Die Frage, ob man der Obrigkeit uneingeschränkt zu gehorchen hat oder ihr unter bestimmten Bedingungen den Gehorsam verweigern kann oder es gar Situationen gibt, in denen man sich gegen sie aktiv zur Wehr setzen muss, ist schon für die Reformatoren und ihre Zeitgenossen von elementarer Bedeutung. Jedoch gab es außer dem althergebrachten Recht und einigen philosophischen Lösungsvorschlägen seinerzeit keine Möglichkeit der Orientierung. Daher galt es, Lösungsansätze zu entwickeln, denn ein schlichter Verzicht auf Widerstand würde die Reformation womöglich im Keim ersticken, da Dekrete oder Inhaftierungen konkrete Maßnahmen zur praktischen Umsetzung reformatorischer Ansätze verhindern konnten.
Es darf aber auch nicht übersehen werden, welche Bedeutung dem Widerstandsrecht bis in die Gegenwart zukommt. Der „Kirchenkampf“ ist sicherlich die prominenteste Phase der neueren Geschichte, in der diese Frage zu bedenken war. Darüber hinaus ist das Thema nach wie vor aktuell: Handelt es sich bei der Verweigerung des Wehrdienstes aus religiösen Motiven nicht letztendlich auch um eine Art des Widerstandes gegen die Obrigkeit? Müssen politische Beschlüsse befolgt werden, nur weil die parlamentarische Mehrheit sie für richtig hält – oder darf man sich aus Gewissensgründen weigern, an ihrer Durchführung mitzuwirken? Als ich diese Arbeit verfasste, wies mich etwa die Diskussion um den Einmarsch nach Afghanistan und die Beteiligung der Bundeswehr auf die Relevanz dieser Fragen. Wie weit reichen die Pflichten der Untertanen gegenüber der Obrigkeit, wie steht es mit den Pflichten gegenüber dem Gewissen oder gar gegenüber Gott?
Bei Johannes Calvin handelt es sich um den prominentesten Vertreter der zweiten Reformatorengeneration. Der Calvinismus erfreut sich auch heutzutage noch einer weiten Verbreitung. Aus diesem Grunde ist es wichtig, in Debatten um die Widerstandsfrage auch die Lehre des Genfer Reformators einzubringen.
Da das Thema Widerstandsrecht zur Staatsvorstellung gehört und in der Praxis erst dann zur Anwendung kommt, wenn Staat und Herrscher nicht mehr dem in der Theorie gezeichneten Idealbild entsprechen, ist es erforderlich, sich auch mit den dem Widerstandsrecht zugrundeliegenden Staatsrechtsvorstellungen auseinander zu setzen. Diese Arbeit soll daher mit einem Abriss über Calvins Vorstellungen vom Staat beginnen. Ist dem Leser so Calvins Verständnis von Staat und Herrschaft vor Augen, folgt der Hauptteil, der sich mit dem Widerstandsrecht befasst.
1 Einleitung
1.1 Fragestellung und Aufbau der Arbeit
Die Frage, ob man der Obrigkeit uneingeschränkt zu gehorchen hat oder ihr unter bestimmten Bedingungen den Gehorsam verweigern kann oder es gar Situationen gibt, in denen man sich gegen sie aktiv zur Wehr setzen muss, ist schon für die Reformatoren und ihre Zeitgenossen von elementarer Bedeutung und wirft sich nicht erst den nachfolgenden Theologengenerationen auf. Es versteht sich von selbst, dass die katholische Kirche und die in der Welt Herrschenden die Veränderungen, die eine Durchsetzung der reformatorischen Forderungen mit sich brachte, nicht widerstandslos akzeptierten. Zum einen betreffen Glaubensangelegenheiten jeden Menschen persönlich und zum anderen sorgte man sich um den Verlust an Macht und Geld, fürchtete sich vor Aufständen und vor dem damit verbundenen Schaden an Leib und Leben. Folglich konnte es passieren, dass ein Herrscher die Durchführung der Reformation untersagte, die reformatorische Lehre verbot und ihre Vertreter gefangen nehmen ließ oder anderweitig bedrohte und bestrafte. Ein prominentes Beispiel hierfür fand sich bereits zu Luthers Lebzeiten: Georg von Sachsen, Herzog des albertinischen Sachsens, untersagte bis in das Jahr 1530 hinein die Reformation in seinem Land und forderte die Gefangennahme des Reformators.
