Die Pfadabhängigkeitstheorie als Erklärungsansatz unternehmerischer Entwicklungsprozesse

Darstellung und kritische Würdigung


Diplomarbeit, 2011

95 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Theorie der Pfadabhängigke
2.1 Ursprung und begriffliche Fokussieru
2.2 Kernkonzepte der Pfadabhängigke
2.2.1 Eigenschaften pfadabhängiger Entwicklung
2.2.2 Positive Rückkopplungen
2.2.3 Der Weg zum „Lock in“
2.3 Pfadbrechung und Pfadkreation

3 Die Entwicklung von Unternehm
3.1 Definition und Begriffsabgrenzu
3.2 Grundkonzept und wichtige Aspek
3.3 Phasen einer Unternehmensentwicklu
3.3.1 Hauptmerkmale und Probleme der Pionierpha
3.3.2 Hauptmerkmale und Probleme der Wachstumspha
3.3.3 Hauptmerkmale und Probleme der Reifepha
3.3.4 Hauptmerkmale und Probleme der Wendephase

4 Kritische Würdigung der Pfadabhängigkeitstheorie in der Unterneh- mensentwicklung
4.1 Vorgehensweise und Herleitung von Analysekriteri
4.2 Durchführung der Analy
4.2.1 Pionierphase
4.2.1.1 Erklärungsgehalt der Pfadabhängigkeitstheorie
4.2.1.2 Handlungsmöglichkeiten durch die Pfadabhängigkeitstheor
4.2.1.3 Empirische Bestätigung der Pfadabhängigkeitstheor
4.2.2 Wachstumspha
4.2.2.1 Erklärungsgehalt der Pfadabhängigkeitstheorie
4.2.2.2 Handlungsmöglichkeiten durch die Pfadabhängigkeitstheor
4.2.2.3 Empirische Bestätigung der Pfadabhängigkeitstheor
4.2.3 Reifepha
4.2.3.1 Erklärungsgehalt der Pfadabhängigkeitstheor
4.2.3.2 Handlungsmöglichkeiten durch die Pfadabhängigkeitstheor
4.2.3.3 Empirische Bestätigung der Pfadabhängigkeitstheor
4.2.4 Wendepha
4.2.4.1 Erklärungsgehalt der Pfadabhängigkeitstheorie
4.2.4.2 Handlungsmöglichkeiten durch die Pfadabhängigkeitstheor
4.2.4.3 Empirische Bestätigung der Pfadabhängigkeitstheor
4.3 Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse

5 Schlussbetrachtung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Das Koordinationsspiel

Abb. 2: Modell des Pfadbildungsprozesses

Abb. 3: Modell der Pfadbildung und -brechung

Abb. 4: Der Prozess der Pfadkreation

Abb. 5: Der Unternehmenslebenszyklus

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Zusammenfassung der Ergebnisse der kritischen Beurteilung der Pfadabhängigkeitstheorie in den Phasen der Unternehmensentwicklung

1 Einleitung

Zunehmende Komplexität und Unsicherheit in der organisatorischen Umwelt, sowie immer kurzfristiger auftretende Erfordernisse bei reduzierter Belegschaft und steigenden Kundenanforderungen, stellen Unternehmen und ihre Mitglieder vor die Notwendigkeit, sich den dynamischen, internen und externen Bedingungen der Umwelt anzupassen und sich laufend weiterzuentwickeln. Dies ist bereits unmittelbar nach der Gründung des Unternehmens nötig, um eine dauerhafte Überlebens- und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Aus der Vogelperspektive betrachtet folgt eine Organisation einem idealtypischen Entwicklungspfad, den sie nicht ohne weiteres verlassen kann.1 Sie durchläuft wie ein Mensch ein „Leben“, das mit der Geburt, also der Gründung des Unterneh- mens beginnt und im schlimmsten Fall mit dem Tod, bzw. dem Niedergang des Unternehmens endet. Für eine Übertragung von Lebensphasen auf die Unterneh- mensentwicklung kann man zu der Annahme gelangen, dass wachsende Unter- nehmen im Zeitverlauf häufig ähnlich formale Strukturen ihrer Entwicklung auf- weisen und idealtypische Phasen durchlaufen, die von Bedeutung für ihr Fortbe- stehen und ihre weitere Entwicklung sind. Bei dem jeweiligen Übergang zu einer anderen Phase kann es zu krisenhaften Situationen innerhalb des Unternehmens kommen, die durch das Management zu bewältigen sind.2

Eine Durchsicht der Literatur zeigt, dass es durchaus eine Vielzahl an Versuchen gibt, die Entwicklung, Verhalten und Krisenpotenziale eines Unternehmen durch Lebenszyklus-Modelle zu erklären. Die vorliegende Arbeit bezieht sich dabei vor allem auf die Betrachtung des Lebenszyklus-Modells der Unternehmensentwicklung von Cuno Pümpin und Jürgen Prange.

Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Entwicklung von der frühen Orien- tierung bis hin zum ausgereiften ertragsstarken Unternehmen erscheint als beson- ders wichtig, denn werden entwicklungsbedingte Probleme ignoriert und bleiben ungelöst, kann es zu dem eingangs beschriebenen Scheitern kommen. Häufig rea- gieren Unternehmen nicht schnell genug auf signifikante Veränderungen ihrer Umwelt und gerade wenn sie erfolgreich sind, sieht das Management keine Not- wendigkeit darin, einen langjährig verfolgten Geschäftszweig zu verlassen oder sich im Bereich seiner Kernkompetenzen weiterzuentwickeln. Das führt dazu, dass bewährte Wege scheinbar über Nacht ins Nichts führen und der Erfolg zur Quelle des Misserfolgs wird.3 Bemerken Unternehmen das sie in einer Krise stecken, ist es häufig schon zu spät.

In der Regel stellt es eine große Herausforderung dar, einen völlig neuen Weg zu beschreiten und von bekannten und vertrauten Gewohnheiten abzusehen, wobei der neue Weg viel eher zu dem gewünschten Ziel führen könnte. Der einmal ver- folgte Weg kann damit schnell zu einer Einbahnstraße ohne Alternative und Ab- biegungen werden.4 Dieses Phänomen wird als Pfadabhängigkeit bezeichnet.

