Die Romane Vargas Llosas faszinieren gleichermaßen Literaturkritiker wie Genussleser: „Unputdownable“ lautet das ebenso triviale, wie zutreffende Attribut mit dem die populäre Tagespresse die Romane des Hispano-Peruaners versehen hat, „zeitlose Weltliteratur“ der Status, den die Literaturkritik den Werken Mario Vargas Llosas zuspricht.
Die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinen Werken konzentriert sich schon zu Beginn der Rezeptionsgeschichte stark auf die technischen Fertigkeiten Vargas Llosas und betont immer wieder deren hohen Anspruch und außergewöhnliche Ausführung.
Dass die erzähltechnischen Aspekte seines Werkes in das Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion rücken, ist nicht zuletzt auf die Aktivitäten des Autors selbst zurückzuführen. Vargas Llosa beschränkt sich nicht auf die praktischen Aspekte literarischen Schaffens, nämlich das Schreiben von Fiktionen, sondern beschäftigt sich ebenso ausgiebig mit den theoretischen Belangen seines Metiers. Neben Essays und größeren Arbeiten zu Werken zeitgenössischer und klassischer Autoren lässt er dabei auch sein eigenes Werk nicht unreflektiert. Vargas Llosa geht soweit, eine "Theorie des Romans" zu entwickeln, die sowohl seine eigenen Erfahrungen als Schriftsteller, als auch die Auseinandersetzung mit den Werken anderer Autoren verarbeitet.
Weite Teile dieser erzähltheoretischen Arbeiten widmen sich der Organisation des narrativen Materials. Vargas Llosa entwickelt dabei eine eigene Terminologie narrativer Techniken. Vier erzählerische Vermittlungsmethoden stehen hier immer wieder im Vordergrund: die "vasos comunicativos", die "caja china", die "muda" und der "dato escondido". Die vorliegenden Arbeit stellt diese Erzähltechniken vor, beschreibt ihre Funktionsweisen und analysiert die Umsetzung der Techniken innerhalb der Prosa Vargas Llosas. Als Untersuchungsgegenstand dienen dabei zwei Romane des Autors: "Das grüne Haus" und "Der General und sein Frauenbatallion".
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Vorgehenweise
2. Eine kurze Einführung in die Romane
2.1. La casa verde
2.1.1 Die Gliederung – Ein Schaubild
2.1.2 Zusammenfassung der Handlungsstränge
2.2. Pantaleón y las visitadoras–
2.2.1 Die Gliederung – Ein Schaubild
2.2.2 Zusammenfassung der Handlung
3. DieAcotacionesinPantaleón y las visitadoras
4. Quatro principios estrategicos–
4.1. Fragmentierung
4.1.2 Fragmentierung inLa casa verde
4.1.3 FragmentierungPantaleón y las visitadoras –
4.2. Die Technik derCaja china
4.2.1 DieCaja ChinainLa casa verde
4.2.2 DieCaja ChinainPantaleón y las visitadoras
4.3 Die Technik derVasos comunicantes
4.3.1 DieVasos comunicantesinLa casa verde
4.3.2 DieVasos comunicantesinPantaleón y las visitadoras
4.4 Die Technik derMudao elsalto cualitativo
4.4.1 Muda o el salto cualitativoinLa casa verde
4.4.2 Muda o el salto cualitativoin Pantaleón y las visitadoras
5. Schluss
6. Anhang
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Jorge Mario Pedro Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa, Peru, ist einer der bekanntesten Intellektuellen Südamerikas. Neben seiner umfangreichen Tätigkeit als Romancier ist Vargas Llosa auch als Theaterschreiber, Journalist, Politiker und Literaturwissenschaftler in Erscheinung getreten.
Sein Romanwerk umfasst mittlerweile vierzehn Positionen und ist mit bedeutenden Preisen, wie dem Cervantes-Preis und dem Premio Rómulo Gallegos, ausgezeichnet worden. Daneben veröffentlichte Vargas Llosa eine fast unüberschaubare Anzahl von Zeitungsartikeln, diverse Essays, einige Erzählungen und mehrere Theaterstücke[1]. Sein Engagement in der Frente Democrático (Fredemo) brachte ihn 1990 bis zur Präsidentschaftskanditatur in Peru.
Die Romane Vargas Llosas faszinieren gleichermaßen Literaturkritiker wie Genußleser: „ Unputdownable “ lautet das ebenso triviale, wie zutreffende Attribut mit dem die populäre angelsächsische Tagespresse die Romane des Hispano-Peruaners versehen hat, „ zeitlose Weltliteratur “ der Status, den die Literaturkritik den Werken Mario Vargas Llosas zuspricht[2].
Die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinen Werken konzentriert sich schon zu Beginn der Rezeptionsgeschichte stark auf die technischen Fertigkeiten des Autors und betont immer wieder deren hohen Anspruch und außergewöhnliche Ausführung. José Morales Saravia zitiert Reichardts Autorenlexikon Lateinamerika [3] , um exemplarisch den Standpunkt der Literaturwissenschaft zum Werk Vargas Llosas aufzuzeigen[4]:: „(…) seine fundamentalen schriftstellerischen Qualitäten liegen in der sicheren und flexiblen Beherrschung moderner Erzähltechniken, im Gespür für Konstruktion und Zusammenhalt (…)“ [5]
Daß die erzähltechnischen Aspekte seines Werkes in der Folge immer stärker in das Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion rücken, ist nicht zuletzt auf die Aktivitäten des Autors selbst zurückzuführen. Wie schon erwähnt, beschränkt sich Vargas Llosa nicht nur auf die praktischen Aspekte literarischen Schaffens, nämlich das Schreiben von Fiktionen, sondern beschäftigt sich, auf einer wissenschaftlichen Basis, fast ebenso ausgiebig, mit den theoretischen Belangen seines Metiers. Neben Essays und größeren Arbeiten zu Werken zeitgenössischer und klassischer Autoren läßt er dabei auch sein eigenes Werk nicht unreflektiert. Wolfgang Luchting, deutscher Übersetzer der ersten drei Romane Vargas Llosas, spricht in diesem Zusammenhang von einem fast narzißtischen Grad der Selbstbetrachtung: „Vargas Llosa es uno de los narradores que a un grado muy alto, casi narcisísticamente, ha reflexionado sobre sí mismo, en tanto, que narrador de ficciones, y sobre su oficio, el arte y trabajo de narrar. [6] “
Vargas Llosa geht dabei soweit, eine Theorie des Romans zu entwickeln, die sowohl seine eigenen Erfahrungen als Schriftsteller, als auch die Auseinandersetzung mit einer Reihe anderer Autoren verarbeitet.
Die Implikationen dieser Theorie ziehen sich wie ein roter Faden durch seine literaturwissenschaftlichen Arbeiten: Schon 1966 formulierte Vargas Llosa die Romantheorie in einem Vortrag vor Studenten, der später unter dem Titel La novela [7] in gedruckter Form erscheinen sollte. 1971 wurde der ebenfalls auf einem Vortrag (1968) basierende Essay Historia secreta de una novela [8] veröffentlicht, in dem Vargas Llosa Hintergründe zur Entstehung seines Romans La casa verde liefert und gleichzeitig Aspekte der Romantheorie auf sein eigenes literarisches Schaffen projiziert.
Vargas Llosa konkretisiert und nuanciert in der Folge seine Theorie des Romans mit ihrer Anwendung in drei literaturwissenschaftlichen Untersuchungen: 1969 erscheint Carta de batalle por Tirant lo Blanc [9], eine Arbeit zu dem lange vergessenen Ritterroman Tirant lo Blanc. 1971 folgt mit García Márquez. Historia de un deicidio [10] eine Dissertation zum Romanwerk des Kolumbianers Gabriel García Márquez. Mit der erstmals 1975 erschienen Arbeit La orgía perpetua: Flaubert y Madame Bovary [11], einer Untersuchung zu Gustave Flauberts Roman Madame Bovary, schließt sich der Kreis der ambitionierten theoretischen Arbeiten Vargas Llosas. Es folgen weitere Essays und Zeitungsartikel, die sich mit der Romantheorie beschäftigen.
Die Theorie des Romans, wie sie sich aus den oben erwähnten Arbeiten ableiten läßt, teilt sich grob in zwei Bereiche. Der erste nimmt den Autor als solchen ins Zentrum und definiert kategorisch einen bestimmten Typus Schriftsteller. Der zweite Bereich beschäftigt sich mit dem Erzählen selbst.
