspruch für östliche Gebiete besäßen und es sei deutlich, dass z. B. Schlesien gar nicht slawisch sei, sondern, durch die Vielzahl von deutschen Bewohner, eben deutsch. Hierzu fand sich eine gegenteilige Meinung auf der slawischen Seite, welche den „deutschen Hegemonen“ Eroberungssucht und Täuschungen vorwirft, nur um ihr eigenes Gebiet zu vergrößern, Slawen zu verdrängen ggf. für sich arbeiten zu lassen und so ihre Einflusssphäre zu vergrößern. Die Slawen riefen zum allgemeinen Widerstand gegen die Deutschen auf.
Wolfgang Wippermann widmete sich in dem 1981 veröffentlichten Buch „Der ,deutsche Drang nach Osten’. Ideologie und Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes“ neben der Historiographie dieses Begriffes, auch verschiedenen Fragestellungen und Ansätzen der Stereotypenforschung. Nach Wippermann fasst der Begriff „deutscher Drang nach Osten“ eine komplexe Geschichtsauffassung schlagwortartig zusammen.[1] Besonders im 19. Jahrhundert trete ein verstärkter Antagonismus zwischen den Germanen und Slawen auf. Aus mittelalterlichen Quellen gehe nicht hervor, dass den Zeitgenossen eine „deutsche Ostsiedlung“ bekannt gewesen war, so Wippermann. Er führt unterschiedlichste Ansätze an, die die Besiedlung des Ostens unterstützen. Vor allem die Kulturträger- und die Urgermanentheorie wird häufig bei einer deutschen Kolonisationsbewegung genannt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte bei einigen deutschen politischen Autoren die Meinung vor, dass „die ‚deutsche Colonisationsbewegung’, die schon zur Zeit der Völkerwanderung begonnen und im Mittelalter fortgesetzt worden sei, vollendet werden könnte“ [2]. So beschreibt es auch zum Beispiel Wilhelm Wattenbach am Ende der hier zu bearbeitenden Quelle. Er äußert den Wunsch nach einer erneuten Ostsiedlungspolitik. Auch in seinem 2007 veröffentlichten Buch „Die Deutschen und der Osten. Feindbild und Traumland“ befasst sich Wippermann mit dieser Thematik. Er liefert „einen historischen Abriss deutscher Blicke nach Osten und kommt zu dem Befund, dass diese stark mythisiert waren und kaum realgeschichtliche Entsprechungen besaßen“ [3]. Wippermann stellt vier Typen von „Osten“ dar, die sich im Laufe der Zeit gebildet hätten. Er spricht vom religiösen Osten, orientalischen Osten, europäischen Osten und politischen Osten. Wippermann macht deutlich, „wie fatal sich der kollektiv imaginierte Osten auf das Auftreten von Deutschen gegenüber ihren östlichen Nachbarn auswirkte“ [4].
Maria Lammich zitiert in ihrem Aufsatz „Polen und Deutsche. Zur Verbreitung nationaler Bilder während der Reichsgründungszeit“, verschiedenste Ausgaben der Zeitschrift „Die Grenzboten“. Westpreußen, „diese herrliche Colonie“ im 15. und 16. Jahrhundert, sei „schmählich an die Polen verrathen“ worden. Man habe die Polen auf den Weg zu einem „Culturstaat“ gebracht, dazu hätten die Deutschen nicht nur das Recht, sondern vielmehr sei es ihre Pflicht gewesen.[5] In diesem Aufsatz wird jedoch auch deutlich, dass den Slawen im Allgemeinen nicht nur sehr negative Stereotypen zu geschrieben wurden, sondern auch aus deutscher Sicht, auch positive. Sie sahen die Slawen nicht nur als ein „verkommenes Slawenvolk“, sondern ebenfalls als ein „kräftiger, leiblich und geistig gesunder Menschschlag“, welcher von „unzweifelhafter Kulturfähigkeit“ sei.[6]
Im Nachfolgenden werden zwei Quellen bearbeitet, die diesen vorherrschenden Antagonismus zu diesem Thema inhaltlich sehr deutlich machen. Sie befassen sich neben der Völkerwanderung der Germanen, dem Deutschen Orden, auch mit der allgemeinen deutschen Ostpolitik. Durch diese Quellenanalyse soll das jeweilige Geschichtsverständnis und die damals aktuelle Sichtweise dargestellt werden. Die aus den Texten herausgefilterten deutschen (germanischen) und polnischen (slawischen) Stereotypen sollen dann in der Abschlussbetrachtung mit dem übergeordneten Begriff bzw. Stereotyp „deutscher Drang nach Osten“ in Verbindung gesetzt werden. Zunächst muss jedoch eine kurze Einführung in die Stereotypenforschung gegeben werden.