Die Theorie der Pfadabhängigkeit liefert mit dem Fokus auf die Logik selbstver- stärkender Effekte in Verbindung mit der Historizität von Prozessen einen neuar- tigen Erklärungsansatz für anhaltendes Beharrungsvermögen eines Unternehmens. In den meisten Fällen vollzieht sich Pfadabhängigkeit jedoch still und unbemerkt. Aufgrund dessen ist es für Unternehmen umso wichtiger den Erklärungsansatz, den die Pfadabhängigkeitstheorie für ihre unternehmerische Entwicklung liefert, zu kennen und sich den Herausforderungen und Problemen einer Entwicklung, begründet durch Pfadabhängigkeit, zu stellen, um nicht in der eben beschriebenen „Einbahnstraße“ zu enden.

In der Literatur finden sich durchaus verschiedene Hinweise auf beachtliche Strukturgleichheiten zwischen dem in der Unternehmenspraxis vorzufindendem Verlauf von unternehmerischen Entwicklungsprozessen einerseits und den inhalt- lichen Annahmen der Pfadabhängigkeitstheorie andererseits.5 Auch einzelne Be- standteile der Entwicklung eines Unternehmens, wie die Reorganisation und da- mit verbundene Widerstände, wurden auf den Erklärungsgehalt von Pfadabhän- gigkeit untersucht.6 Es konnte jedoch kein Beitrag gefunden werden, in dem der Verlauf einer lebenszyklusgebundenen Unternehmensentwicklung in seinen ein- zelnen Phasen - d.h. von der Gründung bis hin zur eventuellen Wende zu einem erfolglosen und restrukturierungsbedürftigen Unternehmen, auf mögliche Erklä- rungsansätze der Pfadtheorie untersucht wurde. Dabei können bereits in den frü- hen Phasen der Entwicklung Tendenzen zu Pfadabhängigkeit entstehen und sich weiterentwickeln, bis das Unternehmen schließlich entwicklungsunfähig wird und in einem sog. Lock-in landet.

Aus diesem Grund verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel, den unternehmeri- schen Entwicklungsprozess in Form eines Lebenszyklusmodells, anhand untersu- chungsrelevanter, die Pfadabhängigkeitstheorie betreffender Kriterien, kritisch zu beurteilen. Anhand dessen werden die folgenden Forschungsfragen hergeleitet, die es im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchen und zu beantworten gilt:

Eignet sich die Pfadabhängigkeitstheorie als Erklärungsansatz für jede Phase der Unternehmensentwicklung? Wo liefert sie Erklärungsgehalt und welche Grenzen ergeben sich dabei?

Bietet die Pfadabhängigkeitstheorie Handlungsmöglichkeiten für das Management in jeder Phase der Unternehmensentwicklung und welche Grenzen ergeben sich dabei?

Lässt sich die Pfadabhängigkeitstheorie anhand empirischer Studien in jeder Phase der Unternehmensentwicklung überprüfen und deren Aussagen bestäti- gen?

Die Untersuchung dieser Thematik erstreckt sich über drei Hauptkapitel:

In Kapitel zwei wird zunächst unter Rückgriff auf das einschlägige Schrifttum ein Überblick über den Ursprung der Pfadabhängigkeitstheorie in den unterschiedlichen Forschungsrichtungen gegeben. Anschließend wird der Begriff der Pfadabhängigkeit klar eingegrenzt und durch Klärung seiner tragenden Kernkonzepte weiter ausgebaut. Hierzu werden die zentralen Eigenschaften von Pfadabhängigkeit, wichtige positive Rückkopplungsmechanismen, sowie der Weg zu einem möglichen „Lock-in“ beschrieben. Weiterhin wird durch die Pfadbrechung und die Pfadkreation eine Erweiterung des Konzepts vorgestellt.

Im dritten Kapitel wird der Fokus auf die Unternehmensentwicklung gelegt. Nach einer definitorischen Begriffsklärung erfolgt die Vorstellung der in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden Form von Unternehmensentwicklung: der lebenszyk- lusorientierten Betrachtung von Unternehmensentwicklung nach Cuno Pümpin und Jürgen Prange. Zunächst werden das Grundkonzept und wichtige Aspekte des Modells betrachtet. Daran schließt die Darstellung der vier Phasen der Unterneh- mensentwicklung - Pionierphase, Wachstumsphase, Reifephase und Wendephase - mit ihren jeweiligen idealtypischen Hauptmerkmalen und Problemen an.

Das Kapitel vier bildet den Hauptteil dieser Arbeit. In diesem wird eine Analyse durchgeführt, die die einzelnen Phasen des unternehmerischen Entwicklungspro- zesses daraufhin untersucht, inwieweit die Zugrundelegung der Pfadabhängig- keitstheorie einen Erkenntnisgewinn für die Unternehmensentwicklung liefert. Dabei werden in einem ersten Schritt die Analysekriterien festgelegt, beschrieben und begründet, um anhand dieser in einem zweiten Schritt die Konsequenzen für die einzelnen Phasen der Unternehmensentwicklung, die aus der Zugrundelegung der Pfadabhängigkeitstheorie ableitbar sind, kritisch zu beurteilen. Folgend wer- den die Ergebnisse in einem Fazit ausgewertet. Die Arbeit schließt mit einer Schlussbetrachtung.

Um den Lesefluss im Verlauf der Arbeit nicht zu beeinträchtigen wird auf die Ausdifferenzierung zwischen beiden Geschlechtern verzichtet, so dass die Nen- nung der männlichen Form gleichzeitig auch die weibliche Form impliziert.

2 Die Theorie der Pfadabhängigkeit

Inhalt dieses Kapitels sind die begrifflichen und theoretischen Grundlagen der Pfadabhängigkeitstheorie7. Es erfolgt zunächst ein Überblick zur ursprünglichen Diskussion von Pfadabhängigkeit. Hierbei werden die Entstehung, sowie die kon- zeptionelle Öffnung der Theorie aufgezeigt. Nach einer definitorischen Begriffs- klärung, werden die dazugehörigen Kernkomponenten der Pfadtheorie dargestellt. Dazu zählen die zentralen Eigenschaften eines pfadabhängigen Prozesses und positive Rückkopplungsmechanismen, die in Unternehmen dafür sorgen, dass sich Pfadprozesse bilden, verstärken und letztlich verfestigen. Eine Erweiterung des Konzepts der Pfadtheorie durch die Pfadbrechung und -kreation wird thematisch im letzten Abschnitt behandelt.

