Im Nachhinein ist man immer klüger. Wie sensibel Deutschland in kultureller Hinsicht ist und wie sehr der Sport als Barometer für diese Sensibilität fungiert, lässt sich an dem oben wiedergegebenen Bericht von gmx.de vom 2. Juli 2012 über die Echauffierung der politischen Klasse in Bezug auf das Verhältnis verschiedener Spieler der deutschen Fußball Nationalmannschaft zur Nationalhymne entnehmen.
Teil 1 Wechselwirkungen von Kultur, Politik und Sport
, „Unions-Politiker fordern nach EM-Aus Hymnen-Pflicht für Nationalspieler
Berlin - Nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-EM ist in Politik und Sport eine Debatte über die Hymnen-Verweigerung etlicher Fußballnationalspieler entbrannt.
Fußball-Legende Franz Beckenbauer sagte der "Bild"-Zeitung (Montagausgabe): "Die Begeisterung muss vor dem Anpfiff schon einsetzen – und dabei hilft gemeinsames, lautes Singen. Bei der Hymne vor meinem ersten Spiel als DFB-Teamchef 1984 kauten unsere Spieler Kaugummi oder guckten in die Luft. Die Argentinier dagegen sangen aus vollem Herzen – und gewannen 3:1. Da habe den Text unserer Hymne an die Spieler verteilen lassen und die Singpflicht eingeführt. So wurden wir 1990 Weltmeister."
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte dem Blatt: "Es sollte zum guten Ton gehören, dass die Spieler die Hymne mitsingen. Sie spielen schließlich für die deutsche Nationalmannschaft und nicht für sich selbst! Peinlich genug, dass wir darüber diskutieren müssen, eigentlich müssten die Spieler von selbst darauf kommen!"
Formularende
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU): "Es ist eine Ehre, für sein Land zu spielen. Daher sollte es für jeden Nationalspieler selbstverständlich sein, die Hymne mitzusingen – weil sie Botschafter unseres Landes sind!"
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU): "Zum Länderspiel und zur Nationalmannschaft gehört die Nationalhymne. Wer dazu keine Lust hat, sollte in seinem Verein bleiben." Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU): "Ich habe mich schon sehr geärgert, dass nicht alle Spieler unsere Hymne mitgesungen haben. Wer für Deutschland spielt, sollte das Deutschlandlied singen können. Hier kann das Team von anderen Nationen lernen."
Innenexperte Hans-Peter Uhl (CSU): "Es ist geradezu beschämend, dass nicht alle Spieler unsere Hymne mitsingen. Wer in der Nationalmannschaft spielt, muss die Nationalhymne singen, egal ob er einen Migrationshintergrund hat oder nicht."
Aber es gibt auch Stimmen, die es den Fußballspielern weiterhin freistellen wollen, ob sie das Deutschlandlind vor einem Länderspiel singen oder nicht. Ex-Turnweltmeister Eberhard Gienger (MdB CDU) sagte der "Bild"-Zeitung: "Ob ein Nationalspieler die Hymne mitsingt oder nicht, muss er selbst entscheiden." Grünen-Chef Cem Özdemir sagte dem Blatt: "Ich singe die Nationalhymne mit – andere nicht. Das Schöne an unserem Land ist: Das darf jede und jeder für sich selbst entscheiden. Es gibt ja schließlich keine Mitsingpflicht! Die entscheidendere Frage ist für mich aber: Wie holen wir endlich auch mal wieder den Titel? Das treibt mich mehr um, als die Frage, wer singt und wer nicht."
Quelle: www.gmx.de 2.07.12
Im Nachhinein ist man immer klüger. Wie sensibel Deutschland in kultureller Hinsicht ist und wie sehr der Sport als Barometer für diese Sensibilität fungiert, lässt sich an dem oben wiedergegebenen Bericht von gmx.de vom 2. Juli 2012 über die Echauffierung der politischen Klasse in Bezug auf das Verhältnis verschiedener Spieler der deutschen Fußball Nationalmannschaft zur Nationalhymne entnehmen.
