Mit Milliarden im Ausland verschuldet, prestigereiche Kolonien verloren, von den Vereinigten
Staaten und der Sowjetunion, den neuen Weltmächten, an den Rand gedrängt – so lässt
sich die britische Position nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 kurz und knapp charakterisieren.
Dabei schien die ruhmreiche Geschichte nicht mehr zu sein, als der Schatten
vergangener Tage. Der Beginn einer neuen britischen Epoche und einer politischen Wende im
Land wird auch durch den erdrutschartigen Wahlsieg der Labour-Partei unter Clement Attlee
gegen Winston Churchills Konservative im Juli 1945 sinnbildlich. Die neue Regierung kündigte
an, mit ihrem Wohlfahrtsprogramm, der größten Sozialreform in der britischen Geschichte,
das Land im Inneren komplett umzustrukturieren. Anders als zu Zeiten des Empire
stand Großbritannien nun nicht mehr an der Spitze der Weltpolitik, sondern war eines von
vielen Ländern und zur Zusammenarbeit gezwungen. Die neue Weltlage, in der das Königreich
zwischen zwei Großmächten im aufkeimenden West-Ost-Konflikt situiert war, schloss
eine Isolation des Landes aus. Statt dessen stand man in einer gewissen Verantwortung, die
von den Vereinigten Staaten nach dem Krieg darin artikuliert wurde, dass sie Großbritannien
als Speerspitze einer (west-)europäischen Integration sehen wollten. Aber vor allem im Hinblick
auf eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zeigten sich schnell Differenzen zwischen
Großbritannien und seinen europäischen Nachbarn. Dies genauer zu untersuchen soll die
Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein.
Zum entscheidenden Faktor für die Integration Europas mit Großbritannien sollten dabei
die „Überreste“ des britischen Weltreichs, das Commonwealth und, von der Fläche nahezu
identisch, der Sterlingblock, sein. Beide, obwohl aus dem politischen Blickwinkel betrachtet
relativ informelle Verbunde, waren in punkto Wirtschaft für Großbritannien von besonderer
Bedeutung. Zwischen den Mitgliedern des Commonwealth und des Sterlingblocks gab es einen
ungehinderten Warenaustausch in einem komplizierten System von Zöllen, Einfuhrquoten
und zweiseitigen Clearing- und Handelsverträgen1. Obwohl beispielsweise auch Frankreich
nach dem Zweiten Weltkrieg noch Kolonien in Übersee besaß, war die britische Situation
eine andere.[...]
1 Vgl. Cornides, Wilhelm (Hrsg.): Europa-Archiv. Erstes Jahr, Juli 1946 – Juni 1947, Oberursel 1948, S. 77 f.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Knotenpunkt dreier Systeme? – Großbritannien, die USA, das Commonwealth und Westeuropa.
- 2.1 Die Bedeutung von Commonwealth und Sterlingblock für die britische Innenpolitik
- 2.2 Großbritannien und Europa zwischen 1945 und 1947: Die britische Vorstellung von europäischer Integration
- 2.3 „Third Force“ und „Special Relationship“: das britisch-amerikanische Verhältnis 1945 – 1947
- 2.4 Die Krise des Jahres 1947 und Großbritanniens Abkehr von Europa
- 2.5 Die Verhandlungen um die Europäische Zahlungsunion
- 3. Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rolle Großbritanniens in der Nachkriegszeit (1945-1947) im Kontext der europäischen Integration. Sie analysiert, wie die besondere Situation Großbritanniens – mit seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dem Erbe des Commonwealth und dem Verhältnis zu den USA – seine Integrationsbemühungen prägte.
- Die Bedeutung des Commonwealth und des Sterlingblocks für die britische Wirtschaft und Innenpolitik
- Großbritanniens Vorstellung von europäischer Integration und die damit verbundenen Herausforderungen
- Das komplexe Verhältnis zwischen Großbritannien und den USA ("Special Relationship")
- Die wirtschaftliche Krise von 1947 und ihre Auswirkungen auf die britische Europapolitik
- Großbritanniens Rolle bei den Verhandlungen zur Europäischen Zahlungsunion
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung beschreibt die schwierige Lage Großbritanniens nach dem Zweiten Weltkrieg: hohe Auslandsschulden, Verlust von Kolonien und die neue Machtverteilung zwischen den USA und der Sowjetunion. Der erdrutschartige Wahlsieg der Labour-Partei unter Clement Attlee wird als Symbol für den Beginn einer neuen Epoche und eine politische Wende im Land dargestellt. Die Arbeit fokussiert sich auf die Untersuchung der Faktoren, die Großbritanniens Rolle in der europäischen Integration beeinflussten, wobei das Commonwealth und der Sterlingblock als zentrale Aspekte hervorgehoben werden. Die Differenzen zwischen Großbritannien und seinen europäischen Nachbarn bezüglich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit bilden den Ausgangspunkt der weiteren Analyse.
