Ziel dieser Arbeit ist es, das Verhältnis des Staates zu den Jesuiten im Kaiserreich zu untersuchen. Hierbei soll die Frage im Mittelpunkt stehen, weshalb die Jesuiten in Deutschland verfolgt wurden und wieso deren Verfolgung auch nach der Beendigung des Kulturkampfes andauerte und den Jesuiten erst 1917 die Rückkehr nach Deutschland ermöglicht wurde. Die Arbeit wird in vier Teile aufgegliedert sein. Im ersten, einleitenden Teil soll der Orden der Gesellschaft Jesu, dessen Ideale und das Staatsverständnis des Ordens im Fokus stehen. Im zweiten Teil der Arbeit soll das Selbstverständnis der deutschen Nation im 19. Jahrhundert sowohl von Seiten der protestantischen Geistlichkeit und protestantischer Politiker, als auch von Otto von Bismarck, der prägenden Gestalt des frühen Kaiserreiches, genauer betrachtet werden, um diese Ergebnisse in einem letzten Teil zusammenzuführen. Dem Abschluß der Arbeit ist ein Einschub über die Schweiz vorgelagert, der dem Vergelich dient. Der Vergleich als Untersuchungskategorie bietet sich an, da die Bekämpfung der Jesuiten in Deutschland beinahe zeitgleich auch in diesem Land stattfand. Im Laufe der Arbeit wird der Kampf gegen die Jesuiten immer auch in den Zusammenhang des Kulturkampfes eingeordnet werden, da die Verfolgung der Jesuiten lediglich einen der vielen Aspekte des Kulturkampfes bildet, allerdings einen Aspekt der sich im Rahmen einer Seminararbeit gut bearbeiten lässt. Durch die Einordnung des Sachverhalts in den Zusammenhang des Kulturkampfes, sowie den punktuellen Vergleich zur Schweiz soll die Gefahr vermieden werden, das Vorgehen gegen die Jesuiten nicht vor dem Hintergrund eines europäischen Kulturkampfes zu sehen, der bekanntlich keinesfalls auf den deutschen Sprachraum beschränkt blieb .
1. Einleitung
"Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen sind vom Gebiet des Deutschen Reiches ausgeschlossen[1] "
Mit diesen Worten beginnt das als Jesuitengesetz bekannte "Reichsgesetz betreffend der Orden der Gesellschaft Jesu" vom 19.6.1872[2]. Es markierte eine wichtige Veränderung in der Politik gegenüber den Jesuiten und stellte gleichzeitig einen der Höhepunkte des Kulturkampfes dar. Das Jesuitengesetz bildete den Abschluss einer Diskussion, die spätestens mit der Gründung des Deutschen Reiches begann und sich auch über das Verbot des Ordens hinaus weiter fortsetzte und die Anfangszeit des Kaiserreiches über Jahre mitprägte.
Ziel dieser Arbeit ist es, das Verhältnis des Staates zu den Jesuiten im Kaiserreich zu untersuchen. Hierbei soll die Frage im Mittelpunkt stehen, weshalb die Jesuiten in Deutschland verfolgt wurden und wieso deren Verfolgung auch nach der Beendigung des Kulturkampfes andauerte und den Jesuiten erst 1917 die Rückkehr nach Deutschland ermöglicht wurde. Die Arbeit wird in vier Teile aufgegliedert sein. Im ersten, einleitenden Teil soll der Orden der Gesellschaft Jesu, dessen Ideale und das Staatsverständnis des Ordens im Fokus stehen. Im zweiten Teil der Arbeit soll das Selbstverständnis der deutschen Nation im 19. Jahrhundert sowohl von Seiten der protestantischen Geistlichkeit und protestantischer Politiker, als auch von Otto von Bismarck, der prägenden Gestalt des frühen Kaiserreiches, genauer betrachtet werden, um diese Ergebnisse in einem letzten Teil zusammenzuführen. Dem Abschluß der Arbeit ist ein Einschub über die Schweiz vorgelagert, der dem Vergelich dient. Der Vergleich als Untersuchungskategorie bietet sich an, da die Bekämpfung der Jesuiten in Deutschland beinahe zeitgleich auch in diesem Land stattfand. Im Laufe der Arbeit wird der Kampf gegen die Jesuiten immer auch in den Zusammenhang des Kulturkampfes eingeordnet werden, da die Verfolgung der Jesuiten lediglich einen der vielen Aspekte des Kulturkampfes bildet, allerdings einen Aspekt der sich im Rahmen einer Seminararbeit gut bearbeiten lässt. Durch die Einordnung des Sachverhalts in den Zusammenhang des Kulturkampfes, sowie den punktuellen Vergleich zur Schweiz soll die Gefahr vermieden werden, das Vorgehen gegen die Jesuiten nicht vor dem Hintergrund eines europäischen Kulturkampfes zu sehen, der bekanntlich keinesfalls auf den deutschen Sprachraum beschränkt blieb[3].
