Der Verfasser greift mit dem Konzept der "Ökonomisierung" einen Umbruch in der Bestattungskultur auf, den er selbst aus erster Hand beobachtete - Sven Friedrich Cordes arbeitet in einem Bestattungsunternehmen bei Hannover - und dessen konkrete Ausprägung als Discount-, Sozialamts- und Ordnungsamtbestattung bisher sozialwissenschaftlich kaum thematisiert wurde. Mit seiner genauen Kenntnis der rechtlichen, bürokratischen und sozialen Rahmenbedingungen will Sven Cordes die Vorbehalte bisheriger Forschungen gegen den "Werteverfall" relativieren. Dabei gelingt es ihm, die Heraufkunft ökonomischer Erwägungen bei den Hinterbliebenen und bei den Lebenden, die nach ihrem Tod "niemandem zur Last fallen" wollen, zeitgeschichtlich plausibel zu machen und zu zeigen, wie daran der Rückzug der Versicherung - Streichung des Sterbegeldes im Jahr 2004 - beteiligt ist.
Die Arbeit (53 Seiten Text, 7 Seiten Literatur, umfängliche Dokumentation zu Friedhofsgebühren und Bestattungskosten im Anhang) schlägt einen grossen Bogen: einleitend beschreibt er Stationen vom mittelalterlichen Kirchhof bis zur in den letzten Jahrzehnten wachsenden Tendenz, Bestattungen zu anonymisieren, um dann im Hauptteil die faktische Rechenhaftigkeit der Institutionen und Behörden mit Discountbestattungsangeboten und behördlich geregelten Sozial- und Ordnungsamtsbestattungen in der Tiefe auszubreiten und die Gründe für die "Wahl" einer Bestattung im nicht gekennzeichneten Urnengrab zu beschreiben. Mehrere Einsichten werden herausgearbeitet, insbesondere betont Cordes den Schwund "christlich geprägter Konventionen und eine Zunahme von (...) vernunftbasierten Handlungselementen", welche die Bestattungsart als Wahl zwischen "Optionen" nahelegen. Cordes achtet aber vor allem auf die Zwänge, die von seiten der Behörden ausgeübt werden, wenn diese die Kosten übernehmen: sie erlauben mitnichten eine "Wahl" der Angehörigen. Auch wird deutlich, dass der gesamte Hintergrund des Bestattungswesens neu strukturiert wurde, insofern die Einnahmen der Friedhöfe durch den "sinkenden Flächenbedarf" zurückgehen oder die Krematorien in den 1990er Jahren privatisiert wurden. "Ökonomisierung" zeigt sich als Einzug von Kostenberechnung, Preisvergleich und Suche nach "Einsparmöglichkeiten" im Falle des Todes ebenso wie als "Richtungswechsel der postmortalen Fremdbestimmung", insofern nun die noch lebende, zukünftige Leiche über ihre Bestattungsart, auch anonymer Weise verfügt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Entwicklung der Bestattungskultur in Deutschland
- Der mittelalterliche Kirchhof
- Die Auslagerung des Friedhofs — Trennung von Grab und Kirche
- Der kommunale Friedhof und die bürgerliche Bestattungskultur
- Das Bestattungsunternehmen
- Die Feuerbestattung
- Die Entwicklung des Friedhofes im 20. Jahrhundert
- Der Reformfriedhof
- Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg
- Anonymisierung der Bestattungskultur
- Folgen für die Friedhöfe
- Aspekte der bestattungskulturellen Miniaturisierung
- Discountbestattungen
- Umfang und Einsparpotenziale
- Entstehung — Gründe auf Kundenseite
- Entwicklung — Gründe von Anbieterseite
- Sozialamtsbestattungen und Ordnungsamtsbestattungen in Theorie und Praxis
- Sozialamtsbestattungen
- Ordnungsamtsbestattungen
- Diskrepanzen zwischen Rechtsprechung und Praxis
- „Ich will ja niemanden zur Last fallen!" — Über die Wahl von anonymen Bestattungen im Rahmen der Bestattungsvorsorge
- Die Bestattungsvorsorge
- Die anonyme Bestattung
- Gründe
- Folgen
- Zur Kritik des Wandels in der Bestattungskultur
- Feuerbestattung
- Anonyme Bestattung
- Discountbestattung
- Fazit und Ausblick
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Bachelorarbeit befasst sich mit der Ökonomisierung des Bestattungswesens in Deutschland. Ziel ist es, die Gründe für den Wandel der Bestattungspraxis von der traditionellen Beerdigung hin zur anonymen Feuerbestattung zu untersuchen.
