Gesundheitsreformen gab es in Deutschland bisher genügend – zumindest rein quantitativ betrachtet. Eine Besserung der Lage kann trotzdem langfristig nicht zugesichert werden, denn Schwachstellen gibt es noch genügend. Daher stellt sich die Frage, inwiefern es sinnvoll sein könnte, Vergleiche zu ziehen über die Landesgrenzen Deutschlands hinweg zu den nationalen und internationalen Nachbarn. Man verfolgte bisher im Rahmen gesundheitsökonomischer Vergleiche oftmals die Strukturen des Gesundheitswesens der Vereinigten Staaten von Amerika sowie die der skandinavischen Länder oder der Schweiz und von Österreich. Doch wie schaut es beispielsweise weiter westlich von Deutschland aus? Eine einschneidende Gesundheitsreform gab es zum Beispiel auch in den Niederlanden im Jahre 2006 – recht viel mehr negative Schlagzeilen als über das deutsche Gesundheitssystem lassen sich darüber jedoch nicht wirklich verzeichnen, also kann das niederländische System eigentlich so schlecht nicht sein. Wäre es daher sinnvoll, von den holländischen Nachbarn zu lernen? Wenn ja, in welchen Bereichen des Gesundheitssystems wäre ein Blick hinaus über den deutschen „Tellerrand“ besonders sinnvoll? Ist die Situation des deutschen Gesundheitswesens zum Scheitern verurteilt oder gibt es konstruktive Lösungsansätze, welche die Rahmenbedingungen stabilisierend ausgestalten könnten, indem man Stärken, welche das deutsche System zweifelsohne ebenso aufweisen kann, zweckmäßig weiterentwickelt?
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Problemstellung
1.3 Zielsetzung und Gang der Untersuchung
2 Das niederländische Gesundheitssystem im Überblick
2.1 Kernelemente der niederländischen Gesundheitsreform 2006
2.1.1 Privatisierung der Krankenkassen
2.1.2 Krankenversicherungspflicht
2.1.3 Basisversorgung
2.1.4 Weitere Aspekte des niederländischen Krankenversicherungssystems
2.2 Das niederländische Gesundheitswesen und seine Akteure
2.3 Die niederländische Gesundheitsreform aus Sicht der Kassen
2.4 Finanzierung der niederländischen Gesundheitsversorgung seit 2006
2.5 Organisation der ambulanten Versorgung
2.6 Organisation der stationären Versorgung und Krankenhausleistungen
2.7 Arzneimittelversorgung als wichtiger Indikator der Gesundheitsversorgung
2.7.1 Ausgaben im Arzneimittelbereich
2.7.2 Rahmenbedingungen für Arzneimittelpreise
2.7.3 Krankenhausapotheken
2.7.4 Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln
2.7.5 „Langeterminvision“
2.8 Steuerung des niederländischen Gesundheitssystems
2.9 Risikostrukturausgleich
2.10 Ausgabenstruktur der niederländischen Gesundheitsversorgung
2.11 Würdigung des niederländischen Gesundheitssystems
3 Das deutsche Gesundheitssystem im Überblick
3.1 Wesentliche Grundprinzipien der Krankenversicherung
3.1.1 Sozialstaatsgebot
3.1.2 Solidarprinzip
3.1.2.1 Solidarausgleich zwischen „Gesund und Krank“
3.1.2.2 Solidarausgleich zwischen Einkommensstarken und -schwachen
3.1.2.3 Ausgleich zwischen Beitragspflichtigen und Mitversicherten
3.1.2.4 Solidarausgleich zwischen Jung und Alt
3.1.2.5 Subsidiaritätsprinzip
3.1.2.6 Bedarfsdeckungsprinzip
3.1.3 Versicherungspflicht
3.2 Gesetzliche Krankenversicherung
3.2.1 Organisationsstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung
3.2.2 Das Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung
3.2.3 Das Vergütungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung
3.2.4 Die Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
3.2.5 Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung
3.2.6 Die Ausgabenstruktur der gesetzlichen Krankenversicherung
3.3 Privatisierung der GKV analog zu Holland?
3.4 Die private Krankenversicherung
3.4.1 Das Kostenerstattungsprinzip der privaten Krankenversicherung
3.4.2 Vergütungssystem der privaten Krankenversicherung
3.4.3 Finanzstruktur der privaten Krankenversicherung
3.5 Strukturmerkmale der Arzneimittelversorgung
3.6 Strukturmerkmale der ambulanten ärztlichen Versorgung
3.7 Strukturmerkmale der stationären Versorgung
4 Fazit
Quellen- undLiteraturverzeichnis
Abkürzungs- und Akronymverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Aufbau des niederländischen Krankenversicherungssystems seit 2006
Abbildung 2: Die Ausgabenverteilung im niederländischen Gesundheitssystem 2006
Abbildung 3: Die Grundstruktur des deutschen Gesundheitssystems
Abbildung 4: Das deutsche Gesundheitswesen und seine Akteure
Abbildung 5: Solidarausgleich der GKV
Abbildung 6: Struktur des Gesundheitsfonds
Abbildung 7: Die Pyramide des Subsidiaritätsprinzips
Abbildung 8: Die Organisation der Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung Abbildung 9: Das Sachleistungsprinzip
Abbildung 10: Struktur der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung Abbildung 11: Struktur der stationären Versorgung
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Klassifikationsraster für den internationalen Vergleich von Gesundheitssystemen
Tabelle 2: Verteilung von Leistungsausgaben am Beispiel der AOK Niedersachsen
Tabelle 3: Öffentliche Apotheken und Krankenhausapotheken
Tabelle 4: Arzneimittelausgaben
Tabelle 5: Arzneimittelzuzahlungen von GKV-Versicherten
Tabelle 6: Umsatzstruktur öffentlicher Apotheken
Tabelle 7: Kennzahlen zur Arzneimittelausgaben-Entwicklung
Tabelle 8: Allgemeine Krankenhäuser und Betten - Auflistung nach Trägerschaft
Tabelle 9: Ausgewählte Indikatoren der deutschen Krankenhausversorgung
Tabelle 10: Einige Indikatoren der Krankenhausversorgung im internationalen Vergleich
Tabelle 11: Personal in Krankenhäusern
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
„Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen.“
(Aristoteles)
Das deutsche Gesundheitssystem galt über Jahre hinweg als eines der hochwertigsten im Vergleich zu anderen internationalen Systemen. Doch seit geraumer Zeit wird dieser Status allmählich in Frage gestellt. Das Gesundheitswesen in Deutschland wird seit den jüngsten Gesundheitsreformen zunehmend geprägt von steigendem Kostendruck und knapp bemessenen personellen Ressourcen. Das Spannungsfeld zwischen der Qualität der medizinischen Dienstleistungen und den verschärften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erhöht sich. Der Wettbewerbsdruck zwischen den Akteuren des Gesundheitswesens steigt.
