Durch den im Moment viel diskutierten Kostendruck im Gesundheitswesen
und die immer im Raum stehenden Beitragserhöhungen in unsere
gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) wird es jedem interessierten
Mitbürger klar sein, dass unser Gesundheitssystem als solches krankt.
Es leidet an einer schleichenden Erkrankung mit vielen Symptomen, die es
nach ausreichender, grundlegender Diagnosestellung zu therapieren gilt.
Leider scheint es im Moment aber so, dass keiner der an der
Diagnosestellung beteiligten Professionals eine schlüssige Diagnose,
geschweige denn, einen von allen Angehörigen des therapeutischen Teams
akzeptierten Therapieplan aufstellen kann, der darüber hinaus auch noch
eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Heilung des Patienten zulässt.
Ein gemeinsamer Nenner aller Professionals im therapeutischen Team
bezüglich der Maßnahmen zur Zielerreichung der Homöostase des
Patienten, unseres alternden Gesundheitswesens, ist jedoch zu finden: es
muss effizienter gearbeitet, rationalisiert werden. Gleichzeitig soll die Qualität
bestehen bleiben, bzw. erhöht werden und die Kostenschraube im Minimum
blockiert, besser noch heruntergeschraubt werden. Dieses umfassende,
globale Ziel können alle Beteiligten so und/ oder mit kleinen Abweichungen
formulieren. Schwierig wird es für die am Genesungsprozess des
Gesundheitswesens Beteiligten bei der Aufstellung des Maßnahmen- bzw.-
Therapieplans. Denn dieser verlangt mehr Zielgenauigkeit von den
Leistungserbringern. Um diese jedoch erbringen zu können, muss die
gesamte Arbeitsweise einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden.
Eine Möglichkeit den Therapieplan unseres Patienten zu optimieren, liegt in
der Anwendung der fallbezogenen Steuerung der Behandlungspläne der
Leistungsnehmer/ Patienten. Mit dem Casemanagement (CM) steht dem
therapeutischen Team eine individuelle Unterstützungs- und
Handlungsmöglichkeit für den einzelnen Leistungsnehmer zur Verfügung.
Hierdurch ist es möglich, die Lebensqualität jedes einzelnen Patienten zu berücksichtigen, seine ureigensten Bedürfnisse und Interessen von einem
“Anwalt des Patienten“; dem Casemanager (CMer), zu vertreten und
gleichzeitig durch Vernetzung und Synergieeffekte mehr Effizienz in das
Versorgungssystem zu bringen. Da diese Funktion der Anwaltschaft schon
jeher zu dem Aufgabengebiet der Pflegenden gehört, ist diese
Therapiemaßnahme natürlich auch in dem Kompetenzbereich der Pflege zu
diskutieren und zu implementieren. [...]
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Zielsetzung der Arbeit
3 Situationsanalyse
3.1 Zur Situation des deutschen Gesundheitswesen
3.2 Versorgungssituation von Kindern im dtsch. Gesundheitswesen
3.3 Erwartung der Eltern /Angehörigen
3.4 Beurteilung des Pflege -und Beratungsbedarfs betroffener Familien aus Sicht ambulanter Kinderkrankenpflegekräfte
3.5 Entwicklungstrends wichtiger interner Einflussgrößen des Anwendungsgebietes
3.5.1 Ambulante Kinderkrankenpflege
3.5.2 Neonatologie
3.5.3 Kinderkrankenpflege im Bereich der Neonatologie
3.6 Fazit
4 Theoretischer Rahmen
4.1 Pflegemodell von Dorothea Orem
4.1.1 1.Die Selbstpflege/ Dependenzpflege
4.1.2 2.Das Selbstpflegedefizit/ Dependenzpflegedefizit
4.1.3 3.Die Pflegesysteme
4.2 Trajektory Work Modell von Corbin und Strauss
4.3 Konzept der sanften Pflege von Marina Marcovich
5 Casemanagement
5.1 Einführung
5.1.1 Grundlagen
5.1.2 Allgemeine Zielsetzung
5.1.3 Entstehung von Casemanagement
5.2 Stand der Entwicklung
5.2.1 Methoden der integrativen Gesundheitsversorgung
5.2.2 Casemanagement Konzepte
5.2.2.1 Pflege Casemanagement innerhalb des Krankenhauses bzw. in der Akutversorgung
5.2.2.2 Pflege- Casemanagement außerhalb des Krankenhauses bzw. in der Langzeitversorgung
5.2.3 National
5.2.4 USA
5.3 Aufgabenbereiche des Casemanagement
6 Konzept Casemanagement für die Kinderkrankenpflege
6.1 Zielsetzung des Konzeptes
6.1.1 Verbesserung der Versorgung von erkrankten Kindern
6.1.2 Anwendung eines mehrdimensionalen pflegetheoretischen Rahmens
6.1.3 Anwendung eines individuellen Unterstützungsmodells
6.1.4 Interdisziplinäre Vernetzung
6.2 Profil eines Casemanagers für erkrankte Kinder
6.2.1 Kernkompetenzen
6.2.2 Fort- und Weiterbildung des Casemanagers
6.2.3 Einsatzort/ Anbindung des Casemanagers
6.3 Hauptelemente von Casemanagement in der Kinderkrankenpflege
6.3.1 Methodisches Vorgehen
6.3.1.1 Erreichung der Kinder/ Zielgruppendefinition
6.3.1.2 Einschätzung und Bedarfsklärung
6.3.2 Zielvereinbarung und Maßnahmenplan
6.3.2.1 Kontrollierte Durchführung / Qualitätsmanagement
6.3.2.2 Evaluation
6.3.3 Instrumente
6.3.3.1 Etablierung und Handhabung von Netzwerken
6.3.3.2 Gespräche
6.3.3.3 Regelmäßiger „round table“ /Fallkonferenzen
6.3.3.4 Pathways / Ablaufpläne
6.3.3.5 Dokumentationsverfahren
6.3.3.5.1 Allgemeine Verwaltungsdokumentation
6.3.3.5.2 Patientenbezogene Dokumentation
6.3.3.5.3 Leistungsbezogene Dokumentation
6.3.3.5.4 Dokumentation des interdisziplinären Netzes
7 Konzept Casemanagement für die Kinderkrankenpflege am Beispiel der Nachsorge Frühgeborener
7.1 Verbesserung der Nachsorge Frühgeborener
7.2 Profil eines Casemanagers für die Nachsorge Frühgeborener
7.3 Ansiedelung des Casemanagers
7.4 Abstimmung der Vernetzung
7.5 Rekrutierung der betroffenen Familien
7.6 Ablaufsteuerung der einzelnen Fälle
8 Zusammenfassung und Ausblick
8.1 Qualität und Casemanagement
8.1.1 Kundenorientierung, Kundenzufriedenheit
8.1.2 Casemanagement als Qualitätsprodukt
8.2 Casemanagement und Rationalisierung