- Entwicklung der Bestattungskultur in Deutschland
- Einfluss von Ökonomisierung und Technisierung auf Bestattungsformen
- Bedeutung von Discountbestattungen und anonymen Bestattungen
- Rechtliche Rahmenbedingungen und Praxis von Sozial- und Ordnungsamtsbestattungen
- Kritik am Wandel der Bestattungskultur
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Ausgangspunkt der Untersuchung beschreibt und die Relevanz des Themas hervorhebt. Anschließend wird die Entwicklung der Bestattungskultur in Deutschland von den mittelalterlichen Kirchhöfen bis zur Anonymisierung der Friedhöfe im 20. Jahrhundert beleuchtet. Dabei werden die verschiedenen Phasen der Friedhofsverlagerung, die Einführung der Feuerbestattung und die Entstehung des Bestattungsunternehmens als wichtige Meilensteine der Modernisierung des Umgangs mit dem Tod dargestellt.
Im dritten Kapitel werden Discountbestattungen analysiert. Es werden die Gründe für die Entstehung dieses Trends auf Kundenseite und Anbieterseite untersucht. Dabei wird deutlich, dass der zunehmende Preisdruck und die veränderten Konsumgewohnheiten in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen.
Kapitel 4 befasst sich mit Sozialamtsbestattungen und Ordnungsamtsbestattungen. Hier wird die Praxis der Behörden im Vergleich zur Rechtslage analysiert. Es wird gezeigt, dass die Behörden häufig eine anonyme Feuerbestattung ohne Trauerfeier bevorzugen, obwohl dies gegen geltendes Recht verstoßen kann.
Im fünften Kapitel wird die Bestattungsvorsorge und die Wahl von anonymen Bestattungen in diesem Kontext untersucht. Es werden die altruistischen und pragmatischen Gründe für die Entscheidung für eine anonyme Bestattung sowie die möglichen Folgen für die Angehörigen betrachtet.
Das sechste Kapitel befasst sich mit der Kritik am Wandel der Bestattungskultur. Es werden die Argumente von Kritikern der Feuerbestattung, der anonymen Bestattung und der Discountbestattung beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass die Kritik häufig von traditionellen Bestattern mit ökonomischen Interessen oder von Kirchenvertretern mit ideologischen Vorbehalten geäußert wird.
Die Arbeit endet mit einem Fazit und Ausblick. Es wird zusammengefasst, dass die Ökonomisierung des Bestattungswesens einen tiefgreifenden Wandel der Bestattungspraxis bewirkt hat. Es wird erwartet, dass der örtliche Friedhof als traditioneller Schauplatz von Tod, Trauer und Erinnerung weiter an Bedeutung verlieren wird.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Ökonomisierung, die Bestattungskultur, die Feuerbestattung, die anonyme Bestattung, die Discountbestattung, die Sozialamtsbestattung, die Ordnungsamtsbestattung, die Bestattungsvorsorge, der Friedhof und die Trauerkultur. Die Arbeit beleuchtet die Veränderungen im Umgang mit dem Tod in der modernen Gesellschaft und untersucht, wie ökonomische Faktoren das Bestattungshandeln beeinflussen. Dabei werden die verschiedenen Bestattungsformen und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Kritik am Wandel der Bestattungskultur analysiert.
- Quote paper
- Sven Friedrich Cordes (Author), 2012, "Ich will ja niemandem zur Last fallen", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202784