Bei Kritikern und Rezensenten von Arno Schmidts "Das steinerne Herz" stößt man gelegentlich auf die Auffassung, der Roman trage Züge einer Kriminalgeschichte oder er sei als Parodie auf die gewinnorientierte deutsche Wohlstandsgesellschaft der Fünfziger Jahre
angelegt. Vieles im Roman weist darüberhinaus in die Richtung des traditionellen Schelmenromans, freilich nicht nach dem Muster des ursprünglichen spanischen Vorbilds, der "novela picaresca" des anonym erschienenen "Lazarillo de Tormes" aus dem 16. Jahrhundert,
der als Archetypus dieser Romangattung gilt, oder des an der Wende zum 17. Jahrhundert veröffentlichten "Guzmán de Alfarache" von Mateo Alemán. Aus diesen Vorläufern des pikaresken Romans entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte eine europäische Tradition dieser Gattung, die bis in die Gegenwart hineinreicht und im 20. Jahrhundert beispielsweise von Thomas Mann mit seinen "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull" fortgeführt und weiterentwickelt wurde. Bei genauerer Überprüfung erkennt man, dass dieser Roman eine
ganze Reihe von Parallelen mit dem "Steinernen Herzen" von Arno Schmidt aufweist, wobei Letzterer sich nicht ausdrücklich dazu geäußert hat, ob er sich davon hat beeinflussen lassen.
In vielen einschlägigen Rezensionen werden nicht nur die Eigenarten und Verhaltensweisen des Ich-Erzählers Walter Eggers, sondern auch der gesellschaftliche Kontext, in dem die Protagonisten sich bewegen, kritisch beleuchtet. Sie leben nicht in einem luftleeren Raum, sondern sie agieren und reagieren im Wechselspiel mit der sie umgebenden gesellschaftlichen Realität. Sie passen sich geschickt gesellschaftlichen Normen und Spielregeln an - nicht, weil
sie von deren Gültigkeit überzeugt sind, sondern weil sie für sich einen Vorteil darin erblicken. In ihren häufigen Kommentierungen des aktuellen Zeitgeschehens gehen sie fast immer auf Distanz zu den Institutionen und ihren Repräsentanten. Sie unterziehen sie
schonungslos einer massiven Kritik als durch und durch verlogen und korrupt. Auf dem Hintergrund dieser Realität begreifen und beurteilen sie ihr eigenes Verhalten allerdings - man könnte hinzufügen: völlig unkritisch - als ganz und gar legitim.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- "Das steinerne Herz" im Spiegel der Kritik
- Individuum und Gesellschaft
- Die Zentralfigur: kriminell oder opportunistisch?
- Anti-Held von überragender Intelligenz
- Verhältnis von Sein und Schein
- Spiel mit der Wirklichkeit
- Berühmt-berüchtigt: Fritz Haarmann und Magister Tinius
- Das Genre "Kriminalroman"
- Das pikareske Element im "Steinernen Herzen"
- Kriminalroman und pikaresker Roman: einige gattungstypische Merkmale
- Der Kriminalroman
- Der pikareske Roman
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Arno Schmidts Roman "Das steinerne Herz" im Hinblick auf seine gattungsspezifische Einordnung. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit der Roman Züge einer Kriminalgeschichte oder eines Schelmenromans trägt und wie sich diese Aspekte im Kontext der Handlung und der Erzählweise manifestieren.
- Gattungsbestimmung von "Das steinerne Herz": Kriminalroman vs. Schelmenroman
- Die Rolle der Hauptfigur Walter Eggers und seine Beziehung zur Gesellschaft
- Analyse des Verhältnisses von Sein und Schein im Roman
- Untersuchung des pikaresken Elements in der Handlung und Erzählweise
- Sprachliche und stilistische Mittel in Arno Schmidts Werk
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und skizziert die kontroversen Interpretationen von Arno Schmidts "Das steinerne Herz" als Kriminalgeschichte oder Schelmenroman, wobei die europäische Tradition des pikaresken Romans beleuchtet wird. Es wird bereits die zentrale Frage nach der Einordnung des Romans in ein spezifisches Genre formuliert.