8.3 Casemanagement und Politik
8.4 Casemanagement und Professionalisierung
9 Glossar
10 Literaturverzeichnis
11 Anhang
Abkürzungsverzeichnis:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis:
Abb. 1 Eltern und ihre erkrankten Kinder und die Fragmentierung der Unterstützungsdienste Anhang
Abb. 2 Versorgungssituation von erkrankten Kindern und ihren Eltern Anhang
Abb. 3 mehrdimensionaler pflegetheoretischer Rahmen bei der Anwendung von „CM in der Kinderkrankenpflege bei der Nachsorge Frühgeborener“ Anhang
Abb. 4 CM für die prof. Kinderkrankenpflege Anhang
Abb. 5 Schnittmenge zwischen dem CM und dem Berufsbild der Kinderkrankenschwester Anhang
Abb. 6 „CM- Regelkreis für die Kinderkrankenpflege“ am Pflegeprozess nach Orem Anhang
Abb. 7 Interprozesskommunikation des „CM- Konzeptes für die Kinderkrankenpflege“ Anhang
Abb. 8 Prozessdarstellung der optimierten Nachsorge Frühgeborener Anhang
1 Einleitung
Durch den im Moment viel diskutierten Kostendruck im Gesundheitswesen und die immer im Raum stehenden Beitragserhöhungen in unsere gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) wird es jedem interessierten Mitbürger klar sein, dass unser Gesundheitssystem als solches krankt. Es leidet an einer schleichenden Erkrankung mit vielen Symptomen, die es nach ausreichender, grundlegender Diagnosestellung zu therapieren gilt. Leider scheint es im Moment aber so, dass keiner der an der Diagnosestellung beteiligten Professionals eine schlüssige Diagnose, geschweige denn, einen von allen Angehörigen des therapeutischen Teams akzeptierten Therapieplan aufstellen kann, der darüber hinaus auch noch eine hohe Wahrscheinlichkeit zur Heilung des Patienten zulässt. Ein gemeinsamer Nenner aller Professionals im therapeutischen Team bezüglich der Maßnahmen zur Zielerreichung der Homöostase des Patienten, unseres alternden Gesundheitswesens, ist jedoch zu finden: es muss effizienter gearbeitet, rationalisiert werden. Gleichzeitig soll die Qualität bestehen bleiben, bzw. erhöht werden und die Kostenschraube im Minimum blockiert, besser noch heruntergeschraubt werden. Dieses umfassende, globale Ziel können alle Beteiligten so und/ oder mit kleinen Abweichungen formulieren. Schwierig wird es für die am Genesungsprozess des Gesundheitswesens Beteiligten bei der Aufstellung des Maßnahmen- bzw.Therapieplans. Denn dieser verlangt mehr Zielgenauigkeit von den Leistungserbringern. Um diese jedoch erbringen zu können, muss die gesamte Arbeitsweise einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden.
Eine Möglichkeit den Therapieplan unseres Patienten zu optimieren, liegt in der Anwendung der fallbezogenen Steuerung der Behandlungspläne der Leistungsnehmer/ Patienten. Mit dem Casemanagement (CM) steht dem therapeutischen Team eine individuelle Unterstützungs- und Handlungsmöglichkeit für den einzelnen Leistungsnehmer zur Verfügung. Hierdurch ist es möglich, die Lebensqualität jedes einzelnen Patienten zu berücksichtigen, seine ureigensten Bedürfnisse und Interessen von einem “Anwalt des Patienten“; dem Casemanager (CMer), zu vertreten und gleichzeitig durch Vernetzung und Synergieeffekte mehr Effizienz in das Versorgungssystem zu bringen. Da diese Funktion der Anwaltschaft schon jeher zu dem Aufgabengebiet der Pflegenden gehört, ist diese Therapiemaßnahme natürlich auch in dem Kompetenzbereich der Pflege zu diskutieren und zu implementieren. Hier findet sich eine große Herausforderung für das Pflegemanagement.
Natürlich ist auch diese neue Therapieform im Team der Professionals nicht unumstritten, viele Gegenargumente zielen auf die Kostenreduktion ab, die mit diesem Managementinstrument möglich sein kann. Es wird von ihnen vorwiegend als Einsparungsinstrument und nicht als individuelle Bedürfniserfüllung gesehen. Objektiv betrachtet wird aber natürlich bei jeder Form des Managements die Zielerreichung/ Bewertung in Beziehung zum Einsatz /Wert der benötigten Ressourcen gebracht.
„In diesem Sinne umfasst das Management alle notwendigen Vorgänge der Planung, Durchsetzung, Kontrolle, und Steuerung , um ein Unternehmen auf übergeordnete Ziele zu lenken“(Olfert u. Rahn, 1997, 586). Gleichwohl ist es unseren einzelnen Mitgliedern im therapeutischen Team fremd, sich auf eine kompetente Gemeinschaft einzulassen, die, von einem CMer geleitet und gestützt, den gesamten Versorgungsprozess koordinierend begleitet. Dies kommt einem Paradigmenwechsel gleich, denn bis dato baut jede eigene Profession auf die persönlichen beruflichen Fähigkeiten und versucht, die Aufgabenstellung fraktioniert auf Basis der eigenen Ressourcen zu lösen. Wurde in einigen Bereichen versucht, die übergreifenden/ ganzheitlichen Ansätze umzusetzen, so scheiterte dies meist an Kompetenzgerangel, Schnittstellenproblematik und anderen Querelen zwischen den einzelnen health professionals. Denn die Zielsetzung wurde eben doch nicht mit dem Patienten und damit dem Leistungsnehmer abgesprochen, sondern für jeden einzelnen Fall in der speziellen Berufsgruppe, und nicht übergreifend, formuliert. Die einzige Gruppe, die sich schon seit geraumer Zeit auch wissenschaftlich mit dem ganzheitlichen Blick auf den Patienten beschäftigt, ist die Berufsgruppe der Pflegenden. Pflegetheoretikerinnen haben eine große Anzahl von Konzeptualisierungen erarbeitet, die die soziale Handlung der Pflege als Ganzes erfassen und ihren Bezug zur Ganzheit der Patienten und der Existenz von multiplen Realitäten immer schon aufgegriffen haben (Meleis, 1999, 146-157).
