[...] Diese Arbeit soll einige Ansätze zur Theoriebildung darstellen, um eventuelle Besonderheiten des Ansatzes von Dieter Schneider aufzuzeigen. Es wird kein Anspruch darauf erhoben, dass diese Aufzählung vollständig ist. Nur die wichtigsten Ansätze werden kurz dargestellt.
Die weitgefächerten Meinungen über das, was man unter einer „Unternehmung“ und unter dem Begriff der Theorie verstanden wird soll ebenfalls untersucht werden.
Weiterhin wird der Frage nachgegangen welche Merkmale eine Theorie nach Dieter Schneiders Ansatz aufweisen können muss, um wissenschaftlichen Anforderungen zu genügen. Seine Unterscheidung in erklärende, gestaltende und metrisierende Theorien ist Hauptgegenstand dieser Arbeit.
Dabei liegt im Zentrum des Interesses, welche Eigenschaften diese drei Theoriearten kennzeichnen und in welcher Beziehung sie zueinander stehen.
Daneben soll herausgearbeitet werden, in wie weit wissenschaftlicher Fortschritt, in Form einer neuen Theorie, aus der Diskussion unterschiedlicher Ansichten hervorgeht, also wie stark das, was eine Theorie zu leisten vermag von der Diskussion in der wissenschaftlichen Gemeinschaft abhängt.
Der Teil C dieser Seminararbeit soll einen Überblick darüber geben, welche verschiedenen Theorien der Unternehmung entwickelt wurden. Um den Rahmen der Betrachtung zu wahren, wurde eine Auswahl dieser Ansätze vorgenommen. Im Zuge dieser Arbeit wird neben der Neoklassischen Mikroökonomie, der Systemtheorie, des Property-Rights-Ansatzes, der Principal-Agent-Theorie und des Transaktionskostenansatzes auch die Lehre von den Unternehmerfunktionen vorgestellt. Die Zusammenstellung orientiert sich in weiten Teilen an der von Dieter Schneider in seinem dreibändigen Werk zur Betriebswirtschaftslehre vorgenommenen Selektion. Ein Anspruch auf vollständige Darstellung aller existierenden Theorien der Unternehmung wird folglich nicht erhoben!
In den Ausführungen wird das bereits im Teil B vermittelte Theorieverständnis und die Abgrenzung des Begriffs der Unternehmung zu Grunde gelegt. Zunächst wird die Bedeutung der eine Theorie der Unternehmung begründenden Sichtweise für die Abgrenzung eines Erkenntnisobjektes untersucht. Darauf aufbauend soll eine Gruppierung der betrachteten Theorien entsprechend ihrer Lösungsidee vorgenommen werden. [...]
Inhaltsverzeichnis
Einführung
A Entwicklungsgeschichte der Betriebswirtschaftslehre
1. Einordnung der Betriebswirtschaftslehre in das System der Wissenschaften
1.1. Systematisierung der Wissenschaften
1.2. Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre
2. Die alte Geschichte
3. Vorläuferwissenschaften der Betriebswirtschaftslehre
3.1. Kommerzienkunde
3.2. Merkantilismus
3.2.1. Kameralismus
3.2.2. Landwirtschaftliche Betriebslehre und Staatsrechnungswissenschaft
3.3. Die Handlungswissenschaft
4. Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre von 1898 bis zum zweiten Weltkrieg
4.1. Verselbständigung der akademischen Betriebswirtschaftslehre
4.2. Bedeutende Wegbereiter der jungen Betriebswirtschaftslehre
5. Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre seit dem zweiten Weltkrieg
B Allgemeines Verständnis von der Bildung einer Theorie
1. Der Theoriebegriff
1.1. Die Mehrdeutigkeit des Theoriebegriffs
1.1.1. Theorie als Einzelbezeichnung für behauptete Zusammenhänge
1.1.2. Theorie als Gattungsname für verschiedene Problemlösungsansätze bei ähnlicher Problemstellung
1.1.3. Theorie als Gattungsname für ähnliche Problemlösungsansätze bei verschiedenen Problemstellungen
1.1.4. Theorie als Kennzeichnung des Ziels wissenschaftlichen Arbeitens
1.1.5. Definition des Theoriebegriffs
1.2. Definition des Begriffes „ Unternehmung “
1.3. Eine Unterscheidung zwischen der „ Betriebswirtschaftslehre “ und der „ Theorie der Unternehmung “
1.4. Mö gliche Ansätze zur Theorie der Unternehmung
1.4.1. Erklärung, Prognose und Gestaltung
1.4.2. Falsifikation
1.4.3. Rationale Rekonstruktion
1.5. Anforderungen an eine Theorie
2. Theorie als Struktur - Der Strukturalismus
2.1. Schneiders Theorieverständnis
2.2. Strukturmerkmale erklärender Theorie
2.2.1. Die Problemstellung und die Lösungsidee
2.2.2. Der Strukturkern
2.2.3. Musterbeispiele
2.2.4. Die Hypothese
2.3. Ein Beispiel - Die Monopolpreisbildung nach dem Cournotmodell
2.3.1. Die Problemstellung und die Lösungsidee
2.3.2. Der Strukturkern
2.3.3. Musterbeispiele
2.3.4. Die Hypothese
2.4. Das Problem der Interpretation von Symbolen
2.5. Testbarkeit und Widerlegbarkeit von Hypothesen
2.5.1. Die empirischen Beobachtungen treffen nicht zu
2.5.2. Die empirischen Beobachtungen treffen zu
2.5.3. Die vier Freiheitsgrade
3. Gestaltende Theorien
3.1. Strukturmerkmale einer gestaltenden Theorie
3.1.1. Die Problemstellung und die Lösungsidee
3.1.2. Der Strukturkern
3.1.3. Musterbeispiele
3.1.4. Die Hypothese
3.2. Besonderheiten einer gestaltenden Theorie
3.3. Ein Vergleich mit dem Ansatz „ Erklärung, Prognose und Gestaltung “
4. Metrisierende Theorien
4.1. Begriffe und Probleme des Messens
4.2. Strukturmerkmale metrisierender Theorien
4.2.1. Die Problemstellung und die Lösungsidee
4.2.2. Der Strukturkern
4.2.3. Musterbeispiele
4.2.4. Die Hypothese
5. Gütestufen der Theorien
5.1. „ Theoriegefasel “
5.2. „ Theoriegebrö sel “
5.3. „ Theorieversprechen “
C Alternative Sichtweisen der Theorie der Unternehmung
1. Grundlagen
1.1. Erfahrungsobjekt, Erkenntnisobjekt, Sichtweise und Aspekt einer Theorie der Unternehmung
1.2. Beispiel
1.3. Anforderungen an eine Theorie der Unternehmung
2. Verschiedene Sichtweisen der Theorie der Unternehmung
2.1. Bildhafte Vergleiche aus anderen Wissenschaften
2.1.1. Bildhafte Vergleiche aus der Physik am Beispiel der Neoklassischen Mikroökonomie
2.1.2. Bildhafte Vergleiche aus der Biologie - Die Unternehmung als Organismus / als soziales System
2.1.3. Bildhafte Vergleiche aus der Rechtslehre
2.2. Beobachtungssachverhalte aus dem wirtschaftlichen Erfahrungsbereich
2.2.1. Begriffsdefinitionen
2.2.2. Die Lehre von den Unternehmerfunktionen
Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Einführung
Gegenstand der Betrachtung im Teil A ist die Entwicklungsgeschichte der noch jungen Be- triebswirtschaftslehre. Dass sie sich als eine heuteüberall anerkannte akademische Disziplin herausbilden konnte, bedurfte viel Geduld und intensiver Bemühungen. Deshalb soll der Fra- ge nachgegangen werden, wie sich die Betriebswirtschaftslehre entwickelte und ob sie schon als solche in tiefer Vergangenheit existierte. Dabei gilt es herauszustellen, in welcher Form sie in der Zeit weit vor dem 20. Jahrhundert bestand und welche Epochen als so genannte Vorläu- ferwissenschaften der Betriebswirtschaftslehre zu nennen sind. Hauptaugenmerk liegt auf der mithin reinen historischen Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre, wobei auf die wichtigs- ten Autoren der alten und auch der jungen Vergangenheit eingegangen werden soll. Jedoch würde im Rahmen dieser Bearbeitung eine literaturgeschichtliche Betrachtung der einzelnen Werke, die für die jeweilige Epoche von hoher Bedeutung waren, zu weit führen. Aus diesem Grund werdenüberwiegend die wichtigsten Autoren mit ihren bedeutendsten Werken, die für die einzelnen Phasen von besonderem Wert waren, lediglich erwähnt. Damit soll ebenfalls das Ziel eines doch sehr groben Überblicks erreicht werden. Denn um die Inhalte der modernen Betriebswirtschaftslehre mit den damaligen Inhalten vergleichen zu können, ist eine intensive Betrachtung der einzelnen Werke unbedingt erforderlich und nicht Gegenstand dieser Ausfüh- rungen.
