Politikverdrossenheit, Mitgliederschwund bei Volksparteien und Klagen der Wahlbevölkerung über mangelnde Mitspracherechte prägen seit mehreren Jahren die politische Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Partizipationsmöglichkeiten zu eröffnen, um die Gesellschaft zu aktivieren bzw. die Zustimmung bei unliebsamen Entscheidungen zu erhöhen, erscheinen auf den ersten Blick äußerst Ziel führend, da durch die aktive Teilhabe die Identifikation gesteigert wird und auch die politische Transparenz verbessert wird.
Auf kommunaler Ebene und Landesebene stellen direktdemokratische Elemente bereits seit mehreren Jahrzehnten eine sinnvolle Ergänzung der repräsentativen Demokratie dar.
Schwerpunkt dieser Arbeit ist es, die Frage zu erörtern, inwiefern die Einführung direktdemokratischer Instrumente auf Bundesebene rechtlich zulässig ist und, ob tatsächlich notwendige Reformen und weitreichende Entscheidungen auf diesem Weg erfolgreich und angemessen herbeigeführt werden können.
Um diesen Sachverhalt zu klären, ist es vorab notwendig, demokratietheoretische Überlegungen anzuführen, um zu verdeutlichen welchen Nutzen sich der politisch emanzipierte und engagierte Bürger von einem „Mehr“ an politischer Beteiligung versprechen kann und welche Erwartungen übertrieben unrealistisch bleiben müssen. Hier wird insbesondere auf die Wirkungsweisen unmittelbar demokratischer Instrumente auf kommunaler Ebene eingegangen, da auf dieser Verwaltungsebene vermehrt Referenzwerte vorliegen und die Argumentation der Befürworter häufig auf die nationale Ebene übertragen wird.
Daran anschließend werden die vorhandenen direktdemokratischen Anteile auf Landesebene im Überblick vorgestellt sowie die Möglichkeit, solche Instrumente auf Bundesebene einzuführen. Dabei werden juristische Aspekte besondere Beachtung finden. Auch wird hier auf die Wünsche nach Verfassungsänderung bei der deutschen Wiedervereinigung eingegangen.
Abschließend erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit der zentralen Frage, ob direktdemokratische Elemente einen Gewinn für das politische System der Bundesrepublik darstellen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Demokratietheoretische Überlegungen
2.1. Volkssouveränität
2.2. Gleichheit
2.3. Freiheit
2.4. Identität und Repräsentation
3. Demokratiedefizite
3.1. Krise der Parteienstaatlichkeit
3.2. Legitimationsprobleme
4. Chancen der direkten Demokratie
5. Wirkungen direktdemokratischer Instrumente auf kommunaler Ebene (vgl. Lackner 1999 ; dazu auch: Kost 2006)
5.1. Übersicht über die Wirkungen direktdemokratischer Instrumente auf kommunaler Ebene
5.2. Vorwirkungen
5.2.1. Allgemeine Vorwirkungen
5.2.2. Prompte Vorwirkungen
5.3. Direkte Wirkungen
5.4. Primär-indirekte Wirkungen
5.5. Sekundär-indirekte Wirkungen
5.6. Nachwirkungen
5.7. Zwischenfazit zur Direktdemokratie auf kommunaler Ebene
6. Direkte Demokratie auf Landesebene
7. Direkte Demokratie auf Bundesebene
7.1. Allgemeine Anmerkungen
7.2. Rechtliche Zulässigkeit plebiszitärer Verfahren und deren Umsetzung
7.3. Systemverträglichkeit plebiszitärer Verfahren
7.4. Die Gemeinsame Verfassungskommission 1994
7.5. Schlussfolgerungen
8. Fazit
9. Schluss
Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
Politikverdrossenheit, Mitgliederschwund bei Volksparteien und Klagen der Wahlbevölkerung über mangelnde Mitspracherechte prägen seit mehreren Jahren die politische Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Partizipationsmöglichkeiten zu eröffnen, um die Gesellschaft zu aktivieren bzw. die Zustimmung bei unliebsamen Entscheidungen zu erhöhen, erscheinen auf den ersten Blick äußerst Ziel führend, da durch die aktive Teilhabe die Identifikation gesteigert wird und auch die politische Transparenz verbessert wird.