„Die Zitrone ist ausgequetscht!“ lautete daher der Slogan der bisher größten Demonstration gegen die derzeitige wirtschaftliche Lage des Gesundheitswesens in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - die Polizei sprach von 130.000 Teilnehmern - welche am 26. September 2008 in Berlin stattfand. Arbeitgeber und Mitarbeiter aller Berufsgruppen gleichermaßen, von Kliniken aus ganz Deutschland angeführt von den Gewerkschaften, protestierten um eine Reaktion zu zeigen, gegen die sich beständig verschärfenden gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen, welche die Patientensicherheit gefährden und die Belastung der Arbeitnehmer in bedenklichem Ausmaße erhöhen. Sogar ein „Aktionsbündnis zur Rettung der Krankenhäuser“ wurde gegründet!
Gesundheitsreformen gab es in Deutschland bisher genügend - zumindest rein quantitativ betrachtet. Eine Besserung der Lage kann trotzdem langfristig nicht zugesichert werden. Daher stellt sich die Frage, inwiefern es sinnvoll sein könnte, Vergleiche zu ziehen über die Landesgrenzen Deutschlands hinweg zu den nationalen und internationalen Nachbarn. Man verfolgte bisher im Rahmen gesundheitsökonomischer Vergleiche oftmals die Strukturen des Gesundheitswesens der Vereinigten Staaten von Amerika sowie die der skandinavischen Länder oder der Schweiz und von Österreich. Doch wie schaut es beispielsweise weiter westlich von Deutschland aus? Eine einschneidende Gesundheitsreform gab es zum Beispiel auch in den Niederlanden im Jahre 2006 - recht viel mehr negative Schlagzeilen als über das deutsche Gesundheitssystem lassen sich darüber jedoch nicht wirklich verzeichnen, also kann das niederländische System eigentlich so schlecht nicht sein. Wäre es daher sinnvoll, von den holländischen Nachbarn zu lernen? Wennja, in welchen Bereichen des Gesundheitssystems wäre ein Blick hinaus über den deutschen „Tellerrand“ besonders sinnvoll? Ist die Situation des deutschen Gesundheitswesens zum Scheitern verurteilt oder gibt es konstruktive Lösungsansätze, welche die Rahmenbedingungen stabilisierend ausgestalten könnten, indem man Stärken, welche das deutsche System zweifelsohne ebenso aufweisen kann, zweckmäßig weiterentwickelt?
1.2 Problemstellung
Wie aus den einleitenden Bemerkungen der vorliegenden Untersuchung hervorgeht, gibt es in Bezug auf die gesundheitspolitische Situation Deutschlands viele Fragen.
Im Rahmen dieser Arbeit sollen weiterführende Denkansätze und mögliche Antworten darauf gefunden werden, welche Reformansätze zukünftig förderlich für die Verbesserung der bestehenden Strukturen für das Gesundheitswesen Deutschlands sein könnten. Am Beispiel eines Vergleichs des deutschen mit dem niederländischen Gesundheitswesen sollen im Rahmen einer Ist-Analyse basierend auf empirisch nachgewiesenen Daten und Fakten resultierend aus fundierten Analysen aktueller Literatur beider Gesundheitssysteme diejeweiligen Stärken und Schwächen dieser zwei Länder hinsichtlich der gegenwärtigen Gesundheitspolitik analysiert werden und Rückschlüsse auf bestehenden Optimierungsbedarf in Hinblick darauf gegeben werden, inwiefern sich gegebenenfalls Aspekte, welche sich im holländischen System als positiv bewährt haben, auch auf Deutschland übertragen lassen könnten. Hauptsächlich sollen im Rahmen dieser vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit schwerpunktmäßig folgende Fragestellungen beantwortet werden:
- Inwiefern könnte die mit der holländischen Gesundheitsreform aus dem Jahre 2006 einhergegangene Privatisierung der niederländischen gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV) ggf. - zumindest ansatzweise - auf das deutsche Gesundheitssystem übertragen werden?
- Welche spezifischen Charakteristika weisen die jeweiligen Gesundheitssysteme der beiden Länder auf?
- Welche Stärken und Schwächen lassen sich in Hinblick auf das niederländische sowie das deutsche Gesundheitswesen herausarbeiten und welche Chancen und Risiken resultieren auf gesundheitspolitischer Ebene darausjeweils für beide Länder?
Die Evaluation der beiden gesundheitssystemischen Modelle soll Aufschluss über die spannende Fragestellung geben, inwiefern sich die Stärken, welche beide Systeme zweifelsohne aufweisen, durch gezielte gegenseitige Nutzung der entsprechenden Potenziale als Chance für die Gesundheitspolitik der beiden Nachbarländer adaptieren lassen.
1.3 Zielsetzung und Gang der Untersuchung
Um die Gesundheitssysteme beider Länder aussagekräftig analysieren zu können, wird neben einigen grundlegenden, schwerpunktmäßigen Ausführungen in Bezug auf die im Rahmen von Gesundheitssystemvergleichen zu berücksichtigenden Aspekte ein umfassender Vergleich beider Systeme auf Grundlage ausgewählter Kriterien durchgeführt, so dass die regionalen Gegebenheiten der beiden europäischen Nachbarn vergleichbar in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit sowie Stärken und Schwächen untersucht werden können.
Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit ist, Rückschlüsse dahingehend erzielen zu können, inwiefern die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung der Niederlande als Kernelement der holländischen Gesundheitsreform von 2006 für das deutsche Gesundheitssystem einen konstruktiven Lösungsansatz hinsichtlich einer zukünftigen Reformierung darstellen könnte, um eventuell die im deutschen Gesundheitswesen bestehende Divergenz des Spannungsfeldes zwischen Qualität und Wirtschaftlichkeit in gewisser Weise kompensieren zu können.
Dabei werden in Bezug auf beide Systeme jeweils nur ausgewählte Aspekte detaillierter analysiert, da dies sonst die Vorgaben in Bezug auf den maximalen Umfang der vorliegenden Arbeit weit überschreiten würde. Es erfolgt also ein direkter Einstieg in die Anlyse des niederländischen Gesundheitssystems mit einer anschließenden Untersuchung des gegenwärtig in Deutschland bestehenden Gesundheitssystems, wobei in Anbetracht der bereits zahlreich vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten über das deutsche System eine Beschränkung auf die charakteristischsten und in Bezug auf den Systemvergleich relevantesten Aspekte erfolgt.
