Der Begriff der Gerechtigkeit wird zurzeit beinahe inflationär gebraucht. Wenn wir von Gerechtigkeit sprechen, so geht es dabei meist um die soziale Gerechtigkeit. Der Mensch als Individuum oder auch im Kollektiv, vergleicht sich oder die Gemeinschaft in der er steht, mit einem anderen, nach seiner Meinung besser gestellten, Gegenüber. Der Mensch setzt seine Umstände in Relation zu anderen Umständen, welche aus seiner Sicht ein besseres Leben versprechen, und fordert eine Angleichung, er fordert Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit in der Justiz fordert eine angemessene Verbüssung für den Delinquenten nach begangener Tat. Auch hier wird ein Ausgleich gefordert, in Form von Strafe und Verbüssung. Der Theologe Rolf Baumann meint treffend: „Wir neigen heute mehr oder weniger instinktiv dazu, dem Substantiv ‚Gerechtigkeit‘ eine besondere
Nähe zur Welt des Rechts und der Politik zuzuerkennen.“
Der Begriff der Gerechtigkeit trägt also einen bestimmten Inhalt mit sich, welcher sich durch die Medien und den täglichen Gebrauch des Wortes formt. Wenn nun der Mensch, welcher über Gott nachdenkt, diesen Begriff auf Gott abstrahiert, wird er zwangsläufig zu gewissen
Schlussfolgerungen kommen, wie denn Gott als gerechter Gott zu sein und was er zu tun habe, wenn er denn dem Gerechtigkeitsanspruch des Menschen Genüge tun will. Ein gerechter Gott will doch, dass es allen Menschen, notabene auf hohem Niveau, gut geht. Wenn nun aber der Mensch seine menschlichen Vorstellungen unverändert auf Gott überträgt, so zeigt er damit eine beschränkte Gottesvorstellung.
Gott wäre dann sozusagen gefangen im menschlichen Paradigma und könnte darüber hinaus nicht handeln. Daher ist es unerlässlich, sich immer wieder mit Gottes Eigenschaften auseinanderzusetzen.
Denn wie kann sich der Glaube an Gott entfalten, wenn man das Objekt des Glaubens gar nicht richtig kennt? Karl Barth hat in seiner „Kirchlichen Dogmatik“ (im Folgenden: KD) eine ausführliche
Eigenschaftenlehre entwickelt, auf welche im Folgenden eingegangen werden soll. Dabei wird insbesondere auf die Gerechtigkeit als Eigenschaft Gottes Bezug genommen. Schliesslich soll von daher auch in aller Kürze daran angeknüpft werden, wie sich Barths Verständnis von Gottes Eigenschaften auf seine Erwählungslehre auswirkt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Die Gotteslehre bei Karl Barth
- 2.1 Die Gotteslehre bei Barth im Allgemeinen
- 2.2 Die Eigenschaften Gottes im Besonderen
- 2.2.1 Die Vollkommenheiten des göttlichen Liebens
- 3 Gottes Barmherzigkeit als eine von Gottes „Vollkommenheiten“
- 4 Die Gerechtigkeit Gottes als eine weitere „Vollkommenheit“
- 4.1 Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in Gottes Wesen vereint
- 4.2 Gottes Gerechtigkeit offenbart sich auf Golgatha
- 4.3 Gottes Gerechtigkeit und der Ungehorsam des Menschen
- 5 Summarium zur Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes nach Barth
- 5.1 Errettung des Menschen
- 5.2 Das Verhältnis von Gerechtigkeit, Gnade und Apokatastasis
- 6 Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Karl Barths Verständnis von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in seiner „Kirchlichen Dogmatik“. Ziel ist es, Barths Gotteslehre kritisch zu beleuchten und insbesondere seine Konzeption von Gottes Eigenschaften im Kontext seiner Erwählungslehre zu analysieren. Die Arbeit vermeidet eine umfassende Darstellung, konzentriert sich aber auf die zentralen Aspekte.
- Barths dialektische Theologie und ihre Auswirkungen auf das Verständnis von Gottes Eigenschaften
- Die Rolle von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit im Wesen Gottes nach Barth
- Die Beziehung zwischen Gottes Gerechtigkeit und dem menschlichen Ungehorsam
- Die Implikationen von Barths Gotteslehre für die Errettung des Menschen
- Der Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit, Gnade und Apokatastasis bei Barth
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einleitung: Die Einleitung beleuchtet den inflationären Gebrauch des Begriffs „Gerechtigkeit“ in der heutigen Gesellschaft, besonders im Kontext sozialer und juristischer Gerechtigkeit. Sie kritisiert die Tendenz, menschliche Vorstellungen von Gerechtigkeit unreflektiert auf Gott zu übertragen, was zu einer reduzierten Gottesvorstellung führt. Der Autor hebt die Notwendigkeit hervor, sich intensiv mit Gottes Eigenschaften auseinanderzusetzen und verweist auf Karl Barths „Kirchliche Dogmatik“ als Grundlage für die folgende Untersuchung. Die Arbeit fokussiert auf Barths Verständnis von Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und deren Auswirkungen auf seine Erwählungslehre.
