In seiner Theorie sozialer Systeme versteht Niklas Luhmann unter einem sozialen System den „Zusammenhang von aufeinander verweisenden sozialen Handlungen“ (38) . Eine wichtige Eigenschaft sozialer Systeme (neben anderen!) ist ihr autopoietischer Charakter. Der vorliegende Essay wird zeigen, dass die Seifenoper, oder auch (Daily) Soap/Soap Opera, als autopoietisches soziales System begriffen werden kann. Hierfür wird zunächst eine kurze Einführung in die Luhmannsche Systemtheorie mit Schwerpunkt auf dem Begriff der Autopoiesis erfolgen. Im folgenden Teil werden dann die theoretischen Erkenntnisse auf das System der Seifenoper angewendet und autopoietische Eigenschaften derselben verdeutlicht.
Niklas Luhmann: Theorie sozialer Systeme - Die Seifenoper als autopoietisches System -
1) Einleitung
In seiner Theorie sozialer Systeme versteht Niklas Luhmann unter einem sozialen System den „Zusammenhang von aufeinander verweisenden sozialen Handlungen" (38)1. Eine wichtige Eigenschaft sozialer Systeme (neben anderen!) ist ihr autopoietischer Charakter. Im vorliegenden Essay mochte ich zeigen, dass die Seifenoper, oder auch (Daily) Soap/Soap Opera, als autopoietisches soziales System begriffen werden kann. Ich werde hierfur zunachst einen kurzen Abriss der Luhmannschen Systemtheorie mit Schwerpunkt auf dem Begriff der Autopoiesis geben. Im folgenden Teil werde ich dann die theoretischen Erkenntnisse auf das System der Seifenoper anwenden und versuchen, ihre autopoietischen Eigenschaften zu verdeutlichen.
2) Soziale Systeme als autopoietische Systeme
Ein System ist zunachst ganz grundsatzlich die Einheit einer Menge von Elementen und ihrer Relationen untereinander, wobei diese Einheit immer „mehr als die Summe [ihrer] Teile“ (47) darstellt, da durch die spezifische Vernetzung eben dieser Teile vollig neue Eigenschaften und Handlungsmoglichkeiten entstehen. Wahrend die erste Entwicklungsphase der Allgemeinen Systemtheorie nach Luhmann noch von Systemen als geschlossenen Ganzheiten ausging, diagnostizierte die zweite Phase jener Entwicklung eine grundsatzliche Offenheit, also einen Austauschprozess zwischen System und Umwelt. Aus dieser Theorie offener Systeme, propagiert vor allem durch den Sozialwissenschaftler Talcott Parsons, wurde in einem zweiten Paradigmenwechsel die Theorie autopoietischer Systeme.
Der Begriff Autopoiesis geht auf die beiden chilenischen Biologen und Neurophysiologen Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela zuruck und ist ein Kunstwort, das sich aus den griechischen Worten autos=selbst und poiein=machen zusammensetzt. Die Wortherkunft deutet hier schon an, was der Begriff meint. Autopoiesis bezieht sich demnach auf lebendige Systeme, die ,,in einem fortlaufenden Produktionsprozeft aus [ihren] Bestandteilen [ihre] Bestandteile herstell[en] und sich damit als abgrenzbare Einheit selbst [erhalten]“ (49). Sie sind hierbei zugleich geschlossen und offen:
Geschlossen insofern, als autopoietische Systeme sich nur auf sich selbst beziehen und ausschlieftlich selbstreferentiell arbeiten. Sie erzeugen alles, was sie zur Erhaltung ihrer selbst benotigen, eigenstandig und auf der Grundlage vorhergegangener Operationen bzw. Zustande. Gleichzeitig stehen autopoietische Systeme jedoch in standigem Kontakt und Austauschbeziehungen mit ihrer Umwelt und sind somit offen. Das lebendige System zum Beispiel einer Korperzelle nimmt Energie, Impulse und Materie aus seiner Umwelt auf und verarbeitet diese. Die Zelle bzw. das System bestimmt hierbei allerdings genau, was sie aufnimmt und was nicht, ist also zwar nicht autark, aber doch autonom. Autopoietische Systeme sind also organisationell geschlossen und gleichzeitig materiell und energetisch offen. Hierbei liegt ein Bedingungsverhaltnis vor, denn nur durch ihre Geschlossenheit, also die klare Abgrenzung des Systems von seiner Umwelt, kann ein System in offene Austauschbeziehungen mit letzterer eintreten.
