Die Affäre um das Verschwinden des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg ist bis heute nicht geklärt. Die Geschichte wirft ein unrühmliches Licht auf die schwedische Aussenpolitik in den Nachkriegsjahren. Wallenberg hatte im Zweiten Weltkrieg Zehntausenden von ungarischen Juden Schutzpässe ausgestellt und sie damit vor dem Zugriff der Nazis bewahrt. Raoul Wallenberg starb in sowjetischer Gefangenschaft, aber Moskau blieb bis heute eine klare Auskunft über Wallenbergs Schicksal schuldig.
Die Affäre um das Verschwinden des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg ist bis heute nicht geklärt. Die Geschichte wirft ein unrühmliches Licht auf die schwedische Aussenpolitik in den Nachkriegsjahren. Wallenberg hatte im Zweiten Weltkrieg Zehntausenden von ungarischen Juden Schutzpässe ausgestellt und sie damit vor dem Zugriff der Nazis bewahrt. Raoul Wallenberg starb in sowjetischer Gefangenschaft, aber Moskau blieb bis heute eine klare Auskunft über Wallenbergs Schicksal schuldig.
Am 4. August 2012 jährte sich zum hundertsten Mal der Geburtstag von Raoul Wallenberg, der Zehntausende ungarischer Juden vor dem Tod in Auschwitz gerettet hatte. Wallenberg entstammte einer berühmten schwedischen Bankiers- und Unternehmerfamilie. Seine Nichte ist heute mit Kofi Annan verheiratet.
Dank seiner einflussreichen Familie, einer der reichsten Schwedens, wurde Wallenberg mit 32 Jahren 1944 als erster Sekretär der schwedischen Gesandtschaft in Budapest zugeteilt. Hier setzte er sich für die Rettung verfolgter Juden ein. Dabei wurde er auch vom amerikanischen War Refugee Board[1] unterstützt. Die schwedische Regierung hatte ihm eine Liste mit rund 800 ungarischen Personen mit Beziehungen zu Schweden mitgegeben, deren Aufnahme Schweden garantierte. Wallenberg verteilte unter dem Schutz seines diplomatischen Status sogenannte schwedische Schutzpässe. Diese Dokumente identifizierten die Inhaber als schwedische Staatsbürger, die ihre sichere Repatriierung erwarteten. Ähnliche Dokumente wurden auch von der Schweiz und dem Vatikan ausgestellt. Wallenberg bemühte sich nach der Eroberung von Budapest durch die Rote Armee im Januar 1945 weiterhin für seine Schützlinge. Deshalb wollte er den sowjetischen Kommandanten treffen. Auf dem Weg nach Debrecen wurde Wallenberg jedoch von den Russen festgenommen und nach Moskau verschleppt.
Was danach genau mit Raoul Wallenberg geschah, ist bis heute ungeklärt.[2] Im März 2003 veröffentlichte eine unabhängige schwedische Kommission unter Ingemar Eliasson ihre Forschungsergebnisse.[3] Der über 700seitige Bericht belegt, dass Schwedens Regierung sich am Schicksal des verschleppten Wallenberg ziemlich uninteressiert zeigte und nur widerwillig versuchte, Wallenberg aus sowjetischer Haft zu befreien. Auch wenn weiterhin viele Fragen unbeantwortet bleiben, steht heute so viel fest: Russland hielt die Wahrheit über Wallenberg hartnäckig geheim, und Schwedens Haltung machte es der russischen Führung leicht, Nachforschungen abzuwiegeln. Merkwürdig mutet an, wie ungerührt sich anscheinend der einflussreiche Wallenberg-Clan am Schicksal seines Verwandten zeigte. Nur Eltern und Geschwister setzten sich unermüdlich ein, vermochten aber gegen die Gleichgültigkeit der offiziellen Stellen nicht anzukommen. So ist der Fall Wallenberg ungelöst geblieben.
Im Lubyanka-Gefängnis
Am 16. Januar 1945 informierte das sowjetische Aussenministerium den schwedischen Gesandten in Moskau, Staffan Söderblom, Wallenberg stehe unter «sowjetischem Schutz». In Stockholm wurden Wallenbergs Mutter Maj und sein Stiefvater Fredrik von Dardel verständlicherweise unruhig. Im Februar 1945 sprach die Mutter bei der sowjetischen Botschafterin in Stockholm vor, die sie beruhigte: Raoul Wallenberg sei in Russland in Sicherheit. Kurz darauf erhielt die Frau des schwedischen Aussenministers denselben Bescheid, mit dem Zusatz, es wäre besser, nicht allzu viel Aufhebens um diese Angelegenheit zu machen, Wallenberg werde schon zurückkehren. Am 15. März 1945 verbreitete der von den Sowjets kontrollierte ungarische Sender Kossuth die Nachricht, Wallenberg sei auf dem Weg nach Debrecen von «Agenten der Gestapo» ermordet worden. Zwei Tage später beauftragte das schwedische Aussenministerium seinen Gesandten in Moskau, sich bei den sowjetischen Behörden nach Wallenbergs Verbleib zu erkundigen.
