Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird die Bedeutsamkeit des Ernährungswissens und der Nahrungsmittelpräferenz auf den Gewichtsstatus von Kindern und Jugendlichen erforscht. Dabei werden weitere mögliche Einflussfaktoren auf das Ernährungswissen und die Nahrungsmittelvorlieben wie das Geschlecht, Alter und der sozioökonomische Hintergrund der Versuchsteilnehmer näher betrachtet. Anders als in der Vielzahl von Untersuchungen, in denen die Nahrungsmittelpräferenzen über den Selbstbericht erfragt wurden, liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf der impliziten Erfassung der Nahrungsmittelpräferenzen mit Hilfe des Dot-probe-Paradigmas. Unter Verwendung dieses impliziten Messverfahrens untersucht die vorliegende Arbeit die nahrungsmittelbezogene Aufmerksamkeit von normal- und übergewichtigen Kindern und Jugendlichen. Zeigen übergewichtige Heranwachsende eine größere Vorliebe für kalorienreiche Nahrungsmittel und zeigen sie deshalb eine größere Auslenkung der Aufmerksamkeit auf hochkalorische Nahrungsmittelstimuli? Diese Fragen liegen dieser Forschungsarbeit
zugrunde. Zum Zeitpunkt der Untersuchung gab es kaum publizierte Studien, in denen unter Verwendung der Dot-probe-task die selektive Aufmerksamkeit auf nahrungsmittelbezogene Stimuli im Kindes- und Jugendalter erforscht wurden. Damit trägt die vorliegende Arbeit dazu bei, diese Forschungslücke zu schließen.
Inhaltsverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 Übergewicht und Adipositas
2.1.1 Klassifikation von Übergewicht und Adipositas
2.1.2 Prävalenz von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter..
2.1.3 Körperliche und psychische Folgeerkrankungen
2.1.4 Erklärungsansätze für die Genese von Übergewicht und Adipositas
2.1.4.1 Das Zielkonfliktmodell des Essverhaltens nach Stroebe
2.2 Nahrungsmittelpräferenzen
2.2.1 Einfluss von Nahrungsmittelpräferenzen und auf den Gewichtsstatus
2.2.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede in Nahrungsmittelpräferenzen
2.2.3 Methodische Probleme bei der Erfassung der Nahrungsmittelpräferenz .
2.2.4 Implizite Einstellungen und Nahrungsmittelpräferenzen
2.2.5 Nahrungsmittelassoziierte Aufmerksamkeit und
Nahrungsmittelpräferenzen
2.2.5.1 Dot-probe-Paradigma
2.3 Ernährungswissen
2.3.1 Zusammenhang zwischen Ernährungswissen und Gewichtsstatus
2.3.2 Einflussfaktoren auf das Ernährungswissen
3. FRAGESTELLUNGEN UND HYPOTHESEN
4. METHODE
4.1 Stichprobe
4.2 Instrumente und Materialien
4.2.1 Dot-probe-Paradigma zur nahrungsmittelassoziierten Aufmerksamkeit..
4.2.2 Fragebogen fur Kinder und Jugendliche
4.2.3 Erfassung des Gewichtsstatus
4.2.4 Elternfragebogen
4.3 Untersuchungsdurchführung
4.4 Statistische Auswertungsverfahren
5. ERGEBNISSE
5.1 Deskriptive Statistik zum Emährungswissen
5.2 Überprüfung der Hypothesen zum Ernährungswissen
5.3 Deskriptive Statistik zu Nahrungsmittelpräferenzen
5.4 Überprüfung der Hypothesen zu Nahrungsmittelpräferenzen
5.5 Deskriptive Statistik zur nahrungsmittelassoziierten
Aufmerksamkeitsauslenkung
5.6 Überprüfung der Hypothesen zur nahrungsmittelassoziierten
Aufmerksamkeitsauslenkung
6. DISKUSSION
6.1 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
6.2 Bedeutung und Grenzen der Studie
6.3 Ausblick
LITERATURVERZEICHNIS
ERKLÄRUNG ZUR SELBSTSTÄNDIGEN ANFERTIGUNG DER DIPLOMARBEIT
ANHANG
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1. Fettverteilungsmuster der abdominalen und gynoiden Adipositas (nach Warschburger etal., 2005; S.5)
Abbildung 2. Folgeerkrankungen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter (nach Ebbeling et al., 2002; S. 475)
Abbildung 3. Das Zielkonfliktmodell des Essverhaltens (nach Stroebe, Papies &Aarts)
Abbildung 4. Verteilung der Kinder und Jugendlichen Alter, Geschlecht und Gewichtsstatus
Abbildung 5. Verteilung der KinderundJugendlichen Geschlechtund Gewichtsstatus und familiärer Wohlstand
Abbildung 6. Instruktion des Dot-probe-Paradigmas
Abbildung 7. Beispiel fur einen kongruenten und inkongruenten Durchgang
Abbildung 8. Bewertung der Nahrungsmittel nach ihren Gesundheitsgehalt
Abbildung 9. Fünfstufige Gesichtsskala des Präferenzfragebogens
Abbildung 10. Prozentuale Anzahl der richtigen Antworten im Ernährungswissenstest
Abbildung 11. Unterschiede im Ausmaß des Ernährungswissens in Abhängigkeit des Geschlechts
Abbildung 12. Unterschiede im Umfang des Ernährungswissens in Abhängigkeit des Alters
Abbildung 13. Unterschiede im Ausmaß des Ernährungswissens in Abhängigkeit des Gewichtsstatus
Abbildung 14. Unterschiede im Ausmaß des Ernährungswissens in Abhängigkeit des familiären Wohlstandes
Abbildung 15. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der
Nahrungsmittelpräferenz
Abbildung 16. Unterschiede in derNahrungsmittelvorliebe in Abhängigkeit
des Gewichtsstatus
Abbildung 17. Unterschiede in den durchschnittlichen Reaktionszeiten bei der Präsentation hochkalorischer Nahrungsmittelstimuli in Abhängigkeit des Geschlechts
Abbildung 18. Unterschiede in den durchschnittlichen Reaktionszeiten bei der Präsentation niedrigkalorischer Nahrungsmittelstimuli in Abhängigkeit des Geschlechts
Abbildung 19. Unterschiede in den durchschnittlichen Reaktionszeiten bei der Präsentation hochkalorischer Nahrungsmittelstimuli (kongruente Durchgänge) in Abhängigkeit des Gewichtsstatus
Abbildung 20. Unterschiede in den durchschnittlichen Reaktionszeiten bei der Präsentation hochkalorischer Nahrungsmittelstimuli (inkongruente Durchgänge) in Abhängigkeit des Gewichtsstatus
Abbildung 21. Unterschiede in den durchschnittlichen Reaktionszeiten bei der Präsentation von Nahrungsmittelstimuli im Vergleich zu den neutralen Reizen in Abhängigkeit des Hungers
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1 Zusammenfassung der Studien zur Aufmerksamkeitsorientierung auf nahrungsmittelbezogene Stimuli
Tabelle 2 Zusammenfassung der Studien zum Ernährungswissen
Tabelle 3 Durchschnittlicher BMI und durchschnittliches Alter in Abhängigkeit des Geschlecht und der Zuordnung zur Gewichts- und Altersgruppe
Tabelle 4 Durchschnittliches Ernährungswissen
Tabelle 5 Durchschnittliche Präferenz der 10 beliebtesten und 10 unbeliebtesten Nahrungsmittel unter Berücksichtigung des Geschlechts
Tabelle 6 Durchschnittliche Präferenz der 10 beliebtesten und 10 unbeliebtesten Nahrungsmittel unter Berücksichtigung des Gewichtsstatus
Tabelle 7 Durchschnittliche Reaktionszeiten über alle Präsentationsbedingungen in Abhängigkeit des Alters
Tabelle 8 Durchschnittliche Reaktionszeiten über alle Präsentationsbedingungen in Abhängigkeit des Geschlechts
Tabelle 9 Durchschnittliche Reaktionszeiten über alle Präsentationsbedingungen in Abhängigkeit des Gewichtsstatus
Tabelle 10 Durchschnittliche Reaktionszeit über alle Präsentationsbedingungen in Abhängigkeit des Gewichtsstatus (n = 60)
Tabelle 11 Durchschnittliche Reaktionszeit in Abhängigkeit des Hungergefühls
Tabelle 12 Vorliebe für 120 Speisen und Getränke unter Berücksichtigung des Geschlechts und des Alters derVersuchsteilnehmer
Tabelle 13 T-Test zu den Reaktionszeitunterschieden in Abhängigkeit des Alters
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. EINLEITUNG
Die Prävalenz für Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter hat weltweit zugenommen. Deutschlandweit liegt nach den epidemiologischen Daten des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) die Prävalenz für Übergewicht von Kindern und Jugendlichen bei 15 Prozent und für Adipositas bei 6.3 Prozent. Das körperliche Übergewicht und seine Folgen beeinträchtigen zunehmend die Gesundheit sowie die Lebensqualität der Betroffenen, weswegen in der Forschung vielfältige Einflussfaktoren sowie Präventions- und Interventionsstrategien ergründet werden (Reisch & Gwozdz, 2010). Als Ursache werden neben der genetischen Veranlagung, Veränderung der Umweltbedingungen, mangelnde Bewegung und falsches Essverhalten diskutiert (Reinehr, Kersting, Wollenhaupt, Pawlitschko & Andler, 2004). Im Zusammenhang mit dem falschen Essverhalten wird mangelndes Ernährungswissen bei einer immer komplexeren und reichhaltigeren Lebensmittelauswahl erforscht. Die Evidenzlage zum Einfluss des Ernährungswissens auf das Konsumverhalten von Kindern und Jugendlichen ist inkonsistent. Die einschlägige Fachliteratur verweist darauf, dass die Nahrungsmittelauswahl von Heranwachsenden durch persönliche Präferenzen beeinflusst wird (Capaldi, 2003). Da Geruch und Geschmack ganz wesentliche Parameter für die Vorliebe von Nahrungsmitteln sind (Büttner & Fischer, 2010), werden die Grundlagen unseres Geruchsund Geschmacksempfindens als Basisprinzipien für entsprechende Präferenzen intensiv untersucht. Zudem ist die Erforschung der Mechanismen zur Ausbildung von Vorlieben und Abneigungen für Speisen in den Fokus der Forschung gerückt und liefert Erklärungen dafür, weshalb bestimmte Nahrungsmittel bevorzugt werden. Da Nahrungsmittelpräferenzen maßgeblich die Auswahl von Lebensmitteln und somit die Verzehrgewohnheiten von Kinder und Jugendlichen bestimmen, wird neben mangelnden Kenntnissen über gesunde Ernährung der Einfluss von Nahrungsmittelpräferenzen auf die Genese und Aufrechterhaltung von Übergewicht und Adipositas diskutiert.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird die Bedeutsamkeit des Ernährungswissens und der Nahrungsmittelpräferenz auf den Gewichtsstatus von Kindern und Jugendlichen erforscht. Dabei werden weitere mögliche Einflussfaktoren auf das Ernährungswissen und die Nahrungsmittelvorlieben wie das Geschlecht, Alter und der sozioökonomische Hintergrund der Versuchsteilnehmer näher betrachtet. Anders als in der Vielzahl von Untersuchungen, in denen die Nahrungsmittelpräferenzen über den Selbstbericht erfragt wurden, liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf der impliziten Erfassung der Nahrungsmittelpräferenzen mit Hilfe des Dot-probe-Paradigmas. Unter Verwendung dieses impliziten Messverfahrens untersucht die vorliegende Arbeit die nahrungsmittelbezogene Aufmerksamkeit von normal- und übergewichtigen Kindern und Jugendlichen. Zeigen übergewichtige Heranwachsende eine größere Vorliebe für kalorienreiche Nahrungsmittel und zeigen sie deshalb eine größere Auslenkung der Aufmerksamkeit auf hochkalorische Nahrungsmittelstimuli? Diese Fragen liegen dieser Forschungsarbeit zugrunde. Zum Zeitpunkt der Untersuchung gab es kaum publizierte Studien, in denen unter Verwendung der Dot-probe-task die selektive Aufmerksamkeit auf nahrungsmittelbezogene Stimuli im Kindes- und Jugendalter erforscht wurden. Damit trägt die vorliegende Arbeit dazu bei, diese Forschungslücke zu schließen.