Es werden ex post einige ausgewählte Ergebnisse aus bisher getätigten Reformierungen der deutschen im direkten Vergleich mit der niederländischen Gesundheitspolitik analysiert, wie zum Beispiel der Risikostrukturausgleich, der Gesundheitsfonds, Krankenversicherungsmodelle etc. und dessen Unterschiede hinsichtlich der Ausgestaltung zwischen den beiden Ländern. Ferner werden die grundlegenden Elemente von Struktur und Funktionsweise der beiden Gesundheitssysteme gegenübergestellt und gemäß den wesentlichsten international existierenden Gesundheitssystemmodellen klassifiziert.
Präzise zusammengefasst erfolgt ergo im Rahmen der Untersuchungen dieser wissenschaftlichen Arbeit eine Gegenüberstellung des deutschen Gesundheitssystems mit den aus dem Jahre 2006 resultierenden gesundheitspolitischen Reformansätzen der Niederlande. Gegenstand des Ländervergleiches ist das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden beider Gesundheitssysteme sowie Überlegungen in Hinblick auf entsprechendes Potenzial der bisherigen deutschen Reformversuche in Bezug auf eine zumindest partielle Adaption der niederländischen Gesundheitsreform von 2006 auf das deutsche System.
„Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig setzen.“
(Aristoteles)
Um die „Segel“ richtig zu setzen, ist es sinnvoll, internationale Vergleiche anzustellen. Im Gesundheitswesen werden Kennziffern verglichen auf Grundlage von OECD- Gesundheitsdaten. Im Bereich von Vergleichen hinsichtlich der Krankenhausversorgung ist diesbezüglich jedoch zu beachten, dass differenzierte Vergleichskriterien und Begriffsauslegungen herangezogen werden, was vor allem bei internationalen Vergleichen von Ausgaben von Relevanz ist. Dieser Aspekt sollte folglich bei dieser vorliegenden Arbeit in gewisser Weise berücksichtigt werden.[1]
Anlage 1 enthält eine Übersicht über Gesundheitsausgaben im internationalen Vergleich.
Im internationalen Vergleich lassen sich verschiedene Typisierungen von Gesundheitssystemen herausarbeiten, wie Tabelle 1 verdeutlicht.
Tabelle 1: Klassifikationsraster für den internationalen Vergleich von Gesundheitssystemen [2]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sowohl das deutsche als auch das niederländische Gesundheitswesen weisen ein Sozialversicherungsmodell auf. Das deutsche Gesundheitswesen enthält Elemente einer „Bürgerversicherung“, das heißt es wird durch einen besonders ausgeprägten Solidaritätsgedanken gekennzeichnet, während die Niederlande zu einem Kopfpauschalenmodell tendieren.
Die wesentlichen Eigenschaften beitragsfinanzierter Gesundheitssysteme ist in Anlage 2 zusammengefasst.
Im Folgenden soll erläutert werden, ob das deutsche Gesundheitswesen auch bei genauerer Betrachtung noch solidarisch erscheint und es werden Vor- und Nachteile des niederländischen Gesundheitswesen im Vergleich mit dem deutschen System herausgearbeitet.
2 Das niederländische Gesundheitssystem im Überblick
Wäre beispielsweise die Privatisierung der GKV - wie es in den Niederlanden im Rahmen der Gesundheitsreform 2006 vollzogen wurde - eine Reformoption für Deutschland?
Um diesbezüglich Aussagen treffen zu können, ist es zunächst erforderlich, die strukturellen Charakteristika beider Länder vergleichend gegenüberzustellen.
Eine wesentliche Gemeinsamkeit ist, dass sowohl das deutsche als auch das niederländische Gesundheitssystem vorwiegend aus Sozialversicherungs-Beiträgen finanziert werden. Aufgrund der Tatsache, dass beide Systeme aufgrund der Komplexität gesundheitspolitischer Strukturen einer gewissen Dynamik unterworfen sind und somit beständigen Veränderungen unterliegen, erfolgt eine ständige Aktualisierung der Zahlenmaterialien, welche sich in den verschiedenen Quellen finden lassen. Nachfolgend soll ein demografischer Vergleich beider Länder auf Grundlage von Vergleichswerten und Statistiken der letzten Jahre vorgenommen werden. Anlage 3 liefert entsprechend relevante Daten.
Analysiert man die in dieser Anlage definierten Werte, lassen sich nachfolgend genannte Ergebnisse zusammenfassen.