Die Arbeit stützt sich auf einschlägige Literatur zum Thema Kulturkampf und Jesuiten sowie auf das Verständnis von Nation im 19. Jahrhundert. In den letzten Jahren sind viele Sammelbände und Aufsätze zum Thema Kulturkampf verfasst worden, hierbei wurde insbesondere die europäische Perspektive des Kulturkampfes untersucht und unterstrichen. Dank dieser Arbeiten kann das Phänomen der Jesuitenverfolgung im Kaiserreich nun besser im europäischen Kontext betrachtet werden. Eine traditionelle Untersuchung kleinerer Gruppen mittels einer Kombination aus sozial- und politikgeschichtlichem Ansatz wurde hierbei bewusst ausgeklammert, um die Transnationalität der Ereignisse zu unterstreichen. Mit dieser Arbeit soll auch eine Brücke geschlagen werden zwischen der älteren politikgeschichtlichen Forschung und den neuesten Erkenntnissen der transnationalen Geschichte.
Quellengrundlage soll zum einen die von der Gesellschaft Jesu, so der eigentliche Name des Jesuitenordens, herausgegebene Zeitschrift "Stimmen aus Maria Laach" zur Zeit des Kulturkampfes bilden. Diese Zeitschrift, die das Sprachrohr der Jesuiten in Deutschland, und später auch im Exil, bildete, zeigt auf eindrucksvolle Weise das Selbstverständnis der Jesuiten und deren Position zum aktuellen Zeitgeschehen auf[4]. Dem gegenüber stehen Publikationen protestantischer Geistlicher und Politiker, sowie Äußerungen, Reden und Schriften Otto von Bismarcks, welche die Position der Reichsregierung widerspiegeln.
2. Der Orden der Gesellschaft Jesu – Lehre und Verhalten gegenüber Nationalstaaten
[ wir sind verpflichtet] "was immer der jetzige und kommende Päpste für die Förderung der Seelen und die Verbreitung des Glaubnes befehlen werden, wohin immer sie uns auch senden wollen, auf der Stelle auszuführen"[5]
Um den Kulturkampf in Deutschland, und auch in Europa verstehen zu können, ist es wichtig, sich den Aufbau des Ordens der Gesellschaft Jesu vor Augen zu führen. Ebenso wichtig scheint es, deren Nationenverständnis und das Verhältnis zum Papst genauer zu untersuchen, um ein umfassendes Bild der Vefolgung des "größten und wichtigsten Priesterordens der katholischen Kirche"[6] zu gewinnen. Hierfür sollen insbesondere die Ordensregeln der Jesuiten, sowie die in den Jahren 1871-1873 (also in den unmitelbaren Jahren des Kampfes gegen die Jesuiten) erschienenen Ausgaben der Reihe "Stimmen aus Maria Laach" untersucht werden, da diese die Geisteshaltung der Jesuiten sehr genau wiedergeben.