2. Knotenpunkt dreier Systeme? – Großbritannien, die USA, das Commonwealth und Westeuropa: Dieses Kapitel untersucht die komplexe Verflechtung Großbritanniens mit dem Commonwealth, den USA und Europa. Es analysiert die Bedeutung des Commonwealth und des Sterlingblocks für die britische Innen- und Außenpolitik, wobei der ungehinderte Warenaustausch zwischen den Mitgliedern dieser Verbünde im Vordergrund steht. Trotz des wirtschaftlichen Drucks und der Notwendigkeit von Reformen betont das Kapitel die strategische Bedeutung dieser Verbindungen für die britische Rekonstruktion. Die unterschiedlichen Vorstellungen über die europäische Integration werden diskutiert, die von der britischen Seite stark vom Commonwealth geprägt waren. Weiterhin wird das schwierige Verhältnis Großbritanniens zu den USA im Kontext der "Special Relationship" analysiert, wobei die amerikanischen Pläne für Westeuropa berücksichtigt werden. Schließlich wird auf die Europäische Zahlungsunion eingegangen, die die Eigenständigkeit der britischen Position gegenüber amerikanischen Forderungen illustriert.
Häufig gestellte Fragen zum Text: Großbritannien, das Commonwealth, die USA und Europa (1945-1947)
Was ist der Gegenstand des Textes?
Der Text untersucht die Rolle Großbritanniens in der Nachkriegszeit (1945-1947) im Kontext der europäischen Integration. Im Fokus steht die Analyse, wie die besondere Situation Großbritanniens – mit seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dem Erbe des Commonwealth und dem Verhältnis zu den USA – seine Integrationsbemühungen prägte.
Welche Themen werden im Text behandelt?
Der Text behandelt die Bedeutung des Commonwealth und des Sterlingblocks für die britische Wirtschaft und Innenpolitik, Großbritanniens Vorstellung von europäischer Integration und die damit verbundenen Herausforderungen, das komplexe Verhältnis zwischen Großbritannien und den USA ("Special Relationship"), die wirtschaftliche Krise von 1947 und ihre Auswirkungen auf die britische Europapolitik sowie Großbritanniens Rolle bei den Verhandlungen zur Europäischen Zahlungsunion.
Welche Kapitel umfasst der Text?
Der Text beinhaltet eine Einleitung, ein Hauptkapitel ("Knotenpunkt dreier Systeme? – Großbritannien, die USA, das Commonwealth und Westeuropa") mit mehreren Unterkapiteln (Die Bedeutung von Commonwealth und Sterlingblock für die britische Innenpolitik, Großbritannien und Europa zwischen 1945 und 1947: Die britische Vorstellung von europäischer Integration, „Third Force“ und „Special Relationship“: das britisch-amerikanische Verhältnis 1945 – 1947, Die Krise des Jahres 1947 und Großbritanniens Abkehr von Europa, Die Verhandlungen um die Europäische Zahlungsunion) und eine Zusammenfassung.
Welche Bedeutung hatten Commonwealth und Sterlingblock für Großbritannien?
Commonwealth und Sterlingblock waren von zentraler Bedeutung für die britische Innen- und Außenpolitik. Der ungehinderte Warenaustausch innerhalb dieser Verbünde spielte eine wichtige Rolle für die britische Wirtschaft und Rekonstruktion, trotz wirtschaftlichen Drucks und der Notwendigkeit von Reformen. Die strategische Bedeutung dieser Verbindungen für Großbritannien wird hervorgehoben.
Wie stellte sich Großbritannien die europäische Integration vor?
Großbritanniens Vorstellung von europäischer Integration war stark vom Commonwealth geprägt. Es gab deutliche Unterschiede zwischen den Vorstellungen Großbritanniens und seinen europäischen Nachbarn bezüglich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, welche im Text als Ausgangspunkt der weiteren Analyse dienen.
Welche Rolle spielte die "Special Relationship" zwischen Großbritannien und den USA?
Das Verhältnis zwischen Großbritannien und den USA wird als komplex beschrieben ("Special Relationship"). Der Text analysiert dieses Verhältnis im Kontext der amerikanischen Pläne für Westeuropa und zeigt die Herausforderungen und die Notwendigkeit, die eigenen Interessen gegenüber den amerikanischen Forderungen zu wahren.
Welche Auswirkungen hatte die Krise von 1947 auf die britische Europapolitik?
Die wirtschaftliche Krise von 1947 hatte erhebliche Auswirkungen auf die britische Europapolitik. Sie wird als ein wichtiger Faktor für die weitere Entwicklung der britischen Position in Bezug auf die europäische Integration dargestellt.
Welche Rolle spielte Großbritannien bei den Verhandlungen zur Europäischen Zahlungsunion?
Großbritannien spielte eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zur Europäischen Zahlungsunion. Der Text betont die Eigenständigkeit der britischen Position gegenüber amerikanischen Forderungen in diesem Zusammenhang.
Was ist das Fazit des Textes?
Der Text fasst zusammen, wie die komplexe Verflechtung Großbritanniens mit dem Commonwealth, den USA und Europa seine Rolle in der europäischen Integration in der Nachkriegszeit prägte. Die unterschiedlichen Prioritäten und Zielsetzungen führten zu einer spezifischen britischen Position, die sich von den europäischen Nachbarn unterschied.
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- Bernd Evers (Author), 2002, Knotenpunkt dreier Systeme? Großbritannien, die USA, das Commonwealth und Westeuropa, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18917