War ein solcher Konflikt eingetreten, erlangte die Widerstandsfrage nicht nur für die Vordenker der Reformation, sondern für jeden betroffenen Untertanen, unabhängig davon, welcher Bevölkerungsschicht er angehörte und in welchem Maße er theologisch gebildet war, persönliche Relevanz. Außer dem althergebrachten Recht, welches sich aus dem Corpus iuris civilis und dem Ius divinum zusammensetzte und einigen philosophischen Lösungsvorschlägen gab es seinerzeit keine Möglichkeit der Orientierung hinsichtlich dieser Fragen. Es galt, Lösungsansätze zu entwickeln. Ein schlichter Verzicht auf Widerstand würde die Reformation womöglich im Keim ersticken, da Dekrete oder Inhaftierungen konkrete Maßnahmen zur praktischen Umsetzung reformatorischer Ansätze verhindern konnten. Dies hatten die Reformatoren unbedingt zu berücksichtigen, zumal sie sich selbst oft in Opposition zu ihren Landesherren befanden.
Es darf aber auch nicht übersehen werden, welche Bedeutung dem Widerstandsrecht bis in die Gegenwart zukommt. Der Kirchenkampf im 20. Jahrhundert ist sicherlich die prominenteste Phase der neueren Geschichte, in der diese Frage zu bedenken war. Darüber hinaus ist das Thema nach wie vor aktuell: Handelt es sich bei der Verweigerung des Wehrdienstes aus religiösen Motiven wie dem biblisch begründeten Tötungsverbot nicht letztendlich auch um eine Art des Widerstandes gegen die Obrigkeit? Muss ein Gläubiger es wie seinerzeit in der D.D.R. hinnehmen, dass der Staat Einfluss auf die freie Religionsausübung nimmt? Müssen politische Beschlüsse befolgt werden, nur weil die parlamentarische Mehrheit sie für richtig hält, oder darf man sich aus Gewissensgründen weigern, an ihrer Durchführung mitzuwirken? Ich denke hierbei an Themen wie den Krieg in Afghanistan oder den bevorstehenden Krieg im Irak. Wie weit reichen die Pflichten der Untertanen gegenüber der Obrigkeit, wie steht es mit den Pflichten gegenüber dem Gewissen oder gar gegenüber Gott? Welchen Pflichten ist Vorrang zu gewähren? Anhand dieser Fragen zeigt sich, wie aktuell das zu behandelnde Thema auch noch in unserer heutigen Zeit ist.
Bei Johannes Calvin handelt es sich um den prominentesten Vertreter der zweiten Reformatorengeneration. Er erlangte diesen hohen Bekanntheitsgrad, indem er dafür sorgte, dass an der Genfer Akademie zahlreiche Theologen ausgebildet wurden und somit an vielen Orten eine vereinheitlichte reformatorische Lehre gepredigt werden konnte. Somit erfreut sich der Calvinismus auch heutzutage noch einer weiten Verbreitung und großer Beliebtheit. Aus diesem Grunde ist es wichtig, in Debatten um die Widerstandsfrage auch die Lehre des Genfer Reformators einzubringen.
Da das Thema Widerstandsrecht zur Staatsvorstellung gehört und in der Praxis erst dann zur Anwendung kommt, wenn Staat und Herrscher nicht mehr dem in der Theorie gezeichneten Idealbild entsprechen, wenn Theorie und Praxis nicht mehr miteinander im Einklang stehen, ist es erforderlich, sich auch mit den dem Widerstandsrecht zugrundeliegenden Staatsrechtsvorstellungen auseinander zu setzen. Diese Arbeit soll in Anlehnung an die Vorgehensweise des vorausgegangenen Seminars, in dem zunächst Luthers Vorstellungen „von der weltlichen Obrigkeit“, seine Zwei-Regimenten- und Zwei-Reiche-Lehre analysiert wurden, mit einem Abriss über Calvins Vorstellungen vom Staat, vom Verhältnis von weltlicher und geistlicher Führung und dem Verhältnis der Untertanen zur der sie regierenden weltlichen Obrigkeit beginnen. Ist dem Leser so Calvins Verständnis von Staat und Herrschaft vor Augen, folgt der Hauptteil, der sich mit dem Widerstandsrecht befasst.
