Auch die Rezeption Claus Stauffenbergs stellt in dieser Hinsicht
keine Ausnahme dar. Die Bewertung seiner Person bewegt sich
zwischen persönlicher Heroisierung und der moralisch-ethischen
Abwertung der Motive des konservativen Widerstands, dessen
Galionsfigur er als Attentäter auf das Leben Hitlers wurde.
Aber wo ist der ihm angemessene Platz und welche Würdigung oder
Sichtweise wird dem 20. Juli gerecht? Diese Fragen beantworten zu helfen, ist die zentrale Aufgabe der
vorliegenden Arbeit, wobei dies allerdings nicht im direkten Sinne
einer möglichst neutralen und umfassenden Auswertung der Fakten
und Begleitumstände des Ereignisses geschehen soll. Die folgende Darstellung kann und soll nicht in ein weiteres, trennscharf zu
greifendes Urteil über die Tat des 20. Juli münden. Vielmehr soll
durch den Entwurf eines Porträts der Ereignisse und vor allem der
Person Stauffenbergs im Kontext der damaligen Zeit versucht
werden, einen möglichst breit angelegten Blick auf das Ereignis des
20. Juli frei zu geben.
Peter Steinbach verweist in der Einleitung seines Buches
“Widerstand im Widerstreit” unter der Überschrift `Die Notwendigkeit,
Vielfältigkeit auszuhalten´ auf die Relevanz der “vergangenen
Wirklichkeit”, die als notwendige Voraussetzung dafür gilt, trotz der
natürlichen Disparität der Voraussetzungen das zu Untersuchende
zu verstehen.1 Dieser Verweis auf die Bedeutsamkeit von innerer
Dynamik, biographischer Elemente oder anderen zeitbezogenen
Variablen, die für eine bestimmte Qualität der Rezeption wichtig
erscheinen, soll in der vorliegenden Arbeit ausdrücklich
berücksichtigt werden. Gleichzeitig ist aber bereits einleitend darauf
hinzuweisen, dass im Rahmen einer solchen Arbeit sicherlich auch
nur eine bewusst gewählte, subjektive Perspektive eingenommen
werden kann und auch die scheinbar neutrale Schilderung eines
Lebenslaufes immer in den Grenzen be
Neben der Zielsetzung, die Thematik des 20. Juli 1944 primär
anhand der biographischen Auseinandersetzung mit der Person
Stauffenbergs und seinem historischen Umfeld zu untersuchen, ist
ein weiteres Bestreben dieser Arbeit, für die Vielfältigkeit, die ein
Thema wie der deutsche Widerstand zulässt aber auch einfordert, zu
sensibilisieren und als exemplarisches Beispiel dafür zu stehen, dass
jede Episode der Geschichte ihre eigenen Voraussetzungen,
Umstände und spezifische Dynamik hat, die, will man sich
angemessen mit ihr beschäftigen, Berücksichtigung verlangen. [...]
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Entwicklung und Motive des national-konservativen Widerstandes
3. Claus Stauffenbergs Weg zum 20. Juli 1944
3.1. Kindheit und Jugend
3.2. Die Reichswehr
3.3. Stauffenbergs Militärzeit
3.4. Das Jahr 1933
3.5. Die Reichswehr wird zur Wehrmacht (1934-1938)
3.6. Stauffenberg und der Nationalsozialismus
3.7. Die Feldzüge in Polen und Frankreich (1939-1940)
3.8. Der Krieg in Russland
3.9. Stauffenberg und die Konspiration
4. Schlussbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bei der Beschäftigung mit dem deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus wird ein weiteres mal deutlich, wie unterschiedlich sich verschiedene Perspektiven auf die Einordnung und Bewertung von historischen Ereignissen auswirken können. Nähert man sich der Thematik mit der Frage nach der Motivation, dem quantitativen Ausmaß, nach den Erfolgsaussichten oder den Resultaten der verschiedenen Geschehnisse? Darüber hinaus müssen diverse Ebenen, wie etwa die der unterschiedlichen Personen und Gruppen des Widerstands, sowie verschiedene Stadien des NS-Regimes,
denen wiederum weitere zu differenzieren sind, berücksichtigt werden. Welches sind die Schwerpunkte der eigenen Betrachtung, und welchen Schluß lassen die erarbeiteten Resultate zu?
