Als am 9. Mai 1945 durch die Kapitulation des Deutschen Reiches der Zweite Weltkrieg nach 6 Jahren endete, sollte eine Zeit der politischen Umwälzung auf deutschem Boden beginnen. Durch die besonderen Umstände, welche sich nach dem Krieg im besetzten Ostdeutschland abzeichneten und schließlich in der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik mündeten, gab es städtebauliche Entwicklungen, die in Westdeutschland nicht vorzufinden sind und sich von deren Planungen stark unterscheiden.
Ziel im ersten Teil der vorliegenden Hausarbeit ist es, diese Umstände näher zu erläutern und zu bewerten. Dazu soll der Zeitraum von 1945, also unmittelbar nach Kriegsende, bis zur Deutschen Einheit 1990 untersucht werden. Dafür ist es unumgänglich, sich mit der Gründungsgeschichte der DDR, der zentralen Stadtplanung und den „Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus“ auseinanderzusetzen.
Zusätzlich gibt es im Zusammenhang mit der Problematik des Wohnungsbaus in der DDR einen Exkurs zu den eingesetzten Typen der Plattenbauten und dem dahinter stehenden sozialistischen Grundgedanken.
Die Gründe für den Aufbau der sozialistischen Arbeiterstadt Halle-Neustadt mit den sozialistischen Idealvorstellungen sollen im zweiten Teil der Hausarbeit analysiert werden. Des Weiteren wird näher auf die Entwicklung der Stadt und die wachsenden Probleme eingegangen. Dieser Abschnitt der Hausarbeit wird sich vor allem auf den zeitlichen Rahmen von Beginn der Planungen zu Halle-Neustadt ab Ende der 1950er Jahre bis zum Zusammenbruch der DDR beschränken.
Im dritten und letzten Teil der Hausarbeit wird schließlich die Problematik der schrumpfenden Städte in Ostdeutschland nach 1990 angesprochen. Hierbei möchte ich im Besonderen auf die damit entstandenen Probleme in Halle-Neustadt und die Versuche der Stadt Halle eingehen, um eben jenem Bevölkerungsrückgang entgegen zu wirken.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Wiederaufbau in der Sowjetischen Besatzungszone
2.1 Politische Rahmenbedingungen
2.2 Städtebauliche Entwicklungen
2.3 Zentralismus im Städtebau
3 Der Wiederaufbau in der Deutschen Demokratischen Republik
3.1 Die Anfänge in der Deutschen Demokratischen Republik
3.2 Die Reise nach Moskau
3.3 Die „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“
3.4 Das Aufbaugesetz
3.5 Der erste Fünfjahrplan von 1951 bis 1955
4 Phasen des Städtebaus in der DDR
4.1 Das Leitbild der „schönen deutschen Stadt“
4.2 Die große Wende im Bauwesen
4.3 Die Industrialisierung des Bauens im Städtebau der DDR Exkurs – Plattenbauweise
4.4 Rückbesinnung auf den Aufbau der Stadtzentren
4.5 Erkenntnisse I
5 Die sozialistisch geplante Arbeiterstadt Halle-Neustadt
5.1 Standortbestimmung und Planung von Halle-Neustadt
5.2 Erste Ideen für eine neue Stadt
5.3 Der Generalbebauungsplan für Halle-West
6 Die Stadtstruktur von Halle-Neustadt
6.1 Die Wohnkomplexe
6.2 Das Stadtzentrum
6.3 Bevölkerungsentwicklung und Stadtgröße
6.4 Verkehrskonzept
6.5 Erkenntnisse II
7 Die Entwicklung Halle-Neustadts nach 1990
7.1 Demographische Entwicklung und Sozialstruktur
7.2 Folgen der demographischen Entwicklung
7.3 Ziele und Umsetzung der Stadterneuerung in Halle-Neustadt
7.4 Neustadt-Impressionen
8 Schlussbetrachtung
9 Quellenverzeichnis
9.1 Literatur
10 Anhang
1 Einleitung
Als am 9. Mai 1945 durch die Kapitulation des Deutschen Reiches der Zweite Weltkrieg nach 6 Jahren endete, sollte eine Zeit der politischen Umwälzung auf deutschem Boden beginnen. Durch die besonderen Umstände, welche sich nach dem Krieg im besetzten Ostdeutschland abzeichneten und schließlich in der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik mündeten, gab es städtebauliche Entwicklungen, die in Westdeutschland nicht vorzufinden sind und sich von deren Planungen stark unterscheiden.
Ziel im ersten Teil der vorliegenden Hausarbeit ist es, diese Umstände näher zu erläutern und zu bewerten. Dazu soll der Zeitraum von 1945, also unmittelbar nach Kriegsende, bis zur Deutschen Einheit 1990 untersucht werden. Dafür ist es unumgänglich, sich mit der Gründungsgeschichte der DDR, der zentralen Stadtplanung und den „Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus“ auseinanderzusetzen.
Zusätzlich gibt es im Zusammenhang mit der Problematik des Wohnungsbaus in der DDR einen Exkurs zu den eingesetzten Typen der Plattenbauten und dem dahinter stehenden sozialistischen Grundgedanken.
Die Gründe für den Aufbau der sozialistischen Arbeiterstadt Halle-Neustadt mit den sozialistischen Idealvorstellungen sollen im zweiten Teil der Hausarbeit analysiert werden. Des Weiteren wird näher auf die Entwicklung der Stadt und die wachsenden Probleme eingegangen. Dieser Abschnitt der Hausarbeit wird sich vor allem auf den zeitlichen Rahmen von Beginn der Planungen zu Halle-Neustadt ab Ende der 1950er Jahre bis zum Zusammenbruch der DDR beschränken.
Im dritten und letzten Teil der Hausarbeit wird schließlich die Problematik der schrumpfenden Städte in Ostdeutschland nach 1990 angesprochen. Hierbei möchte ich im Besonderen auf die damit entstandenen Probleme in Halle-Neustadt und die Versuche der Stadt Halle eingehen, um eben jenem Bevölkerungsrückgang entgegen zu wirken.
