Die Examensarbeit beschäftigt sich mit der pädagogischen Begründung der Unterhaltung von Schulsanitätsdiensten in der Schule. Hierbei wird insbesondere der Aspekt des sozialen Lernens im außerunterrichtlichen, schulischen Kontextes im Rahmen des Schulsanitätsdienstes beleuchtet. Die Begründung wird anhand mehrerer (Schul-)pädagogischer Autoren und deren Forderungen (z.B. Hentig, Mayer), aber auch anhand gültiger Lehrpläne und sonstigen rechtlicher Vorschriften vollzogen.
Fazit der Arbeit ist, dass Schulsanitätsdienste in jeder Schule installiert werden sollten, da sie zum Einen vorteilhaft für die Sicherheit in der Schule sind, aber auch zum sozialen Lernen der Schüler und zu einem guten Schulklima beitragen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Soziales Lernen in der Schule
1.1 Begriffsdefinition
1.2 Formen sozialen Lernens in der Schule
1.2.1 Erziehender Unterricht
1.2.2 Schulleben
1.2.3 Gemeinwesenorientierte Schule
1.2.4 Sozialpädagogische Schule
1.2.5 Trainingsprogramme
1.2.6 Lernziele des sozialen Lernens
1.3 Lernprozesse des sozialen Denkens und Handelns – Psychologische Aspekte und pädagogische Schlüsse
2 Soziale Dienste an Schulen
2.1 Begriffsexplikation und -abgrenzung
2.2 Unterrichtskonzepte und Projekte zum sozialen Lernen
2.3 Gründe für die Einführung sozialer Dienste an Schulen
3 Der Schulsanitätsdienst und seine Aufgaben
4 Die Teilnehmerstruktur des Schulsanitätsdienstes
5 Aus- und Fortbildung des Schulsanitätsdienstes
5.1 Ausbildung in Erster Hilfe
5.2 Schulsanitätsdienstspezifische Ausbildung
5.3 Fallbeispiele als spezielle Methode der Schulsanitätsdienstausbildung und –übung
5.4 Fortbildung
5.4.1 Wöchentliche interne Übungsstunden
5.4.2 Externe Fortbildung
5.5 Weiterbildung
5.6 Wettbewerbe
6 Struktur und Organisation des Schulsanitätsdienstes
7 Ausstattung des Schulsanitätsdienstes
7.1 Minimalausstattung
7.2 Ergänzende Ausstattung
8 Einsatz des Schulsanitätsdienstes
8.1 Alarmierung
8.2 Vorgehen am Notfallort
8.3 Einsatzdokumentation
8.4 Besondere Unglücksfälle und der Schulsanitätsdienst
8.4.1 Der Schulsanitätsdienst bei Massenanfällen von Verletzten
8.4.2 Amoklauf und Schoolshooting
9 Schulsanitätsdienst aus der Sicht des Rettungsdienstes und der Hilfsorganisationen
10 Schulsanitätsdienst und Krankheitsprävention
11 Der rechtliche Rahmen – Verpflichtung der Schule zur Ersten Hilfe
12 Pädagogische Beweisführung: Was leistet der Schulsanitätsdienst?
12.1 Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen und der Schulsanitätsdienst (BV, GG und BayEUG)
12.1.1 Die Forderungen der Bayerischen Verfassung
12.1.2 Die Forderungen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
12.1.3 Die Forderungen des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes
12.2 Empfehlungen und Forderungen des Kultusministeriums und der Unfallkasse
12.3 Die Forderungen des Lehrplans für die Bayerischen Realschulen und ihre Erfüllung im Schulsanitätsdienst
12.3.1 Allgemeine Ziele der Realschule
12.3.2 Fachlehrpläne
12.3.3 Fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgaben
12.3.4 Fächerverbindende Unterrichtsvorhaben
12.4 Die Kompetenzen des Schülers und der Schulsanitätsdienst
12.5 Die Humanfunktion von Schule und wie der Schulsanitätsdienst sie erfüllt
12.6 Hentigs Bewährung und der Schulsanitätsdienst
13 Fazit und Plädoyer: Schulsanitätsdienst in jede Schule
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Hinweise zur Benutzung
Berufsbezeichnungen (z.B. Schüler, Lehrer) werden in dieser Arbeit aus-schließlich in männlicher Form verwendet. Der Autor ist sich bewusst, dass dies gegen die Gleichberechtigung von Frau und Mann verstößt, er hält es aber aus Gründen der Lesbarkeit für unumgänglich, nur ein Genus zu verwenden. Die Entscheidung fiel aus Gründen der Lese- und Schreibökonomie auf die maskuline Form. Selbstverständlich sind aber immer auch die weiblichen Vertreterinnen einbegriffen.
Wann immer im Text von einer Person die Rede ist, die wegen einer Verletzung oder Erkrankung von Schulsanitätern versorgt wird, ist sie mit „Betroffener“ benannt. Die Bezeichnung „Patient“ ist medizinischem Fachpersonal vorbehalten. Zu diesem Personenkreis gehören Schulsanitäter nicht. Im Grunde sind beide Begriffe aber als Synonym zu betrachten.
„Über alles Geistige und Intellektuelle, über Philosophie und Theologie erhaben ist die Hilfsbereitschaft von Mensch zu Mensch, die Aufgabe,
Bruder zu sein.“
Albert Schweizer
„Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!“
Sprichwort[1]
Vorwort
Bereits vor meinem Studium habe ich als Schüler selbst in einem Schulsanitätsdienst mitgewirkt. Diese mir damals wie heute sinnvoll erscheinende Tätigkeit, bei der Schüler anderen Schülern in Notfällen, nämlich bei Krankheiten und Verletzungen, helfen, faszinierte mich. Später, während meines Zivildienstes im Rettungsdienst, engagierte ich mich bei der Gründung von Schulsanitätsdiensten in Schulen in der Stadt und im Landkreis Würzburg. Gemeinsam mit Kollegen bildete ich neue Schulsanitäter aus. Auch die Betreuung und Vernetzung von Schulsanitätsdiensten sowie die Fortbildung der Schüler waren meine Aufgabengebiete in dieser ehrenamtlichen Tätigkeit.
