Ziel dieser Arbeit ist zu untersuchen, ob es in Spanien heute eine national
einende, kollektive Identität gibt, oder ob nach wie vor unterschiedliche
kollektive Identitäten in verschiedenen Teilregionen vorherrschen.
Diese Identitäten werden hinsichtlich ihrer objektiven Unterschiede, wie
z.B. Sprache und Parteien, ihrer kollektiven Bindungen an die Nation
und an die Regionen sowie nach ihrem Demokratieverständnis analysiert.
So kann der Beitrag der Identitäten zum nationalen Selbstverständnis
Spaniens und ihre förderlichen bzw. hinderlichen Einstellungen
zur Demokratie ermittelt werden. Spanien, einer der ältesten Nationalstaaten Europas, war lange durch
starken Zentralismus beherrscht, der nur zweimal kurzzeitig durch dezentrale
Ausprägungen unterbrochen wurde. 1978 wurde eine neue
Verfassung in Kraft gesetzt, aus der sich die Einteilung Spaniens in
„Nation“, „Nationalitäten“ und „Regionen“ ergab. Die entstandene territoriale
Machtverteilung sollte den Zentralstaat beenden und einen demokratischen
Rechtsstaat zwischen politischem Zentralismus und Einheitsstaat
sowie dezentraler Version schaffen (Nohlen/Hildenbrand
199a: 294).
Seit 1983 gibt es in Spanien 17 autonome Regionen, die sogenannten
„Comunidades Autónomas“. Diese neue Gebietsaufteilung stellt einen
tiefgreifenden Wandel in der Geschichte Spaniens dar. Aufgrund der
Unterdrückung der ethnischen und nationalen Identitäten sowie jeglicher
regionaler Eigenständigkeit der einzelnen Landesteile in Spanien
während des Franco-Regimes (1939-1975) kamen fast in allen Gebieten
neue regionalistische4 Kräfte zum Vorschein. Vor allem im Baskenland
und Katalonien sind nationale Emanzipationsbestrebungen verstärkt
zu beobachten. Bis heute ist die „regionale Frage“5 in Spanien
nicht gelöst, und weiterhin bestimmt das Problem der „peripheren oder lokalen Nationalismen und Regionalismen“6 die Schlagzeilen in spanischen
Tageszeitungen. Außerdem wurde dieses Problem zu einem
wichtigen Prüfstein für Spaniens junge Demokratie (Nohlen/ Hildenbrand
1992a: 294).
Angesichts der Transitionsphase7 und nationalistischer Entwicklungen
in den einzelnen Peripherien ist es fraglich, ob damals, bei Verfassungsbeginn,
eine spanische Nation als nationale, die Staatsbürger einenden
Identität geschaffen wurde, oder ob nach wie vor einzelne ethnische
Bezugsgemeinschaften in den Regionen überwiegen. [...]
4siehe Kapitel 2.2.1.2.
5siehe Kapitel 2.2.1.2.,2.5.
6siehe Kapitel 2.2.1.1.,2.2.1.2.
7Übergangsphase zur Demokratie. Kapitel 2.4.3.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung: Heutige Relevanz der Konzepte von Nation und nationalen Bewegungen
- Ziele der Arbeit
- Problemskizzierung und Fragestellungen
- Aufbau der Arbeit
- Theoretische Ansätze
- Staaten, Nationen und Regionen
- Objektiver und subjektiver Nationenbegriff
- Regionen als Subeinheiten der Nation
- Die Klassifizierung Spaniens anhand der Gesellschaftstypen von Haller
- Typologische Unterscheidung des nationalen Selbstverständnisses: Ethnos – Demos – Konzept nach Francis
- Der Ethnos (nationalistisches Modell)
- Ethnischer Nationalismus
- Regionalismus
- Der Demos (patriotisches Modell)
- Zusammenfassende Diskussion und Kritik
- Identitätskonzepte
- Identitätsbegriff und kollektive Identität als Teilbereich der sozialen Identität
- Nationale und regionale Identität
- Historische Entwicklung und heutige Situation in Spanien
- Historischer Befund bis zum Franco- Regime
- Autoritäres Franco-Regime
- Wandel in einen demokratischen EU-Staat und eine neue Verfassung
- Kompetenzverteilung innerhalb Spaniens
- Entwicklungen der Nationalismen und Regionalismen
- Periphere Nationalismen in Katalonien und im Baskenland
- Katalanischer Nationalismus
- Baskischer Nationalismus
- Weitere spanische Nationalismen
- Galizischer Nationalismus
- Andalusischer Regionalismus
- Valencianischer Regionalismus
- Zusammenfassende Darstellung der Nationalismen
- Überblick über den gegenwärtigen empirischen Forschungsstand zu nationaler/ regionaler Identität
- Hypothesen
- Die Entwicklung und Ausprägung von Nationalismen und Regionalismen in Spanien
- Die Rolle von Ethnos und Demos im nationalen Selbstverständnis der Spanier
- Die Auswirkungen historischer und politischer Prozesse auf die nationale und regionale Identität
- Die Analyse empirischer Daten zu kollektiver Identität in Spanien
- Die Untersuchung der Situation in verschiedenen Regionen Spaniens, insbesondere Katalonien, Baskenland und Galizien
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Analyse nationaler und regionaler Identitäten in Spanien. Ziel ist es, die verschiedenen Konzepte von Nation und Nationalismus im Kontext der spanischen Geschichte und Gegenwart zu untersuchen und anhand empirischer Daten die Ausprägungen nationaler und regionaler Identitäten in der spanischen Bevölkerung zu analysieren.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die Thematik von Nation und Nationalismus und stellt die Zielsetzung und Fragestellungen der Arbeit dar. Im zweiten Kapitel werden verschiedene theoretische Ansätze zur Analyse von Nationalismus und Identität vorgestellt. Hier werden die Konzepte von Nation, Staat und Region sowie die Unterscheidung von ethnischem und patriotischem Nationalismus im Sinne von Ethnos und Demos diskutiert. Außerdem werden verschiedene Identitätskonzepte und ihre Relevanz für die Analyse nationaler und regionaler Identitäten beleuchtet. Das dritte Kapitel beleuchtet die historische Entwicklung und die heutige Situation in Spanien. Hier werden wichtige historische Ereignisse wie das Franco- Regime und die Entstehung der spanischen Verfassung betrachtet. Außerdem werden die verschiedenen Nationalismen und Regionalismen in Spanien, insbesondere in Katalonien, dem Baskenland und Galizien, genauer analysiert. Im vierten Kapitel wird die methodische Vorgehensweise der Arbeit vorgestellt und der verwendete Datensatz, der World Values Survey (WVS), erläutert. Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Analyse vorgestellt. Hier werden die Ergebnisse der Datenanalyse in verschiedenen Regionen Spaniens präsentiert, wobei die Schwerpunkte auf Katalonien, dem Baskenland und Galizien liegen. Das sechste Kapitel diskutiert die Gesamtsituation in Spanien und beleuchtet zukünftige Herausforderungen für die spanische Politik.
Schlüsselwörter
Nationale Identität, Regionale Identität, Spanien, Nationalismus, Regionalismus, Ethnos, Demos, World Values Survey (WVS), Katalonien, Baskenland, Galizien, Franco- Regime, Demokratie.
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- Ulrike Reitmann (Autor), 2002, Nationale und regionale Identitäten in Spanien, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19938