2.1 Ursprung und begriffliche Fokussierung

Das Konzept der Pfadabhängigkeit hat sich in den letzten Jahren zu einem häufig verwendeten Erklärungsansatz in der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Forschung entwickelt. Ursprünglich entstanden im angelsächsischen Bereich, ist die Pfadabhängigkeitstheorie insbesondere auf den Wirtschaftshistoriker Paul A. David und den Ökonom und Wirtschaftsmathematiker W. Brian Arthur zurückzu- führen, die das Phänomen der Pfadabhängigkeit in der Technologieforschung un- tersucht haben.8

Während sich nach den Grundannahmen der Neoklassik9 jeweils die effizientesten Technologien am Markt durchsetzen, und die Prämisse der vollständigen Umkehrbarkeit von Entscheidungen herrscht, so stellen die beiden Pioniere der Pfadabhängigkeitstheorie, dies in Frage.10 Ihre Überlegungen dienen als zentrales Erklärungsmuster für andere Forscher, die das Pfadmodell erweitern, kritisieren oder auf andere Disziplinen übertragen.

David argumentierte im Jahre 1985 am Beispiel des Schreibmaschinentastatur- Layouts ‚Qwerty’11, dass sich auch ineffiziente Technologien stabilisieren und festschreiben können, obwohl bessere Optionen verfügbar sind.12 In seinem Arti- kel „Clio and the Economics of Qwerty“ simuliert er die Entstehung eines techno- logischen Pfades für die erste Schreibmaschinentastatur die 1867 patentiert und daraufhin auf dem Markt eingeführt wurde. Bis heute konnte sich keine andere konkurrenzfähige Tastatur durchsetzen, obwohl seither Modelle entwickelt wur- den die eine deutlich höhere Tippgeschwindigkeit ermöglichten.13

Arthur hingegen nutzt zur Darstellung der pfadabhängigen Ausbreitung einer Technologie ein nach dem Mathematiker George Polya benanntes Modell, den sog. „Standard-Polya-Prozess“. Gemeinsam mit Ermoliev und Kaniovski zeigt er das Eintreten von pfadabhängigen Verläufen anhand eines Urnenmodells, in dem sich zu Beginn des Experiments zwei verschiedenfarbige Kugeln befinden - rot und weiß. Es wird nacheinander jeweils eine Kugel per Zufall aus der Urne gezo- gen. Von der gezogenen Farbe, etwa rot, werden jeweils die ursprüngliche Kugel und zusätzlich eine weitere Kugel dieser Farbe ins Glas zurückgelegt. Beim nächsten Zug ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine rote Kugel gezogen wird, bereits doppelt so hoch wie die einer weißen Kugel. Der Vorgang wird nun so oft wiederholt, bis sich eine klare Farbverteilung in der Urne herausbildet. Geringfü- gige Ereignisse oder Zufälle können besonders in den frühen Phasen der Entnah- me aus der Urne eine pfadprägende Wirkung haben und somit einen bedeutenden Einfluss auf die Durchsetzung einer Alternative.14 Anstelle des Urnenexperiments stelle man sich zwei konkurrierende Technologien vor. Ihre Chance den eigenen Marktanteil zu vergrößern und letztlich auch den Markt zu beherrschen hängt demnach davon ab, wie erfolgreich sie sich im Laufe der Zeit am Markt entwi- ckelt haben.15

Sowohl David als auch Arthur sehen für das Vorhandensein von Pfadabhängigkei- ten die Notwendigkeit von steigenden Erträgen („increasing returns“), worunter man das Vorhandensein von positiven Rückkopplungen16 bzw. selbstverstärken- den Effekten versteht.17

David bezieht sich in seinem Beitrag zur Qwerty-Tastatur auf drei zentrale Ursa- chen mit selbstverstärkendem Charakter, die in einem Wirkungszusammenhang stehen: steigende Skalenerträge, technische Verknüpfungen als Zusammenspiel von technologischer Verbreitung und gelerntem Erfahrungswissen sowie Quasi- Irreversibilität von Investitionskosten.18 Nach Arthur können vier selbstverstär- kende Effekte einen pfadabhängigen Verlauf nach sich ziehen: hohe Gründungs- bzw. Fixkosten, Lerneffekte, Koordinationseffekte sowie adaptive Erwartungen, über die der Zusammenhang zwischen aktueller Verbreitung und zukünftiger Nut- zung hergestellt wird.19

Im Jahre 1990 wurde die ursprüngliche Verfestigung des Pfadabhängigkeitskon- zeptes im technologischen Bereich von Douglas C. North erstmalig in sozialwis- senschaftlicher Weise erweitert und speziell auf den Verlauf institutionellen Wan- dels übertragen. In seinem berühmten Werk „ Institutions, institutional change and economic performance “ verwendet er die Ansätze und Argumente von David und Arthur als Erklärungen zum Fortbestehen von Institutionen20 „[…] mit anhaltend schlechter Leistung über lange Zeiträume hinweg“.21 Nach North bestimmen zwei Faktoren den Verlauf institutionellen Wandels. Das sind einerseits zunehmende Erträge und andererseits unvollkommene Märkte, die anhand ihrer signifikanten Transaktionskosten identifiziert werden können.22 Dabei vertritt er die These, dass bei Vorliegen zunehmender Erträge mit kleinen Abwandlungen alle vier von Ar- thur, in Bezug auf die Entwicklung von Technologien identifizierten Rückkopp- lungsmechanismen, auch auf Institutionen übertragbar sind.23 Ursachen hierfür sind die begrenzte Rationalität der Akteure und die hohen Transaktionskosten bei Veränderung einer Institution.24 Im Jahre 1993 wurde er für seine Arbeiten über wirtschaftlichen und institutionellen Wandel sogar mit einem Nobelpreis gekürt.25 Damit legte er eine der Grundlagen für den historischen Institutionalismus, die auch den Blick anderer Historiker auf die Pfadabhängigkeit der Entwicklung von Institutionen lenkte.26

So wurde eine Übertragung von Pfadabhängigkeit in die historische Soziologie insbesondere durch James Mahoney geprägt, der die Entwicklung sozialer Institu- tionen untersuchte.27 Auch im Bereich der Politikwissenschaften und somit dem dritten großen Zweig der Analyse von Pfadabhängigkeiten in Institutionen, liefer- ten Paul Pierson und Kathleen Thelen entscheidende Beiträge zur Wandelfähig- keit politischer Institutionen.28