Dem Vorteil der Arbeitsweise des CM, nämlich der Optimierung von Ressourcen und der Möglichkeit der zielgerichteten Prozessoptimierung unter Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher, sozial- und pflegeberuflicher Arbeitsweisen, ist bis jetzt, zumindest was die Implementierung in das bestehende System betrifft, noch nicht Rechnung getragen worden. Die Methode des CM hat als Voraussetzung für den Erfolg nicht den Anspruch an den Ausführenden des direkten therapeutischen Erfolges und damit einer abhängigen Beziehung von Leistungsnehmer und Manager, sondern den Anspruch an die Arbeitsweise, sich gemeinsam, zielgerichtet zu organisieren, wobei die Zielvorgabe die Patienten vom Objekt zum Subjekt werden lässt.
Das folgende Kapitel beinhaltet die Zielsetzung dieser Arbeit, indem es die Chancen des Instrumentes CM für die professionelle Kinderkrankenpflege beschreibt.
In dem dritten Kapitel folgt die Situationsanalyse, welche externe und interne Einflussfaktoren betreffend verdeutlichen, und die Hinführung zum Thema nachvollziehbar machen soll.
Daran schließt sich die Darstellung ausgewählter Aspekte an, die den theoretischen Rahmen bilden, in welchem die Bearbeitung der Thematik erfolgt.
Anschließend wird in Kapitel fünf- der Arbeit das Instrument des CM näher erläutert.
Im sechsten Kapitel folgt der konzeptionelle Teil der Arbeit, in dem die praktische Umsetzung des CM in die Kinderkrankenpflege und seiner Hauptelemente aufgezeigt werden.
Anschließend, in Kapitel 7-, erfolgt die Operationalisierung des Konzeptes auf den speziellen Fall der Nachsorge Frühgeborener.
Im Kapitel 8- wird ein Resümee der Arbeit gezogen und ein Ausblick auf einige der Bereiche und Aspekte vorgenommen, die bei der Implementierung von CM in den Kompetenzbereich qualifizierter Kinderkrankenschwestern berührt werden.
2 Zielsetzung der Arbeit
In dieser Arbeit soll die Möglichkeit der Effizienzsteigerung unseres Gesundheitswesens bei gleichzeitiger, individualisierter Betreuung der Leistungsnehmer am Beispiel des CM beleuchtet werden. Diese Instrumente werden in der momentanen Diskussion jedoch eher selten mit den Bereichen der Kinderkrankenpflege bzw. der Pädiatrie in Verbindung gebracht. Das mag mit der geringen Lobby von kranken Kindern und ihren Eltern zu tun haben, aber auch sicherlich mit der geringen Zahl von Betroffenen im Bezug auf das ganze System. Selbst der „Verband der Krankenversicherten Deutschlands“ (VKVD) der seine Aufgabe in der Interessenvertretung aller Krankenversicherten Deutschlands sieht, erhebt keine Daten zu erkrankten Kindern und der Situation ihrer Eltern (VKVD,2003).
Durch die ab 2004 für alle Krankenhäuser gesetzlich geforderten neuen Abrechnungsmodalitäten, dem „Diagnosis Related Groups“- (DRG) System, ist in allen Bereichen der stationären Versorgung mit einer Verkürzung der Verweildauer der Patienten zu rechnen, dies wird auch den Bereich der Kinderkrankenpflege nicht auslassen. Gerade hier sind aber große Probleme in der Nachsorge der kleinen Patienten zu erwarten, da Deutschland über kein flächendeckendes Netz von ambulanten Kinderkrankenpflegediensten verfügt, welches die Versorgung und Betreuung der kleinen Patienten nach der zu erwartenden frühzeitigeren Entlassung gewährleisten kann. Darüber hinaus ist eine ausreichende psychosoziale Betreuung und Unterstützung der betroffenen Familien und eine koordinierende Stelle der multidisziplinären Hilfsangebote, welche die Defizite auffangen könnte, in unserem Gesundheitswesen nicht angesiedelt.
Um diesem abzusehenden Engpass mit den bestehenden Ressourcen entgegenwirken zu können, ist die Methode des CM sicherlich ein geeignetes Instrument, um die Nachsorge individuell und zielgerichtet lenken zu können. In der Literatur fehlt derzeit eine Übertragung dieses Managementsystems in die ganzheitliche Betreuung von erkrankten Kindern und hier im speziellen von erkrankten Früh- und Neugeborenen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Methode mit dem möglichen Anwendungsgebiet zu verknüpfen und seine Chancen und Risiken im Kontext eines wettbewerbsorientierten Gesundheitswesens aufzuzeigen.
3 Situationsanalyse
Zur Diskussion der Frage, welche Strategien im Einzelfall von den Berufsgruppen oder der Politik zur Lösung von Betreuungs- und/ oder Versorgungsproblemen unserer erkrankten bzw. pflegebedürftigen Kinder und deren Angehörigen vorgeschlagen werden, gehört in Anbetracht der speziellen Fragestellung auch der Blick auf das gesamte Gesundheitswesen. Bevor an dieser Stelle eine Zusammenfassung der Situation der betroffenen Patientengruppe stattfinden kann, scheint es unumgänglich auf die externen und internen Einflussgrößen einzugehen welche die hohe Anzahl von Fehlversorgungen und Schnittstellenproblematiken, das hohe Informationsdefizit und die Diskontinuität im Unterstützungs- bzw. Versorgungsprozess erkrankter Kinder hervorrufen bzw. zulassen.