Auf kommunaler Ebene und Landesebene stellen direktdemokratische Elemente bereits seit mehreren Jahrzehnten eine sinnvolle Ergänzung der repräsentativen Demokratie dar.
Schwerpunkt dieser Arbeit ist es, die Frage zu erörtern, inwiefern die Einführung direktdemokratischer Instrumente auf Bundesebene rechtlich zulässig ist und, ob tatsächlich notwendige Reformen und weitreichende Entscheidungen auf diesem Weg erfolgreich und angemessen herbeigeführt werden können.
Um diesen Sachverhalt zu klären, ist es vorab notwendig, demokratietheoretische Überlegungen anzuführen, um zu verdeutlichen welchen Nutzen sich der politisch emanzipierte und engagierte Bürger von einem „Mehr“ an politischer Beteiligung versprechen kann und welche Erwartungen übertrieben unrealistisch bleiben müssen. Hier wird insbesondere auf die Wirkungsweisen unmittelbar demokratischer Instrumente auf kommunaler Ebene eingegangen, da auf dieser Verwaltungsebene vermehrt Referenzwerte vorliegen und die Argumentation der Befürworter häufig auf die nationale Ebene übertragen wird.
Daran anschließend werden die vorhandenen direktdemokratischen Anteile auf Landesebene im Überblick vorgestellt sowie die Möglichkeit, solche Instrumente auf Bundesebene einzuführen. Dabei werden juristische Aspekte besondere Beachtung finden. Auch wird hier auf die Wünsche nach Verfassungsänderung bei der deutschen Wiedervereinigung eingegangen.
Abschließend erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit der zentralen Frage, ob direktdemokratische Elemente einen Gewinn für das politische System der Bundesrepublik darstellen.
2. Demokratietheoretische Überlegungen
Salopp formuliert stellt die Demokratie die „Herrschaft des Volkes“ dar. Das Volk ist Urheber und Begründer dieser Staatsform, wobei nach unserem positiven Demokratieverständnis die Ideen von Freiheit und Gleichheit in die „Volksherrschaft“ integriert sind. Nach der Gettysburg-Formel von Abraham Lincoln aus dem Jahr 1863 soll Demokratie ein „government of the people, by the people, for the people“ sein. Letztgenannte Präposition weist auf den inhaltlichen Auftrag hin, welcher als Rahmen für politische und soziale Bewegungen dienen soll (vgl. Weixner 2002:23).
Bei der Entwicklung zum modernen Verfassungsstaat spielten die Begriffe Volkssouveränität, Volk, Gleichheit und Freiheit epochaltypisch unterschiedliche Rollen. Als systemische Gestaltungsmerkmale treten in der jetzigen Ausprägung Gewaltenteilung, Parlamentarismus, Repräsentation und Parteienstaatlichkeit in Erscheinung.
Wo findet die direkte Demokratie im politischen System ihren Platz? (vgl. dazu Weixner 2002:23-35)
2.1. Volkssouveränität
Volkssouveränität bedeutet, unpräzise formuliert, dass die oberste Gewalt im Staat vom Volk ausgeht.
Die Lehre der Volkssouveränität ist untrennbar mit Rousseau verbunden: „Für Rousseau ist Volkssouveränität nicht mehr nur eine Idee, sondern ein Postulat, dem in der Realität unter Rückgriff auf die antike Polis oder die Schweizer Landsgemeinde durch die selbsttätige Mitwirkung des Volkes bei der Ausübung staatlicher Machtbefugnisse, insbesondere der unmittelbaren Gesetzgebung des Volkes Ausdruck verliehen werden soll. Nur die direkte Herrschaft des Volkes im Sinne einer Identität von Herrschern und Beherrschten ist >>wahre Demokratie<<. (Weixner 2002:24)
Wie soll Machtausübung konkret funktionieren? Nach welchen Modalitäten wird Staatsgewalt organisiert? Sind repräsentative Elemente nun weniger „demokratisch“?
