„ Ich war ein Suchender und bin es noch, aber ich suche nicht mehr auf
den Sternen und in den Büchern, ich beginne die Lehren zu hören, die
mein Blut in mir rauscht.“1
Mit diesem kurzen Satz wird dem Leser noch vor Beginn der eigentlichen
Handlung des Romans Demian bereits dessen Hauptthematik
offenbart: die Suche nach dem eigenem Selbst.
Dies Thema ist insofern nicht außergewöhnlich, da fast sämtliche Werke
Hermann Hesses geprägt sind von seiner Neigung zur Selbstreflexion
und der Beschreibung innerer Prozesse. In seinen Romanen ging es
Hesse hauptsächlich um das Seelenleben, die Erkenntnisse und Wandlungen
der darin auftauchenden Figuren; die Handlung diente zumeist
nur als Aufhänger, um deren geistige Veränderungen dem Leser verständlich
und sichtbar zu machen.2 In dieser Hinsicht bildet Hermann
Hesses Roman „Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend“
keine Ausnahme. Wie bereits in früheren Werken verarbeitet Hesse auch
in Demian eigene Erlebnisse und Erfahrungen, und die Suche des jungen
Sinclairs nach seinem Selbst weist zum Teil durchaus Parallelen zum
Leben des Schriftstellers auf. Die Entstehung dieses Romans war geprägt
von den Eindrücken des ersten Weltkrieges, Hesses familiären Krisen
und nicht zuletzt von seiner langjährigen Therapie bei Dr. Josef Bernhard
Lang, einem Schüler des Psychoanalytikers C.G. Jung, dessen Lehren
auch in Demian eine große Rolle spielen. Aufgrund dieser tiefschürfenden
Erlebnisse, die alle direkt vor oder noch während des Schreibprozesses
stattfanden, liegt es nahe, bei einer Analyse des Romans nicht nur auf
dessen Entstehungsgeschichte einzugehen, sondern auch zu überprüfen,
inwiefern sich Autobiographisches in ihm wiederspiegelt. Daher wird
sich der erste Teil dieser Hausarbeit mit der Textgeschichte und Rezeption
Demians beschäftigen, und der Frage, ob oder inwieweit der Roman
nur ein ausgeschmückter Erfahrungsbericht Hesses ist.
Im zweiten Teil wird auf die spezielle Symbolik des Romans eingegangen,
die sich an verschiedensten religiösen Mythen orientiert. [...]
1 Alle Seitenangaben zum Roman „Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend“ beziehen sich auf die
kommentierte Auflage, die in der Reihe BasisBibliothek beim Suhrkampverlag erschienen ist. Genanntes Zitat
findet sich dort auf Seite 10.
2 Vgl. Karalaschwili, R.: Hermann Hesse. Charakter und Weltbild. Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie 1993,
S.49
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Werkgeschichtliches:
2.1. Entstehung und Rezeption:
2.2. Demian – ein autobiographischer Roman?
III. Glaube, Mythen und Selbstfindung:
3.1. Mittelalterliche und christliche Mythen
3.2. Die Polaritätsstruktur in Demian – Tao-Lehre und Gnostizismus
3.3. Die Entwicklungsstadien Sinclairs und die Symbolik in Demian
IV. Kritik am Werk Hesses
Literaturverzeichnis
I. Einleitung:
„ Ich war ein Suchender und bin es noch, aber ich suche nicht mehr auf den Sternen und in den Büchern, ich beginne die Lehren zu hören, die mein Blut in mir rauscht.“[1]
Mit diesem kurzen Satz wird dem Leser noch vor Beginn der eigent-lichen Handlung des Romans Demian bereits dessen Hauptthematik offenbart : die Suche nach dem eigenem Selbst.