3.1 Zur Situation des deutschen Gesundheitswesen
Deutschland steht vor der großen Herausforderung und Chance sein Gesundheitssystem unter den Prämissen stabiler Krankenkassenbeiträge und angemessener Gesundheitsdienstleistungen unter Anwendung immer ausgefeilterer Qualitätsmanagementsysteme zu reformieren. Die gesetzlichen Krankenversicherungen geben rund 45 Mrd Euro für die stationäre Versorgung unserer Bevölkerung aus. Damit liegt Deutschland bei den Pro- Kopf Ausgaben im internationalen Vergleich weit vorn, die Lebenserwartung unserer Bevölkerung spiegelt diesen enormen Kostenaufwand jedoch nicht wieder, hier liegen wir im internationalen Vergleich auf einer hinteren Position (Stenz,2002,424). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte in ihrem „Weltgesundheitsreport 2000“ fest, dass unser deutsches Gesundheitssystem im internationalen Qualitätsvergleich aller 191 Mitgliedsländer nur Platz 25 belegt (WHO,2000). In Anbetracht der in Deutschland vorgehaltenen Ressourcen und Kapazitäten im Gesundheitsbereich und den damit verbundenen hohen Kosten des gesamten Systems ist das eine alarmierende Platzierung. Dieses lässt den Schluss zu, dass unser deutsches Gesundheitswesen immense Kosten produziert, die in keiner Relation zum output stehen. Setzt man diesen Sachverhalt in den Vergleich zum Kosten-Nutzen unserer europäischen Nachbarn, so lässt das auf hohe Reserven bzw. brachliegende Ressourcen im bestehenden System schließen, die durch entsprechende z.B. politische Weichenstellungen auf ihre Erschließung warten.
Seit dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 über die Gesundheitsreform 2000 bis zum 2002 verabschiedeten Fallpauschalengesetz wird durch die jeweiligen Regierungen versucht, die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und die Gesundheitsversorgung unseres Landes effizienter zu strukturieren, Qualitätsvergleiche zu ermöglichen und leistungsgerechte Kostenerstattungsstrukturen einzuführen. Dies soll unter anderem durch eine neue Vergütungsgrundlage gewährleistet werden. Durch die Umstellung des Abrechnungssystems zur Finanzierung von medizinischen, pflegerischen Leistungen im stationären Bereich auf die neue Vergütungsgrundlage der Diagnosis Related Groups (DRGs) wird es einen Umbruch in der stationären Kranken- und Kinderkrankenpflege geben.
Mit der Abrechnung über DRGs wird eine gravierende Reduzierung der Verweildauer von Patienten in den Krankenhäusern und Kinderkliniken erwartet, weil es sich um eine Fall-Pauschale handelt, die unabhängig von der Liegedauer gezahlt wird. Der Gesetzgeber hat den Krankenhäusern ab 1. Januar 2003 die Möglichkeit eingeräumt schon freiwillig auf das DRGsVergütungssystem umzustellen. Ab dem 1. Januar 2004 ist die Einführung des Systems dann verpflichtend für alle Leistungsanbieter. Für die Häuser, die bereits 2003 mit der Einführung beginnen, wurden finanzielle Anreize geschaffen. Ab dem 1. Januar 2007 werden die erbrachten Dienstleistungen aller Krankenhäuser grundsätzlich gleich vergütet.
Die daraus folgende Reduzierung der Klinikbetten, bedingt durch die frühere Entlassung der Patienten, wird eine Verschiebung des Bedarfs an professioneller Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen in den ambulanten Sektor nach sich ziehen, will man dem Drehtüreffekt bzw. der Rehospitalisierung der erkrankten Kinder und Erwachsenen vorbeugen.
3.2 Versorgungssituation von Kindern im dtsch. Gesundheitswesen
Das gesamte Krankheitsspektrum von Kindern in den Industriestaaten hat sich in den letzten Jahren verändert. Krankheitsbilder, an denen in früheren Jahren keine große Zahl von Kindern erkrankt ist, z.B. Diabetes oder Neurodermitis, haben sich deutlich erhöht, neue Patientengruppen sind durch die verbesserte Neonatologie entstanden und durch den Fortschritt der Pädiatrie überleben viele Kinder noch vor Jahren letal verlaufende Erkrankungen bzw. ihre Lebenserwartung hat sich deutlich verlängert. Die chronischen Erkrankungen bei Kindern steigen stetig an, nach epidemiologischen Studien leidet bereits jedes zehnte Kind an einer chronifizierten Krankheit (Noeker,1997,387). Diese Veränderungen fordern zusätzlich zu allen, von extern geforderten Strukturveränderungen, wie im vorangegangenen Kapitel 3.1 beschrieben, grundlegende Veränderungen in der Versorgung von erkrankten Kindern. Die Herausforderung an alle in der Unterstützung und Betreuung dieser Patientengruppe Tätigen muss die Berücksichtigung der Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten der Kinder und ihrer Familien sein (Scholz-Braun,1999,43).
Hinzu kommen die Anforderungen der neuen Kinderpatientengruppen, die durch den Fortschritt auf modernen neonatologischen Intensivstationen entstehen. Ihre Bedürfnisse auf längere Sicht werden erst im Laufe der Zeit abzuschätzen sein, da diese Gruppe durch die rasante medizinische und pflegerische Entwicklung zum Ende des letzten Jahrhunderts entstanden ist und somit eine Langzeitbeobachtung dieser Kinder noch aussteht. Gerade die Anzahl von Frühgeborenen, rund ein Prozent eines jeden Geburtsjahrgangs, ist trotz Fortschritten in der modernen Medizin erstaunlich konstant. Sie haben sehr oft ein Leben lang gravierende gesundheitliche und psychische Probleme wie eine Langzeitstudie an Hamburger Kinderkliniken belegt (Hellwege, 2002).
Die angemessene Versorgung der mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die in ihrer Entwicklung gestört, chronisch krank oder behindert sind, ist nicht sichergestellt und entsprechend schlecht (von Voß,2002). Hubertus von Voß, Vorsitzender des Kindernetzwerkes in Berlin, nennt sie „die vergessenen Kinder“, da sie und ihre Eltern in der Öffentlichkeit nicht ausreichend wahrgenommen werden und auch die geltenden Gesetze und Regelungen ihre Belange nur unzureichend berücksichtigen.
Eine bessere Beratung und Unterstützung dieser wenig beachteten Patientengruppe, besonders nach der Entlassung aus der stationären Erstbehandlung, ist für den gesamten weiteren Lebensverlauf der kleinen Patienten und ihrer Familie wichtig. Die an den stationären Aufenthalt anschließende Behandlung und ihr Erfolg hängt unter den momentanen Rahmenbedingungen extrem vom Engagement und den Ressourcen der Eltern sowie der Qualität der Therapeuten ab. Denn es gibt kaum zentrale Anlaufstellen die den Eltern umfassende Informationen oder Hilfestellungen geben können. Darüber hinaus gibt es kein befriedigendes Schnittstellenmanagement mit einem ausreichenden Informationsfluss zwischen dem deutschen stationären und ambulanten Gesundheitssystem.