Der Jesuitenorden stellt innerhalb der katholischen Kirche keineswegs eine Einrichtung dar, die in der Geschichte immer unumstritten war. Der Orden wurde 1540 von Ignatius von Loyola, einem baskischen Adligen gegründet[7], der nach seiner Karriere als spanischer Offizier im Kampf gegen die Mauren verwundet wurde und sich entschloss Missionar zu werden. Schon früh scharte Loyala ein "Grüppchen von Männern aus verschiedenen Nationen" um sich und schwor "Gehorsam gegenüber dem Papst"[8]. Schon in der Frühphase des Ordens zeigten sich somit drei Grundprinzipien der Jesuiten: Internationalität, bedingungslose Treue gegenüber dem Papst und Mission. Loyola selbst fasste diese Grundsätze 1521 unter der Formel "Gefährten [socii] Jesu im Dienst der Kirche unter dem Papst"[9] zusammen, hinzu kommt der Missionsgedanke, der nicht nur auf äußere Mission, sondern auch auf die Bildung der Jugend im jeweiligen Land gezielt war[10]. Die enge Bindung zum Heiligen Stuhl kam den Päpsten im 16. und 17. Jahrhundert entgegen, schließlich waren die Jesuiten und ihre Papsttreue ein willkommenes Mittel der Gegenreformation, zumal sie sich selbst als "Kampfgruppe Jesu Christi" verstanden[11]. Die enge Bindung an den Papst schlägt sich auch in der ersten von insgesamt vierzehn Ordensregeln nieder[12]. Das Verhältnis zu Rom wandelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts, als Papst Klemens XIV. 1773 den Orden auf internationalen Druck hin auflöste[13]. Die Auflösung war allerdings nur ein Zwischenspiel und 1814 erfolgte die Wiederaufnahme des Ordens in den Schoß der Kirche. An dieser Stelle sei angemerkt, dass das zeitweilige Verbot keinen Bruch mit Rom markierte, vielmehr führte der Orden mit Duldung des Papstes seine Tätigkeiten, insbesondere im Bildungsbereich fort[14]. Auch zu dieser Zeit machte sich der Grundsatz der Jesuiten bemerkbar, niemals den Papst offen zu kritisieren[15]. Nach der Wiederherstellung des Ordens setzte dieser seine Missionstätigkeiten im Sinne Roms fort.
Im Folgenden sollen nun die geistigen Ideale des Ordens und ihre Haltung zu Liberalismus und Nationalstaatlichkeit im 19. Jahrhundert genauer beschrieben werden.
Der Orden war, im Gegensatz zu vielen anderen katholischen Orden schon früh international aufgestellt. So gelang es den Jesuiten bereits im 16. Jahrhundert eine Monopolstellung im Bereich der universitär-theologischen Bildung zu erwerben[16]. Die Ausbreitung des Ordens lässt viele Historiker von einem "Kollegien-Netz"[17] sprechen, was recht deutlich die internationale Verknüpfung des Ordens aufzeigt. Das internationale Netz der Jesuiten spannte sich im Laufe der Zeit noch weiter auf, Indiz hierfür sind intensive Missionstätigkeiten in Indien, Japan, China, sowie Südamerika im 16. Jahrhundert, ferner in Kanada und Martinique ab dem 17. Jahrhundert[18].
Im 19. Jahrhundert sahen sich die Jesuiten zunehmend mit den Ideen des Liberalismus und des Nationalismus konfrontiert. Die Haltung der Jesuiten zum politischen Liberalismus war eindeutig ablehnend. Unter dem Begriff Liberalismus, den die Jesuiten nicht näher definierten, verstanden sie ein nicht genauer bestimmtes Sammelsurium moderner politischer Ideologien, säkularistischer Tendenzen und nationaler Einheitsbestrebungen. Besonders hart traf die Jesuiten die Säkularisierung der Wissenschaften im Universitätsbetrieb, ein traditionell jesuitisch-dominiertes Feld[19]. Diese Liberalisierung, die nicht nur von Protestanten ausging, wurde von einigen Jesuiten-Patern als "Häresie" betrachtet[20]. Ausgehend von dieser Haltung waren es die Jesuiten, die Papst Pius IX. zur Enzyklika "Quanta Cura" rieten, die den Liberalismus und andere "Zeitirrtümer" verurteilte[21]. Liberalismus, so ungenau der Begriff zu dieser Zeit auch verwendet wurde, spielte eine große Rolle für die Jesuiten, denn sie sahen in ihm die Wurzel nationalstaatlicher Ideen[22].
Spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Nationalstaatsgedanke in Europa gegenüber anderen Geisteshaltungen dominant. Diese neue Strömung verlangte nicht nur von der katholischen Kirche, sondern auch von den Jesuiten als deren "ideologische[r] Elite und als Kämpfer für Rechtgläubigkeit"[23] eine Reaktion. Diese fiel eindeutig ablehnend aus. Der Nationalstaatsgedanke wurde in mannigfaltiger Weise in der jesuitischen Presse als "Selbstüberhebung", "Selbstvergötterung", "Gift"[24] oder auch als "Nationaltätsschwindel"[25] bezeichnet. Die Jesuiten kritisierten in den 1870er Jahren, also unmittelbar nach dem Sieg der deutschen Allianz über Frankreich, dass sich christliche Nationen gegenseitig bekämpfen[26]. Es ging ihnen nicht prinzipiell darum, die Nation abzulehnen, sondern sie wendeten sich von dem Bild des "Barbaren", welches von Ausländern gezeichnet wurde[27], ab. Außerdem sahen sie in der Nation ein propagandistisches Konstrukt, welches von oben zur Herrschaftslegitimerung gepredigt wurde[28]. Die Nihilierung regionaler Unterschiede und damit auch das Ausgrenzen nationaler Minderheiten[29] unter preußischer Führung war für die Jesuiten genauso bedenklich wie eine mögliche Vereinigung der evangelischen und katholischen Kirche zu einer protestantisch dominierten "Deutschen Einheitskirche", die mehrere Jahre wie ein Schreckgespenst durch die jesuitische Presse geisterte[30].
So gesehen scheint es wenig verwunderlich, dass die Jesuiten dem neu gegeründeten Deutschen Reich von Anfang an skeptisch gegenüberstanden. Sie fühlten sich in keiner Weise dem Reich verpflichtet, ihre Treue galt einzig und allein dem Papst[31]. Die Jesuiten verstanden sich selbst als Verteidiger des Papstes und als dessen Sprachrohr, da der Papst, der durch die Gründung des italienischen Staates seine weltliche Macht verloren hatte, ihrer Meinung nach nicht nur in physische, sondern auch in dogmatische Bevormundung geraten war[32]. Wie groß der Einfluss der Jesuiten auf Pius IX. selbst war, lässt sich nur schwer überprüfen. Es gilt aber als erwiesen, dass die Jesuiten bei den drei wichtigen Reaktionen Pius IX. auf die neu aufkommenden poltischen Ideologien der Zeit, dem Dogma der unbefleckten Empfängnis, dem Syllabus "Quanta Cura" und dem Infallibilitätsdogma, großen Einfluss auf Pius ausgeübt haben[33]. Die Verpflichtung galt also nicht dem deutschen Kaiser, sondern allein Pius IX. Die Unterstützung Pius IX. zeigt sich auch in der scharfen Verurteilung der Besetzung des Kirchenstaates durch Piemont und in einem Aufruf an alle Katholiken, sich dieser zu widersetzen[34]. Die Auflösung des Kirchenstaates bildete nach jesuitischer Auffassung eine "Rechtsverletzung gegen alle Regierungen, welche katholische Unterthanen haben"[35].