2 Der Wiederaufbau in der Sowjetischen Besatzungszone
2.1 Politische Rahmenbedingungen
Als sich am 30. April 1945 die „Initiativgruppe“ der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) um den späteren Staatsratsvorsitzenden der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Walter Ulbricht, auf den Weg „nach Berlin [begab], um von dort aus die Nachkriegsverhältnisse im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands in ihrem Sinne zu ordnen“ (Durth et al. 1999a: 76), sollte der Grundstein für einen späteren, mehr als 40 Jahre andauernden Sozialismus gelegt werden.
Doch zunächst stellten sich in den besetzten Gebieten Ostdeutschlands die gleichen Fragen wie für die westlichen Alliierten. Durch den Zweiten Weltkrieg wurden große Teile Deutschlands zerstört und Millionen von Menschen obdachlos. „Die Folge war, dass es die Stadt als Standort von Handel und Gewerbe kaum mehr gab und dass insbesondere Bürger unterer und mittlerer Schichten ihre Wohnungen verloren hatten“ (Hewitt et al. 1993: 438).
Aus diesem Grund entschieden sich die Siegermächte schnellstmöglich die administrativen Rechte und Aufgaben zu klären, welche für einen geordneten Wiederaufbau unerlässlich waren. Dadurch kam es in kurzer Zeit zu einer Vielzahl von Entscheidungen, die einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung zweier deutscher Staaten und einer damit einhergehenden, nahezu konträren städtebaulichen Entwicklung in den Folgejahren haben sollten.
Am „5. Juni 1945 übernahmen die vier Siegermächte mit der Berliner Erklärung die oberste Regierungsgewalt in Deutschland. Die damit verbundene Zusammenarbeit im Alliierten Kontrollrat und in der Alliierten Stadtkommandantur von Berlin machten […] eine zentrale sowjetische Militärregierung notwendig“ (Creutzberger 1996: 27).
Bereits einen Monat nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands wurde deshalb am 9. Juni 1945 durch den Befehl Nr. 1 die Gründung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) offiziell bekanntgegeben.
Jedoch war der Apparat der SMAD mit seinem Hauptstab in Berlin Karlshorst nach Creutzberger (1996: 29ff) organisatorisch unzureichend aufgebaut und personell völlig unterbesetzt. Zu diesem Zeitpunkt trat die „Gruppe Ulbricht“ in Erscheinung, die nach ihrem langjährigen Aufenthalt in Moskau und entsprechender Vorbereitung „der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland beim Aufbau der Verwaltung in der sowjetischen Besatzungszone […] helfen“ (Benz 2005: 12) sollte.
In der Folge begann die Militärverwaltung im Juli 1945 damit, ihren Verwaltungsapparat auf Länder- und Provinzebene umzuorganisieren. Die „644 Kommandanturen, die bis dahin dem Truppenkommandos der sowjetischen Streitkräfte unterstanden, [wurden] zu Organen der SMAD umfunktioniert und den Länder- und Provinzialadministrationen unterstellt“ (Creutzberger 1996: 28). Somit spannte sich ein flächendeckendes Verwaltungsnetz in Ostdeutschland, das unter der Befehlsgewalt des ranghöchsten sowjetischen Offiziers G.K. Žukow stand.
Am 10. Juni 1945 wurde durch Befehl Nr. 2 der Militäradministration die Gründung von Parteien gestattet und so die Parteilandschaft in Deutschland wiederbelebt. Diesem Befehl folgte nur einen Tag später, am 11. Juni 1945, der Gründungsaufruf der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD), welche sich zum damaligen Zeitpunkt als demokratisch-antifaschistische Partei ohne „Hetze und Feindschaft gegenüber der Sowjetunion“ (Durth et al. 1999a: 77) beschrieb. Die letztlich geplante sozialistische Umwälzung wurde aber nicht als Ziel angeführt.
Doch trotz des Beschlusses der alliierten Siegermächte während der Potsdamer Konferenz, welche vom 17. Juli bis 2. August 1945 abgehalten wurde, Deutschland als einheitliches Wirtschaftsgebiet zu behandeln, sollten „gemäß Befehl Nr. 17 der SMAD vom 27. Juli 1945 Zentralverwaltungen für die Sowjetische Besatzungszone gebildet“ (Durth et al. 1999a: 78) werden.
Aus dieser Zeit stammt auch ein Zitat von Walter Ulbricht, welches die eigentlichen Absichten der Sowjetunion verdeutlicht: „Es ist doch ganz klar: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“ (Durth et al. 1999a: 78).
2.2 Städtebauliche Entwicklungen
Erst nach Errichtung der als Übergangsregierung geplanten SMAD sollte der Aufbau der zerstörten Städte langsam wieder an Bedeutung gewinnen. Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern sich in den Folgejahren überhaupt eine städtebauliche Entwicklung abzeichnete.
Tatsächlich wurde unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Begriff „Aufbau“ zunächst nichts anderes als Trümmerbeseitigung in Verbindung gebracht. Doch bereits ab 1946 rückte „das Problem des Wiederaufbaus der historischen Stadtkerne und Baudenkmäler“ (Paul 1992: 316) neben der Trümmerbeseitigung in den Mittelpunkt. Hierfür fanden bereits „1946/47 intensive Planungsarbeiten und Wettbewerbe“ (Nutz 1993: 159) der Städte in Gesamtdeutschland statt. Doch diese litten allesamt unter einem Problem: Aufgrund der Tatsache, dass sich nach dem Krieg kein städtebauliches Leitbild durchsetzen konnte, waren sie „nicht klar genug in der Aufgabenstellung begrenzt“ (Beyme v. 1987: 275). So gab es einerseits Vorschläge einer Totalrekonstruktion der vielerorts mittelalterlichen historischen Stadtkerne oder aber auch Entwürfe moderner Neubauten mit neuer städtebaulicher Struktur.
