In dieser Studie werden 2 Einzelfälle mit ADHS-Symptomen und deren Behandlung durch Eurythmietherapie (Bewegungstherapie) dargestellt. Beide erhielten in der Therapieperiode kein Methylphenidat (Ritalin/Celesta etc.)
Den Therapeuten hat vor allem die motorische Entwicklung und die Veränderung des hyperaktiven Verhaltens während der Therapieperiode interessiert.
Die Entwicklung der vestibulären Wahrnehmung konnte in den Diagnosestunden signifikant nachgewiesen werden. Durch Aktivierung der Tiefensensibilität und Feinabstimmung des globalen Muskeltonus konnten sich die Patienten vermehrt beruhigen, ruhig stehen, gelassene, geführte Gebärden ausführen. Das oft wenig gesteuerte, manchmal auch traumatisch, impulsiv reagierende und dissozierende Denken, Fühlen und Handeln der Patienten hat sich als Folge davon, trotz widriger biographischer Umstände harmonisiert. Der motorische Ansatz der Therapie ermöglichte es, die Patienten dort abzuholen, wo sie gerade stehen, und ihre beweglichen, kreativen und unternehmerischen Energien zu bündeln. Die fortschreitende Tiefensensibilisierung ermöglichte eine Verstärkung der globalen Feinabstimmung der Muskulatur der Patienten. Die zentrierende Wirkung der Vokal-Gebärden, im Besonderen der grossen U-Übung, konnte in diesem bescheidenen Rahmen eindrücklich nachgewiesen werden.
In der kurzen Therapieperiode wurde keine signifikante Änderung der Selbstorganisation der Patienten festgestellt.
Inhaltsverzeichnis
Eurythmietherapie und ADHS (ADHD)-Symptome
Abstrakt
Begriffsklärung
Legende
Vorwort
Einleitung
Methodik
Ablaufplan des Forschungsprojektes
Forschungs- und Auswertungsmethoden
Menschenbild
Teil 1 Eurythmietherapie
1.1 Was ist Eurythmie?
1.2 Was ist Eurythmietherapie?
1.3 Das anthroposophische Konzept des menschlichen Organismus und Ansatz zu einer Pathogenese
1.4 Was sind ADHS-Symptome?
1.5 Therapieziele
1.6 Methodische Hinweise des Therapeuten für Patienten während Interventionsstunden
1.5 Zusammenfassung Teil 1
Teil 2 Methoden und Mittel
2.1 Die Wahl der Methoden und der Mittel
2.2 Forschungsvorgehen
2.3 Die Wahl der Erhebungsmethoden
2.4 Die Wahl der Auswertungsmethoden
2.5 Die Auswertung des quantitativ verwertbaren Materials
2.6. Die Auswertung des qualitativ verwertbaren Materials
2.6.1 Die Auswertung der Tagebuchaufzeichnungen
2.6.2 Festlegung des Materials (Ausschlusskriterien für verwendete Kategorien und Übungen)
2.6.3 Der Verfasser gewichtet die Kategorie nach folgenden Kriterien
2.6.4 Das Auswertungsvorgehen
2.7 Reflexion zu den Methoden
2.7.1 Quantitative Forschungsmethoden
2.7.2 Qualitative Forschungsmethoden
2.8 Zusammenfassung Teil 2
Teil 3 Fallbeschreibungen
3.1 Fall 1
3.1.1 Diagnose
3.1.2 Literaturbestand
3.1.3 Anamnese
3.1.4 Erster Eindruck und Eigenbeurteilung
3.2 Fall 2
3.2.1 Diagnose
3.2.2 Literaturbestand
3.2.3 Anamnese
3.2.4 Erster Eindruck und Eigenbeurteilung
3.3 Zusammenfassung Teil 3
Teil 4 Dokumentation
4.1 Dokumentation
4.1.1 Therapieplan Fall 1
4.1.2 Therapieplan Fall 2
4.1.3 Therapieprozess Fall 1
4.1.4 Therapieprozess Fall 2
4.2 Quantitative Messungen an Hand der Forschungsziele/ Diagnosestunde
4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der Diagnosestunden
4.3 Zusammenfassung Teil 4
Teil 5 Reflexion
5.1 Reflexion Ergebnis 1, 2 und Diagnosestunden
5.2 Reflexion Diagnosestunden
5.3 Reflexion der Daten der Interventionsstunde in Bezug zu den vier gestaltenden Kräften
Teil 6 Diskussion
6.1 Zur Diagnose ADHS
6.2 Zur Einzelfallforschung
6.2.1 Zu den Therapieerfolgen Fall 1
6.2.2 Zu den Therapieerfolgen Fall 2
6.3 Zur Diagnosestunde
6.4 Zur Interventionsstunde
6.5 Zur grossen U-Übung
6.6 Zu den Patienten
6.6.1 Zu Patient 1
6.6.2 Zu Patient 2
6.7 Zur Bewegungsmedikation der Eurythmietherapie in Vergleich zu anderen Therapiemethoden
6.8 Zusammenhang zwischen ADHS-Symptomen und Grundhaltungen im Umfeld der Patienten
6.9 Zur Intention der Eurythmietherapie und ihr Zusammenhang mit der Tiefensensibilität
6.9.1 Physiologische Grundlagen der Bewegung
6.9.2 Erlebnisorientierte, seelisch geistige Grundlagen der Bewegung
6.9.3 Zu systemtheoretischen Ansätzen
Literaturverzeichnis
Danksagung
Fazit
Ausblick
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Patient 2
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Patient 1
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Spinario, Dornauszieher[1]
Eurythmietherapie und ADHS (ADHD)-Symptome
Abstrakt
In dieser Studie werden 2 Einzelfälle mit ADHS-Symptomen und deren Behandlung durch Eurythmietherapie (Bewegungstherapie) dargestellt. Beide erhielten in der Therapieperiode kein Methylphenidat (Ritalin/Celesta etc.)
Den Therapeuten hat vor allem die motorische Entwicklung und die Veränderung des hyperaktiven Verhaltens während der Therapieperiode interessiert.
Die Entwicklung der vestibulären Wahrnehmung konnte in den Diagnosestunden signifikant nachgewiesen werden. Durch Aktivierung der Tiefensensibilität und Feinabstimmung des globalen Muskeltonus konnten sich die Patienten vermehrt beruhigen, ruhig stehen, gelassene, geführte Gebärden ausführen. Das oft wenig gesteuerte, manchmal auch traumatisch, impulsiv reagierende und dissozierende Denken, Fühlen und Handeln der Patienten hat sich als Folge davon, trotz widriger biographischer Umstände harmonisiert. Der motorische Ansatz der Therapie ermöglichte es, die Patienten dort abzuholen, wo sie gerade stehen, und ihre beweglichen, kreativen und unternehmerischen Energien zu bündeln. Die fortschreitende Tiefensensibilisierung ermöglichte eine Verstärkung der globalen Feinabstimmung der Muskulatur der Patienten. Die zentrierende Wirkung der Vokal-Gebärden, im Besonderen der grossen U-Übung, konnte in diesem bescheidenen Rahmen eindrücklich nachgewiesen werden.