Die Ablehnung des Kaiserreiches rührt besonders von dessen Gesetzen her, die, wie die Jesuiten 1873 feststellten, keine rechtmäßige Grundlage hätten, sofern sie nicht auf kanonischem Recht aufbauten[36]. Die Jesuiten sahen in der Bekämpfung des Katholizismus eine Verletzung des biblischen Grundsatzes "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist" und handelten stets gemäß dem Grundsatz "Man muss Gott mehr gehorchen als dem Menschen"[37]. Hierin lässt sich ein fundamentaler Unterschied zur protestantischen Lehre erkennen, die auf der Treue zum jeweiligen Herrscher aufbaut[38].
Es bleibt also festzuhalten, dass einige Merkmale des Jesuitenordens, Papsttreue, Mission und internationale Verknüpfung, bereits in dessen Gründungszeit angelegt waren. Im 19. Jahrhundert positionierten sich die Jesuiten gegenüber den "-Ismen" der Zeit[39] und standen diesem, besonders dem Liberalismus und dem Nationalismus, ablehnend gegenüber. Ihre Verpflichtung gegenüber dem Papst galt ihnen mehr als eine Verpflichtung gegenüber einem weltlichen Herrscher, denn sie sahen den Papst als legitimen Statthalter Gottes auf Erden an und fühlten sich folglich auch nicht dem Staate, sondern nur Gott selbst gegenüber verpflichtet. Im folgenden Kapitel soll die Nationalstaatsidee genauer beschrieben werden und untersucht werden, wie sich diese zu den oben beschriebenen jesuitischen Grundsätzen verhält.
3. Das Selbstverständnis der protestantisch-dominierten deutschen Nation im 19. Jahrhundert
"Wer die Jesuiten im offenen und geheimen begünstigt, der ist, wie unser Vaterlands- und Freiheitssänger Ernst Moritz Arndt es in seinen letzten Tagen bezeugte, ein Feind der nationalen Entwicklung Deutschlands und muß vor Allem als solcher bekämpft werden."[40]
Das 19. Jahrhundert mit all seinen vom Papst verurteilten "-Ismen" brachte eine "grundlegende Erosion"[41] des katholischen Weltbildes mit sich. Wie oben beschrieben, waren es besonders die Jesuiten, die sich gegen Nationalismus, Liberalismus und andere Strömungen zur Wehr setzten. Im Folgenden soll der Fokus auf dem Katholikenbild protestantischer Vordenker liegen, bevor wir uns Bismarcks Position zum Kulturkampf und zur "Jesuitenfrage" widmen.
a) Das Katholikenbild in der protestantischen-dominierten Presse
"Seit bald zweitausend Jahren wird das Leben der europäischen Nationen hauptsächlich von zwei Mächten bestimmt [...] Wir können die eine den Geist Roms nennen, und die andere den germanischen, insbesondere den deutschen Geist"[42]
Das Bild, welches in der protestantisch dominierten Presse von den Katholiken gezeichnet wurde, kann als wenig schmeichelhaft bezeichnet werden. Der Katholizismus wurde per se als etwas Antimodernes dargestellt, ein Eindruck, der sich im Laufe des Kulturkampfes, sicherlich nicht ohne katholisches Mitverschulden[43], noch verstärkte. Der Katholizismus wurde als ein zeitlich entrücktes, unmodernes Phänomen wahrgenommen und erschien den Zeitgenossen liberal-protestantischer Prägung als "exotic and alien"[44]. Borruta spricht in diesem Zusammenhang auch von einer "Exotisierung" und "Orientalisierung"[45] des Katholizismus. Dieser Gedanke wurde allerdings nicht nur von protestantischen Eliten getragen, sondern war auch bei Sozialisten und Konservativen weit verbreitet[46]. Der Jesuitenorden spielte in diesem Bild des Katholizismus eine besondere Rolle, da er, auch seinem Selbstverständnis nach, die Elite der Katholiken bildete. Man befürchtete grundsätzlich eine "Ultramontanisierung des katholischen Volkes"[47], wie es Karl Fey[48] ausdrückt. Protestantische Autoren besannen sich auf die Gründungszeit des Ordens und deren Ziel der Bekämpfung der Reformation[49].