Während dieser Zeit machte ich die Erfahrung, dass das Angebot,einenSchulsanitätsdienst an einer Schule einzurichten, bei der Schulleitung häufig auf wenig Begeisterung stieß. Dies verwunderte mich, denn ich sah und sehe im Schulsanitätsdienst einen sozialen Dienst an Schulen, bei dem alle Beteiligten – ob Schüler, Lehrer oder Schulleitung – nur profitieren können. Außerdem wird die Einrichtung von Schulsanitätsdiensten vom Bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultus empfohlen, da er neben dem Gewinn an Vorsorge undSicherheit auch viele inhaltliche und erzieherische Ziele der Schule in sich vereint. Ich führte das Desinteresse hauptsächlich auf mangelnde Information zurück. So konnte ich nach umfassender Aufklärung doch an den meisten Schulen einen Dienst installieren. Immer traf ich auf großes Interesse bei den Schülern und meist auch auf engagierte Lehrkräfte, die das Vorhaben betreuen wollten.
Durch mein Studium für das Lehramt an Realschulen für die Fächer Deutsch und Erdkunde fand ich durch die Schulpädagogik einen erweiterten Zugang zur Thematik des Schulsanitätsdienstes. So möchte ich im Rahmen dieser schriftlichen Hausarbeit den Schulsanitätsdienst, der bisher unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten kaum beschrieben wurde, aus schulpädagogischer Perspektive betrachten. Die Leitfragen der Arbeit lauten: Wie sind Schulsanitätsdienste rechtlich legitimiert? Sind sie aus schulpädagogischer Sicht sinnvoll? Warum und wie sollen sie an den Schulen installiert werden? Sind sie nur ein zusätzliches Angebot, welches die Attraktivität einer Schule steigert oder sind Schulsanitätsdienste sogar pädagogisch geboten? Ziel der Arbeit ist es, die pädagogische Legitimation des Schulsozialdienstes zu belegen, so dass er möglichst weit verbreitet eingerichtet wird.
Zunächst geht die Arbeit auf die theoretischen Voraussetzungen des sozialen Lernens ein. Im Anschluss folgt ein Überblick über in Schulen eingerichtete soziale Dienste, bevor auf den Schulsanitätsdienst als exemplarischen sozialen Dienst ausführlich eingegangen wird. Nach der Beschreibung der Aufgaben und der Teilnehmerstruktur werden die institutionellen und organisationalen Bedingungen für den Schulsanitätsdienst dargestellt. Es folgt eine Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der Krankheitsprävention. Schließlich wird der Schulsanitätsdienst auf die Erfüllung der Forderungen der Schulpädagogik und der Lehrpläne hin untersucht. Im Schlussteil der Arbeit findet sich ein Fazit mit Ausblick in eine mögliche Zukunft des Schulsanitätsdienstes.
Da ich, wie oben bereits erwähnt, das Lehramt für Realschulen anstrebe, habe ich mich, wann immer schulartenspezifische Gesetze oder Verordnungen zur Beweisführung herangezogen wurden, auf entsprechende Quellen für die BayerischeRealschule beschränkt. Trotzdem gelten die Ausführungen grundsätzlich für jede andere Schulart auch.
Diese Arbeit wurde durch eine Handvoll Menschen unterstützt, welchen ich hiermit meinen herzlichen Dank ausdrücken möchte. Zunächst sei Herr Dr. Matthias Erhardt genannt, der mir bei der Wahl des Themas große Freiheit ließ und die Entstehung konstruktiv betreute. Für die vielen kritischen und hilfreichen Anregungen danke ich den Damen Corinna Heß, Lisa Rudolph und Elke Adora-Wirth sowie Herrn Gerhard Drexel. Ein ganz besonderer Dank gilt Julia undSebastianKatzenberger, die mir geduldig in unzähligen Stunden „den Rücken freigehalten“ haben.
1 Soziales Lernen in der Schule
1.1 Begriffsdefinition
Die Definitionen zum „sozialen Lernen“, die man in der Literatur findet, enthalten mitunter sehr unterschiedliche Ansätze. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen mit dem Gegenstand beschäftigen (Pädagogik, Psychologie, Soziologie). Innerhalb der Disziplinen ist die Definition von der jeweiligen Perspektive abhängig, unter der der jeweilige Autor „soziales Lernen“ betrachtet (z.B. Schulpädagogik vs. Erlebnispädagogik). Aus den verschiedenen Definitionsansätzen ergibt sich, dass „soziales Lernen“ folgendeAspekte umfasst:
- Begriff für die allgemeine Sozialisierung
- nicht-kognitiver und nicht-psychomotorischer Lernvorgang
- Lernvorgang durch Konditionierung und Nachahmung (Modelllernen)
- „heimliches“, d.h. unbeabsichtigtes und unbewusstes Lernen
- Erlernen gruppenrelevanter Verhaltensweisen
- Erreichen gesellschaftspolitischer Lernziele
(vgl. Böhm 2006, S. 7)
Soziales Lernen ist automatisch durch das Hineinwachsen in die Gesellschaft impliziert. Es bedarf keines Lernens durch Verstehen, sondern vielmehr einer Konditionierung oder Nachahmung eines Vorbildes. Weiter funktioniert es häufig unbeabsichtigt, als „Nebenprodukt“ anderer Lerninhalte und Lernziele. Durch soziales Lernen werden Verhaltensweisen erlernt, die das konfliktfreie und produktive Zusammenleben und Arbeiten in einer Gruppe ermöglichen. Ebenso werden politische Ziele, wie das friedvolle Zusammenleben, erreicht.