In der kurzen Therapieperiode wurde keine signifikante Änderung der Selbstorganisation der Patienten festgestellt.
Abstract
The present study details two individual cases with ADHS symptoms (12 and 17 years old) and their treatment by means of Eurythmy therapy (movement therapy). During the treatment period neither of the subjects was administered any methylphenidate (Ritalin, etc).
The therapist's particular focus was on the motor development and the changes in hyperactive behavior during the treatment period.
It was possible to demonstrate a significant development in vestibular perception in the course of treatment sessions. Both subjects' capability of calming down, standing composed, and performing unperturbed, controlled gestures increased, thanks to the activation of proprioception and the fine-tuning of global muscle tone. As a consequence, their thinking, feeling and acting, which initially had frequently been uncontrolled, at times traumatically or impulsively directed and dissociating, became more balanced, in spite of adverse biographical conditions. The psycho-motor approach of the therapeutic method made it possible to meet the patients' actual needs and to focus their motile, creative and initiatory energies. The progressive development of their proprioception fostered a corresponding strengthening of their global muscular fine-tuning. Even though rather modest in its set-up, the study provides impressive evidence for the centering effect of the vowel gestures, in particular of the great U-exercise.
No significant changes in the subjects' self-organization were observed during the short treatment period.
Keywords ADHS-Symptome, Hyperaktivität, Indigokinder, Eurythmietherapie, Heileurythmie, psychiatrische Krankheitsbilder, Entwicklungspädiatrie,
Begriffsklärung
siehe Anhang Band 2
Für die in dieser Arbeit verwendeten Grundannahmen siehe Begriffsklärung:
Anhang Nr. 1 Geisteswissenschaftliche Forschung
Kapitel 1.3 Anthroposophisches Konzept und Menschenbild S.11
Legende
120411 = 11.4.2012
GS/ DB = Kodes von Patienten
funktionale Ebene = energetische Ebene
Vorwort
Vor Ihnen liegen die Ergebnisse eines Einzelfallforschungsprojekts mit Schülern, die ADHS-Symptome aufweisen. Die Schüler, im weiteren Verlauf „Patienten“ genannt, wurden ½ Jahr in ein wissenschaftlich gestütztes Eurythmietherapie- Einzelfallforschungsprojekt aufgenommen. Zwei gleichaltrige Schüler konnten in das Projekt als Kontrollgruppe aufgenommen werden, wurden aber schlussendlich aus Datenschutzgründen nicht mit in die Auswertung genommen.
Die Herausforderung dieses Projekts bestand darin, die Arbeit mit Patienten aufzugreifen, die eine schwierige Lernbiographie hatten und dadurch, vermutlich auch nicht sehr einfach in einen therapeutischen Lernprozess einsteigen konnten.
Mit dieser Arbeit liegen die ersten Ergebnisse einer wissenschaftlich gestützten
Interventionsphase vor. Sowohl die Planungs-, die Durchführungs- wie die Auswertungsphase wurden beschrieben und dokumentiert.
Die strukturierten Tagebuchaufzeichnungen wurden für eine erste Sichtung des Materials ausgewertet. Sie sind im Datenverarbeitungsprogramm MAXQDA+ 2010 eingespeichert und können jederzeit für eine weitere Verarbeitungsrunde verwendet werden. Die Verarbeitung des Materials kann in den nächsten Jahren weitergeführt und zur Kodierung(Intercoderreliabilität) frei gegeben werden.
Das Ringen um mehr Objektivität, Authentizität und Klarheit in der Darstellung des Materials hat dazu geführt, dass ich mich im weiteren Verlauf in der dritten Person als „Therapeut“ ansprechen werde.
Gerade weil, Eurythmie und Eurythmietherapie am Beginn einer Entwicklung stehen, etwas Keimhaftes in sich tragen[2], scheint es mir wichtig, die Wirkung der Therapie mit verschiedenen Untersuchungsmethoden zu durchleuchten. Darum wurden im Design dieses kleinen Projekts qualitative und quantitative Ansätze erprobt.
Ich möchte an dieser Stelle nochmals meinen Patienten und ihren Eltern danken, dass sie die anonymisierten Daten zur wissenschaftlichen Bearbeitung freigegeben haben.
Mir ist sehr wichtig hier noch gegenüber den behandelten Patienten zu betonen, dass die Kräfte, die sie fürs Leben mitbringen, ihre Authentizität, Kreativität und Energie, vielleicht gerade wichtige Ressourcen für die Bewältigung ihrer zukünftigen Lebensaufgaben sind.
Einleitung
Es gibt seit Jahren eine kontroverse Diskussion zum Thema ADHS in der Fachwelt. Viele Eltern werden durch dieselbe und durch eine zunehmende Diagnose von ADHS/ADS bei Kindern im Vorschul- bzw. Schulalter verunsichert. Könnte es sein, dass mein Kind nicht einfach sehr sensibel und beweglich ist und viel Energie und Lebensfreude in ihm steckt? Diese Fragen verhindern immer wieder, dass Eltern den Schritt zur Abklärung wagen, mit Folgen, die sich wiederum auf die gesamte Lernbiographie ihres Sohnes, ihrer Tochter auswirken können. Die Spannung der Lehrmeinungen erstreckt sich vom multimodalen Konzept bis zu spezifischen Kriterien wie dem Abbau von persistierenden frühkindlichen Reflexen.
Schon bei der Diagnose von ADHS fängt das Problem an. Wir leben offensichtlich in einer Kultur, in der Bewegung, Aktivität zurückgedrängt und das heranwachsende Kind wenige Möglichkeiten bekommt, sein Bewegungsbedürfnis auszuleben.
Heute erhalten die Erwachsenen im Umfeld der betroffenen Kinder Fragebögen zu Hyperaktivität, Impulsivität und zu Aufmerksamkeitsdefiziten. Der Fokus wird auf die vermeintliche „Störung“ in der Entwicklung des Kindes gerichtet, Was passiert aber dadurch mit dem Kind? Prof. Dr. Remo H. Largo[3] stellte an diesem Punkt in einem Telefongespräch lapidar fest, dass wir zur Diagnose eigentlich nur die Erwachsenen fragen, ob das Kind sie nervt.
Könnte es nicht sein, dass sich durch diese Fokussierung wiederum die negativ gefärbte Erwartungshaltung des Erwachsenen auf das Kind überträgt?
Andererseits wirkt ein konsequentes Wegschauen, wenn ein Kind in ständiger innerer Getriebenheit leben muss, ebenfalls nicht förderlich. Gerade die mit ADHS-Symptomen geplagten Kinder scheinen im frühen Kindesalter die besten Entwicklungschancen zu haben.[4] Die Rolle von Prävention und Salutogenese scheinen in diesem Zusammenhang sehr wesentlich zu sein.
