Die Demokratie der Schweiz gilt oft als Vorbild, sie funktioniert in vielerlei Hinsicht besser, auf jeden Fall aber auch anders als irgendwo sonst in Europa. Diese Einführung inklusive Vergleich mit Deutschland schafft mehr Klarheit im Detail und liefert die Grundlage, sich selbst ein Bild zu machen.
Die direkte Demokratie der Schweiz
Definition:
Wenn eine Demokratie, zu deutsch: Herrschaft des Volkes, nicht nur auf regelmäßigen Wahlen basiert, sondern bei jeder wichtigen Entscheidung alle Wähler befragt werden, dann ist diese Form der Demokratie mit Volksabstimmungen „direkt“ zu nennen. Es wird also nicht, z.B. bei der Frage nach einer Bildungsreform, gewartet, bis das Volk bei der nächsten Wahl auf die Entscheidung des Parlaments bzw. die Parteiprogramme positiv oder negativ reagiert. Vielmehr richtet sich das Parlament bzw. die Regierung nach dem Willen des Volkes. Das Volk hat die Entscheidung getroffen. Auch bei kleineren, regionalen Problemstellungen sind Volksabstimmungen jederzeit möglich.
Ursprünge:
Schon im 13. Jhdt. setzten sich im Gebiet der heutigen Schweiz einzelne Ortschaften bei Kaiser Friedrich II. mit der Forderung nach mehr Autonomie gegenüber Habsburg durch. Diesen Freiheitsdrang der Schweizer kennen wir auch aus der Wilhelm-Tell-Sage. Die Eidgenossenschaft aus den drei Urkantonen Schwyz, Uri und Unterwalden blieb Teil des Heiligen Römischen Reiches, versuchte aber auch im 30-jährigen Krieg die Autonomie zu bewahren. Schließlich gelang es der Schweiz, nach dem Krieg ihre staatliche Unabhängigkeit zu erlangen. Die Grundlagen „Neutralität, Landesverteidigung und Religiöse Toleranz“[1] waren damit schon gelegt und dürfen auch als Grundlage der heutigen Schweiz und ihrer direkten Demokratie angesehen werden. Denn die direkte Demokratie, deren Ursprünge man auf das antike Athen zurückführen kann, bietet den Bürgern die Identifikation mit der Nation, sowie das Gefühl der aktiven Teilhabe am Staat. Daraus resultiert eine innere Stabilität, die mit der äußeren Stabilität zusammenhängt und sich in der besonderen Position der Schweiz manifestiert – mit der Ablehnung einer Mitgliedschaft in der EU und der NATO.
Direkte Demokratie heute:
Die Schweiz ist ein föderalistischer Bundesstaat – wie Deutschland, die USA und andere. Seit dem späten 19. Jhdt. sind in der Schweiz die „Instrumente der direkten Demokratie auch auf Bundesebene eingeführt“[2]. Die heutige Struktur und Organisation des Schweizerischen Bundesstaates besteht seit der Bundesverfassung von 1848, als der Wechsel vom lockeren Staatenbund zum modernen Bundesstaat vollzogen wurde. Die Schweiz besteht aus 20 Kantonen und 6 Halbkantonen zwischen 37 und 7.105 km², mit einer Bevölkerungszahl zwischen 15.000 und 1.200.000.
Die weitgehende Autonomie der Kantone und Gemeinden ist ein wesentliches Merkmal der Schweiz. Jeder Kanton bzw. Halbkanton hat eine eigene Verfassung, eine eigene Regierung, ein eigenes Parlament, eigene Gerichte und Polizei. Daher existieren unterschiedliche Rechtsnormen, die häufiger durch Konkordate (Absprachen) einander angeglichen werden müssen, damit der Wirtschaftsraum Schweiz funktionieren kann. „Weil die Kantone soviel Gestaltungsspielraum haben, ist bei vielen Vergleichen mit dem Ausland die einzig wirklich korrekte Antwort auf die Frage ´und wie ist das in der Schweiz?´ das beinahe schon geflügelte Wort ´in jedem Kanton wieder anders´“.[3]
Am auffälligsten an der direkten Demokratie der Schweiz sind die häufigen, oft mehrmals im Jahr stattfindenden Volksabstimmungen über Gesetze, Sachfragen und auf Gemeindeebene auch über den Haushalts-Etat. An einem Wochenende können manchmal mehr als zehn Entscheidungen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene zu treffen sein.