2. Grundlagen der Stereotypenforschung - Ein Abriss
„Narzissmus der kleinen Unterschiede“, dieses Zitat von Sigmund Freud wird von Rudolf Jaworski in seinem Aufsatz „Osteuropa als Gegenstand historischer Stereotypenforschung“ angeführt. Freud möchte hierdurch zweierlei ausdrücken: Der Narzissmus gibt der thematischen Verbundenheit mit Stereotypen eine national-politische Note. Die kleinen Unterschiede bezieht Freud auf die ungewollten menschlichen Ähnlichkeiten der Rivalen zueinander.[7]
Stereotypen beinhalten die Funktion der Orientierung mittels der Mechanismen der menschlichen Wahrnehmungs- und Denkökonomie [8]. Prof. Dr. Hans Henning Hahn beschreibt in seiner ersten These zur Stereotypenforschung so den Begriff “Stereotyp”. Diese Einschätzung scheint mir, der Grundstein der allgemeinen Stereotypenforschung zu sein. Nach Rudolf Jaworski sind Stereotypen allgemein ungerechtfertigte, vereinfachende und generalisierende Charakterisierungen ganzer Menschengruppen. So kann ein ganzes national-kulturelles Umfeld in Frage gestellt werden.
Im Nachfolgenden soll hier ein kurzer Abriss der Grundideen dieses Forschungsbereiches gegeben werden. Dadurch wird ein Zugang geschaffen, um die nachfolgende analytische Arbeit besser verstehen und reflektieren lässt.
Besonders in den letzten Jahren, habe der Begriff “Stereotyp” verstärkt Eingang in die publizistische Alltagssprache gefunden, obwohl dieser Begriff, als sozialwissenschaftlicher Terminus, bereits 1922 von Walter Lippmann in seinem Buch “Public Opinion” eingeführt wurde. Jedoch seien sich die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen nicht darüber einig, was genau darunter zu verstehen sei. Hahn führt in seinem Aufsatz 12 Thesen an, die sich mit der Begrifflichkeit, Funktionen sowie mit den Fragestellungen der Stereotypenforschung befassen.
Das Stereotyp an sich kann als Orientierung in einer fremd wirkenden Umwelt verwand werden oder auch zur allgemeinen “Welterklärung” dienen [9]. Diese kann nicht nur auf die Gegenwart bezogen werden, sondern findet vielmehr auch Anwendung, beim Versuch einer wahrnehmungsgeschichtlichen Einordnung der Vergangenheit. Der semiotische Ansatz der Forschung befasst sich mit der Erforschung des Zeichensystems einer Gesellschaft [10]. Hierzu muss bemerkt werden, dass sich ein Zeichensystem nicht nur auf das Konstrukt der Gesellschaft beziehen kann, sondern das System kann ebenso in politischen Gruppierungen oder kulturelle Strömungen enthalten sein. Der Forscher kann etwas über eine bestimmte Gesellschaft bzw. direkt über eine Einzelperson in Erfahrung bringen, Zeichen analysieren und so eine “Gesellschaft“ oder aber auch eine Gruppierung wahrnehmungsgeschichtlich/historisch einordnen. Stereotypen können als ein Werkzeug eingesetzt werden, z. B. bei Propaganda, welches dann die kognitive Wahrnehmung eines Menschen lenkt. Die persönliche, emotionale Konnotation und Wertzuschreibung kann die Wahrnehmung dahingehend verändern, dass eine Verallgemeinerung einer Gruppierung hervorgerufen wird.
