Der Hintergrund des Rechtschreibenlernens beschäftigt Experten schon seit geraumer Zeit. Wie lernt man Rechtschreiben? Wie kann man aus einem schlechten Rechtschreiber einen guten machen? In der Vergangenheit war man dabei auf der Suche nach Grundfunktionen, die als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb angesehen werden können (zum Beispiel Intelligenz, Sprachleistungen, Gedächtnisfaktoren, visuelle, auditive Wahrnehmung). Diese verschiedenen Komponenten, die einen Einfluss auf das Rechtschreiblernen haben, nennt man Komponenten-Modell. Dass ein Zusammenhang zwischen den genannten Faktoren und den schriftlichen Sprachleistungen besteht, wurde zwar bewiesen, nicht aber welcher.
Weil über den Prozess des Rechtschreiblernens so wenig Konkretes bewusst war, fiel eine Definition für den Leseprozess eher ungenau aus. Psychologen sahen den Vorgang entweder analytisch (Ganzheitspsychologie) oder synthetisch (Elementenpsychologie), je nach Sichtweise der gerade vorherrschenden Meinung in der Psychologie. Brügelmann fand beide Theorien aber gleich schlecht, weil sie den individuellen Entwicklungsstand des Kindes unberücksichtigt lassen.
Das von Bormann aufgestellte konkrete Konzept der Wortbildtheorien von 1840 hielt sich dagegen ca. 150 Jahre. Es besagt, dass sich Kinder Wörter wie Bilder einprägen. Diese These wurde von Scheerer-Neumann jedoch 1986 widerlegt.
Komponenten-Modelle v.a. die Wortbild-Theorien, gelten heute im Allgemeinen als veraltet. Zudem galt das Rechtschreibenlernen als reine Technik, die sowohl die Inhalte der Texte, wie auch Lernfähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder zu wenig Rechnung Beachtung widmeten.
Als neue Modelle entstanden die Entwicklungsmodelle und die Prozessmodelle. Auf die Entwicklungsmodelle des Schriftspracherwerbs soll im Folgenden näher eingegangen werden. Neben theoretischen Grundlagen und konkreten Modellen von Mason und McCormick, Spitta, Brügelmann und Valtin sollen zudem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Modelle angeführt werden, ein Ausblick rundet die Arbeit ab.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entwicklungsmodelle des Schriftspracherwerbs
2.1 Theoretische Grundlagen
2.2 Konkrete Modelle
2.2.1 Mason und McCormick
2.2.2 Spitta
2.2.3 Brügelmann
2.2.4 Valtin
2.3 Funktion der Entwicklungsmodelle
2.4 Unterschiede der Entwicklungsmodelle
2.5 Gemeinsamkeiten
3. Ausblick
4. Literatur
1. Einleitung
Der Hintergrund des Rechtschreibenlernens beschäftigt Experten schon seit geraumer Zeit. Wie lernt man Rechtschreiben? Wie kann man aus einem schlechten Rechtschreiber einen guten machen? In der Vergangenheit war man dabei auf der Suche nach Grundfunktionen, die als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb angesehen werden können (z.B. Intelligenz, Sprachleistungen, Gedächtnisfaktoren, visuelle, auditive Wahrnehmung). Diese verschiedenen Komponenten, die einen Einfluss auf das Rechtschreiblernen haben, nennt man Komponenten-Modell. Dass ein Zusammenhang zwischen den genannten Faktoren und den schriftlichen Sprachleistungen besteht, wurde zwar bewiesen, nicht aber welcher. Es war daher unklar, ob ein z.B. intelligentes Kind mit geringeren visuellen Fähigkeiten besser in der Lage war richtig Schreiben zu lernen, als ein sprachschwaches Kind. Weil über den Prozess des Rechtschreiblernens so wenig konkretes bewusst war, fiel eine Definition für den Leseprozess eher ungenau aus („Lesen ist Sinnentnahme aus graphischen Zeichen oder dergleichen“[1]).
Psychologen sahen den Vorgang entweder analytisch (Ganzheitspsychologie) oder synthetisch (Elementenpsychologie), je nach Sichtweise der gerade vorherrschenden Meinung in der Psychologie. Brügelmann fand beide Theorien aber gleich schlecht, weil sie den individuellen Entwicklungsstand des Kindes unberücksichtigt lassen.