Die Erkenntnis der Abhängigkeit des Urteils von der gewählten Perspektive ist gewissi keine neue, dennoch wird an der Thematik der deutschen Widerstandsgeschichte, im speziellen der des Attentats vom 20. Juli 1944, iin besonderer Weise deutlich, auf wie unterschiedliche Weise ein und dasselbe Ereignis analysiert werden kann, iund wie stark die Ergebnisse, je nach Herangehensweise, variieren.
Die Rezeptionen und Einordnungen des Attentats vom 20. Juli um Claus Schenk Graf von Stauffenberg stellen insofern keine Aunahme dar und reichen von der historischen Bedeutungslosigkeit bis hin zur Einleitung und Repräsentation eines `anderen Deutschland´,Sichtweise in dem sich Menschen aus moralischen und ethischen Motiven gegen ein unmenschliches Regime erhoben und für ihre Überzeugung auch ihr Leben zu lassen bereit waren. Diese Bewertungen stellen dabei lediglich zwei markante Eckpunkte dar, um die herum sich eine Vielzahl weiterer, feinerer Abstufungen unterscheiden lassen. Ganz unabhängig von der letztendlichen Bewertung hat das Attentat des 20. Juli aber längst seinen besonderen Platz innerhalb der deutschen Geschichte eingenommen.
Auch die Rezeption Claus Stauffenbergs stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Die Bewertung seiner Person bewegt sich zwischen persönlicher Heroisierung und der moralisch-ethischen Abwertung der Motive des konservativen Widerstands, dessen Galionsfigur er als Attentäter auf das Leben Hitlers wurde.
Aber woSichtweise ist der ihm angemessene Platz und welche Würdigung oder Sichtweise wird dem 20. Juli gerecht?
Diese Fragen beantworten zu helfen, ist die zentrale Aufgabe der vorliegenden Arbeit, wobei dies allerdings nicht im direkten Sinne einer möglichst neutralen und umfassenden Auswertung der Fakten und Begleitumstände des Ereignisses geschehen soll. Die folgende Darstellung kann und soll nicht in ein weiteres, trennscharf zu greifendes Urteil über die Tat des 20. Juli münden. Vielmehr soll durch den Entwurf eines Porträts der Ereignisse und vor allem der Person Stauffenbergs im Kontext der damaligen Zeit versucht werden, einen möglichst breit angelegten Blick auf das Ereignis des 20. Juli frei zu geben.
Peter Steinbach verweist in der Einleitung seines Buches “Widerstand im Widerstreit” unter der Überschrift `Die Notwendigkeit, Vielfältigkeit auszuhalten´ auf die Relevanz der “vergangenen Wirklichkeit”, die als notwendige Voraussetzung dafür gilt, trotz der natürlichen Disparität der Voraussetzungen das zu Untersuchende zu verstehen.[1] Dieser Verweis auf die Bedeutsamkeit von innerer Dynamik, biographischer Elemente oder anderen zeitbezogenen Variablen, die für eine bestimmte Qualität der Rezeption wichtig erscheinen, soll in der vorliegenden Arbeit ausdrücklich berücksichtigt werden. Gleichzeitig ist aber bereits einleitend darauf hinzuweisen, dass im Rahmen einer solchen Arbeit sicherlich auch nur eine bewusst gewählte, subjektive Perspektive eingenommen werden kann und auch die scheinbar neutrale Schilderung eines Lebenslaufes immer in den Grenzen bes wurde allerdings deutlich, dass.
Neben der Zielsetzung, die Thematik des 20. Juli 1944 primär anhand der biographischen Auseinandersetzung mit der Person Stauffenbergs und seinem historischen Umfeld zu untersuchen, ist ein weiteres Bestreben dieser Arbeit, für die Vielfältigkeit, die ein Thema wie der deutsche Widerstand zulässt aber auch einfordert, zu sensibilisieren und als exemplarisches Beispiel dafür zu stehen, dass jede Episode der Geschichte ihre eigenen Voraussetzungen, Umstände und spezifische Dynamik hat, die, will man sich angemessen mit ihr beschäftigen, Berücksichtigung verlangen.