Niklas Luhmann entwickelt und verarbeitet nun diese Erkenntnisse Maturanas und Varelas in seiner Sytemtheorie, indem er sie auf soziale Systeme anwendet. Soziale Systeme sind solche Systeme, aus aufeinander verweisenden sozialen Handlungen bestehen. Sie verknupfen also Handlungen mehrerer Personen miteinander und grenzen sie als Einheit von der Umwelt, in der sie agieren und mit der sie interagieren, ab. Letztlich geht es nach Luhmann in sozialen Systemen immer um Kommunikation, welche fur Luhmann ,,kein Ergebnis menschlichen Handelns, sondern ein Produkt sozialer Systeme" (66) ist. Kommunikation besteht hierbei immer aus den drei Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen. Kommunikation liegt immer dann vor, wenn ,,eine Informationsauswahl, eine Auswahl von mehreren Mitteilungsmoglichkeiten und eine Auswahl von mehreren Verstehensmoglichkeiten" getroffen wird, wobei Sprachlichkeit keine Voraussetzung ist. Soziale Systeme ubernehmen nun die Aufgabe, einzelne Kommunikationen einzelnen Personen zuzurechnen und als Handlungen zu begreifen (vgl. S.95). So sichern sie sich interne Anknupfungspunkte, denn eine Kommunikation bzw. Handlung schlieftt immer an die vorhergegangene an und erzeugt gleichzeitig eine neue Anschlusskommunikation bzw. Handlung. Auf diese Weise reproduzieren sich soziale Systeme immer wieder selbst und sind damit autopoietisch.
3) Die Seifenoper als autopoietisches System
Als Seifenopern gelten im allgemeinen Sprachgebrauch solche Serienformate im Fernsehen und Horfunk, die regelmaftig (meistens taglich) ausgestrahlt werden und deren Handlung endlos ist. Bereits diese Definition deutet den autopoietischen Charakter des Formats an. Bevor ich diesen jedoch genauer betrachte, mochte ich zunachst eine systemtheoretische Einordnung der Seifenoper nach Luhmann vornehmen.
Seifenopern sind das Produkt unzahliger Kommunikationen, die sich aufeinander beziehen und miteinander verknupft sind. Jede Kommunikation ergibt sich aus einer vorangegangenen Kommunikation und zieht eine weitere nach sich. Es handelt sich bei der Seifenoper daher um ein soziales System, das sich als klar definierte Einheit gegenuber seiner Umwelt positioniert. Es ist genau abgrenzbar, welche Personen, Handlungen, Dialoge, Schauplatze etc. Teil der Show sind und welche nicht: Personen sind nur dann dem System der Seifenoper zugehorig, wenn sie eine fur den Systemerhalt wichtige Funktion erfullen. Diese Funktion reicht selbstverstandlich vom Kabeltrager uber den Drehbuchautor bis hin zum Schauspieler, kann also viele Formen annehmen. Gemeinsamkeit der entsprechenden Funktionstrager ist jedoch zwingend ihre vertragliche Bindung an das System der jeweiligen Seifenoper. Das dargestellte Leben innerhalb der Daily Soap findet in der Regel ausschlieftlich innerhalb von eigens dafur entworfenen und hergestellten Filmkulissen in Produktionsstudios statt. Das System ist also auch raumlich (in der Regel) klar definiert. Zu bestimmten Anlassen oder durch bestimmte Notwendigkeiten mag es nun vorkommen, dass einzelne Szenen einer Seifenoper aufterhalb der Studios, also ,im echten Leben' gedreht werden. Die Teilnehmer des Systems bewegen sich dann zwar in einem fur sie unnaturlichen Raum, jedoch ist dieser immer noch klar von seiner Umwelt zu unterscheiden. Denn falls das System Seifenoper seine ubliche Lokalitat des Studios verlasst, so passt es die Umwelt, in der es sich dann bewegt, an seine Bedurfnisse an. Beleuchtung, Kamerakonstruktionen und konkrete Absperrungen definieren deutlich, welcher Teil der „normalen Welt" vorubergehend zum System gehort und welcher nicht.
Seifenopern sind also in der Luhmannschen Typologie von Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssystemen bei ersteren beiden einzuordnen. Sie sind zunachst Interaktionssysteme, weil sie durch Handlungen von Personen, die sich gegenseitig wahrnehmen, entstehen. Daruber hinaus sind sie Organisationssysteme, weil sie formell festlegen, wer Teil des Systems ist und wer nicht. Dies auftert sich ganz konkret in Vertragen und bindenden Vereinbarungen.
Diese typologische Einordnung der Seifenoper impliziert eine organisationelle Geschlossenheit, die direkt in autopoietisches Verhalten zu ubertragen ist. Aufgrund ihrer Geschlossenheit erzeugen solche Systeme, wie in Abschnitt 2 dargestellt, alles, was zur Erhaltung ihrer Organisation notwendig ist, selbst.
Wie bereits erwahnt, sind Seifenopern das Ergebnis von Kommunikationen, die sich aufeinander beziehen und einander bedingen. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen. Auf der Ebene der dargestellten Handlung fuhrt die Daily Soap mehrere parallele Handlungsstrange in verschiedenen Entwicklungsstadien fort. Die einzelnen Erzahlungen
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1Alle Zitate entstammen folgendem Quelltext: Georg Kneer/ Armin Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einfuhrung, Munchen, Wilhelm Fink Verlag, 1993.
- Quote paper
- Lea Bastian (Author), 2012, Die Seifenoper als autopoietisches System, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198455
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