Ritalin und andere Methylphenidate nehmen in dieser Diskussion einen prominenten Platz ein. Ich möchte mich aber vor allem mit der Frage beschäftigen, ob durch Bewegungstherapie, im Speziellen durch Eurythmietherapie, ein beruhigender Prozess bei hyperaktiven Kindern angeregt werden kann. Ich werde eine möglichst exakte Darstellung von Diagnosekriterien, Prozess und Wirkung einer wissenschaftlich gestützten Therapie mit zwei Patienten mit ADHS-Symptomen geben.
Da es von Steiner keine eurythmische Lautreihe für ADHS-Symptome und nur eine Indikationsreihe für hyperaktive, von ihm maniakale Kinder genannt, gibt, wurden an Hand der Diagnose bei den Patienten drei unterschiedliche Lautkombinationen in klar abgegrenzten Interventionsphasen erprobt.
Beide beobachteten Schüler hatten eine spezielle Biographie in Bezug zu der Medikation mit Ritalin.
Den jüngeren Patient(12.jährig) wollte der ihn begleitende Arzt mit Ritalin im Wechsel zu Placeboproben überprüfen. Er wollte feststellen, ob der Patient auf das Mittel anspreche, um rückschliessend feststellen zu können, dass er unter ADHS leide. Seine Mutter konnte dieses Vorgehen nicht tolerieren, der Patient kam in die Eurythmietherapie.
Der zweite Patient hatte etwa 3 Jahre Celesta 54 (Methylphenidat) und war in der Schule dadurch kaum auffällig. Als er aber mit etwa 16 Jahren das Ritalin absetzte, weil er, so wie er meinte, davon emotional beeinträchtigt („abgelöscht“ wie er sich ausdrückte) werde, zeigten sich verstärkt Hyperaktivität, Konzentrationsmangel und mangelnde Selbstorganisation. Er wollte von sich aus durch Eurythmietherapie etwas gegen diesen Mangel unternehmen.
Bei diesem Patienten waren Anerkennung und Verantwortung, bei jenem die Berücksichtigung von Kompetenzwahrnehmung und Autonomie richtunggebende Motivatoren während den Interventionen des Therapeuten. Ausserdem musste das starke Bewegungsbedürfnis der Patienten berücksichtigt werden.
Der Therapeut hofft, dass diese bescheidene „Fallserie“ nach seinem Master-Abschluss in seiner Bewegungspraxis als weiterführende Studie fortsetzen kann.
Methodik
Die eurythmietherapeutischen Übungen wurden so aufgebaut, dass die hyperaktiven Patienten gemäss ihren Möglichkeiten angesprochen wurden. Wenn Übungen über einen längeren Zeitraum immer wieder wiederholt werden, können sich diese Patienten nicht mehr damit verbinden. Darum wurden mehrere therapeutische Lautgebärden-Übungsreihen geübt. Diese Reihen sollen das Zusammenspiel des oberen und des unteren Menschen, das psychosomatische Gleichgewicht aus unterschiedlichen Perspektiven behandeln.
Die Tagebuchaufzeichnungen wurden folgendermassen strukturiert:
Äusserungen zu der Bewegung an sich (habitueller Aspekt Wie wird die Bewegung ausgeführt?)
Äusserungen zu der Kraft der Energie, mit der diese Bewegung ausgeführt wurde.
(Vitalitätsaspekt Wärme Bewegungsatem Wie atmet dies Bewegung zwischen
Schwere und Leichte? etc)
Äusserungen über die Bewegungsqualität (imaginativer Aspekt/ Beziehung innen/aussen/ synästhetische Vergleiche – als ob dies oder das wäre! Welchen synästhetischen oder imaginativen Eindruck bekommt der Betrachter von der Bewegung?)
Äusserungen zu der Bewegungsführung (intentionaler Aspekt/ aus einem Griff/ zentriert/ Kann Hingabe an die Bewegung entstehen? Wie stark ist die Bewegung auf ein Ziel ausgerichtet? Wie schnell sind Richtungswechsel möglich? etc.)
Der Fokus, worauf der Patient seine Aufmerksamkeit richtet, bestimmt, welche der Bewegungsdimensionen für den Therapeuten sichtbar werden oder eben von ihm nicht wahrgenommen, ausgeblendet werden.
Die Schwierigkeit liegt beim Beobachten von Bewegungsqualität und Bewegungsführung. Wie kann der Therapeut von „aussen“ etwas über die Qualität einer Bewegung oder über deren Intention wahrnehmen? Er kann nur beschreiben wie diese Bewegung auf ihn wirkt, und darauf hoffen, dass durch die eigenen Reaktion auf die Wahrnehmung etwas von dem Empfinden, von der Intention nachvollziehbar wurde, die gerade vom Gegenüber gebildet wurde.[5]
Wir sind dabei auf ein intuitives Verstehen der Wirklichkeit angewiesen, welches ich hier aber deutlich von einem Interpretieren der Wirklichkeit abgrenzen möchte.
Bauer beschreibt ausführlich in seinem Buch „Warum ich fühle, was du fühlst“, was Spiegelneuronen sind, wie sie wirken und unser Verhalten beeinflussen. Wir Menschen scheinen, biologisch gesehen, wie es Bauer ausdrückt, in einem gemeinsamen Bedeutungsraum zu funktionieren. Kurz umschrieben, die Nachahmungsfähigkeit des eigenen Leibes hat direkt mit der spontanen Nachahmungsfähigkeit der Gefühle meiner Mitmenschen zu tun. Durch diese Fähigkeit wird zwischenmenschliche Beziehung gestaltet. Ich kann also Handlungen, Absichten und Gefühle anderer Menschen, die ich beobachte intuitiv verstehen.[6]
Dieses Forschungsprojekt wurde durch eine Kollegin (Eurythmielehrerin und Eurythmietherapeutin) begleitet. Sie konnte beim Entstehen des Therapieplans ihre Ideen einbringen, war in den Diagnosestunden und in einigen Interventionsstunden Beobachterin und Protokollantin und ihr Rat wurde bei der Auswahl des auszuwertenden Materials mitberücksichtigt. Ausserdem gab es Anregungen zum Therapieplan von den Mentoren der Alanus-Hochschule.
Ablaufplan des Forschungsprojektes
Voruntersuchungen/ Kennenlernen der Patienten
1.Diagnosestunde
~10 Interventionsstunden
2. Diagnosestunde
1.Auswertung der Kategorien an Hand der Tagebuchaufzeichnungen des
Therapeuten
~10 Interventionsstunden
3.Diagnosestunde
Forschungs- und Auswertungsmethoden
Teilnehmende Beobachtung und Auswertung einer Auswahl von Tagebuchaufzeichnungen.