"Das steinerne Herz" im Spiegel der Kritik: Dieses Kapitel analysiert verschiedene kritische Rezensionen des Romans, die ihn mal als Kriminalgeschichte, mal als Parodie auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft deuten. Es werden verschiedene Perspektiven und Interpretationen des Textes präsentiert, die die Bandbreite der Lesarten aufzeigen und den ambivalenten Charakter des Romans hervorheben.
Individuum und Gesellschaft: Der Fokus liegt hier auf dem Wechselspiel zwischen der Hauptfigur Walter Eggers und seiner gesellschaftlichen Umwelt. Die Anpassungsfähigkeit Eggers an gesellschaftliche Normen, seine kritische Distanz zu Institutionen und die Legitimierung seines Handelns im Kontext der beschriebenen Gesellschaft werden ausführlich diskutiert. Die Kritik am Kapitalismus und dessen Einfluss auf das Individuum wird ebenfalls hervorgehoben.
Die Zentralfigur: kriminell oder opportunistisch?: Dieses Kapitel befasst sich eingehend mit der Persönlichkeit Walter Eggers. Seine Sammelleidenschaft, Kaltherzigkeit und der Frage nach seiner kriminellen Energie werden untersucht. Verschiedene kritische Stimmen werden zitiert, die Eggers als Kriminellen oder opportunistischen Akteur interpretieren. Die Ambivalenz seiner Persönlichkeit und die offenen Fragen bezüglich seiner Motive werden betont.
Anti-Held von überragender Intelligenz: Die Darstellung Walter Eggers als Antiheld und Underdog mit außergewöhnlicher Intelligenz wird analysiert, wobei Bezüge zur europäischen Tradition des pikaresken Romans hergestellt werden. Die Frage nach Eggers' Doppelleben und seiner Anpassung an einen Machtstaat wird diskutiert. Die These wird aufgestellt, dass Eggers eher ein gewitzter Betrüger als ein gefährlicher Krimineller ist.
Verhältnis von Sein und Schein: Das Kapitel untersucht das zentrale Thema des Romans: das Verhältnis von Sein und Schein. Es analysiert Eggers' Fälschung seiner Identität und sein Spiel mit der Wirklichkeit. Vergleiche zu Felix Krull werden gezogen, wobei die Unterschiede in ihrer jeweiligen Vorgehensweise herausgestellt werden. Das Konzept des "Scheins" wird im Zusammenhang mit sprachlicher Verfälschung erläutert.
Spiel mit der Wirklichkeit: Dieses Kapitel betrachtet die spielerische Verdrehung der Realität im Roman und wie Arno Schmidt durch sprachliche Mittel und dramatische Effekte die Spannung erhöht. Der Einsatz fachsprachlicher Begriffe, Wortneuschöpfungen und fiktiver/historischer Gestalten wird analysiert, sowie die dramaturgische Funktion von Assoziationen wie dem Massenmörder Fritz Haarmann.
Berühmt-berüchtigt: Fritz Haarmann und Magister Tinius: Der Einfluss von Figuren wie Fritz Haarmann und Magister Tinius auf Walter Eggers wird untersucht. Die assoziative Einbeziehung dieser Figuren in den Gedankenstrom von Eggers wird analysiert und ihre Bedeutung im Kontext der Thematik des Romans beleuchtet. Die Recherchen Arno Schmidts und seine ursprüngliche Intention, den kriminellen Aspekt zu betonen, werden diskutiert.
Das Genre "Kriminalroman": Dieses Kapitel untersucht die Frage, ob "Das steinerne Herz" als Kriminalroman zu kategorisieren ist. Die Erwähnung von Georges Simenon und dessen Werk dient als Vergleich, um die Unterschiede im Stil und der Intention aufzuzeigen. Die These, dass Schmidt das Genre Kriminalroman eher parodiert als nachahmt, wird aufgestellt.
Das pikareske Element im "Steinernen Herzen": Das Kapitel konzentriert sich auf die Analyse des pikaresken Elements im Roman, mit Fokus auf Handlung und Erzählweise. Es werden typische Merkmale des Schelmenromans, wie z.B. die Figur des Reisenden, die Verwendung spezifischer Begriffe und die sprachliche Verfälschung von Sachverhalten, untersucht und mit Beispielen aus dem Text belegt. Die Thematik der Diskrepanz zwischen Gesagtem und Gemeintem wird hervorgehoben.