Da Menschen von Geburt an mit anderen Menschen zusammenleben und voneinander abhängig sind, ist gegenseitige Achtung, Toleranz und Hilfsbereitschaft notwendig. Nach den gängigen Lerntheorien kann das soziale Lernen entweder konditioniert werden, also durch Lohn und Strafe hervorgerufen werden (vgl. Montada 2008, S. 581-582) oder Ergebnis eines Prozesses sein, bei dem ein Modell nachgeahmt wird (vgl. Montada 2008, S. 582-584). Wichtigster Vertreter dieser Modell-Theorie ist Bandura. Modelle in diesem Sinn finden sich in der Entwicklung des Kindes und Jugendlichen zunächst in der Familie, später dann in den Bildungs- und Erziehungseinrichtungen und bei anderen Gleichaltrigen (Peers). In der Schule sind demnach sowohl die Lehrer als auch die Mitschüler Modelle für soziales Lernen. Durch die Interaktion mit den Menschen sowohl in der Familie als auch in der Schule ist soziales Lernen auch dann gegeben, wenn niemand dies beabsichtigt. Durch soziales Lernen entstehen Einstellungen, Werte und Normen, die nicht nur von einer oder wenigen Personen gewollt sind, sondern welche die gesamte Gesellschaft fordert. Beim sozialen Lernen werden Kompetenzen in der Sprache, Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, im sozialen Verhalten sowie in der politischen Mündigkeit vermittelt (vgl. Böhm 2006, S. 7).
Als Arbeitsdefinition für soziales Lernen im Kontext der Schule soll gelten:
„Soziales Lernen ist die Vermittlung und Reflexion von Erfahrung mit Menschen und Sachangelegenheiten, von Wissen und Kenntnissen über Strukturen und Funktionen gesellschaftlich-historischer Handlungsfelder sowie Umsetzung von Erfahrungen und Wissen in Verhalten, Handlungsstrategien und Zukunftsentwürfe.“ (Böhm 2006, S. 27)
1.2 Formen sozialen Lernens in der Schule
Auftrag der Schulen ist es nicht nur, Bildung zu vermitteln, sondern auch zu erziehen. Dies ist nicht nur die Forderung der einschlägigen Schulgesetze und Lehrpläne, sondern auch die allgemeine Forderung der Schulpädagogik. Schule soll einerseits in sich funktionieren, aber die Schüler sollen auch für das Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden. In beiden Bereichen, also Schule und Gesellschaft, leben und arbeiten Menschen unterschiedlicher persönlicher Voraus-setzung hinsichtlich des Alters, der sozialen Herkunft und der hierarchischen Stellung zusammen. Wenn in der Schule soziales Lernen als Teil des Erziehungs-auftrages stattfindet, so dient dies nicht nur der Schule selbst, sondern mehr noch der gesamten Gesellschaft.
Durch die sich verändernde demographische und sozioökonomische Struktur der Gesellschaft sind heute in vielen Familien beide Eltern zur Erwerbstätigkeit gezwungen. Damit geht einher, dass ein größerer Bedarf an Ganztagsbetreuung von Kindern besteht. Die Ganztagsschule wird mittelfristig vermutlich die Regelform der staatlichen Schule sein. Sind Schüler nun ganztags in der Schule, so entfällt auch ein Großteil der Erziehungsaufgaben, die früher die Eltern innehatten, auf sie. Darum muss die Schule sich vermehrt mit Aspekten des sozialen Lernens auseinandersetzen, welches früher beinahe ausschließlich „nebenbei“ im Unterricht stattfand. In der Ganztagsschule finden neben dem Unterricht auch außer-unterrichtliche und Freizeitaktivitäten statt, so dass sich das soziale Lernen auch auf diese Bereiche ausweiten muss.
Böhm teilt die Konzeptionen sozialen Lernens in der Schule in drei verschiedene Bereiche ein: „Erziehender Unterricht“, „Schulleben“, „Gemeinwesenorientierte Schule“ (Böhm 2006, S. 29).
1.2.1 Erziehender Unterricht
„Erziehender Unterricht“ ist im Grunde jeder Unterricht, da durch die Modellfunktion des Lehrers immer, auch wenn es ihm und den Schülern nicht bewusst ist, Erziehung stattfindet (vgl. Tillmann 2000, S. 143; Kron 1980, S. 14-15). Die ethisch-soziale Dimension des erziehenden Unterrichts zeigt sich daran, dass sich die Unterrichtsinhalte beinahe aller Fächer mit den epochalen Schlüsselproblemen unserer Zeit befassen (vgl. Klafki 1999, S. 34-40; Hörner 2008, S. 62-63). Die Übernahme von Verantwortung einzelner für andere (z.B. Klassensprecher) und die Ausbildung von Helfersystemen in der Klasse (z.B. Tafeldienst, Bücherdienst) sind Komponenten erziehenden Unterrichts (vgl. Böhm 2006, S. 41).
