Multitasking im Straßenverkehr: Eine reelle Gefahr?


Diplomarbeit, 2009

67 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zusammenfassung

2. Einleitung
2.1. Hinführung zum Thema
2.2. Theoretischer Hintergrund
2.3. Planung des Versuchs
2.4. Planung des Versuchsablaufs
2.5. Hypothesen

3. Methode
3.1. Versuchspersonen
3.2. Materialien
3.2.1. Sprachmaterial
3.2.1.1. Räumliches Sprachmaterial
3.2.1.2. Nicht-räumliches Sprachmaterial
3.2.2. Tracking / Steuerfiles für das Tracking-Programm
3.2.3. Geräte/Apparaturen
3.2.3.1. Hardware
3.2.3.2. Software
3.3. Versuchsdesign
3.3.1. Abhängige Variablen
3.3.1.1. Tracking-Aufgabe
3.3.1.2. Sprechaufgabe
3.3.2. Unabhängige Variablen
3.3.2.1. Tracking-Aufgabe
3.3.2.2. Sprechaufgabe
3.4. Versuchsaufbau
3.5. Versuchsablauf
3.6. Statistische Auswertung
3.6.1. Sprechaufgabe
3.6.2. Tracking-Aufgabe

4. Ergebnisse
4.1. Sprachauswertung
4.1.1. Anzahl der Fehler
4.1.2. Latenzzeit
4.1.3. Sprechgeschwindigkeit
4.1.4. Pausenanzahl
4.2. Tracking
4.2.1. Fehler
4.2.2. Mausbewegung

5. Diskussion
5.1. Diskussion der Ergebnisse
5.1.1. Sprechaufgabe
5.1.2. Tracking-Aufgabe
5.2. Systematische Fehler

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang
7.1. Sätze in Versuchsreihenfolge
7.1.1. Räumlich
7.1.2. Nicht-räumlich

1. Zusammenfassung

In zahlreichen Studien konnte die negative Auswirkung der Mobiltelefonbenutzung während der Autofahrt als Doppelaufgaben-Interferenz nachgewiesen werden. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert und Telefongespräche während der Fahrt verboten, sofern das Telefongerät dafür mit der Hand aufgenommen oder gehalten werden muss. Obwohl vielfach nachgewiesen wurde, dass es nicht die motorische Komponente ist, die zu einer Erhöhung des Unfallrisikos führt, sondern die kognitive Überlastung während des Telefonierens, erlaubt der Gesetzgeber weiterhin Telefongespräche über eine Freisprechanlage. In dieser Studie wird mit einem multifaktoriellen Versuchsdesign (2x2 faktoriell unabhängig für die Sprechaufgabe und 2x4x6 faktoriell mit Messwiederholung für die Trackingaufgabe) der Frage nachgegangen, inwieweit der Inhalt eines Telefonats (räumlich oder nicht-räumlich) sich auf die Leistung in einer Tracking-Aufgabe auswirkt und welchen unterschiedlichen Einfluss Sprachverstehen, gegenüber Sprachplanung und Sprachproduktion auf die Trackingleistung hat. Dazu hörten Probanden während einer Trackingaufgabe Aussagen mit räumlichem oder nicht-räumlichem Inhalt, die entweder wahr oder unwahr waren. Die Aufgabe bestand darin, die Aussagen auf Richtigkeit zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und schließlich die wahre Aussage zu formulieren. Es konnte gezeigt werden, dass die Ebene der Sprechanforderung (Sprachverstehen, -planung und -produktion) sich in unterschiedlicher Weise auf den Verlauf des Adaptionsverhaltens (Trackingleistung) der Probanden auswirkt. Bei der räumlichen Sprechaufgabe unter Zusatzaufgabenbedingung wurden am meisten falsche Aussagen produziert und Pausen gemacht, die Sprechgeschwindigkeit war am langsamsten und die Latenzzeit am längsten. Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen den vielfach benannten negativen Einfluss der Benutzung eines Mobiltelefons während der Autofahrt. Diese Studie legt nahe, für weitere Forschungsarbeiten den Inhalt des Gesprochenen und die Ebene der Sprechanforderung als wichtige Determinanten weiter zu untersuchen.