Besonders auffällig ist der Unterschied in Hinblick auf die Bevölkerungsgröße: diese ist in Deutschland im Vergleich zu den Niederlanden über ein Fünffaches größer. Ebenso unterscheidet sich die Bevölkerungsdichte: innerhalb der Europäischen Union (EU) sind die Niederlande das dichtbevölkertste Land. Die demografische Entwicklung bildet in Bezug auf die alternde Bevölkerung in Deutschland ein stärkeres Problem als bei den niederländischen Nachbarn. Hier belegt Deutschland innerhalb der EU mit einem Bevölkerungsanteil von 15,2 Prozent zwischen 65- und 79-jährigen Menschen den Spitzenplatz. In den Niederlanden sind es lediglich 12,8 Prozent. Die Tendenz hin zu weniger Geburten und dem Anteil der Auswanderungen im Vergleich zu den Einwanderungen sind hierfür als elementares Problem zu sehen. Somit weisen die Niederlande ein - wenn auch nur geringes - Bevölkerungswachstum auf, während Deutschland definitiv von einem Bevölkerungsrückgang geprägt ist.[3]
Während für Deutschland gegenwärtig der Anteil der nicht krankenversicherten Bürger nicht genau bekannt ist, weiß man von den Niederlanden, dass ca. 1,4 Prozent der Bevölkerung - das sind ungefähr 231.000 Einwohner - keinen Krankenversicherungsschutz haben.[4]
Geht man in Bezug auf Deutschland vom Mikrozensus aus - einer jährlichen Umfrage von einem Prozent der Haushalte Deutschlands - wo im ersten Quartal 2007 eine zusätzliche Erhebung hinsichtlich der Krankenversicherung durchgeführt wurde, waren zum damaligen Zeitpunkt ca. 0,3 Prozent der Bürger (dies entspricht ca. 211.000 Personen) weder krankenversichert, noch besaßen sie anderweitigen Krankenversorgungs-Anspruch.[5]
In Holland sind öfter als die Einheimischen - hier sind es ca. 0,8 Prozent - die Immigranten nicht versichert (3,8 Prozent). Diese Daten basieren auf Erhebungen vom 1. Mai 2007. Demnach befindet sich ungefähr die Hälfte der Nichtversicherten in der Altersgruppe zwischen 20 bis 40 Jahren.[6]
2.1 Kernelemente der niederländischen Gesundheitsreform 2006
Abbildung 1 visualisiert die Kemelemente des niederländischen Krankenversicherungssystems seit der Reform im Jahre 2006.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Aufbau des niederländischen Krankenversicherungssystems seit 2006[7]
2.1.1 Privatisierung der Krankenkassen
Zum 1. Januar 2006 wurde in Holland im Zuge des Krankenversicherungsgesetzes recht spontan die Trennung zwischen GKV und PKV aufgehoben, so dass es nur noch eine - gewinnorientiert wirtschaftende - Kassenart gibt. Dementsprechend war bei den Leistungsanbietern eine Zunahme der Fusionen die Folge, so dass im Ergebnis gegenwärtig lediglich wenige Großanbieter und zusätzlich einige kleinere regionale Krankenkassen existieren.[8]
Im Jahre 2008 wurde in Holland die gesetzliche Basisversorgung durch 31 Versicherungen angeboten, in Deutschland hingegen gab es 2008 211 gesetzliche und 51 private Krankenversicherungen.[9]
Da ist es wenig verwunderlich, wenn in Deutschland die finanzielle Situation im Gesundheitswesen entsprechend schlechter ist, als bei den niederländischen Nachbarn. Bezüglich der Anzahl der Krankenkassen würde sich bestimmt noch Rationierungspotenzial finden lassen, um zu größerer wirtschaftlicher Stabilität im deutschen Gesundheitssystem beizutragen.
Hinsichtlich der Krankenkassenwahl haben die niederländischen Versicherten das Recht, ihren Versicherungsanbieter jährlich zu wechseln, was darauf abzielt, zwischen den Versicherern einen Wettbewerb um ihre Kunden zu erzeugen was sich beispielsweise in einer besseren Versorgungsqualität der Leistungsanbieter widerspiegeln könnte.[10]
Auch in Deutschland können Versicherte seit Januar 2002 recht problemlos mit einer Frist von zwei Monaten zum Monatsende kündigen. Sonderkündigungsrechte gelten in Deutschland nur bei Krankenkassen, welche einen Zusatzbeitrag erheben oder für Wahl tarife.[11]
Bezüglich des Leistungsumfangs bei der niederländischen Krankenversicherung ist der Basisschutz um freiwillige Zusatzversicherungen erweiterbar. Die Versicherungsbeiträge berechnen sich aus einer einheitlichen Basispauschale zuzüglich eines prozentualen Anteils des Erwerbseinkommens. Zur Absicherung von sozial Schwachen und Kindern stehen Subventionen aus Steuermitteln zur Verfügung, so dass man von einem solidarischen und sozialen Krankenversicherungssystem sprechen kann. Des Weiteren erhalten niedrigere Einkommensgruppen einen finanziellen Ausgleich.[12]
2.1.2 Krankenversicherungspflicht
Für jeden niederländischen Bürger ab Vollendung des 18. Lebensjahres gilt eine Krankenversicherungspflicht. Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, riskiert eine Strafe in Höhe von bis zu 130 Prozent der Versicherungsprämien. Zum 31. Dezember 2007 gab ca. 240.000 Bürger mit Zahlungsverzug; dies sind ungefähr 1,9 Prozent der erwachsenen niederländischen Bevölkerung. Im Falle ausbleibender Zahlungen obliegt den Krankenversicherungen das Recht, die Versicherungsverträge mit den betreffenden Mitgliedern zu lösen. Um zu unterbinden, dass die Versicherungsnehmer unter Umständen aufgrund eventueller Zahlungsrückstände zu einer anderen Versicherung wechseln könnten, hat das niederländische Ministerium in Übereinstimmung mit den Krankenversicherungen beschlossen, diesen Mitgliedern mit finanziellen Rückständen den Wechsel zu einer anderen Versicherung zu untersagen. Als Reaktion auf Zahlungsrückstände der Versicherungsnehmer wurde ein entsprechendes Gesetz erarbeitet, welches es den Institutionen ermöglichen soll, das Einkommen von Bürgern, welche sich hinsichtlich ihrer Versicherungsbeiträge über sechs Monate in Zahlungsverzug befinden, zu kassieren.[13]
2.1.3 Basisversorgung
