In den 1970-er Jahren forderte der nordamerikanische reformierte Theologe Brevard S. Childs dezidiert die Rückkehr der Bibelwissenschaft zur Theologie. Die Auslegung der Bibel als kanonischer Heiliger Schrift, das ist – so Childs, der hier Norbert Lohfink (1964) folgt –, theologische Bibelwissenschaft statt bloßer Religionsgeschichte. Wer „kanonisch“ sagt, hat eben die bloß historisch-deskriptive Ebene verlassen und redet von Normativem. Normative Bibeltheologie, die nicht bloß deskriptive Religionsgeschichte ist, wird also tatsächlich mit dem Kanonbegriff arbeiten. Dazu muß aber das Schlagwort zum reflektierten Begriff werden, mit dem man arbeiten kann.
1. Einleitung: Methodendiskussion – Viel Lärm um nichts?
Was ist Biblische Theologie?
Durch Johann Philipp Gabler (Antrittsvorlesung von 1787) zur historisch-deskriptiven Disziplin geworden, mußte sie ihren Stoff in eine chronologische Ordnung bringen, wenn sie Wissenschaft sein wollte. So wurde Biblische Theologie zur Religionsgeschichte, Exegese zur Rekonstruktion der Textgenese. Für eine Geschichte des Urchristentums waren außerbiblische Quellen ebenso gültig wie der Römerbrief oder die Spruchquelle Q, während beispielsweise die Deuteropaulinen als epigonale, ja „unechte“ Spätschriften recht wertlos wurden (kanonisch sind sie „echt“).
In den 1970-er Jahren forderte der nordamerikanische reformierte Theologe Brevard S. Childs dezidiert die Rückkehr der Bibelwissenschaft zur Theologie. Was unterscheidet aber nach Childs eine theologische Schriftauslegung von bloßer Religionsgeschichte? Während für eine religionsgeschichtliche Rekonstruktion die Qumrantexte genauso zu berücksichtigende Quellen sind wie die Königsbücher oder die Korintherbriefe, haben diese letzteren als kanonische Heilige Schriften für den Theologen einen anderen Status als die Qumranschriften. Während umgekehrt für den Religionsgeschichtler das Lukasevangelium als Geschichtsquelle erst taugt, wenn es in Markusstoff und Spruchquelle Q aufgedröselt worden ist, ist für den Theologen nicht die textliche Vorform Q, sondern das kanonisierte Lukasevangelium relevant. Die Auslegung der Bibel als kanonischer Heiliger Schrift, das ist – so Childs, der hier Norbert Lohfink (1964) folgt –, theologische Bibelwissenschaft statt bloßer Religionsgeschichte.[1]
Der Vorschlag Brevard S. Childs eines kanonorientierten Zugangs:
canonical approach
Durch Childs aber wurde das Stichwort „canonical approach“ zur heftig diskutierten Parole; eine Trendwende zeichnet sich vorsichtig in der Bibelexegese ab. Er gebraucht den Begriff „Kanon“ in zwei verschiedenen Bedeutungen: Einmal meint er mit Kanon die Liste der Bücher der Heiligen Schrift. Hier bedeutet „kanonisch“ also die Außenlinie, die Grenze zwischen heiligen drinnen und profanen draußen. Lukas ist drin, Qumran draußen. Dann aber bedeutet „kanonisch“, zweitens, auch „normativ“, „autoritativ“ (von „kanon“ = regula). Böhler macht darauf aufmerksam, dass die beiden Bedeutungen bei Childs nicht mit einander vermittelt werden.
