Das Oberthema dieser schriftlichen Arbeit lautet : „Das Pferd als Co-Therapeut in der sozialen Arbeit“ und wirft als erstes die Frage auf, welche Gründe dazu veranlassen können, einem Tier therapeutische
Fähigkeiten zuzuschreiben. Als Therapeutenvariablen gelten im allgemeinen „spezifische verbale, nonverbale und soziale Verhaltensaspekte und Interventionsstrategien eines Therapeuten zur
Lösung von psychischen Problemen eines Hilfesuchenden“ (Fachlexikon der sozialen Arbeit, 1997, S. 957). Da das Werkzeug des Sozialarbeiters insbesondere die Sprache ist, scheint dem Laien
die Frage an dieser Stelle genügend beantwortet. Das Pferd ist nicht zur verbalen Kommunikation mit dem Menschen fähig, demnach vermag es in keinster Weise einen gesprächstherapeutischen Prozess zu unterstützen. Dennoch sei an dieser Stelle behauptet,
dass das Pferd zu einer umfangreichen Kommunikation mit dem Menschen fähig ist und außerdem über eben die spezifische Grundhaltung verfügt, die ein Therapeut gegenüber seinem Klienten
einnehmen soll. Das Unterthema der Arbeit „Methoden, Finanzierung, Grenzen und Perspektiven des Therapeutischen Reitens“ soll darauf
hinweisen, dass innerhalb dieser Ausführung zum Thema im Sinne der Ganzheitlichkeit der Sozialarbeit eben nicht nur die Beziehung
des Therapeuten zum Klienten, hier die Beziehung zwischen Therapeut, Co-Therapeut und Klient, betrachtet werden soll, sondern inwiefern das Therapeutische Reiten in der sozialen Arbeit bereits
eingebetet ist bzw. wie es eingebetet werden könnte. Dazu ist es zum Einen notwendig, die unterschiedlichen Methoden in ihrer Bandbreite
genauer zu betrachten und zum Anderen die Rahmenbedingungen und insbesondere die Finanzierbarkeit des Therapeutischen Reitens
abzuklären. Ziel dieser Arbeit ist es, den Einsatz des Pferdes als effektiven Sozialhelfer anhand von ausgewählten methodischen Ansätzen und Handlungskonzepten zu prüfen. Da das Therapeutische Reiten ein Oberbegriff ist, dient das erste
Kapitel als Orientierungshilfe innerhalb der vielseitigen Einsatzmöglichkeiten des Pferdes in Medizin, Pädagogik und Sport.
In der Betrachtung des Pferdes als Co-Therapeut in der sozialen Arbeit wird hier der Bereich des Heilpädagogischen Reitens und
Voltigierens akzentuiert. Im zweiten Kapitel soll das Pferd mit seinen spezifischen Verhaltensaspekten als, weitläufig in seinen besonderen Qualitäten noch relativ unbekanntes, Medium besondere Beachtung
finden. [...]
Inhalt
1 Einleitung
2 Therapeutischen Reiten - Der Einsatz des Pferdes in Medizin, Pädagogik und Sport
2.1 Die Hippotherapie - Krankengymnastische Förderung auf dem Pferd
2.2 Das Heilpädagogische Reiten und Voltigieren - Ganzheitliche Förderung von Kindern und Jugendlichen
2.3 Reiten als Sport für Behinderte - Integrative Freizeitgestaltung und Leistungssport
3 Pferd - Kind - Pädagoge: Die Partner im heilpädagogischen Reiten / Voltigieren
3.1 Das Pferd - Symbolhaftigkeit und gemeinsame Entwicklungsgeschichte mit dem Menschen
3.1.1 Verhaltensspezifische Eigenschaften und Beziehungsfähigkeit des Pferdes
3.1.2 Zum Motivationsaspekt- der (auf)fordernde Charakter des Pferdes
3.1.3 Das geeignete Therapiepferd
3.2 Das Kind/ der Jugendliche – Zielgruppenbestimmung und Lebensweltbetrachtung
3.2.1 Reduzierung der Freiräume für Kinder - Multimedialität versus Realitätsprinzip
3.2.2 Zur Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten/ -störungen, Lernstörungen/-behinderungen
3.3 Der Reitpädagoge - Grundsätzliche Einstellung und Verhalten des Pädagogen
3.3.1 Sachorientierte Partnerschaft als Handlungskonzept im Heilpädagogischen Reiten/voltigieren
3.3.2 Berufsbezeichnung, Qualifikation
3.4 Das Beziehungsgeschehen im Setting des Heilpädagogischen Reitens/Voltigierens
4 Verschiedene methodische Ansätze und spezielle Zielsetzungen des HPR/V
4.1 Entwicklungsorientierung - Zur Entwicklung der Persönlichkeit nach Freud und Erikson
4.2 Psycho- und sensomotorische Förderung durch das Pferd
4.3 Psychoanalytisch-orientiertes Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren
4.4 Erwerb individueller und sozialer Kompetenzen durch den Umgang mit dem Pferd
5 Zusammenarbeit mit Kostenträgern, Eltern sowie anderen Institutionen
5.1 Zur Finanzierung des Therapeutischen Reitens - Leistungserbringer und Kostenträger
5.2 Zusammenarbeit mit anderen Institutionen sozialer Arbeit
5.3 Die Bedeutung der Zusammenarbeit mit den Eltern
5.3.1 Der erste Kontakt mit den Eltern - Absicherung, Kosten, Anamnese
5.4 Qualitätssicherung im HPR/V - Qualitätsstandards und Zielüberprüfung
6 Die Grenzen der Arbeit mit dem Pferd
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 : Therapeutisches Reiten
Abbildung 2 : Klassifikation von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen
Abbildung 3 : Beeinflussende Komponenten des Beziehungsdreiecks
Abbildung 4 : Psychosoziale Entwicklungsphasen der Kindheit und Jugend
Abbildung 5: Protokoll der Kernaufgaben für das HPV
1 Einleitung
Das Oberthema dieser schriftlichen Arbeit lautet : „Das Pferd als Co-Therapeut in der sozialen Arbeit“ und wirft als erstes die Frage auf, welche Gründe dazu veranlassen können, einem Tier therapeutische Fähigkeiten zuzuschreiben. Als Therapeutenvariablen gelten im allgemeinen „spezifische verbale, nonverbale und soziale Verhaltensaspekte und Interventionsstrategien eines Therapeuten zur Lösung von psychischen Problemen eines Hilfesuchenden“ (Fachlexikon der sozialen Arbeit, 1997, S. 957). Da das Werkzeug des Sozialarbeiters insbesondere die Sprache ist, scheint dem Laien die Frage an dieser Stelle genügend beantwortet. Das Pferd ist nicht zur verbalen Kommunikation mit dem Menschen fähig, demnach vermag es in keinster Weise einen gesprächstherapeutischen Prozess zu unterstützen. Dennoch sei an dieser Stelle behauptet, dass das Pferd zu einer umfangreichen Kommunikation mit dem Menschen fähig ist und außerdem über eben die spezifische Grundhaltung verfügt, die ein Therapeut gegenüber seinem Klienten einnehmen soll. Das Unterthema der Arbeit „Methoden, Finanzierung, Grenzen und Perspektiven des Therapeutischen Reitens“ soll darauf hinweisen, dass innerhalb dieser Ausführung zum Thema im Sinne der Ganzheitlichkeit der Sozialarbeit eben nicht nur die Beziehung des Therapeuten zum Klienten, hier die Beziehung zwischen Therapeut, Co-Therapeut und Klient, betrachtet werden soll, sondern inwiefern das Therapeutische Reiten in der sozialen Arbeit bereits eingebetet ist bzw. wie es eingebetet werden könnte. Dazu ist es zum Einen notwendig, die unterschiedlichen Methoden in ihrer Bandbreite genauer zu betrachten und zum Anderen die Rahmenbedingungen und insbesondere die Finanzierbarkeit des Therapeutischen Reitens abzuklären. Ziel dieser Arbeit ist es, den Einsatz des Pferdes als effektiven Sozialhelfer anhand von ausgewählten methodischen Ansätzen und Handlungskonzepten zu prüfen.
Da das Therapeutische Reiten ein Oberbegriff ist, dient das erste Kapitel als Orientierungshilfe innerhalb der vielseitigen Einsatzmöglichkeiten des Pferdes in Medizin, Pädagogik und Sport. In der Betrachtung des Pferdes als Co-Therapeut in der sozialen Arbeit wird hier der Bereich des Heilpädagogischen Reitens und Voltigierens akzentuiert. Im zweiten Kapitel soll das Pferd mit seinen spezifischen Verhaltensaspekten als, weitläufig in seinen besonderen Qualitäten noch relativ unbekanntes, Medium besondere Beachtung finden. Des weiteren findet über die Beschreibung entwicklungsbehindernder Lebensumstände eine genaue Zielgruppenbestimmung des Heilpädagogischen Reitens/Voltigierens statt. Darüber hinaus werden die notwendigen beruflichen Qualifikationen des Reitpädagogen sowie die Sachorientierte Partnerschaft als sein grundlegendes Handlungskonzept beschrieben. So kann anschließend auf das Beziehungsgeschehen der drei beteiligten Komponenten genauer eingegangen werden. Das dritte Kapitel umfasst unter Berücksichtigung des allen reitpädagogischen Maßnahmen gemeinsamen Förderzieles, der Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit, zunächst entwicklungstheoretische psychologische Grundlagen. Darauf aufbauend werden verschiedene Förderbereiche und methodische Vorgehensweisen unter dem Aspekt der bisher erarbeiteten Erkenntnisse vorgestellt. Im vierten Kapitel soll konkret auf die Einbeziehung äusserer beeinflussender Faktoren eingegangen werden. Es wird auf die Bedeutung der Elternarbeit für die Effektivität heilpädagogischer Interventionen hingewiesen. Des weiteren wird die Finanzierbarkeit und die Qualitätssicherung im Bereich des Therapeutischen Reitens im Sinne der Neuen Steuerung der öffentlichen Verwaltung hinterfragt.