Der Romancier nach Vargas Llosa ist jemand, der ein verdorbenes Verhältnis zur Wirklichkeit hat[12], ein Dissident, der „aus irgendeinem Grund, zu irgendeiner Zeit seines Lebens gefühlt hat, daß zwischen ihm und der Wirklichkeit ein Art Mißstimmung, eine Unvereinbarkeit entstand“. Deswegen schafft er mittels Sprache eine neue, fiktive Realität, so gleichzeitig „gegen die Wirklichkeit protestierend und (…) nach diesem geheimnisvollen Grund suchend, der aus ihm einen extremen Widerständler gemacht hat.“ [13] So ist jeder Roman ein symbolischer „Mord“ an der Wirklichkeit.[14]
Die spezifischen Beweggründe, die den Romancier schließlich zum Schreiben treiben, – ihn zwingen, die Wirklichkeit zu attackieren – bezeichnet Vargas Llosa als Dämonen. In seiner Beschreibung erinnert der Begriff an das, was nach Freud in der Psychologie als Komplex bezeichnet wird:
Die Dämonen: Tatsachen, Personen, Träume, Mythen, deren Anwesenheit oder Fehlen, deren Leben oder Tod ihn zum Feind der Wirklichkeit gemacht haben, sich wie mit Feuer in sein Gedächtnis gebrannt und seinen Geist gequält haben, sich in die Materialien für seine Unternehmung verwandelten, die Wirklichkeit neu zu schaffen(…)[15]
Untersucht man den narrative Aspekt der Romantheorie, so zeigt sich, daß Vargas Llosa einen Idealtypus von Roman definiert, auf den sich alle weiteren Aspekte seiner Theorie beziehen: den totalen Roman. Ein Autor im Sinne Vargas Llosas muß das Ziel verfolgen, ein möglichst vollständiges mimetisches Abbild der Realität zu schaffen, das alle Facetten der Wirklichkeit in sich aufnimmt und als autonome und selbständige Welt funktioniert. Am Beispiel von Joan Martorells Tirant lo Blanc beschreibt Vargas Llosa den totalen Roman: „(…) als ein Wortgebilde, das den gleichen Eindruck von Vieldeutigkeit vermittelt wie das reale Sein, ist es, gleich der Realität, Objektivität und Subjektivität, Tatsache und Traum, Verstandesleistung und Wundererscheinung.“ [16]
Weite Teile der erzähltheoretischen Arbeiten Vargas Llosas widmen sich der Organisation des narrativen Materials. Vargas Llosa entwickelt dabei eine Terminologie eigener narrativer Techniken. Vier erzählerische Vermittlungsmethoden stehen immer wieder im Vordergrund:
Hay cuatro grandes principios estratégicos de oranización de la materia narrativa que abrazan la infinita variedad de técnicas y procedimientos narrativos : los vasos comunicativos, la caja china, la muda o el salto cualitativo y el dato escondido.[17]
Vargas Llosa beschreibt diese Techniken, ihre Funktionsweise und ihre Ziele, innerhalb seiner theoretischen Arbeiten und wendet sie gleichzeitig auf die Untersuchungsobjekte an. Vor allem Historia de un deicidio und Carta de batalla por Tirant lo Blanc behandlen die Techniken in aller Genauigkeit.
Die eher metaphorische Terminologie, die Vargas Llosa hier anlegt, ist nur teilweise originär. Gelegentlich lassen sich die Ursprünge der Begriffe innerhalb anderer Epochen zurückverfolgen. So findet sich der aus der Physik stammende Begriff der Vasos comunicantes auch im Werk des Surrealisten André Breton. Caja china ist ein Ausdruck, der in einem ähnlichen Zusammenhang schon von den Romantikern verwendet wurde und der auch in erzähltheoretischen Handbüchern auftaucht. Die Begriffe Dato escondido und Muda o salto cualitativo hingegen scheinen eigenständige Kreationen Vargas Llosas zu sein.[18]
1.2 Zielsetzung
In der vorliegenden Arbeit werden die Erzähltechniken Vasos comunicantes, Caja china, Muda o salto cualitativo und Dato escondido vorgestellt und in ihrer theoretischen Funktionsweise beschrieben. In der Folge untersuche ich die Umsetzung dieser Techniken innerhalb der Prosa Vargas Llosas. Als Untersuchungsgegenstand dienen dabei zwei Romane des Autors: La casa verde [19] und Pantaleón y las visitadoras [20] .
1.3 Vorgehensweise
Nachdem das folgende Kapitel mit einem kurzen Abriss zu Form, Inhalt und Rezeptionsgeschichte in die zu untersuchenden Romane einführt, werden im dritten Kapitel zunächst die vier erzähltechnischen Kategorien vorgestellt und beschrieben, um anschließend am präzisen Textbeispiel die jeweilige Umsetzung dieser Techniken innerhalb der Romane La casa verde und Pantaleón y las visitadoras aufzuzeigen. Dabei wird das Untersuchungsgebiet um eine zusätzliche erzähltechnische Kategorie erweitert werden: die Fragmentierung.
Die weitgehende Fragmentierung der Handlung ist ein immer wiederkehrendes Merkmal der Prosa Vargas Llosas und steht, wie sich zeigen wird, in unmittelbarem Zusammenhang mit den übrigen von ihm verwendeten Techniken. Darüber hinaus besteht, vor allem in La casa verde, ein bedeutender Zusammenhang zwischen der inhaltlichen Thematik des Romans und der Aufsplitterung der erzählten Geschichte.
Die Technik des Dato escondido wird aufgrund ihre relativen Überschaubarkeit, vor allem aber wegen ihrer inhaltlichen Verwandtschaft unter dem Abschnitt Fragmentierung abgehandelt.
Zusätzlich wird eine weitere erzähltechnische Besonderheit, die sich zwar nicht innerhalb der übrigen Kategorien erfassen läßt, sehr wohl aber mit ihnen in Beziehung steht, unter Punkt 3 ausführlich untersucht werden: die Verwendung der Acotaciones in Pantaleón y las visitadoras.
Im Vordergrund der Untersuchung steht die jeweilige technische Umsetzung der Verfahren sowie ihre Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Erzählung durch den Leser. Ein zweiter Fokus liegt auf den etwaigen Veränderungen und Modifikationen, denen der Autor die Erzähltechniken im Verlaufe eines angenommenen Entwicklungsprozesses zwischen dem Verfassen von La casa verde und dem Entstehen von Pantaleón y las visitadoras unterzogen haben könnte.
2. Eine kurze Einführung in die Romane
Der folgende Abschnitt dient als Einführung in die zu untersuchenden Romane. Neben einem kurzem Abriss zu Form, Inhalt und Rezeptionsgeschichte findet sich ein Schaubild, das die Orientierung innerhalb der teilweise komplexen Strukturen der Erzählungen vereinfachen soll.
2.1.1 La casa verde
Mario Vargas Llosas 1965 erschienener Roman La casa verde, gilt als einer der bedeutendsten Beiträge zur neueren südamerikanischen Literatur[21] und versetzte den damals zweiunddreißigjährigen in einen Rang mit Autoren wie Julio Cortazar oder José Guimaraes Rosa[22]. Obwohl der Roman vergleichsweise jung ist existiert eine umfangreiche internationale Rezeptionsgeschichte. Lag der Fokus des Interesses zunächst auf den inhaltlich-soziologischen Implikationen des Romans[23], so rückten nach und nach die technischen Aspekte in den Vordergrund der Diskussion. Immer wieder im Mittelpunkt steht dabei die anspruchsvolle Struktur des Romans.
Die Handlung von La casa verde verteilt sich auf vier Bücher und einen Epilog. Jedes der Bücher, wie auch der Epilog beginnen mit einem Prolog. Im ersten und im dritten Buch sowie im Epilog folgen auf den Prolog vier Kapitel. Im zweiten und vierten Buch reduziert sich die Kapitelanzahl auf drei. Innerhalb der Kapitel wiederum entrollen sich anfangs fünf, später nur vier verschiedene Erzähleinheiten in einer sich stetig wiederholenden Abfolge. In diesen Erzähleinheiten finden sich die Fragmente der verschiedenen Handlungsstränge, aus denen die Gesamtheit der Erzählung komponiert wird. Die Handlung des Romans spielt sich zwischen zwei Orten ab: Die zivilisatorisch nur rudimentär erschlossene Gegend im Dschungel um die Missionsstadt Santa Maria de Nieva und die peruanische Küstenstadt Piura. In ihrem Verlauf nimmt die Erzählung drei Generationen und 55[24] Figuren in sich auf.
Die komplexe Art und Weise, in der die verschiedenen Elemente der Erzählung synthetisiert werden, bedarf einer gründlichen und eingehenden Analyse. Nur so kann deutlich werden, dass das, was dem Leser bei der ersten Betrachtung chaotisch und unstrukturiert erscheint, in Wahrheit einem strengen formalen Anspruch unterliegt und der Roman diesem auch gerecht wird.