Schlüsselwörter: Mobiltelefonbenutzung, Doppelaufgaben-Interferenz, kognitive Überlastung, Sprachverstehen, Sprachplanung, Sprachproduktion, Trackingleistung

2. Einleitung

2.1. Hinführung zum Thema

Das heutige Leben stellt eine Reihe von Anforderungen an den Menschen, die er in der Regel in angemessener Art und Weise zu meistern versteht. Doppelaufgabenbelastung und Multitasking sind im menschlichen Alltag nicht mehr wegzudenken. Häufig müssen mehrere Dinge gleichzeitig ausgeführt werden, insbesondere im Beruf, aber nicht nur dort, sondern nahezu überall wird verlangt, dass gewisse Dinge parallel ausgeübt werden können. Irgendwann gerät aber selbst ein Mensch mit höchst ausgebildeten Fähigkeiten und Fertigkeiten an seine Grenzen.

Menschen können sich unterhalten und dabei aufrecht stehen ohne umzufallen. Ebenso sind sie dazu in der Lage, spazieren zu gehen und dabei zu reden. Bei diesen alltäglichen Handlungen kommt es nicht zu Beeinträchtigungen. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch andere hoch automatisierte Handlungen, die bei paralleler Ausführung Fehler in einem oder mehreren Teilbereichen verursachen. An dieser Stelle sei die Benutzung eines Mobiltelefons während des Autofahrens erwähnt. In der Literatur sind die Auswirkungen der Mobiltelefonbenutzung auf die Fahrleistung vielfach dokumentiert (z.B. Redelmeier & Tibshirani, 1997).

2.2. Theoretischer Hintergrund

Aufgaben, die an den Menschen gestellt werden, kann dieser in der Regel schnell ausführen, wie etwa das Reagieren auf einen dargebotenen Lichtreiz mit einem Tastendruck. Für dessen Bearbeitungsablauf wird ein Multispeichermodell angenommen (z.B. Atkinson & Shiffrin, 1968). Dabei gelangt die Information aus der Umwelt zunächst in einen sensorischen Speicher mit einer extrem begrenzten Kapazität von wenigen Sekunden, in dem die Modalität der sensorischen Information festgestellt wird (auditiv, visuell, haptisch, etc.). Von dort aus gelangt die Information in das Kurzzeitgedächtnis mit einer ebenfalls limitierten Kapazität, das nach Atkinson & Shiffrin (1968) als temporäres Arbeitsgedächtnis fungiert. Hier wird die eingegangene Information verarbeitet, Kontrollprozesse wie Wiederholungen, Kodierungen sowie das Generieren von Entscheidungen und Abrufstrategien laufen hier ab. Nach der Bearbeitung wird die Information mit dem Wissen aus dem Langzeitgedächtnis abgeglichen und daraus resultiert schließlich die ausgehende Reaktion auf die eingegangene Umweltinformation. Man geht davon aus, dass zwischen dem Kurz- und Langzeitgedächtnis ein Austausch besteht und dass Informationen, die beispielsweise häufig wiederholt oder als wichtig eingestuft werden, in das Langzeitgedächtnis gelangen und dort verbleiben. Die Kapazität des Langzeitgedächtnisses wird als unlimitiert angesehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Modell des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley & Hitch (1974)

Eine Erweiterung dieses Modells hinsichtlich des Arbeitsgedächtnisses stammt von Baddeley & Hitch (1974). Das Arbeitsgedächtnis wird als ein System mit limitierter Kapazität definiert, dessen Aufgabe die kurzzeitige Speicherung und zielgerichtete Verarbeitung von Informationen ist und zur Ausführung komplexer kognitiver Aufgaben benötigt wird. Nach Baddeley & Hitch (1974) besteht das Arbeitsgedächtnis (siehe Abb. 1) aus drei Komponenten: der phonologischen Schleife, dem visuell-räumlichen Skizzenblock und der zentralen Exekutive. Die phonologische Schleife ist eine Art Kurzzeitspeicher für sprachliche und sprachähnliche Informationen, der visuell-räumliche Skizzenblock ist jene Komponente in dem Modell des Arbeitsgedächtnisses, das für die temporäre Beibehaltung oder Speicherung visueller und räumlicher Informationen verantwortlich ist. Diese beiden Subsysteme besitzen über die Kurzzeitspeicherfunktion hinaus einen aktiven Rehearsal-Mechanismus, der durch stetige Wiederholung die Gedächtnisinhalte vor dem ansonsten binnen weniger Sekunden drohenden Verfall bewahren kann. Als die wichtigste, überwachende und vermittelnde Komponente in diesem Modell wird die zentrale Exekutive gesehen, die anstatt als Speichersystem vielmehr als aufmerksamkeitsbasierende Kontrollinstanz arbeitet und für die zielgerichtete Informationsverarbeitung verantwortlich ist.