Die Grenzen der Arbeit mit dem Pferd werden im fünften Kapitel aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Der letzte Teil der Arbeit, mein Fazit, stellt, unter Einbeziehung meiner persönlichen Erfahrungen im Heilpädagogischen Voltigieren/Reiten und meinen Erkenntnissen aus dem Studium der Sozialarbeit, zusammenfassend die effektiven Qualitäten des Pferdes als Co-Therapeut der kritischen Auseinandersetzung mit der Effizienz der Methode gegenüber.
Die Wahl meines Themas begründet sich in einer nicht uneigennützigen Vision der idealen Verbindung von Hobby und Beruf. So stieß ich während meines Studiums auf der Suche nach einer entsprechenden Möglichkeit auf das Heilpädagogische Reiten/Voltigieren. Aus meiner langjährigen privaten Erfahrung im Umgang mit dem Pferd weiß ich um die einzigartige Faszination dieses Tieres und durch die praktische Arbeit im Zentrum für therapeutisches Reiten in Lünen um die vielfältigen Möglichkeiten, die sich unter Einbeziehung des Pferdes im sozialen Kontext ergeben können. Diese beiden Aspekte motivierten mich dazu, dieses komplexe Thema nun auch wissenschaftlich im Rahmen meiner Diplomarbeit zu hinterfragen.
2 Therapeutischen Reiten - Der Einsatz des Pferdes in Medizin, Pädagogik und Sport
Unter dem Sammelbegriff „Therapeutisches Reiten“ subsumieren sich drei Bereiche : „Hippotherapie“, „Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren“ und „Reiten als Sport für Behinderte“, die unter Einsatz qualifizierten Fachpersonales und unter Aufsicht des „Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten (DKThR)“ den Rahmen für die therapeutische Arbeit mit dem Pferd bilden. „Das Pferd bietet durch seine artspezifischen Möglichkeiten spezielle Vorraussetzungen für den Einsatz in Krankengymnastik, heilpädagogischem Voltigieren/Reiten und Reiten als Sport für Behinderte“ ( C. Klüwer, 1997, S.15). Auch wenn es in den drei Bereichen einige Überschneidungen gibt, sie sich ergänzen und aufeinander aufbauen, gilt es zunächst, sie im einzelnen zu erläutern. Hierbei wird insbesondere auf das „Heilpädagogische Reiten und Voltigieren“ eingegangen. In diesen Bereich fällt die Arbeit mit verhaltensauffälligen, lern- oder geistig behinderten sowie psychisch kranken Menschen und trifft somit auf Praxisfelder und Methoden aus der sozialen Arbeit.
Das aufgeführte Schema (Abbildung Nr. 1) veranschaulicht den breit gefächerten Einsatzbereich des Pferdes im Therapeutischem Reiten und gibt vorweg einen Überblick über die Förderungsgebiete, die Zielgruppen und die entsprechenden, notwendigen beruflichen Qualifikationen, auf die im weiteren Verlauf näher eingegangen werden soll
Abbildung 1 : Therapeutisches Reiten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abbildung 1: C. Klüwer, 1997, S.16 /17)
2.1 Die Hippotherapie - Krankengymnastische Förderung auf dem Pferd
Die Hippotherapie ( griechisch „hippos“= Pferd, „therapeia“= Therapie, Behandlung) sei hier an erster Stelle erwähnt, da sie die zuerst entwickelte Form des therapeutischen Reitens darstellt. Seit den fünfziger Jahren wird dem physiotherapeutischen Einsatz des Pferdes wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil, obwohl die Wurzeln des Wissens um „die heilende Wirkung des schreitenden Pferdes“ bis in die Zeit des römischen Kaisers Marcus Aurelius (121-180 n.Chr.) zurückreichen, dessen Arzt Galenos von Pergamon sich bereits mit dem Reiten als Form einer gymnastischen Übung auseinandergesetzt hat. Auch der Arzt Bartholomaeus Castellius schrieb bereits im Jahr 1663, der reitende Mensch müsse, „die Bewegungen des Pferdes in sich aufnehmen“ und „mit den Bewegungen des eigenen Körpers in Einklang bringen“. Dieser Satz beinhaltet ein therapeutisches Prinzip, das noch heute als wesentliches Wirkprinzip der Hippotherapie angesehen wird. Die ausgleichende Wirkung des rhythmischen Bewegtwerdens bei verschiedenen körperlichen Störungen und Krankheitsbildern wird von Ärzten und Physiotherapeuten als Bestandteil und Ergänzung krankengymnastischer Behandlungsmaßnahmen genutzt; auch und insbesondere dort, wo herkömmliche Methoden nicht (mehr) greifen. Die Hippotherapie wird bei bestimmten Erkrankungen und Schädigungen des Zentralnervensystems und des Stütz- und Bewegungsapparates angewandt, wie beispielsweise bei Spastiken, Querschnittslähmungen, im rehabilitativen Bereich nach Unfällen, Operationen oder Infarkten und bei Kindern mit angeborenen Störungen wie z.B. Kinderlähmung oder Ataxie. Die physiotherapeutische Wirkung des Bewegtwerdens auf dem in der Gangart Schritt gehenden Pferd geht von den dreidimensionalen, rhythmischen Schwingungen seines Rumpfes aus. Der Rumpf des Pferdes, auf dem der Patient während der Therapie sitzt, bewegt sich durch die diagonale Fußfolge mit wechselseitigem Absinken der Kruppe bei jedem Schritt vertikal (auf und nieder), horizontal (Beschleunigung und Verzögerung bei jedem Ab- und Auffußen der Hinterhand des Pferdes) und im Sinne der Torsion des Rumpfes nach links und rechts. Im Schritt überträgt das Pferd auf den Patienten ein den menschlichen Gangbewegungen entsprechendes Bewegungsmuster, wodurch auch dem Menschen mit Gehbehinderung oder Gehunfähigkeit Bewegungserfahrungen vermittelt werden , die ihm sonst, auch durch die konventionelle Krankengymnastik, nicht zugänglich gemacht werden können (vgl. H. Riesser, 1996). Die Hippotherapie wirkt hauptsächlich im Bereich neurophysiologischer Funktionsabläufe, hat aber auch Einwirkungen auf die zentralnervös-motorischen Steuerungszentren und ihre Leitungsbahnen, und zwar in einer Form, die durch keine andere physiotherapeutische Methode und keinerlei Apparaturen zu simulieren ist. Sie gilt als eine „einzigartige Möglichkeit bewegungstherapeutischer Intervention“ (H. Riesser, 1996, S.8). Einzigartig und von anderen krankengymnastischen Behandlungsmethoden zu unterscheiden, ist diese Form auch aufgrund der psychischen Motivation des Patienten, ausgelöst durch den lebenden Übungspartner Pferd. Das Pferd hat besonders gegenüber Kindern und Jugendlichen einen hohen Aufforderungscharakter (s. dazu Kapitel 2.1.2). Kinder mit cerebraler Bewegungsstörung, die seit frühester Kindheit einer oft als lästig und schmerzhaft empfundenen Krankengymnastik unterzogen wurden, erleiden häufig mit der Zeit eine sogenannte „Mattenmüdigkeit“. Sie werden der Behandlung, die sie oft in vielfältiger Weise einschränkt und vor allem als kranker zu therapierender Mensch „abstempelt“, überdrüssig (vgl. C. Klüwer, 1995 /1997). Da der Erfolg einer Behandlung aber im starken Maße von der Motivation des Patienten abhängt, empfiehlt sich hier oft Hippotherapie als motivationsfördernde und ergänzende Maßnahme zur konventionellen Krankengymnastik.
2.2 Das Heilpädagogische Reiten und Voltigieren - Ganzheitliche Förderung von Kindern und Jugendlichen
Die grundlegenden Wirkungsweisen der Hippotherapie greifen ebenso beim Heilpädagogischen Reiten/Voltigieren (im weiteren HPR/V). Der Übungspartner Pferd kommt hier in gleicher Weise im sensomotorischen Bereich und im motivierendem Maße zum Einsatz, wie bei der rein krankengymnastischen Behandlung. Im Gegensatz zur körperlich orientierten Hippotherapie meint das HPR/V jedoch Maßnahmen, die hauptsächlich in der Pädagogik, der Psychologie und bestimmten Bereichen der Psychiatrie Eingang finden. Unter dem Begriff ‘Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren’ werden pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und soziointegrative Angebote mit Hilfe des Pferdes zusammengefasst. Hierbei soll insbesondere die individuelle Förderung im Sinne einer positiven Beeinflussung der Entwicklung, des Befindens und des Verhaltens im Vordergrund stehen. Der Mensch wird hierbei ganzheitlich angesprochen; körperlich, geistig, emotional und sozial (vgl. M. Gäng, 1998a). Erfahrungen von Selbstwertgefühl und angemessener Selbsteinschätzung, Umgang mit Ängsten und Frustrationen und soziales Verhalten innerhalb einer Gruppe und gegenüber dem Lebewesen im Allgemeinen sollen, sowohl durch den Umgang mit dem Pferd als auch durch das Erleben in der Gruppe, vermittelt und gefestigt werden. Kinder/Jugendliche erlernen den Umgang mit Antipathien und Aggressionen und werden im Bereich der Konzentrationsfähigkeit geschult. Gruppen- und Einzelförderungen können sowohl reitend als auch voltigierend durchgeführt werden. Das wesentliche Unterscheidungskriterium zwischen Reiten und Voltigieren ist die Führung des Pferdes, die beim Voltigieren in der Hand des Longenführers (Pädagogen) bleibt, beim Reiten aber in der Einwirkung des Reiters (Klienten) liegt. Übergangsformen sind z.B. Sitz-Voltigierübungen auf dem geführten Pferd, Handpferdereiten u.ä.. Unter heilpädagogischem Voltigieren (im weiteren: HPV) versteht man selbsterfahrungsrelevante, turnerische, psychomotorische Übungen auf dem ungesattelten zumeist mit einem sogenannten Voltigiergurt (mit Haltegriffen für das Kind) versehenen Pferd in den drei Gangarten Schritt, Trab und Galopp. Das Pferd wird dabei von dem in der Mitte eines Zirkels stehenden Voltigierpädagogen an der Longe (lange Leine) auf der Zirkellinie geführt bzw. gelenkt. Das heilpädagogische Reiten (im weiteren: HPR) hingegen ist die selbstständige Einflussnahme auf ein gesatteltes oder ungesatteltes Pferd unter Zuhilfenahme adäquater Einwirkungsmöglichkeiten (Zügel und Hilfen vom Reiter durch körperliche und materielle Signale) mit dem Ziel der selbstgeführten Fortbewegung von Reiter und Pferd, soweit dieses in den körperlichen und geistigen Möglichkeiten des Reiters liegt. Unter Umständen bleibt das HPR auch auf der Ebene des Geführt-werdens auf dem Pferd. So können zunächst elementare Wirkungen vermittelt werden. Das bietet sich bei schwereren Beeinträchtigungen und auch bei Frühfördermassnahmen an.