Letztendlich soll hiermit verdeutlicht werden, dass die Wurzeln der Betriebswirtschaftslehre sehr weit in die Vergangenheit zurückreichen und sie ihre Bezeichnung als solche erst um etwa 1920 erhielt. Zuvor waren die Inhalte dieser Disziplin zwar ähnlich, jedoch standen diese unter einem ganz anderen Namen, wie sich im Laufe der Betrachtung herausstellen wird.
Überdies erachte ich es für notwendig, besonders als Student der Betriebswirtschaftslehre, wichtige Eckdaten der jungen akademischen Disziplin in Bezug auf ihre Entwicklungsgeschichte zu kennen.
Mit der Absicht die Betriebswirtschaftslehre als Ganzes zu erfassen, soll zunächst eine Einordnung der jungen Disziplin in das System der Wissenschaften erfolgen, um damit zugleich auch einen allgemeinen Einblick in das bestehende Wissenschaftssystem zu geben.
In Teil B soll dargestellt werden, dass die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft in viel- fältiger Weiseüber wirtschaftliche Zusammenhänge informieren und Hinweise zur Gestaltung dieser aussprechen will. Dazu werden in den Wirtschaftswissenschaften Theorien verwendet. Nicht jede Theorie ist jedoch gleich gut und gleich aussagekräftig. Wer Theorien auf ihre Fä- higkeiten und Eigenschaftenüberprüfen will, oder auch selbst Theorien aufstellen möchte, dem bieten sich mehrere Möglichkeiten.
Diese Arbeit soll einige Ansätze zur Theoriebildung darstellen, um eventuelle Besonderheiten des Ansatzes von Dieter Schneider aufzuzeigen. Es wird kein Anspruch darauf erhoben, dass diese Aufzählung vollständig ist. Nur die wichtigsten Ansätze werden kurz dargestellt.
Die weitgefächerten Meinungenüber das, was man unter einer „Unternehmung“ und unter dem Begriff der Theorie verstanden wird soll ebenfalls untersucht werden.
Weiterhin wird der Frage nachgegangen welche Merkmale eine Theorie nach Dieter Schnei- ders Ansatz aufweisen können muss, um wissenschaftlichen Anforderungen zu genügen. Sei- ne Unterscheidung in erklärende, gestaltende und metrisierende Theorien ist Hauptgegenstand dieser Arbeit.
Dabei liegt im Zentrum des Interesses, welche Eigenschaften diese drei Theoriearten kennzeichnen und in welcher Beziehung sie zueinander stehen.
Daneben soll herausgearbeitet werden, in wie weit wissenschaftlicher Fortschritt, in Form einer neuen Theorie, aus der Diskussion unterschiedlicher Ansichten hervorgeht, also wie stark das, was eine Theorie zu leisten vermag von der Diskussion in der wissenschaftlichen Gemeinschaft abhängt.
Der Teil C dieser Seminararbeit soll einen Überblick darüber geben, welche verschiedenen Theorien der Unternehmung entwickelt wurden. Um den Rahmen der Betrachtung zu wahren, wurde eine Auswahl dieser Ansätze vorgenommen. Im Zuge dieser Arbeit wird neben der Neoklassischen Mikroökonomie, der Systemtheorie, des Property-Rights-Ansatzes, der Principal-Agent-Theorie und des Transaktionskostenansatzes auch die Lehre von den Unternehmerfunktionen vorgestellt.
Die Zusammenstellung orientiert sich in weiten Teilen an der von Dieter Schneider in seinem dreibändigen Werk zur Betriebswirtschaftslehre vorgenommenen Selektion. Ein Anspruch auf vollständige Darstellung aller existierenden Theorien der Unternehmung wird folglich nicht erhoben!
In den Ausführungen wird das bereits im Teil B vermittelte Theorieverständnis und die Abgrenzung des Begriffs der Unternehmung zu Grunde gelegt. Zunächst wird die Bedeutung der eine Theorie der Unternehmung begründenden Sichtweise für die Abgrenzung eines Erkenntnisobjektes untersucht. Darauf aufbauend soll eine Gruppierung der betrachteten Theorien entsprechend ihrer Lösungsidee vorgenommen werden.
Im Zuge dieser Betrachtung wird die Frage zu klären sein, welchen Anforderungen eine The- orie der Unternehmung zu genügen hat, damit sie in der Praxis anwendbar ist. Ein weiteres Ziel stellt folglich die Erarbeitung eines Leistungsanspruchskataloges dar. Mein Ziel ist es dabei nicht ein paradigmatisches Prüfschema zu entwickeln. Vielmehr steht die Überprüfung aller betrachteten Theorien nach einem einheitlichem Anforderungsniveau im Vordergrund! Anschließend erfolgt eine Betrachtung der verschiedenen Theorien. Im Zuge dessen wird je- der Ansatz zunächst vorgestellt. Dabei soll die Frage geklärt werden, welches Forschungsinte- resse die jeweilige Theorie verfolgt und wie die eine Unternehmung betreffenden Sachver- halte dargestellt und erklärt werden.
Danach wird mittels der erarbeiteten Kriterien auf Schwächen und Mängel der Theorien hingewiesen. Besonderes Interesse gilt dabei der Frage, ob eine Theorie die Erklärung des tatsächlichen Handelns von Akteuren ermöglicht.
In der abschließenden Betrachtung erfolgt eine Feststellung bezüglich der praktischen Anwendbarkeit.
Für eine tiefgründigere Betrachtung der Neuen Institutionenökonomie wird auf das Thema fünf dieses Seminars verwiesen!
A Entwicklungsgeschichte der Betriebswirtschaftslehre
1. Einordnung der Betriebswirtschaftslehre in das System der Wissenschaften
1.1. Systematisierung der Wissenschaften
Um eine Systematisierung der Wissenschaften vorzunehmen, muss zunächst Klarheit darüber bestehen, durch welche Merkmale und Aufgaben eine Wissenschaft gekennzeichnet ist. Jede Wissenschaft befasst sich in systematischer Weise mit einem bestimmten abgegrenzten Ge- genstandsgebiet unter Verwendung geeigneter Methoden, um Erkenntnisseüber das jeweilige Gegenstandsgebiet zu erlangen.1 Aber nicht nur Erkenntnisse gehören zum Inhalt einer Wis- senschaft, sondern auch Theorien und Hypothesen. Im Wesentlichen ist Wissenschaft durch die vier folgenden Merkmale gekennzeichnet. Als erstes ist das Streben nach Erkenntnis zu erwähnen, die sich mit der Frage nach der Wahrheit und der Suche nach Antworten beschäf- tigt. Zweitens ist die Wissenschaft durch die Konstituierung eines Erkenntnisobjekts (abge- grenzten Gegenstandsgebiets) und den damit verfolgten Zwecken (Erkenntniszielen) gekenn- zeichnet. Hierbei ist zu beachten, dass Erkenntnisobjekte, genau wie in der Betriebswirt- schaftslehre auch, ständigen Veränderungen unterworfen sind und somit das Ziel der voll- ständigen Erfassung des abgegrenzten Gegenstandsgebiets ein dynamischer Prozess ohne endliche Begrenzung ist. Des Weiteren ist die Wissenschaft durch die Anwendung spezifi- scher Forschungsmethoden zur Gewinnung von Erkenntnissen gekennzeichnet und als letztes Merkmal besteht das Bestreben der Wissenschaft darin, die Forschungsergebnisseüber das Erkenntnisobjekt in ihrer Wahrheit zu sichern und in eine systematische Ordnung zu bringen.2