Zwischen Basisversorgung und der freiwilligen Zusatzvorsorge, welche eigenverantwortlich individuell durch die Versicherungsnehmer erfolgen muss, wird im niederländischen Gesundheitssystem differenziert. Für Kinder bis zum 18. Lebensjahr werden die Leistungen der gesundheitlichen Fürsorge steuerfinanziert. Um zwischen den Krankenkassen hinsichtlich ihrer Kunden eine Selektion zwischen „guten“ und „schlechten“ Risiken zu unterbinden, sind diese dazu verpflichtet, jeden potenziellen Kunden ohne dessen Risikostruktur (wie zum Beispiel Geschlecht, Gesundheitszustand etc.) zu analysieren, in die Basisversorgung der Krankenversicherung zu integrieren. Diese Risikoselektion entfällt jedoch für die zusätzliche Eigenvorsorge - hier können die Kassen entsprechend der Struktur ihrer potenziellen Kunden „aussor tieren“. Die Finanzierung der Basisversorgung erfolgt zur Hälfte über eine Versichertenprämie, welche seitens der Versicherungsnehmer pauschal an die Kasse geleistet wird, was darauf abzielen soll, verstärkt das Kostenbewusstsein der Versicherten zu schärfen. Die Höhe des Beitragssatzes wird zwar von der Kasse selbst festgelegt, jedoch muss sie ebenso jedem Versicherten den gleichen Zugang zum medizinischen Leistungsspektrum gewähren. Der Leistungskatalog, das heißt für welche medizinischen Dienstleistungen die Versicherung besteht, wird vom Gesetzgeber festgelegt. Bestandteile dieses Leistungsspektrums sind neben einer Kostenerstattung für Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte die Ausgaben für Arznei- und Hilfsmittel, sowie Teile der Zahnbehandlung, Mütterversorgung und Geburtshilfe, Emäh- rungsberatung und Teile von Heiltherapien. Als Ergänzung zum Pauschalbetrag entrichten die Arbeitnehmer einen Beitrag, welcher in Abhängigkeit zu deren monatlichen Einkommen entrichtet wird. Dem Finanzamt obliegt dabei die Feststellung der Anspruchsberechtigung und der entsprechende Betrag wird direkt an die Versicherungsnehmer ausgezahlt, so dass das holländische Finanzamt ca. 5 Millionen Menschen einen Zuschlag entrichtet.[14]
2.1.4 Weitere Aspekte des niederländischen Krankenversicherungssystems
Beleuchtet man dieses seit dem 1. Januar 2006 bestehende „neue“ Krankenversicherungssystem, ist besonders positiv zu bewerten die nunmehr bestehende stärkere Freiheit der Versicherten in Bezug auf die Auswahl des Anbieters der Versicherung. Besonders relevante Auswahlkriterien sind in diesem Zusammenhang sowohl die Höhe des Beitrags als auch die Art und den Service der Versicherung (zum Beispiel Rückerstattungen oder Sachbezüge) sowie die Höhe des freiwilligen Eigenbehalts, welcher zwischen 0 Euro und 500 Euro variieren kann. Ein relevantes Kriterium stellt außerdem dar, inwiefern die Möglichkeit besteht, für Leistungen welche nicht im Standardpaket enthalten sind, bestimmte Zusatzversicherungen abschließen zu können. Die Krankenkassen unterliegen der staatlichen Aufsicht; ihre Ausrichtung ist homogen strukturiert - das bedeutet, dass der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen vorgibt. Jedoch wird den Kassen die Möglichkeit gegeben, gewinnorientiert zu wirtschaften. Ebenfalls bewirkte die niederländische Gesundheitsreform bei den Krankenkassen einen Wettbewerb zur Positionierung gegenüber ihren potenziellen Versicherten, welcher vorwiegend über die beiden Parameter „Kosten“ und „Qualität“ erfolgt. Vor der Privatisierung der GKV bestand für die privaten Krankenversicherungen die Option einer Risikoselektion, das heißt dass die Kassen nicht dazu verpflichtet waren, mit „schlechten Risiken“ - also mit Patienten, welche den Kassen unter Umständen viel Geld kosten könnten - ein Vertragsverhältnis einzugehen. Diese Möglichkeit besteht seit dem Jahr 2006 nach der Gesundheitsreform nicht mehr.[15]
Damit seitens der Krankenkassen einerseits dieser Anreiz nicht mehr besteht und andererseits für die Versicherer, welche naturgemäß eine recht heterogene Versichertenstruktur aufweisen, wirtschaftlich eine monetäre Balance gegeben ist, wurde der „Morbi-RSA“ ins Leben gerufen. Dieser sogenannte „Morbititätsorientierte Risikostrukturausgleich “ führt dazu, dass die mittels der Versicherten erzielten Einnahmen seitens der Kassen zum Ausgleich von infolge inhomogener Risikostrukturen entstandenen Defiziten verwendet werden dürfen. Indem den Krankenkassen in Hinblick auf die Leistungserbringer die Option zum Abschluss von Selektivverträgen gewährt wird, soll gleichermaßen ein gewisser Ausgleich hinsichtlich des sich kontinuierlich verstärkenden Spannungsfeldes zwischen Qualitätssteigerungen bei gleichzeitiger, ständiger Kostenoptimierung geschaffen werden.[16]
Bei Selektivverträgen handelt es sich um einzelne Versorgungsverträge, welche mit bestimmten Leistungserbringern geschlossen werden. Es handelt sich dabei um Direktverträge, das heißt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht am Vertragsabschluss beteiligt sind, sondern einzelne Ärzte direkt mit einer Krankenversicherung einen Vertrag eingehen.[17]
Bereits zu Beginn des Jahres 2006, direkt mit Beginn des Krankenversicherungsgesetzes, wechselten zahlreiche niederländische Bürger in eine andere Krankenversicherung. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Einführung eines Zusatzbeitrages für die Versicherer einen überaus signifikanten Wettbewerbsparameter darstellt. In diesem Zusammenhang stellen in Hinblick auf die Realisierung dieser Wettbewerbsfaktoren sogenannte Kollektivverträge eine interessante Option dar, um vergünstigte Konditionen zu erzielen. Im Jahre 2007 hatten bereits über 53 Prozent - das entspricht ca. 8,6 Millionen Niederländern - die Basisversicherung über einen Kollektivvertrag abgeschlossen.[18]
Bei Kollektivverträgen handelt es sich um Versorgungsverträge, welche zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und Verbänden der Krankenkassen bzw. einzelnen Krankenkassen geschlossen werden. Somit sind dies Vereinbarungen, welche für alle Vertragsärzte und Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung verbindlich sind, zum Beispiel Bundesmantelverträge auf Bundesebene oder bspw. auf Landesebene Verträge, wo Kassenärztliche Vereinigungen bzw. Krankenkassen Abschlüsse über die Höhe verarztsärztlicher Leistungen regeln.[19]
So dürfen niederländische Krankenversicherungen einen Rabatt von bis zu zehn Prozent für den Abschluss von Kollektivverträgen gewähren. Beispielsweise besteht die Möglichkeit zur Versicherung in Kollektivverträgen einerseits für Arbeitnehmer sowie andererseits für Gewerkschaftsmitglieder und für Mitglieder von Patienten- und Sportvereinen. Teilweise bieten die Kollektivverträge sogar die Möglichkeit, dass sich in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer über die Verträge ihres Partners mitversichern dürfen.[20]
Da dies einen recht sozialen Aspekt für ein von Kopfpauschalen gekennzeichnetes Gesundheitssystem darstellt, wäre dies eine ebenso interessante Option für das deutsche Sozialversicherungssystem in Hinblick auf eine Adaption der GKV-Privatisierung.