Deswegen wurden für die Umsetzung der Wettbewerbsvorschläge in der Sowjetischen Besatzungszone schnell „politische und wirtschaftliche Bedingungen geschaffen, die sich von denen in den Westzonen stark unterschieden“ (Paul 1992: 316).
Schon mit den im September 1945 eingeleiteten „Verordnungen zur Bodenreform“, im Rahmen des von der SMAD durchgeführten „Neubauernprogramms“, kam es zu einschneidenden Veränderungen im Bodenrecht.
Dabei griff die Bodenreform besonders stark auf dem Land, da der Befehl Nr. 209 „die planmäßige Realisierung des Neubauernprogramms mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln anordnete“ (NUTZ 1993: 159). Auf diese Weise entschädigungslos erhaltenes Gebiet wurde zumeist an Flüchtlinge verteilt. Oberstes Ziel war es hierbei, sogenannte „Neubauern“ auszubilden und so einen höheren Grad der Selbstversorgung der Bevölkerung sowie eine Verringerung des Imports an Nahrungsmitteln zu erreichen.
Bemerkenswert ist, dass sich auch Architekten für eine Umsetzung der Bodenreform stark machten, da durch diese nur wenig Rücksicht auf bestehende Besitzstrukturen genommen werden musste.
Jedoch wurden „die beschränkten Baumaterialien, die vor allem aus Trümmern gewonnen wurden, in erster Linie und unter ständiger Kontrolle der Sowjetunion für den Aufbau der Industrie und Energieversorgung“ genutzt, was den „Klein- und Mittelstädten im ländlichen Raum, nur wenige Möglichkeiten zum sichtbaren Aufbau der zerstörten Stadtzentren, die über die Wiedererrichtung einzelner Gebäude hinausgehen“ (NUTZ 1993: 159) einräumte.
Für die Entwicklung größerer Städte aber zeichnete sich eine andere Entwicklung ab. Die noch „vorhandene Nazi-Architektur wurde als Symbol einer verlogenen Zeit interpretiert“ (HOSCISLAWSKI 1991: 38). Aus diesem Grund bot es sich an, sich wieder dem Bauhaus-Funktionalismus zuzuwenden, „dem in der Weimarer Republik gerade von Sozialdemokraten und Kommunisten Sympathien entgegengebracht worden waren, und dessen Prinzipien Eingang in die von der internationalen Architektenvereinigung CIAM verabschiedeten […] „Charta von Athen“, gefunden hatten“ (HOSCISLAWSKI 1991: 38). Die CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne) war eine in den Jahren 1928 bis 1959 stattfindende Reihe von Kongressen für Architekten und Stadtplaner, deren wichtigster Beschluss die „Charta von Athen“ war.
Außerdem hatte die im Zuge der von der sowjetischen Besatzungsmacht verfolgten Entnazifizierung zur Folge, dass politisch unbelastete Architekten, insbesondere Vertreter des Neuen Bauens, mit ihren Ideen in der Sowjetischen Besatzungszone wirksam werden konnten. Dabei orientierten sich bekannte Anhänger des Neuen Bauens, wie Richard Paulick, Hermann Henselmann oder Otto Haesler auch am Baugeschehen der anderen Siegerstaaten, um den Anschluss an die „moderne Architekturentwicklung wiederzugewinnen“ (HOSCISLAWSKI 1991: 40). Dazu wurden Planungsvorstellungen unter anderem von Le Corbusier, der Umgestaltung Groß-Londons oder aber auch der Gartenstadtidee aufgenommen.
Besonders der Einfluss der Gartenstadtentwicklung wird bei den Wiederaufbauplänen Berlins nach dem Krieg deutlich. „Am 23. Mai 1945 übernahm Hans Scharoun, in den zwanziger Jahren prominenter Architekt des Neuen Bauens, die Leitung der Abteilung Bau- und Wohnungswesen im Magistrat der Stadt Berlin“ (Durth et al. 1999a: 90) und versammelte weitere Architekten um sich. Schon kurze Zeit später sollte sich die Gruppe als „Planungskollektiv“ bezeichnen und zunächst den Wiederaufbau Berlins leiten.
Fast schon radikal lehnte das Planungskollektiv einen Wiederaufbau des „bisher angewandten Radial- und Ringstraßensystems [als] überholt“ (Durth et al. 1999a: 94) ab und plante stattdessen, die gesamte Innenstadt durch ein gitterartiges Schnellstraßennetz zu erschließen. „Breite Grünstreifen untergliederten die Wohnviertel in einzelne „Wohnzellen“ und ließen so eine „Stadtlandschaft“ entstehen“ (HOSCISLAWSKI 1991: 44), welche in den Planungen etwa 250 bis 300 Einwohner pro ha auswies.
Schon zum damaligen Zeitpunkt forderte die KPD außerdem eine für die DDR prägende Wohnungsbauweise: eine umfassende Rationalisierung, Normierung und Typisierung der Wohnungsbauproduktion (HOSCISLAWSKI 1991: 46). Diese Forderung sollte aber erst mehr als 15 Jahre später umgesetzt werden.
Darüber hinaus sahen viele Architekten in den durch den Krieg zerstörten Stadtzentren die Möglichkeit, das Stadtinnere umzugestalten und aufzulockern. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich das Städteleitbild der Sowjetischen Besatzungszone zunächst nur wenig vom Leitbild des Westens unterschied. In beiden Zonen wurde die gegliederte, aufgelockerte, organisch gestaltete Stadt angestrebt. Dabei wusste die SMAD allerdings die vorangegangene Bodenreform bereits ideologisch zu nutzen und warb mit einer besseren Möglichkeit der Umsetzung architektonischer Planungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ).
Im April 1947 beschlossen die Außenminister der Alliierten in Moskau die Durchführung der Bodenreform für ganz Deutschland. Mit dem Beginn des Kalten Krieges distanzierten sich allerdings die Befürworter der Bodenreform im Westen wieder von ihrem Vorhaben, da sie durch das überstürzte und radikale Vorgehen in der SBZ abgeschreckt wurden.