Dies Thema ist insofern nicht außergewöhnlich, da fast sämtliche Werke Hermann Hesses geprägt sind von seiner Neigung zur Selbstreflexion und der Beschreibung innerer Prozesse. In seinen Romanen ging es Hesse hauptsächlich um das Seelenleben, die Erkenntnisse und Wand-lungen der darin auftauchenden Figuren; die Handlung diente zumeist nur als Aufhänger, um deren geistige Veränderungen dem Leser ver-ständlich und sichtbar zu machen.[2] In dieser Hinsicht bildet Hermann Hesses Roman „Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend“ keine Ausnahme. Wie bereits in früheren Werken verarbeitet Hesse auch in Demian eigene Erlebnisse und Erfahrungen, und die Suche des jungen Sinclairs nach seinem Selbst weist zum Teil durchaus Parallelen zum Leben des Schriftstellers auf. Die Entstehung dieses Romans war geprägt von den Eindrücken des ersten Weltkrieges, Hesses familiären Krisen und nicht zuletzt von seiner langjährigen Therapie bei Dr. Josef Bernhard Lang, einem Schüler des Psychoanalytikers C.G. Jung, dessen Lehren auch in Demian eine große Rolle spielen. Aufgrund dieser tiefschürfen-den Erlebnisse, die alle direkt vor oder noch während des Schreibprozes-ses stattfanden, liegt es nahe, bei einer Analyse des Romans nicht nur auf dessen Entstehungsgeschichte einzugehen, sondern auch zu überprüfen, inwiefern sich Autobiographisches in ihm wiederspiegelt. Daher wird sich der erste Teil dieser Hausarbeit mit der Textgeschichte und Rezep-tion Demians beschäftigen, und der Frage, ob oder inwieweit der Roman nur ein ausgeschmückter Erfahrungsbericht Hesses ist.
Im zweiten Teil wird auf die spezielle Symbolik des Romans eingegan-gen, die sich an verschiedensten religiösen Mythen orientiert. Für Hesse schien die Suche nach eigener Identität mit der Suche nach Glauben und Religiosität einherzugehen und er hat in Demian sowohl Inhalte des Christentums, des Gnostizismus, als auch des Daoismus integriert. In diesem Punkt unterscheidet sich der Roman Demian vom vorherigen Werk Hesses, denn während sich eine Geschichte wie z.B. „Unterm Rad“ noch in einer realistischen Umwelt zuträgt, mit Personen und Orten die einem in ähnlicher Form tatsächlich begegnen könnten, zeichnet sich Demian vor allem durch einen stark surrealen Charakter aus. Der ge-samte Roman ist gekennzeichnet von Traumsequenzen und visionären Symbolen, die man in dieser Fülle bei Hesse vorher noch nicht erlebt hat,
und selbst die handelnden Personen sind keine realistischen Figuren, sondern symbolische Gestalten, die vom Leser erst noch gedeutet werden müssen.[3] Dies zeigt sich bereits am Beispiel der titelgebenden Figur Demian, die als eine Art Übermensch Sinclairs Möglichkeit der Ent-wicklung darstellt, und der zusammen mit seiner Mutter Eva die zwei Prinzipien des Yin und Yang symbolisiert. Die Geschichte Sinclairs bildet daher den Wendepunkt im literarischen Schaffen Hesses, da solch ein Verschmelzen der Handlung mit religiösen Motiven in Demian zum ersten Mal auftaucht und die Abkehr des Schriftstellers vom realistischen Erzählstil der Vergangenheit markiert. Die späteren Werke wie Siddharta und Narziß und Goldmund sind ebenfalls sehr von religiösen Motiven ge-prägt, und im Gegensatz zu den früheren Erzählungen wie Unterm Rad und Roßhalde bedient sich Hermann Hesse dort derselben allegorischen Erzählweise, die man bereits bei Demian findet.
Da dieses Aufgreifen religiöser Symbole so charakteristisch für Demian ist und ihn stilistisch klar von den vorherigen Werken Hesses abgrenzt, wird sich die vorliegende Arbeit vor allem mit der Entschlüsselung der einzelnen Symbole befassen und aufzeigen, wie viele unterschiedliche Mythen der verschiedensten Religionen Hermann Hesse in seinen Ro-man eingeflochten hat, und wie sie sich trotz der hohen Anzahl dennoch alle zu einem gemeinsamen Grundthema zusammenfügen: der Suche nach dem eigenem Selbst.