Regelmässig wiederkehrende Video-Aufzeichnungen geben dem Therapeuten die Möglichkeit, seine Wahrnehmungen nachträglich zu überprüfen.
Bewegungsdiagnostisches Verfahren nach DMB.(Dietrich Eggert)[7]
Die bei der Ausarbeitung der Tagebuchaufzeichnungen gewonnenen Kategorien werden kodiert und können für weitere Forschungszwecke verwendet werden..
Menschenbild
Die Eurythmietherapie, damals Heileurythmie genannt, wurde 1921 von Dr. Rudolf Steiner als System vorgestellt.[8] ( GA 315) Dieses basiert auf der anthroposophisch orientierten Medizin.
Es ist das Richtziel dieser Arbeit eine Methode zu finden, wie man die Wirkung einzelner eurythmietherapeutischer Übungen dokumentieren kann.
Aus dem Blickwinkel des Verfassers ermöglicht die Anthroposophie Rudolf Steiners einen Denkansatz, der anregt, Natur-und Geisteswissenschaften nebeneinander, miteinander und komplementär zueinander weiter zu entwickeln.
Qualitative Forschungsmethoden und vor allem ein Ansatz, in dem unterschiedliche Entwicklungs-Phänomene synoptisch zusammengeschaut werden, könnten den Forschenden vielleicht in Zukunft ermöglichen, das, was als Abdruck der Individualität des Menschen in einer Biographie sichtbar werden kann, zu erfassen.
Die Geisteswissenschaften, vor allem die Resilienzforschung und Antonowsky[9] mit seinem Modell der Salutogenese[10], haben zum Verstehen von „Voraussetzungen die gesund-oder krankmachend in einer Biographie wirken“ einen wichtigen Beitrag geleistet.
Das anthroposophische Konzept den menschlichen Organismus wird im Anhang Band 2 ausführlich beschrieben und soll im Kapitel 1.4 kurz dargestellt werden.
Dieses Konzept baut auf der Grundlage auf, dass jeder Lebensbereich aus eigenen gestaltenden Kräften aufgebaut wird. Es gibt gestaltende Kräfte für physische, energetisch-lebendige, seelische und durch die Persönlichkeit eines Menschen durchdrungenen Lebensbereiche. Der menschliche physische Organismus wird auf diesen Kräfte aufbauend in einen den Nerven-Sinnespol durchdringenden oberen Menschen und einen den Stoffwechsel-Gliedmassenpol durchdringenden unteren Menschen geteilt welcher über das Rhythmische System miteinander verbunden bleibt. Diese Pole werden entweder durch zentripetal wirkende Wahrnehmungs- und Denkprozess oder durch zentrifugal wirkende Willensprozesse durchdrungen. Das Gefühl entfaltet seine Tätigkeit im Rhythmischen System. Nur dann, wenn die ausgleichende Tätigkeit des Rhythmischen System erhalten bleiben kann entsteht Gesundheit. Bei hyperaktiven Patienten scheinen Wahrnehmungs-und Willensspol nicht miteinander zu korrelieren.
Grobziel der vorliegenden Arbeit:
Das Grobziel dieser Arbeit mit hyperaktiven Patienten ist:
Die Darstellung der Planung des Therapieprozesses und der Auswertung von Beobachtungen an Patienten in der Eurythmietherapie. Die Wirkung von einzelnen Übungen soll festgestellt werden.
Teil 1 Eurythmietherapie
1.1 Was ist Eurythmie?
Eurythmie ist eine Bewegungskunst, die Denken, Fühlen und Handeln des Menschen ganzheitlich ergreift und dadurch, dass sie die Gesetzmässigkeiten der Sprache in Bewegungen abbildet, Sprache sichtbar macht.
Die Laute der Sprache werden durch mit ihnen korrelierende Körperbewegungen ausgedrückt. Es gibt eine Lautgebärde für das A, das B etc.
Diese Laute werden aber, wie bei lebendiger Sprache, nicht einfach monoton aneinander gereiht, sondern bekommen über die Bewegung eine expressive individuelle Aussagekraft, wie sie durch das Wort, einen Satz oder Grundgebärden eines Gedichtes gestaltet werden können.
Die gleich im Anschluss beschriebene Figur stellt den Typus der Gebärde dar. Dieser kann in der Kunsteurythmie im Zusammenhang eines Gedichtes in unzähligen Variationen dargestellt werden. Die Gebärde kann klein, gross, in unterschiedlichen Zonen am Leib (oben/Mitte/unten) mit einem Arm etc. dargestellt werden, soll aber immer, im Fall der U-Gebärde z.B. Parallelität darstellen und in der Kunsteurythmie nur in besonderen Fällen wirklich in der Gebärde ankommen. Normalerweise wird der Fluss der Sprache durch fliessende Übergänge zwischen den Lautgebärden sichtbar gemacht.
Diese Lautgebärden wurden durch Rudolf Steiner[11] auf Anregung der Bildhauerin Edith Maryon (1957) in Skizzen dargestellt. Ursprünglich wurden die Figuren nur mit einem dunklen Stift schraffiert, später hat Edith Maryon dieselben zu farbigen Figuren umgestaltet.
Die oben beschriebenen drei Elemente finden wir in zahllosen Variationen an Farben und Formen in allen 35 Eurythmiefiguren wieder. Sie bilden die Grundelemente der Eurythmie des jeweiligen Lautes ab.
Steiner bezeichnet diese Grundelemente:
Bewegung
Gefühl
Charakter
Die Wirkung zweier Lautgebärden wird hier exemplarisch dargestellt:
Die Lautgebärde U
Das Bild der Laut-Gebärde U zeigt eine stehende Figur, welche ein blaues Kleid trägt, deren Arme eng am Körper parallel nach unten weisen und die einen gelben Schleier wie eine Stola über dem Kleid umgehängt hat. An den Schultern reicht die Farbe der Stola etwas über das Kleid hinaus, wie wenn sie den dargestellten Menschen nach oben ziehen möchte.
Der Kopf ist viereckig und violett, die Arme violett, die Füsse wie ein klobiger Holzklotz, nicht ausdifferenziert, ebenfalls violett.
Die ganze Figur gibt einen kompakten, schmalen und sehr in sich ruhenden, aber doch mit dem oberen Raum verbundenen Eindruck. Die dunklen Farben verstärken diese Wirkung und geben gleichzeitig, da vor allem Blau und Violett vorherrschen, einen passiven, die Seele weitenden, aber trotzdem durch die gelbe, aktive Farbe der darüber gelegten Stola einen wieder zusammengehaltenen Eindruck.