Es gibt viele ex-post Schuldzuweisungen für das deutsche Abschneiden bei der UEFA EURO 2012 in Polen und der Ukraine: Franz Beckenbauer weist den Bayernspielern Schuld zu, weil sie das Champions League Debakel sowie auch die, laut M. Gomez, vier maßgeblichen Niederlagen der Saison noch nicht verwunden hätten. Andere Beobachter reden von einem Gender Problem im Deutschen Fußball und dass Sportler an sportlich irrelevanten Maßstäben gemessen und vermarktet werden, was ein gefundenes Fressen für den Macho-Stil mediterraner Fußballkulturen sei, die dann ein leichtes Spiel mit solchen Dekadenzerscheinungen im vormals männlicher geprägten deutschen Fußball hätten. Ebenso konnte man von einem Team-internen Konflikt zwischen zwei Third Culture Kids oder Drittkultur-Deutschen, i. e. Özil und Gomez als ursächlich für Leistungsprobleme im Team hören. Hier befindet man sich jedoch möglicherweise bereits im kulturellen Bereich, der uns hier interessieren soll, da diese Drittkulturakteure spanischer und türkischer Provenienz sind. Die Antwort auf die Frage, inwieweit diese Mesentente jedoch persönlicher oder kultureller Natur ist, erfordert eine eingehendere Analyse.
Es ist richtig, das Verhalten der TCKs (third culture kids, hier Drittkultur Akteure) im deutschen Fußball, insbesondere auf nationaler Ebene nicht zu ignorieren, aber es ist auch wichtig, es richtig zu interpretieren. Dies ist aber nur schwer möglich, wenn man es ausschließlich mit nationalkulturellen Wahrnehmungsfiltern tut. Es erfordert vielmehr ausgeprägte eigen- und fremdkulturelle Bewusstheit und die Fähigkeit der Interpretation eines Verhaltens von verschiedenen kulturellen Blickwinkeln. Dieser Perspektivenwechsel kann etwas über die das Verhalten bedingenden Werte aussagen. Es sind eben die vermeintlichen, das Verhalten bedingenden Werte, die in diesem Verhalten zum Ausdruck kommen, was die Kritiker anmahnen.
Generell kann man davon ausgehen, das sich die gesellschaftskulturellen Gesamtverhältnisse gewissermaßen fraktal in den diversen organisationalen und institutionellen Bereichen der Nationalkultur replizieren und widerspiegeln. Den Politikern, die sich über den Nichtrespekt der Nationalhymne echauffieren, entgeht dieser grundsätzliche kulturelle Sachverhalt, denn er ist aufgrund des Replizierungsprozesses prognostizierbar und sollte für Politiker keine echauffierungswürdige Überraschung sein. Die Tendenz zur kulturellen Entsolidarisierung bei gleichzeitiger materieller Solidarisierung von Migranten mit größerer kultureller Distanz hierzulande ist ein grundsätzliches intrakulturelles Problem, das sich fraktal in den diversen Bereichen der Gesellschaft, in Organisationen und Institutionen und nicht zuletzt auch im Sport wiederspiegelt.
Zunächst gilt es aber zu nuancieren, dass dieses Verhalten in Bezug auf das Abschneiden des Nationalteams nicht so einfach zu deuten ist, wie mancher es vordergründig nahelegt.
Es kann einerseits auf mangelnde Identifikation mit der Gastlandkultur und eine Beeinträchtigung der Motivation und des Esprit de corps oder Korpsgeistes hinweisen, andererseits kann man aber auch behaupten, dass der nicht Deutschstämmige eine besondere Leistung erbringen will und muss, um sein akquiriertes Deutschtum unter Beweis zu stellen und sich als Deutscher zu legitimeren. Außerdem kann das optimale Abrufen der Leistung aus der nach wie vor fremdkulturellen Physiologie das Schweigen erforderlich machen. Aufgrund kultureller diverser geistig-körperlicher Schemata kann die Rekonziliation diverser ethnisch-kultureller Profile eher in dem das Verbale transzendierenden Schweigen vollzogen werden. Das Verbale ist differenzierend, das Schweigen integrativ, sofern nicht die Ablehnung mitschwingt. Und das wörtliche Verständnis des "Deutschland über alles" würde auch eine Relativierung der fremdkulturellen Grundstruktur bedeuten, jener fundamentalen ethnisch-kulturellen Konstitution, aus der eventuell Spitzenleistung entstehen kann. Man sollte dieses Verhalten also nicht oberflächlich bewerten, sondern erkennen, verstehen, anerkennen, es aussöhnen und gegebenenfalls - sofern es keine Negation ist - in ein emergentes komplexeres Kulturverständnis integrieren, statt es einseitig zu politisieren und aus dem Mangel an kulturellem Tiefenverständnis ein Scheinproblem daraus zu machen.