Seit einigen Jahren wird die Pfadabhängigkeitstheorie auch auf die Entwicklung von Organisationen bezogen. Konzeptionelle Arbeiten zum Gegenstand der orga- nisationalen Pfadabhängigkeit entstehen besonders im Umfeld des DFG- Graduiertenkollegs (Pfadkolleg)29 „Pfade organisatorischer Prozesse“ an der Frei- en Universität Berlin. Auch hier dient die Theorie, aufbauend auf ihre Kernkon- zepte als Erklärungsansatz, um zu beschreiben warum eine Organisation trotz des Vorhandenseins besserer Alternativen weiter einen ineffizienten Weg verfolgt. Um die Theorie der Pfadabhängigkeit für die Organisationsforschung fruchtbar zu machen, haben Schreyögg, Sydow und Koch drei organisationstheoretische Kern- bereiche festgelegt, die potenziell auf organisations- und managementrelevante Formen von Pfadabhängigkeit verweisen. Als erste Ansätze dahingehend nennen Schreyögg et al. die Arbeiten von Grabher (1993), Ortmann (1995) sowie Teece, Pisano und Shuen (1997).30

Als erstes können „sozio-emotionale Prozesse“ benannt werden, bei denen Behar- rungstendenzen auf die Entwicklung und Dynamik von Emotionen zurückgeführt werden können. Weiterhin können „kognitive Prozesse“ dazu führen, dass sich Verfestigungen aufgrund von Wahrnehmung und Reflexion bilden. Kognitive Denk- und Verhaltensmuster können auf individueller und kollektiver Ebene ent- stehen, sich verstärken und letztlich einbürgern. Das dritte Merkmal, das in die- sem Zusammenhang festgestellt werden kann, sind sog. „selbstreferentielle Re- kursionsprozesse“ die auf Basis erfolgreicher Praktiken gebildet werden. Hat ein Unternehmen demnach Erfolge durch bestimmte Handlungsmuster erzielt, wird es seinen weiteren Weg auch zukünftig genau auf diese Muster stützen, was wieder- um zu einem festgefahrenen Pfad führt. Zusätzlich zu den drei Kernbereichen ist für die Betrachtung von Organisationen auch die Beachtung von Ressourcen wichtig. Investitionsentscheidungen, sowie fixe Kosten können zu einer gewissen Form von Abhängigkeit führen, da sie Unternehmen an Entscheidungen binden, die sie in der Vergangenheit getroffen haben.31

Mit der Entwicklung eines Modells mit drei zentralen Phasen der Pfadabhängig- keit, haben es Schreyögg, Sydow und Koch außerdem geschafft, den zeitlichen Ablauf von Pfadprozessen zu systematisieren und eine Orientierung für die Diag- nose von Pfadabhängigkeit in Organisationen zu bieten.32 Auch eine Erweiterung des Konzeptes um die Aspekte der Pfadbrechung und der Pfadkreation wurde maßgeblich durch die Organisationstheorie angestoßen. Der organisationale Kon- text der Pfadabhängigkeitstheorie ist für die vorliegende Arbeit grundlegend und für die weiteren Ausführungen somit von besonderer Bedeutung, da er einen ge- eigneten Rahmen für eine Analyse in der Unternehmensentwicklung schafft.

Zusammenfassend kann vorerst jedoch allgemein festgestellt werden, dass die Diskussion zum Ursprung der Pfadtheorie verschiedene Ansätze des Konzepts aufzeigt, die in unterschiedliche Bereiche übertragen und erweitert wurden, ohne jedoch den theoretischen Kern aufzugeben. Aus den vorgestellten Arbeiten soll nun dieser theoretische Kern in eine Arbeitsdefinition übertragen werden, die die wichtigsten charakteristischen Merkmale des Begriffes der Pfadabhängigkeit ent- hält und als Grundlage für den weiteren Verlauf der Arbeit dienen soll.

Pfadabhängige Entwicklungen sind dadurch gekennzeichnet, dass scheinbar kleine, zufällige Ereignisse zu Beginn der Entwicklung positive Rückkopplungs- mechanismen auslösen, die einen selbstverstärkenden Charakter besitzen und dafür sorgen, dass der einmal eingeschlagene Pfad im Zeitablauf fortbesteht und von zunehmender Inflexibilität gekennzeichnet ist, die zu einem irreversiblen Re- sultat, genannt „ Lock-in “ führen kann. Ist dieser Zustand erreicht spricht man von Pfadabhängigkeit.

Diese Definition allein reicht jedoch nicht aus. Vielmehr bedarf es einer Zusam- menfassung der zentralen Annahmen, die für die vorliegende Arbeit mit Bezug zur Ebene der Organisationstheorie, in den nächsten Abschnitten dargestellt wer- den sollen.

2.2 Kernkonzepte der Pfadabhängigkeit

Wie soeben in der Definition dargelegt, basieren die Grundzüge der Pfadabhän- gigkeitstheorie auf zentralen Kernannahmen, die auch bei Übertragung in unter- schiedliche Forschungsrichtungen, trotz kleiner Abweichungen, durchweg er- kennbar sind. Diese basieren auf gewissen Eigenschaften und positiven Rück- kopplungen, die beim Prozess der Pfadbildung von besonderer Bedeutung sind und sogar in einen graphisch-systematischen Prozess übertragen werden konnten.

Somit werden in diesem Abschnitt für die Arbeit wichtige, tiefer gehende Bestandteile der Pfadabhängigkeitstheorie herausgestellt und erläutert. Ziel ist es, dadurch das soeben dargelegte Verständnis von Pfadabhängigkeit weiter zu verfestigen und in seinen tieferen Grundannahmen kennen zu lernen.

2.2.1 Eigenschaften pfadabhängiger Entwicklungen

Eine Teilimplikation der Definition von Pfadabhängigkeit ist die Tatsache, dass die Geschichte für die Evolution von Prozessen eine Rolle spielt.33 Das Argument der Historizität beschreibt den Sachverhalt, dass strategische und organisatori- sche Entscheidungen nicht vollkommen voraussetzungsfrei getroffen werden können, auch wenn sie zunächst als offen und nichtdeterminiert beschrieben wer- den. Ab einem bestimmten Zeitpunkt prägen vorangegangene, in der Vergangen- heit geschehene Ereignisse und Handlungen, die zukünftigen Entwicklungen und können auf diese Weise den Pfad einer Organisation festigen.34 Beispiele für solch beeinflussende Faktoren können die bestehenden Strukturen und Prozesse, sowie die Einflussnahme der Akteure in Organisationen sein.35 Nach Ackermann ist Nonergodizität eine notwendige Voraussetzung für einen Prozess, um ihn in Verbindung mit Historizität zu betrachten,36 d.h. „dass (1) mehrere ‚Ergebnisse‘ möglich sind und (2) das Ergebnis, welches sich einstellt, sich daraus ergibt, wel- che zeitliche Entwicklung der Prozess nimmt“.37 Neben diesem Aspekt sind vor allem weitere Eigenschaften von Prozessen zu identifizieren, um sie als pfadab- hängig kennzeichnen zu können. Zusammengefasst werden sie durch folgende Eigenschaften charakterisiert.38

