Innerhalb der letzten 40 Jahre ist in der westlichen Welt eine Debatte darüber entbrannt, in welchen Fällen passive und aktive Sterbehilfe, also die Tötung eines Menschen, gerechtfertigt sein kann. Im Zuge dieser Debatte ist unter anderen die radikale Position, die Peter Singer in seinem in Deutschland im Jahre 1984 erschienenen und im Jahre 1993 überarbeiteten Werk „Praktische Ethik“ zu dieser Frage vertritt, diskutiert worden. In nicht wenigen Auseinandersetzungen ist Singer vorgeworfen worden, er leiste die nachträgliche ethische Legitimation für die vom nationalsozialistischen Regime unter dem Deckmantel der „Euthanasie“, also des „schönen Todes“, durchgeführte Ermordung von Menschen, deren Leben als „lebensunwert“ eingestuft worden war. Er hat sich den Zorn vieler Menschen deshalb zugezogen, weil er zur Beantwortung der Frage, wann Euthanasie erlaubt sein soll, den Wert verschiedener Lebewesen miteinander vergleicht und Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, Wachkomapatienten und Säuglingen das Recht auf Leben abspricht. Weil dieses Urteil an den Grundfesten der moralischen Überzeugungen im westlichen Kulturkreis rüttelt, ist die Diskussion oft hitzig und nicht immer sachlich geführt worden. Zahlreiche Podiumsveranstaltungen, zu denen Singer eingeladen worden war, um seine Position zu referieren, sind massiv gestört oder wegen der Ankündigung von Protesten schon im Voraus abgesagt worden. Das ist deshalb schade, weil so viele Möglichkeiten vergeben worden sind, fundiert und sachlich und deshalb überzeugend Gegenposition zu beziehen.
In der vorliegenden Arbeit soll dargestellt und kritisch überprüft werden, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln Peter Singer wertende Unterscheidungen zwischen verschiedenen Lebewesen macht. Dabei war der Anspruch, der der vorliegenden Arbeit ursprünglich zugrunde lag, der, eine räumlich ausgewogene Darstellung der singerschen Positionen zum Verbot und der Erlaubnis Tötung menschlicher Wesen zu leisten. Im Entstehungsprozess dieser Hausarbeit hat sich jedoch gezeigt, dass sich die Kritik, die gegen das von Singer vorgestellte Modell zur Bewertung des Lebens verschiedener Wesen vorgebracht werden kann, vornehmlich an seiner Beantwortung der Frage, welche Wesen von einem Tötungsverbot überhaupt geschützt sind, festmacht. Deshalb konzentriert sich diese Arbeit auf eine ausführliche Darstellung und Prüfung seiner Thesen zum Tötungsverbot.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zwei Modelle zur Unterscheidung des Wertes verschiedener Lebewesen
- Die Unterscheidung Mensch – Tier
- Die Unterscheidung nach dem Grad des Bewusstseins
- Die ethische Relevanz des unterschiedlichen Grades des Bewusstseins in utilitaristischen Systemen
- Die Relevanz unterschiedlicher Bewusstseinsgrade im klassisch-hedonistischen Utilitarismus
- Die „kritische“ Bewertung: der Handlungsutilitarismus
- Die „intuitive“ Bewertung: der Regelutilitarismus
- Das personale Merkmal im Präferenz-Utilitarismus
- Die Auswirkungen des personalen Merkmals auf Präferenzen
- Zwischenergebnis
- Das Recht auf Leben
- Wunsch und Recht
- Interesse und Recht
- Die Respektierung der Autonomie
- Bewusstes Leben
- Der Wert bewussten Lebens im Vergleich zu selbstbewusstem Leben
- Ergebnis
- Kritik
- Das indirekte Tötungsverbot für Personen im klassischen Utilitarismus und die Reichweite menschlicher Empathie
- Zum „Wert“ einer Person
- Zum „Rechte“-Modell
- Recht und Wunsch
- Recht und Interesse
- Die Unvereinbarkeit der Konsequenzen aus der Wertschätzung bewussten Lebens mit der ethischen Praxis
- Die ethische Relevanz des Bewusstseinsgrades in Bezug auf das Tötungsverbot
- Die Unterscheidung zwischen bewussten und selbstbewussten Lebewesen (Personen)
- Kritik an Singers Position im Kontext des klassischen und des Präferenz-Utilitarismus
- Die Frage nach dem Recht auf Leben und dem Wert des Lebens verschiedener Lebewesen
- Die Auswirkungen von Singers Argumentation auf die ethische Praxis, insbesondere in Bezug auf Sterbehilfe und Euthanasie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die ethische Position von Peter Singer in Bezug auf das Tötungsverbot, wie sie in seinem Werk „Praktische Ethik“ dargelegt wird. Sie analysiert, wie Singer wertende Unterschiede zwischen verschiedenen Lebewesen zieht und welche Konsequenzen sich daraus für das Tötungsverbot ergeben. Die Arbeit befasst sich insbesondere mit Singers Argumenten für die Abgrenzung zwischen bewussten und selbstbewussten Lebewesen und die Frage, ob und wie dieser Unterschied ethisch relevant ist.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Debatte um passive und aktive Sterbehilfe ein und stellt Singers Position in diesem Kontext vor. Sie erläutert auch die Relevanz von Singers Werk im Hinblick auf die ethische Bewertung des Lebens verschiedener Lebewesen.
Kapitel 2 analysiert Singers Argumentation für die ethische Relevanz von Bewusstseinsgraden. Es werden die Unterscheidungen zwischen Mensch und Tier sowie zwischen bewussten und selbstbewussten Lebewesen dargestellt und in Bezug zu utilitaristischen Ansätzen gesetzt.
Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Kritik an Singers Argumentation. Es werden die Schwächen des klassischen und des Präferenz-Utilitarismus im Hinblick auf das Tötungsverbot untersucht und die Auswirkungen von Singers Position auf die ethische Praxis diskutiert.
Schlüsselwörter
Die zentralen Begriffe dieser Arbeit sind Tötungsverbot, Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Person, Utilitarismus, Sterbehilfe, Euthanasie, Lebenswert, Recht auf Leben.
- Quote paper
- Lukas Rieger (Author), 2007, Die Grundlagen des Tötungsverbotes in Peter Singers "Praktische Ethik", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205347