Es gibt ein breites Angebotsspektrum, das die allermeisten Bedürfnisse dieser schwerstkranken Kinder abdeckt, für den einzelnen Betroffenen und die Eltern aber meist unüberschaubar ist. (Beushausen, 2002) Die Defizite in der Versorgung erkrankter Kinder im deutschen Gesundheitssystem sind sicherlich multifaktorell bedingt, es lassen sich jedoch drei Ursachenkomplexe erkennen:
1. strukturelle Ursachen, Informationsverluste und Mehrfachuntersuchungen durch strikte Trennung des stationären und ambulanten Sektors
2. soziale Ursachen, die Kinder und ihre Eltern sind meist medizinische Laien, und somit durch eine Diagnosestellung in einer extremen Ausnahmesituation, so dass sie die Therapievorschläge und deren Alternativen bzw. deren Koordination während des „normalen Alltagsgeschäftes“ kaum bewältigen können
3. medizinische Ursachen, da keine einheitlichen Therapiestandards existieren und dadurch bedingt ein unterschiedliches Versorgungsund Informationsniveau der Eltern, resultiert.
Schaut man sich die Versorgungssituation unserer erkrankten Kinder genauer an, so sieht man, dass im stationären und ambulanten Bereich bereits viele Gesundheitsleistungen abgedeckt sind, nur die Verzahnung der einzelnen Bereiche lässt zu wünschen übrig. Den Eltern stehen keine Informationsstellen zur Verfügung die ihnen die Navigation durch das fragmentierte Angebot erleichtern. Ebenso ist das Angebot selbst für die Professionals nicht leicht zu überblicken. Darüber hinaus ist die flächendeckende Versorgung des Landes mit ambulanten Kinderkrankenpflegestationen nicht gewährleistet, der Bedarf wird aber bedingt durch die Einführung der DRG´S wie in Kapitel 3.1. beschrieben deutlich zunehmen. Momentan werden die notwendigen Pflegemaßnahmen primär von den Laienpflegern durchgeführt, über die Qualität lässt sich abschließend natürlich keine Aussage machen.
Es ist zu vermuten, dass Belastungen, soweit sie ein gewisses Maß überschreiten, nicht nur zu einer Verringerung der Pflegequalität beitragen, sondern auch die Pflegenden selbst in Mitleidenschaft ziehen und ggf. sogar pathogen wirken. (Fassmann, 1996, 43ff)
Auch und gerade die Kinderkrankenpflege muss in dieser zum Teil schwierigen Versorgungslage unserer Kinder und den noch zu erwartenden Problemen bei der Umsetzung von Reformen im Gesundheitswesen mit Nachdruck ihrer anwaltlichen Stellung für Kinder und Eltern nachkommen. Dabei sollte trotz aller Probleme über Innovationen und damit verbundenen Chancen für den Berufsstand nachgedacht werden.
Pflege muss sich moderner und effizienter Managementstrukturen bedienen, um originäre, zukunftsfähige Leistungsangebote - im Sinne eines direkten Patientennutzens- anbieten zu können. Diese müssen Pflegewissenschaftlich abgesichert werden. (Kray, 2002)
3.3 Erwartung der Eltern /Angehörigen
Im Regelfall sind Kinder für ihre Eltern eine Bereicherung ihres Lebens beziehungsweise ein wertvoller und überaus wichtiger Bestandteil der eigenen Lebensplanung. Gleichwohl steht außer Frage, dass durch die Veränderung der Familienstrukturen und die Individualisierung der Gesellschaft die Anzahl der Kinder mit 1,4 pro Familie rückläufig ist (Witte,2000,461).
Aus diesem Grund kann man davon ausgehen, dass die heutige Elterngeneration für ihre Kinder eine höhere Erwartungshaltung hat als frühere Generationen. Gleichwohl werden diese Eltern natürlich auch eine höhere Erwartungshaltung gegenüber den Personen oder Institutionen haben, in deren Obhut sie ihre Kinder geben als in der Vergangenheit. Diesen gesellschaftlichen Veränderungen stellen sich momentan das gesamte soziale Netzwerk der Kinderbetreuung und das Bildungswesen.
Dass Eltern von schwer erkrankten Früh- und Neugeborenen sich immer in einer extremen Ausnahmesituation befinden, auch wenn das zu früh geborene Kind sich gesund weiterentwickelt, ist leicht nachzuvollziehen. Was es aber für Familien bedeutet, wenn der Traum vom gesunden, rosigen und fröhlichen Neugeborenen sich nicht erfüllt und das Früh- oder Neugeborene nach dem akuten Geschehen nicht völlig gesundet und an chronischen Symptomen leidet oder behindert ist, bleibt der Öffentlichkeit meist verborgen. Es gibt keine ausreichende Nachsorge z. B. behinderter Frühgeborener, eine psychosoziale Betreuung fehlt und die Eltern müssen sich mit bürokratischen Vorgängen befassen, die ihre Kraft rauben. Die Eltern behinderter Kinder möchten in Entscheidungsprozesse integriert werden, denn sie sind hochqualifizierte Fachleute für diese Thematik, die zu selten nach ihrer Meinung gefragt werden (AbFF,2003).