2.1.2 Die Gliederung – ein Schaubild
1. Buch [25]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2. Buch
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3. Buch
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
4. Buch
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Epilog
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.3 Eine kurze Zusammenfassung der fünf Handlungsstränge
Handlung A Im Nukleus des ersten Handlungsstrangs steht das Leben der Indianerin Bonifacia. Ort der Handlung ist die kleine Missionsstadt Santa Maria de Nieva, tief im peruanischen Urwald. Die katholischen Nonnen der Mission rauben junge Indianermädchen aus den Indio-Dörfern und „christianisieren“ sie. Bonifacia, die ebenfalls ein Opfer der Missionarinnen ist, wurde in der Mission erzogen und ist dort für die Betreuung der jüngeren Indianer-Mädchen zuständig. Als sie diesen eines Tages die Flucht ermöglicht, muss sie zur Strafe die Mission verlassen. Der Lotse Adrián Nieves und seine Frau Lalita nehmen sie auf. Später lernt sie den Sargento kennen und heiratet ihn.
Handlung B Der zweite Handlungsstrang erzählt das Leben des japanischen Abenteurers Fushía. An Lepra erkrankt, wird er von seinem Freund Aquilinio auf dem Wasserweg in die Leprakolonie San Pablo gebracht. Während der Überfahrt rekapituliert Fushía die Geschichte seines Lebens: Nach der Flucht aus einem brasilianischen Gefängnis war er nach Peru geflohen und arbeitete dort für den betrügerischen Kaufmann und späteren Gouverneur Julio Reátegui. Als der illegale Kautschukhandel den Fushía betreibt auffliegt, flieht er mit der jungen Lalita. Er flüchtet auf eine Insel im Urwald und baut dort eine Bande auf, mit deren Hilfe er die benachbarten Indiostämme überfällt, ihnen den Kautschuk raubt und damit Handel treibt. Schließlich erkrankt Fushía. Lalita flieht gemeinsam mit Adrían Nieves, der nach seiner Flucht aus dem Militär auf Fushias Insel Zuflucht gefunden hatte. Fushías Krankheit zwingt ihn, die Insel aufzugeben. Sein langjähriger Freund Aquilinio bringt ihn auf die Leprakolonie San Pablo, wo Fushía auf seinen Tod wartet.
Handlung C Der Handlungsstrang C beschreibt Aufstieg und Fall des ersten grünen Hauses und seines Betreibers: Don Anselmo, ein junger, reicher und unbekannter Mann kommt nach Piura und errichtet dort ein Bordell, das schon bald einen mythischen Ruf genießt. Anselmo verliebt sich in die taubstumme und blinde, etwa fünfzehnjährige Antonia. Er entführt sie aus der Obhut ihrer Ziehmutter Juana Baura und bringt sie in das grüne Haus. Bei der Geburt des gemeinsamen Kindes, der Chunga, stirbt Antonia. Der hetzerische Padre García treibt die Stadtbewohner dazu, das grüne Haus niederzubrennen. Die Chunga wird aus den Flammen gerettet. Später gründet Don Anselmo mit zwei Freunden ein Orchester und beginnt erst in der Mangacheria, dann in dem zweiten grünen Haus, das seine mittlerweile erwachsene Tochter eröffnet hat, zu spielen. Schließlich stirbt er, etwa achtzig Jahre alt und fast blind.
Handlung D Der Soldat Roberto Delgado, gemeinsam mit Adrian Nieves auf dem Weg zu seinem Heimaturlaub, wird von Indios, die er zuvor beraubt hatte, überfallen. Nieves nutzt die Gelegenheit, um dem Militärdienst zu entfliehen. Der Vorfall wird als Vorwand genommen, die Indianer für ihre Versuche, den Zwischenhändler beim Kautschukhandel zu umgehen, zu bestrafen. Der Gouverneur Julio Reátegui läßt Jum den Häuptling des Dorfes festnehmen und öffentlich foltern. Später übergibt Reátegui den Nonnen ein Indianermädchen, vermutlich Jums Tochter und Bonifacia. Jum flieht auf Fushías Insel und schließt sich ihm an.
Handlung E: Zentrum des letzten Handlungsstrang ist das piuranische Elendsviertel Mangacheria und seine Hauptfiguren eine zwielichtige Gruppe von vier Männern (Lituma, El Mono, Josefino Rojas und José), die sich selbst „Los Inconquistables“ nennen. Lituma verläßt Piura und wird Soldat in Santa María de Nieva. Dort lernt er Bonifacia kennen, heiratet sie und kehrt schließlich mit ihr nach Piura zurück. Lituma läßt sich nach kurzer Zeit auf eine Auseinandersetzung ein, in deren Verlauf ein Mann stirbt. Er muss ins Gefängnis. Während seiner Abwesenheit kommt Bonifacia, die in diesem Teil der Erzählung La Selvática genannt wird, mit Josefino zusammen. Bald arbeitet sie als Prostituierte für ihn. Als Lituma bei seiner Rückkehr davon erfährt, schlägt er Josefino zusammen. Später lebt auch er von den Einkünften der Selvatica.
2.2.1 Pantaleón y las visitadoras –Form und Inhalt
„Despierta, Panta“[27]. Mit diesen Worten läßt Mario Vargas Llosa seinen vierten Roman Pantaleon y las visitadoras (1973 ) beginnen und 390 Seiten später auch enden[28]. Dazwischen erzählt er, auf zehn Kapitel verteilt, die Geschichte von Aufstieg und Fall des Servicios de Visitadoras und seines Organisators Pantaleón Pantoja.
Der Roman markiert einen Wendepunkt im Werk Mario Vargas Llosas. Die Komplexität mit der seine beiden vorherigen Romane La casa verde und Conversaciónes en la cathedral in struktureller Hinsicht versehen waren, wird hier nicht erreicht. Ebenso unerreicht bleibt deren Umfang: Pantaleón y las visitadoras ist mit etwa 390 Seiten zu diesem Zeitpunkt Vargas Llosas kürzester Roman. Gleichzeitig findet sich ein bisher in der Prosa des Peruaners ignoriertes Element: Der Humor. Bis dahin hatte Vargas Llosa ernste sozialkritische Fiktionen veröffentlicht. Der heitere Aspekt in Pantaleón y las visitadoras wurde von vielen Kritikern als Zeichen einer Abwendung von seiner bisherigen sozialkritischen Position hin zu einer„ marktorientierten Heiterkeit “[29] interpretiert.
Trotzdem wurde Pantaleón y las visitadoras mit großer Aufmerksamkeit von Literaturkritikern auf seine erzähltechnischen Aspekte hin untersucht. War der Tenor zu Anfang der Diskussion noch, der Roman sei eine „ Verschnaufpause des Autors “[30], „ ein eher simpler Roman “[31], so wurde im Zuge der Analyse immer deutlicher, daß diese Aussagen nur bei oberflächlicher Betrachtung Gültigkeit haben. Denn Pantaleón y las visitadoras ist ein Roman der, darüber sind sich die Kritiker einig geworden, durchaus einem solchen literarischem Anspruch genügt, der sich auf Werke wie La casa verde oder Conversiones en la cathedral gründet: „(…) it is a meticulously constructed novel.“ [32] , „(…) es un nuevo y excelente eslabón de su ya nutrida carrera novelística.“ [33]
Pantaleon y las visitadoras konfrontiert den Leser mit einer sehr unkonventionellen Art des Erzählens. Zwar wird innerhalb der zehn Kapitel eine im weitesten Sinne lineare Abfolge der Ereignisse verfolgt, darüber hinaus sind die einzelnen Fragmente, abgesehen von den dialogischen Passagen, zum großen Teil genaustens datiert. Das macht eine zeitliche Orientierung – ganz im Gegensatz zu La casa verde – einfach.
Doch lohnt es sich, genauer zu betrachten wie der Autor die Daten der Geschichte aneinander reiht. So bedienen sich die verschiedenen Kapitel des Buchs gänzlich unterschiedlicher diskursiver Formen: Die Kapitel I, V, VIII und auch X sind durchgehend in dialogischer Form gehalten. In Kapitel II, IV und VI wird die Handlung alleine mittels verschiedener Dokumente – hauptsächlich formelle militärische Mitteilungen, Anweisungen und statistische Berichte, aber auch persönliche Briefe – dargestellt. Das dritte Kapitel besteht aus einem langen Brief Pochitas, Pantojas Gemahlin, an ihre Schwester und der Schilderung eines Alptraums Pantaleóns. In Kapitel VII findet sich die Transkripition einer Radiosendung, der wiederum ein Alptraum Pantaleons nachgefügt ist. In Kapitel IX schließlich erfährt der Leser den Fortgang der Geschichte aus verschiedenen Zeitungsartikeln. R.C. Boland zählt insgesamt sechsunddreissig verschiedene Erzähleinheiten[34]. In dieser Art von Gliederung deutet sich schon die für die Vargas Llosas Prosa typische Aufsplitterung der erzählten Geschichte an.