Nichtvorhersagbarkeit : Hiermit ist gemeint, dass man vorab nicht genau bestim- men kann, wie ein Prozess verläuft und wie sein Endzustand aussieht, da eines von vielen möglichen Ereignissen eintreten kann. Das bedeutet, dass es trotz dem Vorhandensein positiver Rückkopplungen, die eine gewisse Entwicklung wahr- scheinlicher machen, Schlüsselpunkte geben kann, an denen kleine kritische Er- eignisse, darüber entscheiden, wie der weitere Verlauf des Prozesses aussehen wird.39 Nichtvorhersehbarkeit unterstreicht damit die anfängliche Offenheit und Nichtdeterminiertheit pfadabhängiger Prozesse und liefert Argumente dafür dass die Geschichte eine wichtige Rolle spielt.40

Inflexibilität: Je weiter ein Prozess fortgeschritten ist, umso schwieriger und un- wahrscheinlicher ist es, den Pfad noch einmal zu verlassen.41 Inflexibilität nimmt im Zeitablauf zu, da selbstverstärkende Effekte dafür sorgen, dass der Pfad ein stabiles „Gleichgewicht“ erreicht.42

potenzielle Ineffizienz : Pfadabhängige Prozesse können zu unerwünschten ineffi- zienten Zuständen führen und ausgelöst durch kleine Ereignisse können sie sich durchsetzen, selbst dann, wenn es effizientere Alternativen gibt.43 Bei Erlangung dieses Zustandes spricht man auch von einem Lock-in. Während dies theoretisch anhand der Modelle von Arthur und David nachgewiesen werden konnte, lässt sich in der Realität beobachten, dass es eine vollkommene Inflexibilität von Orga- nisationen nicht gibt, da sich irgendwann immer ein Wandel einstellen wird.44

2.2.2 Positive Rückkopplungen

Die zweite wichtige Teilimplikation der Definition von Pfadabhängigkeit ist das Argument der „positiven Rückkopplungen“. Wie bereits in Kapitel 2.2 erläutert wurde, verfügt ein pfadabhängiger Prozess über eine anfängliche Unbestimmtheit, die jedoch im weiteren Verlauf auf Basis von Selbstverstärkungsmechanismen zunehmend eingeengt wird.45 Allgemein definiert bewirkt eine positive Rück- kopplung, dass eine Zunahme (Abnahme) eines bestimmten Faktors zu einer er- höhten Wahrscheinlichkeit der weiteren Zunahme (Abnahme) dieses Faktors führt.46 In der einschlägigen Literatur wurden aus den unterschiedlichen, bereits genannten Forschungsrichtungen, eine Vielzahl von positiven Rückkopplungen zusammengetragen. Um einer Übertragbarkeit in den organisationalen Kontext gerecht zu werden, sollen vier ausgewählte Mechanismen näher erläutert werden, da sie eine hervorgehobene Stellung bei organisationalen Pfadprozessen einneh- men. Das sind steigende Skalenerträge, Koordinationseffekte, Komplementarität- seffekte und Lerneffekte.47

Economies of scale: Der Rückkopplungseffekt der steigenden Skalenerträge liegt bei Unternehmen vor, wenn mit steigender Produktionsmenge die Kosten eines produzierten Stücks sinken. Dies kann z.B. bei der Einführung effektiverer Pro- duktionsverfahren oder bei Produktionserhöhung durch Ausweitung der Marktan- teile der Fall sein.48 Je höher also die anteiligen Fixkosten an den Gesamtkosten sind, desto stärker sinken die Durchschnittskosten eines Produktes bei Erweite- rung der Produktion. Allein das Vorhandensein von steigenden Skalenerträgen ruft allerdings noch keinen selbstverstärkenden Effekt hervor. Erst wenn der Ef- fekt der steigenden Skalenerträge einen weiteren Anstieg der Skalenerträge zur Folge hat, bedingt durch Entscheidungen der Vergangenheit, bildet sich eine Er- folgsspirale aus sich gegenseitig beeinflussenden und verstärkenden Effekten und Entscheidungen.49

Koordinationseffekte: Die Wirkung von Koordinationseffekten als ein selbstver- stärkender Mechanismus ergibt sich aus den Vorteilen gleichartiger Verhaltens- weisen der verschiedenen Akteure in Organisationen. Der Zufall oder kleine his- torische Ereignisse tragen dazu bei, dass eine der Handlungsmöglichkeiten mögli- cherweise häufiger gewählt wird. Der Nutzen, der durch Kooperationen und die steigende Verbreitung einer Idee bzw. durch regelkonformes Verhalten entsteht, wächst mit der Zahl der Individuen, die diesem Handlungsmuster folgen.50 Aller- dings kann dies auch zu einer Verfestigung ineffizienter Strukturen beitragen.

Ein einfaches Koordinationsspiel aus der Spieltheorie kann illustrieren, wie dieser Effekt der Selbstverstärkung in Organisationen bei der Entstehung von Regeln vorliegen kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Das Koordinationsspiel (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ackermann (2003): 237.)

Beide Spieler präferieren in diesem Fall Regel L. Hat sich jedoch Regel R einmal durchgesetzt, wird aufgrund positiver Rückkopplungen die gewählte Regel stabil und es gibt für den einzelnen Spieler keinen Anreiz mehr, davon abzuweichen. In einer Situation, in der sich alle nach Regel R verhalten, erzielen sie eine Besser- stellung aller, gegenüber einem regellosen Zustand und gelangen somit zu höhe- ren Auszahlungen.51 Aufgrund dessen können sich aus diesem Muster ebenso in- formelle Regeln durchsetzen, auch wenn sie möglicherweise zu Ineffizienz nei- gen.