Das von Bormann aufgestellte konkrete Konzept der Wortbildtheorien von 1840 hielt sich dagegen ca. 150 Jahre. Es besagt, dass sich Kinder Wörter wie Bilder einprägen. Da die Schüler dabei auf die Ganzheit des Wortes achten, lautete sein Appell an die Lehrer, sie sollen die Schüler vor Fehlern behüten, „dass es kein falsch geschriebenes Wort sehe.“[2] Diese These wurde von Scheerer-Neumann jedoch 1986 widerlegt, denn würde ein Kind auf die Physiognomie des Wortes achten, würden eher ähnlich aussehende Buchstaben vertauscht werden, anstatt der üblichen Rechtschreibfehler. Das Wort „Fohlen“ würde man nach Bormanns Theorie auch mit „Eobtem“ verwechseln können (ähnliches Aussehen zum Ausgangswort). Aber Kinder schreiben „Fohlen“ wohl eher klein, ohne Dehnungs-h, mit V oder ohne e in der zweiten Silbe. In der folgenden Tabelle führt Scheerer-Neumann weitere Worte an, die visuell ähnlich sind, anstatt den Annahmen nach der Wortbildtheorie aber anders falsch geschrieben werden.[3]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[4]
Ebenso erkannte eine Forschergruppe um George McConkie, dass ausgetauschte, visuell ähnliche Buchstaben in einem Wort („Eisen h ahn“ statt „Eisen b ahn“, Satz: „Er kaufte sich eine Fahrkarte für die Eisenhahn“) zwar überlesen werden, sich die Fixationsdauer der Augen für das Wort aber um 50 % erhöhte. Dies bedeutet, dass der Buchstabe nicht übersprungen wird, sondern vielmehr vom Gehirn registriert und zugleich korrigiert wird, ein Vorgang, der blitzschnell, automatisch und unbewusst geschieht.
Ein weiteres Gegenargument stellen typographische Verstümmelungen dar (z.B. „pFeRd“ statt „Pferd“). Tatsächlich erschwert dies das Lesen des Wortes, allerdings gilt dies auch für zufällige Buchstabenfolgen (z.B. „rFpDe“ statt „RFPDE“). Der typographische Wechsel stört also nur den Rhythmus des Lesens, nicht aber die (angenommene) ganzheitliche Wahrnehmung des Wortes.
„Scheinwörter“ (= Worte, die den orthographischen Regeln des Deutschen entsprechen, jedoch keinen Sinn ergeben) sind zudem schneller zu lesen als Folgen zufälliger Buchstaben. So kann man die Worte WONG, GULP oder TIES wesentlich schneller erschließen, als z.B. TFIPM, LÄZNME oder AITG, es ist also wieder nicht die vertraute Umrissform, die uns Wörter erkennen lässt.[5]
Komponenten-Modelle v.a. die Wortbild-Theorien, gelten heute im Allgemeinen als veraltet, weil der Erkenntnis, dass der einzelne Buchstabe eine wichtige Einheit bei der Verarbeitung der Schrift im Gehirn darstellt, nicht beachtet wird. Zudem galt das Rechtschreibenlernen als reine Technik, die sowohl die Inhalte der Texte, wie auch Lernfähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder zu wenig Rechnung Beachtung widmeten.[6]
Als neue Modelle entstanden die Entwicklungsmodelle und die Prozessmodelle. Auf die Entwicklungsmodelle des Schriftspracherwerbs soll im Folgenden näher eingegangen werden. Neben theoretischen Grundlagen und konkreten Modellen von Mason und McCormick (ergänzende Modelle von Downing, Frith und Günther), Spitta, Brügelmann und Valtin sollen zudem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Modelle angeführt werden, ein Ausblick rundet die Arbeit ab.[7]
2. Entwicklungsmodelle des Schriftspracherwerbs
2.1 Theoretische Grundlagen
Entwicklungsmodelle des Schriftspracherwerbs verstehen die schriftsprachliche Entwicklung des Kindes als zeitlichen Verlauf. Man nimmt dabei an, dass das Kind dabei verschiedene, voneinander unterscheidbare Stufen durchläuft. Grundlage dieser Annahmen sind jeweils Langzeitstudien.[8]
