Um ungeübten Lesern das Verständnis zu erleichtern, habe ich den nur aus zwei Satzgefügen bestehenden Text entsprechend der syntaktischen Kohärenz neu gegliedert. Das erste Bild umfasst zwei Konditional-sätze, diese sind durch satzwertige Partizipialgefüge, adverbiale Bestimmungen und einen attribuierten Relativsatz erweitert. der ab-schließende 1. Hauptsatz hat drei Prädikatskerne. Das zweite Bild be-ginnt mit einem negierten Kausalsatz, der, narratologisch gesehen, keine Figuren-, sondern Erzählerrede ist. Es folgen ein Kausalsatz ohne Einleitewort mit der Dame als Subjekt und 11 Kausalsätze mit dem Direktor als Subjekt, alle ohne erkennbare Konjunktion und z.T, auch zu ergänzendem Subjekt. Nach einem Temporalsatz wieder mit Dame als Subjekt folgt nach einem erneuten Kausalsatz endlich der zweite Hauptsatz mit zwei Prädikatskernen, einem satzwertigen Partizipial-gefüge und einem erweiterten Infinitiv.In beiden Bildern wird der gleiche Vorgang erzählt. Da der Text aber nicht "Drunten in der Manege", sondern "Auf der Galerie" betitelt ist, ist der Bezugspunkt meiner Analyse die Perspektivfogur des Galeriebesuchers. Der Dar-stellungsmodus der im 1. Bild gesehenen wahren Realität der Zirkus-welt ist der Irrealis: wenn die dargestellte Welt durchschaut würde, dann hülfe das Ich vielleicht. Durch den Modus Indikativ im 2. Bild wird die gesehene Welt aber als scheinbar glücklich empfunden, sie wird nicht durchschaut, sondern nur als realer Schein geschaut. Weil der trügerische Schein sich realiter darstellt als Illusion einer scheinbar glücklichen Welt, ist das Ich unfähig, die wahre Welt hinter der sich als wahr ausgebenden Fassade zu erkennen. Ich habe das Tertium comparationis so erklärt: Die Parabel thematisiert das Leiden des Menschen in einer Welt, in der er wegen der schwierigen Unterscheidung von Wahrheit und Lüge nicht handelt.
Bei dem vorliegenden Prosatext „Auf der Galerie“ handelt es sich um eine der kurzen Erzählungen Franz Kafkas, die er im Winter von 1916 auf 1917 in der Alchimistengasse 22 auf dem Prager Hradschin schrieb, einem kleinen Häuschen, das seine Schwester Ottla gemietet hatte und das ihm als Arbeitswohnung diente.1
Der erste Druck erfolgte 1919 in dem Landarzt-Band. Ich folge in meinen Ausführungen dem 1952 von Max Brod herausgegebenen Druck in „Erzählungen“.2
Die Parabel findet sich in vielen Oberstufen-Lesebüchern und ist daher auch häufig interpretiert worden. Deshalb kann ich mir eine ausführliche Inhaltsangabe ersparen und das Wesentliche der beiden inhaltlich nahezu gleichen Parabelhälften herausstellen.
Der Text besteht aus zwei Satzgefügen. Das erste umfasst in 10 Zeilen zwei Kon-ditionalsätze, diese sind durch satzwertige Partizipialgefüge, adverbiale Bestimmun- gen und einen attribuierten Relativsatz erweitert. Der abschließende Hauptsatz um-fasst ein Subjekt mit drei Prädikatskernen.
Wir haben im Unterricht zunächst die syntaktische Kohärenz des ersten Abschnitts untersucht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im ersten Bild wird die entwürdigende Situation einer kranken Kunstreiterin gezeigt, die von einem unmenschlichen Direktor und vor einem die traurige Darbietung be-klatschenden Publikum durch die Manege getrieben wird. Allerdings kleidet Kafka die bemitleidenswerte Lage der lungensüchtigen Reiterin in eine wenn-dann - Konstruk-tion mit dem Konj. II, also mit dem Irrealis: wenn die irreale Annahme dieses Schau-spiels zuträfe, dann – und wieder folgen in dem sich an den Gedankenstrich anschließenden dreizeiligen Hauptsatz drei irreale Konjunktive – griffe ein junger Galeriebesucher „vielleicht“ ein und beendete das unmenschliche Spektakel.