„Kanon“ ist deswegen ein wichtiges Stichwort in der Debatte, weil der Kanon tatsächlich trennt zwischen dem religionsgeschichtlich interessanten Qumranmaterial und dem theologisch normativen Jeremiabuch, zwischen der christentumsgeschichtlich wichtigen Quelle Q und dem theologisch bindenden Lukasevangelium. Wer „kanonisch“ sagt, hat eben die bloß historisch-deskriptive Ebene verlassen und redet von Normativem. Normative Bibeltheologie, die nicht bloß deskriptive Religionsgeschichte ist, wird also tatsächlich mit dem Kanonbegriff arbeiten. Dazu muß aber das Schlagwort zum reflektierten Begriff werden, mit dem man arbeiten kann.[2]
2. Biblisch-theologische Interpretation
2.1. Die Frage nach der Bezeugung des Christusgeschehens
Für Söding, der sein Methoden-Konzept in der Tradition der historisch-kritischen Exegese (mit ihrem Herzstück Literarkritik samt Redaktionskritik) einordnet, sind historische Unbestechlichkeit und theologische Verantwortung sowie Inspiration keine Gegensätze. Es gehöre zur Kunst der Auslegung, sich Rechenschaft zu geben, und den je eigenen Beobachtungsstandpunkt des Interpreten, von dem her sich sein Blick auf den Text ergibt, in die wiss Reflexion mit einzubeziehen. Die Bibel, speziell das NT, wird zudem in Anspruch genommen, um eine kirchliche Institution, eine dogmatische Aussage, etc zu rechtfertigen – oder aber die Kritik daran.[3]
In der atl Exegese sei im Zuge der Kontextanalyse eine spezifische Form entwickelt worden: In der „kanonischen Exegese“ werden Texte auf der vorliegenden Ebene des Kanons interpretiert, selbst wenn der Zusammenhang erst vergleichsweise spät hergestellt worden ist. Dieser methodische Ansatz habe im NT geringe Bedeutung erlangt; denn dass Einzeltexte immer auch auf der Ebene des vorliegenden Buches exegisiert werden, wäre seit längerem methodischer Standard.[4] Die ntl Schriften werden dadurch zusammengehalten, dass sie Person u Wirken, Leiden, Tod u Auferstehung Jesu bezeugen. Zur theologischen Interpretation gehört daher auch die Sachfrage, welcher Stellenwert den verschiedenen Schriften im Kontext der ganzen Hl Schrift zukommt. Diese Aufgabe kann nicht allein mit den Mitteln der hist-krit Bibelforschung, aber auch nicht ohne sie erfült werden. Sie zielt auf eine biblisch-theologische Interpretation der Schriften, die nach der Bezeugung des Christusgeschehens fragt. Die ntl „Grundbotschaft“ liefert einen Maßstab, um die jeweiligen Grenzen der einzelnen Schrift im Bezug auf ihren theolog Anspruch einzuschätzen.[5]
2.2. Die Frage nach dem Stellenwert in der Hl Schrift
„Verstehst du auch, was du liest?“ (Apg 8,30)
Aufgabe der biblisch-theolog Interpretation ist, das so profilierte Zeugnis, das eine ntl Schrift vom Christusgeschehen gibt, im theolog Bezugssystem der ganzen Hl Schrift zu markieren. Neben Traditions- u Rezeptionsgeschichte geht die Kanongeschichte (B. S. Childs) dieser Frage nach. Zur ureigenen Botschaft der ntl Schriften dringt nur vor, wer in ihrem Christuszeugnis das Zeugnis des einen Gottes erkennt, der als der „Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs“ der Vater Jesu ist (Mk 12,26; Ex 3,6).[6]
3. Neue Biblische Theologie
Historische, literarische u bibeltheologische Funktion des Kanon
Die Konfrontation des biblischen Textes mit den Paradigmen „Geschichtlichkeit“ u „Kanonizität“ sind zwei Möglichkeiten, mit dem Text unzugehen. Das kanonische Paradigma geht von der Einheit des gesamten Bibeltextes aus (Perikope – Buch/Ev/Brief – Gesamtkanon). Wie soll mit dieser Pluralität umgegangen werden? Aus der Geschichte kann Gottes Wirken erkannt werden. Nach historischer Bearbeitung des Textes steigt die Frage auf, wie der Text wieder zurück in den Gebrauch durch die Glaubensgemeinschaft überführt werden kann. Oder, anders gefragt: Wie wird der Rezipient (bzw Religions- oder Literaturgeschichtler) wieder zum Theologen?[7] Gibt es eine Restitution „ihrer“ „säkularisierten“ Texte an die Gläubigen (im Sinne einer Interpretationsgemeinschaft Kirche)?