Dieses Bild der Katholiken und des Jesuitenordens wurde außerdem eng an das Schicksal des neugegründeten Staates geknüpft. Nur in einem protestantisch dominerten Deutschland, so die einschlägige Meinung protestantischer Publizisten, konnten die modernen Ideen des Liberalismus und Nationalismus verwirklicht werden. Der Kulturkampf wurde somit ein Kampf um das Überleben der Nation[50] [51]. Die Jesuiten galten als Verderber des Katholizismus, die die römische Kirche auf einen unmodernen Kurs gebracht hatten[52]. In solchen Ansichten spiegelten sich deutlich die Vorstellungen eines von den Jesuiten kontrollierten Papstes wieder, der Beschlüsse nach dem Ermessen des Ordens verfasste und somit die deutschen Katholiken gegen das Reich aufhetzte. Die Jesuiten standen der Idee eines vereinigten Deutschlands folglich im Wege und der "staatsfeindliche Ultramontanismus"[53] der Katholiken war, so die Meinung vieler Publizisten, gegen den "Protestantismus (...) als politisches Prinzip"[54] gerichtet.
[...]
[1] Reichsgesetz betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4.7.1872, Paragraph 1, zitiert nach: Lill, Rudolf(Hrsg.): Der Kulturkampf, Paderborn (u.a.) 1997, S. 86.
[2] Tag der Annahme durch den Reichstag, das Gesetz trat am 4.7.1872 per Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt in Kraft.
[3] An dieser Stelle sei auf einen von Christopher Calrk und Wolfram Kaiser herausgegebenen Sammelband zu diesem Thema verwiesen, siehe: Clark, Christopher und Kaiser, Wolfram (Hrsg.): Culture Wars – Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2003.
[4] Hinzu kommt, dass die Zeitschrift in Freiburg erschienen ist und daher gut zugänglich ist, da sämtliche Ausgaben in der Universitätsbibliothek zu Verfügung stehen. Der Name richtete sich nach einer Jesuiten-Abtei in Maria Laach. Heute wird die Zeitschrift unter dem Namen "Stimmen der Zeit" herausgegeben.
[5] 5. Artikel der Ordensregel der Gesellschaft Jesu, zitiert nach: Fischer, Heinz-Joachim: Der heilige Kampf – Geschichte und Gegenwart der Jesuiten, München 1987, S. 66.
[6] Fischer, Heinz-Joachim: Der heilige Kampf, S. 7.
[7] Ebd., S. 29.
[8] Ebd., S.41.
[9] Zitiert nach: Fischer, Heinz-Joachim: Der heilige Kampf, S. 42.
[10] "Unterweisen der Jugend und des einfachen Volkes im christlichen Glauben" (2. Artikel der Ordensregel) , zitiert nach: Fischer, Heinz-Joachim: Der heilige Kampf, S.65.
[11] Siehe: Artikel Sechs der Ordensregel, in: Fischer, Heinz-Joachim: Der heilige Kampf, S.66.
[12] So heißt es im Wortlaut, dass man sich verpflichtet fühle, "dem einzigen Herrn sowie dem Römischen Papste, Seinem Statthalter auf Erden" zu dienen, zitiert nach: Fischer, Heinz-Joachim: Der heilige Kampf, S.66.
[13] Siehe: Fischer, Heinz-Joachim: Der heilige Kampf, S. 181.
[14] Vor allem im russichen Reich, wo der Orden unter Katharina II. die polnischen, katholischen Untertanen in Glaubensfragen unterweisen sollte. Siehe: Fischer, Heinz-Joachim: Der heilige Kampf, S. 184.
[15] Barthel, Manfred: Des Heiligen Vaters ungehorsame Söhne: Die Jesuiten zwischen Gestern und Morgen, Gernsbach 1991, S. 62.
[16] "Von Polen bis Portugal haben Jesuiten die wichtigsten Lehrstühle inne. Ihre Kollegien gelten mehr als Festungen", schreibt Barthel über diesen Zeitraum, Siehe: Ebd., S. 140.