Bei der Genese der Stereotypen macht Hahn hier zwei Unterteilungen. Zum einen gibt es die soziale Genese. Hierbei erwirbt ein Träger des Stereotyps, diese durch eine bestimmte Sozialisation, sprich, sie ist von der Erziehung, der Kindheit und ihrem allgemeinen Lebensumfeld, abhängig. Zum zweiten entstehen Stereotypen in der historischen Genese, in einem Entwicklungsprozess. Hahn führt hierzu beispielsweise Krisenzeiten an, durch denen Stereotypen besonders häufig produziert werden können. Jedoch kann es auch vorkommen, dass bereits gefestigte Stereotypen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Beide Genesen zusammen bilden die Grundlage und Voraussetzung der Bildung von Stereotypen. Negative und positive Werturteile werden durch die Sozialisation des Trägers geformt und weitergegeben. Auch die Förderung einer Gruppendynamik und ein damit verbundenes “Wir“-Gefühl – eine eigene Identität – wird so geformt und gefestigt. Jedoch auch zugleich eine vielleicht angrenzende Funktion zu einer anderen Gruppierung, so zu sagen ein „Wir“ und „Sie“, entsteht.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass verschiedenste Faktoren der interdisziplinären Erforschung der Stereotypen zu Grunde liegen und zu beachten sind. Stereotypen beanspruchen einen behaupteten Wahrheitsanspruch für sich. Dieser Wahrheitsanspruch beinhaltet wiederum Informationen zu einem Objekt. Diese müssen jedoch auf ihren tatsächlichen Informationsgehalt und Wahrheitsanspruch überprüft werden.[11] Die allgemeine Unterscheidung in Auto- und Heterostereotyp, lässt zwei Sichtweisen aufeinander treffen, welche sich auf dem ersten Blick vielleicht direkt gegenüberstehen – mit positiver wie negativer Konnotation. Jedoch gerade durch diesen Dualismus, der jeweils eine Reduktion auf bestimmte Wesenszüge zulässt, wird deutlich, dass sich beide Seiten durch ihre unterschiedliche Entwicklung zusammenfügen und ein Objekt verdeutlichen bzw. erklären können. Die Stereotypenforschung findet Stereotypenträger und ihre Objekte in sehr unterschiedlichen Quellen. Diese können von politischen Karikaturen, Volksweisheiten, literarischen Texten, Zeitungsartikeln bis hin zu Kochbüchern reichen. Hierdurch wird das interdisziplinäre Moment deutlich, welches die Wissenschaftler immer noch nach einer allgemeinen und festen Definition forschen lässt.
3. Definitionen und allgemeine Erläuterungen: “Deutscher Drang nach Osten”
„Wir Deutsche wollen unsere polnischen Mitbürger weder von ihrem heimischen Boden verdrängen, noch sie zu Deutschen machen. Unter Germanisierung verstehen wir die friedliche Verbreitung deutscher Kultur über die Provinz.“ [12]
Dieses Zitat aus „Die Grenzboten“ verdeutlicht das deutsche Sendungsbewusstsein im 19. Jahrhundert. Jedoch wurde die deutsche Aktion gen Osten über die Jahrhunderte hin von anderen Nationen, besonders von verschiedensten Politikern oder auch Historikern, als sehr negativ angesehen und man versah die Deutschen meist mit sehr negativen Stereotypen.
Vom Vorwurf, dass die Deutschen aus Eigennutz Land erobern, die dortigen Bewohner komplett unterdrücken, deren Arbeitskraft dann ausgebeutet würden, bis hin zur Aufdrängung einer fremden Kultur zur eigenen Verbesserung der persönlichen und politischen Lage, all diese negativen Eigenschaften wurden in dem vielleicht übergeordneten Stereotyp „deutscher Drang nach Osten“ vereint. Bei einer Gegenüberstellung von verschiedenen Quellen wird deutlich, dass die Deutschen sich selber positive Autostereotypen zu schrieben und die Historie heranzog, um den historischen Anspruch geltend zu machen und in den Osten zu expandieren. Man sah sich als „besten Förderer der polnischen Kultur und als Mitbesitzer des polnischen Geistes“. Pflichtbewusst wie der Deutsche ist, sah man sich dazu verpflichtet „unerbittlich mit der Germanisierung vorzugehen“ [13].
