Im Vergleich zu anderen akademischen Berufsgruppen ist die Zahl an krankheitsbedingten Frühpensionierungen bei Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland besonders hoch. Häufigster Grund sind psychische und psychosomatische Erkrankungen. Die vorzeitige Verrentung von Lehrer/-innen stellt ein erhebliches gesellschaftliches, volkswirtschaftliches und sozialmedizinisches Problem dar, insbesondere weil sich die zugrunde liegenden Erkrankungen auch negativ auf die Möglichkeiten, gesund und in Selbstständigkeit zu altern auswirken können. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht eine neu entwickelte Grafik, die die Einflüsse und Wechselwirkungen der verschiedenen Faktoren aufzeigt, die zu psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankungen als häufigste Ursache einer frühzeitigen Verrentung bei Lehrer/-innen führen. Die Grafik wird zuerst näher beschrieben und anschließend anhand verschiedener soziologischer, psychologischer und sozialmedizinischer Modelle und Theorien näher erläutert.
I. Hintergrund
Im Vergleich zu anderen akademischen Berufsgruppen ist die Zahl an krankheitsbedingten Frühpen-sionierungen bei Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland besonders hoch. Häufigster Grund sind psychische und psychosomatische Erkrankungen. Nach Weber et al (2004) stellt die vorzeitige Verren-tung von Lehrer/-innen ein erhebliches gesellschaftliches, volkswirtschaftliches und sozialmedizini-sches Problem dar, insbesondere weil sich die zugrunde liegenden Erkrankungen auch negativ auf die Möglichkeiten, gesund und in Selbstständigkeit zu altern auswirken können (Hillert 2004).
Als ein zentraler Aspekt bei der Entstehung von psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankungen konnte bei Lehrer/-innen (ebenso wie in anderen Berufen) der Faktor Stress identifiziert werden (van Dick 2006; Oetting 2008; Heyse/Kubitza 2008; Ahola et. al 2009). Nach Selye (1936, 1950) ist Stress die unspezifische Reaktion des Organismus auf jeder Form von Belastung. Mit dem Stress-Konzept eng verwandt ist das von Freudenberger (1974) erstmals beschriebene Konzept des „Burnout-Syn-droms“, einem stressbedingten schleichenden Prozess der körperlichen, emotionalen, geistig-mentalen und sozialen Erschöpfung, welcher zu Folgeerkrankungen wie Depression, Angstzuständen, Panik-attacken, psychosomatischen Störungen und Substanzmissbrauch führt. Die höchsten Burnout-Raten findet man in Deutschland unter den Lehrer/-innen (Bauer et al 2003; Weber et al 2004). Eine große finnische Verlaufsstudie konnte nun zeigen, dass Burnout-Syndrome häufig Vorboten und Warnsignale für eine Frühverrentung sind (Ahola et al 2009; vgl. auch Boedecker et al 2008).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Welche Faktoren führen zu psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankungen als häufigste Ursache einer frühzeitigen Verrentung bei Lehrer/-innen?
II. Beschreibung der Grafik
Welche Faktoren führen nun zu diesem stressbedingten schleichenden Prozess des Burnouts, der wiederum zur Entstehung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen und in deren Folge zu einer Frühverrentung führen kann (Abb. 1)? Es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Belastungs-faktoren, die auf Lehrer/-innen einwirken und diesen Prozess in Gang setzen können. Die externen Belastungsfaktoren lassen sich in zwei große Felder untergliedern: gesellschaftliche Rahmenbedin-gungen einerseits und das Schulsystem andererseits. Diesen stehen interne, Individuum bezogene Be-lastungsfaktoren gegenüber. In Deutschland gehört es zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Lehrer/-innen, dass der Lehrerberuf nur eine unzureichende gesellschaftliche Wertschätzung genießt. Darüber hinaus sind Bildungs- und Erziehungsziele nicht klar definiert, ein ständiger Wandel von Lehrplänen und Strukturen führt seit Jahrzehnten zu einer immer größeren Unsicherheit unter den Lehrer/-innen. Das Schulsystem ist gekennzeichnet durch große Schulklassen (höhere Lärmpegeln, mehr Prüfungen…) und eine weiter zunehmende Arbeitszeitbelastung bei den Lehrer/-innen, v.a. außerhalb der eigentlichen Unterrichtszeit (Weber et al 2004). Die hohe Arbeitszeitbelastung kann zusätzlich auch durch eine mangelhafte Arbeitsorganisation mit bedingt sein. Gleichzeitig erfahren Lehrer/-innen heute wesentlich häufiger als früher Disziplinlosigkeit, Aggressivität und Gewalt durch Schüler/-innen, aber auch durch Eltern in Form von Unzufriedenheit, Feindseligkeit und offener Aggressivität. Dies ist u.a. auch Ausdruck der fehlenden Wertschätzung des Lehrerberufes in unserer Gesellschaft (→„gesellschaftliche Rahmenbedingungen“). Dabei bekommen Lehrer/-innen oftmals nur unzureichenden Rückhalt von Seiten der Schulleitung und/oder des Kollegiums. Dies kann ein Anzeichen einer mangelhaften Kommunikationskultur sowie eines schlechten Führungsstils in einer Schule sein und hat Auswirkungen auf das dortige Betriebsklima. Zu den internen, die Person des Lehrers betreffenden Belastungsfaktoren gehören neben genetischen Faktoren vor allem ein Mangel an individuellen Coping-Strategien und/oder ein fehlender sozialer Rückhalt in Familie und/oder Freundeskreis (soziales Stützsystem). Die genannten Faktoren können sich gegenseitig verstärken. Externe und interne Belastungsfaktoren tragen zur Entstehung von Stresssituationen bei und unterstützen die Entwicklung einer Burnout-Symptomatik. Diese wiederum kann eine psychische oder psychosomatische Erkrankung zur Folge haben (Hillert 2004; Unterbrink et al 2008). Häufige Krankheitszeiten können diesen Prozess rückwirkend verstärken, da sie sich oft negativ auf das schulische Betriebsklima und den Rückhalt des Lehrers/der Lehrerin bei der Schulleitung und im Kollegium auswirken. Letztendlich bleibt den Betroffenen dann meist nur der Weg in eine frühzeitige Verrentung. 34 Prozent der in einer repräsentativen Umfrage befragten Lehrer/-innen in Deutschland konnten sich – unter Berücksichtigung ihres Gesundheitszustandes und der Arbeitsbedingungen – nicht vorstellen, gesund durch die weitere Erwerbsphase zu kommen (Fuchs/Trischler 2009).
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- Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier (Author), 2010, Häufigste Ursachen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei Lehrer/-innen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199823
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