Weitere Schritte der selbstgeführten Bewegung reichen bis in die erlebnispädagogische Dimension, z.B. Zirkusprojekte, Wanderritte, Ferienfreizeiten mit dem Pferd. Diese sind aufgrund ihres Projektcharakters an vorbereitende Förderung gebunden, bereichern aber die pädagogische Arbeit durch kreative Überschreitung des bereits Erlernten um eine sozio-emotionale Verdichtung der vielfältigen Möglichkeiten mit dem Pferd (vgl. M. Schulz, 19972; M. Gäng, 2001). Zwar steht der Erwerb reiterlicher Kompetenz beim HPR/V eher im Hintergrund, doch wirkt er sich insbesondere bei Kindern /Jugendlichen durch das hohe Ansehen, welches der Reitsport in Gesellschaft, Familie und besonders im Freundeskreis genießt, oft stark motivierend aus und beeinflusst dadurch die Therapie positiv. Auf die spezielle Wirkung des „Mediums“ Pferd und die Beziehung zwischen Therapeut, Klient und Pferd, Verfahrensweisen in Gruppen- und Einzelförderung und zielorientierte Methoden, wird in folgenden Kapiteln ausführlich eingegangen.
2.3 Reiten als Sport für Behinderte - Integrative Freizeitgestaltung und Leistungssport
Beim dritten großen Bereich des Therapeutischen Reitens, dem Reiten als Sport für Behinderte, handelt es sich um eine Sportart, die nicht nur sowohl von Menschen mit als auch ohne Behinderung sondern vor allem auch von beiden Gruppen gemeinsam ausgeübt werden kann (vgl. M. Gäng, 1998a). Im Gegensatz zur Hippotherapie als physiotherapeutische Einzelbehandlung auf dem Pferd im Schritt, ist bei der sportlichen Auseinandersetzung mit dem Pferd selbstständiger aktiver körperlicher Einsatz, je nach grad der Behinderung, in allen drei Gangarten möglich (vgl. S. Fieger, 1998). Reiten und/oder Fahren als Sport ist problemlos von Menschen mit körperlichen sowie geistigen Defiziten zu erlernen und wird von ihnen in gleicher Weise als befriedigende, erfüllende, sportliche Freizeitgestaltung erlebt, wie von ihren nichtbehinderten Reitkollegen. Zusätzlich zur Möglichkeit soziale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, die sich ja bei allen sportlichen Aktivitäten bietet, schafft das Pferd hier einen Ausgleich zur behinderungsbedingten Bewegungsarmut. Auf dem Pferd sitzend überwindet der Rollstuhlfahrer, die ihm sonst zuteil werdende „Froschperspektive“ und erlebt ungehinderte Bewegungsfreiheit auf „vier gesunden Beinen“. Dies bietet ihm zumindest für den Zeitraum des Reitens die Möglichkeit die Behinderung zu vergessen oder zu überwinden und führt so zu psychischer und physischer Entspanntheit. Mit speziellen Hilfsmitteln und besonders geschulten Pferden ist der Reitsport auch Schwerstbehinderten zugänglich. Durch den Einsatz akustischer und /oder optischer Hilfen, das Anbringen eines „Lifters“ oder von Rampen und Treppen in der Reithalle als Aufstiegshilfe, speziell umgebauter Reitausrüstung oder durch den Fahrsport bietet sich fast jedem Menschen, unabhängig vom Grad der Behinderung, die Möglichkeit das Getragenwerden auf dem Pferderücken zu erleben. Als Einstieg für das Reiten als Sport für Behinderte dient oftmals die Hippotherapie oder auch das HPR/V, wo der Reiter bereits Erfahrungen auf und mit dem Pferd sammeln konnte und diese dann im Reitsport zu optimieren lernt. Im Behindertenreiten als Leistungssport finden dann auch Wettkämpfe und Turniere statt (vgl. W. Kaune, 1995/97).
3 Pferd - Kind - Pädagoge: Die Partner im heilpädagogischen Reiten / Voltigieren
In folgendem Kapitel werden die Partner im HPR/V genauer betrachtet. Das „Medium“ Pferd erleichtert oft den Zugang besonders zu stark zurückhaltenden Menschen und wirkt gleichermaßen beruhigend auf sehr aktive, unruhige Menschen ein. Der korrekte Umgang mit dem Pferd und die Pflege des Tieres fördern die Teilnehmer des HPR/V nicht nur in der Bildung sozialer Kompetenzen durch das gemeinschaftliche Versorgen, Kümmern und Auseinandersetzen mit dem artspezifischen Verhalten des Pferdes, sondern stärken auch das Verantwortungsgefühl und die Bereitschaft emotionale Zuwendung zu geben und zu empfangen. So soll das artspezifische Verhalten des Pferdes und seine Beziehungsfähigkeit genauer betrachtet werden, um ein Verständnis zu entwickeln und die Möglichkeit zu schaffen, uns seine positiven Eigenschaften in der Arbeit mit dem Menschen nutzbar machen zu können. Ausserdem soll ein Einblick in die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen und damit einhergehende problematische Entwicklungsverläufe geschaffen werden. Des weiteren wird auf ein grundsätzliches, weit verbreitetes Handlungskonzept des HPR/V und die notwendigen Qualifikationen der Menschen verwiesen, die sich in pädagogischer und therapeutischer Weise unter Einbeziehung des „Mediums“ Pferd mit den Zielgruppen des HPR/V auseinandersetzen.
3.1 Das Pferd - Symbolhaftigkeit und gemeinsame Entwicklungsgeschichte mit dem Menschen
„ Wäre [das Pferd] nützlich, aber plump, wie etwa das Schwein oder die Kuh, wüßten wir zwar seinen Gebrauchswert zu schätzen, doch wohl kaum sein erhabenes Wesen in Gedichten zu preisen. Das Geheimnis seiner Wirkung besteht darin, daß es sich für uns abschindet und dabei so edel wirkt. Trotz seines aristokratischen Auftretens ist es unser ergebenster Diener. Diese Mischung ist magisch: Wenn solch ein würdevolles Tier sich unserem Willen unterwirft, dann müssen wir in der Tat die Herren der Welt sein“ (Morris nach S. Kupper-Heilmann, 1999, S.25)
Der Dienst, den das Pferd in der gemeinsamen Entwicklungsgeschichte dem Menschen erbracht hat, kann vielleicht zum Verständnis der tiefen (emotionalen) Bindung des Menschen zum Pferd beitragen. Als Reit-, Last- und Zugtier half es der Menschheit große Entfernungen zu überwinden, diente als Schlachtross in unzähligen Kriegen, seine Kraft und Ausdauer wurden in der Jagd, in der Landwirtschaft und sogar im Bergbau genutzt und es fungierte als Statussymbol großer Herrscher. Auf die vielfältigen Arbeitsbereiche des Pferdes weisen die unzähligen Reitweisen des heutigen Freizeit- und Leistungssports hin, die alle auf dem ursprünglich militärischen (z.B. Wiener Hofreitschule) oder landwirtschaftlichen (z.B. Westernreitweise) Einsatz des Pferdes basieren. Obwohl das Pferd heute kaum noch wirklich überlebenstechnisch nutzbare Funktionen für den Menschen hat, erfreut es sich großer Beliebtheit und genießt in unserer Welt eine enorm hohe Präsenz und ein nicht minder hohes Ansehen. Es scheint eine tiefe Verbindung zum Wesen Pferd zu bestehen, ein Phänomen das trotz Technisierung und Abwendung von der Natur weiter bestand hat. Es kann uns zurückführen, zu „maß- und taktvoller Beweglichkeit“, uns helfen den Rhythmus im Einklang mit uns selbst wiederzufinden (vgl. I.-M. Pietrzak, 2001). Von den bereits erwähnten physisch – therapieunterstützenden Aspekten abgesehen, übt das Pferd auf den Menschen auch eine starke psychische Wirkung aus und verfügt über Wesenszüge, die in positiver Weise in der Beziehung zum Klientel eingebracht werden können. In dem jahrhundertlangen Miteinander von Mensch und Pferd hat sich in den Köpfen der Menschen eine ausgeprägte Symbolhaftigkeit manifestiert. „Ein ganzes Kaleidoskop menschlicher Träume, Sehnsüchte und Ängste menschlichen Werdens und Vorgehens wird in der Pferdegestalt symbolisiert, ein Archetypus (griech. Urbild) wie C.G. Jung es beschreibt, der im kollektiven Unbewußten der Menschheit fest verankert ist.“ (I.M. Pietrzak, 2001, S.12). Das Pferd hat die Gabe in der Seele des Menschen Gefühle auszulösen, die tief aus dem Inneren des menschlichen Befindens stammen. „ (...) Daß das Pferd ein Gefühl der Freiheit und Lebendigkeit vermittelt und die Erlebnismöglichkeiten mit ihm oftmals in den Vordergrund gestellt werden, hat sicher neben den unmittelbaren Bewegungserfahrungen etwas mit der Übertragung bestimmter Vorstellungen und Phantasien auf das Pferd zu tun.“ (Deppisch nach S. Kupper-Heilmann, 1999 S.25). Auch M. Scheidhacker stützt sich auf Jung’ s Ausführungen archetypischer Symbole , als „ererbte Disposition zu bestimmten Gedankengängen, Vorstellungen und Handlungsbereitschaften ,(...). Sie werden im kollektiven Unbewussten jedes einzelnen aufbewahrt und beeinflussen von dort aus Träume, Denken und Handeln.“ (M. Scheidhacker, 1995, S.43). Nach Scheidhackers Beobachtungen kann das Pferd symbolhaft für diese archetypischen Urbilder erlebt werden, so dass mit dem Pferd das persönliche und das kollektive Unbewusste in das therapeutische Geschehen tritt und damit eine tiefere Schicht mobilisiert als die rein bewusst reflektierte Beziehungsebene. So kann zusätzlich zur Beziehungsarbeit auch Bewusstes und Unbewusstes entdeckt und integriert werden (vgl. M. Scheidhacker, 1995).