[17] Barthel widerspricht zwar dieser These für den pädagogischen Bereich, geht aber ansonsten nicht weiter auf den "Netzwerk-Charakter" des Ordens ein, Ebd. S.137.
[18] Siehe hierzu das Kapitel "Die Missionstätigkeit der Jesuiten", in: Barthel: Des Heiligen Vaters ungehorsame Söhne, S. 209ff.
[19] Siehe oben.
[20] "Was man von liberalkatholischer Seite als ungeheuren Fortschritt pries, die freie deutsche Theologie, war ein unverantwortlicher Rückschritt zur Häresie", Pachtler, Georg: Deutsche Nationalkirche, in: Stimmen aus Maria Laach: Katholische Monatsschrift, Freiburg im Breisgau 1871 [Band I], S. 4.
[21] Siehe: Borutta, Manuel: Antikatholizismus: Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010, S. 103ff.
[22] Siehe: Pachtler, Georg: Das Nationalitätsprincip, in: Stimmen aus Maria Laach 1873 [Band IV], S. 563.
[23] Hartmann, Peter: Die Jesuiten, S. 95.
[24] Bauer, Rudolf: Romanismus und Germanismus, in: Stimmen aus Maria Laach, Freiburg im Breisgau 1871 [Band I], S. 96.
[25] Pachtler, Georg: Das Nationalitätsprincip, S. 561.
[26] "Eine vereinigte, grundsätzliche Feindschaft zwischen christlichen Nationen ist vom Bösen und widerstreitet der Lehre des Evangeliums", Bauer, Rudolf: Romanismus und Germanismus, S. 98.
[27] So heißt es ironisch bei Rudolf Corneln: "Wer den Deutschen verhimmelt und im Nicht-Deutschen nur den Barbar erblickt- , der und der allein ist ein wahrer Patriot, ein Volksdeutscher!", Siehe: Corneln, Rudolf: Das Jesuitengesetz und der "Nothstand" des deutschen Reiches, in: Stimmen aus Maria Laach, Freiburg im Breisgau 1873 [Band IV], S. 18.
[28] "[das] doktrinäre Traumbild der Nationalität", Pachtler, Georg: Das Nationalitätsprincip, S. 558.
[29] Hier sei erwähnt, dass sich durch den Deutsch-Französischen Krieg neben den Polen nun auch die Elsäßer als Minderheit im neugegründeten Reich wiederfanden.
[30] "Eine deutsche Nationalkirche wäre unchristlich", Pachtler, Georg: Deutsche Nationalkirche, S. 5 und: Corneln, Rudolf: Das Jesuitengesetz und der "Nothstand" des deutschen Reiches, S. 13.
[31] Siehe: Rieß, Florian: Die römisch-deutsche Frage, in: Stimmen aus Maria Laach, Freiburg im Breisgau 1871 [Band I] und: Pachtler, Georg: Ist der Papst frei unter piemontesischer Herrschaft? In: Stimmen aus Maria Laach, Freiburg im Breisgau 1872 [Band 2], S. 279ff.
[32] "Die Piemontesen knechten das Papstthum in seiner dogmatischen Grundlage", Pachtler, Georg: Ist der Papst frei unter der pimontesischen Herrschaft? S. 285.
[33] Barthel, Manfred: Die Jesuiten: Legende und Wahrheit der Gesellschaft Jesu gestern, heute, morgen, Düsseldorf 1982, S. 294.
[34] Rieß, Florian: Die römisch-deutsche Frage, S. 197.
[35] Ebd. S. 201.
[36] "Allerdings mit der Gottesleugnung und dem Staate ohne Gott fällt auch das Fundament alles Rechts zusammmen[...]", Diese Gottesleugnung bezieht sich auf den Kampf des Staates gegen die Katholiken und besonders auf die Ausweisung der Jesuiten aus dem Reich. Pachtler, Georg: Das Nationalitätsprincip, S. 561.