Durch den Zusammenschluss von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) am 21/22. April 1946, welche „nach massiver sowjetischer Beeinflussung zustande kam, verschob sich das politische Koordinatensystem der Sowjetischen Besatzungszone von einem Tag auf den anderen radikal zugunsten der Kommunisten“ (Creutzberger 1996: 44). Nachdem auch die SMAD bekundete, die SED als die „tragende Staatspartei der russischen Zone“ (Creutzberger 1996: 44) zu betrachten, sollte dies auf möglichst demokratische Weise bestätigt werden.
Aus diesem Grund fanden bereits 1946 erste Wahlen zur Gemeinde- und Stadtverordnetenvertretung statt und am Ende des Jahres 1946 wurden mit der neuen Demokratischen Gemeindeverfassung die ersten Kreis- und Landtagsvertreter gewählt (Nutz 1993: 159). Dabei wurden die Kommunen von der Zentralverwaltung mit gerade noch so viel Handlungsspielraum ausgestattet, um einen geordneten Wiederaufbau organisieren zu können. In diesem Punkt hatte die SBZ gegenüber den westdeutschen Besatzungszonen gleichwohl einen großen zeitlichen Vorsprung, denn hier wurden erst Ende der 1940er Jahre Gemeinde- und Kreisverordnungen verabschiedet.
Die durch die frühen Wahlen zur Gemeinde- und Stadtverordnetenvertretung geschaffenen Bedingungen wurden durch den zunehmenden Einfluss der SED seit 1948 hinfällig. Denn diese strebte laut Nutz (1993: 159) eine zentralistische politisch-administrative Struktur an, welche den Kommunen zunehmend die Befugnisse entzog.
Seit 1946 sind somit die „Anfänge des Kalten Krieges und immer deutlichere Abgrenzungen der westlichen Besatzungsmächte gegenüber den Forderungen der Sowjetunion festzustellen, die auf die kommende Teilung Europas hindeuten“ (Durth et al. 1999a: 96).
2.3 Zentralismus im Städtebau
In den folgenden Jahren kommt es schließlich zu Entwicklungen, in welcher sich die Sowjetische Besatzungszone von den Westlichen Besatzungszonen immer weiter separieren wird.
Durch den Zusammenschluss der Amerikanischen und Britischen Besatzungszone zur Bi-Zone am 1. Januar 1947, mit eigener zentralistischer Wirtschaftslenkung, ergriff die Sowjetunion die Chance, ihre zuvor praktizierte Zurückhaltung hinsichtlich einer einheitlichen, zentralen Verwaltung aufzugeben.
Am 4. Juni 1947 kam es mit dem Befehl Nr. 138 der SMAD zur Gründung der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK), die mit der länderübergreifenden, zonalen Wirtschaftslenkung beauftragt wurde. Am 12. Februar 1948 wurde ihr durch den Befehl Nr. 32 der Auftrag des „Aufbaus einer Friedenswirtschaft“ zugetragen, der unter Koordinierung der Zentralverwaltungen erfolgen sollte (Düwel 1995: 46).
Und mit der am 24.11.1948 erlassenen Kommunalwirtschaftsverordnung, welche Wirtschaftsunternehmen, Dienstleistungsbetriebe und andere zu einem Kommunalwirtschaftsunternehmen zusammenfasste, in Volkseigentum überführte und der zentralistisch gesteuerten DWK unterstellte, wurde den Gemeinden und Städten schließlich jegliche Grundlage zur individuellen Gestaltung genommen (Nutz 1993: 159).
Abschließend muss festgehalten werden, dass in der SBZ wesentlich mehr geplant als gebaut wurde. Nur wenige Projekte gingen über den Status der Planung hinaus. Von den durchaus ambitionierten Zielsetzungen des „Planungskollektivs Berlin“ wurden lediglich ein paar Laubenhäuser umgesetzt. Und das vollkommen zerstörte Stadtzentrum Dresdens lag beispielsweise noch 1949 brach.
Doch wie groß waren die Chancen einer grundlegenden Umgestaltung der Städte tatsächlich? Trotz der massiven Zerstörung oberirdischer Bauten besaß jede Stadt eine im Grunde intakte unterirdische Bausubstanz, wie beispielsweise Kanalisation und Gasleitungen. Dieser Umstand konnte angesichts der angespannten materiellen Lage nach Kriegsende nicht unberücksichtigt bleiben. Aus diesem Grund wurden vielerorts Gebäude mit dem Vorsatz wiederhergestellt, das wirklich „Neue“ unter besseren Bedingungen später aufzubauen. Viele dieser Gebäude stehen allerdings noch heute.
Dabei gibt es auch nicht wenige Architekten, die der Meinung sind, dass eine große Chance des Wiederaufbaus vertan wurde. Westdeutsche Architekten blickten zunächst sogar neidisch in die SBZ aufgrund der Möglichkeiten, welche die Bodenreform bot. Willi Stoph, damaliger Leiter der Abteilung Baustoffindustrie und Bauwirtschaft des KPD-Vorstandes, stellte bereits 1948 fest: „ja wir kennen nicht einmal die wichtigsten städtebaulichen Grundsätze, die in Zukunft Gültigkeit haben werden“ (Düwel 1995: 48). Damit brachte er die Unsicherheit der Planer in der Zeit von 1945 bis 1949 auf den Punkt. Denn wie sollte so geplant und gebaut werden? Es herrschten tatsächlich mehrere Leitbilder für die Stadt der Zukunft vor. Die Idee der Stadtlandschaft für Ostberlin oder die funktionelle Stadt sollen an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.
Dies stellte ab 1949 auch die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) fest, und entsandte 1950 eine Gruppe von Parteifunktionären nach Russland. Diese als „Reise nach Moskau“ in die Geschichte eingegangene Fahrt sollte in den „Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus“ gipfeln und das Gesicht vieler Städte der DDR bis heute entscheidend prägen.