Die Lautgebärde M
Das Bild der Lautgebärde M zeigt eine Figur welche im Profil zum Betrachter steht. Sie trägt ein grünes Kleid. Die Arme der Figur werden auf Schulterhöhe in einer Haltung dargestellt, die Bewegung impliziert. Der rechte Arm scheint gerade nach aussen gestreckt zu sein, der linke Arm nach innen gebeugt, jetzt aber bereitet sich eine Wende beider Hände vor, so dass die Bewegungsrichtung der Arme gewechselt und die umgekehrte Streckung oder Beugung der Arme stattfinden kann.
Die Haltung der ganzen Gestalt ist etwas nach vorne gebeugt. Der Kopf ist in diese Beugung mit hineingenommen, scheint, als würden nur die Zehenspitzen den Boden berühren. Die beiden blauen Schleier drumherum passen sich an die Bewegungsrichtung beider Arme an. Der Schleier des linken Arms scheint etwas nach hinten gedrückt, der des rechten Arms nach vorne gezogen.
Der Arm ist vor allem im Bereich der Extensoren (Armstrecker) dunkelviolett. Im Bereich des Innenarms schimmert das Grün noch etwas durch. Stirn, Nacken und lumbaler Bereich weisen ebenfalls violette Färbungen auf.
Das Kleid weist zusammen mit dem linken Schleier einen diagonalen Zug von vorne unten nach hinten oben auf. Am vorderen zur Spitze des Kleides hin gewandten Teil befindet sich ebenfalls violette Farbe.
Die Füsse weisen ebenfalls eine Haltung auf, als ob sie in Bewegung wären und gerade der nächste Schritt angesetzt würde. Bei einem Fuss befindet sich der Charakter oberhalb des Fussgelenks, beim anderen unterhalb desselben. Der Fuss ist, bis zur Fussspitze ausgefüllt mit Violett.
Die Figur wirkt, als ob sie in sich sehr beweglich wäre und einen besonderen, ganz im dynamischen Gleichgewicht zwischen verschiedenen Bewegungsintentionen stehenden Moment drinnen stehen würde. Die sanftmütigen, passiven Farben von Charakter und Gefühl unterstreichen diesen Eindruck und fügen sich harmonisch in die grüne Bewegung des Kleides ein.
Diese beiden Lautgebärden werden im Verlauf dieser Arbeit eine tragende Rolle spielen und sind darum als einzige am Anfang dieser Arbeit abgebildet und beschrieben.[12]
1.2 Was ist Eurythmietherapie?
In der Eurythmietherapie gibt es für alle Laute des Alphabets entsprechende Bewegungen ( siehe oben M und U) und für fast alle Laute Figuren, an denen man sich orientieren kann. Diese können auch zu Wort- oder Lautreihen zusammengestellt werden, je nach Indikation. Der Patient übt immer wieder dieselbe Bewegung und soll durch diese Wiederholung der Übungen zu bestimmten Krankheits- Symptomen behandelt werden.
Eurythmietherapie beschäftigt sich ähnlich wie die Psychomotorik mit dem Phänomen, wie Bewegung und damit unweigerlich verbundene Ich-Aktivierung gesundend auf den ganzen Menschen zurückwirken kann.
In der Eurythmietherapie wird der Versuch gemacht, die Seele in ihrer „Klangfarbe“ zu behandeln, diese wirkt wiederum auf den Körper zurück und kann dadurch helfen Schmerzsymptome zu lindern.
Die oben bereits dargestellten Übungselemente dieser Lautreihen sind:
Bewegen mit dem Leib im Raum die Bewegungsgrundlage = das Kleid
Erleben des Verhältnisses zwischen Bewegendem und Raum, in dem die Gebärde gestaltet wird Bewegungsqualität = der Schleier
Charakteristische Impulsierung der Gebärde Bewegungsimpuls = der Charakter
Ausgehend von dem oben angedeuteten Menschenbild wird mit dieser Dreiheit durch die Lautgebärde der ganze denkende, fühlende und handelnde Mensch angesprochen. Dadurch aber, dass die in der Lautsprache verborgenen Bewegungsimpulse durch den gesamten „Bewegungsapparat“ sichtbar gemacht werden, kann die Wirkung der Laut-Gebärde auf den ganzen Menschen wiederum rückkoppelnd verstärkt werden.
In der Eurythmietherapie wird ausserdem, ausgelöst durch konsequentes Wiederholen derselben Laut-Gebärde, ganz anders als in der Kunsteurythmie die Wachheit, die im Alltag normalerweise im Nerven-Sinnespol konzentriert ist, zurückgedrängt und auf den Bewegungsmenschen, den Stoffwechsel-Gliedmassenpol konzentriert.
Rudolf Steiner[13] spricht bei dieser Art des Übens davon, dass durch das „innere Abfotografieren“ [innerlich imaginieren - d. Verf.] der Lautgebärde und durch das „Nachlauschen“ [ruhig auf sich im Nachhinein wirken lassen - d. Verf.] derselben, der Charakter des jeweiligen Lautes noch verstärkt werden kann
Es gibt Lautgebärden-Übungsreihen für zahlreiche, nicht nur somatisch bedingte Krankheitsbilder. Rudolf Steiner geht sogar soweit, dass er sagt, man könnte mit bestimmten Übungen Zahnkorrekturen machen.[14]
Durch die Eurythmietherapie wird der Seele die Möglichkeit gegeben, dort wo sich Denken, Fühlen und Wollen im Leib verhakt haben, sich wieder zu weiten und neue Impulse in sich aufzunehmen.
Die Impulse kommen bei dieser Therapieform nicht nur aus dem Eigenseelischen, sondern wirken über die Urbilder der Lautgebärden aus dem Umkreis (klingendem Raum) heraus auf den physischen Leib.
In der Psychomotorik wird der zu behandelnde Klient in seinem seelischen Umfeld wahrgenommen und behandelt. Es ist dem Verfasser sehr wohl bewusst welche wohltuende Wirkung von einer seelisch ausgleichenden Therapie, in der die Aspekte von Geborgenheit, Entwicklung und Anerkennungsbedürfnis[15] der Patienten angesprochen werden, ausgehen kann. Siehe auch die kleine Schrift Begegnung-Eurythmietherapie und Strabismus.[16]
In der Eurythmietherapie wird anders als in der Psychomotorik nicht „nur“ seelisch mitgestaltet. Es kommt, der oben beschriebene spirituelle Aspekt dazu. Der Eurythmietherapeut versucht bei den in der Sprache wirksamen Kräften anzuknüpfen, die wie beim gesprochenen Wort aus dem Umkreis, dem klingenden Raum hereinwirken. Diese Kräfte können als Logos Kräfte betrachtet werden, die einen spirituellen Umkreis abbilden und von dort ausgehend gesundend in den physischen Leib eingreifen können.
Leib, Seele und Geist sollen ernst genommen werden, auch wenn wir die geistigen Aspekte der Therapie nur erahnen und mit unserem momentanen Denken noch nicht klar festhalten können.