2.2.2 Ein Schaubild – die Gliederung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.3 Eine kurze Zusammenfassung der Erzählung
Pantaleón Pantoja, tadelloser Hauptmann in der Intendantur des peruanischen Militärs, erhält einen delikaten Auftrag: Er soll für die Truppen im abgelegen Amazonas Gebiet eine Art mobiles Bordell organisieren. Die dort stationierten Soldaten haben sich in Ermangelung von Sexualpartnern darauf verlegt, die Frauen der umliegenden Dörfer zu vergewaltigen. Der Servicio de Visitadoras soll Abhilfe schaffen.
Pantaleon erweist sich als Meister der Organisation: sein Truppenbetreungsdienst, den er akribisch und mit preußischer Disziplin verwaltet, funktioniert von Tag zu Tag reibungsloser. Mit Schiffen und Flugzeugen erreichen die stetig wachsenden Konvois der „Betreuerinnen“ schließlich auch die Soldaten der entlegensten Garnisonen. Allerdings ist das Projekt ob seiner ruchbaren Natur auch innerhalb des Militärs umstritten. Mit dem Erfolg mehren sich Kritiker und Feinde des Truppenbetreungsdienstes: Sei es Pantaleóns direkter Vorgesetzter General Scavino, der Militärpfarrer Beltrán, der einflußreiche Radiomoderator Sinchi oder die Zivilisten der Region.
Eingewoben in das Geflecht der Erzählung ist, wenn auch auf einem Nebenschauplatz, eine weitere Geschichte. Diese erzählt von Hermano Francisco und seiner religiösen Sekte, die zur selben Zeit wie Pantaleóns Organisation in Iquitos Einzug hält. Die Hermanos de la arca, wie sich die Anhänger der Sekte nennen, verfolgen einen bizarren Kreuzigungskult. Ebenso wie Pantaleóns Organisation wächst auch Hermano Franciscos Sekte stetig. Die beiden Anführer und ihre Organisationen werden innerhalb der Erzählung gegenüber gestellt, kommen aber nie direkt miteinander in Berührung. Gemeinsam ist ihnen schließlich der Auslöser für ihre Zerstörung: Als eine der Visitadoras durch die Hand lüsterner Zivilisten ums Leben kommt, hat das letztlich die gewaltsame Auflösung des Servicios de visitadoras, sowie der Hermanos de la arca zur Folge.
3. Die Verwendung der Acotaciones in Pantaleón y las vistadoras
In seinem vierten Roman Pantaleón y las visitadoras führt Vargas Llosa eine beachtliche erzähltechnische Errungenschaft ein: den kreativen Umgang mit den Szenenanweisungen. Zwar fand sich diese Technik schon in Conversación en la cathedral, doch in Pantaleón y las visitadoras erreicht die Acotación eine exponierte und autonome Rolle innerhalb des Textes[35].
Um den Roman später auf die weiteren Techniken Vargas Llosas zu untersuchen, ist es unumgänglich, diese technische Neuerung vorzustellen und eingehend zu analysieren, da auch innerhalb der Untersuchung der übrigen Techniken auf die Acotaciones Bezug genommen werden muß.
Mario Vargas Llosa selbst ist es, der erhellende Hintergründe zu seinem eigenen Romanwerk liefert. Hatte „ Historia secreta de una novela “ den Roman La casa verde als Thema, so widmet sich Vargas Llosa nun in „ Spiel mit Sprache und Zeit “[36] dem Entstehungsprozeß von Pantaleón y las visitadoras. Wie dem Essay zu entnehmen ist, beschäftigte sich Vargas Llosa während der Arbeit an Pantaleón y las visitadoras besonders mit dem Problem des „toten Textes“: Jeder Roman besteht neben seinen essentiellen Teilen, die die Figuren und die fiktive Welt zum Leben erwecken und ihnen Glaubwürdigkeit und Kraft verleihen, auch aus Teilen, deren einzige Funktion es ist, notwendige Information zu vermitteln: Wer spricht? Wo tut er das, und wann?
Die „toteste“ Sprache innerhalb eines Romans, so Vargas Llosa, sind die Passagen die im Spanischen mit dem Ausdruck Acotaciones versehen werden. Ins Deutsche kann dieser Ausdruck mit dem Begriff Szenenanweisungen übersetzt werden. Vargas Llosa entwickelt eine neue Methode, mit den Acotaciones umzugehen:
„Mir kam der Gedanke oder die Versuchung, eine Geschichte zu schreiben, in der die »Acotaciones« so genützt würden, daß dieser Text ebenso wichtig für die Verwirklichung des Romans wäre wie der wesentliche Teil des Dialogs, in dem das wirklich wichtige festgestellt oder erwähnt wird (…)
Ich nutzte die »Acotaciones« für alle notwendigen Beschreibungen. Der Roman war nur ein Gespräch, in dem die Personen in einem Vielfachdialog ohne zeitliche und räumliche Begrenzung miteinander reden. Aber der Erzähler nutzt die »Acotaciones« nicht nur um darüber aufzuklären wer wo spricht, sondern auch, um mehr Information über den Ort und die Zeit zu geben und über das, was andere Personen in dem Augenblick oder vorher oder hinterher tun, und ebenso liefert er mit ihnen den notwendigen Hintergrund der Geschichte – das heißt, soziale, ökonomische und politische Schilderungen des Landes und der Gesellschaft.“[37]
Die Umsetzung dieser Ambition innerhalb von Pantaleón y las visitadoras macht in erzählertechnischer Hinsicht die wohl bemerkenswerteste Facette dieses Romans aus. Mario Vargas Llosa gelingt es, den Acotaciones, denen innerhalb eines Romans in der Regel eine rein funktionale, bisweilen banale Rolle zukommt, eine neue und bedeutsame Position in der Hierarchie der erzählerischen Mittel zukommen zu lassen.
Pantaleón y las visitadoras verzichtet fast völlig auf einen Erzähler. Eine übergeordnete narrative Instanz sucht der Leser vergebens. Weite Teile des Romans werden unmittelbar und scheinbar autonom präsentiert. So auch der dramatische Dialog, der die Kapitel I, IV, VIII und X ausfüllt.
Diese Abwesenheit des Erzählers hinterläßt eine Lü>
Sie {die Methode} war in zwei verschiedene Schemen geteilt. Das eine hatte den Dialog frei in Raum und Zeit zu bewegen, das andere, innerhalb des Dialogs als Teil des Dialogs selbst alle Information zu liefern, die im konventionellen oder normalen Roman gewöhnlich vom Dialog getrennt ist.[38]
Die Acotaciones, vormals nichts als schmuckloses aber unentbehrliches Beiwerk eines narrativen Textes, werden selbst zum narrativen Text.
Der Erzähler versteckt sich dort wo man ihn nicht vermuten würde, eingebettet zwischen zwei Aussagen der Figuren in direkter Rede, in den Szenenanweisungen: „– Calla, zarrapatroso– le tapa la boca, sirve los vasos, sonríe Chuchupe – A su salud, señor Pantoja, bienvenido a Iquitos. [39] “
Die Szenenanweisungen in Pantaleón y las visitadoras haben sich von ihrer archetypischen Form, bestehend aus einem Namen und einem simplen verbum dicendi, weit entfernt. Fast immer erscheinen die Acotaciones mit einem Verb, das eine physische Aktion der Figur beschreibt: „ se levanta“, „arruga un papel“, „limpia una mesa“, „silba“. Am Ende der Bescheibungen findet sich obligatorisch der Name des Sprechers: „(…) mima una incómoda sonrisa y susurra Pantaleón Pantoja“ [40] , „(…) se acurruca, se cubre con las sábanas Pantita“ [41] , „(…) gesticula, hace pucheros Pochita [42] “
So kann in einem Zuge der Sprechende identifiziert und gleichzeitig vermittelt werden, was die Figur gerade tut, während sie spricht. Auch der emotionale Zustand, in dem sich die Figur während des Gesprächs befindet oder die emotionale Reaktion auf eine Aussage kann in den Acotaciones Berücksichtigung finden: „ Se acerca a la cama, echa chíspas por los ojos Pochita,“ [43] , „Le tiembla la voz a la señora Leonor“ [44] .