Im nachfolgenden Kapitel soll eine Einführung in den theoretischen Hintergrund der Diplomarbeit erfolgen. Einleitend wird ein Überblick über die Thematik Übergewicht und Adipositas gegeben. Dabei werden die Begrifflichkeiten definiert und Ergebnisse zur Epidemiologie von Übergewicht und Adipositas erläutert. Mit der Darstellung der körperlichen und psychischen Folgeerkrankungen von Übergewicht und Adipositas soll die Bedeutsamkeit der Ursachenforschung von Übergewicht und Adipositas betont werden. Bei der Beschreibung der Erklärungsansätze zur Genese von Übergewicht und Adipositas wird auf eine detaillierte Darstellung verzichtet und es wird lediglich ein Modell vorgestellt, welches den Einfluss von Nahrungsmittelpräferenzen auf die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas berücksichtig. Im zweiten Abschnitt des Theorieteils liegt der Schwerpunkt auf den Nahrungsmittelpräferenzen, Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von Nahrungsmittelvorlieben und den Gewichtsstatus sowie auf den Untersuchungen zur nahrungsmittelbezogenen Aufmerksamkeit. Im letzten Abschnitt des theoretischen Hintergrunds erfolgt eine Vorstellung der Forschungsbefunde zu Einflussfaktoren auf das Ernährungswissen.
An die Darstellung der Hypothesen schließt sich die methodische Umsetzung der Untersuchung an. Die Ergebnisse werden in Kapitel 4 aufgeführt. Abschließend werden diese in Hinblick auf die aktuelle Forschungsliteratur im letzten Kapitel zusammengefasst, diskutiert und es wird ein Ausblick auf weitere Forschung gegeben.
2. THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 Übergewicht und Adipositas
Die Begriffe Übergewicht und Adipositas werden trotz ihrer unterschiedlichen Bedeutungsinhalte oftmals synonym verwendet (Warschburger & Petermann, 2008). Man spricht von Übergewicht, wenn ein zu hohes Körpergewicht im Vergleich zur Körpergröße vorliegt (Lehrke & Laessle, 2009). Folglich versteht man unter Übergewicht ein generell erhöhtes Körpergewicht, das oberhalb der Alters- und Geschlechtsnorm liegt. Beim Übergewicht ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass sich der Körperfettanteil vermehrt hat, sondern dass das Gewicht auch aufgrund eines hohen Anteils an Muskelgewebe resultieren kann (Warschburger, Petermann, Fromme & Wojtalla-Schuld, 1999). Adipositas hingegen wird durch einen übermäßigen Anteil der Fettmasse am Körpergewicht mit negativer Beeinflussung der Gesundheit definiert (Warschburger et al., 2008). Differentialdiagnostisch muss zwischen primärer und sekundärer Adipositas unterschieden werden (Warschburger et al, 1999). Während der primären Adipositas eine multifaktorielle Genese zugrunde liegt, spricht man von einer sekundären Adipositas, wenn eine definierte Grunderkrankung die Ursache für die Adipositas ist (Wabitsch, 2007). Als diesbezüglich relevante Krankheitsbilder gelten beispielsweise hypothalami- sche Störungen, Pankreastumore oder das Prader-Willi-Syndrom (Wirth, 2000). Allerdings machen die sekundären Formen nur rund 5 Prozent der Adipositasfälle aus (Warschburger et al., 2005). Darüber hinaus lässt sich die Adipositas nach phänomenologischen Aspekten differenzieren. Aufgrund des spezifischen Fettverteilungsmusters wird zwischen einer gynoiden Form, mit einer Fettkonzentration an den Hüften und den Oberschenkeln und einer eher androiden Form, mit vermehrtem Fettgewebe vor allem in der Bauchregion, unterschieden (Warschburger et al., 2005). Während die gynoide Form, die umgangssprachlich als Birnentyp bezeichnet wird, häufiger bei Frauen vorkommt, findet sich die androide Form, auch Apfeltyp genannt, häufiger bei Männern. Es gilt mittlerweile als erwiesen, dass neben dem Ausmaß des Körpergewichts das Fettverteilungsmuster, welches sich allerdings erst zum Pubertätsende manifestiert, beim Auftreten von Folgeerkrankungen eine wichtige Rolle spielt. Dem androiden Fettverteilungsmuster kommt gegenüber der gynoiden Form ein wesentlich größeres gesundheitliches Risiko zu (Hebebrand, Barth & Herpertz-Dahlmann, 2008). Auf die körperlichen Folgeerkrankungen wird an einer anderen Stelle (siehe Kapitel 2.1.3) eingegangen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Fettverteilungsmuster der abdominalen und gynoiden Adipositas (nach Warschburger etal., 2005; S. 5)
2.1.1 Klassifikationvon ÜbergewichtundAdipositas
Es existieren zahlreiche Methoden bzw. Indizes zur Klassifikation von Übergewicht und Adipositas (Kromeyer-Hauschild et al., 2001). Der Body-Mass-Index (BMI) hat sich weltweit als Maß zur Bestimmung des Gewichtsstaus und somit von Übergewicht und Adipositas durch seine relativ einfache handhabende Berechnung durchgesetzt. Nach Wirth (2000) eignet sich der BMI zur Klassifikation aufgrund seiner größeren Korrelation mit der Körperfettmasse. Aufgrund seiner mathematischen Eigenschaften mit einer hohen Korrelation zur Fettmasse und einer geringen Korrelation zur Körpergröße ist der BMI eine valides Maß für die Schätzung der Fettmasse bei Erwachsenen (Lehrke et al., 2009). Der BMI berechnet sich durch die Formel: Körpergewicht in kg dividiert durch das Quadrat der Körpergröße gemessen in Meter (Bray, 1978, zitiert nach Warschburger et al, 2008). Gemäß der Klassifikation der WHO (2000) wird Übergewicht bei Erwachsenen definiert als BMI > 25 kg/m[2], während ab einem BMI > 30kg/m[2]von Adipositas gesprochen wird. Die Problematik der Verwendung des BMI liegt jedoch darin, dass Muskelgewebe schwerer ist als Fettgewebe, so dass beispielweise Sportler oder Bodybuilder, dessen Körper sich größtenteils aus Muskelmasse zusammensetzt und deshalb ein relativ hohes Gewicht aufweisen, in die hohen BMI-Regionen eingeordnet werden (Pudel& Westenhöfer, 2003).
Bei Kindern bestehen bei der Korrelation von Fettmasse und BMI altersabhängige Schwankungen, die unter anderem durch wachstumsphysiologische Veränderungen des Verhältnisses von Muskel- und Knochenmasse zur Fettmasse bedingt sind (Kromeyer- Hauschild et al., 2001). Daher werden zur Bestimmung von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter alters- und geschlechtsspezifischen Referenzwerte, die so genannten Perzentilen, verwendet. Für deutsche Kinder werden Referenzwerteverwendet, die unter Heranziehung der Daten von 17 bereits durchgeführten Untersuchungen aus verschiedenen Regionen Deutschlands erstellt wurden und auf den Körpergrößen- und Gewichtsdaten von 17272 Mädchen und17147 Jungen im Alter von 0 bis 18 Jahren basieren (Kromeyer-Hauschild et al., 2001). Zur Definition von Übergewicht und Adipositas empfiehlt die Deutsche Adipositasgesellschaft (DAG, 2008) übereinstimmend mit der European Childhood Obesity Group (ECOG) das Überschreiten der 90. Perzentile und das Überschreiten der 97.Perzentile als Grenzwerte für Übergewicht und für Adipositas. Diese Festlegung ermöglich einen nahezu kontinuierlichen Übergang zu den entsprechenden Grenzwerten im Erwachsenenalter (Lehrke et al., 2009). Während man sich in Europa auf diese Grenzwerte als Definitionskriterien für Übergewicht und Adipositas geeignet hat, bedient man sich in den USA durchaus anderer Grenzwerte. In Relation zum Alter werden laut Centers for Disease Control and Prevention (CDC) die 85. Perzentile der geschlechtsspezifischen Wachstumskurven als Übergewicht und die 95. Perzentile für Adipositas zur Klassifikation herangezogen (Barlow, 2007).