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die gegebene Verbindung von Unterricht und Erziehung von Herbart beschrieben (vgl. Böhm 2006, S. 33). In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde gefordert, Unterricht sozialpädagogisch zu gestalten. So kritisiert Prior, dass in der Schule Wissensvermittlung und Leistungsanforderungen wichtiger als die sozialen und emotionalen Anteile des Lernens angesehen seien. Das Fachlehrersystem führe zu einer einseitigen Überbewertung der Kernfächer Deutsch, Fremdsprache und Mathematik und ließe musisch-ästhetische und sozial-ethische Angebote in den Hintergrund treten. Auch würden die straffen Lehrpläne und Stundenpläne kein Einfließen dieser Lern-bereiche zulassen. Der seltene Methodenwechsel, hoher Anteil von Lehrer-darbietung sowie mangelnde fächerübergreifende und -verbindende Unterrichtsvorhaben verhinderten soziales Lernen. Lehrer würden in ihrer Ausbildung nicht auf die erzieherische Aufgabe ihres Berufs vorbereitet (vgl. Prior 1978, S. 9-15). Bis heute hat sich die Forderung nach der sozialpädagogischen Schule in den staatlichen Regelschulen nur ansatzweise durchgesetzt. Soziales Lernen findet weiterhin entweder weitgehend ungeplant und unbewusst neben der Vermittlung anderer Kompetenzen statt oder wird durch einzelne Unterrichtsvorhaben oder Projekte in den dafür prädestinierten Fächern (z.B. Deutsch, Religion/Ethik) gefördert. Beispiele hierfür sind Märchen, Biographien, Dilemma-Geschichten (in Anlehnung an das Heinz-Dilemma, mit dem Kohlberg das Vorhandensein der Stufen der moralischen Entwicklung begründete; vgl. Bierhoff et al. 1988, S. 2; Montada 2008, S. 594; Kron 1980, S. 18-19) sowie reflektierte Rollen- und Planspiele (vgl. Böhm 2006, S .43).
Da der Klassenverband, ähnlich wie viele Gemeinschaften in der Arbeitswelt oder im außerfamiliären Alltag, ein Zweckverband ist, der in der Regel nicht aufgrund persönlicher Präferenzen der Schüler, sondern vielmehr wegen verwaltungs-technischer Erfordernisse zusammengesetzt ist, bietet er ein Übungsfeld, sich mit denjenigen Personen zu arrangieren, mit denen man unter anderen Umständen nicht interagieren würde (vgl. Böhm 2006, S. 42).
Erziehender Unterricht ist nur auf den unterrichtlichen Kontext selbst ausgerichtet, ein direkter Export der erworbenen sozialen Kompetenzen in andere Bereiche findet nicht statt.
1.2.2 Schulleben
Das „Schulleben“ ist dem außerunterrichtlich-innerschulischen Bereich des sozialen Lernens in der Schule zuzuordnen. Da Schule nicht nur Lern- und Arbeitsort ist, sondern vielmehr auch Lebensort für Schüler und Lehrer gleicher-maßen,fokussierten sich viele reformpädagogische Überlegungen auf die Ausgestaltung der Zeit zwischen dem eigentlichen Unterricht. Auch in diesen Zeiten finden soziale Kontakte zwischen Schülern und Lehrern und somit auch soziales Lernen statt. Pestalozzi praktizierte am Ende des 18. Jahrhunderts eine „Wohn-stubenerziehung“, bei dem über die Tätigkeiten, Erlebnisse und Bedürfnisse der Schüler gesprochen wird und die alltägliche Erfahrung die Grundlage der Erziehung und Bildung ist. Soziales Lernen fand bei Pestalozzi immer im handlungsorientierten Zusammenhang statt, denn „vom Guten bloß zu reden, hilft nichts, wenn dessen Sinn nicht angesichts des eigenen Erfahrens und Handelns einleuchten kann“ (Pestalozzi o.J., zit. n. Böhm 2006, S. 44). Fröbel forderte am Anfang des 19. Jahrhunderts die Einigung der häuslichen Erziehung mit der unterrichtlichen Bildung im Sinne einer „Menschenerziehung“, ließ Unterricht auch an außerschulischen Lernorten stattfinden und führte selbsttätiges Handeln im Lernen der Schüler ein (vgl. Böhm 2006, S. 46).
Scheibert begann ab der Mitte des 19. Jahrhunderts damit, das Schulleben als ein Abbild des gesellschaftlichen Lebens außerhalb der Schule zu sehen. Somit biete die Schule den Schülern die Möglichkeit, das Leben außerhalb der Schule zu erproben. So sah Scheibert vor, regelmäßige Schulversammlungen und Schulfeiern abzuhalten, um die Schulgemeinschaft zu stärken. Außerdem sollten nachScheibert die Schüler die Möglichkeit bekommen, sich freiwillig außerhalb des Unterrichts aber innerhalb der Schule in Arbeitsgemeinschaften mit einem ihren Interessen entsprechenden Gegenstand zu beschäftigen (vgl. Böhm 2006, S. 46-47).
Der „Jena-Plan“ von Petersen sah ab 1927 vor, dass der Unterricht in das Schulleben eingebettet werde. Der Anteil der Zeit, in dem „Fachkurse“ (Unterricht im ursprünglichen Sinn) erteilt wurden, sollte nur etwa ein Drittel der gesamtenWochenarbeitszeit der Schüler betragen. Gespräche, Spiele, Freiarbeit und Feiern waren wichtige Bestandteile des Schullalltags. Die Schule war somit von der „Lehranstalt“ zur „Lebensstätte“ entwickelt worden (vgl. Böhm 2006, S. 47; Köck 2008, S. 229; Hellekamps 2011, S. 278-279). Die „Landerziehungsheime“ (z.B. Odenwaldschule) der Reformpädagogen des 20. Jahrhunderts sahen eine vollkommene Verschmelzung von Leben und Unterricht vor (vgl. Köck 2008, S. 275).
In heutiger Zeit werden die Ansätze der Reformpädagogik bezüglich des sozialen Lernens in den Regelschulen in Teilbereichen übernommen. So spielen beispielsweise Feste und Feiern eine immer größere Rolle im Schulleben (vgl. Meyer 1997, S. 308). Nach neuerer Auffassung entwickelt sich Schulleben dann, wenn sich die Schüler in der Atmosphäre der Schule wohlfühlen, das Gefühl der Gemeinschaft unter den Schülern, zwischen Schülern und Lehrern sowie innerhalb der Lehrerschaft entsteht und den Schülern Gelegenheit zu Selbsttätigkeit gegeben wird (vgl. Böhm 2006, S. 48; Fend 1977).