3 Der Wiederaufbau in der Deutschen Demokratischen Republik
3.1 Die Anfänge in der Deutschen Demokratischen Republik
Nachdem am 23. Mai 1949 in den westdeutschen Besatzungszonen das Grundgesetz verkündet wurde und damit die Gründung der Bundesrepublik Deutschland beschlossen war, zog die Sowjetische Besatzungszone am 7. Oktober 1949 mit dem Inkrafttreten der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nach. Dadurch wurde der Grundstein für das Nebeneinander zweier deutscher Völker und eines andauernden Klassenkampfes seitens der Sowjetunion für die nächsten 40 Jahre gelegt.
Die gesellschaftlichen und ökonomischen Voraussetzungen aber haben sich nach Düwel (1995: 49) bereits Anfang 1949 soweit verfestigt, dass zu einer stabileren Aufbauplanung übergegangen werden konnte.
Mit der Gründung der DDR wurden die DWK-Hauptverwaltungen, teilweise nach einzelnen Zusammenlegungen, in Ministerien umgewandelt. So ging aus der Hauptverwaltung Bauwesen das Ministerium für Aufbau hervor, wobei das Personal zum größten Teil übernommen wurde (Düwel 1995: 52). Leiter des Ministeriums für Aufbau wurde Lothar Bolz.
Der auch als „Stalinisierung“ bezeichnete Prozess des zunehmenden Einflusses Josef Stalins auf die Kulturpolitik, trat mit stärker werdendem Ost-West Konflikt immer deutlicher zutage. Dies hatte für die Architekten der DDR eine zunehmende, zwangsweise Orientierung am Vorbild der Sowjetunion zur Folge.
3.2 Die Reise nach Moskau
Aus diesem Grund reiste vom 12. April 1950 bis zum 25. Mai 1950 eine Delegation mit dem Ziel Moskau durch die Sowjetunion, um letztlich die „immer wieder geforderten Grundsätze des Städtebaus [zu] formulieren“ (Durth et al. 1999a: 141).
Leiter der Reise war Lothar Bolz. Weitere Delegationsmitglieder waren Walter Pisternik, Leiter der Hauptabteilung Bauwesen im Aufbauministerium; Kurt Liebknecht, Direktor des Instituts für Städtebau und Hochbau beim Aufbauministerium; Waldemar Alder, Leiter der industriellen Projektion in der Hauptabteilung Bauindustrie im Ministerium für Industrie; Edmund Collein, Leiter für Hochbau im Hauptamt für Bau- und Wohnungswesen im Magistrat von Groß-Berlin, sowie Kurt W. Leucht, Leiter des Stadtplanungsamts Dresden (DÜWEL 1995: 69).
Als die Reisegruppe in Moskau ankam, musste die Stadt „auf die Besucher aus dem in Trümmern liegenden Berlin wie ein überwältigendes Wunderwerk an baulicher Schönheit und technischer Präzision“ (Durth et al. 1999a: 143) gewirkt haben.
Am 20.4.1950 kam es im Ministerium des Städtebaus in Moskau zu einer Unterredung mit dem Leiter der Hauptverwaltung Städtebau, Wiktor Baburow. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Reise nach Moskau längst zu einer Lehrstunde für die deutschen Parteifunktionäre entwickelt.
Dabei wurde der von Collein vorgestellte Kollektivplan zum Wiederaufbau Berlins von den russischen Kollegen nahezu zerrissen. Vielmehr müsse man das Vorhandene, wie die Kanalisation, nutzen, das „kulturelle Erbe“ bewahren und mit dem „Neuen“ sparsam umgehen (Durth et al. 1999a: 144f). Bubarow ging sogar noch einen Schritt weiter und verschärft den Ton gegenüber der Stadtplanung Berlins: „In Berlin hat man bei der Planung der Wohnzellen das amerikanisch-englische Prinzip zugrunde gelegt. Hier wird der Mensch vom ganzen isoliert und dem politischen Leben entfremdet“ (Durth et al. 1999a: 146). In der Sowjetunion aber werden „die Städte gebaut von der Industrie für die Industrie, Städte an sich gibt es nicht. Das ist das sozialistische Gesetz.“ (Durth et al. 1999a: 146) fasste der stellvertretende Minister Simonow zusammen.
Die deutschen Architekten wurden geradezu vorgeführt und „saugten“ dennoch alles Gesagte regelrecht auf. „Als sollten sie ihre Moskauer Lektion auswendig lernen, werden die wichtigsten Aussagen immer wieder in Kernpunkten und Stichworten zusammengefasst“ (Durth et al. 1999a: 146). Am Ende der Studienreise wurde der Kollektivplan schließlich ganz verworfen und gänzlich neue Anforderungen an den Städtebau formuliert.
Als wichtigste Kriterien galten von nun an Schönheit, Monumentalität, Bequemlichkeit und Tradition. Die genannten Merkmale sollten hierbei auch im Wohnungsbau, vor allem aber in den Zentren der Städte eingesetzt werden, denn „Seele der Stadt ist das Zentrum!“ (Durth et al. 1999a: 146).
Dabei nahmen die russischen Architekten auch immer wieder Bezug auf den „Westen“ und distanzieren den Sozialismus vom Formalismus, welcher als Fehler der Vergangenheit betrachtet und korrigiert werden müsse.
Das für die nächsten Jahre verbindliche Leitmotiv des Städtebaus wurde vom Leiter der Hauptabteilung Hochbauten des Ministeriums für Städtebau, Boris Rubanenko, formuliert: „Die Kultur ist dem Inhalt nach eine sozialistische, der Form nach eine nationale“ (Durth et al. 1999a: 147). Auch wenn diese Formulierung in den „Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus“ später in abgewandelter Form im 14. Grundsatz veröffentlicht wurde: „Die Architektur muss dem Inhalt nach demokratisch und in der Form nach national sein“ (Grundsätze des Städtebaus 1950: 155).