Der Frage, welche Rolle die Aufmerksamkeit bei der Kontrolle und Ausführung von Handlungen spielt, sind Norman & Shallice (1986) nachgegangen. Sie unterscheiden in ihrer Theorie des Supervisory Attentional Systems zwei Kontrollmodelle: ein automatisch ablaufendes, welches sich auf Gewohnheiten stützt und eins, das von aufmerksamkeitslimitierten Ausführungen abhängt. Jene Handlungen, für die bereits ein geeignetes Schema angelegt ist, welches in der gegebenen Situation aktiviert werden kann, vollziehen sich entsprechend der im Schema gespeicherten Weise automatisch. Routinehandlungen und hochautomatisierte Handlungen laufen nach Norman & Shallice (1986) in dieser Form unwillkürlich und automatisch ab. Das System, das zur Ausführung solcher Handlungen verantwortlich ist, wird als Contention Scheduling (CS) bezeichnet. Kontrollierte und komplexe Aufgaben hingegen, für deren Ausführung willkürliche Aufmerksamkeit erforderlich ist, bemächtigen sich dem Supervisory Attentional System (SAS). Das sind Aufgaben, die mit einem vorprogrammierten Plan in einem Schema nicht zu lösen sind. Es handelt sich hierbei etwa um unbekannte oder gefährliche Aufgaben, solche, für die Planung, Koordination, Entscheidung oder Reflektion erforderlich sind oder bei denen eine Fehlersuche zielführend ist. Das SAS ist hinsichtlich der Aufmerksamkeitsressourcen limitiert und wird häufig als Pendant zu der zentralen Exekutiven in Baddeley & Hitch`s Modell des Arbeitsgedächtnisses von 1974 gesehen (z.B. Matthes-von Cramon & von Cramon, 2000).

Einzelne Aufgaben können in der Regel mit den zur Verfügung stehenden Mechanismen erfolgreich gelöst und bearbeitet werden. Was aber passiert, wenn zwei Aufgaben gleichzeitig bearbeitet werden müssen? Es handelt sich hierbei um die Ausführung von Doppelaufgaben, bei denen zur Bearbeitung beider Aufgaben eine auf beide Aufgaben geteilte Aufmerksamkeit erforderlich ist. In der Literatur ist vielfach dokumentiert, dass das gleichzeitige Ausführen zweier Aufgaben zu Leistungseinbußen in mindestens einer der Teilaufgaben führt. Bosshardt, Ballmer und de Nil (2002) konnten beispielsweise zeigen, dass es unter anderem bei der Entscheidung über Kategorien- oder Reimzugehörigkeit von Wörtern und der Produktion von Sprache zu Interferenzen kommt. „Traditionell wird Doppelaufgaben-Interferenz als Beleg für die Kapazitätsbeschränkung des Informationsverarbeitungssystems aufgefasst“ (Koch, 2008, S.24). Zur Erklärung der Interferenzphänomene bei parallel auszuführenden Teilaufgaben werden häufig zwei Arten von Theorien vorgeschlagen. Auf der einen Seite steht die Annahme von Flaschenhalstheorien, die die Leistungslimitierung erklären können, auf der anderen Seite gibt es die Annahme limitierter kognitiver Ressourcen.