1.2 Erwartungen
Es darf nicht vergessen werden, dass Calvin sich in einer ähnlich schwierigen Situation wie Martin Luther befand. Beide Theologen konnten nicht ausschließlich Theoriebildung betreiben, um eines Tages eine „kirchliche Dogmatik“ fertig stellen zu können, sondern standen im öffentlichen Leben und mussten auf Ereignisse, geistige Strömungen und Maßnahmen gegen ihre Person, wie etwa die Bannbulle bei Luther oder die Verfolgung Calvins in Frankreich, die ihn schließlich ins Ausland trieb, reagieren. Es ist somit eine den Geschehnissen angepasste Veränderung der Gestalt, dass Calvins frühe Schriften sich im Blick auf das Widerstandsrecht von den später entstandenen unterscheiden, zu erwarten. Zudem dürfte Calvin über die Ereignisse um Luther und den Verlauf der Reformation in deutschen Landen informiert und somit darauf bedacht gewesen sein, Unruhen wie etwa die um Thomas Müntzer zu vermeiden und auf das Verhältnis zu seiner Obrigkeit möglichst positiv einzuwirken. Es ist also zu erwarten, dass er aus den Ereignissen um Martin Luther gelernt hat und versucht, eine Radikalisierung der Reformation zu vermeiden, wenngleich ihm das im Rückblick auf die Ereignisse in Frankreich, stellvertretend seien hier die Verschwörung von Amboise und die Bartholomäusnacht genannt, offenkundig nicht gelungen ist.
Aus diesem Grund werden seine Schriften vermutlich keine oder nur wenige Äußerungen gegen das althergebrachte obrigkeitliche System enthalten und auch im Blick auf den aktiven Widerstand und die Absetzung von Herrschern eher zurückhaltend vorgehen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich im Rahmen der Untersuchungen Aufforderungen zum aktiven Widerstand gegen die Obrigkeit bzw. das Gutheißen eines solchen aktiven Widerstandes finden. Dennoch gibt es Stimmen, die ein Recht auf aktiven Widerstand bei Calvin nicht ausschließen.
1.3 Quellen
Calvin verfasste keine Schrift, die das Widerstandsrecht zum zentralen Thema hat und somit analog zu Martin Luthers Schrift „Von der weltlichen Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ aus dem Jahre 1523 wäre. Stattdessen wird das Thema in einer Reihe von Schriften unterschiedlicher Art und Entstehungszeit behandelt.
Johannes Calvins mehrbändige christliche Glaubenslehre, die im Jahre 1536 zum erstenmal veröffentlichte und in mehreren Ausgaben erschienene „Institutio“, enthält im Kapitel IV ihrer Erstausgabe („Von der christlichen Freiheit, der kirchlichen Amtsvollmacht und der staatlichen Regierung“) Ausführungen zu Calvins Staatstheorie und dem Widerstandsrecht. Diese finden sich im dritten Unterteil, der den Titel „Von der weltlichen Obrigkeit“ trägt. In derselben Schrift wird auch das Thema „Die bürgerliche Ordnung“ bearbeitet. Da die einzelnen Ausgaben der Institutio sich teils in den entsprechenden Themenbereichen voneinander unterscheiden, beschäftigt sich diese Arbeit nicht nur mit der Erstausgabe von 1536, sondern auch mit der letzten Ausgabe aus dem Jahre 1559. Es wurden auch das Thema berührende Äußerungen aus der Vorrede der Institutio von 1536 berücksichtigt.
Eine zweite Gruppe von Schriften zu diesem Thema bilden Calvins exegetische Werke zu den einschlägigen Bibelstellen. So wurden Calvins aus dem Jahre 1539 stammender Römerbriefkommentar, der Kommentar zur Apostelgeschichte (1552), Calvins Kommentar zur Evangelienharmonie (1553), sowie seine Auslegung der sogenannten kleinen paulinischen Briefe, die in den Jahren 1548 bis 1551 entstanden, auf entsprechende Äußerungen untersucht. Hierbei konzentrierte sich der Autor gezielt auf die üblicherweise zu diesem Thema herangezogenen Bibelstellen.