Kriminalroman und pikaresker Roman: einige gattungstypische Merkmale: Dieser Abschnitt bietet einen Überblick über die gattungsspezifischen Merkmale von Kriminalromanen und pikaresken Romanen. Die progressive und regressive Erzählweise im Kriminalroman wird erklärt, ebenso der Aspekt des Vertrauens in die menschliche Ratio und die Funktion von positiven und negativen Identifikationsfiguren. Die jahrhundertealte Tradition des pikaresken Romans wird kurz skizziert, mit Beispielen aus verschiedenen Literaturepochen und Kulturen.
Schlüsselwörter
Arno Schmidt, Das steinerne Herz, Kriminalroman, pikaresker Roman, Walter Eggers, Gesellschaft, Sein und Schein, Sammelleidenschaft, Antiheld, Parodie, Nachkriegsgesellschaft, Intelligenz, Betrug, Humor, Erzähltechnik.
Häufig gestellte Fragen zu Arno Schmidts "Das steinerne Herz"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Arno Schmidts Roman "Das steinerne Herz" im Hinblick auf seine gattungsspezifische Einordnung. Es wird untersucht, inwieweit der Roman Züge einer Kriminalgeschichte oder eines Schelmenromans trägt und wie sich diese Aspekte in Handlung und Erzählweise manifestieren.
Welche Themen werden im Roman behandelt?
Zentrale Themen sind die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft, das Verhältnis von Sein und Schein, die Rolle der Hauptfigur Walter Eggers (kriminell oder opportunistisch?), sowie die Analyse des pikaresken Elements im Roman. Der Einfluss von Figuren wie Fritz Haarmann und Magister Tinius wird ebenfalls untersucht.
Wie wird Walter Eggers dargestellt?
Walter Eggers wird als Antiheld und Underdog mit außergewöhnlicher Intelligenz dargestellt. Die Arbeit diskutiert seine Anpassungsfähigkeit an gesellschaftliche Normen, seine kritische Distanz zu Institutionen und die Ambivalenz seiner Persönlichkeit. Die Frage, ob er ein gewitzter Betrüger oder ein gefährlicher Krimineller ist, wird ausführlich behandelt.
Welche Genres werden im Bezug auf "Das steinerne Herz" diskutiert?
Die Arbeit vergleicht und kontrastiert die Einordnung des Romans als Kriminalroman und als pikaresker Roman. Es werden gattungstypische Merkmale beider Genres analysiert und anhand von Beispielen aus dem Text belegt. Die Frage, ob Schmidt das Genre Kriminalroman parodiert, wird gestellt und untersucht.
Welche Methoden werden in der Analyse verwendet?
Die Analyse umfasst die Untersuchung der Handlung, der Erzählweise, der sprachlichen Mittel (Wortneuschöpfungen, fachsprachliche Begriffe etc.), sowie die Berücksichtigung verschiedener kritischer Rezensionen des Romans. Vergleiche mit anderen Werken (z.B. Felix Krull, Georges Simenon) werden gezogen.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Roman und die Analyse?
Schlüsselwörter sind: Arno Schmidt, Das steinerne Herz, Kriminalroman, pikaresker Roman, Walter Eggers, Gesellschaft, Sein und Schein, Sammelleidenschaft, Antiheld, Parodie, Nachkriegsgesellschaft, Intelligenz, Betrug, Humor, Erzähltechnik.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit enthält eine Einleitung, Kapitel zur Kritik des Romans, zur Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft, zur Figur Walter Eggers, zum Verhältnis von Sein und Schein, zum Spiel mit der Wirklichkeit, zum Einfluss von Haarmann und Tinius, sowie Kapitel zum Kriminalroman, zum pikaresken Element und zu gattungstypischen Merkmalen beider Genres. Ein Fazit ist implizit in der Zusammenfassung der Kapitel enthalten.
Was ist die Zielsetzung der Arbeit?
Die Zielsetzung ist die gattungsspezifische Einordnung von "Das steinerne Herz". Es soll geklärt werden, ob der Roman eher als Kriminalroman oder als Schelmenroman zu verstehen ist und wie sich diese Aspekte in der Handlung und Erzählweise manifestieren.
- Arbeit zitieren
- Hans-Georg Wendland (Autor:in), 2012, 'Das Steinerne Herz' von ArnoSchmidt - Kriminalgeschichte oder Schelmenroman, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195091