Diese obigen Ausführungen werden aber bei Schülern nicht in die Therapiestunde einfliessen. Dort kann der Therapeut, gerade bei Kindern und Jugendlichen, die grundsätzlich eine starke emotionale Offenheit mitbringen, die vermutete und erhoffte Wirkung der Laute direkt und immer wieder überraschend unerwartet in einzelnen Bewegungsmomenten wahrnehmen.
Das Kind soll sich spielerisch in diese Gebärdensprache einleben können und mit der Zeit selber merken, was ihm gut tut.
1.3 Das anthroposophische Konzept des menschlichen Organismus und Ansatz zu einer Pathogenese
Die oben dargestellte vereinfachte Darstellung der Dreigliederung des menschlichen Organismus differenziert und verfeinert sich bei näherer Betrachtung des Menschen.
J. Schwab hat eine sehr übersichtliche Darstellung dieser Ausdifferenzierung ausgearbeitet, die für diese Arbeit zur Verfügung gestellt wurde. Der Verfasser hat sie vor allem an einer Stelle bei der Übersetzung erweitert (IV) um die im Menschen wirksamen Gesundheitskräfte im Gegensatz zu den Krankheitskräften für diese vorliegende Arbeit noch klarer zu charakterisieren.[17]
I Das Vier Ebenen-Konzept der gestaltenden Kräfte
Geht davon aus, dass die gestaltenden, formenden Kräfte im menschlichen Organismus über vier Ebenen wirksam werden:
gestaltende physische Kräfte, gestaltende vegetative Kräfte, gestaltende seelische Kräfte, gestaltenden Ich-Kräfte
II Das dreigliedrige Modell der menschlichen Konstitution
Wenn aktive Gestaltungsbewegung und passive sinnliche Wahrnehmung aufeinander treffen, gliedert sich der physische Organismus in:
Nerven Sinnessystem: der Wahrnehmungspol dominiert, Seele und Geist sind relativ getrennt von den unteren Gestaltungskräften, Innenraum bildet sich.
Stoffwechsel Gliedmassensystem: Die Verbindung von Geist, Seele und Körper ist enger, was die Voraussetzung für persönlich intendierte Körperbewegungen schafft.
Das beide Systeme miteinander verbindende und ausgleichende
Rhythmische System.
Diese drei Konstitutionsschichten des physischen Leibes, sind auf der seelischen Ebene mit Wahrnehmungs- und Vorstellungvermögen, mit Wille und Gefühlsäusserungen verbunden.
III Das Konzept der zyklischen Reifung
In der Kindheit werden diese Systeme in Siebenjahrzyklen fortschreitend entwickelt und sind erst mit +/- 21 Jahren vollständig ausgebildet.
IV Das Konzept der zentripetalen und zentrifugalen Kräfte und ihre Bedeutung für die menschliche Gesundheit
Bei der zentripetalen Bewegung der Wahrnehmungs- und Nervensinnesprozesse wird Innenraum gebildet und werden Lebenskräfte abgebaut.
Bei der zentrifugalen Bewegung der Willens und der Stoffwechsel-Gliedmassenkräfte wird Aktivität entfaltet und Lebenskräfte werden aufgebaut.
Bei der ausgleichenden Bewegung des rhythmischen Systems entsteht im Lungensystem ein abgeschwächter Nerven-Sinnesprozess, im Herz-Kreislaufsystem ein abgeschwächter Stoffwechsel-Gliedmassenprozess, der im rhythmischen Wechsel beider Systeme pulsierend Ausgleich schafft und Gesundheit erhält.
V Dislokation des gesunden Zustandes führt zur Pathogenese
Dominieren beim Menschen die oberen Nerven-Sinnesprozesse, entsteht ein durch „Einatmung dominiertes oberes System“ d.h. ein hoch-aufmerksamer, lebendiger Habitus, im Extremfall übererregt und nervös.
Dominieren beim Menschen die unteren Stoffwechsel-Gliedmassenprozesse, entsteht ein durch „Ausatmung dominiertes unteres System“ d.h. ein geerdeter, entspannter Habitus, vielleicht auch dumpf und gleichgültig, im Extremfall mit völligem Bewusstseinsverlust.
1.4 Was sind ADHS-Symptome?
Das sogenannte ADHS-Syndrom wird in der heutigen Medizin kontrovers diskutiert (siehe unter anderem Köhler[18], Döpfner/ Lehmkuhl[19], Leuzinger - Bohleben, Brandl, Hüther[20], Ruf-Bächtiger et al.[21] ) und in zahlreichen Forschungen untersucht.
ADHS ist seit 1978 in die ICD-Kriterien aufgenommen ist und die Diagnose wird vor allem im letzten Jahrzehnt auch in der Schweiz immer häufiger gestellt.
Da noch keine Biomarker für ADHS gefunden wurden, wird für die Diagnose mittels Fragebogen und Interviews von Eltern und anderen Bezugspersonen (Lehrkräften) eine Auslegeordnung gemacht und ausgewertet.
Es gibt drei Problemfelder:
Unaufmerksamkeit: starke Ablenkbarkeit/ Konzentrationsschwäche
Hyperaktivität: unruhiges Verhalten/ zappeln ec.
Impulsivität: Entscheidungen nicht abwarten können/ ungeduldig werden/
impulsives reagieren/ gewalttätig werden.
ADHS darf diagnostiziert werden, wenn:
der Patient ein halbes Jahr dieses Verhalten aufweist,
an zwei Lebensgebieten ähnliche Verhaltensweisen auftreten,
der Patient bereits vor dem 7./6. Lebensjahr einen Teil der Beschwerden hatte,
das Verhalten nicht der Entwicklungsstufe des Kindes entspricht,
ausserdem erst dann, wenn er selber und das Umfeld beträchtlich darunter
leiden.
Ausserdem wird in den modernen Diagnoseverfahren nach der Komorbidität gefragt. Das kann unter anderem eines oder mehrere der unten dargestellten Störungen sein:
Oppositionelles Verhalten
Störung von Sozialverhalten
Affektive Störungen
Angststörungen etc.
Merke: ADHS ist, nach gegenwärtigem Konsens[d.Verf.], keine diskrete eindeutige Störung, die entweder ganz oder gar nicht auftritt, sondern wir beobachten in der Praxis fliessende Übergänge von verschiedenem ADHS-Verhalten. [22]
Hier gibt es weiterhin Forschungsbedarf. Der Verfasser möchte in dieser Richtung etwas beitragen. Er richtet seinen Fokus, wie bereits oben erwähnt, auf den Teilbereich Hyperaktivität.
Der Verfasser hat Fragebogen von Döpfner/ Lehmkuhl[23] vor und nach der Therapie an Eltern, Lehrer Patienten verteilt. Die Auswertung derselben wird aus Platzgründen und weil bereits einige Abklärungen, wie bei der Einleitung erwähnt wurde, stattgefunden haben,[24] nicht in dieser Arbeit berücksichtigt.