Bevor weitere Erläuterungen gegeben werden, muss die Begrifflichkeit an sich angesprochen werden. Das Historische Wörterbuch der Philosophie benennt den Begriff ‚Drang’ im Allgemeinen als ein Antriebsgeschehen. Psychologisch gesehen erfährt Drang differenziertere Definitionen in Abgrenzung gegen andere motivationspsychologische Termini, wie Streben, Begehren, Wille, Motiv und Trieb. In dieser Beschreibung des Begriffes wird deutlich, dass sehr verschiedenartige Ansätze vorhanden sind, die auch sehr negativ konnotiert sein können. Neben dem Urdrang, wird auch ein „finsterer, blinder Drang, fern von aller unmittelbaren Erkennbarkeit“ beschrieben. Drang bedeute auch so viel, wie eine bestimmte Form des individuellen motivationalen Geschehens.[14] „Die Bewusstseinspsychologie des 19. Jh. bezeichnet ‚Drang’ das Erleben des inneren Getriebenseins, der inneren Spannung.“ [15] Diese Unterschiede in der Definition des Begriffs, macht deutlich, wie kompliziert vielleicht auch damit verbundenes Stereotyp sein kann.
Der Mythos eines deutschen Dranges nach Osten hält sich bereits über Jahrhunderte und fand in der politischen Umsetzung des Nationalsozialismus seinen Höhepunkt. Kann man jedoch bei diesem Schlagwort und seiner Geschichte, überhaupt von einem Mythos sprechen? Nach Heidi Hein-Kircher gibt es drei verschiedene Kategorien von Mythen: “Mythen um Personen, Mythen im Zusammenhang mit einem historischen Ereignis, Raummythen”.[16] Hier treffen wohl alle Punkte zu, da diese Auffassung des Drängens gen Osten, schon sehr lange und weit verbreitet war. Die Schaffung eines politischen Mythos, einer eigenen Mission und Meinung wurde durch die idealisierte Vergangenheit und Aufbegehren der Polen (Slawen) eine sich verändernde Konstante in der deutschen Wirklichkeit. Die politische Wirkungsweise eines Mythos oder einer von Gott gegebenen Aufgabe vereint eine Nation und lässt diese zum selben Ziel streben.[17]
Nach Wippermann haben die slawischen Autoren den Terminus des ‚deutschen Dranges nach Osten’ von den deutschen Historiographen des 19. Jh. übernommen, wobei nur das moralisch wertende Vorzeichen ins Gegenteil vertauscht worden sei. Wer jetzt nun genau dieses Schlagwort das erst Mal verwendet hatte, darüber sei man sich noch nicht im Klaren. Weiter zitiert er das „Deutsche Wörterbuch“ der Gebrüder Gimm, welches ‚Drang’ als „impetus, impulsus, als anreizung und innerer trieb“.[18] Drang ist nach mehreren zitierten Definitionen aus anderen Wörterbüchern, „eine Eigenschaft, eine Kraft, die dem Menschen kaum bewusst ist, die ihn jedoch bewegt, bestimmte Handlungen auszuführen“ [19].
Frithjof Schenk greift in seinem Buch „Aleksandr Nevskij“ ebenfalls den ‚deutschen Drang nach Osten’ auf. Er schreibt, dass erstmals der polnische Journalist Julian Klaczko im Jahr 1849 in Reaktion auf die deutsche „Kulturträgerthese“, mit der das Parlament der Paulskirche 1848 die Teilung der Provinz Posen begründete, diesen Ausdruck prägte. Unter Hinweis auf die zivilisatorischen Leistungen des Deutschen Ordens hätten sich die Deutschen ein bleibendes Anrecht auf die strittigen Territorien erworben, so die deutschen Verfechter der Teilung Posens. Die polnische Seite antwortete auf diese Theorie mit dem Vorwurf eines aggressiven, epochenübergreifenden „deutschen Drangs nach Osten“.[20] Auch Hans Lemberg beschreibt den Ursprung dieses Schlagwortes so: „Der Umstand, dass die Formulierung ‚Drang nach Osten’ meist in deutscher Fassung vorkommt, auch in polnischen, russischen, tschechischen, englischen u.a. Texten, lässt darauf schließen, dass dieser Begriff ursprünglich in deutscher Sprache aufgebracht und fortan aus dieser zitiert wurde.“ [21] Auch Lemberg setzt die Formulierung des Schlagwortes mit Julian Klaczko in Verbindung.