Komplementaritätseffekte: Der Effekt der Komplementarität funktioniert ähnlich wie der der Koordination. Während dort die Kompatibilität von Verhalten erklärt wird, beziehen sich die hier genannten Komplementaritätseffekte auf die Ver- knüpfung verschiedener Strukturen von Organisationen. Zwei Teile oder Struktu- ren eines Systems sind komplementär, wenn die Existenz der einen Struktur den Wert der jeweils anderen positiv prägt.52 Ist bspw. ein Managementsystem veraltet und wurde nicht den aktuellen Gegebenheiten angepasst, weil es mit anderen Sys- temen (zum Beispiel IT- und EDV Systemen) zu eng koordiniert bzw. komple- mentär ist, kann man davon ausgehen, dass es die benötigte Flexibilität verliert um anpassungsfähig zu bleiben. In diesem Fall kann man von einer Pfadabhän- gigkeit durch Komplementaritätseffekte ausgehen.53

Lerneffekte : Häufig sind es Meinungen, Aussagen und Haltungen von Individuen, die hartnäckig bestehende Verhaltensmuster auslösen. Dieses Vorgehen der Selbstverstärkung erklärt der Lerneffekt, indem er die kognitive Komponente be- trachtet.54 Für die Pfadabhängigkeit individuellen Lernens können nach Acker- mann zwei Gründe ausfindig gemacht werden. Zum einen bilden mentale Modelle vereinfachte vorgefertigte Denkmuster, die unser Verhalten entsprechend beein- flussen und somit eine Grundlage für weiteres Lernen darstellen.55 Zum anderen kann die selektive Wahrnehmung dazu beitragen, „dass die Entwicklung kogniti- ver Systeme nicht beliebig flexibel, sondern durch die bereits vorhandenen menta- len Modelle56 begrenzt ist.“57 Es ist dementsprechend deutlich leichter, ein beste- hendes Modell weiterzuentwickeln, als es ständig neu zu kreieren.58 Individuelles Lernen beruht besonders auf der Tatsache und der Fähigkeit des Menschen, durch das Abkupfern von Denk- und Verhaltensweisen anderer zu lernen. Dieser Sach- verhalt ist jedoch in Bezug auf kollektives Lernen in Organisationen noch deutlich entscheidender. Andere Unternehmensmitglieder können dort in ihrem Handeln und den daraus resultierenden vielversprechenden oder eher weniger effektiven Folgen beobachtet werden. Diese bewusste Imitation kann mögliche ineffiziente Verhaltensweisen hervorheben und damit zu Inflexibilität führen.59

Gemeinsam haben alle Effekte den Grundmechanismus: Durch Wiederholung oder Verstärkung einer oder mehrerer Variablen im Zeitablauf entsteht durch ei- nen Selbstverstärkungsmechanismus eine zunehmende Fixierung auf eine Alter- native, die gleichzeitig andere Alternativen ausschließt. Zwar kann theoretisch einer dieser Mechanismen ausreichen um eine pfadabhängige Entwicklung zu begründen, in der Praxis von Unternehmen werden jedoch zumeist mehrere Me- chanismen zusammenwirken.60

2.2.3 Der Weg zum „Lock in“

Eigenschaften und positive Rückkopplungen geben bereits erste Anhaltspunkte auf einen sich herausbildenden Pfad. Von Pfadabhängigkeit kann jedoch erst die Rede sein, wenn sich der Zustand eines Lock-ins eingestellt hat.61 Der Weg des Pfadentwicklungsprozesses hin zu dieser Situation kann grundsätzlich in drei Phasen unterteilt werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Modell des Pfadbildungsprozesses (Quelle: Eigene Darstellung in Anleh- nung an Schreyögg (2008): 11.)

Phase I zeigt die Entstehung pfadabhängiger Prozesse, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht als solche identifizierbar sind.62 Vielmehr sind sie in dieser Anfangs- phase offen und nicht durch eine Unbeweglichkeit gekennzeichnet. Obwohl in dieser ersten Phase noch ein breites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten be- steht, sind diese natürlich auch durch gewisse historische Entwicklungen vorge- prägt.63 Dieses Vorhandensein von Historizität kennzeichnet der graue Schatten. Der Übergang von Phase I zur Phase II wird durch ein „critical juncture64 “ be- stimmt.65 Ausgelöst durch ein „small event“ können ab diesem Zeitpunkt positive Rückkopplungsmechanismen auftreten und dazu führen, dass sich ein Pfad her- ausbildet und verstärkt. Ex ante ist nicht bestimmbar, ob und wann ein solches Ereignis eintritt.66 Durch einen „Lock-in“ gerät der pfadabhängige Prozess schließlich in Phase III. Ist dieser Zustand erreicht, werden keine anderen, mögli- cherweise effizienteren, Alternativen mehr betrachtet und der Pfad kann nicht mehr oder nur noch unter großen Anstrengungen verlassen werden.67 In dieser Situation zeichnet sich das pfadabhängige System durch eine gewisse Immunität gegenüber Wandlungsbemühungen und Veränderungen aus.

2.3 Pfadbrechung und Pfadkreation

Pfadbrechung:

Ist ein Pfad einmal verriegelt, nimmt er weiter seinen Lauf, ohne dass auf Alterna- tiven ausgewichen werden kann. Wichtig ist jedoch für Unternehmen, eine pfad- abhängige Entwicklung vorerst zu erkennen und als eine solche zu identifizieren. Ist dies der Fall, besteht zunächst nicht zwingend Handlungsbedarf. In manchen Fällen kann es sogar wirtschaftlich sinnvoll sein, einen bestimmten Pfad weiter zu verfolgen. Sollte sich jedoch herausstellen, dass die eingeschlagene Richtung der Entwicklung ineffizient ist und sich in einem Lock-in befindet, sollte das Unter- nehmen sich über die Möglichkeit eines Pfadbruchs bewusst sein.68 Die Pfadbre- chung muss konsequent von einer Pfadauflösung69 unterschieden werden. Wäh- rend sich Ersteres unbeabsichtigt ereignet, wird bei der Brechung eines Pfades von absichtsvollem strategischem Handeln ausgegangen.70

Ein Pfadbruch liegt immer dann vor, „[…] wenn mindestens eine bessere Hand- lungsalternative wiederhergestellt oder neu geschaffen wird“.71 Folglich impliziert die Brechung eines Pfades, eine durch Ineffizienz gekennzeichnete Situation oder Struktur, durch ein De-Lockin aufzubrechen. Möglichkeiten dazu ergeben sich bspw. durch ein Ausbrechen aus Routinen, dem Aufgeben ineffizienter Technolo- gien oder Produkte, dem Lösen von Innovationsblockaden oder einem Wandel der Unternehmenskultur. Nachfolgende Abbildung soll einen solchen Vorgang skiz- zieren:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Modell der Pfadbildung und -brechung (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Sydow (2008): 13)

Wie aus der Abbildung ersichtlich wird, wurden die Phasen der Pfadabhängigkeit um eine vierte Phase, die der Pfadbrechung, ergänzt. Diese Erweiterung zeichnet sich dadurch aus, dass in der Phase der Pfadabhängigkeit ein „De-Lockin“ möglich ist um die darauffolgende Phase der Pfadbrechung einzuleiten, in der daraufhin wieder alternative strategische und organisatorische Handlungsmöglichkeiten betrachtet werden können. Der vorher eingeschlagene Pfad öffnet sich und die Variationsbreite an Handlungsalternativen nimmt zu.72