- Natürlich ist kulturelle Identifikation ein Schlüssel für Spitzenleistung. Das relativ kleine und relativ rückständige Nordvietnam hat über diese Dimension die Großmacht Nordamerika im Vietnamkrieg besiegt und das ebenso kleine Israel in ähnlicher Weise mehrere Kriege gegen seine arabischen Nachbarn gewonnen. -
Schließlich sind die expatriierten Spieler, die heutzutage maßgebliche Leistungsträger in den Top Clubs wie Real, Manu und Bayern, etc. sind, auch allein aufgrund ihrer funktionellen Berufskultur, gewissermaßen als zeitlich befristet angeheuerte Legionäre, ohne tieferen Bezug zur Nationalkultur in höchstem Grad erfolgreich, sodass Vereine für deren, den Erfolg dieser Vereine garantierenden Transfers, unbegrenzte Investitionen zu machen bereit sind und dies, in der Regel, mit Erfolg.
Die Gleichsetzung von nationalkulturell korrektem Verhalten mit der Leistung wird aufgrund der großen Bedeutung der funktionellen Berufskultur der Spitzenspieler nicht unbedingt bestätigt, sondern eher relativiert. Man sollte eher in Kategorien der kulturellen Synergie statt der Exklusion, der Schwierigkeit der Integration diverser kultureller Profile in Bezug zur Spitzenleistung denken. Es erfordert eine Kenntnis des ganzheitlichen, kulturell diversen Menschen und dessen vernetzte psychophysiologischen Prozesse.
Das Management der Kulturvariablen im globalen multikulturellen Fußball, der eine fraktale Replikation der Zivilgesellschaft ist, erfordert Kulturkompetenz seitens der Vereins- und Nationalteammanager. Dies läutet dann eine neue Ära des globalen Fußballgeschäfts ein und wer es erkennt und die Kulturvariable nicht missmanagt, sondern die kulturelle Diversität als strategisches Erfolgskapital der Mannschaft zu nutzen weiß, hat Aussichten auf Erfolg im globalen Sportumfeld. Es erhebt sich also die Frage nach dem adäquaten und angemessenen Management der Kulturvariablen anstelle ihres Missmanagements, ihrer Ignorierung oder Minimisierung und oberflächlicher Voreingenommenheiten, Schuldzuweisungen und kulturanalytisch nicht haltbaren, obschon nachvollziehbarer Sensibilitäten.
Von übergeordneter Bedeutung ist eine andere grundsätzliche, kulturelle Frage, die sowohl die nationalkulturellen als auch Drittkulturakteure betrifft:
Der Vater der Strategie, der chinesische General und Kriegstheoretiker Sun Tzu hat eine Theorie begründet, die bis in unsere Zeit in China und Asien respektiert wird und auf die sich Mao gleichermaßen bezogen hat. Aufgrund ihrer Überzeitlichkeit verdient sie hier zu Klärung mitherangezogen zu werden. Nachfolgend einige Prinzipien dieses jahrtausendealten strategischen Denkens:
1. Wichtig ist, dass in dieser Annahme der Kampf bereits vor dem Beginn der Kampfhandlungen entschieden ist.
2. Sieg resultiert aus dem mehrdimensionalen Zusammenspiel materieller, immaterieller und kontextueller Faktoren.
3. Strategisch ist der Sieg nicht durch die Addition der militärischen Potentiale und Arsenale bedingt, sondern durch die Summe der wirtschaftlichen und politischen Faktoren.
4. Nicht die Vernichtung des Gegnes, sondern seine Paralysierung soll im Vordergrund stehen.
5. Die Verteidigung ist der Garant der Unbesiegbarkeit. Und eine siegreiche Armee ist dies bereits vor dem Kampf.
Überträgt man diese militärstrategischen Prinzipien unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit in der Natur der beiden Bereiche sorgsam auf die Fußballstrategie, so heißt dies, dass das Match bereits vor dem Anpfiff entscheiden ist und zwar aufgrund der komplexen Wechselwirkungen, geistig-physisch-kontextueller Faktoren, die in ihrer Gesamtheit die Waagschalen des Konfliktes kippen können.