3.1.1 Verhaltensspezifische Eigenschaften und Beziehungsfähigkeit des Pferdes
Ausgehend von einer gesunden psychischen Stabilität kann gesagt werden, dass ein Pferd einfühlsam und rücksichtsvoll ist. So wird es z.B. niemals auf ein am Boden liegendes Geschöpf treten und stehen bleiben, wenn das reitende Kind droht vom Rücken zu rutschen oder die Körperhaltung so verändern, dass das Kind wieder Halt bekommt. Diese Eigenschaft des sogenannten „unters Gewicht treten“ machen sich z.B. Dressurreiter zu nutzen, denen es gelingt durch minimale Gewichtsverlagerung ein Seitwärtsschreiten des Tieres zu erreichen (vgl. C. Klüwer, 1995/1997). Pferde reagieren artgerecht - nicht menschlich, d.h. sie können sich nicht verstellen, sich nicht rächen und nicht strafen, sie sind i.d.R. gutmütig veranlagt und offen gegenüber jedem Menschen, dieses wirkt besonders auf verhaltensbeeinträchtigte Kinder, die so erfahren, dass ihr abweichendes Verhalten nicht unbedingt und nicht unmittelbar aggressive Reaktionen hervorruft. Auf falsche Behandlung reagiert ein Pferd nicht nachtragend oder rachsüchtig, sondern immer artspezifisch. Das feine Gespür für Stimme und Stimmung, die Fähigkeit Angst, Unruhe und Ungeduld ausdrücken zu können, die sich oft aus der Gruppe oder vom Reiter aufs Pferd überträgt , lässt das Pferd zum „Spiegelbild“ der eigenen Empfindung werden. Pferde sind in ihrem Verhalten weitgehend konstant, also verlässlich und somit in Erziehungsprozesse einplanbar, d.h. wenn man ein Pferd gut kennt, mit ihm vertraut ist, kann man seine Verhaltensweisen voraus sagen, es unter Berücksichtigung seiner individuellen Fähigkeiten und Charakterzüge entsprechend den geforderten Leistungsansprüchen ganz speziell in der Arbeit mit Kindern einsetzen (vgl. M. Gäng 1998a).
Das Pferd verfügt über eine fein ausdifferenzierte Wahrnehmung. Sowohl Gesichts- und Hörsinn, als auch der Geruchs- und Tastsinn sind bei dem Flucht- und Herdentier sehr fein ausgeprägt. Die Anordnung der Augen ermöglichen dem Pferd nahezu eine „Rundumsicht“, die Beweglichkeit der Ohren erlaubt ein Ausrichten auf jegliche Geräuschquellen. Die Hautoberfläche ist sehr empfindlich gegenüber Reizen, wodurch die Fellpflege - egal ob von Mensch oder Artgenosse- sehr intensiv wahrgenommen wird. In Haltung, Bewegung, Lautäußerung wie Wiehern und Schnauben und in der Mimik vermag das Pferd seiner momentanen Verfassung Ausdruck zu verleihen. Durch das Spiel der Ohren, der Haltung des Halses, dem Ausdruck der Augen und der Bewegung des Schweifes lässt es seine Empfindungen erkennen (vgl. C. Heipertz-Hengst, 1977). Die Pferdeherde ist ein soziales Gefüge mit klaren Verhaltensregeln im Umgang miteinander. „Nach seiner Herkunft ist das Pferd ein in sozialen Gruppen lebendes Tier der Savanne, d.h. der Wald- oder Parksteppe, und auf gegenseitige Hilfe im Familienverband angewiesen.“ ( W. Blendinger, 1988, S.81) Wird die Gemeinschaft bedroht, schließen sich die Pferde innerhalb der Herde optimal zusammen, so dass die Schwächsten in der Mitte geschützt und die Stärksten zur Verteidigung außen angeordnet sind. Das ist nur dann möglich, wenn die Rangordnung streng eingehalten wird, wobei sich diese nicht nach der Stärke der Tiere, sondern nach deren Überlegenheit, der Fähigkeit im Sinne der Gemeinschaft für die Gruppe überlebenswichtige Entscheidungen zu treffen, zu richten scheint. Es steht nach allgemeiner Anschauung fest, dass das Pferd ein Tier sozialer Geselligkeit ist und seine sozialen Verbände in etwa denen unseres Familienkreises entsprechen (vgl. W. Blendinger, 1988; M. Geitner, 2002). Zwischen Mensch und Pferd können Beziehungen und Bindungen ähnlich einer rein zwischenmenschlichen Beziehung entstehen. Oft wird das Pferd als Partner, Freund, Kumpel bezeichnet und in seinem Dasein gleichwertig, wenn nicht sogar höherwertig, im Verhältnis zu einer menschlichen Verbindung eingestuft. Antonius Kröger befasste sich eingehend mit der Frage, ob es eine Partnerschaft mit dem Pferd überhaupt geben kann (vgl. A. Kröger, 2000). Als befürwortende Argumente sieht Kröger, dass Leistungswilligkeit und Fähigkeit des Pferdes in gleicher Weise von den ständig variierenden Wirkfaktoren aus der Umwelt beeinflusst werden wie beim Menschen, Pferd und Mensch also gleichermaßen davon betroffen sind. Pferde verfügen außerdem - wie der Mensch - in Interieur und Exterieur über ganz individuelle Leistungspotenziale. Sie besitzen ein enormes Erinnerungs- und Lernvermögen und können innerhalb einer Aufgabenbewältigung bei ungestörtem Beziehungsdialog kooperativ sein; das Tier arbeitet und denkt dann regelrecht mit, es ist in der Lage, unbeabsichtigte Fehler des Menschen von mutwilligen Aktionen gegen sich zu unterscheiden, durch sein Verhalten kann es dann Problemsituationen oft im Sinne echter Partnerschaft lösen. Durch das gezielte entweder partnerschaftliche oder aber auch teamfeindliche Einsetzen seiner Kraft kann es punktgenau einen anbahnenden Bruch in der Partnerschaft anzeigen und Spannungen bewusst werden lassen. Es akzeptiert den Menschen als dominantes Element in der Partnerschaft, solange dieser seine Stellung nicht missbraucht. Die Fähigkeit des Pferdes Zuneigung ausdrücken zu können, spricht die emotionale Ebene des Menschen an und kann eine Basis für Bindungsfähigkeit und neuen Vertrauenserwerb sein.
Gegen eine wahre Partnerschaft von Mensch und Pferd spricht jedoch, dass das Pferd, selbst wenn es sich mitzuteilen versteht, in keine echte Diskussion mit seinem Partner treten kann . Es hat kein Mitbestimmungsrecht bei der Planung neuer Durchführungen und ist innerhalb dieser auf die Führung des Menschen angewiesen, so dass das Leistungspotenzial immer abhängig ist von den Fähigkeiten des Reitpädagogen (vgl. A. Kröger, 2000). Das Pferd ist durch seine Domestizierung vollkommen auf den Menschen angewiesen und ihm völlig ausgeliefert. Es herrscht also eine Situation vor, in der einer der Partner von vorneherein als Unterlegener (Pferd) und der andere als Dominanzinhaber (Mensch) festgelegt ist. Das entspricht zwar dem Sozialverhalten des Pferdes innerhalb der Herde, es liegt aber in der Hand des Menschen hieraus eine vertrauensvolle Basis für ein harmonisches, gegenseitig unterstützendes Miteinander zu schaffen (vgl. A. Kröger, 2000; W. Blendinger, 1988; M. Geitner, 2002). Scheidhacker ist der Meinung,
dass die therapeutisch wichtigen Faktoren gerade in der Unfähigkeit des Pferdes zur verbalen Kommunikation liegen. Die analoge, nonverbale Kommunikation verhindert die Entstehung krankmachender Doppelbindungen (auch: „Double-bind“), d.h. Verwirrung durch widersprüchliche sprachliche und nicht - sprachliche Signale, sowie paradoxer Inhalte, Lügen oder die Verteilung von Schuldgefühlen. „Das Pferd wird zu einem Beziehungsobjekt, das durch sein unmittelbares Reagieren rückhaltlos echt bleibt. Der psychisch kranke Mensch, der innerlich gespalten ist und gelernt hat, ambivalent und misstrauisch auf Beziehungen zuzugehen, kann in der Begegnung mit dem Tier eine heilsame Gradlinigkeit und Eindeutigkeit erfahren“ (M. Scheidhacker, 1995, S.44). Das Pferd wird niemals mit sekundärnarzisstischen Reaktionen drohen, die gerade von verhaltensschwierigen Kindern/Jugendlichen als besonders verletzend empfunden werden, so dass aggressive oder resignierende Verhaltensweisen schon vorbeugend gegen ein Objekt gerichtet werden. Auf der anderen Seite „verlangt“ das Pferd gleiches eindeutiges und aufrichtiges Verhalten im Umgang mit sich selbst. „Das Pferd erlaubt keine Fassade, kein Double-bind im sozialen Umgang, es fordert eine klare Aufrichtung, runden Energiefluß, kreatürliche Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Und das heilt.“ (Steinborn/Wecker nach M. Schulz 19971, S.18). Das Kind/der Jugendliche lernt also im Umgang mit dem Pferd sein Verhalten entsprechend anzupassen, da es/er sonst auf Abwehrreaktionen stoßen würde, wobei ihm jedoch deutlich wird, dass sich die abwehrenden Reaktionen nicht auf emotionaler - generell abneigender - Basis befinden.