Die Position von Flaschenhalstheorien annehmend (z.B. Welford, 1952) geht man davon aus, dass die Fülle an Teilaufgaben, die bei Doppelaufgaben gleichzeitig ausgeführt werden müssen, nicht gleichzeitig bearbeitet werden können. Pashler (1994) konnte zeigen, dass zwei Reaktionszeitaufgaben, die zeitlich sehr nah beieinander liegen, miteinander interferieren. Die Zeitdifferenz der Darbietung der beiden Reaktionszeitaufgaben wird als Stimulus-Onset Asynchronie (SOA) bezeichnet. Bei der Darbietung zweier Reaktionszeitaufgaben mit Variation des SOA ergibt sich kein Einfluss der SOA-Manipulation auf die Reaktionszeit auf den ersten Stimulus. Bei zunehmend kürzerem SOA steigt die Reaktionszeit auf den zweiten Stimulus jedoch immer weiter an. Diese Doppelaufgaben-Interferenz bezeichnet man auch als Psychologischen Refraktärperioden-Effekt (PRP-Effekt). Nach dem Engpass-Modell von Pashler (1994) ist davon auszugehen, dass mehrere Aufgaben nicht parallel ausgeführt, sondern nur nach und nach seriell abgearbeitet werden können, so dass sich eine Art Warteschlange bildet. Das heißt, jener Teilprozess, der sich am nächsten am Verarbeitungsprozessor befindet, wird auch zuerst bearbeitet (damit sind die Ergebnisse der Experimente im PRP-Paradigma zu erklären). Die Teilaufgaben, die sich ansammeln, können also nicht parallel verarbeitet werden, sondern nur nacheinander. Dadurch kommt es zu Leistungseinbußen und verzögerter Bearbeitung in der Teilaufgabe. Pashler (1994) ging in seinen Experimenten von drei klar abgrenzbaren aufeinanderfolgenden Stufen der Verarbeitung in seinen Reaktionszeitexperimenten aus: einer Stufe der perzeptuellen Verarbeitung, einer Stufe der Reaktionsauswahl und schließlich einer Stufe der Reaktionsausführung. Er fand heraus, dass die Parallelverarbeitung auf der Stufe der Reaktionsauswahl ihren Engpass findet (siehe Abb. 2). Die beiden Aufgaben können nicht parallel ausgeführt werden und somit wird die zweite Aufgabe solange zurückgestellt, bis die erste auf der Stufe der Reaktionsauswahl abgearbeitet wurde. Dadurch entsteht ein Flaschenhals, der die Verzögerung der Reaktionszeit nach sich zieht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Schematische Darstellung der Verarbeitungsstufen im Engpass-Modell von Pashler (1994). Die Reaktionsauswahl der beiden Reaktionszeitaufgaben kann nur seriell ablaufen, so dass es zu einer Reaktionszeitverlängerung für den zweiten Stimulus kommt.

Nach der Theorie kognitiver Ressourcen (z.B. Kahneman, 1973), Navon & Gapher, 1979) ist anzunehmen, dass die gleichzeitig anfallenden Aufgaben sehr wohl gleichzeitig bearbeitet werden können, sofern die Kapazitätsgrenzen des Verarbeitungssystems nicht überschritten werden. Es herrscht die Vorstellung der Aufmerksamkeit als einer limitierten, flexibel einsetzbaren Ressource, die auf eine oder mehrere Tätigkeiten konzentriert werden kann. Je nach Schwierigkeit und Komplexität der Aufgabe wird mehr oder weniger Aufmerksamkeit benötigt und dementsprechend die Ressource in unterschiedlichem Umfang belastet. Man geht davon aus, „dass jede Aufgabe eine bestimmte Menge an Aufmerksamkeitsressourcen erfordert, und dass Doppelaufgaben-Interferenz entsteht, wenn zwei Aufgaben gleichzeitig mehr Ressourcen erfordern als aktuell zur Verfügung stehen. In diesem Fall müssten die Ressourcen aufgeteilt werden“ (Koch, 2008, S.24). Je nach Ressourcenzuteilung und Aufmerksamkeitsverteilung können entweder beide Aufgaben oder nur eine davon fehlerhaft bearbeitet werden, so dass die Leistung in einer oder sogar in beiden Aufgaben beeinträchtigt ist.

Die beiden genannten Theorien werden nicht als konkurrierend, sondern eher als ergänzend angesehen (Navon & Miller, 2002), demnach schließen sich die Annahmen gegenseitig nicht aus.

Es stellt sich die Frage, wann es bei parallel auszuführenden Aufgaben zu Interferenzen kommt und worin sich diejenigen Aufgaben, die ohne Einbußen gleichzeitig ausgeführt werden können, von denen unterscheiden, bei denen es zu Interferenzerscheinungen kommt. Faktoren, die die Doppelaufgabenleitung negativ beeinflussen, sind Aufgabenähnlichkeit (z.B. Allport, Antonis & Reynolds, 1972) und Aufgabenschwierigkeit (z.B. Sullivan, 1976). Positiv beeinflusst wird die gleichzeitige Ausführung von Aufgaben durch Übung (z.B. Spelke, Hirst & Neisser, 1976) und Stimulus-Response Kompatibilität (z.B. Duncan, 1979).