Nachfolgend soll nun zum einen ein Sendschreiben Klaczkos an Gervinus analysiert werden. Anschließend folgt die Bearbeitung des Textes von Wilhelm Wattenbach (“Die Germanisierung der östlichen Grenzmarken des deutschen Reiches”).
In einem letzten Schritt werden auf das Stereotyp des 19. Jh. schlechthin – „Der deutsche Drang nach Osten“ - bezogen werden sollen.
4. Quellen
4.1 Julian Klaczko: “Die deutschen Hegemonen. Ein Sendschreiben an Georg Gervinus“ (1849)
Zur Person Julian Klaczkos kann ich an dieser Stelle keinerlei Informationen anfügen, da die biographischen Quellen und Erläuterungen meist auf Polnisch verfasst sind. Das vorliegende Sendschreiben Klaczkos richtet sich an den deutschen Historiker Georg Gottfried Gervinus. Der nationalliberale Politiker war Mitglied des Vorparlaments und Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Er war (Mit-) Herausgeber der Deutschen Zeitung, in der auch Klaczko einen Text veröffentlichte.
Zu Beginn des Sendschreibens bezieht sich Julian Klaczko auf das Jahr 1848, welches in der deutschen Geschichte mit der Märzrevolution Einzug in die Geschichtsbücher hielt. Zunächst fügt Klaczko verschiedenen literarische Figuren und Motive an, z. B. die des Hercules [22] aus der antiken Mythologie, um politische Momente zu funktionalisieren. Klaczko vergleicht die politischen Geschehnisse, mit einer Komödie bzw. Tragödien auf der Theaterbühne. Die deutschen Hegemonen treten herculesgleich den Pygmäen [23] gegenüber, welcher die Pygmäen - die Slawen, besiegt. Die Negativierung der eigentlichen heroischen Figur des Hercules, sowie weitere Antagonismen, die Klaczko auflistet, stehen für die Tragweite der Politik und der Eroberung des Ostens durch die deutschen Hegemonen. Klaczko wählt hier ganz bewusst eine Gleichsetzung und Gegenüberstellung der Figuren bzw. der Motive. Diese sind jedem gebildeten Menschen bekannt und entblößen die Deutschen auf intellektuelle Weise.
[...]
[1] Wippermann, Wolfgang: Der ´Deutsche Drang nach Osten`. Ideologie und Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes, Impulse der Forschung, Bd. 35, Darmstadt 1981, S. 133.
[2] Ebd., S. 137.
[3] http://www.sehepunkte.de/2008/02/13184.html, Zugriff: 25.03.2011, 11:59 Uhr.
[4] http://www.sehepunkte.de/2008/02/13184.html, Zugriff: 25.03.2011, 11:59 Uhr.
[5] Lammich, Maria: „Polen und Deutsche. Zur Verbreitung nationaler Bilder während der Reichsgründungszeit“. In: Lemberg, Hans (Hrsg.): Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle Forschungsprobleme, Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung, Bd. 10, Marburg 2000, S. 174.
[6] Ebd., S. 176.
[7] Jaworski, Rudolf: Osteuropa als Gegenstand historischer Stereotypenforschung, In: Geschichte und Gesellschaft 13/1987, S. 70f.
[8] Hahn, Hans Henning: “12 Thesen zur Stereotypenforschung“. In: Hahn, Hans Henning (Hrsg.): Nationale Wahrnehmungen und ihre Stereotypisierung: Beiträge zur Historischen Stereotypenforschung, Frankfurt (Main) 2007, S. 15.
[9] Ebd., S. 16.