Das Pferd ist kein menschliches Wesen, so kann es sich weder denkend etwas bewusst machen noch sprachlich kommunizieren, dennoch sind Erlebnis- und Beziehungsfähigkeit mitunter menschgleich differenziert und entwickelt. „ Wenn Mensch und Pferd seit Jahrtausenden eng zusammenwirken, dann ist dafür deren ähnlich ausgeprägte Individualität auf der Beziehungsebene verantwortlich.“ (Blendinger nach J. Voßberg, 1998, S.167). Das Pferd, so Voßberg, fordere den Menschen „aufgrund seiner mannigfacher individueller Körper- und Verhaltenssignale emotionalen Ursprungs“ zu zwischenmenschlich-ähnlichen Beziehungen geradezu heraus. Das emotionale Erleben lässt sich beim Pferd - ebenso wie beim Kleinkind- weitestgehend am Ausdruck und Verhalten des Körpers ablesen und wird dabei nicht durch „zwischengeschaltete Denkvorgänge abgeändert, verfälscht oder sogar doppeldeutig.“ (J. Voßberg, 1998, S. 168). So werden bei richtiger Auswahl, Haltung, Ausbildung und Training sich die emotionalen Beziehungsinhalte in Ausdruck und Verhalten in unverfälschter Eindeutigkeit als Zuwendungen oder Abgrenzungen widerspiegeln. Zuwendungen entsprechen menschlichen Beziehungsinhalten wie Akzeptanz, Anerkennung, Wertschätzung, Zugehörigkeit und werden über Blickkontakt, Körperkontakt, Wärme, Dienstbereitschaft und Hilfsbedürftigkeit vermittelt. Ein Pferd schaut dem sich Nähernden entgegen, kommt auf ihn zu oder erwartet ihn. Dadurch vermittelt es ein Beziehungssignal des persönlich Angesprochenfühlens (Zuwendung). Beim „Prüfen“ des Menschen mit den Nüstern und dem „Kopf reiben“ an dessen Körper besteht ein direkter Körperkontakt, auch durch das sich-Berühren-lassen und im Tragen des Reiters wird Zuwendung deutlich. Körperkontakt und Berührungen sind die ursprünglichste Form der sozialen Kommunikation. Fell, Mähne und Schweif des Pferdes suggerieren Wärme als Beziehungsinhalt. Das Kind erfährt das „Mähnekraueln“ als emotionales Erlebnis über eine tatsächlich vom Körper unmittelbar ausgestrahlte Wärme (vgl. J. Voßberg, 1998). Das Pferd verkörpert die Verbindung von hoher Dienstbereitschaft und unmittelbarer Hilfsbedürftigkeit. Der das Pferd versorgende Mensch wird von diesem erwartet und empfindet so vom Pferd her auf der Beziehungsebene Zuwendung. „Sich helfen zu lassen ist nicht für jeden Menschen selbstverständlich. Wenn ein Mensch einem anderem helfen darf, dann erlebt der Helfende diese Bereitschaft als Zuwendung.“ (J. Voßberg, 1998, S.169). Ein weitere Beziehungsaspekt ist der, der angemessenen Abgrenzung, die die Eigenständigkeit eines Individuums erkennen lässt, mit dem es sich lohnt eine Beziehung einzugehen. Die Beziehung zu einem Partner ohne Abgrenzungen ist einseitig und festgefahren, weil der eine Partner die Beziehungsinhalte bestimmt und der andere sich in Abhängigkeit anpasst (vgl. J. Voßberg, 1998). Die Abgrenzung des Pferdes in der Beziehung tritt rein optisch in seiner Grösse in Erscheinung, die es als nicht unterwürfiges Lebewesen einschätzen lässt, das nicht alles zulassen wird, sondern zur Auseinandersetzung im positiven, produktivem Sinn auffordert, denn seine beachtliche Grösse und sein eindrucksvolles Verhalten wecken zwar Respekt aber zugleich lässt das Tier auch Vertrauen entstehen. Die Abgrenzung spiegelt sich im Verhalten des Pferdes in Abwenden (Desinteresse am Menschen signalisiert durch Kopf abwenden, Hinterteil zudrehen oder Flucht), Widerstand (Reaktion in Form von Verweigern, Wehren oder Angriff auf erzwungene Beziehungsanbahnung des Menschen durch nahe Einwirkung) und Scheuen (als ursprünglichste Reaktion des Pferdes bei Angst, Ausweichen unter Einsatz aller Kräfte). Gerade das Scheuen kann beim Menschen unterschiedlichste Emotionen auslösen, wie Angst, Respekt bis hin zu Ärger und Wut und Panik oder Abkehr. Die Eindeutigkeit in der Mitteilung des Pferdes auf der Beziehungsebene basiert darauf, dass „dessen emotionale Empfindungen direkt an seinem Körper, an dessen Verhalten und Bewegungen, ablesbar sind.“ (J. Voßberg, 1998, S. 170). Der Eindeutigkeit entsprechen menschliche Eigenschaften wie Ehrlichkeit, Unmittelbarkeit, Unverstelltheit, Unverfälschtheit, Echtheit und Zuverlässigkeit. Das Pferd verfügt über eine reichhaltige, „optische Sprache, die von relativ groben, weithin sichtbaren Signalen bis hin zu sehr feinen, vom Menschen nur teilweise wahrgenommenen Gesichtsveränderungen abgestuft ist. Wenn ihnen auch das Stirnrunzeln als ein wesentliches (...) Ausdrucksmoment fehlt, sind die mimischen Möglichkeiten der Ohren und die Maul- Nüstern Partie () aussagekräftig genug.“ (M. Schäfer, 1986). Es liegt hier bei dem Pädagogen die differenzierten Körpersignale zu interpretieren, und sie korrekt und verständlich zu vermitteln. (vgl. J. Voßberg, 1998).
Das Pferd ist weiterhin flexibel, aufgeschlossen und umweltbezogen und durch seine ausgeprägte Individualität offen, sich auf neue Beziehungen einzulassen. „Die herausragend pädagogische und therapeutische Bedeutung des Pferdes wird dann deutlich, wenn man überprüft, welche emotionalen Inhalte der Beziehungsebene vom Pädagogen und Therapeuten gefordert werden, falls es darum geht, eine Beziehungsebene zu schaffen, die dem Kind oder dem Patienten eine wachstumsfördernde Atmosphäre bietet.“ (J. Voßberg, 1998, S.171). Voßberg bezieht sich hier auf einige Ansätze aus der Klientenzentrierten Gesprächsführung nach C.R. Rogers, deren Ziel es nicht sei, „ ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern dem Individuum zu helfen, sich zu entwickeln, so daß es mit dem gegenwärtigen Problem und mit späteren Problemen auf besser integrierte Weise fertig wird.“ (Rogers nach M. Galuske, 1999, S. 163). Grundvoraussetzung dafür sei, dass die Beziehung zwischen Therapeut und Klient von einer „spezifischen Qualität“ sein muss. Das Therapeutenverhalten soll gekennzeichnet sein durch:
1. positive Wertschätzung: Klient (Kind) wird angenommen, akzeptiert, wie es ist - nur durch unbedingte positive Wertschätzung wird innerhalb der Beziehung emotionale Wärme erzeugt. Verletzungen, Ängste können so verbalisiert und das Selbstkonzept thematisiert werden
2. Echtheit: d.h. „ehrlich, keine Fassade aufbauend, keine Rolle vorspielend“, Kongruenz
3. einfühlendes Verstehen: alle Signale des Klienten (Kindes) wahrnehmen und diese in den therapeutischen Prozess zurückbinden (vgl. M. Galuske, 1999).
Die Grundeigenschaften, die der Therapeut mitbringen muss, decken sich demnach mit den Grundeigenschaften des Pferdes: 1. Jeden Menschen unvoreingenommen so anzunehmen, wie er ist, 2. in seinem Verhalten echt und unverfälscht zu sein und 3. die Empfindungen des Kindes sensibel wahrzunehmen und widerzuspiegeln.
Zwar soll in der Klientenzentrierten Gesprächsführung ein Verbalisieren von Empfindungen, um eine Selbstreflexion zu erzeugen, stattfinden : „Indem Sie sich jeweils auf die gefühlsmäßigen Empfindungen ...des Klienten konzentrieren und versuchen, diese... zu verstehen und dem Klienten... möglichst präzise mitzuteilen, nimmt der Klient diese Empfindungen aus einer gewissen Distanz heraus wahr, die es ihm ermöglicht, gewisse Einstellungen und Werthaltungen in Frage zu stellen.“ (Weinberger nach M. Galuske, 1999, S.168), und dazu ist das Pferd selbst als Co-Therapeut nicht fähig, doch findet zwischen Pferd und Kind auch eine Art Dialog statt. Obwohl es die Empfindungen des Kindes nicht verbalisiert, kann es sie ihm doch innerhalb eines gelungenen Bewegungsdialoges widerspiegeln, in welchem „die Nutzungen der Beweglichkeit und der Beziehungsfähigkeit des Pferdes quasi unzertrennbar miteinander verbunden“ werden. (J. Voßberg, 1998, S. 172). Im Bewegungsdialog beim Reiten sind die Hilfen des Reiters mit Gewicht, Schenkeln und Zügeln als ein gefühlvolles Schieben oder Verhalten, Drücken oder Lösen, Annehmen oder Nachgeben zu verstehen. Innerhalb dieser Handlungen werden Bedeutungen durch Gesten vermittelt. Der Austausch von Handlungen und Reaktionen zwischen Reiter und Pferd kann als eine praegestische Kommunikation bezeichnet werden. Diese Erfahrungen können im HPR einen tiefen Einfluss im Gesamt der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung erhalten und verschüttete Möglichkeiten des Kontaktes und der Kommunikation wiederbeleben (vgl. C. Klüwer, 1995/97), worauf in Kapitel 3.2 näher eingegangen werden soll.