Eine Einteilung der Wissenschaften in ein Wissenschaftssystem ist lediglich ein Versuch die bereits vorhandenen Wissenschaften nach bestimmten Kriterien zu systematisieren. Oftmals erfolgt eine Unterteilung der Universalwissenschaften in reine und angewandte Wissenschaften, die nach dem Kriterium des Bezugs auf existente Situationen erfolgt. Hierbei werden die wissenschaftlichen Disziplinen nach ihrem Praxisbezug untergliedert. Jedoch ist eine genaue Abgrenzung nicht möglich.3 Gebräuchlicher erweist sich in der Literatur eine Unterteilung des Wissenschaftssystems nach dem Untersuchungsobjekt. Daraus resultiert eine Zweiteilung der Einzelwissenschaften in Idealwissenschaften und Realwissenschaften.4
Bei den Idealwissenschaften werden die Gegenstände vom Denken erschaffen. Dagegen sind die Objekte bei den Realwissenschaften in der Realität vorhanden, d. h. es spielt in keiner Weise eine Rolle, ob sich unser Denken mit den Objekten beschäftigt oder nicht.1 Die Ideal- wissenschaften werden weiterhin in Formalwissenschaften (zum Beispiel Mathematik, Logik, Teile der Informatik) und in normative Wissenschaften (zum Beispiel Ethik und Teile der Philosophie) unterteilt. Zu den Realwissenschaften zählen die Naturwissenschaften (zum Bei- spiel Physik, Chemie, Biologie, Ökologie), die Ingenieurwissenschaften (zum Beispiel Ma- schinenbauwesen, Elektrotechnik), die Informatik und die Geistes- und Sozialwissenschaften (zum Beispiel Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften, Soziologie, Psychologie, Politologie). Die Wirtschaftswissenschaften werden zu dem in die Betriebswirtschaftslehre und die Volkswirtschaftslehre unterteilt.2
Eine solche starre systematische Abgrenzung der Wissenschaftszweige ist für die Forschung und Lehre nicht gerade sinnvoll, da häufig zwischen den verschiedenen Wissenschaften zahl- reiche Verbindungen existieren und sich somit die interdisziplinäre Forschung als sehr frucht- bar erweist. Hinzu kommt, dass Wissenschaft ein dynamischer Prozess ist, welches die Alter- native bietet, Grenzen zwischen den Wissenschaftszweigen zu verschieben und dadurch zur Entwicklung von neuen Disziplinen beizutragen. Als Beispiel sei hier die Ingenieurwissen- schaft erwähnt, welche sich aus den klassischen Naturwissenschaften und der Mathematik entwickelte. Aus diesen Gründen ist eine derartige Wissenschaftssystematik nur als eine erste Orientierung gedacht.3
1.2. Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre
Die Wirtschaftswissenschaft bildet zu den wirtschaftlichen Einzeldisziplinen der Betriebswirtschaftslehre und der Volkswirtschaftslehre den Oberbegriff, welche sich mit deskriptiven, theoretischen, pragmatischen und normativen Fragen des Wirtschaftens befasst.4
Ihre Aufgabe ist es, mit Hilfe gesammelter Erfahrungen und den gewonnenen Erkenntnissen wirtschaftliche Zusammenhänge zu erklären und Prognosenüber die Folgen wirtschaftlicher Entscheidungen abzugeben.5
Im Mittelpunkt betriebswirtschaftlicher Betrachtungen und Untersuchungen steht die Unternehmung als eine Einzelwirtschaft. Die Betriebswirtschaftslehre beschäftigt sich mit dem geschäftlichen Geschehen, wie der Gestaltung und Führung eines Betriebes. Dabei sieht sie ihre Aufgabe darin, das Wirtschaften in den Betrieben zu beschreiben und zu erklären und erkannte Zusammenhänge, Regelmäßigkeiten sowie Gesetzmäßigkeiten des Betriebsprozesses zu nutzen, um wirtschaftliche Verfahren zur Verwirklichung verfolgter Zielsetzungen zu entwickeln.1 Aber die Betriebswirtschaftslehre muss ebenfalls Beziehungen zu anderen Wirtschaftseinheiten (zum Beispiel zu dem Markt) untersuchen, da keine Unternehmung für sich allein existieren kann, weil sie zum einenüber den Beschaffungsmarkt und zum anderenüber den Absatzmarkt mit der Gesamtwirtschaft verbunden ist.2
Dagegen werden in der Volkswirtschaftslehre die wirtschaftlichen Vorgänge zwischen den Wirtschaftseinheiten auf gesamtwirtschaftlicher Ebene untersucht. Die volkswirtschaftliche Aufgabe besteht darin, generelle Aussagenüber Ursachen und Arten bestehender wirtschaftli- cher Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den Wirtschaftseinheiten zu geben.3
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich sowohl die Betriebswirtschaftslehre als auch die Volkswirtschaftslehre im gesamten Bereich der Wirtschaftswissenschaft einander, zumindest teilweise, ergänzen. Trotzdem sind die beiden Disziplinen nach der herrschenden Meinung als zwei selbständige Wissenschaften anzusehen, auch wenn häufig die Forderung nach einer Verschmelzung der beiden Disziplinen zu einer einheitlichen Wissenschaft erhoben wird. Auf die Darstellung der verschiedenen Ansichten und Begründungen soll hier aufgrund der Irrele- vanz für die weitere Betrachtung verzichtet werden. Es soll lediglich verdeutlicht werden, dass zukünftig in dieser Richtung noch einiges an Diskussionen zu erwarten ist, was aus ent- wicklungsgeschichtlicher Sicht der Wirtschaftswissenschaften nicht unbedeutend sein dürfte.
2. Die alte Geschichte
Die Betriebswirtschaftslehre hat sich im Vergleich zur Volkswirtschaftslehre einige Zeit spä- ter zur Wissenschaft entwickelt. Doch reichen die Wurzeln einzelwirtschaftlicher Betrachtun- gen sehr viel tiefer in die Vergangenheit als die Quellen gesamtwirtschaftlicher Betrachtun- gen.4 Deshalb ist es erforderlich den Zeitpunkt der entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung bis weit in die alte Geschichte zurückzuverfolgen, auch wenn die Kenntnis der Frühgeschichte nach Edmund Sundhoff nur von geringer Bedeutung für die Betriebswirtschaftslehre als ein- zelwirtschaftliche Disziplin ist. Die Gründe einer solchen Auffassung sieht Sundhoff zum einen in der Tatsache, dass die wirtschaftlichen Werke unter völlig anderen Voraussetzungen entstanden sind als die Ergebnisse der modernen Literatur. Zum anderen ist die Methodik des wissenschaftlichen Arbeitens zu dieser Zeit nicht mit der heutigen vergleichbar. Als letzen Punkt verweist er auf das bruchstückhafte Vorliegen des frühenökonomischen Schrifttums, womit der Einfluss auf die spätere Entwicklung nur sehr ungenau nachvollzogen werden kann.1 Aus diesen Gründen werden die ersten Ansätze nicht als Vorläuferwissenschaften ver- standen und deswegen wird auch auf eine detaillierte Betrachtung verzichtet. Dennoch ist es notwendig erste Entwicklungen zu verfolgen, um den Eindruck zu vermeiden, dass die Wur- zeln der jungen Betriebswirtschaftslehre in naher Vergangenheit liegen.