Wie weiter oben bereits erwähnt, zeichnet sich die Beschäftigung mit dem Attentat des 20. Juli und mit der deutschen Widerstandsgeschichte in der Literatur und Anlässen wie Ausstellungen oder Gedenktagen, im allgemeinen nicht nur als reichhaltig, sondern zudem auch als überaus vielseitig und ebenso divergent aus. Zahlreiche Publikationen, die in den späten 40er und frühen 50er Jahren erschienen, waren zunächst gekennzeichnet durch eine Verflechtung von Geschichte und Politik im Sinn einer Legitimation des `neuen Deutschlands´. Peter Steinbach spricht in diesem Zusammenhang von einer “Rehabilitation des deutschen Namens. [...] Indem der Widerstand für das bessere Deutschland stand, diente die Rückbesinnung auf ihn der politisch-moralischen Rechtfertigung der Deutschen, die einen politischen Neuanfang aus reiner Wurzel zu verkörpern beanspruchten(...).”[2] Vor allem konservativer und nichtkommunistischer Widerstand wurden mystifiziert und “die Geschichtsschreibung des Widerstandes geriet so in Gefahr, zur Legende im Dienste der staatspolitischen Legitimation zu werden.”[3]
In den sechziger Jahren dann vollzog sich in der Bundesrepublik eine Revision dieses Geschichtsbildes, und es wurde “bei aller Würdigung der ethischen Motive und des persönlichen Mutes der Verschwörer, deren weltanschauliche Nachbarschaft zum Gedankengut des Nationalsozialismus” hervorgehoben.[4] An der in diesem Zusammenhang oft gestellten Frage, wie man gegen etwas rebellieren kann, mit dem man doch eigentlich in vielen Teilen identisch sei, läßt sich erahnen, dass auch diese Betrachtungsweise oftmals nicht über ein zu eng gestecktes, einseitig motiviertes Postulat im dem Sinne, dass die Widerständler sich deutlicher und konsequenter gegen den Nationalsozialismus hätten stellen müssen, hinausgeht. Obwohl diese Kritik des `konservativen´ und `nationalen´ Widerstandes ohne Frage eine berechtigte ist, scheint ihre Form wie erwähnt wiederum zu einseitig politisch motiviert und spiegelt möglicherweise eher eine bestimmte Haltung zum Nationalismus und Konservatismus wider, als zu einer sinnvollen Einordnung dieser Form des Widerstandes beizutragen.
Erst im Laufe der siebziger Jahre bis heute setzten langsam die Versuche ein, die mit mehr Distanz und freier von politischen Funktionen die Hintergründe des 20. Juli 1944 beleuchteten.
Zur für diese Arbeit verwendeten Literatur läßt sich allgemein sagen, dass Wert darauf gelegt wurde, mit eben den Publikationen zu arbeiten, deren Herangehensweise an die Thematik des 20. Juli, ebenso wie die der vorliegende Arbeit, von dem Anliegen geprägt ist, Vorfälle und Zusammenhänge möglichst nah an ihren eigenen historischen Umständen zu untersuchen und nicht an entfernten und der Sache nicht gerecht werdenden Maßstäben zu messen. Im speziellen bei der Sichtung der Literatur zur Person Stauffenbergs wurde allerdings deutlich, dass sich auch hier die vorher erwähnten, durch mehr oder weniger starre Motivationen gefärbten Ergebnisse wiederfinden, und häufig publizierte Ergebnisse von anderen Autoren unreflektiert übernommen werden. Eine Ausnahme in Originalität und sachlicher Gründlichkeit stellt meiner Meinung nach das Buch “Oberst i.G. Stauffenberg” von Christian Müller dar, auf das sich die nachfolgende Arbeit daher auch in wesentlichen Teilen stützt.
Auf eine Schilderung des Attentats selbst wurde verzichtet, da gerade der technische Aspekt und der Verlauf des 20. Juli bereits ausreichend häufig und auch nachvollziehbar geschildert wurde.
Zunächst soll eine kurze Darstellung des national-konservativen Widerstands und eine allgemeine historische Einordnung bestimmte Rahmenbedingungen für die anschließende Beschäftigung mit der Person Claus Stauffenberg geben. Meist eng an diese weitgehend biografischen Beschäftigung mit Claus Stauffenberg gebunden, sollen im Hauptteil die vielschichtigen Bedingungen des 20. Juli und dessen innere Dynamik, also eine eigene Geschichte des 20. Juli nachgezeichnet werden.