II. Werkgeschichtliches
2.1 . Entstehung und Rezeption:
Die Erzählung Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend bildet nach Meinung vieler Literaturwissenschaftler einen entscheidenden Ein-schnitt in Leben und Werk Hermann Hesses. Wie kaum ein anderer Ro-man ist er geprägt von den Eindrücken des Ersten Weltkrieges und vom persönlichen Leid des Autors, so dass viele in ihm eine direkte Reaktion Hesses auf die Katastrophe des Krieges sehen, und bei Betrachtung seines Inhaltes scheint es unleugbar, dass Demian in direkter Abhängig-keit zum Geschehen zwischen 1914 und 1918 geschrieben wurde.[4]
Bereits im Vorfeld der Arbeiten zum Roman war das Leben Hermann Hesses gezeichnet von familiären Krisen. Die schweren Erkrankungen seiner Frau Maria geb. Bernoulli und seines Sohnes Martin belasten das Familienleben und Hesse entzieht sich dieser problematischen Situation wiederholt durch ausgedehnte Lese- und Vortragsreisen und verbringt so-gar ein Jahr gänzlich in Indien. Nach der Rückkehr von seiner Indien-reise 1912 versucht Hesse nochmal einen Neuanfang und zieht gemein-sam mit seiner Familie nach Bern um, doch dieser Neuanfang muss als gescheitert gelten, denn 1919 kommt es zur Trennung und Hesse siedelt allein nach Montagnola über. Einige Jahre später wird die Ehe auch offi-ziell geschieden.[5] Am 8. März 1916 stirbt zudem der Vater des Schrift-stellers, ein Verlust von dem Hesse schwer getroffen wird, da sich das Verhältnis zu seinem Vater zuletzt stark verbessert hatte.
Zusätzlich zu diesen familiären Rückschlägen muss Hesse sich auch mit einer zunehmend nationalistischen Presse auseinandersetzen, denn mit seiner Mahnung (in der Neuen Zürcher Zeitung vom 3. November 1914) an die Intellektuellen der kriegsführenden Nationen, Hasstiraden zu ver-meiden, stieß er im anfänglichen Rausch der Kriegsbegeisterung auf we-nig Gegenliebe. In der vorherrschenden, fast schon freudigen Kriegser-wartung bezog Hesse wegen seines abweichenden Standpunktes von Presse und Leserschaft heftige Kritik, so dass er gezwungen war, sich auch vor der Öffentlichkeit immer wieder zu rechtfertigen.[6]
Seit 1915 arbeitet er zudem im Dienst der Kriegsgefangenenfürsorge, wo er Bücher sammelt und diese für die Inhaftierten der Gefangenenlager nach Frankreich schickt. Hesse arbeitet dort bis an den Rand des Zusam-menbruchs und bereits zu Beginn des Jahres 1916 stellen sich bei ihm die ersten körperlichen Beschwerden ein. Damit treffen 1916 die privaten und historische Katastrophen aufeinander: Die Euphorie des Kriegsbe-ginns ist verflogen und das durch den Weltkrieg angerichtete Leid in der Bevölkerung wird unübersehbar; Hermann Hesse hat nicht nur mit der ihm feindlich gesonnenen Presse und dem Scheitern seiner Ehe zu kämp-fen, sondern er ist durch seinen Arbeitseinsatz in der Kriegsgefangenen
sorge bis ins höchste Maß erschöpft und muss zusätzlich noch den Tod seines Vaters verarbeiten. All dies führt bei Hesse schließlich zu einer schweren Nervenkrise, so dass er sich im Mai desselben Jahres in psychotherapeutische Behandlung begibt. Noch im Mai absolviert Hesse zwölf Sitzungen bei dem Therapeuten Josef Bernhard Lang, und in dem Zeitraum von Juni 1916 bis November 1917 erfolgen noch 60 weitere Zusammenkünfte. Im September und Oktober 1917, während der End-phase der Therapie, entsteht Demian.
Der Roman erscheint im Juni 1919 in 3300 Exemplaren gedruckt zu-nächst unter dem Pseudonym Emil Sinclair, das bis zur 17. Auflage Demians anstelle des wirklichen Autorennamen steht. Zwei Jahre zuvor hatte Hermann Hesse die Geschichte als Romanmanuskript eines Unbe-kannten mit dem Namen Sinclair an seinen Verleger Samuel Fischer ge-sandt und in einem beigefügten Empfehlungsschreiben mitgeteilt, dass es sich um die Arbeit eines jungen Mannes handle, der schwer krank in der Schweiz darniederliege und wohl nicht mehr lange zu leben habe, wes-wegen er die Geschäfte mit der Außenwelt für ihn erledige. Nach dem begeisterten Urteil seines Lektoren entscheidet sich Fischer sehr schnell, dass Buch zu drucken, erklärt Hermann Hesse jedoch, der Autor müsse sich noch gedulden bis sich die Papierverhältnisse etwas deutlicher übersehen lassen,[7] da die momentanen Bestände für den Druck neuer Auflagen seines Autorenkreises bereitgehalten werden müssten. Interes-sant ist übrigens, worin der Lektor Loerke in seinem wohlwollendem Urteil die einzige Schwäche des Romans sieht:
Ein ausgezeichnetes Buch! Sein einziger Fehler ist, dass es sehr stark an Hesse erinnert, doch wird die Abhängigkeit durch innerliche Hoheit und einen besonderen, selbstständigen Ernst ausgeglichen.