In den Aufzeichnungen der Hochkulturen des alten Orients zeigen sich erste Ansätze kauf- männischen Denkens. Aus der Zeit 3000/2900 v. Chr. stammt der älteste bekannte Buchhal- tungsbeleg, eine mit Zahlen und archaischer Schrift bedeckte Tontafel von 4x11 cm Größe. Als älteste erhaltene Fabrikbuchhaltung ist die des Tempels Dublal-mach in Ur (Irak) aus der Zeit 2900 v. Chr. bekannt, in welcher ein kontinuierlich geführtes Inventar sowie eine monat- liche Gewinn- und Verlustrechnung geführt wurde.2 Zu den bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen im Altertum sind die Erfindungen des Schreibens, des Rechnens und der Buch- haltung, welche damals aus wirtschaftlichen Alltagsbedürfnissen entstand, zu zählen. Als eine weitere hervorragende betriebswirtschaftliche Leistung ist die Entwicklung organisatorischer Verfahrenstechniken zu sehen, welche uns in den damaligen Karteien, Siegelrollen, Wirt- schaftsbüchern, Quittungen und jährlichen Inventuren entgegentreten. In Ägypten lässt sich in etwa um 2000 v. Chr. ein sehr weit entwickeltes Geschäftswesen feststellen, das sich in der Verpflichtung zur Führung von Wirtschaftsbüchern und Geschäftsurkunden ausdrückte. Zu- dem entstanden zu der Zeit Schreibbüros und Handelschulen. Überdies wurde in Babylonien 1728 v. Chr. die Buchhaltungspflicht für Kaufleute eingeführt. Weiterhin ist auf die Zeit der Babylonier unter der Herrschaft des Königs Hammurabi die erste Büroorganisation zurückzu- führen, weil bereits zu dieser Zeit weibliche Sekretärinnen existierten.3
Zu den wichtigsten Autoren, die in der Antike erste Aufzeichnungen mit dem Charakter einer wirtschaftlichen Lehre verfassten, gehören Xenophon (430-354 v. Chr.) und Aristoteles (384- 322 v. Chr.). Sie behandelten betriebswirtschaftliche Fragen, wie andere griechische Gelehrte auch, im Rahmen der Lehre von dem „Oikos“ (Haus). Darunter wurde nicht nur das Hauswe- sen eines Bürgers verstanden, sondern gegebenenfalls auch sein Gesamtbetrieb. In dem Buch „ Oikonomikus“ von Xenophon, welches zwischen 385 und 370 v. Chr. geschrieben wurde, wird uns eine landwirtschaftliche Betriebslehreüberliefert. Arsitoteles verfasste um 350 v. Chr. seine Lehre vom Wirtschaftsbetrieb. Weitere griechische Autoren waren Sokrates (470- 399 v. Chr.), Platon (427-347 v. Chr.) und Epikur (341-271 v. Chr.).1 Zu den wichtigsten Landbauschriftstellern der Antike gehören neben Xenophon auch die römischen Autoren, wie Cato, Varro und Columella. Cato forderte eine strenge Diktatur bei der Führung seiner Skla- ven. Dagegen wollte Varro den Leistungswillen seiner Sklaven durch Belohnungen fördern und sie als Vermögensgegenstände behutsam einsetzen. Er entwickelte zudem einen Arbeits- kalender für den Ackerbau, in dem ein Vorläufer betrieblicher Produktionsplanung gesehen werden kann. Columella befasste sich mit dem Problem der optimalen Kontrollspanne und er lässt erste Ansätze einer Investitionsrechnung hinsichtlich der Produktwahl zwischen Wein- anbau, Heu und Gemüse erkennen. Weiterhin sind bei ihm erste Ansätze eines Marketingden- kens vorhanden, in dem die Fische vor dem Verkauf gefüttert wurden, um einen größeren Verkaufspreis aufgrund des höheren Gewichts zu erzielen.2
Auch wenn sich hieraus vermuten lässt, dass eine intensive Beschäftigung mit den kaufmän- nischen Problemen stattgefunden hat, so ist das nicht richtig. Zwar war der Betrieb im klassi- schen Altertum Gegenstand eigener Darstellungen gewesen, jedoch ist keine Verbindung zur heutigen Entwicklung erkennbar.3 Zum anderen erfolgte, hauptsächlich durch die römischen Autoren, eine Beschäftigungüberwiegend mit dem landwirtschaftlichen Betrieb. Welches zu der damaligen Zeit von großer Bedeutung war, aber aus heutiger Sicht für die Betriebswirt- schaftslehre als eine Wissenschaft von unbedeutendem Wert ist. Ein weiteres Problem, wie es schon mit der bruchstückhaften Überlieferung angesprochen wurde, besteht darin, dass eini- ges an Aufzeichnungenüber Handels-, Rechen- und Buchführungstechniken vorhanden war, jedoch in den Kaufmannsfamilien wie Geheimrezepte sorgsam gehütet und aufbewahrt wur- den. Ein anderer Aspekt ist, dass das Wissenüberwiegend mündlichüberliefert wurde, was auf die mangelnde technische Entwicklung, wie zum Beispiel der noch nicht vorhandene Buchdruck, zurückzuführen ist. Somit bleibt festzuhalten, dass erste wirtschaftliche Ansätze und Anregungen vorhanden waren, jedoch konnten sie aus heutiger Sicht für die Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre als eine Wissenschaft keinen entscheidenden Beitrag leisten.
3. Vorläuferwissenschaften der Betriebswirtschaftslehre
3.1. Kommerzienkunde
Die ersten bedeutenden Beiträge zur Entwicklung der späteren Betriebswirtschaftslehre stammen aus der Zeit von etwa 1200 bis 1700. Edmund Sundhoff hat für die älteste Phase der Einzelwirtschaftslehre den Begriff „Kommerzienkunde“1 geprägt, in dem er gerade den Plural des Wortes Kommerz verwendet, welches heute zu dem antiquiert geltenden Sprachgebrauch gehört. Er begründet seine Begriffswahl damit, dass das Wort Kommerz als synonym für Handel und Verkehr besonders gut den handelswissenschaftlichen Charakter dieser Periode erfasst. Allerdings verweist er darauf, dass es sich hier lediglich um eine Kunde handelt, wel- che vielmehr als eine Vorstufe zur Handelswissenschaft anzusehen ist, denn sie geht nur ge- ringfügigüber die Sammlung, Beschreibung und Klassifizierung der wissenswerten kaufmän- nischen Gegenstände und Sacherhalte hinaus.2 Trotzdem ist die Kommerzienkunde eine wichtige Vorstufe in der wissenschaftlichen Entwicklung, auch wenn derüberwiegende Teil der damaligen betriebswirtschaftlichen Literatur unbekannt ist. Ursache dafür war das Eintre- ten der Völkerwanderung, in der sich die Kaufleute gezwungen sahen ihre Erkenntnisse und Erfahrungen geheim zuhalten. Dadurch blieben die Arbeiten unveröffentlicht und erhielten lediglich den Rang von Anleitungen für den individuellen und internen Gebrauch.3 Inhaltlich befassten sich die Aufzeichnungen, welche hauptsächlich auf Alltagserfahrungen beruhten und Informationen zu den Techniken der Handelsbetriebe und des Handelsverkehrs geben sollten, mit den Bereichen wie Buchhaltung und Kalkulation, kaufmännisches Rechnen, Münz-, Maß-, Gewichts- und Warenkunde, Marktveranstaltungen, Platzunkosten, Trans- portspesen, Handelskorrespondenz, Vertragswesen sowie Angaben zu den Rechtsverhältnis- sen und dem Zahlungsverkehr.4
In die Epoche der Kommerzienkunde zählt eine enorme Anzahl von Autoren hinein, auf deren die ersten Anfänge betriebswirtschaftlicher Literatur zurückzuführen sind. Aber hervorzuhe- ben sind ausschließlich die italienischen Schriftsteller, welche im Ausgangspunkt der Renais- sance ihre Heimat hatten. Die Renaissance gilt nicht nur als Zeit starker kultureller Impulse, sondern war ebenfalls die Zeit hoher wirtschaftlicher Blüte, die aus der großen Ausdehnung des Mittelmeerhandels, als Folge der Kreuzzüge, resultierte.1
Der durch die Renaissance bedingt zunehmende Handel forderte in den Betrieben zur Rechenhaftigkeit auf, welche sich erst mit der Einführung des arabischen Zahlensystems entwickeln konnte.2 Der erste revolutionäre Anstoß für die Entwicklung der Einzelwirtschaftslehre geschah durch Leonardo Fibonacci Pisano mit seinem im Jahre 1202 verfassten „Liber abaci“. Pisano demonstrierte in diesem Buch anschaulich die Vorteile des kaufmännischen Rechnens mit arabischen Zahlen, die ursprünglich aus Indien stammten und wie schon erwähnt die Grundlage für den Beginn der Buchhaltung bildeten.3