2.1.2 Prävalenz von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter
Übergewicht und Adipositas haben weltweit epidemische Ausmaße angenommen und zeigen in zahlreichen Ländern eine weiter steigende Tendenz (Kromeyer-Hauschild et al., 2001). Nach Mensink, Lampert & Bergmann (2005) sind in Deutschland ungefähr 50 Prozent der erwachsenen Männer übergewichtig und etwa 18 Prozent ädipös. Weiterhin werden ca. 35 Prozent der erwachsenen Frauen als übergewichtig und ungefähr 20 Prozent als adipös eingestuft. Im internationalen Vergleich zählt Deutschland damit zu den Ländern mit sehr hoher Prävalenz der Adipositas, wobei die Tendenz steigend ist (Lehrke et al., 2009). Betrachtet man die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas im Kinder- und Jugendalter, so zeigen sich ähnlich erschreckende Daten. Als erste repräsentative Gesundheitsstudie für das Kindes- und Jugendalter hat der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas in ganz Deutschland untersucht. In der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS), die zwischen 2003 und 2006 durchgeführt wurde, waren insgesamt 15 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen drei und siebzehn Jahren übergewichtig und 6.3 Prozent litten unter Adipositas (Kurth & Schaffrath, 2007). Ausgehend von diesen Ergebnissen gelten ungefähr 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland als übergewichtig und etwa 800 000 Heranwachsende als adipös. Im Vergleich zu den Referenzdaten von 1985 bis weisen die Ergebnisse auf eine Zunahme des Anteils an übergewichtigen Kindern und Jugendlichen um 50 Prozent in Deutschland hin (Kurth et al., 2007). Ein Anstieg der Prävalenz von Übergewicht und Adipositas konnte basierend auf den Daten regionalbegrenzter Studien festgestellt werden. In einer Jenaer Studie wurden in den Jahren 1975, 1985 und 1995 Querschnittsuntersuchungen an Schulkindern im Alter von 7 bis 14 Jahren vorgenommen. Nach Kro- meyer-Hauschild und Jäger (1998) stieg in den 20 Jahren die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas von 10.0 Prozent auf 16.3 Prozent. Besonders deutlich fielen diese Veränderungen in den Jahren 1985 und 1995 aus. Ferner konnte ein vernehmlicher Anstieg der Prävalenz von Übergewicht in neueren Untersuchungen von Einschulungskindern in Augsburg in den Jahren 2003 bis 2007 konstatiert werden. Nach Weber, Hiebl und Storr (2008) nahm die Prävalenz von Übergewicht bei Einschulungskindern von 10.6 Prozent auf 13.1 Prozent in dem Zeitraum von 2003 bis 2007 zu.
Weitere Resultate des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) deuten auf eine zunehmende Verbreitung von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter mit einem Anstieg des Alters. Nach Kurth et al. (2007) steigt der Anteil der übergewichtigen Kindern nach dem Schuleintritt schnell an und verdoppelt sich fast bei den Jugendlichen (14 bis 17 Jahren). Bei Adipositas verhält sich die Verbreitung mit zunehmendem Alter extremer. Eine Verdreifachung des Anteils adipöser Jugendlicher (14 bis 17 Jahren) konnte in der KiGGS-Studie festgestellt werden (Kurth et al., 2007). Ein signifikanter Unterschied bei Übergewicht und Adipositas zwischen Mädchen und Jungen konnte dabei nicht konstatiert werden. Eine höhere Verbreitung von Übergewicht und Adipositas zeigt sich in den unteren Sozialschichten (Warschburger et al., 2008). Die Ergebnisse der Kieler Adipositas-Präventionsstudie (KOPS), in der 6- bis 14jährige Kinder untersucht wurden, deuten auf eine inverse Beziehung zwischen sozialem Status und Übergewicht (Lange, Plachta-Danielzik, Landsberg & Müller, 2010). Die Prävalenz für Übergewicht lag in der niedrigen Sozialschicht bei 18.4 Prozent, wäh- rend 13.6 Prozent und 7.9 Prozent der untersuchten Kinder aus der mittleren und hohen Sozialschicht von Übergewicht betroffen waren. Die Charakterisierung des sozialen Status erfolgte dabei über die Schulbildung der Eltern (Lange et al, 2010). Ein höheres Risiko für Übergewicht und Adipositas konnte ebenfalls in der KiGGS-Studie bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status nachgewiesen werden. Weiterhin verzeichneten nach Kurth et al. (2007) Kinder und Jugendliche mit einem Migrationshintergrund höhere Prävalenzraten für Adipositas. Folglich stellen Migrantenkinder eine besondere Risikogruppe dar.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Prävalenz und Ausprägung von Übergewicht und Adipositas weltweit deutlich zugenommen hat. Weltweit betrachtet liegt die Prävalenz von Übergewicht bei ca. 10 Prozent und die von Adipositas bei 2 bis 3 Prozent (Warschburger et al., 2008). Gemäß den aktuellen Daten aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts sind 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland übergewichtig und 6.3 Prozent adipös. In den unteren Sozialschichten und bei Kindern mit einem Migrationshintergrund ist die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas höher. An dieser Stelle soll der Vollständigkeit wegen erwähnt werden, dass sich bezüglich des sozioökonomischen Status in den Entwicklungsländern ein gegensätzlicher Trend verzeichnet. Eine hohe Prävalenz von Übergewicht und Adipositas geht in den Entwicklungsländern bei Kindern und Jugendlichen mit einem hohen sozioökonomischen Status einher (Ebbeling, Pawlak & Ludwig, 2002).
2.1.3 Körperliche undpsychische Folgeerkrankungen
Zwar werden Übergewicht und Adipositas vielfach vorwiegend mit ästhetischen oder kosmetischen Problemen in Verbindung gebracht, dessen ungeachtet werden Übergewicht und Adipositas bereits im Kindes- und Jugendalter mit Gesundheitsproblemen in Form von Folgeerkrankungen assoziiert. Dies bedeutet auch eine sozialökonomische Bürde, denn schon gegenwärtig werden 6 Prozent der Ausgaben für das Gesundheitswesen durch die Adipositas verursacht und mindestens doppelt so hoch sind die indirekten Kosten (Schneider & Momma, 2008).
Im Wesentlichen werden die Folgeerkrankungen durch zwei Mechanismen verursacht. Zum einen resultieren aus der erhöhten Fettmasse beispielsweise mechanische Belastungen des Stütz- und Bindegewebes und der Gelenke. Zum anderen sind viele Folgen der Adipositas durch metabolische Veränderungen oder durch pathogenetische Faktoren bedingt, die häufig im Einzelnen noch nicht geklärt sind (Dieterle & Landgraf, 2006). Erst seit einiger Zeit ist bekannt, dass das Fettgewebe nicht nur ein passiver Energiespeicher, sondern ein aktives endokrines Organ ist, das eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung der Energiebalance spielt (Bramlage, Böcking & Kirch, 2006). Dabei greifen die Zellen des Fettgewebes in die Regulation der Insulinsekretion, in den Glukose- und Lipidstoffwechsel und in die hypothalamische Regulation von Appetit und Sättigung modifizierend ein (Dieterle et al., 2006). Daher ist es nicht überraschend, dass aus den pathologischen Veränderungen des Fettgewebes in Folge einer Adipositas das Risiko für eine Vielzahl von Erkrankungen erhöht wird. Bereits bei adipösen Kindern und Jugendlichen kann ein erhöhtes Risiko für Fett- und Kohlenhydratstoffwechselstörungen, Atem- und Schlafstörungen, Beeinträchtigungen des Immunsystems, erhöhte Leberwerte, kardiovaskuläre Erkrankungen und Hautprobleme beobachtet werden (Wabitsch, 2000). Während Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen bereits im Vorschulalter als Folge der Adipositas auftreten, wird Diabetes-mellitus-Typ-2 in der Regel noch nicht in diesem Alter diagnostiziert (Reinehr, Andler, Denzer, Siegfried, Mayer & Wabitsch, 2005). Eine Zunahme der Insulinresistenz findet man in der Pubertät (Wabitsch, Heinze & Reinehr, 2005).Dabei steht insbesondere das androide Fettverteilungsmuster mit einer erhöhten Insulinresistenz in Verbindung (Bramlange, 2008). Das metabolische Syndrom bestehend aus arterieller Hypertonie, Diabetes-mellitus- Typ-2 und Dyslipoproteinämie ist eine der häufigsten und in den letzten Jahren stark zunehmende Begleiterkrankung der Adipositas. Gemäß der Ergebnisse der Murnauer Komorbiditätsstudie weisen 35 Prozent der Kinder und Jugendliche mit Adipositas das metabolische Syndrom auf (Wabitsch et al., 2004). In Abbildung 2 sind die wichtigsten Folgeerkrankungen zusammengestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. Folgeerkrankungen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter (nach Ebbeling et al., 2002; S. 475)
Weiterhin ist belegt, dass das langfristige Morbiditätsrisiko bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen stärker ausgeprägt ist als bei normalgewichtigen Kindern (Lehrke et al., 2009). Mit dem Fortbestehen des Übergewichts bzw. der Adipositas ist in vielen Fällen mit einer Zunahme sowohl der Intensität bereits bestehenden Symptome als auch der Anzahl neu auftretender Begleiterkrankungen zu erwarten. Eine Gewichtsreduktion im Kindes- und Jugendalter kann jedoch das relative Risiko adipositasinduzierter Folgeerkrankungen im Erwachsenenalter senken (Stratmann, Wabitsch & Leidl, 2000).