Die betroffenen Eltern und ihre Kinder finden in unserer modernen Leistungsgesellschaft keine große Lobby. Selbst im direkten familiären Umfeld ziehen sich viele Personen zurück, weil sie den Umgang mit offensichtlicher Behinderung nicht gewohnt sind. Zur Verdeutlichung das Zitat einer Wissenschaftlerin, die als Mutter eines mehrfachbehinderten Kindes aus eigener Erfahrung spricht:
Ein behindertes Kind verändert den Alltag einer Familie radikal. Es fordert von allen Beteiligten einen großen physischen und psychischen Einsatz. Seine Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt und strukturieren den Tagesablauf: Ernährung, Pflege und Betreuung des Kindes sind zeitaufwendig, Arztbesuche, Therapien, Behördengänge kommen dazu. Eltern eines behinderten Kindes zu sein, ist ein Fulltimejob ,Tag und Nacht, über Jahre, oft jahrzehntelang. Dazu kommt die permanente Auseinandersetzung mit der Behinderung, das Bewusstsein, das Bewusstwerden, von einem Tag auf den anderen selbst zu einer Randgruppe zu gehören, die einem bislang fremd war, mit allen dazugehörigen Folgen. (Seifert, 1997, 237)
Den betroffenen Eltern selber fällt die Inanspruchnahme von professioneller Hilfe, auch ambulanter Pflege, meist sehr schwer, denn die vorherrschende gesellschaftliche Meinung scheint Eltern, die „mit ihrem Kind nicht alleine klar kommen“, schnell zu verurteilen. Hier ist das soziale Gefüge am Anfang eines Prozesses, wie wir ihn bei der Pflege von alten und hilfsbedürftigen
Menschen bereits beobachten konnten. Auf diesem Gebiet ist die Inanspruchnahme von ambulanten Pflegediensten in den letzten zwanzig Jahren zu einer gesellschaftlich akzeptierten, sozialen Handlung geworden. Die anfänglichen Unsicherheiten und Empfindlichkeiten gegenüber den ambulanten Hilfsangeboten in diesem Sektor sind durch Aufklärung auf breiter Front und Professionalisierungsbestrebungen der Pflegenden einer breiten Akzeptanz, nicht nur durch Einführung der Pflegeversicherung, gewichen (Gerwin, 2001, 29).
Während meines Praxissemesters in einem ambulanten Kinderkrankenpflegedienst erhielt ich einen Einblick in die familiären Auswirkungen, welche die Erkrankung eines Kindes im System Familie hervorruft. Diese gehen weit über das hinaus, was die „normalen“ Familie im Tagesablauf zu leisten hat. Es sind Probleme der Organisation des Alltäglichen bis hin zu der Angst, was wird aus meinem Kind, wenn ich einmal nicht mehr bin. Dies alles zusammengenommen sind Belastungen denen viele, zunächst intakte Familiensysteme zum Opfer fallen. Dies zeigt auch die volkswirtschaftliche Tragweite des Sachverhaltes. Zur Erhebung des „Pflege- und Beratungsbedarfes aus Eltern- und Pflegeexpertensicht im Bereich der ambl. Kinderkrankenpflege“ führte ich leitfadengestützte Interviews durch. Diese wurden anhand der „Grounded Theorie“, einer gegenstandsbezogenen, theorieentwickelnden qualitativen Forschungsmethode, untersucht und ergaben aus der Sicht der betroffenen Eltern, welche ein behindertes bzw. chronisch erkranktes Kind zu Hause versorgen, folgende Bedürftigkeiten, die Kinderkrankenpflege und den Beratungsbedarf in der speziellen Situation betreffend (Gerwin, 2001, 19-22):
Pflegebedarf (aus Elternsicht)
- zur pflegerischen Hauptbelastungszeit an den morgendlichen und abendlichen Versorgungen
- in akuten Krankheitsphasen/ Ausnahmesituationen
- Infusionsgaben zu Hause ermöglichen
- Vermeidung drohender Krankenhausaufenthalte
- bei schwierigen Pflegetätigkeiten
- Entlastung der Pflegeperson
- Baden / Körperpflege
- Begleitung zu Arztbesuchen und Therapien
- Einschlaf/ Durchschlafberatung
- Pneumonieprophylaxe
- Ankleiden
- Inhalieren
- Absaugen
- Ernährungsberatung
- Esstraining
- Diätzubereitung
- Sondieren
- Hilfsmittelberatung
Beratungsbedarf (aus Elternsicht)
- Informationen über alle Möglichkeiten der Sozialversicherungen/ Pflegeversicherungen im individuellen Fall
- durch einen kompetenten, konstanten Ansprechpartner in der Pflegekasse decken
- im Bereich der Sozialversicherungsleistungen
- kompetente Beratung im Bereich der speziellen Hilfsmittelversorgung von Kindern
Dies zeigt, dass es einen hohen Bedarf an weiterführenden Informationen und Pflege gibt, es den Eltern in den momentanen Strukturen aber sehr schwer fällt ohne Unterstützung von Dritten das bestehende Leistungsnetz unseres Gesundheits- und Sozialsystems für sich und ihre Kinder optimal zu nutzen. Gerade in der sensiblen Phase der neuen Rollendefinition der Eltern nach der Geburt und in den ersten Lebensjahren der Kinder ist der Unterstützungsbedarf und die Hilflosigkeit der Eltern am größten. Dies formuliert die Entwicklungspsychologin Grossmann auf der sozialpädiatrischen Fachtagung im Jahr 2001 so:
Zu früh geborene Säuglinge stellen eine noch größere Herausforderung für die Familien dar, da ihre intuitiven und bei anderen beobachteten Versorgungsweisen für dieses besondere Kind nicht passen. Eine feinfühlig vermittelte Nachsorge einer kundigen gro ß en Schwester - im ursprünglichen besten Sinne des Wortes, die die Prinzipien Kompetenz, Kontinuität und Partnerschaft verwirklicht, kann den Eltern und der Familie helfen, an der Herausforderung zu wachsen und selbst kompetent zu werden. (Grossmann, 2001, 102)
Ebenso zeigt eine Studie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Lübeck, die unter der Leitfrage „Lücken in der Gesundheitsversorgung von chronisch kranken und behinderten Kindern und ihren Familien“ eine Befragung von 273 Familien mit behinderten oder chronisch kranken Kindern durchgeführt hat, dass den Bedürfnissen von Eltern mit erkrankten Kindern nicht entsprochen wird. Die hier erlangten Untersuchungsergebnisse aus dem Jahr 2000 zeigten gravierende Versorgungslücken im Bereich der psychosozialen Beratung und Unterstützung sowie eine fehlende Koordination der unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten unseres Gesundheitssystems. Das Ausmaß der empfundenen Belastung der Familien war eindeutig an die Art der Behinderung, den notwendigen Unterstützungsund Pflegebedarf der Kinder und das Fehlen von ausreichender gesundheitlicher Versorgung gekoppelt (Thyen, 2000, 276-286). Diesen Ausführungen folgend sind die Erwartungen und Bedürfnisse von Eltern mit erkrankten Kindern leider nicht gedeckt und dürfen bei der Umstrukturierung des Gesundheitswesens nicht vergessen werden.
