Selbst ein knappes Jahrhundert nach der Erstveröffentlichung von Franz Kafkas „Die Verwandlung“ ist der Text immer noch eine Herausforderung für Übersetzer, wie ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit wieder einmal eindringlich bewiesen hat. In einer englischen, anlässlich des 125. Geburtstags des Autors besorgten Übersetzung, konfrontiert der Übersetzer Michael Hofmann den Leser gleich auf der ersten Seite mit der Bezeichnung Gregor Samsas als ‚monströse Kakerlake‘1 und entfachte damit erneut einen schon lange schwelenden Disput über die Natur des von Kafka umschriebenen Ungeziefers. Dies mag dem Kenner der Originalfassung übertrieben erscheinen, doch in der anglo-amerikanischen Literaturkritik hat eben diese Diskussion bereits eine lange Tradition. So behandelte der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov in Vorlesungen über Kafkas Werk den Punkt ausführlich. Auf die Frage nach der Art des Ungeziefers welches Kafka darstellen wollte antwortet er:
Commentators say cockroach, which of course does not make sense. A cockroach is an insect that is flat in shape with large legs, and Gregor is anything but flat: he is convex on both sides, belly and back, and his legs are small. He approaches a cockroach in only one respect: his coloration is brown. That is all2. Als Insektenkenner fiel es Nabokov, trotz der vom Autor nur spärlich im Text verstreuten Hinweise, leicht, das Ungeziefer auf eine bestimmte Insektengruppe einzuengen und die Vorstellung Gregor Samsas als eine monströse Kakerlake abzutun. Er definierte die neue Erscheinungsform des Protagonisten als die einer Bettwanze, nicht einmal unähnlich der dahin geworfenen Bezeichnung der alten Dienstmagd gegen Ende der Geschichte, die Gregor mehrmals neckisch einen „Mistkäfer“3 nennt. Jedoch lässt allein die Tatsache, dass solche Fehlinterpretationen existieren, zumal in tausendfachem Druck, die Frage aufkommen, inwieweit eine Übersetzung des Textes überhaupt noch der ursprünglichen Intention des Autors nahekommt. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, sollte zuerst die Haltung Kafkas zu seinem Text bekannt sein.
Inhaltsverzeichnis
- Eine Frage der Übersetzung
- Die Undarstellbarkeit Gregor Samsas
- Peter Utz
- Stanley Corngold
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Herausforderungen der Übersetzung von Franz Kafkas "Die Verwandlung", insbesondere die Schwierigkeit, die Intention des Autors bezüglich der Beschreibung Gregors Verwandlung zu erfassen und adäquat wiederzugeben. Der Fokus liegt auf der Analyse der sprachlichen Nuancen im Originaltext und deren Übertragung ins Englische.
- Die Schwierigkeiten der Übersetzung von Kafkas stilistischen Mitteln.
- Die Bedeutung der Vagheit in Kafkas Beschreibung Gregors Verwandlung.
- Der Vergleich verschiedener Übersetzungen von "Die Verwandlung" und deren Interpretationen.
- Die semantische Analyse der Schlüsselwörter "ungeheuer" und "Ungeziefer".
- Die Rolle der Übersetzung bei der Interpretation des Textes.
Zusammenfassung der Kapitel
Eine Frage der Übersetzung: Der einleitende Abschnitt thematisiert die anhaltende Debatte um die Interpretation von Gregors Verwandlung in Kafkas "Die Verwandlung", ausgelöst durch unterschiedliche Übersetzungen, insbesondere die von Michael Hofmann, der Gregor als "monströse Kakerlake" bezeichnet. Diese Debatte wird im Kontext der angloamerikanischen Literaturkritik und Nabokovs Interpretationen beleuchtet, die Gregor eher als Bettwanze identifiziert. Die Frage nach der Genauigkeit von Übersetzungen und deren Nähe zur ursprünglichen Intention Kafkas wird aufgeworfen und bildet den Ausgangspunkt für die weitere Analyse.
Die Undarstellbarkeit Gregor Samsas: Dieses Kapitel konzentriert sich auf Kafkas eigenen Widerstand gegen eine zu konkrete visuelle Darstellung des Ungeziefers, wie in einem Brief an seinen Verleger deutlich wird. Kafka betonte die Bedeutung der sprachlichen Vagheit und den Eindruck, den seine Worte beim Leser hervorrufen sollten. Dies verdeutlicht die besondere Herausforderung für Übersetzer, die nicht nur die Worte, sondern auch die dahinterstehende Bedeutung und Intention erfassen müssen. Die sprachliche Vielschichtigkeit des Originaltextes wird hier als zentrale Herausforderung der Übersetzung hervorgehoben.
Peter Utz: Dieser Abschnitt präsentiert die Theorie des Germanisten Peter Utz, der Übersetzer als "Sprachsurfer" und Literaturwissenschaftler als "Sinntaucher" beschreibt. Utz betont die interpretatorische Herausforderung, der sowohl Übersetzer als auch Literaturwissenschaftler gegenüberstehen. Die Metapher des "Sprachsurfers" illustriert die Schwierigkeit, mit einem Text umzugehen, der nur wenige Anhaltspunkte für seine Interpretation bietet, insbesondere im Fall von Kafkas präziser und oft mehrdeutiger Sprache. Die Grenzen der Übersetzung bei der Erfassung der tieferen Bedeutung des Textes werden diskutiert.