Wesentlich häufiger als die medizinischen Komplikationen sind die psychosozialen Belastungen bei adipösen Heranwachsenden (Warschburger, 2005). Adipöse Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihres Gewichts den Hänseleien ihrer Altersgenossen ausgesetzt und werden in sozialen Gruppen benachteiligt (Lehrke et al., 2009). Die Ablehnung von Übergewichtigen und Adipösen beginnt häufig bereits im jungen Alter. Bereits vierjährige Kinder weisen den Silhouetten von adipösen Kindern hauptsächlich negative Attribute, wie faul, dumm, hässlich oder verlogen zu (Wardle, Volz & Golding, 1995; zitiert nach Lehrke et al., 2009). Die psychosoziale Diskriminierung macht übergewichtige und adipöse Heranwachsende vielfach zu Außenseitern unter Gleichaltrigen und kann sich nachteilig auf die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts sowie auf den Aufbau sozialer Kontakte auswirken (French, Perry, Leon & Fulkerson, 1996; zitiert nach Fromme, 2002). Hinsichtlich des Selbstwerts von übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen ist die Studienlage recht kontrovers. Während einige Ergebnisse zum Selbstwert von übergewichtigen und adipösen Kindern auf ein vermindertes Selbstwertgefühl in beinahe allen Bereichen hinweisen (Vgl. Strauss, 2000; Franklin, Denyer, Steinbeck, Caterson & Hill, 2006), fanden Moens, Braet, und Timbremont (2005) signifikant negativere Selbstbewertungen in Bezug auf den athletischen Bereich bei adipösen Kindern und Jugendlichen. Bei Untersuchungen des Selbstwerts von adipösen Kindern und Jugendlichen sind das Alter der untersuchten Kinder und Jugendlichen sowie der Untersuchungskontext entscheidend. So scheint das Selbstwertgefühl von jüngeren adipösen Kindern nur gering oder überhaupt nicht beeinträchtigt zu sein, wohingegen Jugendliche ab der Pubertät eine deutliche Selbstwertproblematik aufweisen (Herpertz, 2008). Während in groß angelegten Studien (z.B. in der Schule) keine gewichtsbedingten Unterschiede im Selbstkonzept festgestellt werden, weisen adipöse Kinder und Jugendliche im klinischen Kontext (z.B. in Gewichts- kontrollprogrammen) einen eingeschränkten Selbstwert auf (Vgl. Fromme, 2002). Neben dem Selbstwert ist die gesundheitsbezogene Lebensqualität von adipösen Kindern und Jugendlichen gegenüber normalgewichtigen Heranwachsenden eingeschränkt (Warschburger, Fromme & Petermann, 2004). Krebskranke Kinder, die sich in einer Chemotherapie befinden, weisen nur noch eine vergleichbar geringe Lebensqualität auf (Schwimmer, Burwinkle & Varni, 2003; zitiert nach Kiess, Hebebrand, Zwiauer & Wabitsch, 2004). Die Frage, ob Adipositas im Kindes- und Jugendalter mit einer erhöhten Rate psychopathologischer Auffälligkeiten einhergeht, ist ein weiterer Forschungsgegenstand im Kontext mit den psychischen Folgeerkrankungen der Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Eine zentrale Unterscheidung ist dabei, ob die Komorbidität mit psychischen Störungen in Feldstudien oder in klinischen Gruppen untersucht wurden (Warschburger et al., 2008). Während in Feldstudien keine erhöhte psychiatrische Morbidität festgestellt wird, zeigen sich in klinischen Stichproben von adipösen Kindern und Jugendlichen eine gegenüber von normalgewichtigen Heranwachsenden erhöhte Rate von psychiatrischen Diagnosen und Symptomen. Am häufigsten werden affektive Störungen (42.6 Prozent) und Angststörungen (40.4 Prozent) in der klinischen Gruppe diagnostiziert (Britz et al., 2000). Neben den internalisierenden Auffälligkeiten wird das Auftreten von Essstörungen bei Jugendlichen mit Adipositas untersucht. Adipöse Kinder und Jugendliche weisen aufgrund der Unzufriedenheit mit dem Körperbild ein erhöhtes Risiko für den Einsatz von gesundheitsschädigenden Gewichtskontrollmaßnah- men sowie für die Entwicklung von auffälligem Essverhalten auf. Nach Warschburger et al. (2008) weisen adipöse Kinder und Jugendliche eine erhöhte Prävalenz vor allem für die Binge Eating Disorder (BED) auf. Im Rahmen einer Binge Eating Störung haben Betroffene Essattacken, die mit einem Kontrollverlust einhergehen. Im Gegensatz zur Bulimia nervosa werden bei der BED keine zusätzlichen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion ergriffen (Herpetz, 2008). Zur Epidemiologie der Binge Eating Störung liegen für das Kindes- und Jugendalter nur vereinzelte Studien vor. In der Feldstudien von Lamerz et al. (2005) wiesen 6.3 Prozent der adipösen Kinder im Alter zwischen 5 und 7 Jahren Merkmale einer Binge Eating Störung auf. Im Rahmen einer Erhebung von Warschburger und Kröller (2005), die 11- bis 18-jährige Kindern und Jugendliche mit Adipositas einschloss, die an einer stationären Behandlung teilgenommen haben, erfüllten 3.8 Prozent der adipösen Kinder und Jugendlichen laut Selbstangaben die Kriterien für eine BED und insgesamt 12.8 Prozent der Teilnehmer berichteten von Heißhungerattacken. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die psychosoziale Entwicklung bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen stärker beeinträchtigt ist als bei normalgewichtigen Heranwachsenden. Neben Beeinträchtigungen in der Lebensqualität und Einschränkungen im körperbezogenen Selbstbild weisen adipöse Kinder und Jugendliche vor allem in klinischen Studien erhöhte Raten an affektiven Störungen, Angsterkrankungen sowie Essstörungen auf. Es wird jedoch kontrovers diskutiert, ob das Vorliegen einer psychischen Störung die Genese der Adipositas begünstigt oder ob die psychische Störung als Folge einer Adipositas sich manifestiert. Retrospektive Untersuchungen deuten prinzipiell eher auf psychiatrische Auffälligkeiten als Folge der Adipositas hin (Vgl. Britz et al., 2000).
2.1.4 Erklärungsansätzefür die Genese von Übergewicht und Adipositas
Es existieren eine Vielzahl von Erklärungsansätzen, die verdeutlichen, warum einige Menschen übergewichtig oder gar adipös werden und andere nicht. Zur Erklärung der Genese von Übergewicht und Adipositas wird ein multifaktorielles Störungsmodell herangezogen. Als relevante Einflussgrößen werden biologische und genetische Faktoren, auf das Ernährung- und Bewegungsverhalten bezogene sowie soziale Faktoren genannt, die in einer komplexen Wechselwirkung zueinander stehen (Warschburger et al., 2008). Grundsätzlich wird Übergewicht und Adipositas als Konsequenz einer anhaltenden positiven Energiebilanz angesehen. Bei einer positiven Energiebilanz steht ein niedriger Energieverbrauch einer zu hohen Energieaufnahme gegenüber (Holub & Götz, 2003). Im Zusammenhang mit dem niedrigen Energieverbrauch wird eine verminderte körperliche Aktivität angenommen. Moderne Möglichkeiten der Fortbewegung sowie der Fernseh- und Computerkonsum in den vergangenen Jahren haben zu einem deutlichen Rückgang der täglichen körperlichen Aktivität bei Kindern geführt (Lob-Corzilius, 2007). Neben der zunehmenden Portionsgröße ist die Präferenz für zucker- und fetthaltige Lebensmittel und somit für hochkalorische Nahrung für die Gewichtszunahme bedeutsam (Maffeis, 2000). Auf eine ausführliche Darstellung der mannigfachen Erklärungsansätze wird an dieser Stelle verzichtet und für einen Überblick auf Maffeis (2000) verwiesen. Im Folgenden soll das Zielkonfliktmodell des Essverhaltens erläutert werden, welches die Vorliebe für hochkalorische Nahrungsmittel als mögliche Ursache für die Manifestation von Übergewicht und Adipositas aufgreift.