Es ist also richtig, die Attitüde zur Nationalhymne unter dem ganzheitlichen strategischen Blickwinkel als eine erfolgsrelevante Variable im Vorfeld des Matches, in dem die Würfel über den Ausgang bereits fallen, unter dem Blickwinkel der Begründers der Strategie, als potenzielle Sieg oder Niederlage bedingende Faktoren richtig einzuordnen. Die negative oder die positiver strategische Bewertung des Verhaltensmusters ist in den dieses bedingenden Werten zu suchen. Die monokausale negative Wertung der mangelnden kulturellen Identifikation kann auch als zusätzliche optimierende Leistungsvariable im Lichte einer vertieften Kulturerkenntnis interpretiert werden. Auch eine zu anwaßende und großsprecherische Einstellung und die dadurch bedingte Unterschätzung des Gegners unterminiert das den Sieg bedingende Vorfeldszenario des Defensiven, in dem laut Sun Tzu der Sieg besteht.
Wichtiger als die unreflektierte monokausale Zuordnung des verhaltenes der TCK Akteure ist also die grundsätzliche Erkenntnis, dass die Summe aller Variablen, deren es sehr viele gibt, in ihrer Interdependenz im Vorfeld bereits den Sieg oder die Niederlage einläuten. Wichtig ist auch der Kontext des strategisch relevanten Gesamtumfeldes, das in innen-gesteuerten, westlicheren Beherrschungskulturen dominiert im Gegensatz zu östlichen etwas zu kurz. Im oben angeführten Beispiel Vietnams hat dieses Land in bereits im Indochinakrieg die Kolonialmacht unter Zuhilfenahme der natürlichen Umwelt besiegt. Das ist die Strategie Sun Tzus. Der Kontext, im Fußball ist mehrfaktoriert: Jeder kennt das Publikum als den zwölften Mann. Und hier dürfen wir die Kultur, die gleich einer unsichtbaren Hand Strukturen und Prozesse bedingt, hinzufügen.
Die Dinge wiederholen sich aufgrund der zeitresistenten kulturellen Programme zyklisch. Ebenso, wie die Wehrmacht im dritten Reich in jenen Breiten Osteuropas von Sieg zu Sieg geeilt ist, um schließlich in Stalingrad aufgerieben zu werden, sind unsere Jungs, wie Ihre Peers vor drei Generationen zunächst – von vielen für unbesiegbar erklärt („wir können jeden Gegner schlagen“) – von Sieg zu Sieg geeilt, bis sie der kulturelle Determinismus ebenso eines besseren belehrte. Die Strategen des dritten Reiches hatten Variablen der physischen und psychologischen Kultur des Terrains nicht bedacht und wurden von diesen nicht berücksichtigten Kontextvariablen besiegt, die bereits a priori existierten (z.B. der russische Winter der Mann und Maus und Kriegsgerät paralysierte). Wie in der These Sun Tzus, war der Krieg durch die Paralysierung des Gegners im Kessel von Stalingrad erreicht, die Vernichtung kam dann noch hinzu.
Obschon eine Entkopplung von Politik, Militär und Sport und somit der Entpolitisierung und Deeskalierung angemessen sind, gilt es aber gewisse Parallelen zu erkennen. Unser Nationalteam hat offenbar auch gewisse Kontextvariablen ignoriert und war diesen dann nur bedingt gewachsen. Die Analyse ist die Aufgabe der dazu berufenen Professionals. Die Parallelität der Prozesse gibt aber zu denken. Ebenso die Relevanz des den Sieg oder die Niederlage bedingenden Gesamtterrains des Vorfelds der Begegnungen sportlicher oder militärstrategischer Art. Die grundsätzlichen strategischen Prinzipien sind ihr gemeinsamer Nenner. Die Nationalhymne ist nur eine strategisch nicht oberflächlich zuzuordnende Variable der Summe der wechselwirkenden Vorfeldbedingungen, die ursächlich für Sieg und Niederlage sind; zumindest in der Optik des Vaters der Strategie Sun Tzu (Es gibt verschiedene Schreibweisen davon.)
Die Erörterung weiterer fußballstrategisch/taktisch/stilistisch, kultureller Aspekte des Fußballs erfolgt insbesondere im letzten Punkt des nachfolgenden Teils 2.
Teil 2 Die internationale Fußballkultur
Diese Studie betrachtet Fußball unter wirtschaftlichem, sozialem und strategisch-taktischem Gesichtspunkt. Fußball als globales Management Phänomen wird in einen globalen interkulturellen Managementrahmen eingebettet.