Wie wir heute wissen, wurde im Laufe des 17. Januars 1945 Wallenberg mit seinem Chauffeur Vilmos Langfelder irgendwo ausserhalb Budapests Agenten der Smersch[4] übergeben. Das war die sowjetische Abteilung für Spionageabwehr innerhalb des Geheimdienstes NKWD, aus dem später der KGB werden sollte (heute «FSB»). Der Studebaker, das Geld und die übrigen Wertsachen, die Wallenberg mit sich führte, wurden beschlagnahmt. (1989 wurden unter Gorbatschow der Familie Wallenbergs Pass, Führerschein, Zigarettenetui, Terminkalender und seine Registrierkarte in der Lubyanka ausgehändigt.) Der NKWD brachte Wallenberg und Langfelder per Bahn über Rumänien nach Moskau. Man erklärte ihnen, sie befänden sich nicht in Haft, sondern in Schutzgewahrsam. Für die beiden Schweden wurde sogar eine kleine Stadtrundfahrt durch Moskau organisiert, an deren Ende sie am Dzershinski-Platz ankamen. Dort befand sich das berüchtigte Lubyanka-Gefängnis des NKWD. Die Lubyanka war die Erfassungsstelle für alle politischen Gefangenen in der Sowjetunion. Hier wurden Wallenberg und Langfelder getrennt. Wallenberg kam in die Zelle 123. Einer seiner beiden Zellengenossen war SS-Hauptsturmführer Gustav Richter, der Vertreter Eichmanns in Bukarest. Trotz der gegensätzlichen Rollen im Krieg wurden die drei Inhaftierten angesichts des gemeinsamen Feindes bald Vertraute. Richter kam 1955 frei und wurde in Deutschland 1982 zu vier Jahren Haft verurteilt wegen seiner Rolle bei Judendeportationen. Wallenberg hingegen erwartete ein anderes Schicksal.
Wallenbergs erstes Verhör durch den NKWD fand am 8. Februar 1945 statt. Wie er seinen Zellengenossen berichtete, warf man ihm Spionage vor. Im März 1945 wurde Wallenberg in eine andere Zelle verlegt und von dort Ende Mai 1945 ins Moskauer Lefortowo-Gefängnis überstellt, das ebenfalls vom Geheimdienst betrieben wurde.[5] Raoul Wallenberg kam in die Zelle 151. Bald hatte er heraus, wie die Gefangenen mittels Klopfzeichen untereinander kommunizierten, und beteiligte sich selber sehr aktiv, oft in deutscher Sprache. Bald wurde Wallenberg in den 4. Stock verlegt, den sogenannten «Diplomaten-Flügel» des Lefortowo-Gefängnisses. Einer der Mithäftlinge sagte später aus: «Wallenberg war ein sehr eifriger Klopfer. Er klopfte in perfektem Deutsch. Wenn er mit uns sprechen wollte, dann klopfte er immer fünfmal hintereinander, bevor er anfing.» Dank dieser Kommunikation mit seinen Mithäftlingen wurden die näheren Umstände von Langfelders und Wallenbergs Verhaftung sehr viel später im Westen bekannt.
[...]
[1] Der War Refugee Board war eine unter Präsident Franklin D. Roosevelt im Januar 1944 eingerichtete interministerielle US-Regierungsdienststelle, die Opfern der NS-Diktatur, insbesondere jüdischen Flüchtlingen, weltweit helfen sollte. Finanz-, Innen- und Kriegsministerium waren darin vertreten und beteiligt. Seine Errichtung kann als Folge der Interalliierten Erklärung gegen die Vernichtung der Juden Europas vom Dezember 1942 und den Kenntnissen der Alliierten darüber gesehen werden. Der War Refugee Board, Komitee für Kriegsflüchtlinge, unterhielt Filialen in der Türkei, Schweiz, Schweden, Portugal, Groẞbritannien, Italien und in Nordafrika.
[2] Der Text stützt sich neben eigener Forschung besonders auf: Susanne Berger, Stuck in Neutral: The reasons behind Sweden’s passivity in the Raoul Wallenberg case (Arlington, 2004); Danny Smith, Raoul Wallenberg: Der Mann, der 100 000 Juden rettete (Giessen, 2012)
[3] Ett diplomatiskt misslyckande: Fallet Raoul Wallenberg och den svenska utrikesledningen. Kommissionen om den svenska utrikesledningens agerande i fallet Raoul Wallenberg (Stockholm, 2003)
[4] Der militärische Nachrichtendienst Smersch (von SMERt SCHpionam, für «Tod den Spionen») wurde am 19. April 1943 vom NKWD gegründet. Er diente vornehmlich der Spionageabwehr, um «Verräter, Deserteure, Spione und kriminelle Elemente» dingfest zu machen. Grundsätzlich wurden auch kriegsgefangene sowjetische Soldaten, die in ihr Heimatland fliehen konnten, als Verräter und Deserteure angesehen und entsprechend verfolgt. Smersch-Abteilungen gab es in der sowjetischen Armee, der Flotte und dem NKWD selbst. Vorsitzender war Viktor Abakumow, der direkt Stalin unterstellt war. Im März 1946 wurde Smersch dem Volkskommissariat der Streitkräfte unterstellt, das später unter die Kontrolle des Verteidigungsministeriums kam und im Mai 1946 aufgelöst wurde.
[5] Hier sass übrigens später auch der jugendliche deutsche Privatpilot Mathias Rust ein, der 1987 mit seiner Cessna unweit des Roten Platzes gelandet war und die sowjetische Luftabwehr blossstellte, was zu umfangreichen Säuberungen in der Armee führte.
- Arbeit zitieren
- Pierre Th. Braunschweig (Autor:in), 2012, Der "lästige" Fall Wallenberg: Verschwunden im Archipel Gulag, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199901
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