Kohlberg, Oser und Althof konnten in Studien zeigen, dass Schulen, in denen demokratische Prinzipien durch Schülermitbestimmung beachtet werden (sog. „Just Community-Schools“), eine positive Wirkung auf die Schulkultur, das soziale Klima und das prosoziale Verhalten der Schüler haben. Die ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum stammenden Ansätze wurden in deutschen Schulen durch die Einrichtung von Schulversammlungen, Schulforen (Schüler, Lehrer, Schulleitung, Eltern gemeinsam) und Schülermitverantwortung übernommen (vgl. Becker 2008, S. 201, Böhm 2006, S. 50).
Ebenso bieten Arbeitsgemeinschaften zu verschiedenen Interessensbereichen der Schüler weitere Möglichkeiten zur Verbesserung des Schullebens. Hierzu gehören beispielsweise Chor, Zirkus, Garten, Schülerzeitung und Schulsanitätsdienst. Darüber hinaus finden sich in vielen Schulen Tutorensysteme. Ältere Schüler helfen als Tutoren neuen Schülern beim Einstieg in die Schule. Werden Schulfeste gemeinsam mit den Schülern und Eltern geplant, so führt diese Mitverantwortung zu einer Verbesserung des Schullebens.
Obwohl gerade in den Eingangsklassen Regeln für das Miteinander in Unterricht und Schule unterrichtet werden (sog. Gesprächsregeln), lassen sich Konflikte häufig nicht vermeiden. Ein Ansatz der Konfliktbewältigung ist der Einsatz von Schüler-Streitschlichtern. Hier suchen die Schüler mithilfe eines speziell dafür ausgebildeten Schülers gemeinsam eine Lösung für die Auseinandersetzung (vgl. Böhm 2006, S. 52).
1.2.3 Gemeinwesenorientierte Schule
Dem Konzept der „gemeinwesenorientierten Schule“ liegt zugrunde, dass sich die Schule in die Gemeinde, in der sie sich befindet, integriert und sich ihr gegenüber öffnet. Einerseits kann dies durch eine Bereitstellung der Räumlichkeiten fürAktivitäten der Bewohner des Stadtviertels oder der Gemeinde geschehen. Andererseits können aber auch Mitglieder der Gemeinde Aufgaben in der Schule wahrnehmen (z.B. als Experten unterrichten) und Schüler können soziale Dienste in der Gemeinde leisten (z.B. Einkaufsdienst für ältere Menschen). Die Konzepte zu dieser Art von Schule kommen, wie die Konzepte zur Just Community-School, aus dem angloamerikanischen Raum (sog. Community Education). Durch die Öffnung der Schule soll sie das Zentrum einer Gemeinde werden und keine geschlossene Gesellschaft. Einwände gegenüber der gemeinwesenorientiertenSchule kamen in Deutschland aus den Reihen der Reformpädagogen. Sie sahen den Lebensraum Schule als Schonraum an, der die Zöglinge möglichst lange vor den Widrigkeiten des Lebens schützen sollte. Durch eine vollständige Öffnung der Schule zur Gemeinde hin würde dieser Schonraum seine Unberührtheit verlieren (vgl. Böhm 2006, S. 56-57).
Kurt Hahn, Mitgründer der Reformschule Salem, legte Wert darauf, dass Schüler Dienst am Nächsten leisten. Er stellte fest, dass ein praktischer Einsatz für andere in gemeinwesenorientierten Schulen soziales Lernen eher fördert als eine vorbildwirkende Person oder eine erzählte Biographie. Erziehung zur Verantwortung ist bei Kurt Hahn auch auf christlichen Wertvorstellungen basierend (z.B. barmherziger Samariter, Luk 10, 30-35). Weiter gebe die Erziehung zur Verantwortung den Schülern die Möglichkeit, ein demokratisches Unrechtsbewusstsein zu entwickeln (vgl. Böhm 2006, S. 59). Durch die Einführung von Ganztagsschulen könnten Aspekte der gemeinwesenorientierten Schule wieder vermehrt in die pädagogischen Konzepte aufgenommen werden, da hierfür nun wieder mehr Zeit zur Verfügung steht. Die Öffnung von (Ganztags-)schulen birgt auch eine Chance der Öffnung hin zu Kooperationspartnern. Jedoch ist zu beachten, dass die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern mit den Inhalten des Unterrichts synchronisiert sein sollte, damit sie nicht zu „leerer Betriebsamkeit und bloßen Spaß-veranstaltung“ (vgl. Böhm 2006, S. 63) entgleitet.
1.2.4 Sozialpädagogische Schule
Struck fordert, die Schule müsse sozialpädagogische Funktionen übernehmen. Die veränderte Gesellschaft könne keine suffiziente Erziehung mehr im Hinblick auf soziales Lernen gewährleisten. Hierzu benötige es neben der fachlichen eine sozialpädagogische Ausbildung der Lehrer (vgl. Struck 1980, S. 45-46). Weiter wirft Struck den Lehrern vor, bei erzieherischen Maßnahmen wie Bestrafung meist nicht unter der Beachtung ihrer Vorbildfunktion vorzugehen (zu harte, ungerechte, nicht zielführende Strafen). Zur Erreichung des Ziels der sozialpädagogischen Schule fordert er, ähnlich wie die Reformpädagogik, das Durchführen von Festen und Feiern, Zusammenarbeit von Schule und Eltern, Öffnung der Schule nach außen, Durchführung von Praktika in Betrieben und Institutionen sowie Schullandheimaufenthalte und Unterrichtsgänge zu außerschulischen Lernorten. Ziel der sozialpädagogischen Schule nach Struck ist es, die „Bindungslosigkeit“ in den Verhältnissen Schüler-Schüler, Schüler-Lehrer und Schule-Gesellschaft zu überwinden (vgl. Struck 1980, S. 19).