3.1.2 Zum Motivationsaspekt- der (auf)fordernde Charakter des Pferdes
„Die Motivation durch den Umgang mit etwas ästhetisch Schönem - und ein Pferd ist etwas Schönes - mag mit dazu beitragen, sich selbst schöner zu erleben und als von den eigenen Mängeln weniger belastet.“ (M. Gäng, 1998a, S.25)
Ein ganz wesentlicher Aspekt, der das Therapeutische Reiten und seine Wirkung in positiver Weise beeinflusst, ist die vom Pferd ausgehende Motivationskomponente. Wie bereits bei der Beschreibung der Hippotherapie erwähnt, fallen besonders Kinder in der krankengymnastisch orientierten Therapie leicht der sogenannten „Mattenmüdigkeit“ zum Opfer. Auch im psychotherapeutisch oder -analytischen Bereich kann man dieses oft beobachten, da die Kinder sich der Notwendigkeit therapeutischer Maßnahmen nicht bewusst sind und sie als einschränkend und störend empfinden. Daher soll die motivierende Wirkung des Pferdes nochmals hervorgehoben werden. Zunächst übt das Reiten selbst schon eine hohe Anziehungskraft auf Kinder aus. Durch den aufgebrachten Mut auf dem großen Tier zu sitzen, erfährt das Kind das Getragen-werden, sich Fortbewegen und sich Bewähren und entwickelt so einen unerwartet hohen Ehrgeiz.
Besonders verhaltensauffällige Kinder stehen oft der verbalen Kommunikation besonders innerhalb eines therapeutischen Settings ablehnend gegenüber. Dem Pferd kann sich das Kind zunächst mittels der Körpersprache mitteilen und empfängt von ihm wiederum eindeutige Körpersignale zurück. „Körperliches und seelisches Fühlen und Empfinden wird wach“ (M. Gäng, 1998a, S.24) im Dialog mit dem Pferd. Die Pflege des Tieres und der sorgsame Umgang mit ihm werden vom Kind als nachvollziehbare und notwendige Aufgaben angesehen und anerkannt. Pädagogisch relevante Inhalte werden dabei „quasi nebenbei“ vermittelt - zumindest vom Kind nicht als störend empfunden. Für das Kind stehen Pferd und Reiten, für den Therapeuten die erforderlichen Massnahmen im Vordergrund. Pädagogisch-psychologische Handlungsweisen und Zielvorstellungen spielen sich dabei in einem unmerklichen Gesamtrahmen ab und können beim Kind unter Zurückhaltung des Erwachsenen und unter das in den Vordergrund Stellen des Pferdes viel nachhaltiger und intensiver wirken (vgl. B. Ringbek, 19982). Das Kind begegnet dem Pferd generell mit Respekt, Angst, Bewunderung und Liebe - diese Gefühle sind pädagogisch bekannt als die Vorraussetzungen für Erziehungs- und Lernprozesse (vgl. M. Gäng, 1998a). Das Pferd bewirkt durch sein entgegenkommendes, aufforderndes Wesen bei verhaltensauffälligen Kindern Verhaltensweisen, die diese Kinder im Normalfall verweigern würden. Die Ausdrucksformen des Pferdes (Körperhaltung, Mimik, Stimmungsäußerung) fordern direkt zur emotionalen und (non-) verbalen Kontaktaufnahme und Auseinandersetzung auf. Die vorerst herrschende Zurückhaltung, dadurch dass das Pferd sich dem Menschen zwar anbietet aber nicht aufdrängt, fordert ein aktives Beobachten und Sich - Einfühlen, eine Eigenschaft, die insbesondere für den Umgang mit sozial gestörten Kindern von Vorteil ist, da sie von sich aus aktiv werden müssen. Das Pferd will „umworben“ werden, wodurch die errungene Zuneigung umso mehr zum Erlebnis wird.
Beim Reiten überträgt sich der Körperrhythmus vom Pferd auf den Reiter, Wärme und Bewegung wirken direkt und positiv auf den Gefühlsbereich, Gleichgewichtsempfinden wird gefördert, Verkrampfungen psychisch und physisch gelöst, es entsteht ein positives Gefühl. Aktivitäten, die ein gutes Gefühl vermitteln, werden gerne fortgeführt und intensiviert, das Kind ist aus sich heraus motiviert fortzufahren (vgl. M. Gäng, 1998a).
3.1.3 Das geeignete Therapiepferd
Als absolute Grundeigenschaften muss das Therapiepferd einen „guten“ Charakter, unbedingten Gehorsam, ausdauerndes und gleichmäßiges Galoppiervermögen, einen unempfindlichen Rücken und gesunde Beine mit sich bringen. Generell müssen die Pferde „sich in ihrem Körperbau, ihren charakterlichen Eigenschaften, ihrer äußerlichen Erscheinung und ihrem Verhalten als eigenständige Lebewesen anbieten, zur Beziehungsaufnahme auffordern und für die sportlichen Anforderungen taugen“ (J. Voßberg, 1998, S. 172), denn ihre Arbeit stellt extrem hohe Anforderungen an ihre Psyche und Physis.
Da die Kinder sich furchtlos von allen Seiten nähern können müssen, um schnell selbsttätig pflegerische Tätigkeiten übernehmen zu können, muss das ausgewählte Tier absolut gutmütig sein, denn nur so kann die Angst vor dem großen, neuen Unbekannten durch Zutrauen ersetzt werden (vgl. A. Kröger, 1998). Bei aller Gutmütigkeit darf es nicht abgestumpft sein, es muss ein ‘waches Auge’ für das Geschehen ringsum haben und artgerecht darauf reagieren. Das bedeutet z.B., dass es ebenfalls unruhig wird, wenn in der Gruppe oder beim Reiter selbst Unruhe aufkommt. Nur so kann es eine Spiegelbildfunktion innerhalb des pädagogischen Prozesses übernehmen und sich als „Medium“ mit einbringen. „Das Verhalten des Pferdes kann für den aufmerksamen Menschen so wie ein Spiegelbild sein. Ist der Mensch aggressiv, wird das Pferd Reißaus nehmen. Ist er ängstlich, wird das Pferd ihm nicht folgen wollen, weil er als Herdenführer untauglich ist.“ (I.-M. Pietrzak, 2001, S.106). Das Pferd soll Neutralität garantieren und gute Behandlung mit ‘Gutsein’ und ruhigem Gang beantworten. Wird das Kind also konzentrierter und ruhiger, beruhigt sich das Pferd auch schell wieder, widerfährt dem Pferd das Gegenteil, soll es dieses auf seine Art zeigen und durch sein entsprechendes Verhalten dem Kind verdeutlichen können. So erfährt das Kind unmittelbar ein direktes nachvollziehbares Verhalten vom Pferd auf sein eigenes Verhalten. Diese Korrektur kann das Kind frustrationsfrei annehmen und ohne inneres Aufbegehren die von der Sache her geforderte Selbstkontrolle übernehmen (vgl. A. Kröger, 1998). Das Pferd sollte also weder zu temperamentvoll, stürmisch und draufgängerisch noch phlegmatisch und abgestumpft sein. Der Idealfall ist ein waches, leichtrittiges, vorwärtsgehendes, gutmütiges Tier, das ausreichend sensibel, dabei aber nicht ängstlich, ist und sich gleichzeitig nicht alles gefallen lässt. Das Pferd muss in der Lage sein, seinem „Unmut kundtun zu können“. (M. Gäng, 1998a, S. 26). Es ist notwendig, das Pferd, um es in der pädagogischen und therapeutischen Arbeit helfend und vermittelnd einsetzen zu können, speziell auszubilden, und es bedarf einer artgerechten Haltung und einem andauernden Kontakt mit einer Bezugsperson, damit es einen ruhigen und ausgeglichenen Charakter behält. „Um aufmerksame, arbeitswillige, gehorsame, menschenfreundliche, scheufreie und sich wohlfühlende Tiere zu erhalten [sind] bei der Haltung, bei der Ausbildung und beim Training auf der Beziehungsebene vielfach ähnliche gesunderhaltende und wachstumsfördernde Bedingungen erforderlich [...] wie für die Kinder.“ (J. Voßberg, 1998, S.172).
