Bereits in der griechischen Mythologie ist die „Doppelgesichtigkeit“ der Luftfahrt auf bemerkenswerte Weise in der Sage von Ikarus und Dädalus vorgezeichnet: zwar gelingt es den beiden, mit Flügeln aus Wachs die Fähigkeit des Fliegens technisch zu realisieren, doch Ikarus wird schnell übermütig und fliegt zu hoch empor, sodass die Sonne die Wachsflügel auf seinem Rücken zum Schmelzen bringt und er ins Meer stürzt und stirbt. Diese technologische Hybris begleitet die Menschheit auch nach der Erfindung des modernen Flugzeugs bis zum heutigen Tage. „Der Traum vom Fliegen,“ so Helmuth Trischler, „beruht, wie interkulturelle Vergleiche zeigen, auf einer anthropologischen Konstante: dem Streben nach der Entgrenzung, nach der Befreiung von der realen Raum-Zeit-Struktur. Ballon, Luftschiff und Flugzeug lieferten die technische Basis für die Verwirklichung des Traumes von Dädalus, dem irdischen Labyrinth durch die Luft zu entfliehen.“
Wie bei allen revolutionären technischen Neuerungen wurde auch die Erfindung des modernen motorisierten Flugzeugs durch die Gebrüder Wright und dessen darauffolgende stetige Weiterentwicklung – erst zur Attraktion, dann zur Kriegsmaschine und schließlich zum Massentransportmittel – nicht nur von Begeisterung und utopischen Hoffnungen begleitet, sondern auch von Skepsis und Schreckensszenarien. Kühne Erwartungen an das Flugzeug als Friedensbringer wurden spätestens mit dem Ersten Weltkrieg zunichte gemacht, während die Literatur der Zwischenkriegszeit, wie zu zeigen sein wird, oftmals apokalyptische Bilder einer fatalen Kombination aus Luft- und Gaskrieg, oder eines totalen Bombardements heraufbeschwor. Trotz der düsteren Farben, mit denen diese beiden Szenarien ausgemalt wurden, fand Ersteres im italienischen Abessinien-Krieg, und Letzteres im Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs eine gewisse Bestätigung. Gleichzeitig findet dabei eine Metamorphose des Fliegerhelden vom bürgerlich-individualistischen „Ritter der Lüfte“ zur im Dienste des faschistischen Kollektivs stehenden Verheißungsfigur statt.
In dieser Arbeit soll daher insbesondere nach den negativen Bildern gefragt werden, die von der jungen Luftfahrt evoziert wurden. Hierbei soll weniger die Ereignisgeschichte im Zentrum der Betrachtung stehen, als vielmehr die Wahrnehmung derselben durch die Zeitgenossen, die in Zeitungen, Literatur und Kunst ihre Erwartungen und Ängste äußerten.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die junge Luftfahrt
- 2.1 Aufbruch und Hoffnung
- 2.2 Ängste und Schreckensszenarien
- 3. Die Luftfahrt im Ersten Weltkrieg
- 3.1 Der militärische Einsatz von Flugmaschinen
- 3.2 Wahrnehmung und Kontrastierung
- 4. Die Zwischenkriegszeit
- 4.1 Kulturelle Konstruktion und literarische Verargumentierung
- 4.2 Die Entgrenzung der Gewalt im Luftkrieg
- 4.3 Aufbruch in die „mythische Moderne" - Aviatik und Faschismus
- 5. Zusammenfassung
- 6. Quellen- und Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit der ambivalenten Wahrnehmung der Luftfahrt in ihren Anfängen. Sie untersucht, wie die Erfindung des Flugzeugs und die damit einhergehende Eroberung der dritten Dimension nicht nur mit Begeisterung und utopischen Hoffnungen, sondern auch mit Skepsis und Schreckensszenarien begegnet wurde.
- Die Darstellung der Luftfahrt als Friedensbringer und deren kritische Auseinandersetzung
- Die Entwicklung der Luftfahrt zur Kriegsmaschine und die damit verbundenen Ängste vor einem apokalyptischen Luftkrieg
- Die Rolle der Aviatik in der kulturellen Konstruktion des Fliegerhelden und dessen Transformation im Kontext des Ersten Weltkriegs und des Faschismus
- Die Entgrenzung der Gewalt im Luftkrieg und die Bedeutung des Giftgases als Bestandteil des totalen Krieges
- Die Bedeutung der Luftfahrt als Symbol für die „mythische Moderne" und deren Verbindung zum Faschismus
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die „Doppelgesichtigkeit" der Luftfahrt anhand der griechischen Sage von Ikarus und Dädalus vor und skizziert die zentrale Forschungsfrage der Arbeit: Welche negativen Bilder wurden von der jungen Luftfahrt evoziert?
Das zweite Kapitel beleuchtet die anfänglichen Hoffnungen auf eine friedliche Nutzung der Luftfahrt, die mit der Erfindung des Flugzeugs durch die Gebrüder Wright verbunden waren. Es werden die Erwartungen an das Flugzeug als „Friedensbringer" und die ersten Ängste vor dessen militärischem Einsatz dargestellt.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Luftfahrt im Ersten Weltkrieg. Es werden die militärischen Einsatzmöglichkeiten des Flugzeugs und die Veränderungen der Kriegsführung durch die Eroberung der dritten Dimension beschrieben. Zudem wird die Wahrnehmung des Luftkriegs durch Zeitgenossen und die Kontrastierung des Fliegerhelden zum Grabenkrieg beleuchtet.
Das vierte Kapitel analysiert die literarische Verargumentierung des Luftkriegs in der Zwischenkriegszeit. Es werden verschiedene literarische Werke vorgestellt, die die apokalyptischen Bedrohungen eines totalen Luftkriegs, insbesondere in Kombination mit Giftgas, thematisieren. Des Weiteren wird die Entgrenzung der Gewalt im Luftkrieg anhand des italienischen Giftgaseinsatzes in Abessinien und die Verknüpfung der Aviatik mit dem Faschismus untersucht.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Luftfahrt, die Aviatik, den Luftkrieg, die Entgrenzung, die Kriegsgewalt, die „mythische Moderne", den Faschismus, den Fliegerhelden, den Giftgas, die Schreckensszenarien und die ambivalenten Erwartungen an die neue Technologie.
- Quote paper
- Moritz Mücke (Author), 2012, Das Flugzeug als Bezwinger der Abgrenzungen – negative Bilder der jungen Luftfahrt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199628
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