1.2.5 Trainingsprogramme
Zum sozialen Lernen existieren einige Trainingsprogramme, welche entweder im Unterricht in einzelnen Sequenzen oder als zusammenhängendes Seminar außerhalb des regulären Unterrichts durchgeführt werden. Unterrichtseinheiten gibt es beispielsweise basierend auf der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn (vgl. Bönsch 1994, S. 20-21; Wellhöfer 2001, S. 110-114; Böhm 2006, S. 83). Zusammenhängende Seminare sieht beispielsweise das „Bremer Modell“ vor, das auch modular absolviert werden kann. Beide Arten von Trainingsprogrammen basieren hauptsächlich auf einem hohen Anteil an Schüleraktivität, insbesondere durch freie oder strukturierte Rollenspiele (vgl. Böhm 2006, S. 83).
1.2.6 Lernziele des sozialen Lernens
Claußen systematisiert die Lernziele des sozialen Lernens:
In Bezug auf das Individuum:
- Genese der Persönlichkeit, Identitätsfindung
- Wirkung auf andere, Verhaltensmodifikation, Aggression
- Bedürfnisbefriedigung, Vorurteile
Bezogen auf eine Partnerbeziehung (Dualität):
- Beziehungsstrukturen menschlicher Kommunikation, interpersonelle Wahrnehmung
- Kontextvariablen personaler Begegnung, Chancen gegenseitiger Verständigung
- Wechselseitige Bedürfnisbefriedigung
Bezogen auf das Gruppenleben (Klasse, Schule; mikrosozialer Bereich):
- Dynamik von Gruppenprozessen, Konkurrenz
- Hierarchien, Interessenkonflikte, Diskriminierung
- Handlungsstrategien, Bedürfniskoordination
Bezogen auf die Gesamtgesellschaft (makrosozialer Bereich):
- Ordnungssysteme, Sozialisation und Erziehung, Historizität
- Ungleiche Lebens- und Entfaltungschancen, Schichtung
- Konfliktregelungen, Diskrepanzen zwischen Sollen und Sein
(Claußen 1978, S. 107)
Die Schule muss sich allen vier Zielbereichen sozialen Lernens annehmen, wenn sie dem Erziehungsauftrag voll gerecht werden will.
1.3 Lernprozesse des sozialen Denkens und Handelns – Psychologische Aspekte und pädagogische Schlüsse
Das Sozialverhalten des Menschen basiert auf Einstellungen, Werten und Moralvorstellungen. Es ist nicht vollständig ausgebildet angeboren, sondern muss erlernt und geübt werden. Häufig stehen die Moralvorstellungen einer Person und das tatsächliche Handeln in einem Widerspruch. Ziel des sozialen Lernens beim Menschen ist es, Sozialkompetenz herzustellen, die wiederum die Handlungs-fähigkeit in sozialen Belangen sicherstellt. Das Wissen eines Menschen wird somit vom „Verfügungswissen“ um das „Orientierungswissen“ erweitert. Das Verfügungswissen oder auch Sachwissen gibt die Erklärung, wie etwas funktioniert, was man tun will. Das Orientierungswissen hingegen gibt die Erklärung, ob man das, was funktioniert, auch tun kann, soll oder darf (vgl. Böhm 2006, S. 90). Die Schule muss also beiderlei Wissensgebiete abdecken, wenn sie soziales Lernen gestaltet.
Soziale Kompetenz ist definiert als „Verfügbarkeit und Anwendung kognitiver, emotionaler und motorischer Fertigkeiten, die in bestimmten sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen führen“ (Böhm 2006, S. 98).
Böhm unterteilt die Kompetenzen des sozialen Lernens in vier Kategorien: „Wahrnehmungsfähigkeit“, „Urteilsfähigkeit“, „Entscheidungsfähigkeit“ und „Handlungsfähigkeit“. Der Schüler muss zunächst dazu befähigt werden, soziale Werte und Normen und die damit verbundenen Problemstellungen wahrzunehmen. Anschließend muss es ihm möglich sein, ein Urteil über ein moralisches Problem zu fällen. In der nächsten Stufe muss er zu einer Entscheidung kommen, die er auch gegenüber anderen vertritt. Als letzte Kompetenz steht die Handlungskompetenz, die Fähigkeit, die getroffene Entscheidung auch auszuführen (vgl. Böhm 2006, S. 92).
Die Entwicklung des moralischen und sozialen Urteils wurde eingehend von Kohlberg untersucht. Nach seiner Theorie ist die moralische Entwicklung abhängig von „Umwelteinflüssen und Aktivitäten des Menschen, sozialen Erfahrungen und kognitiver Aneignung sowie der eigenständigen Interpretation dieser Er-fahrungen in den Bahnen fortschreitender Komplexität“ (Böhm 2006, S. 100). Somit ist jeder auch selbst ein Stück weit für seine moralische Entwicklung verantwortlich. Kohlberg stellte fest, dass der Mensch in seiner Entwicklung verschiedene Stufen der Moralentwicklung durchläuft. Er unterscheidet drei Stadien mit je zwei Stufen, wobei viele Menschen das letzte Stadium nicht erreichen. Die Stufe, die ein Mensch erreicht, ist abhängig von seinem Alter und seiner Bildung. Auch Faktoren wie Religiosität spielen eine Rolle. Die moralische Entwicklung kann sich bei Nichtförderung wieder zurückentwickeln, so dass sie auf eine niedrigere Stufe zurückfällt (vgl. Oser / Näpflin 2010, S. 566-570; Montada 2008, S. 596-598). Alle an der Bildung beteiligten Institutionen müssen die moralische Urteilsfähigkeit fördern.