Sogar Zitate der Figuren finden sich in den Acotaciones: (1) „Separa las cebollas, los huesos, y termina el escabeche de pato en unos cuantos bocados, sonríe, mira pasar a una mujer, guiña un ojo y exclama qué escultura el coronel López López [45] “. (2)„ Pide la cuenta, intenta sacar su cartera, oyé usted esta loco, hoy son invitados del tigre el coronel López López.“[46]
Ebenso werden die Beschreibungen und die Atmosphäre des Raumes innerhalb der Acotaciones gestaltet: „Le tengo terminantemente prohibido que siquiera me nombre – ve encenderse una lucecita amarilla, girar los carretes, oye ruidos metálicos, ecos, se enfurece el capitán Pantoja– no me lo explico, le aseguro que (…)“ [47]
Umfang und Komplexität der Acotaciones steigern sich im Verlauf der Erzählung kontinuierlich. Bestehen sie im ersten Dialog selten aus mehr als einer Hand voll Wörter, die sich auf Identität der Sprecher, ihre momentanen Handlungen, ihre emotionalen Zustände oder die direkte Umgebung beziehen, so finden sich gegen Ende des Romans Acotaciones, deren Inhalt ungleich reichhaltiger ist:
–Naturalmente, si se considera la ampliación a la oficialidad, mis estimaciones registrarían nuevas variantes, mi general – visita brujos, toma ayahuasca, tiene alucinaciones en las que ejércitos de mujeres desfilan por el campo de marte cantando La Raspa, vomita, trabaja, exulta el capitán Pantoja –. Estoy haciendo un estudio posibilista, por si las moscas. Habría que crear una sección especial, un grupo de visitadoras exclusivas, por supuesto.[48]
Während Pantaleón mit einem Vorgesetzten über die Erweiterung des Truppen-betreuungsdienstes spricht, stellt die Acotación in geraffter Form ein ganz anderes Ereignis, das sich an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit abgespielt hat, gegenüber: Pantaleón, der sich an der Medizin eines Hexers berauscht, Halluzinationen erfährt, sich schließlich übergibt und an statistischen Schätzungen arbeitet. Die Acotación stellt hier eine eigene Erzähleinheit dar, in der die zeitlichen und räumlichen Grenzen des Dialogs, dem eigentlichen Mittelpunkt der Sequenz, durchbrochen werden.
Durch die Raffung der Ereignisse verändert sich das Verhältnis von Erzählzeit zu erzählter Zeit, der Rhythmus und die Schlagzahl der Geschichte erhöhen sich. Gleichzeitig verdichtet und erweitert sich das Spektrum der vermittelten Information und gewinnt eine neue Qualität.
Mehr und mehr Information wird in die Acotaciones des Dialogs eingegeben, und der Leser wird langsam daran gewöhnt, in diesen erklärenden Bemerkungen eine Informationsquelle zu sehen, die zunehmend losgelöst wird von dem, was sich in den Dialogen zwischen den Personen abspielt.[49]
Der Leser kann weit mehr erfahren, als nur die Aktion der Figur. Er erfährt auch was sie vorher getan hat, die Hintergründe und Entwicklungen, die hinter den Aussagen der Figuren stehen. „–O sea que ya ves, Tigre, los fanáticos se las traen – sube al jeep, cruza lodazales, preside entierros, consuela a víctimas, instruye a oficiales, habla por teléfono el general Scavino– La cosa no es de grupitos. Son millares(…)“ [50]
Vargas Llosa nutzt die Acotaciones, um der Erzählung eine immense Dichte, Kompaktheit und hohe syntaktische Geschwindigkeit zu verleihen. Er weitet die Funktion der Acotaciones immer weiter aus und nutzt sie sogar analeptisch:
Ordené que dispararan pero no me obdecieron, mi coronel – pega dos tiros a los últimos hermanos, carejea a los soldados, ve desaparecer a los últimos hermanos llama al radiooperdor el teniente Santana –. Había demasiados fanáticos, sobre todo fanáticas.(…)[51]
Der Autor stellt zwei autonome Erzähleinheiten gegenüber: Der Leser erfährt die Ereignisse der Geschichte zum einen aus den direkten Aussagen der Figuren, zum anderen aus den Acotaciones. Dabei korrespondieren Acotaciones und dialogische Aussagen miteinander. Sie kommunizieren. Der Leser bezieht automatisch beide Informationsebenen aufeinander und erhält als Produkt seiner Wahrnehmung ein Bild, das sowohl von Acotaciones als auch dialogischen Aussagen der Figuren konstituiert wird. So werden objektive (Acotaciones) und subjektive (Dialog) Elemente vereint.
Mario Vargas Llosas Verwendung der Acotaciones in Pantaleón y las visitadoras ist ein gelungener Versuch, das Problem des toten Textes zu lösen. Myron Lichtblau hebt vor allem die narrative Bedeutung der Acotaciones als herausragendes Merkmal hervor: „Pero lo notable no es tanto que las acotaciones acompañen al diálogo a guisa de estendido suplemento, sino el hecho de que tengan tanta significación narrativa(…)“ [52]
Der Autor hat die Szenenanweisungen ihrer eigentlichen Funktion nicht etwa beraubt, sondern ihr etliche weitere hinzugefügt, so daß sie zu wertvollem narrativem Material werden. Diese Art der Verwendung von Szenenanweiseung ist in ihrer Ausführung wie gezeigt wurde durchaus orginell, doch baut Vargas Llosa hier:
auf einer langen literarischen Tradition auf, die zurückreicht bis zur Lozana andaluza des Francisco Delicado, zu den Briefromanen des 17. und 18. Jahrhunderts, zu Diderots Dialogen, und die im zwanzigsten Jahrhundert zahllose Beispiele für die Verwendung gesprochener Sprache in Erzähltexten und für das Experimentieren mit Simultantechniken aufweisen kann. [53]
4. Cuatro principios estratégicos – die Erzähltechniken Mario Vargas Llosas
Vier Erzählverfahren Vargas Llosas werden hier vorgestellt und analytisch beschrieben: Die Technik der Fragmentierung, die Caja china, die Vasos comunicantes und die Muda o el salto cualitativo. Auf der Basis der gewonnenen Ergebnisse wird in der Folge die Umsetzung der jeweiligen Techniken innerhalb zweier Romane – La casa verde und Pantaleón y las visitadoras – kritisch beschrieben und untersucht.
4.1 Die Technik des Fragmentierens
Die Technik des Fragmentierens ist ein fester und immer wiederkehrender Bestandteil der Prosa Vargas Llosas, wie auch des postmodernen Romans im Allgemeinen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts findet sich in der erzählenden Dichtung die weit verbreitete Tendenz „die inhaltliche Ordnung der Geschichte gegenüber einer Problematisierung der Verfahrensweisen des fiktionalen Erzählens in den Hintergrund treten zu lassen“ [54] Jeder der Romane Vargas Llosas weist eine weitgehende Zersplitterung der erzählten Handlung auf:
Conformada a través de saltos, retrocesos, malabarismos gramaticales y sintáctictos que cruzan el texto en todo sentido, la sinuosa línea de cada uno de sus novelas se aparta, en mayor o menor medida, de los cómodos carriles que, en la narrativa naturalista, parecían conducirla por caminos conocidos y previsibles hacia destinos también previstos y predeterminados[55]
Der Autor entdeckte diese Technik für sich aus einer recht banalen Notwendigkeit[56], nämlich der Überfülle an Material und den damit verbundenen handwerklichen Problemen eines Romanciers. So beschreibt Vargas Llosa in dem Essay „ Historia secreta de una novela “[57], der sich mit der Entstehungsgeschichte von La casa verde befasst, daß er ursprünglich parallel an zwei unterschiedlichen Romanen arbeitete. Einem, der im peruanischen Urwald um Santa María de Nieva spielte, und einem weiteren, dessen Kulisse die peruanische Wüstenstadt Piura darstellte. Während des Schaffensprozeßes wurde jedoch immer schwieriger, die Inhalte der jeweiligen Romane zu trennen. Die Welten der beiden Erzählungen begannen vor den Augen des Autors miteinander zu verschmelzen:
„Los piuranos invadían Santa María de Nieva, los selváticos pugnaban también por deslizarse en la »la casa verde«. Cada vez era más arduo sujetar cada cual en su mundo respectivo.“ [58]
Schließlich entstand ein Chaos, das es unmöglich machte, die Erzählungen voneinander zu trennen: „Decidí, entonces, no hacerlo más: fundir esos dos mundos, escribir una sola novela que aprovechara toda esa masa de recuerdos. Me costó otros tres años y abundantes tribulaciones ordenar semejante desorden.“ [59]
Um dieses Chaos zu ordnen, um aus zwei Romanen einen zu machen, sah der Autor sich gezwungen, die Erzählungen in Fragmente auseinander zu dividieren und in der Folge über den ganzen Roman verteilt aneinander zu montieren: „El resultado de la fusión de todos estos materiales (…) fue la superposición de dos series de episodios que comprenden cinco relatos principales (…) [60] “
Das Ergebniss gleicht einer Collage aus Fragmenten – einer Technik, der man häufig in Filmen begegnet. Natürlich muß darauf hingewiesen werden, daß auch dieses Verfahren keine Erfindung Vargas Llosas ist. Schon vor ihm haben andere Autoren verschiedener Epochen diese Technik verwendet. Die Art und Weise, in der sie bei Vargas Llosa Verwendung findet, weist allerdings Besonderheiten auf. So ist ein immer wiederkehrendes Merkmal der Fragmente ihr Beginn in medias res: Ein Fragment wird unmittelbar eingeführt, um daraufhin abzubrechen und von einem ebenso unmittelbaren Fragment, ebenfalls in medias res, abgelöst zu werden, das wiederum von einem anderen abgelöst wird und so fort.