Der biographische Ansatz wurde insofern bewusst gewählt, da dadurch deutlich wird, dass es sich beim Widerstand des 20. Juli 1944 nicht um ein Phänomen handelt, das allein anhand der Einfluss nehmenden Parametezur Republik,t werden kann. Letztlich geht es dabei immer um Menschen, auf deren Verhalten, neben allgemeingültigen politischen oder sozialen Umständen, ihre jeweilige individuelle Geschichte Einfluss nimmt. Erst das Miteinbeziehen dieser Faktoren kann ein wirkliches Begreifen und so eine adäquate Bewertung des 20. Juli ermöglichen. Das Nachzeichnen des Lebensbildes Claus Stauffenbergs soll dabei nicht nur dokumentieren und, wie erwähnt keine abschließenden Antworten geben. Es soll vielmehr dazu auffordern, mitzuerleben und nachzuvollziehen, wie Claus Stauffenberg seinen Weg zum 20. Juli 1944 beschritt. Auch soll deutlich werden, warum diese Episode der deutschen Geschichte noch bis heute so kontrovers betrachtet und bewertet wird.
2. Entwicklung und Motive des national-konservativen Widerstands
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, hat die Beschäftigung mit dem was `deutscher Widerstand´ oder `Deutsche Opposition´ genannt wird, verschiedene Phasen durchlaufen. Dabei ist längst deutlich geworden, dass es den deutschen Widerstand nicht gab. Eine wie auch immer sich äußernde Gegnerschaft gab es in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, die z.B. aufgrund ihres Ursprungs, ihrer Motivation oder der gesellschaftlichen Position eigenständige Phänomene und nicht etwa nur Teileinheiten eines monolithisch aufgefazur Republik,ten Widerstandes darstellen. Sowohl der Widerstand der Arbeiterbewegung, die Opposition der Kirche oder der Widerstand der Jugend finden zwar in der Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ihren gemeinsamen Nenner, stellen aber ansonsten eigenständige historische Erscheinungen mit ihren ganz eigenen Geschichten dar.
Auch der national-konservative Widerstand, der in der vorliegenden Arbeit anhand des 20. Juli behandelt wird, stellt ein eigenständiges Phänomen dar. Klaus-Jürgen Müller charakterisiert diesen Widerstand als “eine spezielle Erscheinungsform des Verhaltens traditioneller Eliten gegenüber dem Nationalsozialismus und dem nationalsozialistischen Regime”[5], welcher im Sinne einer historisch angemessenen Betrachtung aus der häufig gewählten und zu eng gesteckten ausschließlich moralisch-politischen Perspektive zu lösen und in einen größeren historischen Zusammenhang zu stellen ist.
Insofern soll der folgenden Betrachtung des Widerstandeszur Republik, der in das Attentat am 20. Juli 1944 mündete, zunächst eine, wenn auch verkürzte, Darstellung bestimmter historischer Rahmenbedingungen des national-konservativen Widerstandes vorausgehen. Erst dadurch erscheint es mir möglich, neben der Untersuchung der formalen Umstände auch die Motive von Beteiligten und im speziellen persönliche Beweggründe und Handlungen Stauffenbergs angemessen zu deuten und zu verstehen.
Das Verhalten der traditionellen Eliten in Staat und Gesellschaft muss unter anderem vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung des preußisch-deutschen Nationalstaates und seiner politisch-strukturellen Problematik seit der Reichsgründung gesehen werden. Klaus-Jürgen Müller etwa sieht in der Tatsache, dass der Nationalstaat von einer vor-industriell-agrarischen Elite begründet und geführt wurde und dass diese sich als Wirtschafts- und Bildungsbürgertum politisch-sozial anmaßte, eine weitgehend abgeschlossene Führungsschicht darzustellen, eines der grundlegenden Existenzprobleme des neuen Nationalstaates. Andere Sozialschichten, vor allem jene, die im Prozess der Industrialisierung entstanden waren, blieben von der politisch-gesellschaftlichen Gestaltung des Gemeinwesens ausgeschlossen, was zum Strukturproblem der “Integration” führte, welches sich für die Führungseliten gleichzeitig als “Legitimationsproblem” darstellte.