Sind nun bei einem Kind Lese- und Rechtschreibfehler festzustellen, so können diese zwei Ursachen haben: erstens als Minderleistung gegenüber der Norm oder zweitens als „konstruktive Versuche des Kindes, Wörter mit den Strategien zu verschriften bzw. zu entschlüsseln, die ihm nach seiner Erfahrung zur Verfügung stehen.“[9] Diese zweite Sichtweise impliziert eine völlig neue Betrachtung des Fehlers. Fehleranhäufungen sollen nun nicht mehr als Verschlechterung, sondern, im Gegenteil, als Besserung eingestuft werden, da das Kind sich gerade auf einem Übergang zu einer nächst höheren Stufe befindet. Diese Entwicklung kommt zustande, weil sich eine eigene Ordnung bildet, die sich langsam der allgemeinen Norm nähert. Brinkmann verwendet dafür den Begriff „Selbstorganisation“.[10]
Schriftspracherwerb darf nicht als zeitlich begrenzter Lernvorgang angesehen werden, der sich nur in der Schule vollzieht, bereits früher beginnt der mehrstufige Entwicklungsprozess, der im orthographisch korrektem Schreiben endet. Der genannte Prozess ist dabei nicht als mechanischer anzusehen, sondern als Denkentwicklung, die impliziert, dass das Kind erstens Einsichten in Funktion und Aufbau der Schrift und Prinzipien der Rechtschreibung gewinnt und zweitens Strategien zum Lernen und Behalten ausbildet.[11]
2.2 Konkrete Modelle
2.2.1 Mason und McCormick (1979)
Mason und McCormick untersuchten mit Hilfe von „Reading Readiness Tests“ Eingangsvoraussetzungen für den Schriftspracherwerb, anhand ihrer Ergebnisse kamen sie zu einem Entwicklungsmodell. Sie fanden, dass Kinder zu Beginn des Lese-Schreib-Lehrgangs über spezifische Vorkenntnisse verfügen, die sich in ihrem Niveau qualitativ unterscheiden lassen. Das Modell von Mason und McCormick umfasst dabei drei aufeinander aufbauende Stufen:
3-Stufen-Modell von Mason und McCormick (1979)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Etwa zeitgleich hat Downing ein anderes Entwicklungsmodell veröffentlicht, das den Begriff „gedankliche Klarheit“ über die Schrift berücksichtigt. Er führt dabei drei Einsichten an, die ein Kind gewinnen muss, um vom Lesen zu erlernen: Erstens, dass geschriebene Schrift wie gesprochene Sprache gemeinsame Fugen haben, zweitens muss ein Kind die Fähigkeit besitzen „Sprechlaute in die bedeutungsunterscheidenden Einheiten zu gruppieren, die den Buchstaben entsprechen“[13] und drittens muss das Kind zuerst Regeln, Verfahren und Begriffe erlernen, um Lesen durchzuführen und begreifen zu können.[14][12]
[...]
[1] Richter, Sigrun, Interessenbezogenes Rechtschreiblernen, Braunschweig 1998, S. 23.
[2] Ebd., S. 24.
[3] Ebd., S. 23f.
[4] Aus: Richter, Sigrun, Interessenbezogenes Rechtschreiblernen, Braunschweig 1998, S. 24.
[5] Aus: Brügelmann, Hans, Wortbildjäger oder Buchstabensammler? In: Brügelmann, Hans, Kinder auf dem Weg zur Schrift. Eine Fibel für Lehrer und Laien, Kempten 1997.
[6] Aus: Richter, Sigrun, Interessenbezogenes Rechtschreiblernen, Braunschweig 1998, S. 24.
[7] Aus: Richter, Sigrun, Interessenbezogenes Rechtschreiblernen, Braunschweig 1998, S. 24.
[8] Aus. Ebd., S. 26.
[9] Brinkmann, Erika, Brügelmann, Hans, Stufen des Schriftspracherwerbs und Ansätze zu seiner Förderung, in: Brügelmann, Hans, Richter, Sigrun (Hg.), Wie wir recht schreiben lernen, Konstanz 1994, S. 44.
[10] Aus: Richter, Sigrun, Interessenbezogenes Rechtschreiblernen, Braunschweig 1998, S. 26.
[11] Aus: Valtin, Renate, Ein Entwicklungsmodell des Rechtschreiblernens, in: Valtin, Renate (Hg.), Rechtschreiben lernen in den Klassen 1 – 6. Grundlagen und didaktische Hilfen, Frankfurt am Main, S. 17.
[12] Aus: Richter, Sigrun, Interessenbezogenes Rechtschreiblernen, Braunschweig 1998, S. 26f.
[13] Richter, Sigrun, Interessenbezogenes Rechtschreiblernen, Braunschweig 1998, S. 27.
[14] Ebd.
- Quote paper
- Matthias Altmannsberger (Author), 2003, Entwicklungsmodelle des Schriftspracherwerbs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19340
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