Besonders zu beachten ist bei der Auswahl des Therapiepferdes die Individualität eines jeden einzelnen Tieres. „Eine auffallende Besonderheit des Pferdes ist die ausgeprägte körperliche und psychische Einmaligkeit jedes einzelnen Individuums, die nur von der menschlichen übertroffen wird. Man kann jedes Pferd so genau beschreiben, daß es mit keinem anderen zu verwechseln ist.“ (W. Blendinger, 1988, S.51). Für den pädagogischen Prozess ist die Sympathie des Reitpädagogen und die des Kindes zu seinem Tier von nicht geringer Bedeutung. Da der persönliche Charakter des Pferdes ebenso wie beim Menschen durch seine Entwicklungsgeschichte und durch Einflüsse aus der Umwelt geprägt ist, kann man bei Pferden hervorstechende Charaktereigenschaften beobachten und die Pferdetypen entweder konträr oder passend zu den kindlichen Eigenschaften auswählen. „Ängstlichen Kindern gebe ich ein eher anhängliches, ruhiges Tier, dem gegenüber sie sich überlegen fühlen. Ein solches Tier gibt ihnen die notwendige Sicherheit (...). Andererseits finden draufgängerische Kinder bei einem eigenwilligen Tier, das sich nicht alles gefallen läßt, die für ihre Mäßigung notwendigen Grenzen.“ (M. Gäng, 1998a, S.26). Auf der psychischen Ebene sollte das Pferd demnach aufmerksam, erlebnisdifferenziert und lernfähig, dabei aber ausgeglichen und nicht überempfindlich sein. Abgestumpfte Pferde machen die Kinder lustlos, übernervöse hingegen erzeugen durch ihre ständige Abgrenzung Angst bei den Kindern. Im Verhalten sollte es dem Menschen zugewandt und gehorsam sein (vgl. J. Voßberg, 1998). „Gerade psychisch ist eben jedes Pferd ein besonderes und einmaliges Individuum. ‚Es gibt intelligente und dumme, mutige und feige, sensible und stupide, nervöse und stumpfsinnige, fleißige und faule, edle und unedle Pferde (G. Rau)’. (...). Die vielleicht überraschend und womöglich unwahrscheinlich klingende Behauptung von der besonderen Individualität des Pferdes als der größten in der gesamten Tierwelt, hat biologische, züchterische und geschichtliche Ursachen.“ (W. Blendinger, 1988, S. 53)
J. Voßberg misst in der Sympathie des Kindes zum Pferd dem Exterieur des Tieres ebenfalls eine entscheidende Bedeutung zu. Zur Beziehungsfähigkeit geeignete Pferde müssen das Kind als erstes durch ihr Aussehen ansprechen, „je mehr sich die einzelnen Pferde einer Gruppe äußerlich voneinander abheben, desto leichter fällt es den Kindern , sich für eines von ihnen zu entscheiden“ (J. Voßberg, 1998, S. 173). Die Grösse des Pferdes sei insofern wichtig, als das Tier nicht zu groß sein darf, so dass das Kind noch bequem in Körperkontakt mit ihm treten kann und der Umgang mit ihm nicht zu problematisch wird. Allerdings sei auch erwähnt, dass, wenn sich eine Beziehung erst gefestigt hat, besonders bei zurückhaltenden, selbstverunsicherten Kindern, ein besonders grosser, starker ‘Freund’ als Rückhalt, sich mitunter positiv auf das Selbstvertrauen des Kindes auswirkt. Unter dem Aspekt der persönlichen oder symbolischen Assoziation des Kindes kann ebenso das Geschlecht, die Farbe, eine üppige oder eher spärliche Mähne, ein zierlicher oder kräftiger Körperbau an der Auswahl des Pferdes unter beziehungstechnischen Gesichtspunkten mitentscheidend sein (vgl. S. Kupper-Heilmann, 1999). Den Bewegungen und Gangarten des Pferdes sollten ebenso Aufmerksamkeit zuteil werden, denn je harmonischer, gleichmäßiger und weicher sie sind, desto positiver wirken sie sich auf den Bewegungsdialog mit dem Kind aus. Betont sei nochmals die Wichtigkeit der vollständigen körperlichen und psychischen Gesundheit des Pferdes, die nur in Wechselwirkung mit artgerechter Haltung und entsprechendem Umgang mit dem Tier erhalten wird (vgl. J. Voßberg, 1998).
Ein Aspekt, der bei der Auswahl des Pferdes immer noch vernachlässigt wird, ist der der Geschlechtlichkeit. Es werden beim therapeutischen Reiten Stuten oder Wallache (kastrierte Hengste) eingesetzt. Der Einsatz von unkastrierten Hengsten birgt in der Regel durch die typischen „Hengstmanieren“ zu viele Gefahren, so dass ein Hengst in einem Therapiestall kaum zu finden sein wird. Aus ihren Erfahrungen beschreibt S. Kupper-Heilmann, beim Einsatz von Wallachen in der psychoanalytischen Arbeit mit verhaltensauffälligen Jungen, Beobachtungen, aus denen sie Schlüsse auf latente Kastrationsangst, der Angst vor Männlichkeit und aggressiven Gefühlen insbesondere bei pubertierenden Jugendlichen zog. Des weiteren zeigte der gezielte Einsatz von Stuten in der Arbeit mit Mädchen per Identifizierung und korrigierenden neuen Erfahrungen eine positive Integration abgespaltener weiblicher Anteile (vgl. S. Kupper-Heilmann, 1999).
Im Einsatz von weiblichen und männlichen Pferden im therapeutischen Reiten ist vieles noch spekulativ und unklar. Das Phänomen der Übertragung im psychoanalytischen Sinne macht es einem Klienten auch möglich, eine Stute mit männlichen Eigenschaften oder mit dem Vater schlechthin zu assoziieren. Generell scheint es auch plausibel, das Pferd generell mit der Mutter gleichzusetzen bzw. zu assoziieren, denn „sie ist die erste , die das Kind (in ihrem Leib) getragen hat und mit ihr entstand der erste (Bewegungs-) Dialog.“ (S. Kupper-Heilmann, 1999, S.50). Im wesentlichen ist es von der individuellen Geschichte des Klienten abhängig wie intensiv das Geschlecht des Pferdes erlebt wird und welche Rolle ihm so in der Beziehung zugewiesen wird. Da aber die Arbeit im HPR/V fast ausschließlich von weiblichen Personen getätigt wird, könnte die Einführung eines der männlichen Welt zugehörigen dritten, nicht ganz unbedeutend für den Prozess sein (vgl. S. Kupper-Heilmann, 1999).
3.2 Das Kind/ der Jugendliche – Zielgruppenbestimmung und Lebensweltbetrachtung
Historisch betrachtet entwickelte sich die Heilpädagogik aus den Bereichen Psychiatrie und Pädagogik unter dem Einfluss der Psychologie und der Psychoanalyse. Das Klientel des Heilpädagogischen Reitens stammt so auch vorwiegend aus folgenden Praxisfeldern: Kindergärten, Regel- und Sonderschulen, (Erziehungs-)Heimen, Beratungsstellen, schulpsychologischen Diensten, Jugendfarmen, Kliniken, Einrichtungen der Lebenshilfe, Tagesbildungsstellen, Volkshochschulen, Reitvereinen und privaten Einrichtungen (vgl. C. Klüwer, 1995/97; W. Kaune, 1993). Das Heilpädagogische Reiten und Voltigieren hat sich für folgende Zielgruppen als heilpädagogische Maßnahme bewährt :
Personen mit:
- Lernbehinderung oder geistiger Behinderung
- Verhaltensauffälligkeiten
- Störungen in der emotionalen Entwicklung
(Beziehungsprobleme)
- Störungen in der Bewegung u. Wahrnehmung aufgrund
verschiedener Verursachungsmomente (psychoorganisches
Syndrom/POS, minimale cerebrale Dysfunktion / MCD,
sensorische Integrationsstörung)
- Sprachbehinderungen
- Autistischen Verhaltensweisen
- Psychischen Störungen
- Psychischen und psychosomatischen Erkrankungen
(vgl. W.Kaune,1993).
Schwerpunktmässig bildet die Gruppe der verhaltensauffälligen, lernbehinderten und geistig behinderten Kinder und Jugendlichen die größte Gruppe in der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (vgl. A. Kröger, 1995/97; I.-M. Pietrzak, 2001). Allen gemeinsam ist die Unsicherheit im Sozial- und Lernbereich. So sollen ihnen durch das korrekt durchgeführte Heilpädagogische Reiten/Voltigieren Möglichkeiten zur verbesserten Persönlichkeitsentwicklung, zum Aufbau von Selbstvertrauen und realer Selbsteinschätzung, Förderung der Lernbereitschaft und Übernahme von Selbstverantwortung geboten werden (vgl. A. Kröger, 1995/97). Innerhalb dieses Kapitels wird im Besonderen auf die Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten/-störungen eingegangen und ein Einblick in die heutige Welt der Heranwachsenden geschaffen. Es scheint eine Welt der Technisierung, der straff durchorganisierten Alltagsbewältigung innerhalb einer Gesellschaft mit hohen, erfolgsorientierten Ansprüchen und nicht immer klar definierten Werte- und Normenvorstellungen zu sein ( vgl. M Schulz, 19971; I.-M. Pietrzak 2001). Im heutigen Alltagsleben - besonders im schulischen Bereich- sind Kinder und Jugendliche enormen Überforderungs- und Stresssituationen ausgesetzt. So besteht im Erziehungs- und Bildungsprozess eine konstante Gefahr, dass die Umwelt mehr von den Heranwachsenden verlangt, als sie wirklich leisten können. Sind die verfügbaren körperlichen und geistig-seelischen Kräfte aufgebraucht, entsteht eine Überforderungssituation, auf die das Kind unter Umständen mit Aggression, Regression oder chronischer Krankheit reagieren kann (vgl. N. Myschker, 1999).
3.2.1 Reduzierung der Freiräume für Kinder - Multimedialität versus Realitätsprinzip
Tatsache ist, dass sich der Lebensraum der Kinder/Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Die Besiedlung der Städte hat sich verdichtet, Freiflächen zum Spielen im Sinne der „Erkundung unbekannten Terrains“ sind reduziert, der Autoverkehr ist längst nicht mehr umwelt- und sozialverträglich. Die Kindheit wird mehr und mehr im begrenzten Rahmen der Wohnung als im Freien erlebt. Das Fernsehen und der Computer stehen weitaus mehr im Mittelpunkt des Interesses als vor einigen Jahrzehnten, als die Kinder noch stärker darauf angewiesen waren, sich aus eigenem Antrieb heraus zu beschäftigen, kreativ zu sein, wenn es galt neue Spiele und Spielsachen zu entwickeln. Heute wird ihnen durch die allgegenwärtige Multimedialität eine Konsumgesellschaft vorgesetzt, derer sie sich kaum entziehen können. Sie bauen sich nicht mehr ihre eigene kindliche Welt, sondern werden in eine von Erwachsenen kreierte Welt gesetzt, in deren Rahmen sie sich bewegen ‘dürfen’ (vgl. I.-M. Pietrzak, 2001). Selbst wenn es vermehrt das Ziel sozialer Einrichtungen für Kinder/Jugendliche und einiger engagierter Eltern ist, den Kindern Platz zu schaffen Freiräume zu erleben, so ist dieser doch immer begrenzt. Durch Termine zeitlich eingeschränkt, durch Zäune territorial abgesteckt, durch die Notwendigkeit zumeist mit dem Auto zu (pädagogisch sinnvollen) Freizeitaktivitäten gefahren werden zu müssen, vom Willen und Können der Eltern abhängig (vgl. I.-M. Pietrzak, 2001). Auch wenn diese Darstellung der heutigen kindlichen Lebenswelt etwas drastisch erscheint, so entspricht sie doch für viele Kinder der Realität. Es herrscht „ein Mangel an Frei-Räumen, unter dem die Kinder heute wahrhaftig leiden.“ (I.-M. Pietrzak, 2001, S.38). „Wird der Bewegungsraum des Kindes in der Entwicklung eingeschränkt, so werden auch Seele und Geist in ihrer Entfaltungsmöglichkeit reduziert. Bewegung wird durch Üben , Ausprobieren, Experimentieren, durch Vorbilder und Erfahrungen zu einem mühelosen, fließenden Vorgang, der mit Freude über das Gelingen einhergeht. Gelungene Bewegungen sind Erfolgserlebnisse, die stolz machen, die anspornen, mutiger zu werden und die das Körpergefühl, ein Bewußtsein von sich selbst und das Selbstbewußtsein wachsen lassen.“(I.-M. Pietrzak, 2001, S.39). Können Kinder zu keinen befriedigenden Bewegungserlebnissen und -ergebnissen kommen, erleiden sie sogenannte motorische Entwicklungsstörungen oder Störungen der Grob- und Feinmotorik, welche sich wiederum in Verhaltensauffälligkeiten widerspiegeln können, da das Kind durch die eingeschränkte Bewegungsmöglichkeit Unsicherheit im Umgang und Spiel mit anderen Kindern erfährt (vgl. I.M. Pietrzak, 2001; M. Gäng, 1998a). Auch in Bezug auf die multimediale Erlebniswelt kann von einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit gesprochen werden. So beschreibt I.-M. Pietrzak das Fernsehen als ein „körperloses Erlebnis“. Es manifestiert sich beim Fernsehkonsum eine Körperspannung, aufgebaut allein übers Hören und Sehen, welche sich in der Reglosigkeit des Zuschauens nicht wieder entladen kann, so dass es zu keiner körperlichen Entspannung kommen kann. Was bleibt ist „ein Gefühl von Überspanntheit in all seinen Facetten wie Unruhe, Gereiztheit, Unzufriedenheit“. Erst wenn die Spannung durch Bewegung entladen ist, stellen sich Zufriedenheit, Entspannung und Harmonie wieder ein (vgl. I.M. Pietrzak, 2001).