Zu den ältesten bekannten italienischen Handschriften, die keine Bücher im heutigen Sinne sind, sondern unveröffentlichte Anleitungen und Erfahrungen kaufmännischer Betriebsführung, zählt die Privatniederschrift des F. B. Pegolotti (aus den Jahren 1335-1345) und die Niederschrift des G. A. Uzzano (von 1442). Die Niederschrift von Uzzano wurde erst 1766 herausgegeben und war somit nur noch zur Zeit ihrer Drucklegung für den Forscher von Wert. Pegolottis Privatniederschrift beinhaltet hauptsächlich Notizenüber Münzen, Maße, Gewichte, Warennotierungen, Zinstabellen und anderes.4
Die Herausbildung der doppelten Buchhaltung ist die eigentliche Voraussetzung für die Ent- stehung der Unternehmung. Sie vollzog sich in mehreren Etappen beginnend um 1250 mit der Einführung des Personenkontos und setzte sich mit der Einführung des Sachkontos um 1300, des Inventars, des doppelten Buchungssatzes um 1340, des formellen Abschlusses um 1400 und des Bilanzkontos um 1420 weiter fort. Die doppelte Buchhaltung bewirkte eine Spaltung des mittelalterlichen Zunftbetriebes in Unternehmung und Haushaltung.5 Der Franziskaner Mönch und Mathematiker Luca Pacioli, ein weiterer wichtiger Autor für die Entwicklung der Kommerzienkunde, legte mit seinem Werk „Summa de Arithmetica, Geometria, Proportioni et Proportionalita“ die älteste systematische Darstellung der doppelten Buchhaltung im Jahre 1494 vor.6 Obwohl die doppelte Buchführung neben anderen Finanzierungs- und Kalkulati- onstechniken in Oberitalien schon vorher zur Anwendung kam, ist die Arbeit Paciolis für den Aufstieg der Betriebswirtschaftslehre von unschätzbarem Wert, auch wenn Unklarheit dar-über besteht, ob sich Pacioli zum Teil auf vorliegende, aber noch unveröffentlichte Manu- skripte bezogen hat. Jedenfalls gebührt ihm die Anerkennung,über das Prinzip der Doppik als erster eine inhaltlich und formal zufrieden stellende Publikation herausgebracht zu haben.1
Als letzter italienische Wissenschaftler sei der Genueser Kaufmann Giovanni Domenico Peri zu nennen, mit dessen Gedanken der Übergang von der Kommerzienkunde zur Merkantilwis- senschaft eingeleitet wurde.2 Sein Werk, „Il Negotiante“, 1638 erschienen, gilt als erster Bau- stein zu einem späteren Lehrgebäude der Handlungswissenschaft.3 Esübertrifft inhaltlich weit die Aussagen seiner Vorgänger. Durch die vielseitigen Abhandlungen wird seine Nieder- schrift zu einer fruchtbaren Fundgrube an kaufmännischem Wissen und stellt dadurch ein interessantes Buch zum Selbstunterrichtszweck für damalige zukünftige Kaufleute dar, auch wenn es in vielen Passagen als zu tiefgründig erachtet wurde.4 Peri versuchte, neben einer systematischen Lehre vom Handel, auch ein kaufmännisches Nachschlagewerk zu erstellen, welches Angaben zu Münzen, Maße, Gewichte und geografische Hinweise enthielt. Von da an wollten nachfolgende Autoren ebenfalls diese Art von Literatur gestalten, in dem sie Bü- cher vom Handel verfassten, die gleichzeitig eine Datensammlung sowie eine methodische Lehre beinhalteten.5
Weitere italienischer Autoren waren zum Beispiel Domenico Manzoni und Benedetto Cotrugli, welche zwar zur Entwicklung der Kommerzienkunde beigetragen haben, aber in ihrer Bedeutung hinter Pisano, Pacioli und Peri stehen. Auch auf deutschem Boden gab es Autoren wie Matheus Schwarz, Henricus Grammateus und Lorenz Meder, die aber wenig Einfluss im Vergleich zu den Italienern auf die Entwicklung der Einzelwirtschaftslehre hatten. Daraus ist zu entnehmen, dass die Italiener den größten Einfluss auf die Entwicklung der Kommerzienkunde nahmen, auch wenn sich der wissenschaftliche Fortschritt nur sehr lang- sam vollzog. Somit bleibt festzuhalten, dass es fast 500 Jahre dauerte, sich von der einfachen Kaufmannsarithmetiküber die Buchhaltung bis hin zur Geschäftstechnik zu entwickeln.6
3.2. Merkantilismus
Unter Merkantilismus, der die Kommerzienkunde ablöste, versteht man die Gesamtheit der volkswirtschaftspolitischen Ideen und Maßnahmen in der Zeit des Absolutismus. Zeitlich ist der Merkantilismus in etwa von 1650 bis 1800 anzusiedeln und erreichte in Frankreich unter Ludwig XIV. seine vollste Ausgestaltung und größte Bedeutung. Hingegen erlangte er seine höchste Blüte in Deutschland erst, nachdem er in anderen Ländern schon wieder an Bedeu- tung verlor.1
In Frankreich entwickelte sich der Merkantilismus unter Ludwig XIV. und unter Colbert (französischer Finanz- und Wirtschaftsminister) zu einem Gewerbemerkantilismus, welcher sich in einer intensiven Gewerbeförderung im Inland und einem System von Schutzzöllen nach außen ausdrückte. Eine spezielle Form des Handels- und Agrarmerkantilismus entwickelte sich in England und in Holland. In Deutschland bildete sich eine Gestaltungsform mit der Bezeichnung Kameralismus heraus, die hauptsächlich eine Lehre vom fürstlichen Haushalt und der ertragreichsten Gestaltung der Staatseinkünfte war.2
Zu den wichtigsten Vertretern der Merkantilwissenschaft gehören der Franzose Jacques Savary (1622-1690) und der Deutsche Paul Jacob Marperger (1656-1730).3
Die Kritik, die an dem Autor Peri lastete (ungleichmäßige, lückenhafte Stoffbehandlung und das Fehlen jeder systematischen Ordnung), schließt die Anerkennung einer wissenschaftli- chen Behandlung aus. Jedoch kann bei dem Werk von Savary „Le parfait negociant“ („Voll- kommenen Kauff- und Handelsmann“, deutsche Übersetzung von 1676) von einer systemati- schen, wissenschaftlichen Bearbeitung des Stoffes gesprochen werden, was dagegen bei sei- nen Vorläufern noch nicht der Fall war. Deshalb bezeichnet Seyffert die mit Savary begin- nende Epoche als die Zeit der systematischen Handlungswissenschaft und ordnet die davor liegende Periode in die Frühzeit der verkehrs- und rechentechnischen Anleitungen ein.4 Wie schon bekannt, bezeichnet Sundhoff die Zeit vor Savary als Kommerzienkunde und die Zeit mit Savary als Merkantilismus, was aber nach meinem Verständnis als eine rein unterschied- liche Bezeichnung aufzufassen ist. Auf eine tiefere, Literaturbezogene Betrachtung der Auto- ren Savary und Marperger wird verzichtet. Festzuhalten bleibt allerdings, dass Savary auf französischem Boden als Begründer der Handelswissenschaften zu sehen ist und einen enor- men Einfluss auf die Entwicklung der Einzelwirtschaftslehre ausübte. Ebenso gilt dies für Marperger, der an mehreren europäischen Höfen als Kameralist tätig war, jedoch nicht ganz die wissenschaftliche Bedeutung des Franzosen erreicht hat. Er muss aber für Deutschland als Wegbereiter der Handelswissenschaften angesehen werden, da er die Lehren Savarys verbreitet und weiter ausgeformt hatte.
An dieser Stelle muss darauf verwiesen werden, dass zwar an dem Italiener Peri große Kritik geübt wurde, er jedoch die stoffliche Grundlage bot, auf die Savary und Marperger zurückgreifen konnten. Ohne diese günstige Ausgangssituation hätten vermutlich die beiden Autoren nie in ihre Rolle als Begründer und Übermittler schlüpfen können.
Der Gegenstand der weiteren entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung ist die deutsche Ausprägung des Merkantilismus, der Kameralismus.