Bei der Verabschiedung des Grundgesetzes wurde darauf Rücksicht genommen, dem deutschen Volk die demokratische Teilhabe am politischen Gestaltungsprozess zu eröffnen. Gemäß der aktuellen Verfassung (Art. 20 Abs.2, Art 21 Abs.1, Art.28 Abs.1 und Art.38 Abs. 1 GG) ist das Volk definiert als alle deutschen Bürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, damit aktives und passives Wahlrecht besitzen und dadurch Inhaber und Träger der Bundesgewalt sind.
Die Ausübung dieser Gewalt erfolgt durch Wahlen und nur ausnahmsweise in Abstimmungen (Art.29 GG). Dabei wird die Macht auf repräsentative Organe übertragen. Unmittelbare Machtausübung spielt nur eine untergeordnete Rolle (vgl. Weixner 2002:25).
2.2. Gleichheit
Zwischen dem Volk als souveräner politischer Handlungseinheit und dem Gleichheitsprinzip besteht ein wesenhafter Zusammenhang: Je mehr die politische Gleichheit der Staatsbürger verwirklicht ist, desto zutreffender ist es, von einer Herrschaft des Volkes zu sprechen. (vgl. Weixner 2002:26).
Im Artikel 38 des Grundgesetzes ist das Gleichheitsprinzip in der Form verwirklicht, dass jeder Staatsbürger den gleichen Anteil an der Bildung des Volkswillens hat.
Bei direktdemokratischen Verfahren besteht die Gefahr, so die Argumentation der Gegner, dass eine Minderheit an Abstimmenden über die Mehrheit der passiven Bürger bestimmen kann. Um diesen Missstand zu begegnen, wurden qualifizierende Quoren eingeführt (diese unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung von Bundesland zu Bundesland), die eine Hürde für Veränderungen darstellen.
Das Prinzip der Gleichheit bleibt bei unmittelbaren demokratischen Instrumenten gewahrt, da grundsätzlich jeder Wahlberechtigte die gleichen Möglichkeiten besitzt, an einer Volksabstimmung teilzunehmen. Dieses Faktum stellt die rechtliche Legitimation dar und entkräftet das Argument der „Tyrannei der Minderheit“.
2.3. Freiheit
Hier muss zwischen politischer und persönlicher Freiheit differenziert werden.
Die politische Freiheit impliziert die Partizipation des Staatsbürgers an politischen Entscheidungsprozessen. Durch die Struktur des politischen Systems (Gewaltenteilung, Repräsentation etc.) besteht die Teilhabe in erster Linie in der Einsetzung und Kontrolle der legislativen Gewalt. Das Mehrheitsprinzip stellt zum einen eine Einschränkung der politischen Freiheit dar (Einzelwille beugt sich dem Willen der Mehrheit), zum anderen ist es eine Möglichkeit, die politische Freiheit der Mehrheit des Volkes zu garantieren und stellt damit die größtmögliche Annäherung an den Freiheitsgedanken dar (vgl. Weixner 2002:27).
Die persönliche Freiheit besteht in der Möglichkeiten sich als Bürger entsprechend der gesetzlichen Möglichkeiten aktiv zu beteiligen (Meinungsfreiheit, Abstimmungsfreiheit, Versammlungsfreiheit etc.).
In modernen westlichen Demokratien besteht ein unlösbarer Zusammenhang zwischen persönlicher und politischer Freiheit.
Hinzu kommt der Aspekt der „Verantwortung“: Nicht die Freiheit zu willkürlichen Entscheidungen steht im Vordergrund, sondern Selbstbestimmung in Selbstverantwortung.
Plebiszitäre Elemente wären demnach erst sinnvoll, wenn sich das Volk der Verantwortung ihrer Entscheidung bewusst ist und dementsprechend handelt (vgl. Weixner 2002:28).