3.4 Beurteilung des Pflege -und Beratungsbedarfs betroffener Familien aus Sicht ambulanter Kinderkrankenpflegekräfte
Auch den Kinderkrankenschwestern, welche im häuslichen Umfeld die erkrankten Kinder und ihre Familien betreuen, ist der Bedarf der Eltern nach umfassender Beratung und Betreuung bekannt. Sie sehen nur in ihrem momentanen Arbeitsfeld keinen Platz für diese Aufgaben. Darüber hinaus ist die Finanzierung von zusätzlicher unterstützender Beratung weder durch die Pflegekasse, noch durch die Krankenkasse abrechenbar, so dass sie sich in einem extremen Spannungsfeld zwischen dem realen Bedarf der Kinder und ihrer Eltern und dem ihnen gesteckten Handlungsrahmen befinden. Der Bedarf der Eltern stellt sich, anhand der bereits erwähnten Untersuchung in meinem Praxissemester (Kapitel 3.3.), aus Sicht der Pflegeexperten folgendermaßen dar (Gerwin,2001,23):
Pflegebedarf
- Unterstützung der Eltern, Beratung der Eltern
- Tracheostomaversorgung
- Verhinderungspflege
- Frühchen, 4-6 Wochen nach der Entlassung
- Frühchen mit Bronchopulmonaler Dysplasie, also
Atemwegserkrankungen
- onkologische Kinder
- Portversorgung
- Schmerztherapie
- bei Verbänden
- PEG- Versorgung
- Anus praeter Versorgung
- parenterale Ernährung
- Infusionstherapie
- Behandlungspflege von akut und chronisch kranken Kindern
- Schwerstbehinderte Kinder
- Eltern fordern ganzheitliche, familienorientierte Ansätze
- Übernahme von Pflegeleistungen und Entlastung
Beratungsbedarf
- der Eltern über die Möglichkeiten der Pflegeversicherung ist sehr hoch
- Information der Eltern durch Ärzte und Kliniken im Bezug auf die
Pflegeversicherung ist nicht gewährleistet bzw. defizitär
- Informationsdefizit der Eltern baut sich im Kontakt mit Pflegediensten ab
- Informationsdefizit der Eltern verringert sich je länger Leistungen der
Pflegeversicherung in Anspruch genommen werden
- der Gesellschaft zur Verdeutlichung der Situation pflegender Eltern, um die Akzeptanz bei Inanspruchnahme von professioneller Hilfe zu erhöhen. - der Gesellschaft über das Bestehen und die Möglichkeiten der professionellen ambulanten Kinderkrankenpflege
- der Kinderärzte ist sehr hoch
- bei Einrichtungen der stationären Versorgung ist hoch
- der Kinderärzte über die Möglichkeiten der ambulanten
Kinderkrankenpflege
- betroffene Eltern individuell über ihre Möglichkeiten informieren
Zusammenfassend ist zu sagen, das die Pflegeexperten den Bedarf an
Beratung und Pflege im ambulanten Bereich extrem hoch einschätzen, sie aber wenig bis gar keine Lösungsansätze auf politischer- und Kostenträger Ebene beobachten können, sondern das durch Kündigung von Sonderverträgen in diesem Bereich durch die Krankenkassen ein noch größerer Bedarf produziert wird (Letzing,2002,472).
3.5 Entwicklungstrends wichtiger interner Einflussgrößen des Anwendungsgebietes
Um das spezielle Anwendungsgebiet des in Kapitel 6 und 7 beschriebenen Konzeptes und seinen Platz im System der Gesundheitsversorgung von Kindern einschätzen zu können, werden hier nachfolgend die wichtigsten internen Einflussgrößen und ihre Entwicklung beschrieben. Dies soll die Verortung der Anwendung des Instrumentes Casemanagement in der Kinderkrankenpflege und ihre spätere Operationalisierung in dem beschriebenen Arbeitsfeld vor der Geschichte desselben für den Leser vereinfachen.
3.5.1 Ambulante Kinderkrankenpflege
Kinderkrankenschwestern bzw. speziell für die Pflege von Kindern ausgebildete Schwestern gibt es seit Ende des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit bildete sich auch die Kinderheilkunde als eigenständiges und anerkanntes Fachgebiet heraus.
Seit Beginn der Spezialisierung der Kinderkrankenpflege stellt sie, und wird dies auch weiterhin tun, immer die kleinste Größe in der Gesamtheit der Pflegekräfte dar.
Dies setzt sich natürlich auch im Bereich der häuslichen Kinderkrankenpflege fort. Nur 1% bis max. 5% der insgesamt in der ambulanten (ambl.) Pflege tätigen Pflegekräfte sind Kinderkrankenschwestern (Olbricht,1999,463). Hierdurch wird deutlich, dass Missstände in diesem Bereich keine große Lobby haben, da sie nur einen kleinen Teil unserer Bevölkerung direkt betreffen. Diese Tatsache sollte aber nicht von der enormen Tragweite von Missständen in diesem äußerst sensiblen Bereich des „Systems Familie“ ablenken.
Der Bereich der ambulanten Kinderkrankenpflege entwickelte sich Ende der 70er Jahre in Deutschland einfach aus dem Bedarf heraus. Es ist also noch ein sehr junges Spezialgebiet der Kinderkrankenpflege und bis zur flächendeckenden Versorgung werden noch einige Jahre ins Land gehen. Durch den zum Teil rasanten medizinischen Fortschritt im Bereich der Pädiatrie, hier sei nur die Entwicklung in der Neonatologie genannt, den besonders in den Kinderkliniken zunehmenden wirtschaftlichen Druck der Krankenkassen und nicht zuletzt den Bedürfnissen der Familien folgend hat sie aber sicherlich ihren berechtigten Platz in dem sich umstrukturierenden Gesundheitswesen.