3.3 Die „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“
Zurück in der DDR beschloss am 27.7.1950 der Ministerrat „Die sechzehn Grundsätze des Städtebaues“ als klar kontrastiertes Gegenbild zur aufgelockerten und gegliederten Stadt mit Wohnzellen und Nachbarschaften und setzt damit gleichzeitig neue Anforderungen an die Architekten der DDR. Von Bedeutung sei nun ins Besondere die Darstellung des künstlerischen Inhalts, bei gleichzeitig kritischem Aneignen des Erbes der Vergangenheit und einer Meisterschaft des Könnens seitens der Architekten (Durth et al. 1999a: 148).
Zugleich bedeuteten „Die sechzehn Grundsätze des Städtebaus“ das Ende aller Gegen- und Nebeneinander existierenden Planungskonzepte und Architekturauffassungen.
An Stelle des Formalismus sollte das Prinzip des sozialistischen Realismus treten (HOSCISLAWSKI 1991: 57). Der sozialistische Realismus war seit 1934 der für verbindlich erklärte Ansatz im Bereich der Kultur, d.h. auch in der Literatur, Musik und der bildenden Kunst. Die Kunsttheorie des sozialistischen Realismus sieht seine Aufgabe darin, „die Menschen im Geiste des Sozialismus ideologisch umzuformen und zu erziehen“ und wird als „wahrheitsgetreue, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung betrachtet“ (HOSCISLAWSKI 1991: 58).
Die Richtlinien des sozialistischen Realismus sollten aber auch auf die Architektur und den Städtebau angewendet werden. Dementsprechend wurden die Prinzipien der Charta von Athen und des Bauhauses abgelehnt und die westdeutsche und amerikanische Architektur als Ausdruck des Kapitalismus abgetan (Hoscislawski 1991: 61). Um sich vom Westen abzugrenzen, sollte sich auf die nationalen Traditionen des Bauens konzentriert werden. Dabei betonte der Architekt Kurt Liebknecht, dass es „nicht um unschöpferisches kopieren vergangener Stile [...], sondern um die schöpferische Weiterentwicklung auf einer historisch gegebenen nationalen Grundlage“ (zitiert bei Hoscislawski 1991: 68) ginge. Für ihn kam nur eine kritische Verwendung und Weiterentwicklung von Klassizismus, Renaissance, Barock und Gotik in Betracht. Der Sozialismus sollte dabei nicht mehr als eine weitere Etappe in der Geschichte angesehen werden, sondern als höchste Stufe des Entwicklungsprozesses (DÜWEL 1995: 25).
Doch das neue Leitbild konnte sich nicht sofort durchsetzen. Viele Architekten der DDR galten als Anhänger des Neuen Bauens, darunter Namen wie Hermann Henselmann, Hans Hopp und Richard Paulick. Sie hatten vor allem Probleme mit der Formulierung: Was bedeutet eigentlich „demokratisch“ in der Architektur? Und wie soll die Umsetzung neuer Ideen mit alten Formen vonstattengehen?
Erst durch die Einführung der Architekturkontrolle konnte sich der Sozialistische Realismus durchsetzen. Diese Kontrollinstanzen wurden beim Ministerrat, beim Ministerium für Aufbau und bei den Räten der Bezirke geschaffen. Diese vermochten Planungsvorschläge zu verwerfen, nachbessern zu lassen oder zu empfehlen. Somit konnten die Architekten nicht mehr die Traditionen des Bauhauses weiterführen, sondern waren dem sozialistischen Realismus verpflichtet (HOSCISLAWSKI 1991: 63f).
Als sich schließlich Hermann Henselmann, einer der berühmtesten Vertreter des Neuen Bauens in der DDR, im Jahre 1951 von seiner ehemaligen Position distanzierte, war die öffentliche Diskussion um Formalismus und Realismus zu Gunsten des Realismus endgültig beendet (HOSCISLAWKSI 1991: 63). Als Folge verließen viele Architekten die DDR und gingen ins Exil oder widmeten sich anderen Aufgabenfeldern.
Die „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“ sind erst durch den Einfluss der „Reise nach Moskau“ entwickelt und bewusst als Gegenstück zur „Charta von Athen“ geplant worden. Der erste Grundsatz verlautbart beispielsweise, dass die Stadt als „die wirtschaftlichste und kulturreichste Siedlungsform […] in Struktur und architektonischer Gestaltung Ausdruck des politischen Lebens und des nationalen Bewusstseins des Volkes“ (Bolz 1951: 32) ist. Außerdem stellte Bolz (1951: 16) klar: „Es ist kein Zufall, dass das Ministerium nicht etwa Ministerium für Wiederaufbau heißt, sondern Ministerium für Aufbau.“ Der Wiederaufbau macht nur Sinn, „wenn wir ihn als Aufbau eines Neuen betrachten und betreiben.“
Der zweite Grundsatz legte fest: „Das Ziel des Städtebaus ist die harmonische Befriedigung des menschlichen Anspruches auf Arbeit, Wohnung, Kultur und Erholung“ (Grundsätze des Städtebaus 1950: 154). Dieser und weitere der Grundsätze unterscheiden sich allerdings nur wenig vom Entwurf der CIAM und ihrer „Charta von Athen“.
Der fünfte Grundsatz orientiert sich sogar am Städteleitbild der BRD, dem sogenannten organischen Städtebau. Da heißt es: „Der Stadtplanung zugrunde gelegt werden müssen das Prinzip des Organischen und die Berücksichtigung der historisch entstandenen Struktur der Stadt bei Beseitigung ihrer Mängel“ (Grundsätze des Städtebaus 1950: 154).
Die wichtigste Rolle in der Stadt sollte das Stadtzentrum innehaben. Dies sei „der politische Mittelpunkt für das Leben der Bevölkerung“ und Standort der „politischen, administrativen und kulturellen Stätten“ (Grundsätze des Städtebaus 1950: 154) schreibt der sechste Grundsatz fest. Plätze hätten demnach vor allem Aufmärschen, politischen Demonstrationen und Volksfeiern zu dienen. Deswegen war geplant, das Zentrum mit „den wichtigsten und monumentalsten Gebäuden“ zu bebauen, welche die „architektonische Silhouette der Stadt“ bestimmen (Grundsätze des Städtebaus 1950: 154). Diese Voranstellung des Stadtzentrums wird noch einmal in Grundsatz 9 festgehalten.