Da im Jugendalter der Einfluss der Peergroup gegenüber dem Einfluss der Erwachsenen immer wichtiger wird, werden auch die Möglichkeiten des Lehrers, die Moralentwicklung zu beeinflussen, geringer. Darum muss der Lehrer den „Umweg“ über die Schüler gehen – die Schüler sollen sich selbst in ihrer Moralentwicklung stärken. Die Begünstigung der Moralentwicklung durch die Schüler selbst erfolgt dadurch, dass man ihnen Verantwortung überträgt. Verantwortung im kleinen Rahmen übernehmen die Schüler durch die Dienste in der Klasse, wie Tafeldienst oder Pflanzenpflegedienst. Die Verantwortung für einen Bereich führt dazu, dass dieser besonders gepflegt und gegebenenfalls auch vor einer Verunreinigung oder Zerstörung durch Mitschüler geschützt wird. Es entsteht eine Wertschätzung der Dienste und auch den Einrichtungsgegenständen gegenüber. Weiter werden die Schüler angeleitet, den Unterricht mitzugestalten, zum Beispiel, indem sie, wann immer möglich, in Entscheidungen bezüglich der Stoffauswahl eingebunden werden oder indem sie Unterrichtsgespräche leiten. Auch eine Hilfe-stellung der Schüler untereinander, beispielsweise bei der Hausaufgabenerstellung oder der Vorbereitung eines Referats, ist anzuregen (vgl. Böhm 2006, S. 104).
Eine weitere Ebene, auf der die moralische Entwicklung begünstigt werden kann, ist die der Kommunikation. Hier müssen die Schüler die Aspekte der verbalen und nonverbalen Kommunikation kennen, um eine zielführende Kommunikation zu führen (vgl. Böhm 2006, S. 104).
Andere Möglichkeiten, das soziale Lernen auf Klassenebene voranzutreiben, finden sich in Gesprächskreisen und Diskussionsrunden zu internen oder externen Themen. Die Schüler sollen hier in der Lage sein, ihre Emotionen und Konflikte in Bezug auf das diskutierte Problem zu äußern.
Auf der Ebene der gesamten Schule bieten sich Schulkodexes an, welche, ähnlich wie die „Gesprächsregeln“ in der Klasse, das Zusammenleben in der Schuleregeln. Der Kodex sollte mit allen Beteiligten gemeinsam erarbeitet werden, damit er auch von allen akzeptiert und gelebt wird. Auch Feste und Feiern können helfen, das Schulklima zu verbessern und somit die Moralentwicklung anzuregen (vgl. Bönsch 1994, S. 13-15, 73; Fend 1977, S. 123-125).
Eine nicht subjektbezogene, also rein theoretische Moralentwicklung ist weniger erstrebenswert. Sie produziert zwar möglicherweise auch Einstellungen, aber der Schritt zur Handlung wird dabei nicht geübt und bleibt vermutlich auch bei späteren Moralentscheidungen aus.
In den folgenden Kapiteln wird gezeigt werden, wie soziale in der Schule Dienste im Allgemeinen und der Schulsanitätsdienst im Besonderen die Lernprozesse des sozialen Denkens und Handelns auf vielfältige Art und Weise praxisnah fördert.
2 Soziale Dienste an Schulen
2.1 Begriffsexplikation und -abgrenzung
Soziale Dienste an Schulen sind schulische Arbeitsgemeinschaften und/oder Wahlfächer, in denen Schüler in der Schule oder außerhalb der Schule Dienste für die Allgemeinheit leisten. Die Teilnahme an diesen Diensten steht in der Regel allen Schülern offen. Sie folgen meist keinem staatlich festgelegten Lehrplan, sondern gehen auf die Neigungen und Interessen der Schüler ein. Hierzu bedarf es Lehrkräfte als Betreuer der sozialen Dienste, die aus dem jeweiligen Bereich über besonderes Wissen und Erfahrungen verfügen. Ein sozialer Dienst wird langfristig, mindestens über mehrere Jahre betrieben. Häufig werden zur Gründung und zum Betrieb externe Kooperationspartner herangezogen. Die Initiative zur Gründung eines sozialen Dienstes kann von Schülern, Lehrern, der Schulleitung und externen Partnern ausgehen.
In den staatlichen Regelschulen sind soziale Dienste in der Regel freiwillig, da es keine lehrplanmäßige Verpflichtung für sie gibt. Als freiwillige soziale Dienste in Schulen sind häufig eingerichtet: Schülermitverantwortung (SMV), Streitschlichter, Schülerlotsen, Tutoren, Nachhilfe, Hausaufgabenbetreuung, Schulfeuerwehr und Schulsanitätsdienst (vgl. Rein 2009, S. 13). Je nach den örtlichen und schulischen Gegebenheiten und den Interessen der Schüler und Lehrer ist auch die Einrichtung anderer sozialer Dienste, wie zum Beispiel einer Wasserrettungsgruppe oder eines Heim- oder Krankenhausbesuchsdienstes möglich.
Es gibt auch soziale Dienste, die einer Verpflichtung des Schülers unterliegen, wie zum Beispiel Tafeldienst oder Pausendienst (Beseitigung von herumliegendem Abfall am Ende der Pause). Sie sind auf der einen Seite pädagogisch notwendig, um die Schüler zur Ordnung und Achtsamkeit gegenüber der Schule und ihrer Einrichtung zu erziehen, andererseits aber auch organisatorisch notwendig, da ansonsten am Beispiel des Pausendienstes der Unrat nur unter Einsatz von eingestelltem Personal beseitigt werden könnte. Die Verpflichtung besteht bei dieser Art von sozialen Diensten darin, dass Schüler in einem bestimmten zeitlichen Abstand diesen Dienst leisten müssen. Die Dienste sind in der Regel innerhalb der Schule (Pausendienst) von der Schulleitung oder innerhalb der Klasse (Tafeldienst) vom Klassenlehrer nach einem Plan eingeteilt. Durch den Zwangs-charakter, den diese Dienste haben, zeigen sich zwar weniger Effekte auf die sozialen Kompetenzen der Dienstleister als bei einer freiwilligen Tätigkeit, verpflichten aber jeden einzelnen zum Dienst an der Gemeinschaft. Dies kann einerseits dazu führen, dass der Dienst als sinnvolle Tätigkeit angesehen wird. Dann wird sie mit Gewissenhaftigkeit und Freude ausgeführt. Andererseits kann die Verpflichtung als ungerecht angesehen werden, so dass der Dienst nachlässig ausgeführt wird.