[6] Verschärft durch den Ersten Weltkrieg, die Inflation und die Weltwirtschaftskrise mündete dieses in ein `Bedrohungssyndrom´ für die traditionellen Führungseliten. Die Reaktionen auf diese Problematik lassen sich laut Klaus-Jürgen Müller auf ein bestimmtes Grundmuster reduzieren, “nämlich auf die Vorstellung, dass die erwähnte als existentiell aufgefazur Republik,te und erfahrene Problematik auf lange Sicht nur gelöst werden konnte, wenn erstens die staatlichen Strukturen wieder in autoritärem Sinne umgeformt würden, und zweitens eine neue legitimierende Massenbasis für die traditionellen Eliten gewonnen werden könnte.”[7] Von den zivilen Eliten wurde die Wiederherstellung einer autoritären Staatsstruktur als bestes Mittel zur Wahrung der eigenen politisch-sozialen Interessen, aber auch als Voraussetzung effektiver Regierungstätigkeit im modernen Staat angesehen. Die Militärelite sah darin die Möglichkeit der Organisation der gesamten Nation und zur Republik, ihrer Ressourcen für den modernen Krieg, denn diese autoritäre Lösung der Integrations- und Legitimationsproblematik wurde von den überkommenen Machteliten mit der Lösung dessen verknüpft, was seit 1918 als das nationale Problem galt, nämlich die Wiederherstellung der im Ersten Weltkrieg verlorenen Großmachtstellung Deutschlands in Europa.[8]
Neben der extremen Linken, die sich bereits 1919 nicht als systemimmanente Opposition verstand, die im Rahmen der bestehenden Verfassungsordnung eine Regierungsverantwortung übernehmen wollte, erstrebte die extreme Rechte von Beginn an teils eine Restauration der vordemokratischen Monarchie, teils die Errichtung einer postdemokratischen Diktatur nationalistisch-plebiszitären Charakters.[9] Joachim Fest sieht seinerseits den Grund für die fehlende innere Zustimmung der breiten Bevölkerung zur Republik zum großen Teil in der unvermuteten Niederlage und dem folgenden `moralische Verdikt´ des Versailler Vertrages. Und in der Tat sollte das folgende Regime zu einem erheblichen Teil darauf fußen, die “Fesseln von Versailles abzuschütteln.”[10]
Hitler war weder durch die Coup d´Etat-Methode von 1923 noch durch die Wahlerfolge 1930 bis 1933 an die Macht gekommen. Die traditionellen Eliten hatten ihrerseits bis 1933 ihre Basis in der Gesellschaft weitgehend verloren, besetzten aber noch wichtige politische Positionen, so dass die Verfechter einer Allianz mit der NS-Bewegung in ihren Reihen hofften, durch Hitler an die erforderliche Massenbasis zu gelangen, um auf dieser Grundlage das Integrations- wie das nationale Problem zu lösen. Hiermit erschien ihnen die Verwirklichung ihrer Ziele erstmals seit 1918 wieder möglich: “innenpolitisch die Neufundierung und Absicherung der seit 1918 als bedroht empfundenen traditionellen Machtposition im Staat und Gesellschaft; außenpolitisch die Wiederherstellung der Großmachtstellung des Reiches; und schließlich –was für die Militärelite besonders wichtig war- militärpolitisch die mit dem Euphemismus “Wehrhaftmachung der Nation” umschriebene permanente und totale Mobilisierung der Gesellschaft, die im industriell-technischen Zeitalter als unumgängliche Voraussetzung nationaler Großmachtstellung angesehen wurde.”[11]
Einen weiteren wichtigen Aspekt für das Erfassen des national-konservativen Widerstandes stellt meines Erachtens das Selbstverständnis in der preußischen Soldatentradition dar. Auch zu diesem historischen Hintergrund möchte ich daher einleitend eine kurze Darstellung geben. Diese soll und kann ebenso nicht in Konkurrenz mit den zahlreichen Publikationen treten, die diese Thematik fachspezifisch und ausführlich behandeln, aber soll als thematische Grundlage der folgenden Darstellung dienlich sein. Im wesentlichen werde ich mich auf persönliche Gedanken und Schilderungen der Tochter Henning von Tresckows, Uta Freifrau von Aretin stützen, da dadurch meines Erachtens die Thematik des preußisch-soldatischen Selbstverständnisses, das sowohl aufgrund seiner zeitlichen als auch seiner gesellschaftlich-ideologischen Entfernung schwer zu erfassen ist, besonders eindrücklich und nachvollziehbar wird.