Die Papierverhältnisse verschlechtern sich weiter, so dass das Demian -Manuskript noch ein Jahr liegen bleibt, bis es schließlich im Februar 1919 zu einem Vorabdruck in der Neuen Rundschau kommt, der sich über drei Hefte erstreckt (bis April 1919). Erst nach diesem Vorabdruck im April kommt es auch zu einem Verlagsvertrag und im Juni 1919 wird Demian zum ersten Mal in Buchform gedruckt.
Der Roman findet bei seinem Erscheinen begeisterte Aufnahme, und be-reits wenige Wochen nach seiner Veröffentlichung schreibt der Schrift-steller Thomas Mann folgende Zeilen an den Verleger:
Sagen Sie mir bitte: Wer ist Emil Sinclair? Wie alt ist er? Wo lebt er? Sein Demian in der Rundschau hat mir mehr Eindruck gemacht, als irgend etwas Neues seit langem. Das ist eine schöne, kluge, ernste be-deutende Arbeit! Ich hatte sie übersehen, musste erst darauf aufmerksam gemacht werden und las sie vor wenigen Tagen mit größter Bewegung und Freude. Und so ein Rückstand wie ich freut sich ja natürlich, wenn er zu etwas Neuestem einmal ganz unmittelbar Ja und Bravo sagen kann.
Noch im Oktober selben Jahres erhält Emil Sinclair den Fontane-Preis
zugesprochen und allmählich beginnen die ersten Spekulationen über die Identität des unbekannten Autoren. Im Jahre 1920 kommt es schließlich zur Auflösung, als Eduard Korrodi in seinem in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichten Artikel „ Wer ist der Dichter des >Demian< ?“ Hermann Hesse zu einer direkten Stellungnahme herausfordert. Hesse antwortete Korrodi mit einem offenen Brief, um dessen ungekürzte Ver-öffentlichung er bat, doch als dieser seine Äußerungen nur teilweise zitiert, bekennt sich Hermann Hesse in Vivos Voco, Leipzig, vom Juli 1920 selbst als Autor. Nach der Aufdeckung seines Pseudonyms gibt er den Fontane-Preis wieder zurück und verfügt, dass der Roman künftig unter seinem eigenen Namen erscheinen soll. Mit dem Bekanntwerden des Autoren kommt es zu einem erneuten „Hesse-Boom“ und Demian wird als sinnspendendes Werk in einem vom Leid des verlorenen Welt-kriegs geprägten Deutschland verstanden. So schreiben etwa Lulu von Strauß und Torney in ihrer Rezension vom Dezember 1922, nachdem sie zuvor die verzweifelte Lage der Nachkriegsjugend geschildert haben, folgendes:
In dieser inneren Not kam dem einen oder anderen der Demian in die Hände. Er las, und es war ihm, als werde ihm eine Binde von den Augen genommen. Las und fand – sich selber.[8]
Wie später auch der Steppenwolf und Siddharta wird die Erzählung hauptsächlich als Mittel der Krisenbewältigung verstanden. Der Verweis auf die Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen bereits zu Beginn des Romans wirkt auch gerade nach der erneuten Katastrophe des Zweiten Weltkrieges äußerst attraktiv auf eine Bevölkerung, die in den Jahren des Hitler-Regines noch beständig hören musste, dass der Einzelne nichts und das Volk alles bedeute. So findet Demian nach 1945 abermals große Beachtung. In den Sechzigerjahren kommt es dann ausgelöst durch den Psychologiedozenten und Drogen-Guru Timothy Leary erneut zu einer überwältigenden Hesse-Konjunktur. In dieser Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs erregt Demian vor allem in Amerika Aufmerksamkeit, und bis 1976 werden allein dort 1,5 Millionen Exemplare verkauft. Bis heute wurde das Buch in 27 Sprachen übersetzt.