Stanley Corngold: In diesem Kapitel wird die Übersetzung von Stanley Corngold (1972) mit der Übersetzung von Michael Hofmann verglichen. Die Analyse konzentriert sich auf die Übersetzung der Schlüsselwörter "ungeheuer" und "Ungeziefer". Es wird herausgearbeitet, wie Corngolds Wahl von "monstrous vermin" eine Distanz zum Protagonisten schafft und die semantischen Nuancen des deutschen Originals nur teilweise erfasst. Die unterschiedlichen Bedeutungsfelder von "ungeheuer" und die Schwierigkeiten, diese im Englischen adäquat zu übertragen, werden ausführlich erläutert. Die Problematik der Übersetzung von "Ungeziefer" wird im Kontext seiner historischen Bedeutung und seiner implizierten Beziehung zu Gregors sozialer Isolation diskutiert.
Schlüsselwörter
Franz Kafka, Die Verwandlung, Übersetzung, Interpretation, Ungeziefer, ungeheuer, sprachliche Vagheit, semantische Analyse, Stanley Corngold, Michael Hofmann, Vladimir Nabokov, Übersetzungsforschung.
Häufig gestellte Fragen zu "Die Undarstellbarkeit Gregor Samsas": Eine Analyse der Übersetzung von Kafkas "Die Verwandlung"
Was ist der Hauptfokus dieser Arbeit?
Die Arbeit analysiert die Herausforderungen der Übersetzung von Franz Kafkas "Die Verwandlung", insbesondere die Schwierigkeit, die Intention des Autors bezüglich der Beschreibung Gregors Verwandlung adäquat wiederzugeben. Der Fokus liegt auf der Analyse der sprachlichen Nuancen im Originaltext und deren Übertragung ins Englische, unter Berücksichtigung verschiedener Übersetzungen und ihrer Interpretationen.
Welche Themen werden im Detail behandelt?
Die Arbeit befasst sich mit den Schwierigkeiten der Übersetzung von Kafkas stilistischen Mitteln, der Bedeutung der Vagheit in Kafkas Beschreibung, dem Vergleich verschiedener Übersetzungen und deren Interpretationen, der semantischen Analyse von Schlüsselwörtern wie "ungeheuer" und "Ungeziefer", und der Rolle der Übersetzung bei der Interpretation des Textes.
Welche Übersetzungen werden verglichen?
Die Übersetzungen von Michael Hofmann und Stanley Corngold werden im Detail verglichen und hinsichtlich ihrer Interpretation von Gregors Verwandlung und der Übersetzung der Schlüsselwörter analysiert. Hofmanns Übersetzung, die Gregor als "monströse Kakerlake" bezeichnet, wird im Kontrast zu Nabokovs Interpretation und Corngolds "monstrous vermin" gesetzt.
Welche Rolle spielt die sprachliche Vagheit in Kafkas Text?
Kafkas bewusste sprachliche Vagheit, wie in einem Brief an seinen Verleger deutlich wird, stellt eine zentrale Herausforderung für die Übersetzung dar. Der Text vermeidet eine zu konkrete visuelle Darstellung Gregors, was die Übersetzer zwingt, nicht nur die Worte, sondern auch die dahinterstehende Bedeutung und Intention zu erfassen.
Wie beschreibt Peter Utz die Rolle des Übersetzers und des Literaturwissenschaftlers?
Peter Utz beschreibt den Übersetzer als "Sprachsurfer" und den Literaturwissenschaftler als "Sinntaucher", um die interpretatorische Herausforderung zu veranschaulichen, der beide gegenüberstehen. Diese Metapher unterstreicht die Schwierigkeit, mit Kafkas präziser und oft mehrdeutiger Sprache umzugehen und deren tiefere Bedeutung zu erfassen.
Welche Bedeutung haben die Schlüsselwörter "ungeheuer" und "Ungeziefer"?
Die semantische Analyse der Schlüsselwörter "ungeheuer" und "Ungeziefer" bildet einen zentralen Punkt der Arbeit. Die Analyse untersucht die unterschiedlichen Bedeutungsfelder dieser Wörter im Deutschen und die Schwierigkeiten, diese Nuancen im Englischen adäquat wiederzugeben. Die historische Bedeutung von "Ungeziefer" und seine Beziehung zu Gregors sozialer Isolation werden ebenfalls diskutiert.
Welche Schlussfolgerungen zieht die Arbeit?
Die Arbeit zeigt auf, dass die Übersetzung von Kafkas "Die Verwandlung" eine immense Herausforderung darstellt, die weit über die reine sprachliche Umsetzung hinausgeht. Die unterschiedlichen Übersetzungen offenbaren verschiedene Interpretationen des Textes und betonen die Bedeutung der sprachlichen Nuancen und der Intention des Autors für das Verständnis des Werkes. Die Arbeit unterstreicht die interpretatorische Rolle des Übersetzers und die Notwendigkeit einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit dem Originaltext.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Franz Kafka, Die Verwandlung, Übersetzung, Interpretation, Ungeziefer, ungeheuer, sprachliche Vagheit, semantische Analyse, Stanley Corngold, Michael Hofmann, Vladimir Nabokov, Übersetzungsforschung.
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- Florian Arleth (Autor), 2010, Kafka auf Englisch, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190762