Die kindliche Entwicklung ist an umfassende Bewegungserfahrungen und reichhaltige Sinneseindrücke gebunden (Tasten, Riechen, Schmecken, Sehen, Drehen, Werfen, Heben, Hören usw.), das Fernsehen jedoch ist ein bewegungsloses, passives, lediglich auf Sehen und Hören reduziertes Ereignis, wodurch Kinder nicht be-greifen können. „Im realen Leben wollen Kinder mit anfassen, etwas Gutes bewerkstelligen, ihre Kräfte bis an die Grenzen messen und Helden ihres Alltags sein.“ ( I.-M. Pietrzak, 2001, S.54). Im Zeitalter der Massenmedien scheint es jedoch schwer ein Held zu sein, da die mediale spannungsgeladene Welt die reale scheinbar zu übertreffen vermag. (Auf die über das Fernsehen mitunter widersprüchlich vermittelten Normen und Werte soll hier nicht näher eingegangen werden). Doch nur ein wirkliches Erlebnis bewegt von Außen und berührt damit das Innere- so stellt sich Freude und Zufriedenheit ein. Ein ganz einfaches Beispiel dafür bietet das Galoppieren auf dem Pferd: Im Dreitakt des Galopps entsteht eine Schwebephase. Dieser „Sprung ins Ungewisse erfordert Mut und Vertrauen. Auf einem galoppierendem Pferd zu sitzen ist ein Erlebnis. Die Hände im Galopp vom Haltegriff [des Voltigiergurtes] zulösen eine weitere Mutprobe“. (I.-M. Pietrzak, 2001, S.49f). Der „schwebende Held“ auf dem Pferderücken erfährt so ein Gefühl von realer körperlicher Entspannung, das Pferd wird zum Realitätsprinzip (vgl. I.-M. Pietrzak, 2001). Ähnliche Erfahrungen aus dem Umgang mit Pferden schildert M. Gäng. Die Kinder erleben eine Möglichkeit Kinderträume und Abenteuerlust in die Wirklichkeit umzusetzen, sie verbringen eine erfüllte Freizeit, die frei von Langeweile ist und Kontakt und Auseinandersetzung mit anderen Kindern bietet. Einen weiteren positiven Aspekt im Umgang mit dem Pferd wird in der Rückführung der Kinder zur Natur gesehen, denn einem großen Teil unserer Kinder fehlt die Beziehung zur Natur und damit auch der Einblick in den Lebenszyklus lebendiger Organismen (vgl. M. Gäng, 1998a). Bei Kindern besteht eine natürliche Zuneigung zu Tieren, die auf dem grundlegenden angeborenen Bedürfnis, der Veranlagung jedes Menschen, mit Lebendigem - Menschen sowie Tieren - umgehen zu wollen, basiert. „Es sind menschliche Grundbedürfnisse und Grundstrebungen nach lustvoller Bewegung, unmittelbarem Kontakt mit der belebten Natur, nach Selbstverwirklichung und Selbstbestätigung, die in besonderer Form und auf attraktive Art und Weise im reiterlichen Umgang mit dem Pferd befriedigt werden.“ (Veltin nach M. Schulz, 19971, S.18). Pferde und Ponys sind als Erziehungshilfen in Sozialisationsprozessen und bei verhaltensauffälligen Kindern besonders geeignet, denn selbst „schwierige“ Kinder finden oft leichter Zugang zu Tieren als zum Menschen. Durch Tierhaltung und den Umgang mit Tieren wird die Persönlichkeitsbildung gefördert und die Kontaktnahme zu Mitmenschen und Umwelt erleichtert (vgl. M. Gäng, 1998a).
3.2.2 Zur Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten/ -störungen, Lernstörungen/-behinderungen
Kinder und Jugendliche mit auffälligem sozialen bzw. sozial inadäquatem Verhalten bilden die grösste Gruppe im HPR/V, daher soll im Folgenden der Schwerpunkt in der Beschreibung der Verhaltensstörungen liegen. In der Gegenwart haben sich die beiden Begriffe „Verhaltensstörung“ und „Verhaltensauffälligkeit“ zur Beschreibung des Verhaltens von Kindern und Jugendlichen, die ihrer Umwelt Schwierigkeiten machen und mit sich selbst Schwierigkeiten haben, zunehmend durchgesetzt. Diese Begriffe werden zumeist synonym verwendet, wobei der Begriff „Verhaltensauffälligkeit“ zwar als wertneutraler bezeichnet wird, aber insofern ungeeignet erscheint, als dass Kinder mit resignanten, ängstlich-gehemmten oder regressiven Erscheinungsformen in der Regel nicht wirklich auffällig gegenüber ihrer Umwelt sind, und außerdem nicht alle auffälligen Kinder schwerwiegende Probleme mit sich und ihrer Umwelt haben (z.B. Hochbegabte). „Störung meint, dass nicht nur vorübergehend eine Problemkonstellation gegeben ist, dass vielmehr längerfristig individuelles und soziales Leben beeinträchtigt ist, dass für das Kind oder den Jugendlichen die Gefahr besteht, sich das soziokulturelle Erbe nicht adäquat aneignen und Mündigkeit, Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung nicht erreichen zu können.“ (N. Myschker, 1999, S.39). Der Begriff der „Störung“ beinhaltet aber auch, dass Störfaktoren gegeben sind, die es zu beseitigen bzw. zu bewältigen gilt. So soll durch pädagogisch-therapeutische Interventionen das normabweichende, negativauffällige Fehlverhalten korrigiert und sowohl die Problematik für die Umwelt des Betroffenen als auch die Beeinträchtigungen im Leben des Betroffenen selbst minimiert werden. Unter „Verhalten“ soll in diesem Zusammenhang die Gesamtheit menschlicher Aktivitäten im Wechselspiel zwischen Organismus und Umwelt verstanden werden, welches von simplen Reaktionen auf Reize bis zu willentlichen, komplexen, umweltverändernden Handlungen reicht. Myschker verwendet im Zusammenhang mit Verhaltensstörungen folgende Definition: „Verhaltensstörung ist ein von den zeit- und kulturspezifischen Erwartungsnormen abweichendes maladaptives Verhalten, das organogen und/oder milieureaktiv bedingt ist, wegen der Mehrdimensionalität, der Häufigkeit und des Schweregrades die Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsfähigkeit sowie das Interaktionsgeschehen in der Umwelt beeinträchtigt und ohne besondere pädagogisch-therapeutische Hilfe nicht oder nur unzureichend überwunden werden kann.“ (N. Myschker, 1999, S.41).
Es werden auf der Basis empirischer Untersuchungen zwei große gegensätzliche Gruppen von Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen unterschieden: Die eine Gruppe ist geprägt von externalisierenden, d.h. nach außen gegen die Umwelt gerichteten, Symptomen. Betroffene dieser Gruppe fallen durch Hyperaktivität, Aggressivität, Konzentrationsmangel, Renitenz, Wutanfälle u.ä. Erscheinungen insbesondere in begrenzenden, einschränkenden Situationen (z.B. Schule) auf. Die andere Gruppe, geprägt von internalisierenden Symptomen, ist - obwohl weitaus weniger auffällig - nicht minder belastet oder gefährdet. Zu ihren Erscheinungsformen zählen Ängstlichkeit, Gehemmtheit und psychosomatische Störungen mit meist extrem selbstbeeinträchtigenden Wirkungen. Zwei weitere Gruppen der Verhaltensstörungen sind die der Kinder und Jugendlichen mit unreifem, altersinadäquatem Verhalten und die, deren Verhaltensformen als sozialisierte Delinquenz bezeichnet werden (vgl. N. Myschker, 1999). Die nachstehende Tabelle (Abbildung 2) gibt einen Überblick über die Klassifikation der Verhaltensstörungen:
Abbildung 2 : Klassifikation von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
( Abbildung 2, N. Myschker, 1999, S.47)
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- Quote paper
- Janina Steen (Author), 2002, Therapeutisches Reiten. Das Pferd als Co-Therapeut in der sozialen Arbeit. Methoden, Finanzierung, Grenzen und Perspektiven., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20714
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