1.5 Therapieziele
Die Behandlung von Hyperaktivität; Im Besonderen wird darauf geachtet, die Entwicklung eines körperlichen, seelischen und geistigen Gleichgewichts zu unterstützen und diese Patienten auf ihre Stärken hinzuweisen. Diese Patienten sollten nach den Interventionseinheiten über einen längeren Zeitraum entspannt ruhig stehen können.
Die Herausforderung an den Therapeuten wird sein:
Mit welcher eurythmietherapeutischen Übung kann ich diesen Menschen beruhigen?
1.6 Methodische Hinweise des Therapeuten für Patienten während Interventionsstunden
Der Therapeut versucht die Patienten von Beweglichkeit zur Ruhe hinzuführen, die Tiefensensibilisierung und Feinabstimmung der Muskulatur zu verstärken, ihnen die Möglichkeit zu geben eigene Wärmeausstrahlung wahrzunehmen und ihre Eigenbewegung mehr von innen (zentrifugal) ergreifen zu können. Bei diesen Patienten ist es wesentlich, immer wieder neu das Interesse für die Gebärde zu wecken und die Tendenz, schneller werden zu wollen, umlenken zu können.
Die Vielfalt der Übungen orientiert sich an den Patienten. Sie sollen immer wieder durch neue Anreize in der Therapiestunde angeregt werden. Dadurch erwartet der Therapeut, dass Momente in der Stunde entstehen, in denen eine gewisse Sättigung dieser Reize stattfindet. In diesen Momenten kann die beruhigende Wirkung von bestimmten Laut-Gebärden und Übungen eingesetzt werden.
1.7 Zusammenfassung Teil 1
Im Vorspann wurde diese Arbeit in den Kontext unserer Zeit gestellt, die Perspektive dargestellt, aus der dieses Forschungsprojekt entstanden ist und erste methodische Hinweise wurden gegeben. Im ersten Teil wurden Eurythmietherapie und ADHS-Symptome und das anthroposophische Konzept vorgestellt. Ausserdem wurde die Grundannahme der gestaltenden Kräfte als Arbeitshypothese in das Projekt aufgenommen und kann durch die Art, wie beobachtet wurde, immer wieder reflektiert werden. Die physische, die energetische, die seelische und die intentionalen Kräfte sollen immer wieder reflektiert werden. Ausserdem wird das Therapieziel für das Projekt vorgestellt.
Dissoziation ist eines der Grundthemen dieser Patienten, die Frage ist immer wieder, welche Kräfte können die Seele „gesund“[25] zusammenhalten. Die Biographieforschung scheint Möglichkeiten zu bieten Lebensthemen von Patienten zu verstehen. Zu den naturwissenschaftlich gestützten Perspektiven zum Thema ADHS- Symptome sollte in dieser Arbeit ergänzend eine geisteswissenschaftliche Perspektive gestellt werden.
Teil 2 Methoden und Mittel
2.1 Die Wahl der Methoden und der Mittel
Hier soll versucht werden die Wahl der Einzelfallserie für Forschungszwecke und die Wahl der Auswertungsmethoden zu begründen.
2.2 Forschungsvorgehen
Der Verfasser entscheidet sich, weil die Biographieforschung nahe an die Problematik der Patienten mit ADHS-Symptomen kommt, für die qualitatative Forschung und im Besonderen für Cognition-based- Medizin( CBM)[26].
Mit dieser Methode wird es möglich, unter bestimmten Gesichtspunkten Einzelfallstudien zu dokumentieren, deren Auswertungen zu diskutieren, miteinander zu vergleichen und, wenn genügend Einzelfallstudien zum selben Thema vorhanden sind, zu einem validen Ergebnis zu kommen.
Was ist qualitative Forschung?
Qualitative Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt und ist heute eine in vielen Bereichen anerkannte Form wissenschaftlichen Forschens. Sie arbeitet mit Methoden, die es ermöglichen, die Lebenswelten der Menschen von innen heraus zu erforschen. Die qualitative Forschung geht davon aus, dass in den Handlungen der Akteure immer implizit einiges Wissen verborgen ist, dessen sie sich selber nicht bewusst sind. Dieses implizite Wissen bewusst zu machen, ist das Ziel der Forschungsprojekte. Es gibt sehr unterschiedliche Methoden und Ansätze aber eines haben alle gemeinsam, sie arbeiten mit:
Teilnehmender Beobachtung, Tagebüchern, Interviews, Videoaufnahmen, Gruppengesprächen, Fragebögen und deren Auswertung...
Was ist CBM?
CBM (Cognition-based-Medicine) ist ein neu entwickeltes methodologisches System in der Medizin. Ausgangskriterium ist die kriteriengestützte, valide und verlässliche Wirksamkeitsbeurteilung am einzelnen Patient.[...] CBM ermöglicht eine methodologische Professionaiisierung des ärzlichen Urteils, sowie eine Explikation von ärztlicher Erfahrung und ärztlicher Expertise.[...][27]
Die heutige medizinische Forschung stützt sich auf eine Wirksamkeitsbeurteilung aus randomisierten, doppelblinden gross angelegten Studien. Durch die Entwicklung von Cognition Based Medicine wurde der Boden geschaffen, eine Wirksamkeitsbeurteilung im bescheidenen Rahmen eines Einzelfalls wieder in Erwägung ziehen zu können.
CBM geht davon aus, dass die Gestalt, die Ursache von etwas sich in der Wirkung davon wieder abbildet. (das Wagenrad bildet sich im Boden ab und umgekehrt kann jeder, der das sieht und ein Wagenrad kennt, unmittelbar, evident einsehen, wenn er diesen Abdruck sieht, dass da ein Wagenrad war). Mit diesem unmittelbaren Vergleich der direkten Erkennbarkeit, Evidenz von Ursache und Wirkung möchte dieser Ansatz arbeiten. Der Therapeut arbeitete in diesem Projekt mit den Patienten ebenfalls in dieser Richtung. Wie war die Ausgangslage? Welche Veränderungen wurden wahrgenommen. Wie kann der Prozess des sich Veränderns beschrieben werden? Wie war der Patient davor und wie danach? etc.
2.3 Die Wahl der Erhebungsmethoden
Für den Therapeuten war teilnehmende Beobachtung der Wirkung der verschiedenen eurythmietherapeutischen Interventionen am besten handhabbar. Darum wählte er die Methode strukturierter Tagebuchaufzeichnungen. Während den Diagnosestunden und einigen Interventionsstunden wurden Videoaufzeichnungen gemacht, die bei der Auswertung und Überprüfung der Daten behilflich waren.