2 Die Gotteslehre bei Karl Barth: Dieses Kapitel beschreibt Barths Widerstand gegen die Verwendung menschlicher Begriffe zur Beschreibung Gottes, verweisend auf 2. Mose 3,14. Es erläutert Barths dialektische Theologie und sein Bestreben, Gott nicht als Gegenstand menschlichen Vernunftdenkens zu reduzieren. Barth betont, dass Gott nur durch Gottes Wort in Jesus Christus und die Wirkungsweise des Heiligen Geistes erkannt werden kann. Gotteserkenntnis wird als Glaubenserkenntnis definiert, die auf einer Beziehung zwischen Gott und Mensch beruht. Das Kapitel hebt Barths vorsichtiges, aber zugleich bestimmtes Herantasten an das Verständnis von Gottes Wesen hervor.
Schlüsselwörter
Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Gotteslehre, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Erwählungslehre, dialektische Theologie, Gotteserkenntnis, Glaube, Apokatastasis, Gnade.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Karl Barths Verständnis von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Karl Barths Verständnis von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, insbesondere im Kontext seiner „Kirchlichen Dogmatik“. Der Fokus liegt auf der kritischen Beleuchtung von Barths Gotteslehre und der Analyse seiner Konzeption göttlicher Eigenschaften im Rahmen seiner Erwählungslehre.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt Barths dialektische Theologie und deren Auswirkungen auf das Verständnis göttlicher Attribute. Sie untersucht die Rolle von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit im Wesen Gottes nach Barth, die Beziehung zwischen Gottes Gerechtigkeit und menschlichem Ungehorsam, die Implikationen von Barths Gotteslehre für die Errettung des Menschen und den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit, Gnade und Apokatastasis bei Barth.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in mehrere Kapitel: eine Einleitung, die Barths Gotteslehre im Allgemeinen beschreibt, ein Kapitel über Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit als „Vollkommenheiten“, ein Fazit und eine Zusammenfassung der zentralen Argumente. Jedes Kapitel behandelt spezifische Aspekte von Barths Theologie.
Was ist Barths Ansatz zur Gotteslehre?
Barth lehnt es ab, menschliche Begriffe unreflektiert auf Gott zu übertragen. Er betont die dialektische Theologie und die Erkenntnis Gottes nur durch Gottes Wort in Jesus Christus und den Heiligen Geist. Gotteserkenntnis wird als Glaubenserkenntnis verstanden, die auf einer Beziehung zwischen Gott und Mensch beruht.
Welche Rolle spielen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in Barths Theologie?
Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind für Barth zentrale „Vollkommenheiten“ Gottes. Die Arbeit untersucht, wie diese Eigenschaften in Barths Denken miteinander verbunden sind und wie sie sich auf seine Vorstellung von der Errettung des Menschen auswirken. Die Beziehung zwischen Gottes Gerechtigkeit und dem menschlichen Ungehorsam wird ebenfalls analysiert.
Was ist die Bedeutung der Apokatastasis in diesem Kontext?
Die Arbeit untersucht den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit, Gnade und Apokatastasis (Wiederherstellung) in Barths Theologie. Die genaue Bedeutung dieses Begriffs im Kontext von Barths Denken wird beleuchtet.
Welche Schlüsselwörter sind relevant?
Schlüsselwörter sind: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Gotteslehre, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Erwählungslehre, dialektische Theologie, Gotteserkenntnis, Glaube, Apokatastasis, Gnade.
Wie wird die Einleitung die Arbeit einleiten?
Die Einleitung kritisiert den inflationären Gebrauch von „Gerechtigkeit“ in der heutigen Gesellschaft und die Tendenz, menschliche Vorstellungen von Gerechtigkeit unreflektiert auf Gott zu übertragen. Sie begründet die Notwendigkeit einer intensiven Auseinandersetzung mit Gottes Eigenschaften und nennt Barths „Kirchliche Dogmatik“ als Grundlage der Untersuchung.
Welche Schlussfolgerungen zieht die Arbeit?
Das Fazit fasst die zentralen Ergebnisse der Analyse von Barths Verständnis von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zusammen. Es wird die Bedeutung dieser Erkenntnisse für das theologische Verständnis und die aktuelle Debatte um Gerechtigkeit beleuchtet.
- Quote paper
- David Jäggi (Author), 2011, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes in der Kirchlichen Dogmatik von Karl Barth, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196449