3.2.1. Kameralismus
Die Bezeichnung Kameralismus geht auf die Kammer bzw. camera zurück, genau wie der Sprachgebrauch Kameralistik, der heute noch im Rechnungswesen deröffentlichen Hand sei- ne Anwendung findet. Der Kameralismus verstand seine Aufgabe darin, die Finanzwirtschaft des Fürsten und des von ihm regierten Staates aufs ertragreichste zu gestalten.1 Daraus erga- ben sich drei Bereiche, deren Gegenstände als Fiscal-, Polizey- und Oeconomiesachen be- zeichnet wurden. In den zwei zuerst genannten Bereichen handelt es sich um die Beschäfti- gung mit wirtschaftlichen Fragen auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik, dagegen geht es bei den Oeconomiesachen um einzelwirtschaftliche Problemstellungen.2 Die sich aus den Teilbereichen herausbildende Fiscalwissenschaft kann als Vorläufer der heutigen volks- wirtschaftlichen Teildisziplin der Finanzwissenschaft aufgefasst werden. Ebenso kann die Polizeywissenschaft (Verwaltungslehre) als Vorstufe zur heutigen Volkswirtschaftspolitik, die eine weitere Teildisziplin der Volkswirtschaftslehre ist, angesehen werden. Festzuhalten bleibt, dass die Oeconomiewissenschaft betriebswirtschaftlich orientiert war und zugleich eine Hilfsdisziplin für die Polizeywissenschaft darstellte. Weiterhin gewann sie an Bedeutung, weil die Fiscalisten ebensoüber privatwirtschaftliches Wissen verfügen mussten und nicht nurüber Kenntnisse in ihrem eigenen Bereich. Die Oeconomiewissenschaft, welche auch un- ter den Namen Privatökonomik oder Gewerbswissenschaft bekannt ist, untergliederte sich im Verlauf der Zeit in weitere Teildisziplinen, auf die im Rahmen dieser Betrachtung nicht näher eingegangen werden soll.1
Eine Vielzahl von Autoren widmete sich dem Gebiet der Kameralwissenschaft. Zu den be- deutenden Namen, die im Zusammenhang mit der Einführung der Kameralwissenschaft als Hochschulfach zu erwähnen sind, gehören Ludwig von Seckendorff (1626-1692), Simon Pe- ter Gasser (1676-1745) und Christoph Dithmar. Sie waren neben den außerakademischen Merkantilisten wie Savary und Marperger, von großer Bedeutung.2 Als Hochschulwissen- schaft verselbständigte sich die Kameralwissenschaft ab 1727, in dem Friedrich Wilhelm I. von Preußen in Halle und Frankfurt/Oder, die ersten, dem Inhalt nach betriebswirtschaftli- chen, Lehrstühle errichten ließ. Simon Peter Gasser gilt als erster Inhaber des kameralwissen- schaftlichen Lehrstuhls in Halle. In seinem Lehrbuch behandelt er intensiv die Vorkalkulatio- nen zur Gebäudeunterhaltung sowie die Planung im Sinne einer Vorschaurechnung.3 In Frankfurt/Oder besetzt nur wenig später Christoph Dithmar den Lehrstuhl für Kameralwissen- schaften. Weiterhin sind als ältere Kameralisten Johann Joachim Becher (1625/1635 - 1682/1685), Georg Heinrich Zincke (1692-1769) und Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717-1771) zu nennen. Zu den jüngeren Kameralisten zählen Joseph von Sonnenfels (1733- 1817), Johann Beckmann (1739-1811) und Johann Heinrich Jung (1740-1817), welche sich aber nur sehr wenig mit der Privatökonomik auseinandersetzten.4
Mit Sonnenfels, Beckmann und Jung kann die Merkantilwissenschaft als beendet erachtet werden. Ihre Ablösung erfolgte durch die Handlungswissenschaft sowie durch das wirt- schaftsliberale Gedankengut. Die Merkantilwissenschaft verschwand und viele Teile ihrer Disziplin wurden durch die Handlungswissenschaftübernommen und von Ludovici und Leuchs weiterentwickelt. Die hauptsächliche Ursache für den Untergang der Merkantilwis- senschaft ist auf Adam Smith zurückzuführen, der die Lehren des Merkantilismus durch die von ihm begründete klassische Nationalökonomik widerlegte. Aus dem Zusammenbruch des Merkantilismus folgte ebenso der Niedergang des Kameralismus. Vom Bereich der Fiscalwis- senschaft wandte man sich ab und der volkswirtschaftlichen Finanzwissenschaft zu. Die Poli- zeywissenschaft wurde durch die Volkswirtschaftstheorie und -politik abgelöst. Auch die Oeconomiewissenschaft blieb nicht unberührt und es kam ebenfalls zu Veränderungen, die aber in den einzelnen Teildisziplinen unterschiedlich verliefen.1
Zusammenfassend ist zu vermerken, dass letztendlich der Liberalismus den Merkantilismus abgelöst hat. Als Folge davon wurden die Kameralwissenschaften durch die Nationalökono- mie verdrängt. Erst mit Ludovici gelingt es der Handlungswissenschaft, die etwa in 1750 bis 1900 anzusiedeln ist, sich als selbständige Disziplin aus der Kameralwissenschaft herauszu- bilden.2
3.2.2. Landwirtschaftliche Betriebslehre und Staatsrechnungswissenschaft
Nachdem die Kameralwissensschaft geradezu von der klassischen Nationalökonomieüber- rollt wurde, blieben an den Hochschulen des deutschen Sprachraumes nur zwei Zweige des einzelwirtschaftlichen Astes der Kameralwissesnschaft erhalten, die landwirtschaftliche Be- triebslehre einerseits und die Staatsrechnungswissenschaft imösterreichischen Kaiserreich andererseits.3
Auf die beiden Zweige soll folgend kurz eingegangen werden, wobei aber anzufügen ist, dass in der Literatur nach meinen Kenntnissen nur Dieter Schneider die landwirtschaftliche Betriebslehre als möglichen Vorläufer der Betriebswirtschaftslehre im Sinne einer praktischnormativen Unternehmensführungslehre ansieht.4
Schneider sieht in der landwirtschaftlichen Betriebslehre ein Vorbild für die praktisch gestal- tende Betriebswirtschaftslehre. Dabei sind die zwei Namen Albrecht Daniel Thaer und Johann Heinrich von Thünen hervorzuheben. Thaer beschreibt als erster den Denkstil einer anwen- dungsbezogenen Wissenschaft. Für ihn kann ein Gewerbe handwerksmäßig, kunstmäßig und wissenschaftlich gelehrt und erlernt werden. Dabei gibt die Wissenschaft selbst das Gesetz und die Kunst führt es aus. Thaer war gegen Universitätslehrstühle, aber für die Errichtung landwirtschaftlicher Musteranstalten, von denen er selbst eine gründete. Thünen bringt als erster die heute allgemein anerkannten Optimumregeln hervor, wie die Ausweitung der Pro- duktion, bis das erzeugte Gut des letzten Arbeiters durch seinen Lohn, den er bekommt, auf- gezehrt wird. 1826 stellt er fest, dass die Bodenrente nicht Kosten-, sondern Gewinnbestand- teil ist und erfindet 1850 die Grenzproduktivitätstheorie der Entlohnung neu. Am bekanntesten ist seine Standortlehre, die Thün’schen Kreise. 1
Für Schneider ist die Staatsrechnungswissenschaft als Vorläuferwissenschaft vom Rechnungswesen anzusehen und nicht die kaufmännische Buchhaltung. Auch wenn er feststellt, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die sich entwickelnde Lehre vom Rechnungswesen nicht auf die Quellen der Staatsrechnungswissenschaft zurückgreift.
Die Finanzen der Herrscher (Könige, Fürsten) beruhten selten auf Steuerhebungen im 19. Jahrhundert, da sie dafür die Zustimmung der Stände bedurft hätten, sondernüberwiegend auf Erwerbseinkünfte (Domänen, Manufakturen, Erzgewinnungsrechte in Bergwerken). Aus die- sem Grund war eine Dokumentation der Einnahmen und Ausgaben wegen des Umfangs die- ser ‚Staatsbetriebe’2 notwendig, die aber nur sehr unzureichend erfolgte. Dadurch entstanden Überlegungen, um das Rechnungswesen zu verbessern. Die gewonnenen Erkenntnisse, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll, wurden erstmals nach 1760 an derösterreichischen Hofrechnungskammer realisiert. Die Hofrechnungskammer bemühte sich um die Förderung des Unterrichts im Rechnungswesen. Als Folge entstanden dann in Wien und später an anderen Hochschulen des Kaiserreichs in Österreich Lehrstühle für Staatsrech- nungswissenschaft.3 Schneider sieht im unbeachtet lassen der Staatsrechnungswissenschaft für die Entwicklung des Rechnungswesens vier Gründe. Zum einen das fehlende Interesse der Nationalökonomen an einzelwirtschaftlichen Fragen, welches als Folge die einzelwirtschaftli- chen Denkansätze des Staatsrechnungswesens verdrängte. Zweitens die Arroganz der Kauf- leute und Industriellen des 19. Jahrhunderts, in dem sie wissenschaftliche Empfehlungen ab- wiesen. Drittens sieht er einen weiteren Grund in der Fehlentwicklung des Bilanzrechts, und als letzten Punkt verweist er auf das mangelnde wissenschaftsgeschichtliche Interesse der Betriebswirtschaftler, in dem sie wertvolle Quellen nicht beachteten und kritiklos dem schö- nen Schein des Betriebsvergleichs nachliefen.4
3.3. Die Handlungswissenschaft
Die Handlungswissenschaft kann zeitlich etwa in den Rahmen von 1750 bis 1900 eingeordnet werden. Hierdurch zeigt sich, dass sich die Handlungswissenschaft etwa 50 Jahre mit der Merkantilwissenschaftüberschneidet. Das lässt darauf schließen, dass die beiden Epochen nicht völlig voneinander losgelöst zu betrachten sind, sondern die Arbeiten des Merkantilis- mus eine Grundlage für die Autoren der Handlungswissenschaft darstellten. Nach Sundhoff besteht der wesentlichste Unterschied der beiden Perioden darin, dass die Merkantilwissen- schaft den Charakter einer akzidentellen und die Handlungswissenschaft den Charakter einer essentiellen Disziplin besaß. Die vornehmlichste Aufgabe der Merkantilwissenschaft bestand in der Leistung die gesamtökonomischen Ziele zu erreichen. Dagegen war es die primäre Aufgabe der Handlungswissenschaft den privatwirtschaftlichen Zielen der Kaufleute gerecht zu werden.1
