Bei der Untersuchung der Erzählung «Der Jäger Gracchus» von Franz Kafka,
wie sie in den von Paul Raabe herausgegebenen «Sämtlichen Erzählungen»1
auftaucht, tritt die Schwierigkeit auf, daß es sich bei dem in diese Sammlung
aufgenommenen Text nicht um eine vom Dichter selbst, sondern von Max
Brod, einem engen Freund und Förderer Kafkas, editierte Version handelt.
Entgegen Kafkas testamentarisch festgesetzten Willen, die zu Lebzeiten nicht
publizierten Werke nach seinem Tode zu verbrennen, veröffentlichte Max Brod
den «Jäger Gracchus» 1931, sieben Jahre nachdem Kafka der Tuberkulose
erlag, zusammen mit anderen Schriften aus dessen Nachlaß in «Beim Bau der
chinesischen Mauer»2. Allerdings führte er vor dieser Veröffentlichung
erhebliche Veränderungen an dem ursprünglichen Gracchus-Stoff durch:
So erweckt die von Brod so betitelte Erzählung «Der Jäger Gracchus» in den
«Sämtlichen Erzählungen» Raabes1 zwar auf den ersten Blick den Eindruck,
von Kafka so generiert worden zu sein, berücksichtigt man jedoch die
handschriftlichen Gestaltungsversuche3 des Dichters, so stellt man fest, daß
Kafka selbst zwar verschiedene die Gracchus-Thematik betreffende Fragmente
zu Papier gebracht, die Arbeit an diesen jedoch nie beendet hat. Vielmehr gab
Max Brod vier voneinander abgesetzten und durch Trennstriche separierten
Textfragmenten, die er im «Oktavheft B» Kafkas fand, eine Reihenfolge, die
sich ihm als sinnvoll darstellte, fügte Absätze und fehlende Worte ein und
korrigierte, was ihm als unwillkürlicher Fehler des Dichters erschien. Durch
diese — zunächst zweckmäßig erscheinende — Tätigkeit Brods allerdings
gingen diverse für eine Interpretation wichtige Merkmale der ursprünglichen
Texte verloren. [...]
1 Siehe: Kafka, Franz: Sämtliche Erzählungen. S.285-288 (Im folgenden werde ich auf
vollständige Quellenangaben im Text verzichten und verweise auf das Quellenverzeichnis.)
2 Kafka, Franz:
Beim Bau der chinesischen Mauer.
Ungedruckte Erzählungen und Prosa aus dem Nachlaß. Herausgegeben von Max Brod und
Hans Joachim Schoeps. Berlin: Kiepenheuer 1931.
3 In: Kafka, Franz: Beim Bau der chinesischen Mauer. S. 40-43, 44-45. Aus Platzgründen, die
ausgiebiges Zitieren und Zusammenfassen verhindern, werde ich im folgenden die Kenntnis
der Originalfragmente voraussetzen müssen, das gilt auch für das so genannte «Fragment zum
Jäger Gracchus».
Inhaltsverzeichnis
- Zur Textgenese des «Jäger Gracchus»
- «Jäger Gracchus bin ich.» - Über die Bedeutung seines Namens
- «[…] bei uns in Riva […]» - Über den Ort der Handlung
- Über mögliche Vorbilder und den Fehler des Jäger Gracchus
- «Der Bootsmann» - Über die verwendeten Motive aus der griechischen Mythologie
- «Julia die Frau des Bootsführers» - Über literarische Parallelen
- «Salvatore - so heiße ich [...]» - Über den vermeintlichen Erlöser und die Motive aus der christlichen Mythologie
- Abschließende Interpretation und Schlußwort
- Quellenverzeichnis
- Verwendetes Material aus dem Internet
- Anhang
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit der Interpretation der Erzählung «Der Jäger Gracchus» von Franz Kafka. Aufgrund der komplexen Textgenese, die auf verschiedene Fragmente und handschriftliche Notizen zurückgeht, wird die Interpretation der Erzählung im Kontext der Bearbeitung des Textes durch Max Brod und dessen Veränderungen am ursprünglichen Stoff durchgeführt. Die Arbeit beleuchtet die Bedeutung des Namens «Jäger Gracchus» sowie den Ort der Handlung und untersucht mögliche Vorbilder und literarische Parallelen.
- Textgenese und Edition des «Jäger Gracchus» durch Max Brod
- Bedeutung des Namens «Jäger Gracchus»
- Interpretation der Handlung und des Orts der Handlung
- Mythologische und literarische Bezüge
- Abschließende Interpretation und Analyse der Figuren
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel befasst sich mit der Textgenese des «Jäger Gracchus» und beleuchtet die Herausforderungen der Interpretation aufgrund der Tatsache, dass der Text nicht von Kafka selbst, sondern von Max Brod editiert wurde. Im zweiten Kapitel wird die Bedeutung des Namens «Jäger Gracchus» untersucht und seine mögliche Symbolik beleuchtet. Das dritte Kapitel widmet sich dem Ort der Handlung, «Riva», und diskutiert verschiedene Interpretationen. Unter anderem werden mögliche Vorbilder des Jägers Gracchus analysiert, sowie die Verwendung von Motiven aus der griechischen Mythologie im Text. Auch literarische Parallelen zu anderen Werken werden behandelt. Das vierte Kapitel untersucht den vermeintlichen Erlöser «Salvatore» und die darin enthaltenen Motive aus der christlichen Mythologie. Die Arbeit endet mit einer abschließenden Interpretation und einem Schlußwort.
Schlüsselwörter
Franz Kafka, Jäger Gracchus, Max Brod, Textgenese, Interpretation, Mythologie, Literatur, Symbolik, Ort der Handlung, Riva, Vorbilder, literarische Parallelen, Erlöser, Salvatore, christliche Mythologie, Figuren, Analyse.
- Quote paper
- M.A. Martin Renz (Author), 2001, Franz Kafkas Jäger Gracchus - Versuch einer Interpretation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19074