2.2 Das niederländische Gesundheitswesen und seine Akteure
Seit der Einführung des neuen Gesundheitssystems hat sich die Bedeutung von Staat, Leis- tungsanbietem, Krankenkassen und Patienten maßgeblich verändert: Patienten und Versicherer werden insofern kundenorientierter behandelt, dass die Versicherten seit der Reform bedürfnisgerechter versorgt werden können und den Kassen - beispielsweise mittels Einführung des morbititätsorientierten Risikostrukturausgleichs - weniger finanzielle Belastungen aufgebürdet werden. Die Versicherten haben, was die Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen betrifft, einerseits eine größere (finanzielle) Verantwortung zu tragen, andererseits wird ihnen jedoch gleichermaßen eine größere Wahlfreiheit hinsichtlich der Krankenkassen angeboten. Die medizinischen Leistungserbringer sind zu höherer Qualität angehalten, um im Wettbewerb um Patienten langfristig bestehen zu können. Gleichermaßen sollen individuell auf die Patientenbedürfnisse zugeschnittene Leistungsangebote sichergestellt werden, was den Leistungserbringern ebenfalls zu einer stärkeren Wettbewerbsposition verhelfen kann und ihnen somit einen höheren Anreiz zu patientenorientierter und qualitätsbewusster Dienstleistungserbringung bieten soll. Der Staat verhält sich nun jedoch zurückhaltender in Bezug auf strikte Reglementarien und gibt lediglich in Bezug auf ein einerseits finanzierbares und andererseits qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem sowie einen entsprechenden problemlosen Zugang zu den Gesundheitsleistungen die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für die Akteure des Gesundheitswesens vor. Daher wird das niederländische Gesundheitswesen seit der Reform einserseits von mehr Freiheit und andererseits von mehr Verantwortungsbewusstsein sowie einem verstärkten Wettbewerb um potenzielle Versicherte geprägt.[21]
2.3 Die niederländische Gesundheitsreform aus Sicht der Kassen
Das neue Krankenversicherungsgesetz ermöglicht den Krankenkassen gegenüber den Anbietern medizinischer Leistungen eine gestärkte Ausgangssituation, um am Gesundheitsmarkt agieren zu können. In Hinblick auf preisliche, inhaltliche und organisatorische Versorgungsaspekte obliegt den Kassen somit eine stärkere Verhandlungsmacht. Denn sie haben nun die Möglichkeit einer gewissen Selektion hinsichtlich Vertragsabschlüssen mit den Leistungserbringern, da die Kassen nicht mehr dazu verpflichtet werden können, mit jedem Anbieter ein Vertragsverhältnis einzugehen, sondern sie haben das Recht, den Abschluss von Verträgen von Aspekten wie beispielsweise versorgungsspezifischen, preislichen oder qualitätsbezogenen Kriterien abhängig zu machen und dementsprechend die Anbieter mit den besten Konditionen zu wählen, so dass seitens der Kassen gewisse Forderungen an die Leistungserbringer gestellt werden können, was darauf abzielt, im Ergebnis zu einem höheren Versorgungsniveau beizutragen. Dies spiegelt sich beispielsweise darin wider, dass die Dienstleistungserbringer zu einer höheren Ergebnisorientierung bezüglich ihres Leistungsspektrums angehalten sind, was diesen wiederum insofern zu Gute kommt, dass ihnen die Möglichkeit geboten wird, sich im gegenseitigen Wettbewerb von einander zu differenzieren sowie ihren Patienten eine stärkere bedürfnisorientierte Versorgung als bisher anbieten zu können und somit ihre Marktposition gegenüber potenziellen Kunden zu konsolidieren. Durch eine Kooperation der Kassen mit solch professionellen Leistungsanbietem können die Krankenkassen wiederum zur Kundenbindung bezüglich ihrer Versicherten beitragen, denn diesen wird seit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes die Möglichkeit gegeben, jedes Jahr aufs Neue eine Entscheidung für oder gegen ihre bisherige Krankenkasse zu treffen.[22]
In Hinblick auf die Qualität sowie die Effektivität und Effizienz medizinischer Dienstleistungen sind diese Anreizmechanismen von hoher Relevanz für eine nachhaltige Konsolidierung des Versorgungsniveaus des niederländischen Gesundheitsmarktes und könnten durchaus einen interessanten Lösungsansatz bezüglich einer schrittweisen Privatisierung der GKV in Hinblick auf das im deutschen Gesundheitswesen bestehende Spannungsfeld zwischen Qualität und Wirtschaftlichkeit darstellen!
Dass mit voran genannten Aspekten die Konkurrenz zwischen den Krankenkassen verstärkt wird, wird unter anderem dadurch deutlich, dass im Jahre 2006 ca. 21 Prozent der Versicherten ihre Krankenkasse wechselten. 2007 wechselten sechs Prozent und 2008 ca. vier Prozent. Folglich sind die Anbieter von Krankenversicherungen zu kontinuierlicher Kundenbindung in Hinblick auf die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen angehalten, um nachhaltig im gegenseitigen Wettbewerb um potenzielle Versicherte bestehen zu können.[23]
2.4 Finanzierung der niederländischen Gesundheitsversorgung seit 2006
Die Reformen im niederländischen Gesundheitssystem von 2006 hatten umfassende Auswirkungen: nicht nur für Krankenkassen und Versicherte, sondern auch in Hinblick die gesamte Finanzierung des Gesundheitswesens waren die Reformergebnisse spürbar. Ungefähr zur Hälfte wird das niederländische Gesundheitssystem durch einen Standardbeitrag finanziert. Ferner beinhaltet das Krankenversicherungsgesetz, dass die Versicherten einen einkommensabhängigen Beitrag leisten müssen, wobei dieser seitens der Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter erstattet wird (2008: 7,2 Prozent). Für Selbstständige und Rentner zahlt das Finanzamt (2008: 5,1 Prozent). Vergleicht man ausgehend von aus dem Jahre 2008 basierenden Daten die Beitragsbemessungsgrenzen von Deutschland (43.200,- €) und Holland (31.231,- €) fällt auf, dass man die GKV-Pflichtversicherungsgrenze in den Niederlanden bereits bei einem monatlichen Einkommen von reichlich 2.600,- € überschreitet, wohingegen die monatliche Verdienstgrenze in Deutschland über 1.000,- € höher liegt.[24]
Das bedeutet, dass Deutschland gegebenenfalls in Hinblick auf eine allmähliche Vorbereitung in Bezug auf eine Privatisierung der GKV die Beitragsbemessungsgrenzen sukzessive herabsetzen müsste. Dies könnte ein interessanter Aspekt zur nachhaltigen Sicherung der Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems in Hinblick auf mehr Stabilität oder vor allem hinsichtlich besserer Perspektiven des Gesundheitswesens für die Versicherten sein.
Während für das deutsche Gesundheitswesen in der Vergangenheit die Beitragsbemessungsgrenzen stetig nach oben korrigiert wurden, konnte bereits für 2011 erstmals (!) eine sinkende Bemessungsgrenze im Vergleich zu 2010 um ca. ein Prozent verzeichnet werden (ca. 3.700,- € monatlich).[25] Ein Schritt in Richtung einer langfristig angestrebten GKV-Privatisierung?!