[10] Der Begriff der Gesellschaft soll hier als verallgemeinernder Begriff angesehen werden, der verschiedenste Gruppierungen beinhalten kann (religiös, politisch, kulturell, geschlechtlich, etc.). Des Weiteren muss beachtet werden, dass eine Gruppierung nicht nur ein Stereotyp bedient, sondern eine Mischungen von verschienenden Faktoren auf sich vereint. – „So (z. B.) sind mit dem Stereotyp des Zigeuners nicht nur ethische oder rassische Inhalte gemeint, sondern es enthält gleichzeitig auch ein soziales und kulturelles Stereotyp.“ Vgl. Hahn, Hans Henning: “12 Thesen zur Stereotypenforschung“. In: Hahn, Hans Henning (Hrsg.): Nationale Wahrnehmungen und ihre Stereotypisierung: Beiträge zur Historischen Stereotypenforschung, Frankfurt (Main) 2007, S. 18.
[11] Ebd., S. 22.
[12] Lammich, Maria: „Polen und Deutsche. Zur Verbreitung nationaler Bilder während der Reichsgründungszeit“. In: Lemberg, Hans (Hrsg.): Grenzen in Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle Forschungsprobleme, Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung, Bd. 10, Marburg 2000, S. 175. - Vgl. „Skizzen aus der Provinz Posen“, in: GB 3 (1870) S. 166-174.
[13] Ebd., S. 173.
[14] Ritter, Joachim (Hrsg.); Eisler, Rudolf: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Darmstadt 1972, Sp. 290ff.
[15] Ebd., Sp. 291.
[16] Hein-Kircher, Heidi; Suchoples, Jarosław; Hahn, Hans Henning: Erinnerungsorte, Mythen und Stereotypen in Europa/Miejsca pamięci, mity i stereotypy w Europie, Wrocław 2008, S. 20.
[17] Ebd., S. 19ff. - “Ein Mythos ist eine sinnstiftende Erzählung, die das Unbekannte oder schwer Erklärliches mit Bekanntem vereinfacht erklären will. Eine mythische Narration entsteht immer dann, wenn subjektiv spektakuläre, außeralltägliche Geschehnisse eintreten und über sie in Form einer selektiven Interpretation berichtet wird, in dem bestimmte historische Ereignisse besonders stark betont, andere dagegen vernachlässigt werden, was zur Folge hat, dass die Vergangenheit zumindest sehr stark idealisiert wird.” Ebd., S. 19f.
[18] Wippermann, Wolfgang: Der ´Deutsche Drang nach Osten`. Ideologie und Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes, Impulse der Forschung, Bd. 35, Darmstadt 1981, S. 2.
[19] Ebd., S. 2.
[20] Schenk, Frithjof Benjamin: Aleksandr Nevskij. Heiliger – Fürst – Nationalheld. Eine Erinnerungsfigur im russischen kulturellen Gedächtnis 1263-2000, Köln 2004, S. 182.
[21] “Zunächst zum Begriff selbst: Die Formulierung in der exakten Form ‚Drang nach Osten’ lässt sich in einem Einzelfall, beim polnischen Journalisten Julian Klaczko, schon seit 1849 aufspüren, uns zwar schon in der Form eines Zitats in Anführungsstrichen; in häufigerem Gebrauch findet sie sich erst seit den sechziger Jahren des 19. Jh.“ Lemberg: , S. 33f.
[22] Hercules ist ein antiker Held, der der Sage nach, nach einem Kampf gegen den Riesen Antaios, von Pygmäen angegriffen wurde, welche er besiegte. Hercules zeichnet sich durch besondere Stärke aus. Jedoch gibt es auch eine Umdeutung der Figur Hercules. So kann ihm auch ein starker Jähzorn, ungebändigte Kraft und weitere negative Eigenschaften zu fallen. aus: Microsoft Encarta Enzyklopädie 2004.
[23] Pygmäe ist der Wortbedeutung (lat. Pygmaei/griech. pygmaĩos) nach nur Faust groß bzw. ein Fäustling. In der antiken Mythologie werden sie als nackte oder sehr spärlich bekleidete Wesen beschrieben, die Ackerbau betreiben, in Höhlen wohnen und am Rande der Welt leben. Im Mittelalter sind es Menschen oder eine besondere Affenart - eine Mischung aus Mensch und Tier, deren Heimatland im Osten vermutet wird. (: Microsoft Encarta Enzyklopädie 2004.
- Quote paper
- M.A. Christiane Simone Stadie (Author), 2011, „Der Deutsche Drang nach Osten“ – nur ein Stereotyp?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208011
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