Allport et al. (1972) konnten zeigen, dass das Lernen von Wörtern während der Wiederholung einer Prosa Passage zu Interferenzen führt, wohingegen die Gedächtnisleistung der Wörter gut ist, wenn das zu behaltende Material aus Bildern besteht. In einer Untersuchung von Sullivan (1976) sollten Probanden einen Text nachsprechen (schattierte Aufgabe) und gleichzeitig Wörter in einem nicht-schattierten Text entdecken. Mit steigender Schwierigkeit der schattierten Aufgabe durch eine geringere Redundanz wurden weniger Zielwörter im nicht-schattierten Text erkannt. Duncan (1997) machte eine Untersuchung über die Störung der räumlichen Kompatibilität zwischen Stimulus-Ort und Reaktions-Ort. Es stellte sich heraus, dass die Reaktion auf zwei aufeinanderfolgende Stimuli, die rechts oder links dargeboten werden können, leichter fällt, wenn sie mit der räumlich kompatiblen Hand gemacht wird. Im inkompatiblen Fall verlängert sich die Reaktionszeit und die Fehlerrate nimmt zu. Es ist daraus zu schließen, dass das gleichzeitige Ausführen zweier Aufgaben mehr ist als die Summe der beiden Aufgaben. Es entsteht durch die zusätzliche Koordination eine weitere Anforderung, die bei Stimulus-Response Inkompatibilität zu größeren Interferenzen führt. Im Fall der Stimulus-Response Kompatibilität wirkt sich das Zusammenwirken positiv auf die Ausführung der Aufgaben aus.

Den positiven Effekt der Übung auf die Ausführung zweier Aufgaben konnten Spelke et al. (1976) nachweisen. In deren Untersuchung trainierten sie zwei Studenten dahingehend, gleichzeitig Kurzgeschichten zu lesen und diktierte Wörter zu schreiben. Zunächst war die Leistung hinsichtlich des Behaltens der Kurzgeschichte und die Lesegeschwindigkeit, sowie der Leserlichkeit der Handschrift und der Fehlerhaftigkeit des Geschriebenen sehr schlecht. Nach einem sechswöchigen Training (eine Stunde täglich) ließen sich keine Unterschiede in der Lesegeschwindigkeit und Behaltensleistung mit und ohne Diktat mehr feststellen. Die Handschrift und Fehlerzahl haben sich ebenfalls verbessert. Anhand dieses Beispiels wird die Auswirkung von Training auf die Leistungsoptimierung auch im Doppelaufgabenbereich deutlich.

Beim Autofahren handelt es sich um eine solche höchst geübte und höchst automatisierte Handlung. Dennoch gibt es zahlreiche Belege dafür, dass die Fahrleistung durch Gespräche mit einem Mobiltelefon verschlechtert wird (z.B. Redelmeier & Tibshirani, 1997; Violanti, 1998; Violanti & Marshall, 1996; Strayer, Drews & Johnston, 2003). Redelmeier & Tibshirani (1997) vergleichen die Verschlechterung der Fahrleistung mit dem Fahren unter Alkoholeinfluss oberhalb der gesetzlichen Promillegrenze. In vielen Ländern ist deshalb die Benutzung eines Mobiltelefons während der Autofahrt verboten. Ebenso in der Bundesrepublik Deutschland. Gemäß der Straßenverkehrsordnung gilt folgendes: „Dem Fahrzeugführer ist die Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons untersagt, wenn er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist“ (§ 23 Abs. 1a, StVo). McEvoy, Stevenson, McCartt, Woodward, Haworth & Palamara (2005) konnten anhand von statistisch registrierten Unfalldaten in Australien zeigen, dass Gespräche mit einem Mobiltelefon während der Fahrt das Unfallrisiko um ein vierfaches erhöhen. Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Mobiltelefon in der Hand gehalten oder eine Freisprecheinrichtung benutzt wird. Dennoch ist in der aktuellen Straßenverkehrsordnung für die Bundesrepublik Deutschland die Mobiltelefonbenutzung mit einer Freisprechanlage gestattet, die Forschungsergebnisse dazu scheinen in den Gesetzen derzeit keine Beachtung zu finden. Es ist also offensichtlich nicht die physische Ablenkung durch das Festhalten des Gerätes und die damit verbundene motorische Einschränkung, die dazu führt, dass die Fahrleistung beeinträchtigt wird, sondern vielmehr eine kognitive Überbelastung, die zu Aufmerksamkeitsdefiziten und Verarbeitungsengpässen führt (siehe auch Lamble, Kauranen, Lassko & Sumalla, 1999; McKnight & McKnight, 1993; Strayer & Johnston, 2001). Auch Nunes & Recarte (2002) konnten bestätigen, dass die Anforderung durch die kognitive Belastung ein besserer Prädiktor für die Verschlechterung der Fahrleistung ist als das Wissen, ob das Mobiltelefon gehalten wurde oder nicht.