Im Gegensatz zu dem späteren Leitmotiv der „autogerechten Stadt“ in Westdeutschland, wurde im achten Grundsatz festgelegt, „der Verkehr hat der Stadt und ihrer Bevölkerung zu dienen“ und müsse sogar aus dem „Zentrum und dem zentralen Bezirk“ (Grundsätze des Städtebaus 1950: 155) der Stadt ferngehalten werden, um die Ruhe und Geschlossenheit der Wohnbezirke zu berücksichtigen. Im zehnten Grundsatz wird auf die Wohngebiete genauer eingegangen, die hierarchisch in Wohnbezirke, Wohnkomplexe und Häuserviertel dreigegliedert sind.
Der zwölfte Grundsatz wendet sich deutlich gegen die Idee der Gartenstadt des Westens, zu welcher Lothar Bolz sagte „Nicht umsonst ist die Gartenstadtidee das Ideal amerikanischer und englischer Polizeipräsidenten; denn ihr Ziel ist, den arbeitenden Menschen in einen Karnickelzüchter und Blumenkohlbauer zu verwandeln.“ (zitiert bei Beyme v. 1987: 283).
Im 13. Grundsatz wird die Wirtschaftlichkeit des vielgeschossigen Bauens betont, „was zu einer Industrialisierung des Bauwesens, zur Normung und Typung führen musste“ (Nutz 1998: 102).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass „Die Sechzehn Grundsätze des Städtebaues“ trotz einiger Übereinstimmungen im Wesentlichen eine deutliche Abwendung von den Ansichten der CIAM aus den dreißiger und vierziger Jahren sind. Sie wenden sich entschieden gegen die Idee des modernen Städtebaus, der Gartenstadt, gegen den Funktionalismus, sowie gegen die ursprünglich auch für Berlin geplante Idee der Stadtlandschaft.
3.4 Das Aufbaugesetz
Gleichzeitig mit den „Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus“ wurde am 6.9.1950 das „Gesetz über den Aufbau der Städte in der Deutschen Demokratischen Republik und der Hauptstadt Deutschlands, Berlin“ („Aufbaugesetz“) von der Volkskammer verabschiedet. Zusammen bildeten sie in den folgenden Jahren die Grundlage für alle Tätigkeit auf dem Gebiet der Architektur der Stadt (SCHÄTZKE 1991: 40).
Ebenfalls am 6.9.1950 wurde die Deutsche Bauakademie nach sowjetischem Vorbild gegründet, die direkt dem Ministerium für Bauwesen unterstand. Hervorgegangen ist die Deutsche Bauakademie aus dem Institut für Städtebau und Hochbau beim Ministerium für Aufbau und dem Institut für Bauwesen der Akademie der Wissenschaft. Gründungspräsident wurde Kurt Liebknecht, der bis 1961 Präsident der Deutschen Bauakademie blieb (DÜWEL 1995: 112).
Dabei ist das wichtigste „Organ des Städtebaus […] in der DDR die Deutsche Bauakademie als zentrale wissenschaftliche Institution des Ministeriums für Bauwesen. Sie untersteht direkt den Weisungen des vom ZK der SED kontrollierten Staatsapparates der DDR und insbesondere der Staatlichen Plankommission als Organ des Ministerrats“ (RICHTER 1974: 183). Dies verdeutlicht, dass die Planung und Bauausführung des Städtebaus alleinige Aufgabe staatlicher Organe war. Dabei bestimmte die Deutsche Bauakademie das städtebauliche Leitbild.
Neben der Deutschen Bauakademie wurde unter der Leitung von Hanns Hopp 1952 der Bund Deutscher Architekten der DDR (BDA) gegründet. Gemeinsam sollten beide Institutionen die Entwicklung der deutschen Architektur und eines fortschrittlichen Städtebaus vorantreiben (SCHÄTZKE 1991: 42).
Des Weiteren wurde 1951 die Zeitschrift „Deutsche Architektur“ als offizielle Bauzeitschrift gegründet und vom BDA herausgegeben. Sie hatte laut LIEBKNECHT das Ziel, Raum für öffentliche Diskussionen zu bieten, aber dabei vor allem der „Entwicklung und Popularisierung eines fortschrittlichen Städtebaus und einer deutschen Architektur“ (zitiert bei SCHÄTZKE 1991: 42) zu dienen.
Zusammengenommen hatte das Ministerium für Bauwesen nun mit dem Aufbaugesetz, der in der Verfassung verankerten zentralen Planung und der Schaffung sozialer Eigentumsverhältnisse das machtvollste Instrument zur Umsetzung der „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“.
Auf diese Art konnte das Ministerium für Bauwesen, angefangen bei den Instituten für Bauforschung wie der Bauakademie der DDR bis hin zu Betrieben der Baumaterialindustrie alle wesentlichen Bereiche steuern und kontrollieren.
Im Aufbaugesetz selbst war der Bezug zu den „Sechzehn Grundsätzen des Städtebaus“ in Paragraph 7 verankert. So heißt es: „Für die Planung und den Aufbau der Städte sind die vom Ministerrat der Deutschen demokratischen Republik am 27.7.1950 beschlossenen „Grundsätze des Städtebaues“ zugrunde zu legen“ (Aufbaugesetz 1950, zitiert bei DURTH et al. 1999b: 89).
Paragraph 1 verdeutlicht, dass der Wiederaufbau der Städte der DDR eine hohe Priorität hatte. Dieser sollte im Rahmen des Volkswirtschaftsplans durchgeführt und in die gesamtwirtschaftliche Planung eingebunden werden, was den hohen Stellenwert erklärt. Zugleich wurde jedoch der regionalen bzw. kommunalen Ebene die Planung des Wiederaufbaus entzogen.