Hesse hat damals die Notwendigkeit eines Pseudonyms damit begründet, dass ein 42-jähriger „ alter Onkel “ der jungen Generation von Kriegs-heimkehrern unglaubwürdig hätte erscheinen müssen, angesichts des auf-rührerischen Inhaltes von Demian mit seiner Ablehnung alles Normierten und Mittelmäßigen. Nur gegenüber Freunden hat Hesse den wahren Grund für einen fingierten Autorennamen angedeutet:
Die Rolle des beliebten Unterhaltungsliteraten, in die ich geraten bin, Gott weiß wie, ist gewiss die letzte, die zu mir passt. Mein Versuch, mit dem Demian mich dieser blöden Rolle zu entziehen und unbekannt zu bleiben, ist missglückt.[9]
Dadurch, dass seine Romanfiguren für Millionen von Menschen zum
Vorbild geworden waren, führten sie in die genau entgegengesetzte Richtung zum propagierten Selbstfindungsprozess, denn statt sich wirk-lich auf die Suche nach dem eigenen Selbst zu machen, konnte man sich nun am vorgefertigten Weg seines jeweiligen Helden orientieren. So war das riesige Heer der Hesse-Leser in der Lage, sein Bedürfnis nach An-dersartigkeit stillen, ohne eigenständig neue Erfahrungen sammeln zu müssen. Hesse erkannte diesen Widerspruch zwischen dem Appell „Werde und sei du selbst!“ und der enormen Popularität seiner Bücher, und sein großer Erfolg war ihm daher zuwider. Natürlich kann man das Verhalten Hermann Hesses für gekünstelt halten, denn welcher Schrift-steller ärgert sich schon über einen zu großen Erfolg, doch man sollte dabei beachten, dass er das von ihm thematisierte Außenseitertum bei Kriegsausbruch selbst gelebt hat und sich der allgemeinen Euphorie ver-weigerte, im krassen Gegensatz zu seiner aus lauter „Außenseitern“ bestehenden Leserschaft, die im Sommer 1914 ihre massenhafte Re-krutierung und Uniformierung selbst forderte.[10]
Der Kriegsausbruch zeigte also, dass „Hesse“ zu lesen mit der Entschei-dung, „zur Masse zu werden“ durchaus vereinbar war. Und auch der Roman Demian selbst ist kein Antikriegsbuch: Max Demian ist Leutnant der Reserve und zieht nicht gezwungenermaßen in den Krieg, sondern weil er in diesem einen Umsturz des Alten sieht, der absolut notwendig ist, um eine positive Neuordnung Europas zu ermöglichen. Die Erzäh-lung Hesses ist daher eine direkte Antwort auf die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs, denn sie erzählt die Geschichte eines Individualisten, der trotz seiner vollzogenen Selbstfindung den Verlockungen des Krieges nicht widersteht und sein Leben auf dem Schlachtfeld riskiert – ebenso wie schon all die Massen vor ihm. Hesse dokumentiert damit, dass das Modell der „Selbstfindung“ den Krieg nicht hat verhindern können. In gewisser Hinsicht hat der Schriftsteller in Demian seine eigenen Leser porträtiert, die in den Krieg zogen mit Büchern im Tornister, die doch eigentlich die Individualität priesen - und nicht das Aufgehen in der Masse.
2.2. Demian – ein autobiographischer Roman?
Es gab, und gibt auch heute noch, eine Reihe von Literaturwissenschaft-lern, die den Roman Demian hauptsächlich als eine Verarbeitung Hesses von tatsächlich Erlebtem interpretieren, einige davon bewerten ihn sogar nur als einen besseren, weil ausgeschmückten, Therapie-Erfahrungsbe-richt.