Bei der dritten Gruppe von Schriften handelt es sich um Predigten, die der Reformator in der Zeit zwischen 1550 und 1563 hielt, sowie um Briefe an einige Gemeinden aus selbiger Zeit. Die Predigten befassen sich mit der Schöpfung, der Apostelgeschichte, dem Buch Daniel, dem Propheten Jesaja und den beiden Samuelis-Büchern. Da diese nur schwer zugänglich sind und es sich um eine sehr große Masse an Stoff handelt, wurde neben anderen Monografien Max Engammares Arbeit „Calvin monarchomaque? Du soupçon à l´argument“ zu Grunde gelegt, in welcher Engammare Stellen zum Thema aufnimmt und zitiert. Dieser Gruppe von Schriften kommt besondere Bedeutung zu. Sie enthalten eine Reihe von Äußerungen Calvins zu den Ereignissen seiner Zeit, da er sie schließlich, jeweils kurz vor der Feier des Gottesdienstes oder gar während er sie vor der Gemeinde hielt, entwickelte: „Calvin erklärt die Bibel von der Kanzel herab, frei und fast unvorbereitet, also entwickelt er seine Ideen und insbesondere seine gedanklichen Verbindungen anhand des Textes, über den er predigt. Mit hitzigem Temperament erweitert er so die Prinzipien, die er sich während seiner Arbeit [an der Institutio] ausgedacht hatte.“[1] So fällt etwa im Jahre 1560 die Verschwörung von Amboise in die Entstehungszeit der untersuchten Predigten. Es empfiehlt sich, auch Schriften des „späten“ Calvins heranzuziehen und diese mit denen des „frühen“, dem Autor der ersten Ausgabe der Institutio, zu vergleichen, da Menschen im Laufe ihrer Lebensgeschichte ihre Einstellung zu bestimmten Themen ändern bzw. sich diese in Anpassung an das Zeitgeschehen weiterentwickelt. Die herangezogenen Predigten sind somit auch in dieser Hinsicht wertvolle Dokumente, da sie im letzten Viertel seines bis zum 27. Mai 1564 dauernden Lebens entstanden sind. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Auswahl es ermöglicht, Äußerungen gegenüber Beteiligten, die verschiedenen Personengruppen angehören - die Bandbreite reicht vom Gemeindeglied bis hin zum französischen Kaiser - zu untersuchen, da die einzelnen Schriften sich an unterschiedliche Adressatenkreise wenden.
So ist die Institutio, die der Vertretung der evangelischen Sache dient, an Theologen, Juristen und die weltliche Obrigkeit gerichtet - das zeigt sich nicht zuletzt an der Abfassung in lateinischer Sprache - während die Bibelauslegungen überwiegend der Theologenbildung dienen und von Pfarrern zur Vorbereitung von Predigten und Andachten herangezogen werden können. Calvins in Genf gehaltene Predigten hingegen erreichten überwiegend die bereite Masse des Volkes, Angehörige des Rates der Stadt, sowie durchschnittliche Bürger.
In die gleiche Zeit fallen auch Calvins Pastoralbriefe an bedrängte französische Protestantengemeinden. Diese Briefe haben einen ähnlichen Adressatenkreis im Blick auf den Bildungsstand und die soziale Zugehörigkeit der Zuhörer.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden Passagen aus den Briefen an die Gemeinden in Angers (1556) und Aix (1561) untersucht, die in Josef Bohatecs „Calvins Lehre von Staat und Kirche“[2] in Übersetzung abgedruckt sind und Calvins Haltung in seinem Briefwechsel mit den französischen Protestanten dokumentieren.