Pfadkreation:

Eng mit der Pfadbrechung ist auch der Aspekt der Pfadkreation bzw. -gestaltung verbunden. Dieser betont die bewusste Schaffung von Pfaden, indem der Prozess im Gegensatz zur zufälligen und eher ungewollten Pfadbildung ein beabsichtigtes Handeln voraussetzt.73 Einen bedeutenden und ersten Beitrag zur Bestimmung von Pfadkreation haben Garud und Karnøe im Jahre 2001 geleistet. Demnach definieren sie Pfadkreation wie folgt:

„ Specifically, entrepreneurs may intentionally deviate from existing artifacts and relevance structures, fully aware they may be creating inefficiences in the present, but also aware that such steps are required to create new futures. Such a process of mindful deviation lies at the heart of path creation. ” 74

Nach dieser Definition kommt es vor allem darauf an, dass ein bewusst geplantes Abweichen vom bisher verfolgten Pfad stattfindet („mindful deviation“). Dabei reicht es nicht aus den Pfad lediglich zu brechen, sondern es muss auch ein neuer Pfad kreiert werden. Darauf aufbauend geht es darum ein Ereignis zu generieren, das für die Pfadkreation nicht zeitpunktbezogen ist, sondern einen längeren Zeit- raum in Anspruch nimmt und nicht planbar ist („generating momentum“).75 Aus oben beschriebener Sicht geht die Pfadkreation gemeinsam mit einem Pfadbruch einher, d.h. ein Pfad wird gebrochen um einen neuen zu kreieren.

Es soll jedoch noch eine weitere Perspektive hinzugezogen werden, nämlich die, dass eine Pfadkreation auch ohne einen vorhergegangenen Bruch eines festgefah- renen Pfades erfolgen kann, wie die Entwicklung neuer Produkte oder Technolo- gien oder die Bildung von strategischen Netzwerken oder Fusionen. Zur besseren Veranschaulichung einer Pfadkreation soll die folgende Abbildung dienen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Der Prozess der Pfadkreation (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schreyögg et al. 2003: 287.)

Diese Idee der Pfadkreation, setzt an die Stelle der zufälligen und spontanen Her- ausbildung neuer Eigenschaften in Phase I, als alternative Möglichkeit die beab- sichtigte und bewusst erzeugte Kreation eines Pfades. Hieraus wird deutlich, dass eine „mindful deviation“ nur dann eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung der Pfadkreation wäre, wenn ein bestehender Pfad verlassen werden muss und somit eine vorherige Pfadbrechung notwendig ist. Bezogen auf das „ge- nerating momentum“ soll ein zwar neu gebildetes, aber doch bestimmendes Er- eignis zur Pfadkreation hervorgerufen werden. Der Übergang zu Phase II ist, wie im Falle der Pfadabhängigkeit, durch ein kritisches Ereignis bestimmt. Charakte- ristisch für den weiteren Verlauf ist Phase II und das sogenannte „path-shaping“. Der Pfadverlauf wird quasi geformt, wobei auch in dieser Phase noch emergente Ereignisse mitwirken können.76 Der Übergang zu Phase III ist auch hier durch ein „Lock-in“ gekennzeichnet, womit sich abschließend eine weitere Phase der Pfad- abhängigkeit anschließt.

[...]


1 Vgl. Geissler (2007): 75.

2 Vgl. Bleicher (2004): 529.

3 Vgl. Löwer (2008): 17.

4 Vgl. Daimler Benz Stiftung (2009): 32.

5 Vgl. bspw. Schreyögg/Sydow/Koch. (2003), Grünenwald (2007), Dievernich (2007).

6 Vgl. Schäcke (2006).

7 Die Bezeichnung für die Pfadabhängigkeitstheorie differiert. In einigen Beiträgen wird sie auch als Pfadtheorie oder Konzept der Pfadabhängigkeit bezeichnet. Es gibt jedoch keine in- haltlichen Abweichungen der Begriffe, weswegen sie im Folgenden synonym verwendet wer- den. Vgl. z.B. Werle (2007); Beyer (2006); Ackermann (2001).

8 Vgl. Beyer (2006): 14, Holtmann (2008): 29 sowie Werle (2007): 119.

9 Für eine genaue Einordnung des Ansatzes von North in die Theorie der Neoklassik vgl. ins- besondere Frambach (2001): 1-22.

10 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch: (2003): 260 f.

11 Gemeint ist die amerikanische Anordnung der Buchstaben auf einer Schreibmaschinentastatur. „Qwerty“ bezieht sich auf die erste obere Buchstabenreihe auf der linken Seite. In Europa lau- tet die gängige Bezeichnung „Qwertz“ Tastatur.

12 Vgl. Meyer/Schubert (2005): 2.

13 Vgl. David (1985): 332-337.

14 Vgl. Arthur/Ermoliev/Kaniovski (1987): 296-301, Ackermann (2001): 11-14 sowie Beyer (2006): 15f.

15 Vgl. Werle (2007): 120.

16 Die Bezeichnung der „increasing returns“ wird in der klassischen Pfadtheorie von Arthur und David verwendet. Für die Erklärung organisatorischer Verfestigungen umfasst dieser Begriff jedoch einen zu engen Rahmen. Die Diskussion wird deswegen einige Jahre später, erst von Mahoney und später von Schreyögg/Sydow/Koch um den Begriff der „positiven Rückkopp- lungen“ erweitert. Eine ausführliche Klärung des Begriffs der positiven Rückkopplungen er- folgt in Kapitel 2.2.2. Vgl. Mahoney (2000) und Schreyögg/Sydow/Koch (2003).

17 Vgl. Koch (2009): 193.

18 Vgl. David (1985): 332-337.

19 Vgl. Arthur (1994): 112.

20 “Institutionen” werden von North folgendermaßen definiert: „Institutions are the rules of the game in a society or, more formally, are the humanly devised constraints that shape human in- teraction. “ North: (1990): 3. Er trennt ihn klar vom Begriff der „Organisation“. Eine genaue Definition des Organisationsbegriffs folgt in Kapitel 3.1.

21 Vgl. North (1992): 109.

22 Vgl. ebenda: 112, Wetzel (2005): 12.

23 Vgl. North (1990): 95f. Vgl. Beyer (2006): 20.

24 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (2010a): o.S.