Jedoch ist diese Darstellung, da im irrealen Konditionalsatz erzählt, lediglich eine subjektive Vorstellung, eine Denkübung in dem vom Autor gewählten vordergründig personalen Erzählverhalten. Die erzählten Figuren, die Kunstreiterin, der Direktor, das Publikum und der Galeriebesucher, treten in der ER-Form auf und gehören auf-grund des bis auf eine Ausnahme durchgehenden Konjunktivs II einer Nicht-Wirklich-keit an, einem nur vorgestellten, aber nicht wirklich Seienden. Dass nicht Reales abgebildet wird, zeigt der den zweiten Textabschnitt einleitende adversative Kausal-satz „Da es aber nicht so ist“. Diese lakonische verbale Versicherung, das erste Bild entspreche nicht der Wirklichkeit, ist, narratologisch betrachtet, keine Figuren-, son-dern Erzählerrede.
Auch für das zweite Bild habe ich von meiner Lerngruppe erstmal die syntaktische Kohärenz analysieren lassen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Erzählerrede wird auch Erzählerbericht genannt und ist ein Hilfsbegriff für alle Sprachformen, die nicht Äußerungen einer erzählten Figur/ Person, sondern unverstellte Verlautbarung der Erzählfunktion sind. Figurenrede ist lediglich das mit einer Inquit-Formel versehene „Halt!“ des jungen Galeriebesuchers.
Da der Kausalsatz im zweiten Abschnitt auch nicht das erzählte Geschehen innerhalb der erzählten Wirklichkeit wiedergibt, kann er nur ein Kommentar des sich hier zum zweiten Mal einmischenden auktorialen Erzählers sein. Der hatte sich schon im ersten Bild mit einer Einmischung zu Wort gemeldet, als er in dem einzigen Relativsatz im ersten Abschnitt sich zu dem „Beifallsklatschen der Hände“ so äußerte: „die eigentlich Dampfhämmer sind“. Der Prädikatskern hebt sich dadurch vom irrealen Kontext ab, dass er als einzige Verbform im Indikativ steht. Unterstützt wird diese Einmischung des Erzählers in die erzählte Handlung auch durch das als Adverbial gebrauchte Adjektiv „eigentlich“.
Jedenfalls wechselt der Erzähler mit dem kurzen Kausalsatz auch den Modus. Der zweite Teil weist, wieder bis auf eine Ausnahme, nur Prädikatskerne im Indikativ auf und bestätigt damit die Adäquatheit der folgenden Aussage zur Wirklichkeit.
Kafka hat sich einer ungewohnten Interpunktion bedient, er hat die vielen Glieder der asyndetischen Reihung der 14 sich anschließenden Kausalsätze durch Semikola getrennt. Kommata setzt er nur innerhalb der einzelnen kausalen Kola. Des Weiteren hat er auf die anaphorisch wirkende Wiederholung der am Anfang des zweiten Satzgefüges gesetzten subordinierenden Konjunktion „da“ verzichtet. Der so entstan-dene Satzbau läse sich ohne die Ellipsen so: „da eine schöne Dame hereinfliegt, da der Direktor ihr entgegenatmet, da er sie hebt“ usw. In dieser Weise geht es weiter über 18 Zeilen bis zu dem die Reihung unterbrechenden Gedankenstrich.
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1) Interpretationen: Franz Kafka. Romane und Erzählungen, hg. v. Michael Müller, Reclam: Stuttgart 2003, S. 227
2) Franz Kafka, Gesammelte Werke, hg. v. Max Brod, Fischer: Frankfurt/ M. 1950-1974 (in Einzelbänden), hier: Erzählungen, o. J. (1952), S. 117 f.
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- M.A. Gerd Berner (Author), 2012, Franz Kafka, Auf der Galerie - Ausführliche Interpretation mit Sekundärliteratur, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189456
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