1.4 Forschungsüberblick
Seit dem 16. Jhd. vertraten zahlreiche Wissenschaftler die Auffassung, die sogenannten Monarchomachen stünden zeitlich und gedanklich in einem so engen Zusammenhang zu Johannes Calvin, dass von ihrer Befürwortung eines aktiven Widerstandsrechtes direkt auf Calvins Auffassung zurückgeschlossen werden könne. Dieser wurde daher zeitweise sogar zu dieser Personengruppe gezählt. Somit war der Standpunkt, der Reformator von Genf sei Befürworter eines aktiven Widerstandes gegen die gottvergessene Obrigkeit, anerkannt, zumal der Calvinismus stets im Rufe stand, sehr revolutionär zu sein. Doch das Widerstandsrecht bei Calvin kann nur in seinem gedanklichen, lokalen und historischen Kontext verstanden werden und ist längst nicht so radikal, wie oft angenommen, sodass die Forschung in neuerer Zeit betont: Das Recht auf Widerstand ist nur sehr eingeschränkt und keineswegs als revolutionärer Aufruf an die Massen zu verstehen.[3] Zudem wird festgestellt, es handele sich bei den viel zitierten Sätzen lediglich um Randbemerkungen in Calvins Abhandlungen zu anderen Themen und nicht um selbständige Ausarbeitungen zum Widerstandsrecht. So begannen die Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, neben der Institutio auch andere von Calvin erstellte Reden und Schriftstücke zu untersuchen, was Ernst Wolfs Äußerung aus dem Jahre 1972 illustriert: „Calvin hat seine Ansichten nicht nur in der Institutio (...) ausgesprochen (...), sondern er hat z.B. auch in seinen Samuelis-Homilien (...) oder im Danielkommentar (...) seine Ansicht zur Widerstandsfrage ausführlich vorgetragen; er hat aber vor allem in seinem Briefwechsel mit den französischen Protestanten die staatsrechtliche Wichtigkeit der „Stände“ als des aristokratischen Korrektivs der Monarchie im Zusammenhang mit seinen Bemühungen um die Religionsfreiheit deutlicher erkannt und präziser formuliert (...).“[4]
Nobuo Watanabe stellt zu einem späteren Zeitpunkt fest, Calvin streife dieses Thema nicht nur in seiner Institutio, sondern stelle es auch in anderen Werken, wie etwa seinen Katechismen, nicht ins Zentrum seiner Ausführungen.[5] Zudem kann man „innerhalb der reformierten Kirchen des 16. Jahrhunderts nicht vor den 1570er Jahren von wirklichen Monarchomachen sprechen“[6], was es unmöglich macht, Calvin zu diesen zu rechnen.
Seit jenem Wendepunkt ist die These, Calvin habe nie die Idee des aktiven Widerstandes gegen einen Tyrannen, sondern nur das Recht auf passiven Widerstand unterstützt, die M.-E. Chenevières in den 1970er-Jahren aufstellte, allgemein anerkannt.[7] Einige Wissenschaftler glauben zwar bei der Betrachtung der einzelnen Ausgaben der Institutio sowie der später entstandenen Predigten Calvins, eine Weiterentwicklung und Einschränkung seiner Definition des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit feststellen zu können, halten jedoch weiterhin an Chenevières These fest.[8]
Einen weiteren Wendepunkt in der Forschung markiert das Jahr 1981, in welchem der Wissenschaftler Nijenhuis bei der Untersuchung einiger Calvin-Predigten eine herausragende Entdeckung machte: In einer aus dem Monat März des Jahres 1562 stammenden Predigt fand er eine Bemerkung, nach der Privatpersonen sich dem Übel entgegenstellen und ihm widerstehen müssen.[9] Nach weiteren Forschungen kommt schließlich Max Engammare im Jahre 1998 zu dem Schluss, dass Calvin sehr wohl ein aktives Widerstandsrecht vertrete, bei dem es sich zwar nicht um ein Recht jedes Individuums handele, aber immerhin um ein Recht auf aktiven Widerstand.[10] So hatte Marijn de Kroon bereits 1991 festgestellt, Calvin gestehe dieses aktive Widerstandsrecht allein den Ständen zu, äußere sich jedoch nicht dazu, ob es sich dabei um einen bewaffneten Widerstand handele.[11] Auch heute sehen Wissenschaftler wieder einen engen Zusammenhang zwischen Calvin und den Monarchomachen, wenngleich es sich nur noch um einen indirekten handelt. So kommt Engammare zu dem Ergebnis, Calvin greife den Monarchomachen voraus, sei aber nicht zu jener Gruppe zu rechnen.[12]
[...]