Diese Form determiniert die Rolle des Lesers. Er muß sich flexibel auf neue Situationen einstellen. Informationen, die er aus einem Fragment gewinnt, müssen auf ein weiteres übertragen werden. Geschieht dies, so verdichtet sich in der Folge der Grad an Information, den der Leser erfährt. Verschiedene Autoren erkennen darin eine Parallelsetzung der Erfahrungen von Leser und Romanfiguren[61]. Vor allem die Protagonisten in La casa verde führen eine desorientierte und fragmentierte Existenz, die von einer Vielzahl von Ungewissheiten und einem generellen Mangel an Informationen geprägt ist. So wie der Leser in seiner Suche nach Orientierung und objektiver Information nicht vollends befriedigt wird, bleibt auch die Suche der Figuren nach Sinn und Kausalität innerhalb ihrer Welt erfolglos.[62]
Mit der Fragmenttechnik unmittelbar verbunden ist ein weiterer charakteristischer, technischer Handgriff Vargas Llosas: die Technik der verschwiegenen Tatsachen[63] oder der Dato escondido:
Consiste en narrar por omisión o mediante omisiones significativas, en silenciar temporal o definitivamente ciertos datos de la historia para dar más relieve o fuerza narrativa a esos mismos datos que han sido momentánea o totalmente suprimidos[64]
Vargas Llosa differenziert zwischen Fällen, in denen der Dato nur für einen begrenzten Zeitraum unterschlagen wird (silenciar temporal), um in der Folge an einer anderen Stelle der Erzählung ans Tageslicht gebracht zu werden, und Fällen, in denen die ausgelassenen Datos dem Lesers gänzlich vorenthalten werden (silenciar definitivamente). Erstere versieht er mit dem Terminus Dato escondido en hipérbaton, letztere nennt er Dato escondido elíptico [65] .
Das Ziel dieser Technik ist es, eine gesteigerte Spannung zu erzeugen[66], um den Leser so noch tiefer in die Erzählung zu ziehen. Gleichzeitig soll der Leser an dem Vermittlungsprozess der Erzählung aktiv teilnehmen, sich Informationen selbst erarbeiten und, wie bei einem klassischen Kriminalroman[67], Zusammenhänge und Kausalitäten eigenständig herausarbeiten, und so zu einem Komplizen des Autors werden: „(…) obliga { die Technik des Dato escondido } al lector a intervenir en la narración para llenar ese hueco significativo, añadiendo, adivinando, inventando, en complicidad activa con el narrador“ [68]
Die Verwendung des Dato escondido erlaubt es, in einer Erzählung die Ambiguität der realen Welt und die relative Qualität der menschlichen Erfahrungen in dieser Welt zu verdeutlichen. In der Vagheit und Ungewissheit der Information, ihrer achronolgischen Abfolge und der verschieden Perspektiven ihrer Schilderung spiegelt sich die ambivalente und nicht fixierbare Qualität der menschlichen Erfahrung[69]. So kommt dem Dato escondido eine fundamentale Bedeutung im Erzählwerk Vargas Llosas zu: „(…) la vida humana tambíen está llena de causalidades, oscuridades y falsedades, que se ignoran a sí mismas. Me parece que este tipo de episodios describen la ambigüidad, la tremenda relatividad característica de la experiencia humana.…“ [70]
4.1.1 Fragmentierung in La casa verde
Die weitgehende Fragmentierung der Handlung in La casa verde ist das wohl offensichtlichste erzähltechnische Merkmal des Romans. Die Geschichte des Romans, der in vier Bücher und einen Epilog gegliedert ist, dividiert sich in 72 Erzählsequenzen[71], die sich wiederum fünf verschiedenen Handlungssträngen oder Geschichten zuordnen lassen.
Die Fragmente dieser Handlungsstränge folgen in ihrer Aneinanderreihung keiner Linearität oder Chronologie. Kaum sind dem Leser Schauplatz und Figuren eines Handlungsstrangs vertraut, bricht die Episode ab und wird von einer weiteren, einem anderen Handlungsstrang zugehörigen, abgelöst. Dabei erstrecken sich die einzelnen Sequenzen selten über mehr als sieben oder acht Seiten. Zwar läßt sich von einer gewissen Ordnung sprechen, da sich die Abfolge der Fragmente innerhalb eines jeden Kapitels – abgesehen von dem Wegfallen des Handlungsstrangs D ab dem dritten Buch und dem Epilog, der sich von dem Ordnungschema der vier Bücher abwendet – in immer der selben Reihenfolge abspielt[72]. Trotzdem dominiert der Eindruck von Chaos und Diskontinuität: Simultan werden in den verschiedenen Handlungssträngen unterschiedliche Geschichten dargestellt, die zu verschieden Zeiten spielen, auf eigentümliche Weise[73] miteinander verwoben sind und dabei zeitlich – auch sequenzenintern – unterschiedlich organisiert sind.
Figuren tauchen unter verschiedenen Namen in mehreren Handlungssträngen auf, ohne eindeutig identifiziert zu werden. Ein und der selbe Ort ist zu verschiedenen Zeiten Schauplatz mehrerer Handlungsstränge. Motive und Hintergründe eines Ereignisses aus einem Fragment klären sich erst durch Informationen aus einem weiteren, oft sogar einem anderen Handlungstrang zugehörigen und innerhalb der Chronologie der Erzählung viel später dargelegtem Fragment.
So wird beispielsweise lange nicht deutlich, daß Lituma und der Sargento ein und dieselbe Person sind. Verweise auf die Identität der beiden Personen finden sich im Verlaufe der Erzählung viele. So gibt die Figur des Sargento schon in der ersten Episode des Buches einen Hinweis auf ihre Abstammung: „ Pero al sargento el corazón le decía no habrá nadie.“ [74] . Und dieser schließt in einem inneren Monolog, als seine Ahnung sich dann bestätigt: „Un cementerio, el corazón no engañaba, tenían razón los mangaches“. [75] Daß Lituma aus dem piuranischen Elendsviertel Mangacheria stammt, erfährt der Leser schon früh. Eine definitive Bestätigung der Identität von Lituma und Sargento findet sich jedoch nicht. Stattdessen verdichten sich die Hinweise und Übereinstimmungen in der Vita der beiden Figuren[76] soweit, daß der Leser in seiner Wahrnehmung schließlich davon ausgehen muß, daß Lituma und Sargento ein und dieselbe, gleichwohl janusköpfige, Person sind. Dieser Charakterwechsel der Figur wurde verschiedentlich als unwahrscheinlich kritisiert. So urteilt Harss: „(…) un cambio de papeles un tanto inverosímil (…). La imagen de Lituma en Piura, algo difusa, es difícil de conciliar con la del hombre al que se conocía simplemente como el Sargento en Santa María.“ [77]
Ebenso verhält es sich auch mit der Figur der Bonifacia, die nur im Handlungstrang A unter diesem Namen auftaucht. Nach ihrer Heirat mit dem Sargento und der Übersiedlung nach Piura nimmt sie den auf ihre Herkunft verweisenden Namen Selvática an.
Daß die Handlungsstränge auch eine räumliche Schnittmenge unter sich aufteilen, zeigt sich in einer Sequenz des dritten Buches: Fushías Insel, Schauplatz einer Vielzahl von Sequenzen des Handlungsstranges B, wird im dritten Kapitel des dritten Buches[78], als die Gruppe um den Sargento sich anschickt, Fushías Bande ausfindig zu machen, plötzlich zur Kulisse für den Handlungsstrang A.
Ein Beispiel für die achronologische Verteilung von Information findet sich im Handlungsstrang E: Als Josefino Rojas in der dritten E-Sequenz innerhalb des zweiten Buches[79] von Lituma brutal zusammengeschlagen wird, ist das Motiv der Tat nicht erkenntlich. Erst in einer sich über drei Sequenzen ziehenden Analepse im vierten Teil des Buches[80] wird die Tat in den nötigen Kontext gestellt: Josefino hatte Litumas Frau in dessen Abwesenheit verführt und sie in der Folge als Prostituierte arbeiten lassen, um von ihren Erträgen zu leben. Zwischen der Schilderung der Züchtigung und der ihrer Motive liegen knapp 170 Seiten Erzählzeit.