Der Begriff “Preußen” ist mit den verschiedensten Attributen belegt. “Er wird beschworen, verherrlicht, beschimpft, belächelt, verketzert.”[12] Des Weiteren stehen die sogenannten preußischen Tugenden als Synonym für Pflichtbewusstsein, Ehrlichkeit, Toleranz, Treue, Genügsamkeit und weitere ähnlich konnotierte Eigenschaften. Uta Freifrau von Aretin, die Tochter Henning v etwa das Regiment 9, aus dem besonders viele Widerständler hervorgingen, fest in preußischer Soldatentradition verwurzelt war. Dieses Regiment sei laut ihrer Aussage für seinen der Freiheit verpflichteten Geist bekannt, der sich nach dem Zeugnis vieler ehemaliger Angehöriger aus einer Mischung von Elitebewusstsein und den Prinzipien preußischer Tradition ergab. Des Weiteren gehörte zu ihrem Selbstverständnis eine christliche Grundhaltung.[13]
Alle genannten Elemente, die in einer selbstverständlichen inneren Haltung und Lebensauffassung Ausdruck fanden, sind trotzdem und gerade weil sie in unserer heutigen Zeit nicht mehr eine derart zentrale Position einnehmen, unbedingt zu berücksichtigen, und für den, der sich mit dem militärischen Widerstand befasst, wichtige Instrumente, um zu einem Verständnis der Handlung der Soldaten, die sich in der preußischen Tradition sahen, zu kommen.
Die Soldaten, die sich in preußischer Tradition sahen, fühlten sich als Elite. Sie sahen in ihrem Stand eine privilegierte Schicht mit besonders hohem geistigen und moralischen Anspruch. Sowohl ihre Ablehnung der Weimarer Republik als auch ihre anfängliche Geringschätzung der nationalsozialistischen Machthaber entsprang diesem elitärem Selbstverständnis. Ohne einer im weiteren Verlauf folgenden und auch begründeten Bewertung vorgreifen zu wollen, ist allerdings zu sagen, dass ebenso viele gerade dieser Elemente der sogenannten preußischen Tradition mit diversen innen- wie außenpolitischen Motiven und Zielen des späteren Nationalsozialismus kohärierten, wobei darauf hinzuweisen ist, daß diese rudimentäre Darstellung lediglich zum Ziel hat, ein bestimmtes dieser Thematik eigenes Prinzip im Dienst der folgenden Darstellung anzudeuten. Sicherlich bedarf es einer eigenen und umfassenden Bearbeitung, zu ergründen, wie eine Verflechtung von preußischer Tradition und Nationalsozialismus genau zu beurteilen ist. Mit diesem Anspruch kann und will sich eine Arbeit in diesem Rahmen wie gesagt aber nicht messen, und es sei an dieser Stelle auf die umfangreiche Fachliteratur zu diesem Thema verwiesen.
Wie mehrfach erwähnt, ist die vorausgegangene Darstellung der Umstände und Motivationen der national-konservativen Gruppierungen sicherlich eine stark vereinfachte. Aber trotz der Auslassung komplexerer Zusammenhänge soll diese Darstellung als eine Art Rahmen für die nun folgende Beschäftigung mit der Person Claus Graf Schenk von Stauffenbergs nützlich sein.
[...]
[1] Steinbach, Peter, Widerstand im Widerstreit, S. 11
[2] Steinbach, Peter, Widerstand im Dritten Reich – die Keimzelle der Nachkriegsdemokratie?, in: Ueberschär, Gerd R.
[3] von Klemperer, K., Syring, E., Zitelmann, R., Der 20. Juli 1944 – 50 Jahre später, S.10
[4] von Klemperer, K., Syring, E., Zitelmann, R., Der 20. Juli 1944 – 50 Jahre später, S.10
[5] Müller, K.-J., , in: Vogel, T., S.91
[6] Müller, K.-J., , in: Vogel, T., S.92
[7] Müller, K.-J., , in: Vogel, T., S.92f.
[8] Müller, K.-J., , in: Vogel, T., S.92f.
[9] Kolb, E., S.36
[10] Fest, J., S.19
[11] Müller, K.-J., , in: Vogel, T., S.93f.
[12] Uta Freifrau von Aretin, in: Vogel, T., S.279
[13] Henning von Tresckow im Gespräch mit seiner Frau: “Ich verstehe nicht, wie sich heute noch Menschen als Christen bezeichnen können, die nicht gleichzeitig wütende Gegner dieses Regimes sind. Ein wirklich überzeugter Christ kann doch nur ein überzeugter Gegner sein.” nachzulesen bei: Uta Freifrau von Aretin, in: Vogel, T., S.280
- Arbeit zitieren
- Dirk Mempel (Autor:in), 2003, Claus Graf Schenk Stauffenberg und sein Weg zum 20. Juli 1944, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20690
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