Aber seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes 1995 und der Einführung der Pflegeversicherung hat sich, ganz anders als erwartet und sicherlich auch politisch gewollt - die Situation für die ambulante Kinderkrankenpflege deutlich verschlechtert. Denn die individuellen pflegerischen Bedürfnisse von kranken Kindern und ihren Angehörigen wurden mehr als unzureichend berücksichtigt. Die zuvor von den Einrichtungen individuell geführten Einzelverhandlungen mit den Kostenträgern wurden von diesen nach 1995 mit Verweis auf nun bestehende Gesetze so nicht mehr geführt, so dass die Vergütung der ambulanten Kinderkrankenpflege heute primär nach den Vorgaben des Leistungskataloges für die ambulante Erwachsenen- Krankenpflege erfolgt, die aber auf keinen Fall den qualifizierten Tätigkeiten in der ambulanten Kinderkrankenpflege und ihrem erhöhten Zeitaufwand gerecht wird. Seit im Jahr 2000 der § 92 SGBV der Leistungskatalog für ambl. Krankenpflege in Kraft getreten ist, gelten viele Pflegemaßnahmen der Kinderkrankenpflege als nicht verordnungsfähig (Opitz,2002,304). Der Berufsverband Häusliche Kinderkrankenpflege (BHK ) sieht in der defizitären Struktur der Verordnungs-, Vergütungs- und Genehmigungsvorgaben der Gesetzgebung und der Kostenträger eine existentielle Bedrohung der ambl. Kinderkrankenpflegeeinrichtungen und damit natürlich auch die Verschlechterung der Versorgung erkrankter Kinder im häuslichen Bereich. Der BHK sieht folgende Problemfelder der ambl. Kinderkrankenpflege (BeKD,2002,4):
- Viele professionelle Kinderkrankenpflegetätigkeiten sind als nicht verordnungsfähig deklariert, z.B. die Versorgung ehemaliger Frühgeborener zu Hause
- Grundpflegeanteile werden von den Krankenkassen nicht genehmigt, obwohl verordnungsfähig ebenso wie die Anleitung und Beratung der Eltern
- Es fehlt eine explizite Erwähnung der Besonderheiten der ambl.
Kinderkrankenpflege in den Richtlinien, es gibt nur Empfehlungen für den Regelfall
- Bundeseinheitliche Richtlinien für die Verordnung ambl. Kinderkrankenpflege fehlen.
3.5.2 Neonatologie
Der Begriff der Neonatologie beschreibt die Lehre von der Physiologie und Pathologie der Neugeborenenperiode (Tutsch,1984). Die Anfänge der Kinderheilkunde, der Pädiatrie, lassen sich auf die Zeit um 500 v. Chr. zurückdatieren, als Jivaka als erster Kinderarzt in Indien tätig gewesen sein soll(Oehme,1998).
Durch die fortschreitende Entwicklung der medizinischen und technologischen Möglichkeiten, besonders in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, ist die Lebensqualität und Überlebensrate frühgeborener und untergewichtiger Neugeborener deutlich gestiegen. Statistisch betrachtet ist die Sterblichkeit der frühgeborenen Kinder gesunken. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Folgeschäden im weiteren Lebensverlauf der Patientengruppe sehr hoch (Kraschel,2003,594).
Bis in die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts und darüber hinaus bedeutete ein zu früh geborenes oder untergewichtiges Kind für die Hebammen und andere Geburtshelfer eine kaum zu beherrschende Problemsituation, da die Neugeborenen meist sehr rasch verstarben. Die Geburtshelferinnen und -helfer erklärten die Ursache der Sterblichkeit mit der Lebensschwäche der Frühgeborenen. Sie vertraten die Meinung, dass die Frühchen nicht einer Erkrankung erlagen, sondern einfach aufgrund der Unreife nicht fähig waren zu überleben. Zu dieser Zeit wurden auch erste technische Apparaturen zur Verbesserung der Lebensqualität und Überlebenschance der Frühgeborenen entwickelt. Zum einen handelte es sich um die Wärmewanne, die die Funktion des heutigen Inkubators erfüllen sollte. Entwickelt wurde sie 1835 von v. Rühl (Haas,1983,702). Zum anderen befasste man sich mit der Herstellung von Beatmungsgeräten, die asphyktischen Neugeborenen zu Gute kommen sollten. Trotz dieser ersten
Bemühungen Frühgeborenen zu helfen, starben die meisten in den ersten Lebenstagen. Die, die überlebten, wiesen später meist schwere körperliche und geistige Behinderungen auf.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchte man nach den Ursachen der Sterblichkeit oder der Folgeerscheinungen zu forschen. So befassten sich neben Geburtshelfern Pädiater, Anatomen, Pathologen und Chirurgen mit der Problemstellung.
Bekannte französische Anatome und Pathologen wie Denis, Billiard und Cruvellheir stellten bei verstorbenen Frühgeborenen in der Schädelhöhle Blutungen fest. Darüber hinaus sahen sie mögliche Zusammenhänge zwischen traumatischer bzw. schwerer Geburt und der daraus später resultierenden spastischen Lähmung. 1862 gelang es dem englischen Chirurgen Little, ganz klare Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Faktoren wie Unreife, Asphyxie, protrahierter Geburt und der später auftretenden Spastik aufzuzeigen. (Haas,1983,703). Eine sorgfältige Überwachung des Gesundheitszustandes sowie kompetente, prophylaktische Maßnahmen konnten bei den betroffenen Frühgeborenen dem Eintreten von Folgeschäden entgegenwirken.
Am Beginn des 20. Jahrhunderts gelangte man dann zu der Erkenntnis, dass Hirnblutungen potentiell zu einer hohen Mortalität sowie zu später eintretenden Morbidität der unreifen und untergewichtigen Säuglinge führten. Die pathologischen Folgeerscheinungen der Hirnblutung sind zum einen der unmittelbare bzw. mittelbare Tod als auch das Auftreten von Langzeitfolgen wie Intelligenzstörungen oder einer erst später auftretenden Spastik. Neben der medizinischen Prophylaxe wurden auch institutionelle Vorbeugemaßnahmen gegen die Sterblichkeit Neu- und Frühgeborener unternommen. Obwohl es zu Anfang des 20. Jahrhunderts mehr Pädiater gab, war die Säuglingssterblichkeit zunächst immer noch sehr hoch. Eine Vorsorge für Neugeborene sowie eine Nachsorge für Risikokinder wurde nicht konsequent durchgeführt. Hausgeburten waren die Regel und vielerorts wurden Frühgeborene sogar ohne medizinische Betreuung zu Hause aufgezogen.
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- Arbeit zitieren
- Birgit Gerwin (Autor:in), 2003, Casemanagement für die Kinderkrankenpflege - Neue Anforderungsprofile und Kompetenzen für die professionelle Pflege am Beispiel der Nachsorge Frühgeborener, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19849
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