"Ein unschuldiges Kind warst du ja eigentlich, aber noch eigentlicher warst du ein teuflicher Mensch! – Und darum wisse: Ich verurteile dich jetzt zum Tode des Ertrinkens!" (Franz Kafka. Das Urteil.)
Die hier vorgelegte Arbeit beschäftigt sich mit Franz Kafkas Erzählung Das Urteil und rückt diese Textstelle in den Fokus der Aufmerksamkeit. Der Widerspruch, dass der Vater Georg Bendemanns seinen Sohn in einem Zuge als unschudig und teuflich bezeichnet, ist derart auffällig, dass er einer genaueren Betrachtung unterzogen werden soll.
Worin soll Georgs Schuld in der Unschuld zu finden sein? Die Suche nach jener mystischen Schuld soll hier zum Leitthema der Arbeit erhoben werden. Bei dieser Suche habe ich drei Kriterien in den Fokus gerückt. Zunächst werde ich untersuchen, ob Georgs Vater eine Autorität verkörpert und überhaupt eine Machtbefugnis zum Urteils- beziehungsweise Schuldspruch inne hat. Danach wende ich mich Georgs Verhalten zu, indem ich sein Wesen und Gebaren gegenüber dem Vater analysiere, um aufgrund dieser Vorbetrachtungen die Frage zu klären, worin genau Georgs Schuld bestehen könnte beziehungsweise nach Ansicht des Vaters bestehen soll.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Betrachtungen
2.1 Was ist Autorität? – Eine soziologische Definition
2.2 Was ist Schuld? – Eine soziologisch-psychologische Definition
3. Die Suche nach der Schuld – eine werkimmanente Analyse
3.1 Besitzt der Vater Autorität?
3.2 Georgs Verhalten – ein innerer Kampf zwischen Abhängigkeitsgefühl und Etablierungswunsch
3.3 Georgs Sündenfall
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ein unschuldiges Kind warst du ja eigentlich, aber noch eigentlicher warst du ein
teuflicher Mensch! – Und darum wisse: Ich verurteile dich jetzt zum Tode des
Ertrinkens! (Das Urteil. S. 60.)1
Die hier vorgelegte Arbeit beschäftigt sich mit Franz Kafkas Erzählung Das Urteil und rückt diese Textstelle in den Fokus der Aufmerksamkeit. Der Widerspruch, dass der Vater Georg Bendemanns seinen Sohn in einem Zuge als unschudig und teuflich bezeichnet, ist derart auffällig, dass er einer genaueren Betrachtung unterzogen werden soll. Bei dieser väterlichen Aussage drängt sich mir die die Frage auf, „die im 'Urteil' […] nicht formuliert wird, die aber [… ] indirekt das Geschehen bestimmt: die Frage nach der Schuld.“2 Worin soll Georgs Schuld in der Unschuld zu finden sein? Die Suche nach jener mystischen Schuld soll hier zum Leitthema der Arbeit erhoben werden. Bei dieser Suche habe ich drei Kriterien in den Fokus gerückt. Zunächst werde ich untersuchen, ob Georgs Vater eine Autorität verkörpert und überhaupt eine Machtbefugnis zum Urteils- beziehungsweise Schuldspruch inne hat. Danach wende ich mich Georgs Verhalten zu, indem ich sein Wesen und Gebaren gegenüber dem Vater analysiere, um aufgrund dieser Vorbetrachtungen die Frage zu klären, worin genau Georgs Schuld bestehen könnte beziehungsweise nach Ansicht des Vaters bestehen soll.
Bevor diese Fragen durch textimmante Werkanalysen beantwortet werden, muss zunächst in einem theoretischen Teil der wissenschaftliche Rahmen konstruiert werden, auf dessen Basis das Werk dann betrachtet wird. Hierbei werde ich die relevanten Begriffe Autorität und Schuld mittels soziologischer Betrachtungen definieren.