[1] Engammare, Max, Calvin monarchomaque?, S.216: „C´ est que Calvin explique la Bible du haut de la chaire, sans note et avec peu de préparation, c´ est-à-dire qu´ il élabore ses idées, et ses associations d´ idées surtout, au fil du texte sur lequel il prêche. D´ un tempérament emporté, il amplifie ainsi des principes qu´ il a médité dans sa pièce de travail.“.
[2] Bohatec, Josef, Calvins Lehre von Staat und Kirche mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens, 2. Neudruck der Ausgabe Breslau 1937, Aalen 1968; S. 88-91.
[3] So Richard Nürnberger in seinem 1948 erschienenen Werk „Die Politisierung des französischen Protestantismus“, der sich dort folgendermaßen äußert: „damit räumt nun freilich Calvin im Anschluss an die Verhältnisse im Ständestaat doch unter bestimmten Voraussetzungen ein Widerstandsrecht ein. Aus diesen wenigen Sätzen, in denen Calvin von dieser Möglichkeit in seiner Institutio spricht, hat man aber seit dem 16. Jahrhundert ein calvinisches Revolutionsrecht gemacht und behauptet, dass von ihnen ein direkter Weg zu den Monarchomachen führe.“.
[4] Wolf, Ernst, Das Problem des Widerstandsrechts bei Calvin, S. 154.
[5] Watanabe, Nobuo, Calvin ´s Concept of the Right of Resistance from the Viewpoint of Asia, S. 119: „The argument of the right of resistance is not always treated in the doctrinal system of Calvin. For example, his second catechism (1542/45) does not treat it though the first catechism and confession (1537) did slightly. The argument on the right of resistance is an appendix of the theory on the magistrate. The doctrine of the right of resistance is not a sine qua non for his teaching.
[6] Engammare, Max, Calvin monarchomaque?, S. 207: „On ne peut en rigeur de terme, dans les Eglises réformées du XVIe siècle, parler de monarchomaques avant les années 1570...“.
[7] Engammare, Max, Calvin monarchomaque?, S. 207: „Surtout il semble établi depuis la grande thèse de Marc-Edouard Chenevière que jamais Calvin ne soutint le moindre propos de résistance active à l´encontre d´un tyran; seul un droit de résistance passive étant acquis.“.
[8] Nobuo Watanabe, Calvin ´s Concept of the Right of Resistance from the Viewpoint of Asia, S. 119: „Since the first edition of this work [= Institutio] of 1536, he argued this problem every time at the end of the book as an exception of obedience to the magistrate (...).From the first edition to the last, his argument was basically the same and unchanged. Though there were some additional arguments in each edition, and the arguments were lengthened gradually.“; so auch Max Engammare in „Calvin monarchomaque“, S. 225: „...qu´ entre Calvin et Bèze, au sujet du droit de résistance, la pensée est de continuité, non de rupture, comme on le répète trop souvent.“.
[9] Engammare, Max, Calvin monarchomaque?, S. 207: „Dans un sermon prêché en 1562 Nijenhuis a en revanche débusqué une trace de résistance active de la part des personnes privées qui doivent s´opposer au mal et y résister...“.
[10] Engammare, Max, Calvin monarchomaque?, S. 224: „Dans ses prédications Calvin défend alors un droit de résistance active au tyran, droit jamais individuel cependant, mais droit qui a été jusqu´ici complètement occulté par la critique.“.
[11] De Kroon, Marijn, Bucer und Calvin über das Recht auf Widerstand und die Freiheit der Stände, S. 150: „Wir stellen fest, dass auch Johannes Calvin in seiner Institutio das Recht auf Widerstand für die Stände (ordines) in Anspruch nimmt. Er tut dieseindeutig, vermeidet dabei jedoch das Wort Waffe.“.
[12] Engammare, Max, Calvin monarchomaque?, S. 224: „En évoquant à plusieurs reprises un droit de résistance active contre les tyrans, Calvin annonce les monarchomaques; il n´en est pas un bien sûr, mais je ne suis pas loin de penser qu ´il aurait été des leurs après 1572.“.
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