Fußball unter wirtschaftlichem/politischen Blickwinkel
Der Fußball hat sich im Zuge der Globalisierung weit von seiner ursprünglichen Intention und Zweck einer sozial vernünftig, verträglich und förderlichen geistig und körperlich erbaulichen Freizeitgestaltung hin zu global operierenden Konzernen entwickelt, die in transnationalen Organisationen wie UEFA und Fifa supranational zusammengefasst sind, um ihre globalen Wirtschafts-, Finanz- und kollektiven ethnischen-kulturellen Identifikationsbedürfnisse und Bestrebungen zu fördern.
Clubs und ihre Humanressourcen (Spieler, Trainer und Manager…) werden gleich kostbaren Ressourcen weltweit gesucht und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit - begleitet von gigantischen Transfers von Oligarchen und Milliardären - als strategische Investition erworben. In dieser Hinsicht kommen die Spitzenvereine metanationalen und transnationalen Organisationen, ja sogar kleinen Staaten, mit ihren vielfach noch parochial-ethnozentrischen und nationalistischen wirtschaftlichen Interessen gleich. Der strategische Wettbewerbsvorteil besteht in der weltweiten Prospektion innovativer Ressourcen (Talente) und der Geschwindigkeit mit der sie monetarisiert werden können. Das altrömische Panem et Ludos zur Befriedung und Inschachhaltung der Massen hat sich um die nationalkulturelle und eine finanz- und konkurrenzintensive Logik global operierender Konzerne oder Top-Clubs erweitert und dementsprechende Politisierungszüge angenommen, die auf eine Erweiterung des Diktums
Die Politik ist die Fortführung des Krieges mit anderen Mittel
um die zeitgenössische Vollendung dieses Diktums durch
Der Fußball ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
schließen lassen. Soviel lässt sich den derzeitigen nationalkulturellen Reaktionen der diversen teilnehmenden Gesellschaftskulturen an der EURO entnehmen. Die nationale Wirtschaftspolitik im Kontext der EU wird auf die Ebene der EURO im Sinne der Europameisterschaft übertragen. „Bringt uns Merkel!“ hallt es vor dem Spiel Deutschland-Griechenland diesen Freitag im Juni von den Medien Südosteuropas herüber. Bringt uns Merkel, damit wir uns für die Aufoktroyierung harter Sparmaßnahmen rächen können. Es erinnerte mich sofort an die Geschichte des Herodes, der seiner Tochter dermaßen zugeneigt war, dass er ihr jeden Wunsch zu erfüllen versprach. Und diese verlangte, nach Absprache mit ihrer Mutter, den Kopf Johannes’ des Täufers, den ihr ihr Vater auf der Grundlage seines Versprechen – auf einem Tablett – darbieten ließ. Dies ist eine biblische, mutmaßlich reale historische Begebenheit, die gewissermaßen metaphorisch im Eurokontext, 2000 Jahre später, inszeniert wird. Sie wollen jene Person und Nation auf der sportlichen Ebene kompensatorisch für die vermeintliche politische und soziökonomische Demütigung in Zusammenhang mit der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik erniedrigen und den sportlichen Sieg über die Protagonisten dieser Politik gewissermaßen als Trophäe auf einem ins Pseudosportliche verlagerten Schlachtfeld als Genugtuung für erlittene Schmach und zum Zweck der Heimzahlung derselben und der Rache dafür haben. Aus Portugal hörte man vor einigen Tagen dieselben Töne mit dem Tenor einer Revanche in der Sportsarena für als solche wahrgenommene Niederlagen in der Arena der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Rettung des EURO. Was die Einstellung der strategischen Akteure anbelangt, so fällt auf, das die Spitzenvereine bereits, gleich transnationalen Unternehmen, polyzentrische (auslandsorientierte) Einstellungen, ja sogar geozentrische (weltorientierte) Einstellungen, im Zuge des globalen Wettbewerbs erworben haben, während der nationalkulturelle Kontext, in dem sie operieren, immer noch ethnozentrisch (inlandsorientiert) denkt. Aus diesem Antagonismus der aus den widersprüchlichen und unvereinbaren Einstellungen der maßgeblichen Akteure entsteht, resultiert ein Kulturkonflikt, der beispielsweise das Phänomen der Ersatzschlachtfelder erzeugt. Die Professionellen des Sports bedienen zwar immer noch ethnozentrische Interessen, haben sich aber markt- und wettbewerbsbedingt längst in die polyzentrische und geozentrische Phase weiterentwickelt.
[...]
- Arbeit zitieren
- D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2012, Sport, Kultur, Politik und Management - Eine EURO Nachlese, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196840