In Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ wird die Ehe der beiden Protagonisten, Albertine und Fridolin, einer Prüfung unterzogen. Zentral sind dabei Fridolins Erlebnisse in der ersten Nacht und ihre Verarbeitung danach, in einer erzählten Zeit von knapp zwei Tagen sowie die Traumerzählung seiner Gattin.
Die Forschung weist vielfach darauf hin, dass zwischen den Zeitgenossen Sigmund Freud und Arthur Schnitzler eine „Doppelgängersituation“ besteht. Damit ist gemeint, dass Sigmund Freuds Entwicklungen und Forschungen im Werk von Arthur Schnitzler literarisch gespiegelt werden. Diese Verschränkung von Wissenschaft, konkret der Psychoanalyse, und Literatur wird in der Sekundärliteratur kritisch abgrenzend betrachtet und selten an konkreten Werken und ihrer Analyse bearbeitet. (...)
Die Thesen, die dieser Arbeit den roten Faden geben, lauten darum:
1.) Arthur Schnitzler schafft durch sein Erzählen an den Hauptfiguren der Novelle, dem Arzt Fridolin und seiner Gattin Albertine, eine Allegorese der Theorie von Sigmund Freud über den psychischen Apparat (Es, Ich und Über-Ich), wie sich dies in Freuds Schriften „Jenseits vom Lustprinzip“ (1920) und „Das Ich und das Es“ (1923) ausgeführt findet. Schnitzler „maskiert“ mit der Sprache seines Erzählens Freuds Instanzenmodell der Persönlichkeit und die Theorie der zwei Haupttriebe, Eros (Lebenstrieb) und Thanatos (Destruktionstrieb). Anhand einer Textstruktur- und Motivanalyse wird gezeigt, welchen Einfluss Freuds Denken auf die erzählerische Gestaltung der beiden Protagonisten hat.
2.) Der auktoriale Erzähler der Novelle tritt als „Therapeut“ auf, das Erzählverhalten zeigt Parallelen zum Handeln eines Analytikers. Schnitzler macht sich für sein Erzählen nutzbar, was Freud in seiner psychoanalytischen Praxis zugeschrieben wird: diese zeige Verwandtschaft zum Auslegen des Talmuds.
3.) Die Gestaltung der Hauptfiguren und des Erzählverhaltens verweisen auf ein jüdisches Verständnis von Ehe: Die rasch mögliche Brüchigkeit der Ehe, und wie Schnitzler von ihr erzählt, steht in der „Traumnovelle“ als Symbol für eine jüdische Lebenswelt, die unter Druck gerät. Dies wird in einzelne Motive eingebettet, die die wachsende Isolierung jüdischen Bürgertums und das Aufflackern einer deutschnationalen Haltung im Ausklang der Wiener Moderne darstellen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“
2.1. Entstehung
2.2. Textvarianten und -ausgaben
2.3. Der Inhalt von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“
2.4. Arthur Schnitzler
3. Sigmund Freud und Arthur Schnitzler
3.1. Sigmund Freud und die Psychoanalyse
3.1.1. Das Persönlichkeitsmodell von Sigmund Freud
3.1.2. Der Traum, Traumbildung und Traumdeutung
3.2. Zwei Zeitgenossen in einer „Art von Doppelgängerscheu“
4. Das poetische Sein der Psychoanalyse: Motive und Erzählverhalten in der „Traumnovelle“
4.1. Verführbarkeit in Sprache und Erzählstruktur: Die Darstellung der Ehe
4.2. Der Tod und das Mädchen: Fridolin am Beginn seiner Reise
4.3. Fridolins Reise durch die erste Nacht
4.4. Die geheime Gesellschaft am Galitzinberg
4.5. Albertines Traum
5. Der Erzähler als „Therapeut“
6. Das jüdische Leben in Wien um die Jahrhundertwende
6.1. Die jüdische Ehe als Symbol
6.2. Das andere jüdische Leben: Nachtigall
6.3. Das Aufflackern des Deutschnationalen in der „Traumnovelle“
7. Standpunkte: Psychoanalyse und ihr Einfluss auf die „Traumnovelle“
8. Innerlichkeit erzeugt eine Diagnose der Lebenswelt: Eine Zusammenfassung
9. Literaturverzeichnis
9.1. Primärliteratur
9.2. Sekundärliteratur
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