Was hier vorliegt, ist ein Paradebeispiel für den Dato escondido en hipérbaton: Ein für das Verständnis der Erzählung wichtiges Ereignis der Geschichte Litumas wird dem Leser über weite Strecken des Handlungsstrangs vorenthalten und die Episode so in eine geheimnis- und spannungsvolle Aura getränkt. Allerdings bewegt sich diese Technik auf einem schmalen Grad. Ebenso wie das temporäre Verschweigen wichtiger Ereignisse und die Umkehrung von Ursache und Wirkung eine Erzählung bereichern können, kann dies den Leser auch verwirren. Nur bei einer konzentrierten und engagierten, manchmal sogar erst bei einer wiederholten Lektüre, greifen die technischen Mechanismen des Romans so ineinander wie vom Autor gewünscht.
Weitere Datos escondidos en hipérbaton sind beispielsweise der Grund von Fushías Reise (die nicht explizit benannte, doch angedeutete Lepraerkrankung), die sich dem Leser erst im Laufe der retrospektiven Schilderungen Fushías erschließen, oder Litumas Abwesenheit von Piura, die sich erst im dritten Buch des Romans mit Seminarios Tod[81] erklärt. Der Leser findet die Figuren Adrían Nieves und Lalita schon in der ersten Sequenz des zweiten Buches[82] als Lebenspartner vor, während in der darauffolgenden Sequenz Lalita noch Fushías Frau ist und Nieves mit ihnen zusammenlebt. Dem Leser werden die Umstände, die zu dieser Veränderung führten, zunächst vorenthalten. Erst in den folgenden Sequenzen des Handlungsstranges B [83] wird Lalitas und Nieves Annäherung und in der zweiten B – Sequenz des vierten Buches[84] schließlich deren gemeinsame Flucht beschrieben. Zwischen der Information, daß Lalita und Nieves ein Paar sind, und der Schilderung der Hintergründe dieses Umstandes liegen also innerhalb des Romans ungefähr zwei Bücher.
Anselmos ungeklärte Herkunft hingegen, Anlaß verschiedener Spekulationen der Mangaches, fällt in die Kategorie der Datos escondidos elípticos. Diese Information wird dem Leser komplett vorenthalten und die Figur des Anselmo so mit einer mystischen Qualität versehen. Die Spekulationen anderer Figuren verstärken diesen Effekt: “Empezaron a circular pequeños mitos sobre él.“[85] Für manche ist er ein Mangache: „Era un mangache, que lo velen sus hermanos.“ [86] Andere behaupten, er stamme aus der Selva: „¿Anselmo selvático? –dice el doctor Zevallos– posible, después de todo, por qué no, qué curioso. [87] Der Padre Garcia hält ihn gar für den Teufel: “Su cuerpo huele a azufre.“ [88] Die Wahrheit jedoch bleibt ungewiss. Ebenso verhält es sich mit dem tatsächlichen Schicksal des ersten grünen Hauses. Die anfänglich aufgestellte Behauptung, es sei von Padre García verbrannt worden, wird im Laufe der Erzählung immer stärker in Frage gestellt, bis letztlich nicht ein mal mehr sicher ist, ob es je ein grünes Haus gegeben hat: „Pero dígame al menos sie existió ese bulin o si son inventos de la gente.“ [89] , fragt ein Taxifahrer den Doctor Zevallos in der letzten Episode des Romans und muss, ebenso wie der Leser, auf eine Antwort verzichten.
Wie verschiedene Autoren aufzeigen konnten,[90] ist die bis hierher geschilderte Art der fragmentarischen Komposition von Handlung eine bewußte Konstruktion des Autors und elementarer Bestandteil des Romans:
Estas cinco historias (…) Están entrelazadas, tienen personajes comunes y la estructura, tanto en el espacio como en el tiempo, es discontínua (…) no existe un orden lineal. He intentado presentar todos estos mundos, tan opuestos, tan diferentes, como un todo.[91]
Der Leser wird gezwungen, einem literarischen Ermittler gleich, die verschiedenen Bruchstücke der Erzählung innerhalb seiner Wahrnehmung intuitiv zusammenzufügen und zu ordnen, um so die kohärente Gesamtheit der Erzählung zu erschließen.
Daß dies durch den Leser bei der Lektüre nicht in vollem Umfang erreicht werden kann, daß selbst durch eine retrospektive Synthese aller verfügbaren Informationen noch Ungeklärtes, verschwommene Zeitlichkeit, paradoxe Kausalitäten und Mehrdeutigkeiten bestehen bleiben, ist alles andere als Zeugnis mangelnder Gestaltungskraft des Autors. Vielmehr ist diese Art der Komposition von Handlung, wie Scheerer überzeugend darlegt, eine bewußte Konstruktion:
Die weitestgehende Folge dieser Erzähltechnik besteht darin, daß des Lesers Erfahrungen zu denen der Romanfiguren parallel gesetzt werden. (…) So wie dieser {der Leser} in den Fragmenten der Erzählung nach Orientierung sucht, ohne je voll befriedigt zu werden, so scheinen die Menschen im Roman in Geschehnisse verwickelt zu sein, die sie ebenfalls nur als Fragmente verstehen können. Das bedeutet eine nachhaltige Relativierung der Welt.[92]
In der Korrespondenz von Technik und Thematik zeigt sich eine der bemerkenswertesten Facetten von La casa verde. Scheerer folgt in seinen Ausführungen einer These Michael Moodys. In seinem Aufsatz „ Un pequeño remolino: la estructura de La casa verde “ zeigt Moody die Komplexität und Diskontinuität der narrativen Struktur des Romans als Versuch, der Relativität und Unvorhersagbarkeit der menschlichen Erfahrung mit dieser Form von Erzählung ein literarisches Äquivalent entgegenzusetzen:
Todo lo que dice en el fondo encierra una visión del hombre que abarca la complejidad y la relatividad de la experiencia humana. Trasladar características humanas como estas a terminos literarios implica también compléjidad equivalente de la estructura narrativa[93]
[...]
[1] Eine erschöpfende Dokumentation von Vargas Llosas Arbeiten findet sich unter: http://www.mvargasllosa.com
[2] vergl. Kloepfer, Rolf / Zimmermann, Klaus, Mario Vargas Llosa, S.491 in: Eitel, Wolfgang (Hrsg.), Lateinamerikanische Literatur der Gegenwart, Stuttgart, Alfred Kröner, 1978, S.469-493
[3] Reichhardt, Dieter, Autorenlexikon Lateinamerika, Frankfurt, Suhrkamp, 1994
[4] ebd. (zitiert nach: Morales Saravia, José, Mario Vargas Llosa im deutschen Sprachraum, S.15, in: Morales Saravia, José (Hrsg.) Das literarische Werk von Mario Vargas Llosa, Frankfurt, Vervuert, 2000. S.7-21)
[6] Luchting, Wolfgang, Mario Vargas Llosa - Desarticulador de realidades, Bogota, Plaza y Janes, 1978, S.38
[7] Vargas Llosa, Mario, La novela, Montevideo, 1968
[8] Vargas Llosa, Mario, Historia secreta de una novela, Barcelona, Tusquets Editores, 1971
[9] Vargas Llosa, Mario, Carta de batalla por Tirant lo Blanc, Vorwort zu Tirant lo Blanc, Madrid, Alianza Editorial, 1969, Vol. I, S.9-41
[10] Vargas Llosa, Mario: García Márquez; Historia de un deicidio, Barcelona, Barral Editores, 1971
[11] Vargas Llosa, Mario, La orgía perpetua. Flaubert y Madame Bovary, Barcelona, Seix Barral, 1975
[12] Vargas Llosa, Mario, La novela, Buenos Aires, America Nueva, 1974, S.13 (zitiert nach: Scheerer, Thomas M., Mario Vargas Llosa - Leben und Werk - Eine Einführung, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1991. S.66)
[13] ebd.