Nichtsdestotrotz beeinflussen Handlungen, die mit Handling zu tun haben, wie beispielsweise das Wählen einer Telefonnummer, die Fahrleistung negativ (z.B. Briem & Hedman, 1995; Brookhuis, De Vries & De Waard, 1991). Eine einfache Telefonkonversation hingegen beeinflusst nach Briem & Hedman (1995) die Fahrleistung nicht. In zahlreichen anderen Studien hingegen konnte gezeigt werden, dass Arbeitsgedächtnisaufgaben (Alm & Nilsson, 1995), schlussfolgernde Aufgaben (Brown, Tickner & Sommonds, 1969), etwa ob ein Fahrzeug durch eine Lücke passt, und Kopfrechenaufgaben (McKnight & McKnight, 1993) zu einer Verschlechterung der Leistung in einer Fahrsimulation führen. Ebenso stellte sich in weiteren Studien heraus, dass eine sprachliche Aufgabe dazu führt, dass ein Fahrer stärker vom vorgegebenen Weg abkommt (Jannes, Lattanzio, O`Toole, Taylor & Pax, 2002), dass er ein eingeschränktes Sichtfeld hat mit dem Fokus in der Mitte der Sicht, so dass Reize, die im Randbereich liegen, schlechter erkannt werden (Recarte & Nunes, 2000). Ebenso konnte nachgewiesen werden, dass sich die Reaktionszeit für das Bremsen verlängert (Irwin, Fritzgerald & Berg, 2000) und dass es zu einem Anstieg der subjektiv empfundenen mentalen Anstrengung kommt (Haigney, Taylor & Westerman, 2000).

In einem Telefongespräch sind in der Regel mehrere Komponenten bzw. Ebenen des Sprechens involviert. In einem Gespräch liegt ein häufiger Wechsel zwischen Zuhören (Sprachverstehen) und Sprechen (Sprachproduktion) in Verbindung mit Sprachplanung vor. Die Beziehung zwischen Beidem ist ein zentrales Thema, mit dem sich die Psycholinguistik beschäftigt (z.B. Bock, 1995). Grundlagenforschung hat ergeben, dass für die Sprachproduktion und das Sprachverständnis verschiedene Systeme verantwortlich sind und diese unterschiedlich anspruchsvoll sind (Martin, Lesch & Bartha, 1999). Demnach stellt sich die Frage, ob Verstehen oder Produktion belastender ist. Bei beiden Aufgaben kommt es in Verbindung mit einer sprachlichen Zusatzaufgabe zu Interferenzen (z.B. Holmes & Foster, 1970; Ford & Holmes, 1978). Grundlegend sind drei Überlegungen denkbar: Erstens, Verstehen und Produktion sind gleich belastend (Bock & Kroch, 1989). Davon ausgehend, dass die linguistischen Anforderungen für das Verstehen und die Produktion dieselben sind, dürfte keine der Aufgaben belastender sein. Zweitens, Produktion ist belastender als Verstehen, eine „production-plus [Sichtweise]“ (Kubose, Bock, Dell, Garnsey, Kramer & Mayhugh, 2006, S. 45). Die Annahme, dass Produktion belastender ist, wird von Benedict (1979) gestützt. Der zusätzliche Aufwand durch die motorischen Ausführungen (Stimmbänder, Stimmlippen, Kehlkopf, Zunge, Lippen, etc.) führt zu einem größeren Aufwand gegenüber dem Verstehen (Garnsey & Dell, 1984; Levelt, 1983). Darüber hinaus spielt die zusätzliche Sprachplanung, die beim Verstehen nicht erforderlich ist, eine Rolle und führt zu einer weiteren Belastung. Drittens, eine „comprehension-plus [Sichtweise]“ (Kubose et al., 2006, S.46). Das Verstehen von Sätzen erfordert einen besonders hohen kognitiven Aufwand, da Wörter unterschiedliche Bedeutungen haben und das Gehörte somit für ein korrektes Verständnis segmentiert und kontextuell integriert werden muss, was eine kognitive Anforderung an das Arbeitsgedächtnis stellt und Aufmerksamkeit erfordert (Cutler & Butterfield, 1992).