Therapeut und Expertin beachteten folgende Massnahmen zur Verhinderung von Beobachtungsfehlern (beschrieben von Steiger- Lippmann[28] ):
1.Systematisch Beobachten
2.Trennen sie klar zwischen Beobachten Festhalten der Beobachtung
Beurteilen Interpretieren
3.Hinterfragen Sie die Richtigkeit des eigenen Urteils kritisch
4.Nutzen Sie Möglichkeiten sich mit anderen abzustimmen und arbeiten Sie mit verschiedenen Verfahren
5.Unterscheiden Sie bewusst zwischen dem was Sie sehen wollen, und dem, was Sie sehen.
Die verschiedenen Items wurden folgendermassen berücksichtigt:
1. Der Therapeut hat die Tagebuchaufzeichnungen nach Übungen strukturiert und die, bei jeder Übung gemachten Aufzeichnung wiederum geordnet nach:
Beobachtungen, von Motorik und Energie der Bewegung,
deren Erlebnisqualität und danach,
ob diese aus einem Griff gestaltet, geführt wurden
Pädagogische, therapeutische Bemerkungen finden man im Text davor oder danach
2. Der Therapeut unterscheidet zwischen Beobachten von Bewegungen und deren Resonanz auf den Therapeuten, denn er kann, was die Erlebnisqualität und die Intention der Gebärde betrifft, nur davon ausgehen, wie sie auf ihn wirkt[29]
3. In dieser Arbeit soll die Wirksamkeit der Therapie hinterfragt werden können
4. In den Diagnosestunden und in jeweils drei Interventionsstunden war eine
Expertin anwesend. Die Vielfalt der Verfahren wäre erst gegeben, wenn im Anschluss an diese Masterarbeit die Videos ausgearbeitet und transkribiert würden
5. Diese Aufgabe ist für den Bereich, in dem es um die Erlebnisqualität der Gebärde und über die Intention, den Bewegungsimpuls geht, am schwierigsten zu gestalten. Die Therapeuten sind sich dessen bewusst und hinterfragen immer wieder ihre diesbezüglichen Aussagen.
2.4 Die Wahl der Auswertungsmethoden
Die Auswertung der Daten orientiert sich an der qualitativen Forschung, teilweise an Vorgaben von Mayring[30], teilweise an Kiene[31]
Bei Mayring beschäftigte sich der Verfasser mit der Fragestellung ob dieses für Interviews entwickelte Verfahren auch für die Auswertung von Tagebuchaufzeichnungen zur Bewegungstherapie gebraucht werden kann. Bei der Suche nach brauchbaren Kategorien war dieses Verfahren sehr nützlich, bei der weiteren Analyse der Daten hat sich der Verfasser eher am einfachen Vergleich davor und danach orientiert.
Durch die qualitative Inhaltsanalyse wird im Gegensatz zur freien Interpretation des Materials darauf geachtet, dass eine methodisch kontrollierte Textauswertung, in diesem Fall der Tagebuchaufzeichnungen, stattfinden kann. Folgende Grundsätze werden berücksichtigt:
Einordnung in ein Kommunikationsmodell: Es soll festgelegt werden, was das Ziel der Analyse ist.
Regelgeleitetheit: Das Material wird in Analyseeinheiten zerlegt.
Arbeiten mit Kategorien: Die Analyseaspekte werden in Kategorien gefasst, die genau begründet werden[sic.] und im Lauf der Arbeit überarbeitet werden.
Gütekriterien: das Verfahren soll intersubjektiv nachvollziehbar sein, seine Ergebnisse mit anderen Studien vergleichbar machen und Reliabilitätsprüfungen (Intercodeerreliabilität) einbauen.[32]
2.5 Die Auswertung des quantitativ verwertbaren Materials
Die Auswertung der messbaren Werte zur motorischen Entwicklung des Gleichgewichts soll durch Säulendiagramme dargestellt werden.
Während den Tests wurden in den der Diagnosestunden Messungen zu der motorischen Entwicklung der Patienten gemacht.[33] Die Ergebnisse dieser Messungen sollen im vierten Teil dieser Arbeit dargestellt werden.
Die Tests der Diagnosestunde:
1. Spannbogen (auf dem Bauch liegend Beine und Arme hoch strecken)
2. Balancieren auf der Langbank
3. Zehenspitzenstand
4. Schlussprung
5. AEAU Sprungtanz
Während dieser Tests wurde die Zeit mit einer Stoppuhr gemessen und die Anzahl der gemachten Sprünge oder die gelaufenen Längen auf der Langbank gezählt, zum Beispiel:
Die Zeit wurde gemessen, die ein Patient ruhig stehen konnte.
Beim Spannbogen wurde gemessen, wie lange es dauerte, bis er keine Kraft mehr in den Armen hatte.
Beim Balancieren auf der Langbank wurde gemessen, wieviel Längen er schaffte, ohne herunterzufallen.
Beim Zehenspitzenstand war es wichtig, wie lange er auf den Zehen stehend mit geschlossenen Augen das Gleichgewicht halten konnte.
Beim Schlusssprung wurde gemessen, wieviel Sprünge der Patient nacheinander schaffte, und wie lange es dauerte, bis er nach dem Sprung wieder das Gleichgewicht fand.
Die oben beschriebenen Übungen Nr. 1 - 4 wurden vom Therapeuten aus dem diagnostischen Inventar für motorische Basiskompetenzen entnommen und für die Eurythmietherapie-Diagnose für diese Altersstufe angepasst.[34] Die Sprungtanzübung orientiert sich am Raum-Zeit-Inventar vom selben Autor.[35]
[...]
[1] siehe Spinario, Dornauszieher
[2] Barfod 1992:10 (Barfod, 1992)
[3] Telephonnotiz 19.9.2011
[4] Leuzinger-Bohleber et al 2006
[5] Bauer 2006:15
[6] Bauer 2006:55
[7] Eggert 2008
[8] Steiner 1981
[9] Antonowsky 1997
[10] siehe Begriffsklärung im Anhang
[11] Steiner 1957
[12] siehe 4
[13] Steiner 1981:32/58
[14] Steiner 1981:105
[15] Largo 2003:233
[16] Langmair 2009:7
[17] Siehe Anhang Nr.2
[18] Köhler 2008:9
[19] Döpfner & Lehmkuhl 2006
[20] Leuzinger-Bohleben, Brandl, Hüther 2006
[21] Ruf-Bächtiger et al. 1998
[22] Caterina Gawrilow 2009:16
[23] Döpfner; Lehmkuhl 2006
[24] siehe auch Anhang Nr.12/13
[25] siehe Antonowsky 1997
[26] Kiene 2001
[27] Kiene 2005:301
[28] Steiger, Lippmann 2008: 76
[29] siehe Methodik
[30] Mayring 2010
[31] Kiene 2001
[32] Mayring 2008:10
[33] siehe Anhang Nr. 7 Geschicklichkeitsparcour
[34] Eggert:193: 135,150,146,137,
[35] Eggert, Bertrand 2002:293
- Quote paper
- Herbert Langmair (Author), 2012, Eurythmietherapie und ADHS Symptome - Band 1, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204816
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