4. B. S. Childs’ „Theologie der einen Bibel“
4.1. „Biblical Theology of the Old and New Testament“
lautet der Haupttitel des Werkes von Brevard S. Childs (geb 1923) in der englischsprachigen Ausgabe von 1992 mit dem Anliegen, die theologische Einheit – des Kanons – der chrsitlichen Bibel darzustellen. In deutscher Übersetzung ist es unter dem Titel „Die Theologie der einen Bibel“ in zwei Bänden erschienen. Der Feststellung Childs folgend kann der ntl Gebrauch des AT nicht einfach mit dem Glaubenszeugnis des AT in Einklang gebracht werden. Nur die Teilnahme (Teilgabe) am neuen Sein, Jesus der Christus, verbürgt das Ereignis, auf dem der Glaube gegründet ist, und dem die Jünger Jesu begegneten.
Die ntl Autoren legen Zeugnis von den Evangelien als Offenbarung Gottes in Jesus Christus ab. Die christliche Bibel will als ein Glaubenszeugnis des einen Herrn Jesus Christus verstanden sein. Die beiden Medien der Offenbarung – Wort und Geist – soll erfahrbar werden. Es scheint mit der kanonischen Struktur vereinbar zu sein, das atl Glaubenszeugnis von Gottes Erlösungswillen im Kontext der Geschichte Israels zu beschreiben. Das AT legt vom Anfang der Schöpfung, der Berufung Abrahams, dem Auszug aus Ägypten, der Offb am Sinai, der Landnahme, der Gründung der Monarchie, der Zerstörung Jerusalems und von Exil u Restauration Zeugnis ab. Gott offenbart sich in Israels Geschichte. Es ist die Geschichte des Zusammentreffens Gottes mit Israel. Aufgabe Biblischer Theologie ist es, die theolog Funktionen der Offenbarungsereignisse zu beschrieben.[8]
Gerade in diesem Wiederentdecken der Tradition in den Horizont der Gegenwart liegt die Zukunft der Wiss u der Kirche. Im kath Raum findet Childs cannonical appoach u die die Durchdringung von Exegese u Dogmatik Anekennung durch die päpstliche Bibelkommission.[9] Die theolog Disziplinen sind elementar auf die Schriftauslegung zurück bezogen. Auch hist Theologie ist ist auf den Maßstab der Bibel angewiesen (Geschichte des Kanons wie patristische Schriftauslegung).[10] Aufgabe der Biblischen Theologie ist, den Graben zw Bibelwiss u Dogmatik zu überwinden.[11]
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[1] Dieter Böhler SJ, Catholica et apostolica - die Kirche in der Hl. Schrift, in: ThPh 77 (2002) 161-178; abrufbar unter: sankt-georgen.de/leseraum/boehler4.pdf (S 4f); vgl Lohfink, in: Stimmen der Zeit 174 (1964) 161-181; ders in: Studien zur biblischen Theologie, SBAB 16, Stuttgart 1993, 13-39.
[2] Dieter Böhler SJ, Catholica et apostolica - die Kirche in der Hl. Schrift, in: ThPh 77 (2002) 161-178; abrufbar unter: sankt-georgen.de/leseraum/boehler4.pdf (S 7).
[3] Vgl Thomas Söding, Wege der Schriftauslegung (Herder 1998) 124.
[4] Vgl Thomas Söding, Wege der Schriftauslegung (Herder 1998) 6, 224 u 228.
[5] Vgl Thomas Söding, Wege der Schriftauslegung (Herder 1998) 286-272.
[6] Vgl Thomas Söding, Wege der Schriftauslegung (Herder 1998) 272f.
[7] Ballhorn in Ballhorn/Steins (Hg), Der Bibelkanon in der Bibelauslegung (Kohlhammer 2007) 9, 17 u 19.