Der Frage, ob Sprachverstehen und Sprachproduktion sich in unterschiedlicher Weise auf die Fahrleistung auswirken und ob eines der beiden Aufgaben belastender ist, sind Kubose et al. (2006), sowie Bock, Dell, Garnsey, Kramer & Kubose (2007) und Strayer & Johnston (2001) nachgegangen. Auf den ersten Blick liefern die Untersuchungen von Kubose et al. (2006, 2007) eine Antwort auf diese Frage, die im Gegensatz zu dem steht, was die Untersuchung von Strayer & Johnston (2001) hervorgebracht hat.

Strayer & Johnston (2001) fanden heraus, dass Gespräche über ein Mobiltelefon während einer Tracking-Aufgabe die Wahrscheinlichkeit einen Lichtreiz zu verpassen erhöht und die Reaktionszeit auf einen Lichtreiz verlängert, wohingegen das Anhören von Radionachrichten bzw. eines Hörbuches derartige Defizite nicht verzeichnet. Reden scheint also im Vergleich zum Zuhören oder Verstehen belastender zu sein.

Die Ergebnisse von Kubose et al. (2006, 2007) hingegen zeigen, dass Sprachproduktion und –verstehen von geographischen Analysen über die Gebäudekonstellationen der Universität von Studenten in gleichem Ausmaß zu Defiziten in der Fahrleistung in einer Fahrsimulation führen.

Die unterschiedlichen Anforderungen der Sprachverständnisaufgaben in den vorliegenden Untersuchungen könnten eine Erklärung für die gegensätzlichen Ergebnisse sein: Bei Strayer & Johnston (2001) handelt es sich bei der Basis- und Zusatzaufgabe um Aufgaben, die unterschiedliche Ressourcen beanspruchen; auf der einen Seite steht die Trackingaufgabe, die räumliche Anforderungen an die VPN stellt und auf der anderen Seite die Sprachverständnisaufgabe, die die Aufnahme von nicht-räumlichen Fakten mit inhaltlichem Gehalt erfordert. Durch die unterschiedliche Beschaffenheit der beiden Aufgaben (auf der einen Seite die Beanspruchung des visuell-räumlichen Skizzenblocks und auf der anderen Seite die Beanspruchung der phonologischen Schleife bei der Analyse) besteht keine kognitive Überbelastung, so dass beide Aufgaben parallel ausgeführt werden können. Bei Kubose et al. (2006, 2007) hingegen verlangt sowohl die Sprachverständnisaufgabe als auch die Basisaufgabe räumliche Kompetenzen (in beiden Fällen geschieht die Analyse über den visuell-räumlichen Skizzenblock), demnach werden gleiche kognitive Ressourcen beansprucht und es kommt zu einer kapazitären Überbelastung im Arbeitsgedächtnis, die sich in Leistungsdefiziten niederschlägt.

Die Ergebnisse, die die Literatur liefert, lassen keinen Zweifel an dem negativen Einfluss der Mobiltelefonbenutzung während des Autofahrens zu. Es handelt sich bei dieser Aufgabenkombination um eine klassische Doppelaufgabe. Das Autofahren ist hinsichtlich der Bedienung (Gas geben, Schalten, Lenken) als höchst geübt und automatisiert einzuschätzen. Die Aufmerksamkeitsbelastung hierbei ist als gering anzusehen. Nach dem Modell von Norman & Shallice (1986) wird hierfür primär das CS beansprucht. In dem Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley & Hitch (1974) wird der zentralen Exekutive bei dieser Handlung eine geringe Aufmerksamkeitsbelastung zugeschrieben. In potenziell gefährlichen Situationen hingegen, in denen die automatisierte Handlung vorprogrammiert durch ein Schema nicht zielführend ist, wird nach dem Modell von Norman & Shallice (1986) das SAS aktiviert. Die Anforderungen an die zentrale Exekutive nach Baddeley & Hitch (1974) werden gefordert, um zielführend handeln zu können. In jenen Situationen also, die ein gewisses Unfallrisiko in sich tragen, in denen ständig neue Anforderungen an den Fahrer gestellt sind, ist hinsichtlich des Fahrens eine Beanspruchung der zentralen Exekutive bzw. des SAS anzunehmen. Während des Sprechens wird die phonologische Schleife beansprucht. Darüber hinaus für Aufgaben, bei denen ein ganzer Satz gesprochen oder korrigiert wird, auch die zentrale Exekutive. Hierbei sind eine kognitive Entscheidung oder das Abwägen von Alternativen erforderlich und dafür wird Aufmerksamkeit benötigt. Interferenz zwischen dem Fahren und Sprechen wird erwartet, wenn beide Aufgaben das Arbeitsgedächtnis bzw. die zentrale Exekutive beanspruchen. Nach Oberauer und Hockl (2003) kommt es besonders dann zu Interferenzen, wenn zwischen dem Sprechen und der parallel auszuführenden Aufgabe aus dem Gedächtnis Wissen abgerufen werden muss.