[14] vergl. Vargas Llosa, Mario, García Márquez; Historia de un deicidio, Barcelona, Barral Editores, 1971, S.85
[15] ebd. S.87 (zitiert nach: Scheerer, Thomas M., Mario Vargas Llosa - Leben und Werk - Eine Einführung, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1991. S.73)
Vargas Llosa, Mario, Fehdebrief zur Verfechtung der Ehre von Tirant lo Blanc, S.704, Nachwort zu: Martorell, Joanot, Der Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc, Frankfurt, Fischer, 1990, S.689-735[16]
[17] Vargas Llosa, Mario, García Márquez; Historia de un deicidio, Barcelona, Barral Editores, 1971, S.278
[18] vergl. Enkvist, Inger, Las tecnicas narrativas de Vargas Llosa, Acta Universitatis Gothoburgensis, Göteburg, 1987, S.12
[19] Vargas Llosa, Mario, La casa verde, 1. Auflage, Barcelona, Seix Barral, 1966 (verwendete Ausgabe: Madrid, Alfaguara, 1999)
[20] Vargas Llosa, Mario, Pantaleón y las visitadoras, 1. Aufl.,Barcelona, Seix Barral, 1973 (verwendete Ausgabe, Madrid, Punto de lectura, 2001)
[21] vergl. Kindlers neues Literaturlexikon: Mario Vargas Llosa. 1991, München S.1060
[22] vergl. Harss, Luis, Los nuestros, 1. Aufl., Buenos Aires, Editorial Sudamericana, 1966 (6.Aufl., 1975), S.446
[23] vergl. Enkvist, Inger, Las tecnicas narrativas de Vargas Llosa, Acta Universitatis Gothoburgensis, Göteburg: 1987, S.6
[24] siehe Anhang
[25] Ein ausführliches Schaubild zur Struktur des Romans findet sich im Anhang
[26] Die letzte Sequenz des Buches kann gleichzeitig den Handlungssträngen C und E zugeordnet werden.
[27] Vargas Llosa, Mario, Pantaleón y las visitadoras, 1. Aufl., 1973, Madrid, Punto de lectura, (6.Aufl. 2001), S.15
[28] ebd. S.391
[29] vergl. Garscha, Karsten: Humor, Parodie und Komödie in Vargas Llosas Pantaleón y las visitadoras, S.99 in: Morales Saravia, José (Hrsg.) Das literarische Werk von Mario Vargas Llosa, Frankfurt, Vervuert, 2000. S.83-98
[30] Boland, R.C., Pantaleón y las visitadoras: A novelistic theory put into practice, S. 16. in Revista de estudios hispanicos, XVI, 1. Alabama, 1982. S.15 - 33
[31] Roy, Joaquin, Reiteración y novedad de la narrativa de Vargas Llosa en Pantaleón y las visitadoras, S.464. In: Cuadernos Hispanoamericanos 302. Madrid: 1975. S.464 – 472
[32] Boland, R.C., a.a.O., S. 16.
[33] Roy, Joaquin, a.a.O.
[34] Boland, R.C., a.a.O. S.18
[35] Vergl.: Boldori de Baldussi, Rosa, Vargas Llosa - un narrador y sus demonios, Fernando García Cambeiro, Buenos Aires, 1974, S.182
[36] Vargas Llosa, Mario, Spiel mit Sprache und Zeit, in: Die Wirklichkeit des Schriftstellers , Frankfurt a.M. Suhrkamp, 1997, S.107-129
[37] ebd. S.119
[38] ebd. S.120
[39] Vargas Llosa, Mario, Pantaleón y las visitadoras, 1. Aufl., 1973, Madrid, Punto de lectura, (6.Aufl. 2001), S.42
ebd. S.43
[41] ebd.
[42] ebd. S44
[43] ebd.
[44] ebd. S.153
[45] ebd. S.309
[46] ebd. S.310
[47] ebd. S.298
[48] ebenda S.309
[49] Vargas Llosa, Mario: Spiel mit Sprache und Zeit, S.124/125, in: Die Wirklichkeit des Schriftstellers , Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1997, S.107-129
[50] Mario Vargas Llosa, Pantaleón y las visitadoras, 1. Aufl., 1973, Madrid, Punto de lectura, (6.Aufl. 2001), S.276/277
[51] ebd. S.365
[52] Lichtblau, Myron I., Las acotaciones como recurso narrativo en Pantaleón y las visitadoras, S.220, in: Hernández de López, Ana Maria (Hrsg.): Mario Vargas Llosa - Opera Omnia. Madrid, Editorial Pliegos, 1994, S.214-220
[53] Garscha, Karsten: Humor, Parodie und Komödie in Vargas Llosas Pantaleón y las visitadoras, S.87 in: Morales Saravia, José (Hrsg.) Das literarische Werk von Mario Vargas Llosa, Frankfurt, Vervuert, 2000. S.83-98
[54] Stenzel, Hartmut, Einführung in die spanische Literaturwissenschaft, Stuttgart; Weimar, Metzler, 2001, S.73
[55] Boldori de Baldussi, Rosa, Vargas Llosa - un narrador y sus demonios, Fernando García Cambeiro, Buenos Aires, 1974, S.114
[56] Vergl. Scheerer, Thomas M., Mario Vargas Llosa - Leben und Werk - Eine Einführung, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1991. S. 48
[57] Vargas Llosa, Mario, Historia secreta de una novela, Barcelona, Tusquets Editores, 2001.
[58] ebd. S. 55
[59] ebd.
[60] Castro-Klarén, Sara, Mario Vargas Llosa – Análisis introductorio, Lima, Latinoamericana Editores, 1988, S.47
[61] Vergl. Scheerer, Thomas M., Mario Vargas Llosa - Leben und Werk - Eine Einführung, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1991. S.49
[62] vergl. ebd.
[63] vergl. ebd.
[64] Vargas Llosa, Mario, García Márquez; Historia de un deicidio, Barcelona, Barral Editores, 1971, S.279
[65] vergl. ebd. S.279
[66] vergl. Luchting, Wolfgang, Mario Vargas Llosa - Desarticulador de realidades, Bogota, Plaza y Janes, 1978. S.55.
[67] vergl. ebd. S.54
[68] Vargas Llosa, Mario: García Márquez; Historia de un deicidio, Barcelona, Barral Editores, 1971, S.279
[69] vergl. Enkvist, Inger, Las tecnicas narrativas de Vargas Llosa, Acta Universitatis Gothoburgensis, Göteburg: 1987, S.35
[70] Cano Gaviria, Ricardo, El buitre y el ave fénix. Conversaciones con Mario Vargas Llosa, Barcelona, Editorial Anagrama, 1972, S.103
[71] siehe Schaubild S.8
[72] vergl. ebd.
[73] dazu später in Punkt 4.3.1
[74] Vargas Llosa, Mario, La casa verde, Madrid, Alfaguara, 1999, S.15
[75] ebd. S. 10
[76] Die außerordentlich unterschiedliche Charakterisierung der Figur innerhalb ihren jeweiligen Erscheinungformen, ob diszipliniert und freundlich als Sargento oder aggressiv und menschenverachtend als Lituma, macht diese Aufspaltung naheliegend.
[77] Harss, Luis, Los nuestros, 1. Aufl., Buenos Aires, Editorial Sudamericana, 1966 (6.Aufl., 1975) S.458
[78] Vargas Llosa, Mario, La casa verde, Madrid, Alfaguara, 1999, S.310-320
[79] ebd. S.230-236
[80] ebd. S. 399-405, 429-434 und 454-461.
[81] ebd. S.273-280, 300-309, 333-341 und 357-363
[82] ebd. S152-160
[83] ebd. S.187 ff.
[84] ebd. S.387-393
[85] ebd. S.71
[86] ebd. S.515
[87] ebd. S.521
[88] ebd. S.129
[89] ebd. S.496
[90] vergl. Scheerer, Thomas M., Mario Vargas Llosa - Leben und Werk - Eine Einführung, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1991, S. 48-50 Moody, Michael, Un pequeño remolino; La estructura narrativa de La casa verde, S.29-32, in: Rossman, C./ Friedman,A.W. (Hrsg.), Mario Vargas Llosa - estudios criticos, Madrid, Alhambra, 1984. S.29-56 Oviedo, José Miguel, Mario Vargas Llosa – la invención de una realidad, Barcelona, Seix Barral, 1982, S.178
[91] Poniatowska, Elena, Al fin un escritor que le apasiona escribir, no lo que se diga de sus libros: Mario Vargas Llosa, La Cultura de Mexico, núm. 117, suplemento de Siempre, 7.7.1965, S.3 (zitiert nach: Moody, Michael, Un pequeño remolino; La estructura narrativa de La casa verde, S.30, in: Rossman, C./ Friedman,A.W. (Hrsg.), Mario Vargas Llosa - estudios criticos, Madrid, Alhambra, 1984. S.29-56)
[92] Scheerer, Thomas M., Mario Vargas Llosa - Leben und Werk - Eine Einführung, Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1991, S.49
[93] Moody, Michael, Un pequeño remolino; La estructura narrativa de La casa verde, S.30, in: Rossman, C./ Friedman,A.W. (Hrsg.), Mario Vargas Llosa - estudios criticos, Madrid, Alhambra, 1984. S.29-56
- Quote paper
- Christian Meister (Author), 2003, Die Erzähltechniken Mario Vargas Llosas am Beispiel von "La casa verde" und "Pantaleón y las visitadoras", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20230
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