2.1.4.1 Das Zielkonfliktmodell des Essverhaltens nach Stroebe
Das Zielkonfliktmodell des Essverhaltens versucht sowohl die verhaltensbedingten Ursachen als auch die Folgen des Übergewichts und der Adipositas zu erklären. Nach der Theorie dieses Modells besteht das Grundproblem von Übergewichtigen und Adipösen darin, dass sie (1) gerne gut essen und (2) dass sie gerne fettreich essen. Nach Stroebe (2002) werden diese Annahmen durch eine Vielzahl von Forschungsbefunden gestützt. Dabei werden Übergewichtige und Adipöse stärker von ihren Geschmackspräferenzen beeinflusst als normalgewichtige Personen (Jansen & van den Hout, 1991). Aufgrund der größeren Präferenz für vor allem fettreiche Nahrung besteht ein erhöhtes Risiko für eine Gewichtszunahme und einer daraus resultierenden Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Wird das eigene Körpergewicht als ein Problem wahrgenommen, das vom Leidensdruck begleitet wird, wirkt man durch eine gewichtsreduzierende Diät der Gewichtszunahme entgegen (Stroebe, 2002). Problematisch ist allerdings, dass der Gewichtsverlust auf Dauer von kaum einer Person aufrechterhalten werden kann (Vgl. Jeffrey et al., 2000; Wadden, Butryn & Byrne, 2004; Wilfley et al., 2007). Deshalb wird erneut eine Diät begonnen und man entwickelt sich zu einem gezügelten Esser (Stroebe, 2002). In der Forschung werden aus diesem Grund zum einen negative Gesundheitsfolgen durch die wiederholten Gewichtsverluste („Jojo-Effekt“) und zum anderen die Entwicklung von Essstörungen aufgrund der chronischen Besorgnis um das eigenen Körpergewicht als Nebenwirkung von gewichtsreduzierenden Diäten diskutiert. Nach dem Zielkonfliktmodell wird das Essverhalten von gezügelten Essern durch einen Zielkonflikt gekennzeichnet. Gezügelte Esser erleben einen Konflikt zwischen dem längerfristigen Ziel der Gewichtskontrolle und dem hedonischen Ziel Essen zu genießen (Stroebe, 2002) . Aus dem Zielkonfliktmodell lassen sich zwei Gründe für die Störanfälligkeit des Essverhaltens ableiten. Während die Befriedigung des Motivs „Essen zu genießen“ auf automatischen Prozessen beruht, setzt das Ziel der Gewichtskontrolle kontrollierte Prozesse voraus, die störanfällig sind (Stroebe, 2002). Das Zielkonfliktmodell des Essverhaltens betont die Bedeutung von Nahrungsmittelpräferenzen bei der Manifestation von Übergewicht und Adipositas. Für ein fundiertes Verständnis der Genese von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist es daher erforderlich, sich damit auseinander zu setzten, welche Faktoren die Palatabilität von Nahrungsmitteln beeinflussen. In Abbildung 3 werden die Grundannahmen des Zielkonfliktmodells des Essverhaltens nach Stroebe (2002) zusammenfassend dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3. Das Zielkonfliktmodell des Essverhaltens (nach Stroebe, Papies &Aarts)
2.2 Nahrungsmittelpräferenzen
Durch persönliche Präferenzen wird die Auswahl von Nahrungsmitteln beeinflusst. Unter „Präferenz“ wird in der Regel der Beliebtheitsgrad einer Speise oder eines Getränks verstanden. Seltener bezieht sich der Begriff „Nahrungsmittelpräferenz“ auf die Bevorzugung eines Nahrungsmittels gegenüber einem anderen (Diehl, 1999a). Die Präferenz für ein Nahrungsmittel begründet sich auf dem Geschmackseindruck, den ein Nahrungsmittel hinterlässt. Prinzipiell sind der Geruch und Geschmack ganz wesentliche Parameter dafür, ob ein bestimmtes Lebensmittel gerne konsumiert wird oder gar einem anderen vorgezogen wird (Büttner et al., 2010). Deshalb wurden und werden die Grundlagen unseres Geruchs- und Geschmacksempfindens als Basisprinzipien für entsprechende Präferenzen intensiv untersucht. Zudem tragen weitere sensorischen Eigenschaften, wie die Textur, Farbe und Temperatur von Lebensmitteln zum Sinneseindruck bei (Stähler & Meyerhof, 2010). Vor diesem Hintergrund ist eine klare Definition des Geschmacks eines Nahrungsmittels schwer möglich. Nahrungsmittel sind immer eine Mischung aus verschiedenen Geschmacksqualitäten und müssen als Komplexreize betrachtet werden (Geary, 2010). Man unterscheidet fünf Geschmacksqualitäten: süß, salzig, sauer, bitter und „umami“ (Logue, 2009). Der Begriff „umami“ kommt aus dem Japanischen und bedeutet wohlschmeckend. Der Umamigeschmack entsteht durch die freie, aus den Proteinen herausgelöste Aminosäure, Glutaminsäure und zeigt proteinhaltige Nahrung wie Fleisch und Milchprodukte an (Meyerhof, 2003). Die Empfindung des Umamigeschmacks ist an Rezeptoren gekoppelt, die bei der Übermittlung der Geschmacksqualität süß ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen (Li, Staszewski, Xu, Durick, Zoller & Adler, 2002). Beide Geschmacksqualitäten sind mit dem Wohlgeschmack assoziiert und fördern den Verzehr eiweiß- bzw. kohlenhydratreicher Nahrung (Stähler et al., 2010). Die Geschmacksqualität salzig hingegen spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation des Salz- und Mineralstoffhaushaltes (Meyerhof, 2010). Die Wahrnehmung für diese Geschmacksqualität entwickelt sich im Alter von ungefähr vier bzw. sechs Monaten (Logue, 2009). Während der Sauergeschmack bedeutend für die Regulation des Säure-Basen-Haushaltes und ein starker saurer Geschmack beispielweise vor dem Genuss unreifen Obstes warnt, deutet ein bitterer Geschmack auf verdorbene Nahrung oder auf potenzielle giftige Substanzen hin (Contento, 2011). Für die Erkennung der zahllosen Bitterstoffe besitzt der Mensch 25 Rezeptoren (Stähler et al., 2010). Die Vielzahl von Bitterrezeptoren verdeutlicht die lebensrettende Notwendigkeit, möglichst viele potenziell toxische Stoffe wahrzunehmen. Neben den allgemein anerkannten fünf Geschmackqualitäten wird derzeit diskutiert, ob ein eigener Geschmack für Fette existiert (Mizushige, Inou & Fushiki, 2007).
Die Geschmackswahrnehmung findet überwiegend auf der Zunge statt, auf der sich für den Geschmack zuständigen Geschmackspapillen befinden (Meyerhof, 2010). Entgegen der früheren Vermutung steht heutzutage fest, dass die Zunge in allen Bereichen nahezu gleich empfindlich fürjede Geschmacksqualität ist. Der Bittergeschmack wird lediglich vorwiegend mit dem hinteren Bereich der Zunge wahrgenommen (Hatt, 2006).
Welche Geschmackseindrücke und somit welche Nahrungsmittel bevorzugt werden, wird durch eine Kombination von genetischen und umweltbedingten Faktoren determiniert. Die genetische Prädisposition bewirkt eine Bevorzugung von zuckerhaltigen Lebensmitteln und die Abneigung gegenüber sauer- und bitterschmeckenden Produkten sowie eine Abneigung gegenüber nicht vertrauten Nahrungsmitteln (Birch, 1999). In der Forschung zur Entwicklung von Nahrungsmittelpräferenzen werden verschiedene Lernmechanismen diskutiert, die dabei maßgeblich sind. Eine Reihe von Untersuchungen legt die Vermutung nahe, dass bereits im Mutterleib bestimmte Geschmackseindrücke erlernt werden können (Mennella, Jagnow & Beauchamp, 2001). Der In-utero- Prägungsprozess setzt sich postnatal über das Stillen des Säuglings fort (Ellrott, 2007). Kinder entwickeln eine größere Vorliebe für die Nahrungsmittel, die ihre Mütter während der Stillzeit konsumiert haben (Mennella, Griffin & Beauchamp, 2004). Aus der Forschung zum Erwerb von Nahrungsmittelpräferenzen ist bekannt, dass die Präferenz für Nahrungsmittel durch Esserfahrungen modifiziert wird (Birch, 1999). Folglich können sich allein durch den Kontakt und die Erfahrungen mit bestimmten Nahrungsmitteln und Geschmackeindrücken Nahrungsmittelpräferenzen formen. Mit steigender Exposition und mit zunehmender Vertrautheit gegenüber dem Nahrungsmittel kommt es zu einer Gewöhnung an den Geschmack des Nahrungsmittels und somit zur Stabilisierung der Nahrungsmittelpräferenz. Dieses Prinzip wird als „Mere exposure effect“ bezeichnet und als „erfahrungsbedingte Gewohnheitsbildung“ übersetzt (Pudel et al., 2003). Nahrungsmittelpräferenzen können durch physiologische Folgen der Nahrungsaufnahme beeinflusst werden (Birch, 1999). Wenn der Verzehr eines Lebensmittels angenehme physiologische Folgen hat, wie ein angenehmes sättigendes Gefühl durch den Konsum von energiereicher Nahrung bei Hunger, entwickelt sich eine Präferenz für dieses Nahrungsmittel (Birch, Fisher & Grimm-Thomas, 1999). Umgekehrt führt eine Assoziation zwischen dem Verzehr eines Nahrungsmittels und der negativen Konsequenzen, wie z.B. gastrointestinalen Beschwerden, zur Entstehung einer Aversion (Wardle & Cooke, 2008). Menschen erwerben Nahrungsmittelpräferenzen nicht nur über direkte Erfahrungen mit dem Essen, sondern alleine durch das Beobachten des Essverhaltens anderer (Birch, 1999). Das Beobachtungslernen stellt das wichtigste Lernprinzip für Kinder dar, denn allem voran steht das soziale Lernen und damit das Umfeld, in dem der Mensch heranwächst und lebt, dessen Gewohnheiten der Mensch beobachtet und dadurch lernt (Birch, 1998). Dementsprechend lernen Kinder im sozialen Umfeld zu essen, indem sie das Ess- und Trinkverhalten der Eltern, Geschwister und Freunde beobachten und imitieren. Auch elterliche Erziehungspraktiken, wie der Umgang mit Belohnungen und Verboten, haben einen Einfluss auf den Erwerb von Nahrungsmittelpräferenzen ihrer Kinder (Ellrott, 2007). Durch das Anbieten von Belohnungen versuchen Eltern das Ernährungsverhalten ihrer Kinder zu steuern. Erhalten Kinder Lebensmittel als Belohnung für erwünschte Verhaltensweisen, so nimmt die Vorliebe für diese Lebensmittel zu (Birch, 1999). Wird jedoch der Verzehr von Nahrungsmitteln kontingent belohnt („Wenn du dein Gemüse aufisst, darfst du fernsehen.“), so nimmt die Präferenz für diese Nahrungsmittel ab (Scaglioni, Salvioni & Galimberti, 2008).
Folglich wirkt eine Vielzahl von Faktoren auf die Ausprägung von Nahrungsmittelpräferenzen und somit auf die Entwicklung des Essverhaltens. Welchen Einfluss Nahrungsmittelpräferenzen auf die Entstehung von Übergewicht und Adipositas haben, wird im Folgenden erläutert.