Ein Problem bei der Bearbeitung stellte die große Menge an Sekundärliteratur dar, deren Betrachtungswinkel auf das Werk erschöpfend jede Literaturmethode benützt hat. Ich möchte diese Vielfalt hier der Vollständigkeit wegen grob skizzieren und erläutern, welche Themengebiete für diese Arbeit aus der Betrachtung ausge-schlossen werden. Das Urteil wurde in der Forschung mit Vorliebe unter einem biographischen Deutungsansatz betrachtet. Dies trifft auch auf den psycho-analytischen Ansatz zu, der ebenfalls ein sehr stark präsentes Thema in der kafkaschen Literatur ist und zweifellos Faszination besitzt. Ob der beinah uner-messlichen Vielfalt dieser Arbeiten, möchte ich keinen Beitrag zu diesem Standpunkt leisten, sondern einen mehr unbeachteten Aspekt deutlicher ausleuchten. In Verbindung mit einer biographischen Deutung wird aufgrund Kafkas jüdischer Herkunft und seiner nachweisbaren persönlichen Beschäftigung mit dem Judentum auch gern eine jüdische beziehungsweise (allgemein-)religiöse Deutung durch-geführt. Auch dies soll hier außen vor gelassen werden. Mich interessiert in dieser Arbeit ausschließlich die werkimmanente Beziehung des Protagonisten Georg Bendemanns mit seinem Vater und im Besonderen der Dialog zwischen den Männern, in dem der Vater das Todesurteil über sein eigen Fleisch und Blut ausspricht.3
2. Theoretische Betrachtungen
2.1 Was ist Autorität? – Eine soziologische Definition
In der Sozialtheorie kann man sich zunächst auf eine allgemeine Definition einigen: Man versteht unter Autorität die „wirksame Einflußnahme einer Person auf andere“,4 wobei diese Person aufgrund ihrer Stellung als Normgeber fungiert. Als Normgeber ist sie jene Person, die zur Normierung befugt ist. Dies bedeutet, sie darf „verbind-liche[r] Regeln und Standards“5 schaffen. Ein Normgeber besitzt nicht nur die Mögichkeit, soziale Normen zu erstellen; es ist seine Aufgabe, diese „explizit gemachte[n] Verhaltensregeln“6 vorzugeben, damit die Gruppe harmonierend funk-tionieren kann. Die Individuen, die Teil der Hierarchie sind, werden als Norm-adressaten bezeichnet, sprich sie sind jene Menschen, an die sich die Norm richtet. Als Normadressaten sind diese Individuen dazu verpflichtet, den Willen der Autorität als wirksame Handlungsdeterminante anzuerkennen. Nur so kann ein funktionales Zusammenarbeiten gewährleistet werden. Bei Nichtbefolgung der Normen besitzt die Autoritätsperson Sanktionsbefugnis. Das wiederum bedeutet, dass bei Nichtbefolgen einer Norm der Normgeber berechtigt ist, Sanktionen zu verhängen. Diese sind „Reaktionen auf Verhalten (Handeln), mit dem Ziel, Konformität zu erzeugen.“7 Sanktionen dienen also dazu, die Ordnung zu wahren.
Auch die Familie ist eine soziologische Gemeinschaft, in der es einen Normgeber und Normadressaten gibt, sie stellt jedoch eine Sonderform dar. Alle erklärten Gesetzmäßigkeiten gelten zwar auch hier, die Kleingruppe Familie hat aber weitere ihr eigene Strukturmerkmale. In Familien ist „ein familiäres Normen- und Wertesystem vorgegeben, das häufig über viele Generationen tradiert ist“.8 Gerade die hierarchische Ordnung, wer welche Kompetenzen und welche Anordnungsbe-fugnisse inne hat, „sind vorgegeben und entstehen nicht erst im Prozess der Herausbildung einer spezifischen Gruppenstruktur und Gruppenidentität.“9 Dies ist ein wichtiger Punkt für diese Arbeit, die sich mit der Autorität eines Vaters innerhalb einer Familie beschäftigt.