Gemäß dem Grundsatz „Von der Industrie für die Industrie“ ist in Paragraph 2 festgeschrieben, dass zunächst die Städte der Industriezentren, wie Dresden, Leipzig oder Chemnitz höchste Dringlichkeit bei Wiederaufbau haben. Einzige Ausnahme bildet hierbei Berlin als Hauptstadt der DDR, welche nach Paragraph 3 die „Anteilnahme der Bevölkerung ganz Deutschlands“ (Aufbaugesetz 1950, zitiert bei DURTH et al. 1999b: 89) erfordere.
Paragraph 4 hingegen machte das Ministerium für Aufbau für die Planung des Wiederaufbaus und die Erforschung neuer Baustoffe und Bauverfahren zur Beschleunigung der Industrialisierung des Bauens verantwortlich.
In Paragraph 8 wurden die Ideen der „Sechzehn Grundsätze des Städtebaues“ wieder aufgegriffen. Als „städtebildende Faktoren“ (Aufbaugesetz DDR 1950, zitiert bei DURTH et al. 1999b: 89) wurden die Industrie, Verwaltungsorgane und Kulturstätten festgelegt. Nach Nutz (1998: 108) kann „Industrie als Synonym für Wirtschaft verstanden [werden], Verwaltung stellvertretend für zentralistische Struktur [...], Kultur für Bildung und intellektuelle Entwicklung.“
In Paragraph 14 des Aufbaugesetzes wurde festgelegt, dass die Regierung Städte, Kreise und Gemeinden oder Teile davon zu Aufbaugebieten ernennen kann. Das Ministerium für Bauwesen besaß demnach „das gesellschaftliche Verfügungsrecht über Grund und Boden – das bedeutete für den Wiederaufbau die Enteignung des privaten Besitzes“ (Paul 1992: 318).
Dies war an sich nichts ungewöhnliches, denn Enteignungen gab es auch in der BRD, wie das Grundgesetz Art. 14,2 erklärt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Ähnlich lautet es in Art. 24,1 der Verfassung der DDR: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch darf dem Gemeinwohl nicht zuwiderlaufen.“
Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Staaten lag in der Entschädigung. Von Beyme (1987: 276) stellte hierbei fest, dass im Grundgesetz die Enteignung an ein Gesetz gebunden ist und ein Weiteres die Entschädigung regelt. In der DDR hingegen war für den Fall, dass ein „Missbrauch des Eigentums zur Begründung wirtschaftlicher Machtstellung“ vorliegt, in Art. 24,2 eine entschädigungslose Enteignung vorgesehen. Dies galt nach Art. 24,3 - 5 ebenfalls für „Aktive Nationalsozialisten, Monopolorganisationen und Großgrundbesitzer über 100 ha.“ Zwar regelte Art. 23,1 die Enteignung „gegen angemessene Entschädigung soweit das Gesetz nicht anderes bestimmt“, dieser Artikel konnte jedoch durch einfache Gesetzgebungen oder Verordnungen umgangen werden.
Erst mit der Verfassung von 1968 mussten „Entschädigungen gezahlt werden und das Eigentum war nicht mehr Freiwild für Begehrlichkeiten von Planbehörden“ (Beyme v. 1987: 277). Dies hatte einen grundlegenden Einfluss auf weitere Bauvorhaben in der DDR.
3.5 Der erste Fünfjahrplan von 1951 bis 1955
Im ersten Fünfjahrplan von 1951 hatte zunächst der Industriebau die höchste Priorität, was für die neuen Städte in der DDR bedeutete, dass diese aus Überlegungen zur Industriepolitik entstanden und keine Maßnahmen einer unabhängigen Städtebaupolitik waren. Dennoch wurde auch dem Wiederaufbau kriegszerstörter Städte eine gewisse Wichtigkeit eingeräumt. Aus diesem Grund wurden im Fünfjahrplan 4 Milliarden Mark festgelegt, welche für den „Wiederaufbau und die Neugestaltung der Hauptstadt Deutschlands, Berlin, und der wichtigsten industriellen und kulturellen Zentren der Republik“ (Collein 1955: 532) verwendet werden sollten.
Hierfür wurden neben Berlin 53 Städte bestimmt, welche nach der Dringlichkeit der Planung in vier Kategorien eingeteilt wurden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Wiederaufbaustädte der DDR
Quelle: Nutz 1993: 161
Abbildung 1 zeigt diese Städte nach ihrer Priorität markiert. Dabei sind die Kriterien zur Einteilung allerdings nicht ganz nachvollziehbar. Von Beyme (1987: 293) stellte fest, dass „der Zerstörungsgrad nicht ausschlaggebend gewesen zu sein [schien]. Industriestandorte und Wirtschaftspläne scheinen Vorrang gehabt zu haben.“
Von den 4 Milliarden Mark wurden 2 Milliarden für Berlin, eine weitere Milliarde für Dresden, Magdeburg, Chemnitz und Dessau vorbestimmt. Dies bedeutete, dass für die anderen 48 Städte nur rund eine Milliarde Mark zur Verfügung standen. Allerdings ist auch hier die Verteilung der Gelder nicht ganz klar.
4 Phasen des Städtebaus in der DDR
4.1 Das Leitbild der „schönen deutschen Stadt“
Zeitgleich mit der Bekanntgabe der „Sechzehn Grundsätze des Städtebaus“ sowie dem Aufbaugesetz am 7.9.1950 sprach Lothar Bolz erstmalig von der „schönen deutschen Stadt“ und forderte, dass „in ganz Deutschland die Städte nach dem neuen Gesetz als schöne deutsche Städte gebaut werden“ (zitiert bei DÜWEL 1995: 63) sollten.
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- Quote paper
- Lars Grummich (Author), 2011, Der sozialistische Städtebau und sein Erbe: Eine Untersuchung am Beispiel der Planstadt Halle-Neustadt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201531
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