In manchen Schulen in privater Trägerschaft (z.B. Schloss Salem) kann die Teilnahme an einem in Regelschulen als freiwillig durchgeführter Schulsozialdienst auch obligatorisch sein oder zumindest einer moralischen Verpflichtung unterliegen (vgl. Rein 2009, S. 31). Der Schüler muss sich dann im Rahmen seiner Neigungen für einen sozialen Dienst entscheiden.
Eine Unterscheidung der sozialen Dienste kann neben der Freiwilligkeit oder obligatorischen Teilnahme auch über den Ort der Dienstleistung erfolgen. So sind soziale Dienste wie der Pausendienst oder der Tafeldienst lediglich auf die Schule beziehungsweise den Klassenraum beschränkt. Andere Dienste, wie zum Beispiel die Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe oder der Schulsanitätsdienst, kann bei entsprechender Qualifikation der Helfer und passenden institutionellen Rahmen-bedingungen auch außerhalb der Schule oder für Personen, die nicht zur Schule, an der der Dienst betreut wird, gehören, wirksam werden. Soziale Dienste, die ihren Tätigkeitsschwerpunkt hauptsächlich außerhalb der Schule haben, sind beispielsweise die Besuchsdienste.
Rein unterscheidet weiterhin soziale Dienste nach dem Vorhandensein von „erfahrungsträchtiger Intensität, Vielfalt und Nachhaltigkeit“ (vgl. Rein 2009, S. 33). Erfahrungsbedeutsame Ereignisse sind solche besonderen Ereignisse, welche die Bereitschaft, den Dienst weiter zu leisten, erhöhen. Dies kann zum Beispiel durch ein Erfolgserlebnis oder einer Anerkennung durch eine Person, der geholfen wurde, geschehen. Vielfältigkeit in diesem Sinn bedeutet, dass die Arbeit abwechslungsreich sein und nicht ständig wiederkehrende Arbeitsschritte beinhalten soll. Nachhaltigkeit in sozialen Diensten ist dann gegeben, wenn sowohl der Dienstempfänger als auch der Dienstleister über die Dienstleistung hinaus einen persönlichen immateriellen Gewinn aus der Hilfeleistung erzielen. Auf den Pausendienst oder den Tafeldienst passen die oben genannten Aspekte kaum. Die Häufigkeit von erfahrungsbedeutsamen Ereignissen dürfte begrenzt sein, da die Schüler in der Regel nicht mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Da die Reinigung der Pausenräume und des Pausenhofs immer den gleichen Ablauf hat, ist die Aufgabe eher eintönig als vielfältig. Auch die Nachhaltigkeit ist kaum gegeben, da nach der nächsten Pause die gleiche Arbeit wieder anfällt. Mittelfristig kann jedoch der Effekt auftreten, dass die Schüler, um sich selbst oder ihren Mitschülern Arbeit zu ersparen, die Verschmutzung vermeiden. Anders bei Diensten wie der Nachhilfe oder dem Schulsanitätsdienst. Im Falle der Nachhilfe steht dem Dienstleistenden eine abwechslungsreiche und nachhaltige Aufgabe bevor. Die Abwechslung ist durch das ständige Fortschreiten des Stoffinhaltes gegeben. Nachhaltig ist Nachhilfe, da der Dienstleistende durch das Prinzip Lernen durch Lehren selbst seine Kenntnisse erweitert oder festigt. Die in der Regel in Form von besseren Noten auftretenden Erfolgserlebnisse sind erfahrungsbedeutsame Ereignisse. Gleiches gilt auch für den im weiteren Verlauf umfassend beschriebenen Schulsanitätsdienst. Hier treten im Einsatz erfahrungsbedeutsame Ereignisse in der Form auf, dass sich der Zustand des Betroffenen verbessert. Nachhaltigkeit ist dadurch gegeben, dass der dienstleistende Schüler durch seine Ausbildung auch über den konkreten Einsatz hinaus Fertigkeiten und Fähigkeiten behält. Dem Dienstempfänger kommt zugute, dass seine Gesundheit nicht nachhaltig beeinträchtigt bleibt.
2.2 Unterrichtskonzepte und Projekte zum sozialen Lernen
Neben den sozialen Diensten beschäftigen sich auch einige Unterrichtskonzepte und Kooperationsprojekte mit dem sozialen Lernen. Diese unterscheiden sich von den sozialen Diensten in Schulen in der Form von Arbeitsgemeinschaften dahingehend, dass sie nicht auf Dauer angelegt sind, sondern entweder nur einen Tag, wenige Wochen oder ein Schuljahr umfassen. Im Gegensatz dazu sind soziale Dienste an Schulen dauerhaft angelegt und Schüler können an ihnen während ihrer gesamten Schulzeit teilnehmen.
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[1] Im Volksmund frei nach Seneca. Ursprünglich „Non vitae, sed scholae discimus.“ (lat. „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.“)
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- Daniel Wirth (Author), 2010, Soziales Lernen durch Verantwortungsübernahme - Der Schulsanitätsdienst als freiwilliger sozialer Dienst in der Schule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196305
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