Interessant am niederländischen System ist außerdem, dass die soziale Komponente des Gesundheitssystems trotz aller Diskussionen um Wirtschaftlichkeit, Optimierungspotenzial etc. nicht ganz außer Acht gelassen wird. So etablierte sich beispielsweise zum 1. Januar 2008 ein sogenannter Risikobeitrag für selektierte Patientengruppen in Höhe von 150,- €. Das heißt, dass Versicherungsnehmer, welche über einen langen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg mit nicht vermeidbaren Kosten belastet wurden, welche zum Beispiel aus chronischen Erkrankungen resultieren, einen finanziellen Ausgleich erhalten. Hierzu werden mittels Arzneimittelkostengruppen die individuellen Verbrauchswerte für chronische Erkrankungen ermittelt. Diese Kosten werden relativ unbürokratisch durch das Finanzamt beglichen. Ebenso werden finanzielle Belastungen im Zuge langer Krankenhausaufenthalte kompensiert und zwar für alle Versicherten, welche bis 1. Juli 2008 mindestens sechs Monate stationär behandelt wurden.[26]
2.5 Organisation der ambulanten Versorgung
In den Niederlanden ist der Hausarzt zumeist der erste Ansprechpartner für Patienten.[27] Er erfüllt eine Art „Gatekeeper-Funktion“, ähnlich wie man es in Deutschland teilweise von den sogenannten „Hausarztmodellen“ her kennt, welche hier allerdings spätestens seit der Vereinheitlichung der Beitragssätze eher rückläufig werden, da viele Kassen diese Verträge nicht mehr weiterführen, weil der Wettbewerb der deutschen gesetzlichen Krankenversicherungen gegenwärtig vorrangig über Zusatzbeiträge erfolgt.
In Holland leistet der Hausarzt die medizinische Grundversorgung und entscheidet über eine Überweisung zu Fachärzten. Folglich benötigt ein Patient, wie in Deutschland auch, eine entsprechende Überweisung durch seinen Hausarzt um zum Facharzt zu kommen. Wohingegen Deutschland verstärkt über eine Abwanderung der Ärzte klagt und es für junge Medizinier teilweise wenig lukrativ ist, sich als Hausarzt niederzulassen, sind Hausärzte in Holland sehr gut ausgebildet und verfügen über die erforderlichen Qualifikationen, auch komplexe und schwerwiegendere Krankheitsbilder zu behandeln.[28] Daran wird deutlich, dass auf das Qualitätsniveau im niederländischen Gesundheitssystem ein besonderes Augenmerk gerichtet ist, denn es ist auch in Hinblick auf das Image der Krankenkassen in Bezug auf den Wettbewerb von besonderer Relevanz, mit qualifizierten Medizinern zu kooperieren, um ihren Versicherten ein gutes Versorgungsniveau offerieren zu können.
In Deutschland findet man diesen Aspekt, dass eine Betreuung durch ausgebildete Spezialisten fokussiert wird, ebenso: beispielsweise legen, vor allem bei Karzinompatienten, viele Kassen - auch in Bezug auf die Behandlungseffektivität in Hinblick auf die Kostenübernahme der medizinischen Leistungen - wert darauf, dass sich ihre Versicherten in speziellen Tumorzentren von entsprechenden Fachexperten behandeln lassen, mit dem Ziel einer effektiveren und effizienteren Behandlung zur Steigerung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses.
Die Vorteile des Hausarztes als „Gatekeeper“ bzw. „Casemanager“ liegen klar auf der Hand: es besteht ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und seinen Patienten und der Arzt hat Kenntnis über deren gesamte Krankheitsgeschichte, was sich positiv in Bezug auf die Diagnostik auswirken kann. Durch regelmäßige Hausbesuche kennt der Arzt das persönliche Umfeld seiner Patienten. Hausgeburten und daheim zu versterben sind in den Niederlanden „normaler“ als man es von Deutschland her kennt, da der Hausarzt beispielsweise in Hinblick auf Geburtshilfe genauso ausgebildet ist wie auf palliativmedizinische Betreuung und somit den Angehörigen zu Hause konstruktiv zur Seite steht. Auch das Notarztsystem wird innerhalb der einzelnen regionalen Bezirke von den entsprechend tätigen Hausärzten abgedeckt und ist dadurch von weniger Anonymität und dafür mehr Effektivität in der Patientenversorgung gekennzeichnet.[29]
All diese Aspekte sind zwar monetär teilweise nur schwer messbar in Hinblick auf ihre Effektivität und Effizienz, jedoch spricht die Funktionsweise des niederländischen Gesundheitswesens bei genauerer Betrachtung durchaus für sich.
Viele niederländische Hausärzte sind in Gemeinschaftspraxen tätig; viele dieser Praxen haben auch eine Apotheke angegliedert, da vor allem in kleinen niederländischen Gemeinden die Apothekendichte sehr gering ist. Zusätzlich gibt es in Holland Verkaufspunkte, wo man „over the counter“ (OTC) ca. 20 nicht-verschreibungspflichtige Mittel erhalten kann - vorausgesetzt, dass die entsprechende Arzneimittel-Verkaufsgenehmigung für diese zumeist kleinen Supermärkte oder Kioske vorliegt. Dies ist vor allem in kleinen Provinzen ohne Hausarzt, Apotheke oder Drogerie bzw. Reformhaus von essenzieller Bedeutung hinsichtlich der Sicherstellung der regionalen medizinischen Versorgung.[30]
2.6 Organisation der stationären Versorgung und Krankenhausleistungen
In Holland differenziert man zwischen drei Arten von Krankenhäusern:
- allgemeine,
- universitäre / akademische sowie
- indikationsbezogene / kategoriale Einrichtungen.[31]
In einem allgemeinen Krankenhaus werden - analog zu den Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung in Deutschland - Patienten in den allgemeinen klinischen Fachrichtungen versorgt. Außerdem werden Ärzte und Pflegepersonal ausgebildet.[32]
Die akademischen Lehrkrankenhäuser und Unikliniken unterscheiden sich kaum von ihrem deutschen Pendant: neben den allgemeinen, diagnostischen, therapeutischen, medizinischen und pflegerischen Dienstleistungen obliegt der Forschung und Entwicklung neuer Technologien sowie Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ein großer Wert.[33]
Die kategorialen, indikationsbezogenen Einrichtungen bieten schwerpunktbezogene Versorgung an und sind in Verbünden als Zentren organisiert. So gibt es mehrere Rehabilitationszentren, Pulmologische Zentren, Radiologische Zentren etc.[34]
Einen ähnlichen Trend zur Zentrumsbildung, wo Patienten eine umfassende Versorgung durch Fachexperten erhalten, gibt es auch in Deutschland. Viele Krankenhäuser haben auch, ähnlich wie Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland, eine Poliklinik angegliedert, um den Patienten ein gutes Netzwerk aus ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen anbieten zu können. Auch in deutschen Krankenhäusern werden bestimmte Abteilungen als Zentren geführt, wenn hochqualifizierte Experten auf die Behandlung bestimmter, differenzierter Krankheitsbilder spezialisiert sind.