2.3. Planung des Versuchs

In der vorliegenden Untersuchung soll zum einen überprüft werden, ob der Inhalt des Sprachmaterials (räumlich vs. nicht-räumlich) Einfluss auf die Leistung einer kontinuierlich räumlich orientierten sensumotorischen Aufgabe nimmt und zum anderen in welchem Maße sich dieser Einfluss in den Phasen Sprachverstehen, -planung und –produktion manifestiert.

In Anlehnung an die Mobiltelefonbenutzung während der Autofahrt liegt zunächst der Gedanke nah, als räumlich orientierte sensumotorische Aufgabe eine Fahrsimulation zu wählen. Die Situationen, die bei der Autofahrt besonders gefährlich und risikobehaftet sind, sind jene, bei denen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit gefordert ist. Die Reaktion auf Lichtreize wie z.B. eine Ampelanlage oder das Bremslicht des vorherfahrenden Fahrzeugs, ein kreuzendes Fahrzeug, all dies sind Momente, in denen der Fahrer schnell reagieren muss, um eine Gefahr abzuwenden. Dieser Aufmerksamkeitsfokus ist in einer Fahrsimulation allerdings nicht kontinuierlich erforderlich. Beim Geradeausfahren werden an den Fahrer keine besonderen Anforderungen gestellt und das Risikopotenzial für einen Unfall ist relativ gering. Um zu untersuchen, inwieweit Gespräche die Fahrleistung stören, ist es aber erforderlich, eine Aufgabe zu stellen, bei der kontinuierlich Aufmerksamkeit gefordert wird und stetig neue Orientierung gefordert ist, denn genau diese Situationen sind es, die Gefahrenquellen in sich tragen.

Aus diesem Grund wird für diese Untersuchung eine Tracking-Aufgabe verwendet, bei der die Probanden ein sich bewegendes Ziel mit einer Maus verfolgen. Die Richtungswechsel des Ziels sind hinsichtlich der Bewegungsrichtung nicht antizipierbar und erfordern somit eine kontinuierliche Aufmerksamkeitszuwendung und eine neue Orientierung (kontinuierliche Beanspruchung der zentralen Exekutive bzw. des SAS), ebenso wie jene potenziellen Gefahrensituationen, in denen die Auswirkungen von Gesprächen gerade überprüft werden sollen.

2.4. Planung des Versuchsablaufs

Die Probanden hören Sätze, die sie auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen sollen. Ist der gehörte Satz inhaltlich korrekt, soll er wiederholt werden, ist er falsch, soll er korrigiert wiedergegeben werden. Zusätzlich wird über die gesamte Versuchszeit eine Tracking-Aufgabe ausgeführt.

2.5. Hypothesen

Es ist nach den Annahmen des Doppelaufgaben-Paradigmas zu erwarten, dass die Doppelaufgabenbelastung sowohl beim Tracking als auch bei der Sprechaufgabe zu einer Verringerung der Leistung führt (H1).

Des Weiteren ist davon auszugehen, dass der Inhalt der Sprechaufgabe einen Einfluss auf die Leistung in der Tracking-Aufgabe hat. Es wird wegen der inhaltlichen Ähnlichkeit erwartet, dass insbesondere die räumliche Sprechaufgabe die Trackingleistung verringert (H2).

Es ist anzunehmen, dass die Doppelaufgabenphasen Sprachverstehen, Sprachplanung und Sprachproduktion unterschiedlich stark belastend sind und somit zu unterschiedlich großen Interferenzen mit dem Tracking führen werden. Insbesondere für die Sprachplanung und Sprachproduktion werden große Interferenzen erwartet (H3).

[...]

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Multitasking im Straßenverkehr: Eine reelle Gefahr?
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (AE Sprache und Kognition)
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2009
Seiten
67
Katalognummer
V200681
ISBN (eBook)
9783656278634
ISBN (Buch)
9783656279235
Dateigröße
970 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
trackingleistung, einfluss, sprachverstehen, Interferenz, Doppelaufgaben
Arbeit zitieren
Linda Engelbrecht (Autor:in), 2009, Multitasking im Straßenverkehr: Eine reelle Gefahr?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200681

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