[37] Siehe: Corneln, Rudolf: Das Jesuitengesetz und der "Nothstand" des deutschen Reiches, S. 12.
[38] Interessant ist hier der Aspekt, dass sowohl Martin Luther, als auch Ignatius von Loyola ihre Glaubensgemeinschaften etwa zur gleichen Zeit begründeten, in diesem Puntke aber offensichtlich völlig verschiedene Ansichten verfochten. Während Luther beispielsweise die Bauernaufstände 1523/1524 scharf verurteilte, ist von Loyola, der ja selbst Angehöriger des Militärs war, keine derartige Aussage überliefert.
[39] Mit den "-Ismen" sind hier Nationalismus, Liberalismus, Kommunismus und andere Zeiterscheinungen gemeint, die der Papst in seiner Enzyklika "Quanta Cura" kritisierte.
[40] Nippold, Friedrich: Der Jesuitenorden von seiner Wiederherstellung bis zur Gegenwart, S. 44f.
[41] Weitensfelder, Hubert: "Römlinge" und "Preußenseuchler": Konservativ-Christlichsoziale, Liberal-Deutschnationale und der Kulturkampf in Vorarlberg, 1860 bis 1914, München 2008, S. 158.
[42] Bluntschli, Johann C.: Rom und die Deutschen, Berlin 1872, in: Lill, Rudolf : Der Kulturkampf, S. 57.
[43] So wehrte sich Papst Pius IX. per Syllabus-Definition bewusst gegen sämtliche moderne Strömungen, Siehe: Borutta, Manuel: Enemies at the Gate: The "Moabiter Klostersturm" and the "Kulturkampf": Germany. In: Christopher Clark und Wolfram Kaiser (Hrsg.): Culture Wars: Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2003, S. 228.
[44] Ebd., S. 227.
[45] Borutta, Manuel: Antikatholizismus, S. 406f.
[46] Hilge, Friedrich: Die Evangelische Kirche und der Kulturkampf (unter besonderer Berücksichtigung Preußens), Osnabrück 1999, S.111.
[47] Fey, Karl: Papst Clemens XIV. : Aufhebungsbreve des Jesuitenordens und des Jesuitengesetzes von 1872, in: Kirchliche Aktenstücke Nr.1, Leipzig 1903, S. 7.
[48] Karl Fey war ein evangleischer Theologe, der in der Reihe "Krichliche Aktenstücke" publizierte. Diese Reihe wurde vom Evangelischen Bund aufgelegt und nahm zu verschiedenen Glaubensfragen Stellung, stets mit einer offen katholizismuskritischen Haltung.
[49] Böthlingk, Arthur: Die Jesuiten und das Deutsche Reich, Frankfurt am Main 1903, S. 13.
[50] Clark schreibt über den Kulturkampf: "eine Auseinandersetzung, bei deres den Anschein hatte, asl stünde gar die Identität der neuen Nation auf dem Spiel", Clark, Christopher: Preußen – Aufstrieg und Niedergang 1600 – 1947, S. 656.
[51] "Die so harmlose Jesuitenfrage ist für uns Deutsche nachgerade eine Frage geworden um Sein oder Nichtsein", Böthlingk, Arthur: Die Jesuiten und das Deutsche Reich, S. 32.
[52] Siehe hierzu: Nippold, Friedrich: Der Jesuitenorden von seiner Wiederherstellung bis zur Gegenwart, Jena 1899, zitiert nach: Lill, Rudolf (Hrsg.): Der Kulturkampf, S. 44.
[53] Baumgarten, Michael: Der Protestantismus als politisches Prinzip im deutschen Reich, Berlin 1872, zitiert nach: Lill, Rudolf (Hrsg.) : Der Kulturkampf, S. 55.
[54] Ebd.
- Arbeit zitieren
- Markus Bingel (Autor:in), 2011, Der Orden der Gesellschaft Jesu zur Zeit des Kulturkampfes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194526
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