Resultierend aus den Fusionen zwischen den niederländischen Krankenversicherungen besteht auch bei Krankenhäusern die Erfordernis, sich zusammenzuschließen, um sich sowohl gegenüber den Wettbewerbern als auch in Bezug auf die Krankenkassen eine gestärkte Verhandlungsposition am Gesundheitsmarkt verschaffen zu können. Gab es in den Niederlanden im Jahre 2007 noch 141 Krankenhäuser, von denen 93 Einrichtungen in Verbünden organisiert waren, wird bis 2014 ein Rückgang auf lediglich 70 bis 40 Verbünde prognostiziert. Bereits im Jahre 2010 wurde die Zahl der holländischen Krankenhäuser auf ca. 122 geschätzt.[35]
Insofern lassen sich demnach ähnliche Entwicklungstendenzen wie in Deutschland verzeichnen, denn auch hier konsolidieren Kliniken ihre wirtschaftliche und wettbewerbliche Situation zunehmend in Form von Verbünden oder retten sich mittels Privatisierungen durch bundesweit bzw. international tätige Konzerne (Rhön, Helios, Asklepios, Fresenius) vor der Schließung. Auch die Tendenz zu Outsourcing bestimmter Fachbereiche brachte den stationären Einrichtungen in Deutschland nur begrenzten Erfolg.
Folglich müssen sich hinsichtlich der stationären Versorgung Deutschland und die Niederlande gleichermaßen mit recht ähnlichen Herausforderungen arrangieren oder besser formuliert aktiv auseinandersetzen.
Ebenfalls lassen sich Parallelen zwischen dem deutschen und holländischen Gesundheitssystem feststellen, was den Trend zur Spezialisierung bei den Krankenhäusern betrifft genauso, wie eine zunehmende Tendenz hin zu mehr ambulanten statt stationären Eingriffen zu verzeichnen ist, was zur Folge hat, das die stationären Aufnahmen und Krankenhaus-Pflegetage seit einigen Jahren rückläufige Ergebnisse zu verzeichnen haben. Trotz allem sindjedoch hinsichtlich der Nachfrage nach Krankenhausdienstleistungen tendenziell steigende Werte zu verzeichnen. Analog zu Deutschland nimmt die Zahl der Planbetten trotz steigender Nachfrage an medizinischen Dienstleistungen sukzessive ab. Vergleicht man allein die Daten der Jahre 2004 bis 2006, gab es zumindest bei den allgemeinen Krankenhäusern eine Abnahme der Bettenzahlen um knapp 2.000 Stück; bei den akademischen Krankenhäusern stieg die Zahl jedoch um reichlich 1.000 Betten. Somit wird den Plänen des holländischen Gesundheitsministeriums entsprochen, nachdem pro 1.000 Einwohnern die Bettenzahl bis zum Jahre 2015 auf zwei Stück herabgesetzt wird, wohingegen 2006 noch viereinhalb Betten auf 1.000 Bürger berechnet wurden. Da es sich in Hinblick auf den demografischen Wandel in den Niederlanden in Bezug auf die steigende Tendenz hin zur alternden Bevölkerung ähnlich verhält wie in Deutschland, ist mit einer zunehmenden Nachfrage nach den Gesundheitsdienstleistungen im Krankenhaussektor zu rechnen. Ferner resultiert aller Voraussicht nach bis zum Jahre 2015 aus dem medizinisch-technischen Fortschritt und aus der Implementierung innovativen Unter- suchungs- und Behandlungsmethoden eine steigende Zahl an stationären Patienten. Dieser Trend divergiert logischerweise mit der Kürzung der Bettenkapazitäten im stationären Bereich. Als entsprechende Konsequenz wird es daher auch im niederländischen Gesundheitswesen im Krankenhaussektor die Herausforderung zu bewältigen geben, dass sich die Verweildauern zunehmend verkürzen werden und dass die stationären Aufenthalte zugunsten ambulanter Eingriffe in Tages- oder Polikliniken reduziert werden.[36]
[...]
[1] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 101 ff.
[2] Vgl. ebenda, S. 101 ff.
[3] Vgl. ebenda, S. 101 ff.
[4] Quelle: Dekker, O.: (Auswirkungen), S. 136
[5] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 102
[6] Vgl. ebenda, S. 100
[7] Vgl. ebenda, S. 102
[8] Vgl. о. V.: (Krankenkassenwechsel)
[9] Vgl. vanRoij, N.: (Gesundheitswesen), S. 102
[10] Vgl. ebenda, S. 100f.
[11] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 103
[12] Vgl. ebenda, S. 103
[13] Vgl. о. V.: (Selektivvertrag)
[14] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 103 f.
[15] Vgl. Amelung, E.; Krauth, Ch.; Mühlbacher, A.; Wiehert, J.: (Selektivvertrag)
[16] Vgl. van Rooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 103 f.
[17] Vgl. van Roij, N.: (Gesundheitswesen), S. 104
[18] Vgl. ebenda, S. 104
[19] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 105
[20] Vgl. о. V.: (Jahreswechsel)
[21] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 105
[22] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 105
[23] Vgl. о. V.: (holländisch)
[24] Vgl. о. V.: (holländisch)
[25] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 106
[26] Vgl. ebenda, S. 106
[27] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 106
[28] Vgl. ebenda, S. 106
[29] Vgl. ebenda, S. 106
[30] Vgl. ebenda, S. 107
[31] Vgl. vanRooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 107
[32] Vgl. van Rooij. N.: (Gesundheitswesen), S.
[33] Vgl. ebenda. S. 106
[34] Vgl. ebenda. S. 106
[35] Vgl. ebenda. S. 107
[36] Vgl. van Rooij, N.: (Gesundheitswesen), S. 107
- Quote paper
- Kristin Gühl MBA (Author), 2011, Reformansätze für das deutsche Gesundheitswesen: Welche Lösungsvorschläge bietet das niederländische Gesundheitssystem?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198142
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