Die These, dass sich in der Erzählung zum Großteil Autobiographisches widerspiegle, beruht wohl darauf, dass viele der Romanfiguren auf real existierende Personen aus Hesses Bekanntenkreis zurückgeführt werden konnten. So hat z. B. Frank Baron („Who was Demian?” In: The German Quarterly. Appleton, Wisc., 49, 1976, I, S. 45-49) versucht nachzuwei-sen, dass Hermann Hesses Maulbronner Schulkamerad Gustav Zeller das Vorbild für die Figur Demian war. Baron begründet seine Vermutung unter anderem folgendermaßen:
In Zeller as well as in Demian one recognizes an attempt to shape new myths in an age for which the old beliefs are no longer genuinely meaningful.[11]
Im Widerspruch zu Frank Barons Behauptung glaubt der Literaturwissen-schaftler Hermann Müller jedoch, dass Demian dem Esoteriker Arthur (Gusto) Gräser entlehnt ist ( H. Müller, Hermann Hesse – Gusto Gräser. Eine Freundschaft. Wetzlar: Neuland Verlag, Gisela Lotz 1977, S. 5 ). Er verweist darauf, dass das Verhältnis zwischen Sinclair und Demian kein gleichberechtigtes ist, wie es wahrscheinlich das zwischen Zeller und Hesse war, sondern eher einem Lehrer-Schülerverhältnis gleicht:
Vielmehr geht die Gestalt des Demian und die ganze Thematik des Meister-Jüngerverhältnisses auf eine fassbare und nachweisbare bio-graphische Erfahrung zurück: nämlich auf Hesses Begegnung mit Arthur (Gusto) Gräser.[12]
Zur weiteren Begründung verweist Hermann Müller außerdem noch auf Briefe Gräsers und die Tatsache, dass Hesse sich in den Jahren 1916 bis 1918 immer wieder für Wochen, manchmal sogar Monate, in Locarno-Monti aufhielt, und zwar bei Frau Neugeboren, einer Freundin und be-geisterten Anhängerin von Gräser. Der Monte Veritá, Heimatort des Gusto Gräser, lag Locarno-Monti direkt gegenüber, so dass Hesse ihn von dort aus jederzeit erreichen konnte. Gusto Gräser selbst war ein Ver-breiter esoterischer Lehren und Mitbegründer einer Kolonie auf dem Monte Veritá. Diese Kolonie von Lebensreformern hing einem Indien-Kult an, der mit seinem Mythos von der „Mutter Erde“ eine Gegenwelt zur wilhelminischen Väterkultur errichten wollte. Da Gräser einer der „Gurus“ dieser Bewegung war und der Einfluss seiner Lehren auf Hesse unübersehbar ist ( so ist z.B. das „Mutterbild“ in Hesses späteren Ro-manen fast immer von großer Bedeutung, und auch seine Reise nach
[...]
[1] Alle Seitenangaben zum Roman „Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend“ beziehen sich auf die kommentierte Auflage, die in der Reihe BasisBibliothek beim Suhrkampverlag erschienen ist. Genanntes Zitat findet sich dort auf Seite 10.
[2] Vgl. Karalaschwili, R.: Hermann Hesse. Charakter und Weltbild. Köln: Böhlau Verlag GmbH & Cie 1993, S.49
[3] Vgl.. Field, G.W.: HERMANN HESSE Kommentar zu sämtlichen Werken. Stuttgart: Akademischer Verlag Hans-Dieter Heinz 1977 ( Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik Nr.24)
[4] siehe dazu den Kommentar von Heribert Kuhn in der im Rahmen der Suhrkamp Basisbibliothek erschienenen Ausgabe von Demian S. 173 ff.
[5] Quelle: Hafner, Gotthilf: Hermann Hesse. Werk und Leben. Nürnberg: Verlag Hans Carl ( 3. , ergänzte Auflage). S. 25 f.
[6] Vgl. den Kommentar von Heribert Kuhn in Demian S. 173 ff.
[7] aus Fischers Antwortschreiben an Hesse vom 19. November 1917
[8] zit. nach Adrian Hsia: Hermann Hesse im Spiegel der zeitgenössischen Kritik. Bern 1975, S.181 f.
[9] zit. nach Siegfried Unseld: Hermann Hesse – Werk- und Wirkungsgeschichte. Frankfurt/M. 1986, S.54
[10] aus dem Kommentar von Heribert Kuhn in Demian, S. 176
[11] zit. nach Pfeifer, Martin: Hesse-Kommentar zu sämtlichen Werken. München: Winkler Verlag, 1980, S. 135
[12] Ebd.
- Arbeit zitieren
- Marcel Egbers (Autor:in), 2001, Hesses Demian. Über Mythen, Religion und Esoterik zur Selbstfindung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19405
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