2.2.1 Einfluss von Nahrungsmittelpräferenzen und auf den Gewichtsstatus
Angesichts einer Vielzahl an potenziellen Einflussfaktoren ist Ernährung als ein direkter Modulator der Energiebilanz von zentraler Bedeutung und dementsprechend sind Nahrungsmittelpräferenzen häufiger Gegenstand ätiologischer Adipositasforschung (Lanfer, Hebestreit & Ahrens, 2010). Ernährungsbezogene Forschung befasst sich hierbei mit der Rolle der einzelnen Nährstoffe, mit dem Zusammenspiel einzelner Nährstoffgruppen sowie mit einzelnen Lebensmitteln. Die Erforschung von ernährungsbedingten Ursachen von Übergewicht und Adipositas ist gerade bei Kindern und Jugendlichen von Bedeutung, da bestimmte Phasen des Heranwachsens als besonders entscheidend für die spätere Entwicklung von Adipositas angesehen werden (Dietz, 1994). Während der Fokus früherer Studien auf dem Einfluss der Präferenz für zuckerhaltige Lebensmittel auf dem Gewichtsstatus lag, ist heutzutage relativ gesichert, dass übergewichtige Personen mehr Energie aus Fett und weniger aus Kohlenhydraten beziehen (Pudel & Ellrott, 2003) . Die Befundlage zu der weit verbreiteten Ansicht, dass Übergewichtige eine besondere Vorliebe für zuckerhaltige Lebensmittel haben, ist inkonsistent. Einige Studien haben die postulierte Annahme bestätigt (Vgl. Ludwig, Peterson & Gortmaker, 2001; Gillis & Bar-Or, 2003). Andere Studien konnten keinen Zusammenhang zwischen einer größeren Präferenz für zuckerhaltige Nahrungsmittel und dem Gewichtsstatus feststellen (Vgl. Drewnowski, Kurth, Holden-Wiltse & Saari, 1992; Garaulet, Martínez, Victoria, Pérez-Llamas, Ortega & Zamora, 2000; Janssen et al., 2005). Da die Adipositasepidemie in den letzten Jahrzehnten mit einem erhöhten Kohlenhydratanteil in der Ernährung einherging, wurde die Rolle von Kohlenhydraten bei der Entstehung des kindlichen Übergewichts untersucht (Lanfer et al., 2010). Andererseits besitzen Kohlenhydrate eine geringere Energiedichte als Fett und sollten daher bei einer kohlenhydratreichen Ernährungsweise ein geringeres Risiko für Übergewicht und Adipositas darstellen (Newby, 2007). Kohlenhydrate bilden eine heterogene Nährstoffgruppe, die einfachen Zucker bis hin zu komplexen unverdaulichen Ballaststoffen umfasst, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Stoffwechselwege jeweils anders auf das Risiko von Übergewicht und Adipositas auswirken können (Lanfer et al., 2010). Die Forschung zum Einfluss der Präferenz für zuckerhaltige Nahrungsmittel auf den Gewichtsstatus von Kindern und Jugendlichen konzentrierte sich besonders auf die Bedeutung von gezuckerten Getränken, den sogenannten Softdrinks. In der Überblicksarbeit von Libuda und Kersting (2009), in der 14 Kohorten- und sechs Interventionsstudien berücksichtigt wurden, zeigte die Hälfte der Kohortenstudien einen positiven Zusammenhang zwischen der Vorliebe für Softdrinks und dem damit einhergehenden Konsum und dem Gewichtsstatus. Eine wesentlich schmalere Datenlage hat die Literaturdurchsicht bezüglich des Einflusses der Präferenz für proteinhaltige Lebensmittel auf den Gewichtsstatus ergeben. Die inkonsequente Befundlage lässt keine abschließende Bewertung der Rolle der Proteine bei der Entstehung des kindlichen Übergewichts und der Adipositas zu (Lanfer et al., 2010).
Von allen Nährstoffgruppen wurde die Bedeutung des Fetts bei der Adipositasgenese in der Forschung am intensivsten untersucht (Newby, 2007). Es werden dabei verschiedene Mechanismen als Erklärung für den Zusammenhang zwischen Nahrungsfett und Übergewicht bzw. Adipositas herangezogen. Unter anderem wird diskutiert, dass Fett einer der wichtigsten Geschmackträger ist, das die Struktur, Beschaffenheit und Konsistenz von Nahrungsmittel beeinflusst (Logue, 2009). Daher sind fettreiche Speisen wohlschmeckender und schmackhafter als kohlenhydrat- und proteinhaltige Nahrungsmittel, so dass aufgrund dieser Eigenschaften vermutlich ein vermehrter Verzehr fettreicher Nahrungsmittel begünstigen wird (Willet, 1998). Zudem wird das Übermaß an Fett in der Ernährung primär durch die hohe Energiedichte[1] und sekundär durch die niedrige Sättigungswirkung im Vergleich zu Kohlenhydraten begünstigt (Miklautsch & Wid- halm, 2010). Bei der Literaturdurchsicht zur Forschungslage des Zusammenhangs von Fettpräferenzen und Übergewicht konnte kein einheitliches Muster entdeckt werden. In der Übersichtsarbeit von Heitmann und Lissner (1995) konnte in elf von 13 Studien ein signifikanter Zusammenhang zwischen Übergewicht und dem Fettkonsum festgestellt werden. Während Guillaume, Lapidus und Lambert (1998) eine positive Korrelation zwischen einem erhöhten Fettverzehr und dem BMI von Kindern ermittelten, konnten Uhl, Müller, Laessle und Pirke (1998) keine Differenz zwischen über- und normalgewichtigen Kindern hinsichtlich der Präferenz für fetthaltiges Essen feststellen. Auch Diehl (1999a) konnte keine bedeutsamen Beziehungen des Musters der Nahrungspräferenzen 10- bis 14-jähriger Kinder zum Gewichtsstatus nachweisen. In Zusammenhang mit dem Fettkonsum wird in der Forschung zur Ätiologie von Übergewicht und Adipositas die Vorliebe für Fast Food in Verbindung gebracht (Lanfer et al., 2010). Fast Food wie Pommes Frites und Hamburger gehören bei Kindern und Jugendlichen mit zu den beliebtesten Lebensmitteln (Diehl, 1999a). Einen signifikanten Unterschied im Konsum von Fast Food zwischen über- und normalgewichtigen Kindern und Jugendlichen konnte von der Arbeitsgruppe um Ebbeling (2004) festgestellt werden. Ähnlich wie die Präferenz für Fast Food und gezuckerte Getränke steht auch die Vorliebe für Snacks im Verdacht, die Entstehung von Übergewicht und Adipositas zu fördern (Lanfer et al., 2010). Unter Snacks werden generell zusätzliche Mahlzeiten außerhalb der Hauptmahlzeit verstanden, die eine hohe Energie- und eine geringe Nährstoffdichte aufweisen (Ga- tenby, 1997). In den Untersuchungen von Maffeis, Grezzani, Perrone, Del Giudice, Saggese und Tato (2008) zur Präferenz für Zwischenmahlzeiten und ihren täglichen Konsum konnte gezeigt werden, dass übergewichtige Kinder im Durchschnitt täglich mehr Snacks konsumieren als normalgewichtige Kinder, jedoch erzielt dieser Unterschied keine Signifikanz bei der statistischen Analyse. Gleichwohl konnten Maffeis et al. (2008) Hinweise dafür finden, dass übergewichtige Kinder eine höhere Energiemenge über die konsumierten Zwischenmahlzeiten aufnehmen als normalgewichtige Kinder.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Datenlage zum Einfluss von Nahrungsmittelpräferenzen bei der Entstehung von Übergewicht und Adipositas teilweise unzureichend bzw. inkonsistent ist. Ein Grund für die inkonsistenten Befunde stellen methodische Schwierigkeiten bei der direkten Erfragung der Nahrungsmittelpräferenzen von Kindern und Jugendlichen dar, auf die in Kapitel 2.2.3 eingegangen wird. Zur Rolle des Fettkonsums, des Konsums von gezuckerten Getränken und des Verzehrs von Snacks und Fast Food existiert eine breitere Evidenzlage, die eine Verbindung zwischen der Präferenz für diese Speisegruppen und dem Gewichtsstatus nahelegt. Im deutschsprachigen Raum existieren nur wenige Studien, in denen der Zusammenhang zwischen Gewichtsstatus und Nahrungsmittelpräferenzen im Kindes- und Jugendalter untersucht wurde (Vgl. Diehl, 1999a). Ein einheitliches Muster von Nahrungsmittelpräferenzen, die übergewichtige Kinder aufweisen, konnte dabei nicht entdeckt werden. Demzufolge besteht in diesem Bereich weiterer Forschungsbedarf.
2.2.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede in Nahrungsmittelpräferenzen
Verglichen mit den Ergebnissen zum Einfluss von Nahrungsmittelpräferenzen auf den Gewichtsstatus sind die Befunde aus Analysen von geschlechtsspezifischen Nahrungsmittelpräferenzen deutlich homogener. Aus den in Verzehrerhebungen gesammelten Daten kristallisiert sich als ein grundlegendes Ergebnis der Befunde heraus, dass das weibliche Geschlecht ihre Ernährung „gesünder“ gestaltet als der männliche Teil der Bevölkerung (Bartsch, 2008). Während Frauen häufiger und mehr frisches Obst und Gemüse verzehren und öfter zu Vollwertware greifen, zeigen Männer höhere Verzehrwerte bei energiereichen Speisen und nehmen deutlich häufiger sowie in größeren Mengen Fleisch zu sich (Mensink, Burger, Beitz, Henschel & Hintzpeter, 2002). Die an dieser Stelle exemplarisch angedeuteten geschlechtsspezifischen Muster sind nicht nur beim tatsächlichen Verzehr beobachtbar, sondern auch bei den Nahrungsmittelpräferenzen. Demzufolge weisen Frauen eine größere Vorliebe für Gemüse-, Reis- und Nudelgerichte, aber auch für Süßspeisen auf, während Männer tierische Produkte und stark gewürzte, deftige Mahlzeiten präferieren (Vgl. Drewnowski et al., 1992; Wansink, Cheney & Chan, 2003). Diese Präferenzschemata lassen sich bereits im Kindes- und Jugendalter identifizieren. Eine Befragung von 10- bis 14-jährigen Mädchen und Jungen zeigte, dass sämtliche Fleisch-, Fisch-, Eier- und Fast Food-Gerichte bei Jungen höhere Beliebtheitsgrade aufweisen, während Mädchen eine größere Vorliebe für Gemüse, Salate sowie Obstsorten haben (Diehl, 1999a). Im Hinblick auf diese Befunde sind die Untersuchungsergebnisse des KiGGS, die daraufhin deuten, dass mehr als ein Drittel der 14- bis 17-jährigen Jungen mehr als einmal wöchentlich Fast Food isst (Mensink, Kleiser & Richter, 2007), wenig erstaunlich. Ähnliche Geschlechtsunterschiede in den Nahrungsmittelpräferenzen lieferte die Untersuchung von Cooke und Wardle (2005). Eine signifikant größere Vorliebe für fett- und zuckerreiche Speisen sowie tierische Produkte wiesen die befragten Jungen auf, während Mädchen eine größere Präferenz für Obst und Gemüse zeigten. Bezüglich der Beliebtheit von Fisch, milch- und stärkehaltiger Produkte (z.B. Reis, Kartoffeln) konnten keine geschlechtsspezifischen Unterschiede ermittelt werden (Cooke et al., 2005).