Für meine Arbeit ist es ebenfalls wichtig hervorzuheben, dass der Machtvorsprung des Normgebers innerhalb der Hierarchie zu diesem Zeitptunkt weder negativ noch positiv ist. Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen: Ein banales und häufig vorkommendes Ereignis aus dem Alltagsleben jeder Familie wäre die Verhängung von Hausarrest oder der Entzug des Taschengeldes. Eltern können diese Sanktionen, die sich außerhalb eines juristischen Rahmens bewegen, gegen ihre Kinder verhängen, da sie als Autoritäten über diesen stehen. Diese Sanktionen sollen sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes auswirken (was in jedem indi-viduellen Fall natürlich geprüft werden müsste), um ihm Regeln und Konventionen beizubringen. Autoritätspersonen können also innerhalb einer Gemeinschaft durch gezielt und pragmatisch eingesetzte Sanktionen als ordnungsstiftende Instanzen fungieren und sich positiv auf die Entwicklung der Schutzbefohlenen auswirken.
Da diese Arbeit aber in einem wesentlichen Punkt auf Machtmissbrauch durch Autorität abzielen wird, sei angemerkt, dass Normgeber ihre Macht- beziehungsweise Sanktionsbefugnis auch zum Schaden der Individuen, die Teil ihrer Hierarchie sind, benutzen können. Wie dies im familiären Rahmen geschieht, lässt sich besonders gut an Das Urteil illustrieren.
2.2 Was ist Schuld? – Eine soziologisch-psychologische Definition
Im Alltagsverständnis weisen wir einem Individuum Schuld zu, wenn es wider die Konventionen handelt, die in der Gesellschaft, in der es lebt, als etabliert gelten. In soziologischen und psychologischen Betrachtungen nutzt man auch gern das Konstrukt der äußeren Grenze, um Schuld von Unschuld abzugrenzen. Nach diesem Prinzip existiert in der Psyche eines Individiuums eine gefühlte Grenze,
über die hinaus man seine Macht nicht ausdehnen darf. Wenn man diese äußere Grenze, die die Rechte einer anderen Person oder der Gesellschaft als Ganzes umschreibt, durchbricht, so überschreitet und verletzt man deren Integrität, deren soziales Prestige und Macht; man kränkt sie und fügt ihr Schmerz zu. Der Überschreitende fühlt Schuld.10
[...]
1 Da alle Passagen aus Das Urteil ausnahmslos aus den im Literaturverzeichnis unter „Primärliteratur“ angegebenen Werkausgaben stammen, werden in der Arbeit verwandte Zitate lediglich mit Kurztitel und der Anmerkung der Seitenzahl beschlossen. Als Sekundärliteratur herangezogene Werke werden dagegen gesondert behandelt und mit Fußnoten versehen.
2 Rehfeld, Werner: Das Motiv des Gerichtes im Werke Franz Kafkas. Zur Deutung des 'Urteils', der 'Strafkolonie', des 'Prozesses'. Frankfurt am Main, Universität. Dissertation. Darmstadt-Trautheim. 1960. S. 173.
3 Es sei an dieser Stelle ebenfalls noch angemerkt, dass mein hier vorgelegter Untersuchungsschwerpunkt auf diverse Werke Kafkas Anwendung hätte finden können. Kafka legt seinen Rezipienten mit Vorliebe Geschichten vor, in denen der Protagonist sich einer Übermacht gegenüber sieht, die ein oft zunächst nicht nachvollziehbares Urteil über ihn verhängt. Gerade der fragmantarische Roman Der Prozess behandelt die Schuldzuweisung an den Protagonisten K. in besonderer Intensität. Dennoch richte ich den Blickwinkel auf Das Urteil, da sich aus dem Dialog zwischen Vater und Sohn grundlegende Erkenntnisse ableiten lassen.
4 Türk, Hans Joachim: Autorität. Matthias-Grünewald-Verlag. Mainz 1973. S. 12.
5 Schäfers, Bernhard: Soziales Handeln und seine Grundlagen: Normen, Werte, Sinn. In: Hermann Korte, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. Band 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2008. S. 31.
6 Ebd., S. 30.
7 Ebd., S. 33.
8 Schäfers, Bernhard: Die soziale Gruppe. In: Hermann Korte, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. Band 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden 2008. S. 137.
9 Ebd., S. 137.
10 Wurmser, Léon: Die Maske der Scham. Die Psychoanalyse von Schameffekten und Schamkonflikten. Springer-Verlag. Berlin und Heidelberg 1990. S. 56.
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