[8] Brevard S. Childs, Die Theologie der einen Bibel, übersetzt von Christiane Oeming, Bd I (1994) 105, 109, 115, 118 u 120.
[9] Manfred Oeming im Vorwort zu Brevard S. Childs, Die Theologie der einen Bibel, übersetzt von Christiane u Manfred Oeming, Bd II (1996) 9f.
[10] Thomas Söding, Wege der Schriftauslegung (Herder 1998) 133f.
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Thema des Textes „Einleitung: Methodendiskussion – Viel Lärm um nichts?“?
Der Text behandelt die methodische Diskussion in der Biblischen Theologie, insbesondere die Frage nach der Relevanz verschiedener Ansätze wie der historisch-kritischen Methode und des kanonischen Ansatzes.
Was ist Biblische Theologie nach Johann Philipp Gabler?
Biblische Theologie wurde durch Johann Philipp Gabler zu einer historisch-deskriptiven Disziplin, die ihren Stoff chronologisch ordnen musste, um als Wissenschaft zu gelten. Dies führte dazu, dass Biblische Theologie zur Religionsgeschichte und Exegese zur Rekonstruktion der Textgenese wurde.
Was ist der "canonical approach" nach Brevard S. Childs?
Der "canonical approach" ist ein von Brevard S. Childs vorgeschlagener Ansatz, der die Rückkehr der Bibelwissenschaft zur Theologie fordert. Er betont die Bedeutung der Auslegung der Bibel als kanonischer Heiliger Schrift und unterscheidet dies von bloßer Religionsgeschichte.
Was bedeutet "Kanon" in der Debatte um Biblische Theologie?
"Kanon" hat zwei Bedeutungen: Erstens die Liste der Bücher der Heiligen Schrift und zweitens "normativ" oder "autoritativ". Der Kanon trennt zwischen religionsgeschichtlich interessantem Material (z.B. Qumran) und theologisch normativem Material (z.B. Jeremiabuch).
Wie sieht Thomas Söding die Beziehung zwischen historisch-kritischer Exegese und theologischer Verantwortung?
Thomas Söding sieht historische Unbestechlichkeit, theologische Verantwortung und Inspiration nicht als Gegensätze. Er betont die Bedeutung der Reflexion des eigenen Beobachtungsstandpunkts des Interpreten.
Was ist die Aufgabe der biblisch-theologischen Interpretation laut dem Text?
Die Aufgabe ist, das Zeugnis, das eine neutestamentliche Schrift vom Christusgeschehen gibt, im theologischen Bezugssystem der gesamten Heiligen Schrift zu markieren.
Was ist "Neue Biblische Theologie"?
Die "Neue Biblische Theologie" konfrontiert den biblischen Text mit den Paradigmen "Geschichtlichkeit" und "Kanonizität". Sie fragt, wie der Text wieder in den Gebrauch durch die Glaubensgemeinschaft überführt werden kann und wie der Rezipient wieder zum Theologen wird.
Was ist das Hauptanliegen von Brevard S. Childs' Werk "Die Theologie der einen Bibel"?
Das Hauptanliegen ist die Darstellung der theologischen Einheit des Kanons der christlichen Bibel. Childs betont, dass der neutestamentliche Gebrauch des Alten Testaments nicht einfach mit dem Glaubenszeugnis des Alten Testaments in Einklang gebracht werden kann.
Welche Rolle spielt die Tradition laut Brevard S. Childs?
Das Wiederentdecken der Tradition im Horizont der Gegenwart liegt die Zukunft der Wissenschaft und der Kirche. Im katholischen Raum findet Childs' "canonical approach" und die Durchdringung von Exegese und Dogmatik Anerkennung durch die päpstliche Bibelkommission.
Was ist die Aufgabe der Biblischen Theologie laut dem Text?
Die Aufgabe der Biblischen Theologie ist es, den Graben zwischen Bibelwissenschaft und Dogmatik zu überwinden.
- Quote paper
- Hermann Spatt (Author), 2012, Kanonische Schriftauslegung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197122