Obwohl einige Befunde zu den charakteristischen Nahrungsmittelvorlieben des weiblichen und männlichen Geschlechts existieren, gibt es erstaunlich wenige Forschungsarbeiten, die eine theoretische Erklärung für diese bestehenden Geschlechtsunterschiede in der Ernährung und den Nahrungsmittelpräferenzen liefern. Das unterschiedliche Ernährungsverhalten von Männern und Frauen wird durch unterschiedliche Motive beeinflusst. Geschlechtstypische Nahrungsmittelpräferenzen bilden sich unter anderem durch abweichende Körperideale und unterschiedliche Sozialisations- und Erziehungsprozesse heraus, die sich auf die Präsentation und das Erleben des eigenen Körpers beziehen (Setzwein, 2004). Während Männer bei der Auswahl ihrer Speisen deutlich häufiger als Frauen den eigenen Geschmack zum entscheidenden Kriterium machen, stehen Aspekte wie Gesundheitswert oder Kaloriengehalt der Nahrung bei der Nahrungsmittelauswahl von Frauen im Vordergrund (Setzwein, 2006). Folglich wird in erster Linie die Nahrungsmittelauswahl von Frauen mit den idealisierten Schlankheitsvorstellungen in Verbindung gebracht. Schlanksein gilt in der Gesellschaft als erstrebenswert, da es als Voraussetzung und Ausdruck von Leistungsfähigkeit und Attraktivität betrachtet wird. Dieses Schönheitsideal wird in den westlichen Industrieländern auf vielfältige Weise durch Medien (z. B. Frauenzeitschriften, Werbespots, Fernsehfilme) transportiert und ist überwiegend an Frauen adressiert (Vgl. Dittmar & Howard, 2004; Holmstrom, 2004). Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass vor allem Frauen aus ästhetischen Gründen ein gezügeltes Essverhalten zeigen und Diäten durchführen (Laessle, 2007). Eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergewicht und ein damit verbundenes Diätverhalten äußern häufiger Mädchen im Vergleich zu Jungen bereits im Alter von 12 Jahren (Ko- lip, 2004). Nach Setzwein (2005) ist bereits bei den Mädchen der Umgang mit der Ernährung vor allem durch Ängste und Kontrollwünsche, die sich auf den Körper beziehen, geprägt. Angesichts der Forschungsbefunde zur Körperzufriedenheit und den Di- ätuntemehmungen erschließen sich die größeren kulinarischen Vorlieben von Frauen für kalorienarme Gemüsegerichte und Obst.
Eine weitere Erklärung für geschlechtstypische Unterschiede in den Nahrungsmittelpräferenzen liefert die Genderforschung. Entsprechend der Prozesse des doing gender werden Umgangsweisen mit der Ernährung wie Nahrungsmittelvorlieben als Ausdrucksmedium dazu genutzt, die eigene „Männlichkeit“ oder „Weiblichkeit“ sozial in Szene zu setzen (Setzwein, 2005). Bestimmte Nahrungsmittel, wie beispielsweise Fleisch oder Obst, werden geschlechtlich codiert und zu Zeichen gemacht, die die Bedeutung "männlich" bzw. "weiblich" tragen (Rückert-John & John, 2009). Entsprechend dieser Theorie ist die größere Vorliebe von Mädchen für Obst und Gemüse und von Jungen für tierische Produkte nicht als ein biologisch bedingtes Phänomen aufzufassen, sondern als ein Versuch sich gemäß der gesellschaftlichen Erwartung als Mädchen bzw. Junge darzustellen.
2.2.3 Methodische Probleme bei der Erfassung der Nahrungsmittelpräferenz
Das direkte Erfragen von Nahrungsmittelpräferenzen gestaltet sich oftmals schwierig. Bei der selbstberichteten Erfassung der Lebensmittelpräferenz kommt es nicht selten zu Verzerrungen in Richtung der sozialen Erwünschtheit gegenüber der Versuchsleitung. Soziale Erwünschtheit (Social-Desirability-Response-Set) resultiert aus der Tendenz, Items nicht nach der persönlich zutreffenden Einstellung zu beantworten, sondern nach sozialen Normen, die nach Auffassung der Versuchsperson erwünscht sind (Stocké, 2004) . Dabei unterstellt der Befragte dem Untersucher bzw. der Untersuchung bestimmte Intentionen und berücksichtigt diese in seinem Antwortverhalten. Wenn der Befragte beispielsweise glaubt, dass gesundheitsriskantes Verhalten von den Untersuchern für nicht angemessen gehalten wird, sinkt die Bereitschaft, dieses Verhalten zuzugeben. Braet und Crombez (2003) führen an, dass sich übergewichtige Kinder oftmals dysfunktionale Essgewohnheiten nicht eingestehen möchten. Angesichts der Ergebnisse in der Befragung von Diehl (1999a) lässt sich vermuten, dass eine Antwortverzerrung in Richtung der sozialen Erwünschtheit vorliegt. Bei der direkten Erfassung der Nahrungsmittelpräferenz über eine fünfstufige Facial-Hedonic-Scale unter Berücksichtigung des Körpergewichts zeigte sich, dass Kinder mit einem höheren Körpergewicht eine geringere Präferenz für Süßigkeiten und zuckerhaltige Speisen (Pfannkuchen, Kekse, Schokolade, Bonbons und Kuchen) aufweisen (Diehl, 1999a). Ein weiteres methodisches Problem stellt das Underreporting dar. Da Forschungsergebnisse abermals darauf hindeuten, dass Kinder und Jugendliche häufiger die Nahrungsmittel konsumieren, für die sie eine große Vorliebe aufweisen (Drewnowski, 1997; Gibson, Wardle & Watts, 1998; Perez-Rodrigo, Ribas, Serra-Majem & Aranceta, 2003), wird in der Forschung aus dem Konsum von Nahrungsmitteln auf die Nahrungsmittelpräferenz geschlossen. Bei Ernährungserhebungen neigen jedoch übergewichtsgefährdete bzw. übergewichtige Kinder und Jugendliche (bzw. ihre Eltern) ihre Verzehrmenge niedriger anzugeben, dem sogenannten Underreporting (Lanfer et al., 2010). Gemäß einigen Studienergebnissen tendieren Übergewichtige und Adipöse dazu ihren Konsum von fett- und kalorienreichen Nahrungsmitteln zu unterschätzen (Heitmann et al., 1995).
Aufgrund dieser Tendenzen der Antwortverzerrung gestaltet sich die Interpretation von Studienergebnissen zur Bedeutung von Nahrungsmittelpräferenzen bei der Ätiologie von Übergewicht und Adipositas schwierig. Eine Erfassung der Nahrungsmittelpräferenzen mittels indirekter Methoden könnte eine Erfassung der Nahrungsmittelpräferenz ermöglichen, die weniger anfällig für Antwortverzerrungen ist. Das Verfahren sollte insofern indirekt sein, dass die Versuchsperson nicht direkt danach befragt wird, welche Lebensmittel sie präferiert, sondern über das ihr Verhalten abgeleitet wird. Die Literaturdurchsicht hat ergeben, dass implizite Verfahren existieren und in der Forschung verwendet werden, die kaum durch bewusste Intentionen beeinflusst werden (Kim & Greenwald, 1998). Im nachfolgenden Kapitel werden die impliziten Methoden zur Erfassung der Nahrungsmittelpräferenz beschrieben und bedeutsame Forschungsergebnisse erläutert.
2.2.4 Implizite Einstellungen und Nahrungsmittelpräferenzen
Eine Einstellung (attitude) ist eine psychische Tendenz, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass man ein bestimmtes Objekt mit einem gewissen Grad an Zuneigung oder Ablehnung bewertet (Eagly & Chaiken, 1993). Durch Einstellungen bringen wir unsere wertenden Urteile gegenüber einem Reiz zum Ausdruck. Während explizite Einstellungen bewusste verbalisierbare Bewertungen sind, die vom Individuum kontrolliert werden können, beziehen sich implizite Einstellungen auf unbewusste Bewertungen, die ohne Absicht oder Kontrolle wirksam werden (Greenwald & Banaji, 1995). Die Arbeitsgruppe um Fazio (1986) schlug ein Modell vor, wie solche Bewertungen in dem kognitiv-affektiven Apparat repräsentiert sein könnten. Dieses Modell basiert auf der Grundannahme, dass Einstellungen als starke und direkte Assoziationen zwischen einem gegebenen Einstellungsobjekt und einer Bewertung gespeichert sind. Die Aktivie- rung des Einstellungsobjekts hat die automatische Aktivierung seiner Evaluation zur Folge, die sich auf die nachfolgenden Informationsverarbeitungs-, Urteils- und Verhaltenssteuerungsprozesse auswirkt (Fazio, Sanbonmatsu, Powell & Kardes, 1986). Fazio (1990) geht in dem MODE-Modell (Motivation and Opportunity as Determinants) davon aus, dass zwei Arten von Prozessen das Verhalten beeinflussen: abwägendes, kognitives oder spontanes, automatisches Verarbeiten. Demnach entstehen implizite Einstellungen eher aus spontanemVerarbeiten und beeinflussen eher automatisches Verhalten und explizite Einstellungen entstehen eher aus abwägendem Verarbeiten und leiten eher überlegtes Handeln. Ob Informationen eher spontan oder überlegt verarbeitet werden, hängt von der Motivation der Person und der Gelegenheit zur Informationsverarbeitung ab (Fazio, 1990). Zur Erfassung impliziter Einstellungen existieren indirekte Messverfahren, wie Implicit Association Task (IAT) und Affective Priming Task, die die Einstellungen über die Reaktionszeitmessung erfassen (Roefs, Werrij, Smulders & Jansen, 2006).
In der Forschung zu Nahrungsmittelvorlieben geht man davon aus, dass die Präferenz für Nahrungsmittel als implizite Einstellung existiert, die sich über indirekte Messmethoden erfassen lässt. Olson und Fazio (2004) verwendeten eine personalisierte Form[2] des IAT zur Erfassung der Präferenz von Schokolade im Vergleich zu Äpfeln. Es zeigte sich, dass die Versuchspersonen eine größere Vorliebe für Schokolade aufwiesen, die durch die Befunde aus der direkten Erfragung der Präferenz bestätigt wurde (Olson et al., 2004). Andere Untersuchungen belegten eine größere Vorliebe für Limonade im Vergleich zu Saft (Maison, Greenwald & Bruin, 2001).