Die Bundesverfassung regelt, welche Gesetze und Sachfragen zwingend per Volks- abstimmung entschieden werden müssen („obligatorisches Referendum“). Die übrigen Gesetze unterliegen dem fakultativen Referendum, d.h. 50.000 Stimmberechtigte können mit ihrer Unterschrift eine Volksabstimmung verlangen. Die Abstimmung findet zunehmend per Post und neuerdings auch auf elektronischem Wege statt, also online. Dadurch wird versucht, einer sinkenden Wahlbeteiligung entgegen zu wirken.
Die Demokratie der Schweiz ist auch eine Konsensdemokratie. Da die Gesetze vom Volk jeder Zeit zu Fall gebracht werden können, lohnt es sich, frühzeitig dafür zu werben, um die Zustimmung erst des Parlaments zum Gesetzentwurf und dann des Volkes zu bekommen. Zu diesem Zweck sucht die Regierung im Rahmen des sogenannten Vernehmlassungsverfahrens das Gespräch mit gesellschaftlichen Gruppen (Parteien, Verbände, Religionen). Die „Konkordanzdemokratie“ aus Kompromiss und Konkordanz stellt somit einen Versuch dar, „die Idee des Genfer Philosophen Jean Jacques Rousseau von der volonté générale [...]praktisch umzusetzen.“[4]
Auch aus dem Volk selbst kann die Initiative kommen. 100.000 Stimmberechtigte können per Unterschrift auf Bundesebene und Kantonsebene eine Verfassungsänderung fordern. Über jede Volksinitiative muss im Parlament abgestimmt werden. Das Parlament kann dem Volk einen Gegenvorschlag machen, über den das Volk abstimmt. Die Volksinitiative ist ein beliebtes Instrument, um das Parlament politisch unter Druck zu setzen. Bei Verfassungsänderungen auf Bundesebene muss auch eine Mehrheit der Kantone zustimmen. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Volksinitiative war die Einführung der staatlichen Rentenversicherung.
Das Schweizer Bundesparlament hat zwei Kammern. Im Nationalrat (auch große Kammer genannt)sitzen 200 Abgeordnete. Jeder Kanton und Halbkanton bildet einen Wahlkreis und stellt mindestens einen Vertreter, je nach Bevölkerungszahl auch mehr. Die Legislaturperiode dauert vier Jahre. Der Ständerat (auch „kleine Kammer“) mit seinen 46 Mitgliedern ist die Vertretung der Kantone (auch „Stände“ genannt). Jeder Vollkanton stellt zwei, jeder Halbkanton einen Vertreter. Der jeweilige Kanton bestimmt, wann und für wie lange seine Abgeordneten gewählt werden.
Eine Besonderheit des schweizerischen Systems ist das so genannte Milizsystem, d.h. die Parlamentarier haben neben ihrem Mandat alle einen Beruf. Einerseits bedeutet das eine tendenzielle Überlastung der Politiker, aber andererseits sind sie so näher an der Bevölkerung und können deren Interessen wahrnehmen. Seinen Ursprung hat dieses System in der Verteidigungsbereitschaft der Schweiz und beim Militär will man auf Berufssoldaten verzichten. Jeder Bürger soll auch im Kriegsfall einen Beruf ausüben können.
Die sieben Mitglieder des Bundesrates und damit der Landesregierung werden vom Parlament gewählt, das sich zu diesem Zweck als Bundesversammlung aus den beiden Kammern konstituiert. Jedes Mitglied des Bundesrates leitet ein Departement, also Ministerium. Die Sitzungen des Bundesrates finden wöchentlich statt. Nach dem Vorbild des Direktoriums in der Französischen Revolution sind alle großen Parteien des Parlaments vertreten und treffen gemeinsam die Entscheidungen. Beratend zur Seite steht dem Bundesrat der Bundeskanzler. Er leitet die Bundeskanzlei und nimmt mit den beiden Vizekanzlern an den Sitzungen des Bundesrates teil. Die Wahl des Bundeskanzlers erfolgt für vier Jahre gleichzeitig mit der Wahl des Bundesrates.
Das Staatsoberhaupt der Schweiz ist der Bundespräsident. Im Rotationsprinzip wechseln sich die 7 Mitglieder des Bundesrates in diesem Amt jährlich ab. Der Bundespräsident leitet die Sitzungen des Bundesrates und erfüllt repräsentative Aufgaben. Ausländische Staatsgäste werden in der Regel vom Gesamtbundesrat empfangen.
[...]
[1] http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8907.php
[2] http://www.geschichte-schweiz.ch/kulturkampf.html
[3] http://demokratie.geschichte-schweiz.ch/direkte-demokratie-schweiz.html
[4] http://demokratie.geschichte-schweiz.ch/direkte-demokratie-schweiz.html
volonté = Allgemeiner Wille (französ.)
- Arbeit zitieren
- Christian Winkelmann (Autor:in), 2011, Direkte Demokratie in der Schweiz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190595
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