Dies setzt ein gewisses Mindestmaß an politischer Bildung und Demokratiekompetenz voraus und erfordert die entsprechenden zeitlichen, materiellen und finanziellen Ressourcen, um Entscheidungen rational begründen zu können. Inwiefern dies der Realität entspricht bleibt fraglich.
2.4. Identität und Repräsentation
„Die Grundannahme der Identitätslehre besteht in der Verneinung von Repräsentation und Gewaltenteilung und zugleich in der besonderen Hervorhebung der Volkssouveränität zum Erhalt von Freiheit und zur Herstellung der Gleichheit aller Staatsbürger.“ (Weixner 2002:28f.)
Rousseau, geistiger Vater der identitären Demokratie, fordert die Machtausübung des Volkes unmittelbar durch das Volk. Die Identität zwischen Regierenden und Regierten setzt eine ständige Versammlung des Volkes voraus, was angesichts der Größe und Gestalt der BRD absolut unrealistisch und undurchführbar ist. Ferner postuliert Rousseau einen „Gemeinwillen“, der die wahren Interessen aller repräsentiert und auf das Gemeinwohl hin orientiert ist. Minderheiten finden keine Berücksichtigung, was zu einer Einschränkung der politischen Freiheit führt.
Aus diesem Hintergrund heraus und (unter anderem) mit dem ideengeschichtlichen Unterbau der Federalist Papers und John Lockes Abhandlungen über die Regierung, findet die Repräsentation des Volkswillens ihren Platz in der Verfassung. Gewaltenteilung und repräsentative Elemente vermögen die gesellschaftliche Heterogenität und die äußerst unterschiedlichen individuellen Interessen zu artikulieren und ermöglichen dem Staat Handlungsfähigkeit und Kontinuität.
3. Demokratiedefizite
3.1. Krise der Parteienstaatlichkeit
Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit (Art. 21 Abs.1 GG) und sollen der Mediator zwischen „Staat“ und „Volk“ sein, Parteien fungieren als Sprachrohr der Bevölkerung. Parteien werden allerdings immer mehr zu Adressaten der Interessengruppen anstelle der Bürger. Partikulare Interessen und Verbände scheinen die Parteien zu beherrschen (vgl. Weixner 2002:37). „Ferner haben die Parteien häufig ihre „Mittlerfunktion“ zwischen Volk und Staat zugunsten von Fraktionsdisziplin, Unschärfe ihrer programmatischen Position und der normativen Kraft faktischer Vorentscheidungen durch Partei-/Fraktionsspitzen und Hinnahme von Einflusslosigkeit einzelner Abgeordneter im Parlament aufgegeben.“ (Weixner 2002:37)
Direktdemokratische Praktiken können diesem Misstand begegnen und Entscheidungen verstärkt von der Basis, von „unten“, herbeizuführen.
3.2. Legitimationsprobleme
Im repräsentativen System der BRD erfolgt die Gesetzgebung durch das Parlament. Die gewählten Abgeordneten unterliegen jedoch der Parteidisziplin und dem „Fraktionszwang“ und somit wird der Mehrheitswille dominant durch die Minderheit der politischen Parteispitzen formuliert. Die Entscheidungsmöglichkeiten werden dadurch erheblich beengt und reduzieren die Alternativen. Die Mehrheitsbildung erfolgt in Koalitionsabsprachen und informellen Funktionärsgesprächen. Eine Kontrolle durch die Wahlbevölkerung ist in der Regel erst nach Ablauf einer Legislaturperiode möglich. Eine vorherige Rückbindung an das Volk gibt es quasi nicht. (vgl. Weixner 2002:43f.)
Dieser Misstand führt zu Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit der Wahlberechtigten. Politische Entscheidungen werden mangels Mitbestimmung weniger akzeptiert (so die These). Direktdemokratische Elemente können als legitimierender qualitativer Wert die Anerkennung der politischen Ordnung steigern.
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- Anonym,, 2011, Die Reformdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland: Einführung direktdemokratischer Instrumente auf Bundesebene?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202083
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