Implizite Messverfahren fanden zunehmende Verwendung in der Gesundheitspsychologie zur Erfassung der Nahrungsmittelpräferenz von übergewichtigen und adipösen Probanden im Vergleich zu normalgewichtigen Personen. Roefs und Jansen (2002) setzte den IAT ein, um der Frage nachgehen zu können, ob adipöse Erwachsenen eine größere Vorliebe für fettreiche Nahrungsmittel haben als für fettarme verglichen mit normalgewichtigen Erwachsenen. Anders als die Autoren es vermutet haben, zeigte sich, dass beide Gewichtsgruppen eine negative Einstellung gegenüber fettreicher Nahrungsmittel aufwiesen (Roefs et al. 2002). Eine Durchsicht der Literatur hat ergeben, dass in den meisten Studien sich über- und normalgewichtige Personen in den Nahrungsmittelpräferenzen nicht unterscheiden (Vgl. Craeynest, Crombez, De Houwer, Deforche, Tanghe & De Bourdeaudhuij, 2005; Roefs, Stapert, Isabella, Wolters, Wojciechowski & Jansen 2006). Angesichts dieser Forschungsbefunde vermuten Roefs et al. (2006), dass möglicherweise keine gruppenspezifischen Unterschiede bei den automatisch mit Lebensmitteln verbundenen Assoziationen existieren oder aber dass die angewendeten indirekten Messverfahren nicht sensitiv genug sind, um tatsächlich bestehende Unterschiede aufspüren zu können.
2.2.5 Nahrungsmittelassoziierte Aufmerksamkeit und Nahrungsmittelpräferenzen
Ein weiterer Ansatz zur impliziten Erfassung von Nahrungsmittelpräferenzen stammt aus der Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsforschung. Der wichtigste Aspekt der Aufmerksamkeit umschreibt unsere Fähigkeit, aus dem vielfältigen Reizangebot der Umwelt einzelne Reize oder Reizaspekte auszuwählen und bevorzugt zu betrachten, andere dagegen zu übergehen und zu unterdrücken (Hagendorf, Krummenacher, Müller & Schubert, 2011). Der Prozess der selektiven Bevorzugung von Informationen wird dabei unter dem Begriff „Selektive Aufmerksamkeit“ gefasst (Krummenacher, Müller & Schubert, 2011). Zur Messung der selektiven Aufmerksamkeit werden Methoden wie die Dot-probe-task, das Stroop-Paradigma sowie das Eye-tracking verwendet. Erstere wird im Abschnitt 2.2.5.1 näher beschrieben, da dieses Paradigma in der vorliegenden Untersuchung verwendet wurde. Bei der Erfassung von Nahrungsmittelpräferenzen unter Verwendung dieser Methoden wird von der Grundannahme ausgegangen, dass Personen ihre Aufmerksamkeit auf die Stimuli bevorzugt zuwenden, denen sie eine hohe Relevanz beimessen (Rothermund, 1998). Nach Williams, Watts, MacLeod und Mathews (1997) verschiebt sich die Aufmerksamkeit generell auf saliente Reize, die eigene Themen widerspiegeln.
In der Adipositasforschung bedient man sich dieser Verfahren, um die Aufmerksamkeitslenkung von übergewichtigen und adipösen Personen bzw. von Personen mit gezügelten Essverhalten auf nahrungsmittelassoziierte Reize zu untersuchen. Im Weiteren werden die wichtigsten Befunde erläutert. Eine zusammengefasste Darstellung der Studien ist Tabelle 1 zu entnehmen.
Overduin, Jansen und Louwerse (1995) untersuchten die Aufmerksamkeitsauslenkung von Frauen mit gezügeltem und unauffälligem Essverhalten unter Verwendung des emotionalen Stroop-Tests. Der emotionale Stroop-Test (Mathews & MacLeod, 1985) geht auf die klassische Farb-Wort-Aufgabe von Stroop (1935) zurück. Im emotionalen Stroop-Test werden statt Farbwörter emotionale und neutrale Wörter eingesetzt, um die
Interferenzanfälligkeit der emotionalen Valenzen zu untersuchen. Die Aufgabe der Person besteht darin, die Farbe, in der die Wörter gedruckt sind, möglichst schnell zu benennen, ohne dabei auf die Bedeutung des Wortes zu achten (Mathews et al., 1985). Die Grundannahme besteht dabei darin, dass emotional relevante Wörter mehr Interferenz auslösen als neutrale Wörter. Dies äußert sich in einer verlängerten Antwortzeit bei den emotional relevanten Wörtern. In der Untersuchung von Overduin et al. (1995) zeigten Teilnehmerinnen mit gezügelten Essverhalten deutlich längere Antwortzeiten auf nahrungsmittelassoziierte Wörter. In einem Vergleich der Reaktionszeiten im Stroop- Paradigma von adipösen Frauen und einer normalgewichtigen Kontrollgruppe wiesen in der Studie von Long, Hinton und Gillespie (1994) kürzere Reaktionszeiten bei der Benennung der Farbe von körpergewichtsbezogenen und nahrungsmittelassoziierten Wörtern auf. Die Autoren deuten diesen Befund als einen möglichen Hinweis darauf, dass der Stroop-Test keine geeignete Methode darstellt, um Unterschiede in der Aufmerksamkeitsverzerrung von essgestörten und unauffälligen Personen abzubilden (Long et al., 1994). Unter Verwendung der Dot-probe-task untersuchten Boon, Vogelzang und Jansen (2000) die selektive Aufmerksamkeit auf Nahrungsmittelreize von Frauen mit restriktivem Essverhalten. Bei der Dot-probe-task wurden den Versuchsteilnehmerinnen Wortpaare, die einen neutralen und einen Zielreiz (nahrungsmittel- bzw. gewichtsbezogene Wörter) repräsentieren, dargeboten. Die Aufgabe bestand dabei darin, per Tastendruck die Position des eingeblendeten Punkts, der einen der beiden Reize ersetzte, anzugeben. Der Dot-probe-task liegt die Annahme zugrunde, dass Versuchspersonen schneller reagieren, wenn der Punkt den Reiz ersetzt, auf dem die Aufmerksamkeit bereits gelenkt wurde (Boon et al., 2000). Die Forschungsergebnisse der Untersuchung von Boon et al. (2000) deuten auf keine signifikanten Unterschiede in den Reaktionszeiten auf Nahrungswörter zwischen Frauen mit gezügeltem und nicht-gezügeltem Essverhalten. Die Autoren interpretieren diese Befunde als einen Hinweis darauf, dass das Dot-probe-Paradigma nicht sensitiv genug ist, um Reaktionszeitunterschiede in nichtklinischen Stichproben nachzuweisen. Eine Hinwendung der selektiven Aufmerksamkeit auf nahrungsmittelbezogene Reize konnten Nijs, Muris, Euser und Franken (2010) unter Verwendung der Dot-probe-task feststellen. Dazu untersuchten die Autoren die Aufmerksamkeit von 66 normal- und übergewichtiger Frauen unter Beachtung des Hungergefühls der Versuchspersonen. Anders als in den Studien von Boon et al. (2000) verwendeten Nijs et al. (2010) eine modifizierte Form der Dot-probe-task, in der statt der Wortpaare Abbildungen von Nahrungsmitteln eingesetzt wurden. Neben den Unterschieden in der Reaktionszeit zwischen den normal- und übergewichtigen Frauen konnten die Autoren einen signifikanten Effekt des Hungergefühls auf die Reaktionszeit belegen (Nijs et al., 2010). Den Ergebnissen zu Folge zeigten hungrige Frauen Reaktionszeiten, die auf eine Auslenkung der Aufmerksamkeit auf nahrungsassoziierte Abbildungen hindeuten. Bei der Literaturdurchsicht konnte ein Defizit an Studien zur nahrungsmittelbezogener Aufmerksamkeit im Kindes- und Jugendalter in Abhängigkeit des Gewichtsstatus festgestellt werden. Green und McKenna (1993) untersuchten mit dem Stroop-Paradigma die nahrungsmittelbezogene Aufmerksamkeit von 9- bis 14-jährigen Mädchen und Jungen. Während für die männlichen Teilnehmer kein signifikanter Unterschied in der Antwortzeit auf Nahrungsmittel- und neutralen Wörter festgestellt wurde, wiesen Mädchen im Alter zwischen 11 und 14 Jahren längere Reaktionszeiten bei der Benennung von nahrungsmittelassoziierten Wörtern auf (Green et al., 1993). Der Einfluss des Gewichtsstatus der Teilnehmer fand jedoch keine Berücksichtigung in dieser Untersuchung. Green et al. (1993) sehen in den geschlechtsspezifischen Unterschieden der Reaktionszeiten einen Beleg dafür, dass bereits Mädchen Auswirkungen des kulturellen Drucks dem westlichen Körperideal zu entsprechen zeigen. Braet et al. (2003) berücksichtigten in ihrer Untersuchung den Einfluss des Gewichtsstatus auf nahrungsmittelbezogene Stimuli, in dem sie den Stroop-Effekt an adipösen und normalgewichtigen Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 9 und 16 Jahren erforschten. Es zeigte sich in dieser Studie, dass adipöse Kinder bei der Benennung der Farbe von lebensmittelbezogenen Wörtern langsamer waren als bei der Benennung der neutralen Wörter.
Insgesamt deuten die Befunde zur impliziten Erfassung der Aufmerksamkeitsverzerrung auf nahrungsmittelassoziierte Reize in Abhängigkeit des Gewichtsstatus auf eine Hinwendung der übergewichtigen und adipösen Personen auf Nahrungsmittelstimuli hin. Für das Kindes- und Jugendalter existiert keine ausreichende Datenlage um Schlussfolgerungen ziehen zu können. Daher ist in diesem Bereich weitere Forschung erforderlich.
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[1] Tg Fett liefert 9,3 kcal
[2] Olson et al. (2004) änderten die Bezeichnungen „positive“ und “negative“ in „I like“ und “I dislike“ um.
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