25 Rolf Ackermann hat 2001 ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Thema Pfadabhängigkeit geleistet. In seinem Buch „Pfadabhängigkeit, Institutionen und Regelreform“ betrachtet er gleichermaßen die ökonomisch institutionelle Perspektive und fasst die Diskussion von North zusammen. Vgl. hierzu Ackermann (2001).

26 Vgl. hierzu bspw. Mahoney (2000): 507-548.

27 Vgl. Thelen (1999), Mahoney (2000) sowie Pierson (2000) (Auf diesen Bereich wird aus in- haltlichen Gründen nicht näher eingegangen.

28 Vgl. hierzu und für einen guten Überblick zum Verlauf der Pfadabhängigkeitsdiskussion insbesondere den Beitrag „Pfadabhängigkeit ist nicht gleich Pfadabhängigkeit!“ von Beyer (2005).

29 Siehe hierzu auch den Internetauftritt Pfadkolleg (2010).

30 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch (2003): 259.

31 Vgl. ebenda: 270.

32 Auf die Phasen der Pfadabhängigkeit wird in Punkt 2.2.1 eingegangen.

33 Vgl. Schäcke (2006): 29.

34 Vgl. Spengler (2009): 145.

35 Vgl. Holtmann (2008): 36.

36 Vgl. Ackermann (2003): 229.

37 Ackermann (2001): 11.

38 So zu finden bei Arthur (1994): 14. Und entsprechend wieder aufgenommen bei Pierson (2000): 253, Ackermann (2001): 19-21 und Sydow/Schreyögg/Koch (2009): 691

39 Vgl. Ackermann (2003): 230.

40 Vgl. Schäcke (2006): 29.

41 Vgl. Pierson (2000): 253.

42 Vgl. Ackermann (2003): 230.

43 Vgl. Siedentopp (2008): 77.

44 Trotzdem muss Inflexibilität als ein relevantes Merkmal von Pfadabhängigkeit betrachtet werden, da ansonsten jederzeitige Korrekturen möglich wären, so dass pfadabhängige Prozes- se nicht zu Ineffizienz neigen würden. Vgl. Ackermann (2003): 230f.

45 Vgl. Holtmann (2008): 35-36.

46 Vgl. Ackermann (2003): 230.

47 Vgl. Sydow/Schreyögg/Koch. (2009): 699ff. Die ausgewählten Rückkopplungsmechanismen eignen sich für die vorliegende Arbeit in besonderem Maße, da ihre Übertragbarkeit in den or- ganisationalen Kontext von Holtmann nachgewiesen wurde. Vgl. hierzu Holtmann (2008): 41- 46. Weiterhin macht die Wahl von economies of scale, Koordinations- und Komplementarität- seffekten sowie Lerneffekten Sinn, da somit alle Facetten der Selbstverstärkung betrachtet werden. Während mit den economies of scale die ökonomisch-wirtschaftliche Seite betrachtet wird, setzen Koordinations- und Komplementaritätseffekte auf der sozialen Ebene und Lernef- fekte auf der kognitiven Ebene an. Vgl. Roedenbeck (2008): 147.

48 Vgl. Sperber/Sprink (2007): 23. In der Literatur wird mitunter zwischen statischen und dyna- mischen Skalenerträgen unterschieden. Diese Differenzierung wird hier nicht vorgenommen. Vgl. hierzu ausführlich Sperber/Sprink (2007): 23f., Ackermann (2001): 59-61.

49 Vgl. Holtmann (2008): 41f.

50 Vgl. Schüssler (2008): 44. Dieser Effekt kann mit direkten Netzexternalitäten in der Techno- logie verglichen werden.

51 Vgl. Ackermann (2003): 237.

52 Vgl. Siggelkow (2002): 127 sowie Beyer (2006): 68.

53 Vgl. Sydow (2008): 4.

54 Vgl. Ackermann (2003): 242.

55 Vgl. ebenda: 243.

56 Mentale Modelle stellen vereinfachte Repräsentationen hypothetischer oder realer Situationen dar. Sie dienen als subjektiv vorgefertigte Denkmuster zur Komplexitätsreduktion. . Wei- gend (2007): 19.

57 Ackermann (2003): 244

58 Vgl. Ackermann (2003): 243.

59 Vgl. Miebach (2009): 151.

60 Vgl. Sydow/Schreyögg/Koch (2009): 701.

61 Vgl. Holtmann (2008): 46.

62 Vgl. Schreyögg (2008): 11.

63 Vgl. Sydow (2010): 24.

64 Diese Augenblicke werden als kritisch bezeichnet, da ab ihrem Eintreten das Zurückkehren zu Verhältnissen der Offenheit und Nichtbestimmtheit, nur noch schwer möglich ist. Vgl. Schä- cke (2006): 30.

65 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch (2003): 263.

66 Vgl. Schreyögg (2008): 11.

67 Vgl. Spengler (2009): 144. Das von David entwickelte und auf Technologien bezogene Bei- spiel der Qwerty Tastatur bezeichnet Sydow als ein „Extrembeipiel eines Lock in“. Für Unter- nehmen besteht oftmals die Möglichkeit einen institutionellen oder organisatorischen Pfad zu brechen. Vgl. Sydow (2008): 9.

68 Vgl. Sydow (2008): 11.

69 Als ein Beispiel für Pfadauflösung nennen Meyer und Schubert das allmähliche Verschwinden der 3,5 Zoll Disketten die heutzutage, ohne dass es einen Nachfolger für die Produktion der Disketten gäbe, kaum noch in Benutzung sind. Vgl. Meyer/Schubert (2005): 11.

70 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch (2003): 275.

71 Sydow (2008): 11.

72 Vgl. Spengler (2009): 154.

73 Vgl. ebenda: 152.

74 Vgl. Garud/Karnøe (2001): 6.

75 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch (2003): 281.

76 Vgl. Schreyögg/Sydow/Koch (2003): 286.

Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Die Pfadabhängigkeitstheorie als Erklärungsansatz unternehmerischer Entwicklungsprozesse
Untertitel
Darstellung und kritische Würdigung
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
95
Katalognummer
V195202
ISBN (eBook)
9783656209782
ISBN (Buch)
9783656216674
Dateigröße
4130 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pfadabhängigkeit, Unternehmensentwicklung, Pfadbrechung, Pfadkreation
Arbeit zitieren
Stefanie Hering (Autor:in), 2011, Die Pfadabhängigkeitstheorie als Erklärungsansatz unternehmerischer Entwicklungsprozesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195202

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