Die Handlungswissenschaft lässt sich zeitlich weiter in drei Abschnitte untergliedern. Der erste von etwa 1750 bis 1800. In dieser Phase fand ein bemerkenswerter Austausch zwischen der Handlungs- und Merkantilwissenschaft statt. Ihre Hauptvertreter sind Ludovici und Leuchs. Der zweite Abschnitt ist in etwa von 1800 bis 1850 anzusiedeln. Diese Phase ist auf- grund der Stagnation der wissenschaftlichen Leistungen eher von geringerer Bedeutung. Der letzte Abschnitt von 1850 bis 1900 wird als Periode des wissenschaftlichen Verfalls angese- hen.2
Carl Günther Ludovici (1707-1778), Leipziger Professor der Philosophie, steht der Merkan- tilwissenschaft am nächsten. Er gilt aber als erster akademischer Vertreter der Handlungswis- senschaft und beginnt diese als selbständige Disziplin im Rahmen der Kameralwissenschaften zu entwickeln.3 Sein fünfbändiges Werk, „Die eröffnete Akademie der Kaufleute oder voll- ständiges Kaufmannslexikon“ (1752-1756), war für die weitere Entwicklung von großem Wert. Erkennbar ist, dass sich Ludovici in seinen Ausführungen weitestgehend auf die Ar- beiten von Savary und Marperger bezieht. Dennoch gilt sein Werk als gewaltige Arbeitsleis- tung. Er wird mehr als Forscher gesehen, der den Stoff sammelt, aufspürt und systematisiert, aber weniger Eigenes erarbeitet. Seine Bedeutung für die Betriebswirtschaftslehre besteht in der Veröffentlichung des ersten und damals besten Handlexikons, sowie in der klaren Syste- matik der Kaufmannswissenschaften im Allgemeinen und der Handlungswissenschaften im Besonderen.4
Als weiteren bedeutenden Autor, der in der Zeit zwischen Ludovici und Leuchs tätig war, ist Johann Carl May anzuführen. May ist durch sein 1763 erschienenes Werk „Versuch einer allgemeinen Einleitung in die Handlungswissenschaft“ bekannt geworden. Er verwendet, trotz der Anlehnung an Ludovici und Savary, eine eigene Systematik. Indem er die Handlungswis- senschaft in einen allgemeinen (theoretischen) und einen besonderen (praktischen) Teil un- terteilt. Diese Systematik wird auch heute noch in der Wirtschaftswissenschaft gehandhabt.1
Von den im ersten Abschnitt ebenfalls veröffentlichten Schriften sollen nur die von Samuel Jacob Schröckh („Einleitung zu einer allgemeinen Erkenntniß der Handlungswissenschaft“ (1769-1770)) und die von Gerhard Heinrich Buse („Das Ganze der Handlung oder vollständi- ges Handbuch der vorzüglichsten Handlungskenntnisse“ (1798-1821)) erwähnt werden.2
Am Ende des ersten Abschnitts steht Johann Michael Leuchs (1763-1836), der gleichzeitig den Höhepunkt der systematischen Handlungswissenschaft einleitete, nachdem sie zuvor mit Ludovici ihren eigentlichen Anfang nahm. Sein Hauptwerk „System des Handels“ ist 1804 erschienen. Seyffert sagt dazu: „Es ist das letzte und zugleich wissenschaftlich beachtlichste Werk der so fruchtbaren Zeit der systematischen Handlungswissenschaft.“3 Leuchs behandelt sein Werk in drei Bänden, wobei er sich erstens mit der Privathandlungswissenschaft, zwei- tens mit der Staatshandlungswissenschaft und drittens mit der Handelskunde, die er aber nicht mehr als Teil seiner wissenschaftlichen Darstellung betrachtete, auseinandergesetzt hat.4
Festzuhalten bleibt, dass der erste Abschnitt nicht nur durch die Quantität der erschienenen Werke hervortritt, sondern ganz besonders durch die Qualität, wie dies aus verschiedenen Gründen in den anschließenden Perioden nicht mehr der Fall sein wird. Zusätzlich erfuhr die Handlungswissenschaft einen Aufschwung durch die wiederholte Gründung von Fachzeit- schriften, die sich aber nicht etablieren konnten. Wahrscheinlich aus mangelnden Kenntnis- stand und Interesse des Großteils der Kaufleute. Aus diesem Grund kam es vermutlich auch zur Stagnation im zweiten Abschnitt der Handlungswissenschaft. Denn das Niveau von Lu- dovici und Leuchs lag bei weitemüber dem in der Praxis verwertbaren Wissen. Daraus resul- tierte, dass die Handelschulen ihre Ziele auf die bloße Vermittlung von Handelstechnik und Handelskunde reduzierten. Dies, sowie das stark ansteigende technische Wissen und die Ab- wendung von der hochschulmäßigen Pflege der Handelswissenschaft sind Ursachen für das Ausbleiben neuer Veröffentlichungen, die einen tatsächlichen Fortschritt beabsichtigten.5 Als wichtigste, neben einer Vielzahl von Vertretern für den zweiten Abschnitt, sind Johann Georg Büsch, August Schiebe und E. J. V. Lorenz zu nennen. Auf deren Leistungen soll hier nicht näher eingegangen werden, weil sie keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse auf den Weg brachten. Dies gilt auch für die Vertreter des letzten Abschnittes. Auch von dieser um- fangreichen Anzahl an Autoren sollen nur die bedeutendsten hervorgehoben werden. Zu ihnen gehören Louis Rothschild, C. F. Findeisen und Rudolf Sonndorfer. Auch ihre Werke erschie- nen in mehreren Auflagen und sie waren für ihren Zweck gut geeignet, allerdings war der Zweck kein wissenschaftlicher. Dadurch waren sie für die Entwicklung der Betriebswirt- schaftslehre von weniger Bedeutung.1
Folglich ist zu sagen, dass mit Ludovici, May und Leuchs brauchbare Lehrbücher der Hand- lungswissenschaft geschaffen wurden, die darauf hoffen ließen, einen gewaltigen Ausbau der Handlungswissenschaft zu erreichen. Trotz der weiteren Fülle an Literatur, setzte mit dem 19. Jahrhundert ein rascher Verfall der hoffnungsvollen Bewegung der Handlungswissenschaft ein. Die Abwendung von dieser Disziplin war so stark, dass nach 1870 alle Erinnerungen an die Entwicklung bis hin zu Leuchs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verloren gingen. Als Gründe für die fast hundertjährige „Pause“ in der Forschung und Lehre der Betriebswirt- schaft sind die abwartende, sogar ablehnende Haltung der kaufmännischen Praxis gegenüber der Handlungswissenschaft und der Zuwendung zur rapiden Entwicklung der Technik, teils die Umgestaltung des Handelsschulwesens nach Organisationen und Lehrzielen und teils in der Entwicklung der Kameralwissenschaft zur Volkswirtschaftslehre zu nennen.2
Weiterhin entstehen zu Beginn des 19. Jahrhunderts viele Untersuchungen zu anderen Wirt- schaftszweigen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Betriebswirtschaftslehre den Weg hätten weisen können, wenn sie zur Kenntnis und sorgfältiger ausgewertet worden wä- ren. Dionysius Lardner, Begründer der Kostentheorie, ist der erste Autor, der das Eisenbahn- wesen umfassend behandelt hat, was sich zugleich auch in der von ihm verfassten ersten In- dustrie- bzw. Verkehrsbetriebslehre zeigt. Die Eisenbahngesellschaften zählten zu den ersten Unternehmungen, für die das Anlagevermögen enorm an Bedeutung gewann. Jean-Gustave Courcelle-Seneuil verfasst eine allgemeine, Landwirtschaft, Handel und Industrie umfassende modernisierte kameralwissenschaftliche Erwerbslehre. Karl Bernhard Arwed Emminghaus erkennt die Notwendigkeit die Privatwirtschaftslehre von der Volkswirtschaftslehre zu tren- nen und eine rationale Gewerkslehre (Industriebetriebslehre, ohne Bergbau) zu erschaffen.1
Die drei Autoren Lardner, Courcelle-Seneuil und Emminghaus hätten für Schneider eine wis- senschaftliche Gemeinschaft, wie die praktisch-gestaltende Betriebswirtschaftslehre heutiger Prägung, bilden können. Jedoch verliefen ihre Wege in andere Richtungen, die eine solche Gemeinschaft nicht hervorbringen konnten. Zudem waren ihre Lebensumstände durch die abwertende Haltung der Nationalökonomen gegenüber einzelwirtschaftlichen Denkens ge- kennzeichnet. Auch der Umstand, dass sie zwar Lösungsansätze auf praktisch-gestaltende Problemstellungen geben konnten, aber keine Regeln für Abstraktionen, bewirkte, dass sich die praktisch-gestaltende Betriebswirtschaftslehre nicht ein halbes Jahrhundert früher begrün- den konnte.2
Der Verfall der Handlungswissenschaft musste aus den angeführten Gründen akzeptiert werden. Auch die aus heutiger Sicht recht hoffnungsvollen Ansätze von Lardner, CourcelleSeneuil, Emminghaus und ebenfalls auch Lindwurm, die für die Entwicklung der modernen Betriebswirtschaftslehre richtungweisend gewesen wären, müssen, bedauerlicherweise, als vergebene Chance hingenommen werden. Trotz dieser prekären Situation und der Zeit des Niedergangs der Handlungswissenschaft führt die neu aufflammende Handelshochschulidee die Betriebswirtschaftslehre aus ihrer Misere heraus.
4. Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre von 1898 bis zum zweiten Welt- krieg
4.1. Verselbständigung der akademischen Betriebswirtschaftslehre
Mit dem Niedergang der Handlungswissenschaft und dem Aufschwung der Nationalökono- mie durch denökonomischen Liberalismus, was zugleich eine Loslösung der Volkswirt- schaftslehre von den Kameralwissenschaften nach sich zog, konnte sich die Volkswirt- schaftslehre an allen Universitäten etablieren. Weitere volkswirtschaftliche Lehrstühle wurden eingerichtet, doch der Handlungswissenschaft gelang es nicht Anschluss an die neuen wirt- schaftlichen Bewegungen zu finden. Durch den Verfall der Kameralwissenschaften sowie der Handlungswissenschaften blieb lediglich eine Kunde von der Technik, der Buchhaltung, des Schriftverkehrs, der Maße, Gewichte, Münzen u. a.übrig, aber keine Wissenschaft.1
Die rapide industrielle Revolution im 19. Jahrhundert, das enorme Bevölkerungswachstum, die fortschreitende Arbeitsteilung, die Masse an Erfindungen und vieles mehr, führten zu ei- nem starken Wachstum der Wirtschaft, zu einer Unübersichtlichkeit der Verhältnisse und zu einer Erschwerung wirtschaftlicher Probleme. Schnell stellte man fest, dass die Probleme aus einer praktischen Lehre und aus der Ausbildung an einer Handelslehranstalt heraus nicht lös- bar waren. Die zunehmenden fachlichen Anforderungen an die kaufmännischen Führungs- kräfte ließen die Forderung nach einer akademischen Ausbildung aufkommen. Die Idee zur Gründung von Handelshochschulen kam erstmals im 18. Jahrhundert auf. Marperger machte schon 1715 einen solchen Vorschlag und wiederholte ihn 1723. Ähnliche Ansprüche stellten Rohr 1718, Lau 1719, Weiz 1728, der Abt Jerusalem 1745, Ludovici 1756 und Müller 1787. Die permanente Forderung nach einer akademischen Ausbildung führte zunächst zur Grün- dung von Handelsakademien (bedeutsame waren Hamburg, Nürnberg, Braunschweig, Leip- zig). Jedoch erreichten sie nie Hochschulniveau. Trotz ihrer starken Verbreitung fielen sie in ihrer Lehre unter das Niveau, das die Kameral- und Handlungswissenschaften besaßen.2
Der weiter zunehmende Mangel an Kaufleuten mit akademischen Kenntnissen auf allen Wirt- schaftsgebieten sowie der Mangel an gut ausgebildeten Handelslehrern, führte 1895 zur Gründung des „Deutschen Verbandes für das kaufmännische Unterrichtswesen.“ Von diesem Verband aus erfolgte die Verkündung der Handelshochschulidee in der Öffentlichkeit, was dann letztendlich zur Errichtung der ersten Handelshochschulen in Wien, Leipzig und Aachen im Jahre 1898 führte. In wenigen Jahren folgten weitere Hochschulgründungen, wie in Köln und Frankfurt 1901, Berlin 1906, Mannheim 1908, München 1910, Königsberg 1915 und Nürnberg 1919. Nachdem die Betriebswirtschaftslehre Hochschuldisziplin geworden war, wurden ihr jetzt an deutschen Universitäten entsprechende Lehrstühle zuerkannt, was aller- dings nur sehr schleppend erfolgte.3
Die Gründung der Handelshochschulen kann als die Geburtsstunde der Betriebswirtschafts- lehre angesehen werden.4 Doch Schneider wendet sich gegen diese Meinung in den Lehr- buchdarstellungen. Für ihn sind die Handelshochschulen entstanden, weil sie die Allgemein-
[...]
1 Vgl. Peters, S., Brühl, R., Stelling, J. N., Betriebswirtschaftslehre, 2000, S. 1.
2 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 22f.
3 Vgl. Schult, E., Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 1984, S.59f.
4 Vgl. Zahn, E., Schmid, U., Produktionswirtschaft, 1996, S. 1f.
1 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 24.
2 Vgl. Zahn, E., Schmid, U., Produktionswirtschaft, 1996, S. 2-4.
3 Vgl. Busse von Colbe, W., Lassmann, G., Betriebswirtschaftstheorie, 1991, S. 3.
4 Vgl. Schweitzer, M., Betriebswirtschaftslehre, 2000, S. 24.
5 Vgl. Preitz, O., Betriebswirtschaftslehre, 1974, S. 26.
1 Vgl. Peters, S., Brühl, R., Stelling, J. N., Betriebswirtschaftslehre, 2000, S. 5.
2 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 27.
3 Vgl. Wolff, R., Betriebswirtschaftslehre, 1983, S. 17.
4 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 56.
1 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S.17.
2 Vgl. Schweitzer, M., Grundfragen, 2000, S. 1.
3 Vgl. Bellinger, B., Geschichte, 1967, S. 12.
1 Vgl. Schweitzer, M., Grundfragen, 2000, S. 1f.
2 Vgl. Schneider, D., Grundlagen, 1995, S. 218.
3 Vgl. Seyffert, R., Begriff, 1971, S. 32.
1 Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 18.
2 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 18f.
3 Vgl. Bellinger, B., Geschichte, 1967, S. 21f.
4 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 19.
1 Vgl. Gutenberg, E., Einführung, 1958, S. 15.
2 Vgl. Löffelholz, J., Repititorium, 1980, S. 63.
3 Vgl. Zimmerer, C., Kompendium, 1971, S. 11.
4 Vgl. Weber, E., Literaturgeschichte, 1990, S. 7.
5 Vgl. Löffelholz, J., Repititorium, 1980, S. 63.
6 Vgl. Penndorf, B., Entwicklung, 1971, S. 9.
1 Vgl. Bellinger, B., Geschichte, 1967, S. 23.
2 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 22.
3 Vgl. Vgl. Bellinger, B., Geschichte, 1967, S. 29ff.
4 Vgl. Weber, E., Literaturgeschichte, 1990, S. 9-11.
5 Vgl. Leitherer, E., Geschichte, 1961, S. 41.
6 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 24.
1 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 81.
2 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 61.
3 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 85.
4 Vgl. Seyffert, R., Begriff, 1971, S. 34ff.
1 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 82.
2 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 61.
1 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 82-84.
2 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 86.
3 Vgl. Schneider, D., Geschichte, 1999, S. 6.
4 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 86-91.
1 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 92.
2 Vgl. Busse von Colbe, W., Lassmann, G., Betriebswirtschaftstheorie, 1991, S. 13.
3 Vgl. Schneider, D., Grundlagen, 1995, S. 223.
4 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 56.
1 Vgl. Schneider, D., Grundlagen, 1995, S. 224f.
2 Schneider, D., Grundlagen, 1995, S. 226.
3 Vgl. Schneider, D., Grundlagen, 1995, S. 226ff.
4 Vgl. Schneider, D., Betriebswirtschaftslehre, 1985, S. 124f.
1 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 149f.
2 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 153f.
3 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 62f.
4 Vgl. Seyffert, R., Begriff, 1971, S. 38f.
1 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 63.
2 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 155.
3 Seyffert, R., Begriff, 1971, S. 41.
4 Vgl. Bellinger, B., Geschichte, 1967, S. 33ff.
5 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 156.
1 Vgl. Sundhoff, E., Handelswissenschaft, 1991, S. 156ff.
2 Vgl. Weber, E., Literaturgeschichte, 1990, S. 111.
1 Vgl. Schneider, D., Geschichte, 1999, S. 8f.
2 Vgl. Schneider, D., Betriebswirtschaftslehre, 1985, S. 128.
1 Vgl. Wöhe, G., Einführung, 2000, S. 64.
2 Vgl. Bellinger, B., Geschichte, 1967, S. 49f.
3 Vgl. Lehmann, M. R., Betriebswirtschaftslehre, 1956, S. 329.
4 Vgl. Schweitzer, M., Grundfragen, 2000, S. 4.
- Quote paper
- Jens Huke (Author), Frank Kanngießer (Author), Christopher Schröder (Author), 2002, Entwicklungsgeschichte und alternative Sichtweisen der Theorie der Unternehmung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19289
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